Franz Grillparzer
Des Meeres und der Liebe Wellen
Franz Grillparzer

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(Das Innere des Tempels. Der Mittelgrund durch einen zwischen Säulen herabhängenden Vorhang geschlossen. Auf der rechten Seite des Vorgrundes eine Bildsäule Amors, an deren Arm ein Blumenkranz hängt.)

(Mädchen kommen mit Zurechtstellen von Opfergefäßen und Abnehmen von Blumengewinden beschäftigt. Zwei davon nähern sich dem Vorhange.)

(Janthe kommt.)

Janthe.
O laßt sie, laßt! Gönnt ihr die kurze Ruh'!
Wie mag sie trauern um den Teuern, Guten.
Sie fand den Ort wo man ihn hingebracht
Blindfühlend aus, von niemanden belehrt,
Und stürzte auf die Knie und weinte laut,
Mit ihres Atems Wehn, mit ihren Tränen
Zum Leben ihn zu rufen ohne Furcht bemüht.
Doch als er des nicht achtet, weil er tot,
Da warf sie sich auf den Erblaßten hin,
Die teure Brust mit ihrer Brust bedeckend,
Den Mund auf seinem Mund, die Hand in ihrer.
Seitdem nun ist ihr Klagelaut verstummt,
Doch, fürcht ich, sammelt sie nur neue Kraft
Zu tieferm Jammer. – Nun, ich will auch nimmer
Ein Lieb mir wünschen, weder jetzt, noch sonst:
Besitzen ist wohl schön, allein verlieren!

(Der Priester kommt mit dem Tempelhüter und Naukleros, dem mehrere Freunde folgen, von der rechten Seite.)

Priester.
Wo ist sie?

Janthe.      Dort!

Priester.           Zieht auf den Vorhang!

Janthe.                Herr –!

Priester.
Auf! sag ich, auf! Und haltet fern das Volk.

(Der Vorhang wird aufgezogen, die Cella erscheint, zu der viele breite Stufen emporführen. Leander liegt querüber auf einem niedern Tragbette. Hero in einiger Entfernung auf den Stufen, halbliegend auf den rechten Arm gestützt, wie neugierig nach dem Toten hinblickend.)

Priester.
Hero!

Hero.      Wer ruft?

Priester.           Ich bin's. Komm hier!

Hero.                Warum?

(Sie steht auf und tritt zu Füßen der Tragbahre, den Toten immerfort betrachtend)

Priester.
Genug ward nun geklagt ob jenem Fremden!
Was schaffst du dort?

Hero.      Ich sinne, Herr!

Priester.           Du sinnst?

Hero.
Was nur das Leben sei?
Er war so jugendlich, so schön,
So überströmend von des Daseins Fülle,
Nun liegt er kalt und tot. Ich hab's versucht,
Ich legte seine Hand an meine Brust,
Da fühlt' ich Kälte strömen bis zum Sitz des Lebens;
Im starren Auge glühte keine Sehe.
Mich schaudert. Weh!

Priester.      Mein starkes, wackres Mädchen.
So wieder du mein Kind!
(Zu Naukleros.)
     Du tritt hinzu!
Erkennst du deinen Freund?

Naukleros.      Er ist's, er war's.

Priester.
Nun komm!

Hero.      Warum?

Priester.           Sie tragen ihn nun fort.

Hero.
Schon jetzt?

Priester.      So ist's.

Hero.           Wohin?

Priester.                Nach seiner Heimat.

Hero.
Gebt einen Mantel mir.

Priester.      Wozu?

Hero.           Ihm folgen.
Ist er gleich tot, so war er doch mein Freund.
Am Strande will ich wohnen wo er ruht.

Priester.
Unmöglich! Du bleibst hier!

Hero.      Hier?

Priester.           Priestrin, hier.

Hero.
So laßt an unserm Ufer ihn begraben,
Wo er verblieb, wo er, ein Toter, lag,
Am Fuße meines Turms. Und Rosen sollen
Und weiße Lilien, vom Tau befeuchtet,
Aufsprossen wo er liegt.

Priester.      Auch das soll nicht.

Hero.
Wie? Nicht?

Priester.      Es darf nicht sein.

Hero.           Es darf nicht?

Priester (stark).                Nein.

Hero.
Nun denn, ich hab gelernt Gewaltigem mich fügen!
Die Götter wollten's nicht, da rächten sie's.
Nehmt ihn denn hin. Leb wohl, du schöner Jüngling!
Ich möchte gern noch fassen deine Rechte,
Doch wag ich's nicht, du bist so eiseskalt.
Als Zeichen nur, als Pfand beim letzten Scheiden
Nimm diesen Kranz, den Gürtel lös ich ab,
Und leg ihn dir ins Grab. Du schönes Bild,
All was ich war, was ich besaß, du hast es,
Nimm auch das Zeichen, da das Wesen dein.
Und so geschmückt, leb wohl!

(Einige nähern sich der Leiche.)

Hero.      Und dennoch, halt!
Seid ihr so rasch? – Und dennoch, dennoch, nicht!
(Zur Bahre tretend.)
Nie wieder dich zu sehn, im Leben nie!
Der du einhergingst im Gewand der Nacht
Und Licht mir strahltest in die dunkle Seele,
Aufblühen machtest all' was hold und gut;
Du fort von hier an einsam dunkeln Ort,
Und nimmer sieht mein lechzend Aug' dich wieder.
Der Tag wird kommen und die stille Nacht,
Der Lenz, der Herbst, des langen Sommers Freuden,
Du aber nie. Leander, hörst du? nie!
Nie, nimmer, nimmer, nie!

