Franz Grillparzer
Des Meeres und der Liebe Wellen
Franz Grillparzer

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Dritter Aufzug

Gemach im Innern von Heros Turm. Auf der rechten Seite des Hintergrundes in einer weiten Brüstung das hoch angebrachte Bogenfenster, zu dem einige breite Stufen emporführen. Daneben ein hohes Lampengestell. Gegen die linke Seite des Hintergrundes die schmale Türe des Haupteinganges. Eine zweite, durch einen Vorhang geschlossene Tür auf der rechten Seite des Mittelgrundes. Auf derselben Seite nach vorn ein Tisch, daneben ein Stuhl mit niedrer Rücklehne.

Nach dem Aufziehen des Vorhanges kommt ein Diener, hoch in der Hand eine Lampe tragend, die er auf den Kandelaber stellt und dann geht.

Unmittelbar hinter ihm der Oberpriester mit Hero. Sie hat den Mantel um die Schultern wie zu Ende des ersten Aufzuges.

Priester.
Des Dienstes heil'ge Pflichten sind vollbracht,
Der Abend sinkt; so komm denn in dein Haus,
Von heut an dein, der Priestrin stille Wohnung.

Hero (um sich blickend).
Hier also, hier!

Priester.      So ist's. Und wie der Turm,
In dessen Innern sich dein Wohnsitz wölbt,
Am Ufer steht des Meers, getrennt, allein,
Durch Gänge nur mit unserm Haus verbunden –
Auf festen Mauern senkt er sich hinab,
Bis wo die See an seinen Füßen brandet,
Indes sein Haupt die Wolken Nachbar nennt,
Weit schauend über Meer und Luft und Land –
So wirst du fürder stehn, getrennt, vereint,
Den Menschen wie den Himmlischen verbündet;
Dein selber Herr und somit auch der andern,
Ein doppel-lebend, auserkornes Wesen,
Und glücklich sein.

Hero.      Hier, also hier!

Priester.           Sie haben,
Ich seh es, die Geräte dir versammelt,
Mit denen man der Priester Wohnung schmückt.
Hier Rollen reich mit weisem Wort beschrieben,
Dort Brett und Griffel, haltend Selbst-gedachtes.
Dies Saitenspiel sogar, ein altes Erbstück
Von deines Vaters Schwester und der meinen,
Einst Priesterin wie du an diesem Ort.
An Blumen fehlt es nicht. Hier liegt der Kranz,
Den du getragen bei der heut'gen Weihe.
Du findest alles was den Sinn erhebt,
Nicht Wünsche weckt und Wünsche doch befriedigt,
Den Göttern dienend, ihnen ähnlich macht.
(Auf die Seitentüre zeigend.)
Dies andere Gemach, es birgt dein Lager.
Dasselbe das die Kommende empfing
Am ersten Tag, vor sieben langen Jahren.
Das wachsen dich gesehn und reifen, blühn,
Und weise werden, still und fromm und gut.
Dasselbe das um rotgeschlafne Wangen
Die Träume spielen sah von einem Glück,
Das nun verwirklicht – doch du träumst auch jetzt.

Hero.
Ich höre guter Ohm.

Priester.      Gesteh ich dir's?
Ich dachte dich erfreuter mir am Abend
Des sel'gen Tags, der unser Wünschen krönt.
Was wir gestrebt, gehofft, du hast, du bist es;
Und statt entzückt, find ich dich stumm und kalt.

Hero.
Du weißt, mein Ohm, wir sind nicht immer Herr
Von Stimmungen, die kommen, wandeln, gehn,
Sich selbst erzeugend und von nichts gefolgt.
Das Höchste, Schönste, wenn es nun erscheint,
Indem es anders kommt, als wir's gedacht,
Erschreckt beinah, wie alles Große schreckt.
Doch gönne mir nur eine Nacht der Ruh',
Des Sinnens, der Erholung, und, mein Ohm,
Du wirst mich finden, die du sonst gekannt.
Der Ort ist still, die Lüfte atmen kaum;
Hier ebben leichter der Gedanken Wogen,
Der Störung Kreise fliehn dem Ufer zu,
Und Sammlung wird mir werden, glaube mir.

