Balduin Groller
Eine Panik und andre humoristische Erzählungen
Balduin Groller

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Miß Polykrates.

»Also, wie war's?«

»N–na, ich bin auf meine Kosten gekommen,« entgegnete Florestan mit einer gewissen stolzen Bescheidenheit, die doch recht verheißungsvoll war. Und von nun führte Florestan das große Wort.

Es war eine kleine Gesellschaft von Literaten und Ästheten. die sich auf dem Konstantinhügel im Prater etabliert hatte, um dem lauen Sommerabend bei einem Glase Wein die Ehre zu geben. Der Rheinwein war gut; nicht übermäßig kalt, aber doch so, daß die Römer beim Einschenken anliefen. Das gehört dazu; das muß sein, und dann erst trinkt sich der 89 Rheinwein mit jener vergnüglichen und behaglichen Andacht, auf welche er vollberechtigten Anspruch hat. Sonst lieber nicht.

Dr. Lick – er wurde nur der Kürze halber Florestan genannt – nahm eine Art Ausnahmsstellung ein. Er war Musikschriftsteller. Das hätte ihm weiter nicht geschadet. Er war aber auch der einzige in der Gesellschaft, der etwas von Musik verstand, und da hatte er natürlich gut reden. Und er redete. Heute stand indessen nicht die Musik auf der Tagesordnung, sondern seine Pfingstreise, von der er eben zurückgekehrt war. Von der sollte er erzählen.

»Ihr wißt, meine Guten . . .«

Meine Guten! Man protestierte aus der Gesellschaft. Florestan solle erzählen, ohne immer gleich beleidigend zu werden.

»Ihr wißt, meine Guten, daß das Ziel meiner Reise Holland war. Ich bin über Köln hingereist. Ich beginne also mit Köln.«

»Ausgerechnet mit Köln! Köln ist auch schon sehr weit, warum gerade mit Köln?«

»Weil ich, mein Guter, in Köln eine Dame zu sehen das unschätzbare Glück hatte – eine Dame! Mit einem Nacken, – einem Nacken! und mit einem Gesicht – einem Gesicht!!«

»Das ist etwas andres. Man beginne also mit Köln. Es wird gestattet.«

»Ich danke. Erst aber, meine Guten, muß ich euch doch auseinandersetzen, warum ich mich gerade für Holland entschieden hatte.«

Er gedachte umständlich zu begründen, daß nicht nur der holländischen Landschaft, sondern auch der holländischen Kunst seines Erachtens der Vorzug vor der Italiens gebühre. Auch habe es ihn interessiert, einmal den goldtönigen Rembrandt in naher Nachbarschaft mit dem silbertönigen Franz Hals vergleichen zu können. Er sei nämlich überzeugt –

Er kam aber schlecht an und nicht weit. Worin er sich da einlassen wollte, das war keine Musik, und dafür hatte 90 er sich denn auch nicht der geringsten Autorität zu erfreuen. Es wurde ihm also sehr deutlich abgewinkt und man forderte entschieden, daß er bei der Stange bleibe, beziehungsweise bei der Dame mit dem Nacken!

»Bande! Ich füge mich, obschon euch eine kleine Belehrung nicht geschadet hätte. Also in Köln gab es zufällig wieder ein Musikfest, und natürlich gehe ich ins Konzert. Sie saß gerade vor mir, neben ihr eine ältere Dame, ihre Begleiterin. Es waren Engländerinnen. Man sage, was man will, die schönsten Frauen produziert doch Alt-England! Es heißt, sie seien ein wenig steif und ohne die rechte Anmut. Das können nur Leute sagen, die auch nicht die geringste Ahnung von Frauenschönheit haben.«

Die Gesellschaft begann wieder zu revoltieren. Sie wollten Tatsachen und keine Reflexionen.