(Sich an der Bahre niederwerfend und das Haupt in die Kissen verbergend.)

Naukleros.
Hab Mitleid, Herr!

Priester.      Ich habe Mitleid,
Deshalb errett ich sie.
(Zu Hero tretend.)
     Es ist genug.

Hero (mit Beistand sich aufrichtend).
          Genug?
Meinst du? genug! – Was aber soll ich tun?
Er bleibt nicht hier, ich soll nicht mit.
Ich will mit meiner Göttin mich beraten.
Janthe, leite mich zu ihrem Thron.
So lang berührt ihn nicht.
(Zu Naukleros.)
     Versprich es mir!
Gib mir die Hand darauf. – Ha, zuckst du? Gelt!
Das tat mir der, dein Freund! – Du bist so warm.
Wie wohl, wie gut! – Zu leben ist doch süß!
Nun aber laß! – Wer wärmt mir meine Hand?
Janthe komm! – Doch erst zieh mir den Schleier
Hinweg vom Aug'!

Janthe.      Kein Schleier deckt dein Haupt.

Hero.
Ja so! – Komm denn! – Und ihr berührt ihn nicht!

Janthe (die Heron angefaßt hat, zum Priester).
O Herr, der Frost des Todes ist mit ihr!

Priester.
Ob Tod, ob Leben, weiß der Arzt allein.

Janthe (Heron leitend).
Sieh hier! – Heb nur den Fuß! – Du wankst. Nur hier!

(Hero besteigt von Janthen geführt, die Stufen. Ein Teil der Jungfrauen folgt ihr, sich in einer herablaufenden Reihe auf der rechten Seite aufstellend, die übrigen treten unten auf die linke Seite, so daß die Tragbahre von ihnen verdeckt wird.)

Priester (halblaut).
Ihr bringt indes ihn fort.

Naukleros.      Bedenk!

Priester.           Es muß!
Kehrt sie zurück, sei jede Spur verschwunden.
Dein Leben gilt's.

Naukleros.      Wohlan!

(Seine Begleiter gehen von hinten herum und fassen die Tragbahre.)

Hero (die von Janthen unterstützt, bereits die obern Stufen erstiegen, ruft in demselben Augenblicke, das Gesicht noch immer gegen die Cella gerichtet).
          Leander!
(Rasch umgewendet, Haupt und Arme in die Luft geworfen.)
Leander!

Janthe (sie umfassend zu den Trägern).
     Halt!

Priester.           Nur fort!

Janthe.                Sie gleitet, sinkt!
Setzt ab! in Doppelschlägen pocht ihr Herz!

Priester.
Des Herzens Schlag ist Leben, Doppelschlag
Verdoppelt Leben denn. Ihr tragt ihn fort!
Der ist kein Arzt, der Krankendrohung scheut.

(Man hat die Leiche zu der links gegen den Hintergrund befindlichen Pforte hinausgetragen. Der Priester folgt.)

Janthe (bei Hero auf den Stufen kniend).
Ist hier nicht Hilfe, Rettung? Sie vergeht.
(Den Trägern nachsehend.)
Schon nimmt sie auf die Wölbung. Die sein warten,
Von jenseits kommen sie. Gedränge, Fackelglanz.
Die äußre Pforte tut sich auf. Weh uns
Sie donnert zu. Der Gang hüllt sich in Dunkel.
Sie haben, halten ihn. Er kommt nicht wieder.

(Hero, die bisher halb sitzend an Janthes Knie gelehnt, gleitet jetzt herab und liegt auf den Stufen.)

Janthe.
Hero! O mir! Wer steht der Ärmsten bei?

Priester (zurückkommend).
Sie führen ihn mit sich, sie rudern fort.
Bald trennt das Meer die unheilvoll Vereinten.

Janthe (nach einer Pause aufstehend und herabkommend).
Es braucht kein Meer, der Tod hat gleiche Macht,
Zu trennen, zu vereinen. Komm und schau
So sehn die Toten aus in diesen Landen.

Priester.
Spricht das der Wahnsinn?

Janthe.      Nein, er hört's.
Vorsicht'ger Tor, sieh deiner Klugheit Werke!

Priester.
Und gält's ihr Leben! Gäb' ich doch auch meins,
Um Unrecht abzuhalten. Doch es ist nicht.

(Er eilt die Stufen hinauf, vor der Hingesunkenen kniend.)

Janthe.
Heißt nur die Männer, die den Jüngling tragen,
Drauß' harren, es bedarf noch ihres Amts.
Zwei Leichen und ein Grab. O gönnt es ihnen!
(Zum Priester, der die Stufen herabkommt.)
Nun, Mann, du gehst? So gibst du sie denn auf?
Bleib! Eine Dienerin begehrt der Freiheit,
Ich kehre heim zu meiner Eltern Herd.

(Der Priester geht, sich verhüllend, ab.)

Du gehst und schweigst? Sei Strafe dir dies Schweigen!
Ihr sorgt für sie, wie sonst ich selbst getan.
Mich duldet's länger nicht in eurem Hause.
(Sie nimmt den Kranz von Amors Bildsäule.)
Hier diesen Kranz tragt mit der Bleichen fort.
(Den Kranz nach der mit Hero beschäftigten Gruppe hinwerfend, gegen die Bildsäule sprechend.)
Versprichst du viel, und hältst du also Wort?

(Der Vorhang fällt.)

Ende.


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