Priester.
Sammlung? Mein Kind, sprach das der Zufall bloß?
Wie, oder fühltest du des Wortes Inhalt,
Das du gesprochen, Wonne meinem Ohr?
Du hast genannt den mächt'gen Weltenhebel
Der alles Große tausendfach erhöht,
Und selbst das Kleine näher rückt den Sternen.
Des Helden Tat, des Sängers heilig Lied,
Des Sehers Schaun, der Gottheit Spur und Walten,
Die Sammlung hat's getan und hat's erkannt,
Und die Zerstreuung nur verkennt's und spottet.
Spricht's so in dir? Dann, Kind, Glück auf!
Dann wirst du wandeln hier, ein selig Wesen.
Des Staubes Wünsche weichen scheu zurück;
Und wie der Mann, der abends blickt gen Himmel,
Im Zwielicht noch, und nichts ersieht als Grau,
Farbloses Grau, nicht Nacht und nicht erleuchtet;
Doch schauend unverwandt, blinkt dort ein Stern
Und dort ein zweiter, dritter, hundert, tausend,
Die Ahnung einer reichen, gotterhellten Nacht,
Ihm nieder in die feuchten, sel'gen Augen.
Gestalten bilden sich und Nebel schwinden,
Der Hintergrund der Wesen tut sich auf,
Und Götterstimmen, halb aus eigner Brust
Und halb aus Höhn, die noch kein Blick ermaß –

Hero.
Du weißt, mein Ohm, nicht also kühnen Flugs
Erhebt sich mir der Geist. So viel nicht hoffe!
Allein was not, und was mir auferlegt,
Gedenk ich wohl zu tun. Des sei gewiß.

Priester.
Wohlan auch das. Ist's gleich nicht gut und recht,
Beim Anfang einer Bahn das Ziel so nah,
So ärmlich nahe sich das Ziel zu setzen.
Doch sei's, für jetzt. Nur noch dies eine merk:
Bei allem was dir bringt die Flucht der Tage,
Den ersten Anlaß meid! Wer taten-kräftig
Ins rege Leben stürzt, wo Mensch den Menschen drängt,
Er mag Gefahr mit blankem Schwerte suchen,
Je härtrer Kampf, so rühmlicher der Sieg.
Doch wessen Streben auf das Innre führt,
Wo Ganzheit nur des Wirkens Fülle fördert,
Der halte fern vom Streite seinen Sinn,
Denn ohne Wunde kehrt man nicht zurück,
Die noch als Narbe mahnt in trüben Tagen.
Der Strom, der Schiffe trägt und Wiesen wässert,
Er mag durch Felsen sich und Klippen drängen,
Vermischen sich mit seiner Ufer Grund,
Er fördert, nützt, ob klar, ob trüb verbreitet:
Allein der Quell, der Mond und Sterne spiegelt,
Zu dem der Pilger naht mit durst'gem Mund,
Die Priesterin, zu sprengen am Altar;
Der wahre rein die ewig lautern Wellen,
Und nur bewegt, ist ihm auch schon getrübt.

Und so schlaf wohl! Bedarfst du irgend Rat,
Such ihn bei mir, bei deinem zweiten Vater.
Doch stießest du des Freundes Rat zurück,
Du fändest auch in mir den Mann, der willig,
Das eigne Blut aus diesen Adern gösse,
(Mit ausgestrecktem Arm.)
Wüßt' er nur einen Tropfen in der Mischung,
Der Unrecht birgt und Unerlaubtes hegt.
(Er geht nach der Mitteltüre.)

Hero (nach einer Pause).
Ich merke wohl, der Vorfall in dem Hain
Mit jenen Fremden hat mir ihn verstimmt.
Und, wahrlich, er hat recht. Gesteh ich's nur!
Wenn ich nicht Hero war, nicht Priesterin,
Den Himmlischen zu frommen Dienst geweiht,
Der Jüngere, der Braungelockte, Kleinre,
Vielleicht gefiel er mir. – Vielleicht? – Je nun!
Ich weiß nunmehr, daß, was sie Neigung nennen,
Ein Wirkliches, ein zu Vermeidendes,
Und meiden will ich's wohl. – Ihr guten Götter!
Wie vieles lehrt ein Tag, und ach, wie wenig
Gibt und vergißt ein Jahr. – Nun, er ist fern,
Im ganzen Leben seh ich kaum ihn wieder,
Und so ist's abgetan. – Wohl gut!
(Sie nimmt den Mantel ab.)
Hier liege du! Mit wie verschiednem Sinn,
Nahm morgens ich, leg ich dich abends hin.
Ein Leben hüllst du ein in deine Falten.
Bewahre was du weißt, ich leg es ab mit dir.

Doch was beginnen nun? Ich kann nicht schlafen.
(Die Lampe ergreifend und in die Höhe haltend.)
Beseh ich mir den Ort? – Wie weit! – wie leer!
Genug werd ich dich schaun manch langes Jahr,
Gern spar ich was du beutst für künft'ge Neugier.
Horch! – Es war nichts. – Allein, allein, allein!
(Sie hat die Lampe seitwärts aufs Fenster gestellt und steht dabei.)
Wie ruhig ist die Nacht! Der Hellespont
Läßt Kindern gleich die frommen Wellen spielen;
Sie flüstern kaum, so still sind sie vergnügt.
Kein Laut, kein Schimmer rings. Nur meine Lampe
Wirft bleiche Lichter durch die dunkle Luft.
Laß mich dich rücken hier an diese Stäbe!
Der späte Wanderer erquicke sich
An dem Gedanken, daß noch jemand wacht,
Und bis zu fernen Ufern jenseits hin
Sei du ein Stern und strahle durch die Nacht.