»Eine Tatsache war der unvergleichliche Nacken, den ich vor der Nase hatte und dessen blütenweiße und klassische Plastizität durch das ausgeschnittene schwarze Kleid noch gehoben wurde. Eine Tatsache, und eine Tatsache zum Küssen, die goldblonden Nackenlöckchen; eine Tatsache ihr helles silbernes Lachen und die wundervollen Zähne, die dabei zum Vorschein kamen; eine Tatsache das herzige Stumpfnäschen und die fröhlichen Augen.«

Die Gesellschaft fand, daß es nun der Schilderung genug sei und verlangte Handlung. Zudem habe er ja hinten gesessen und höchstwahrscheinlich seien daher die Tatsachen von den Augen, den Zähnen und dem Näschen doch nur leeres Geflunker.

»Jeder spricht, wie er es versteht. Allerdings habe ich hinten gesessen, aber erstlich hat sie sich aus freien Stücken manchmal umgedreht, und zweitens ist man doch auch nicht auf den Kopf gefallen. Man hat seine kleinen Mittel – kurz und gut, und zweitens habe ich sie gezwungen, mir einigemal ihr Gesicht zuzuwenden. Wie ich das gemacht habe? Sehr einfach. Einmal ließ ich die Partitur, die 91 ich natürlich mit hatte, mit großer Kunstfertigkeit so fallen, daß es nur so dröhnte im Saale und alles sich umwandte. Sie mit, und dabei machte ich ein sehr unschuldiges Gesicht und sah mir sie mit großer Gemütsruhe und sehr genau an. Das nächste Mal rannte ich ihr aus Versehen dieselbe Partitur ein wenig in den Hals, worauf sie wieder erschreckt den Kopf wandte. Nun steckte ich eine Armesündermiene auf, legte meine Hand aufs Herz, um meine Unschuld zu beteuern und zugleich um Entschuldigung zu flehen, und sah sie mir bei dieser Gelegenheit wieder recht genau und mit ungetrübtem Vergnügen genau an.«

»Und so ging das fort?«

»So ungefähr.«

»Ein recht angenehmer Hintermann!«

»Man muß sich behelfen. Ich habe das Bewußtsein, vollkommen richtig und zweckmäßig gehandelt zu haben. Schließlich nimmt, wie eine alte Erfahrung lehrt, selbst das schönste Konzert ein Ende. Denkt euch meinen Schreck, ihr Guten, als die beiden Engländerinnen sich allen Ernstes anschicken, den Saal zu verlassen!«

»Vielleicht hatten sie von Haus aus nicht die Absicht, im Konzertsaal zu übernachten.«

»Kann sein, aber entsetzlich war es. Ich halte mich knapp hinter ihnen. Da – es gibt doch eine Gerechtigkeit auf der Welt! – ein Flimmern vor meinen Augen und dann spürte ich etwas in der Hand. Ich übersehe sofort alles. Ein goldeingelegtes Schildpattkämmchen, das ich bereits kannte, hatte sich aus dem blonden Haarknoten auf ihrem Hinterhaupte gelöst und war mir direkt in die Hand geglitten. Ich steckte es natürlich sofort und unauffällig in die Tasche.«

»Natürlich!«

»Was hätte ich denn sonst tun sollen? Du mußt nicht gleich so furchtbar überlegen tun, mein guter Lukian. Du meinst, wenn einer schon das Glück hat –«

92 »Allerdings. Wenn du Landwirt wärst – ich meine nämlich von wegen der größten Kartoffeln!«

»Und das wählt sich ›Lukian‹ zum nom de guerre! Der richtige Lukian hat sich seine Witze selber gemacht. Das ist ein kleiner Unterschied! Ich habe also den Kamm eingesteckt.«

»Warum aber nicht, wenn man schon das kolossale Glück hat, sofort zur Anknüpfung benutzt? Besser konnte man es sich ja gar nicht wünschen!«