Doch würdest du bemerkt. Drum komm nur schlafen,
Du bleiche Freundin mit dem stillen Licht.
(Sie trägt die Lampe.)
Und wie ich lösche deinen sanften Strahl,
So möge löschen auch was hier noch flimmert,
Und nie mehr zünd' es neu ein neuer Abend an.
(Sie hat die Lampe auf den Tisch gesetzt.)
So spät noch wach? – Ei Mutter, bitte, bitte!
Nein, Kinder schlafen früh! – Nun denn, es sei!
(Sie nimmt das Geschmeide aus dem Haar und singt dabei mit halber Stimme.)

Und Leda streichelt
Den weichen Flaum.

Das ew'ge Lied! Wie kommt's mir nur in Sinn?
Nicht Götter steigen mehr zu wüsten Türmen,
Kein Schwan, kein Adler bringt Verlaßnen Trost.
Die Einsamkeit bleibt einsam und sie selbst.
(Sie hat sich gesetzt.)
Auch eine Leier legten sie hierher.
Ich habe nie gelernt darauf zu spielen.
Ich wollte wohl, ich hätt's! – Gedanken, bunt
Und wirr durchkreuzen meinen Sinn,
In Tönen lösten leichter sie sich auf.

Ja denn, du schöner Jüngling, still und fromm!
Ich denke dein in dieser späten Stunde,
Und mit so glatt verbreitetem Gefühl,
Daß kein Vergehn sich birgt in seine Falten.
Ich will dir wohl, erfreut doch, daß du fern;
Und reichte meine Stimme bis zu dir,
Ich riefe grüßend: Gute Nacht!

Leander (im Hintergrunde von außen am Fenster erscheinend).
      Gut Nacht!

Hero.
Ha, was ist das? – Bist, Echo, du's, die spricht?
Suchst du mich heim in meiner Einsamkeit?
Sei mir gegrüßt, o schöne Nymphe!

Leander.      Nymphe,
Sei mir gegrüßt!

Hero.      Das ist kein Widerhall!
Ein Haupt! – Zwei Arme! – Ha, ein Mann im Fenster!
Er hebt sich, kommt! Schon kniet er in der Brüstung.
Zurück! Du bist verloren, wenn ich rufe.

Leander.
Nur einen Augenblick vergönne mir!
Die Steine bröckeln unter meinen Füßen;
Erlaubst du nicht, so stürz ich wohl hinab.
Ein Weilchen nur, dann klimm ich gern zurück.
(Er läßt sich ins Gemach herein.)

Hero.
Dort steh und reg dich nicht! – Unsel'ger,
Was führte dich hierher?

Leander (im Hintergrunde nahe beim Eingange stehenbleibend).
     Ich sah dein Licht
Mit hellem Glanze strahlen durch die Nacht.
Auch hier war's Nacht und sehnte sich nach Licht.
Da klomm ich denn herauf.

Hero.      Wer dein Genosse?
Wer hielt die Leiter dir, bot Arm und Hilfe?

Leander.
Nicht Leiter führte mich, noch äußre Hilfe.
Den Fuß setzt' ich in lockrer Steine Fugen,
An Ginst und Efeu hielt sich meine Hand.
So kam ich her.

Hero.      Und wenn du, gleitend, stürztest?

Leander.
So war mir wohl.

Hero.      Und wenn man dich erblickt?

Leander.
Man hat wohl nicht.

Hero.      Des heil'gen Ortes Hüter
Die Wache gehen sie zu dieser Zeit.
Unseliger! Ward dir denn nicht geboten,
Bat ich nicht selbst? du solltest kehren heim.

Leander.
Ich war daheim, doch ließ mir's keine Ruh';
Da warf ich mich ins Meer und schwamm herüber.

Hero.
Wie? Von Abydos' weitentlegner Küste?
Zwei Ruderer ermüdeten der Fahrt.

Leander.
Du siehst, ich hab's vermocht. Und wenn ich starb,
Der ersten Welle Raub, erliegend, sank;
War's eine Spanne näher doch bei dir,
Und also süßrer Tod.

Hero.      Dein Haar ist naß
Und naß ist dein Gewand. Du zitterst auch.

Leander.
Doch zittr' ich nicht vor Frost; mich schüttert Glut.
(Im Begriff, immer im Hintergrunde bleibend, sich auf ein Knie niederzulassen.)

Hero.
Laß das, und bleib! Ruh dich ein Weilchen aus,
Denn bald, und du mußt fort. So war's mein Licht,
Die Lampe, die dir Richtung gab und Ziel?
Du mahnst mich recht, sie künftig zu verbergen.


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