»So spricht ein Dilettant. Du kennst die Engländerinnen nicht, mein Guter! Wenn ich ihr den Kamm jetzt überreicht hätte, hätte sie wahrscheinlich gütig gelächelt, gnädig mit dem Kopfe genickt, ein Wort des Dankes gelispelt und dann – Good bye – All Heil! Ich wäre entlassen gewesen. So dumm bin ich nicht!«

»Was hast du also getan?«

»Was das einzig Vernünftige war. Ich steige den Damen nach. Sie begeben sich – es war eine wundervolle Sommernacht – zu Fuß nach ihrem Hotel. Ich sehe noch, wie der Portier in seiner Loge aus dem Kästchen ihren Zimmerschlüssel und einen wappengeschmückten Brief herauslangt. Ich wußte genug: erster Stock Nr. 14, und zog mich zurück. Mein Plan war fertig. Am nächsten Vormittag wird ein feierlicher Besuch gemacht und der Kamm überreicht. Das ist doch etwas andres und eine vernünftigere Anknüpfung, als sich im Gedränge beim Ausgang kurz abspeisen zu lassen.«

Die Gesellschaft sah das ein und Florestan fuhr fort: »Am nächsten Vormittag mache ich mich also fein heraus und trete an; – die Damen waren abgereist, nach Amsterdam.«

»Aha – die einzig vernünftige Methode!«

»Die Schadenfreude ist ein wenig verfrüht, meine Guten. Ich habe Erfahrung im Reisen und Europa ist winzig klein. Es wird in Holland nicht anders sein wie in Italien, in der Schweiz, im Salzkammergut. Man begegnet sich doch immer wieder mit planetarischer Sicherheit. Zudem wollte 93 ich ja auch nach Amsterdam. Zwei Tage später saß ich bei der Table d'hote an ihrer Seite.«

»Und da hast du ihr endlich den Kamm überreicht?«

»Merke dir eine goldene Lebensregel, mein junger Freund; sie wird dir nicht schaden: man überreicht bei der Table d'hote keine Kämme. Wir zogen uns nach dem Speisen in den Garten zurück, ließen uns den Schwarzen in einer reizenden Laube servieren, und dort endlich erfolgte die Überreichung.«

»Und dabei hast du immer englisch reden müssen? Du Armer!«

»Ich glaube nicht, daß ich zu bedauern bin. Übrigens spreche ich sehr gut englisch, – ich bitte! Meine Aussprache ist ausdrücklich gelobt worden, und – alle Achtung vor euch Kritikern, aber ihr Urteil ist mir doch maßgebender. Miß Dolly Maine ist eine hochgebildete Dame, die übrigens auch von Musik mehr versteht, als ihr alle miteinander!«

»Nun – und gar keine Vertraulichkeiten?«

»Zügle deine schmutzige Phantasie, mein Junge. Was meinst denn du eigentlich, daß man eine vornehme Engländerin – eine Engländerin! – nur gleich so zu einem kleinen Souper bestellen kann? Du hast Begriffe! Ich leugne indes nicht, daß ich verwundet und sehr lyrisch gestimmt war. Darum tat es denn meinem Herzen auch ganz besonders wohl, als ich sie einige Tage später auf dem sandigen Strande von Scheveningen antraf und ihr dort zu ihrer Freude den Kamm überreichen konnte . . .«

»Halt! Jetzt kommt der Schwindel auf! Den hast du ihr ja schon angeblich in Amsterdam beim Schwarzen in der traulichen Laube überreicht!«

»Allerdings, aber man soll einen Menschen ausreden lassen. Das war das erstemal und in Scheveningen das zweitemal. Daran ist doch nichts Merkwürdiges. In Amsterdam hatten wir nämlich selband vor Rembrandts berühmter »Scharwache« gesessen, und als sie sich von dem samtenen Diwan erhob, hatte ich wieder den Kamm in der Hand.«

94 »Alle Achtung vor deinen Engländerinnen, Florestan, aber auf ein bißchen mehr oder weniger Schlamperei scheint es ihnen wirklich nicht anzukommen.«

»Wenn man gezwungen ist, unter solchen Haarverhältnissen zu leben, wie du, mein geliebter Dichter, dann hat man vielleicht nicht immer ganz zutreffende Vorstellungen über die Verläßlichkeit von Steckkämmen in einem Goldhaar, wie es der liebe Gott vielleicht nie schöner erschaffen hat.«

»Kommen wir zu Ende. Hast du sie dann noch einmal wiedergesehen?«

»In Rotterdam, wo ich dann die Ehre hatte, ihr –«

»Florestan!!«

»Was wollt ihr denn eigentlich von mir?«

»Du wirst uns doch hoffentlich nicht zumuten –«

»Wo ich dann natürlich die Ehre hatte, ihr ihren goldeingelegten Schildpattkamm zu überreichen.«

Die Gesellschaft war einig, daß man sich das nicht gefallen zu lassen braucht, und es wurde ernstlich die Frage in Beratung gezogen, ob nun nicht der richtige Moment gekommen sei, Florestan hinauszuwerfen. Einer stimmte fürs Wasser, beziehungsweise fürs Ertränken, weil man zufällig gerade den Teich so schön in der Nähe hätte.

»Ich gestehe allerdings,« fuhr aber Florestan ruhig fort, »daß ich das Glück diesmal ein wenig korrigiert hatte. Ich hatte mich hinter ihre Zofe gesteckt und mir den Kamm von ihr zustecken lassen. Die Zofe war auch hübsch und keine Engländerin. Ein kleiner Scherz und eine ehrlich erkaufte Verschwiegenheit – ich weiß nicht, was ihr wollt. An alledem ist doch nichts Wunderbares!«

»Die reine Miß Polykrates! Sie sollten einen Ring ins Meer werfen. Und der Schluß – stimmt der? ¼Hier wendet sich der Gast mit Grausen.‹«

»Nicht mit Grausen, sondern mit Sehnsucht. Kinder, ich wollt', ich hätte sie nicht gesehen, oder sie wäre weniger tugendhaft gewesen!«

95 Teilnahmsvolles Schweigen. Das war doch wieder einmal recht vernünftig geredet.

* * *

Einige Tage später war dieselbe Gesellschaft an derselben Stelle wieder versammelt. Florestan wird auf einmal feuerrot und springt auf. Es waren zwei Damen aufgetaucht. Er stürzt auf sie los. Es waren seine Engländerinnen. Er führte sie zur Gesellschaft; allgemeine Vorstellung. Die Dame mit dem Nacken – alles was recht ist –, Florestan hatte nicht aufgeschnitten. Es war eine pompöse Erscheinung.

Die Unterhaltung wurde englisch geführt. Florestan blickte auf ihren Scheitel. Der Kamm war nicht da. Sie bekannte mit einem bezaubernden Lächeln, daß er nun definitiv verloren sei.

Während so die Unterhaltung im besten Fluß war, kam Vilmos Schwarzer, der berühmte Lokalredakteur, der alles weiß und alles kennt, auf den Tisch zu und begrüßte die Engländerin, ohne auch nur den Hut recht zu rücken, mit den Worten: »Grüß dich Gott, Finerl!«

Die Angeredete fiel ihm um den Hals und bettelte ihn sofort im gediegensten Lerchenfelder Dialekt um eine Notiz an, daß sie von ihrer Studienreise zurückgekehrt sei.

Fünf Minuten später war alles bekannt. Die vornehme Engländerin war vor wenigen Monaten noch eine kleine Choristin im Karl-Theater. Jetzt wurde sie zur Sängerin ausgebildet. Von Vilmos Schwarzer erfuhr man auch den Namen des Kavaliers, auf dessen Kosten sie ausgebildet wurde und auch die schöne Reise gemacht hatte.

Florestan ließ sich von seinen Freunden gern bestätigen, daß er ein hervorragender Esel gewesen sei.

 


 


 << zurück