Franz Grillparzer
Ein Bruderzwist in Habsburg
Franz Grillparzer

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Verwandlung

Gemach in der Burg wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die nischenartige Vertiefung rechts im Hintergrunde mit einem herabgelassenen Vorhange bedeckt.

Thurn und Schlick kommen, ein Arbeiter mit Schurzfell hinter ihnen.

Thurn. Ward jeder Ausgang nach Geheiß verschlossen?
Hier ist noch eine Tür.

Arbeiter (den Vorhang wegziehend und an einer in der Mauer befestigten Spange zurückschlagend).
        Sie ist nicht mehr.
Mit starken Bohlen hat man sie verrammelt,
Sie hält so fest nun als die feste Wand.

Thurn. Geht immer nur und seht nach außen zu.

(Arbeiter ab.)

Thurn. Vor allem liegt daran, daß unser König,
Der aus sich selbst wohl Schlimmes nie begehrt,
Nicht von Verrätern heimlich weggebracht
Zur Fahne diene feindlichem Beginn.

Schlick. Allein, mein Freund, wir ehren unsern König,
Und das geht weiter als die Absicht war.

Thurn. Die Absicht, Freund, ist ein vorsicht'ger Reiter
Auf einem Renner feurig, der die Tat,
Den spornt er an zu hastigem Vollzug.
Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel
Und meint nun wär's genug. Allein das Tier,
Von seiner edlen Art dahingerissen
Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft,
Es stürmt noch fort durch Feld und Busch und Korn,
Bis endlich das Gebiß die Glut besiegt.
Da kehrt man denn zurück.

Schlick.         Wenn's dann noch möglich.

Thurn. Wenn nicht, dann nur kein Trost von Zweck und Absicht,
All was geschehn das hast du auch gewollt.
Doch nahen Tritte; wohl der Kaiser selbst,
Laß uns noch sehen nach der äußern Pforte.

(Sie gehen durch die Türe links.)
(Der Kaiser kommt auf Rumpf gestützt, Herzog Julius geht vor ihm her.

Julius. Verzeiht o Herr, der Wachen Unverstand.
Der Mann, den man zur Obhut hingestellt,
Erkannt' Euch nicht.

(Der Kaiser nickt höhnisch mit dem Kopfe.)

Julius.         Er folgte dem Befehl,
Der jedermann den Zutritt untersagte.

(Der Kaiser erblickt den verschlossenen Eingang zum Laboratorium und zeigt mit dem Stocke darauf hin.)

Rumpf (den zurückgeschlagenen Vorhang herablassend).
Besorgnis wohl für Eure Sicherheit,
Man will den Eingang Unberufnen wehren.

Rudolf. Den Eingang? Sag den Ausgang! Mir. Dem Kaiser.
Ich bin's und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft.
Drum fort von mir du menschlich naher Schmerz,
Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde.
Und weißt du wer's getan? Nicht daß mein Bruder
Die Hand erhoben wider meine Krone;
Ich hab ihn nie geliebt und er ist eitel,
Er tat nach seinem Wesen, obgleich schlimm.
(Ans Fenster tretend.)
Doch diese Stadt. Schau wie sie üppig liegt
Geziert mit Türmen und mit edlem Bau
Verschönt durch Kunst was Gott schon reich geschmückt.
Und mein Werk ist's. Hier war mein Königssitz.
Für Prag gab ich das lebensvolle Wien,
Den Sitz der Ahnen seit des Reiches Wiege.
Die heuchlerische Stille tat mir wohl
Weil selbst ich still und heimisch gern in mir.
Gehütet wie den Apfel meines Auges
Hab ich dies Land und diese arge Stadt,
Und während alle Welt ringsum in Krieg,
Lag einer blühenden Oase gleich
Es in der Wüste von Gewalt und Mord.
Doch bist du müde deiner Herrlichkeit
Und stehst in Waffen gegen deinen Freund?
Ich aber sage dir: wie eine böse Beule
Die schlimmen Säfte all des Körpers anzieht,
Zum Herde wird der Fäulnis und des Greuls,
So wird der Zündstoff dieses Kriegs zu dir,
Der lang verschonten nehmen seinen Weg,
Nachdem du ihm gewiesen deine Straßen.
In deinem Umfang kämpft er seine Schlachten,
Nach deinen Kindern richtet er sein Schwert,
Die Häupter deiner Edlen werden fallen,
Und deine Jungfraun, losgebundnen Haars,
Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande.
Das sei dein Los und also – fluch ich dir! –
Die du die Wohltat zahlst mit bösen Taten.

Wo ist mein Stock? Die Kniee werden schwach,
Laßt niemand ein! ich höre Stimmen drauß,
Wer immer auch, ein Feind ist's und Verräter.

(Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erscheinen in der Türe.)

Rumpf. Es sind die Herrn Erzherzoge. O Wonne!

Rudolf. Ihr seid es? Bruder du? Willkommen Vetter!
Nehmt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit.
(Er hat sich gesetzt.)
Was Neues in der Welt? Zwar stets dasselbe:
Das Alte scheidet und das Neue wird.
Kommt ihr zum Taufschmaus oder zum Begräbnis?

Ferdinand. Eh' wir uns setzen, so erlaubt daß knieend
Abbitte wir für das Vergangne leisten,
Den Willen unterstellend für die Tat.

(Die Erzherzoge knien.)

Rudolf. Vom Boden auf! – Und du mein guter Bruder
Sprichst nicht?

Max.         Mir ist das Weinen näher.
Auch kniet sich's schwer mit meines Körpers Last.

Rudolf. Vom Boden auf! Soll unser edles Haus
Vor jemand knieen als vor seinem Gott?
Ist einer tot so liegt er auf dem Grund,
Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog.

(Die beiden sind aufgestanden.)

Rudolf. Sollt' ich euch strenger richten als mich selbst?
Wir haben's gut gemeint, doch kam es übel.
Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen,
Kann er's nicht selbst vollführen, er allein,
Mischt von der Leidenschaft, der bösen Selbstsucht
Der andern, die als Werkzeug ihm zur Hand,
So viel sich bei, daß, hat er nun vollbracht,
Ein Zerrbild vor ihm steht statt seiner Tat.
Ich habe viel gefehlt, ich seh es ein,
Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel,
Herabgestiegen in das tiefe Tal,
In dem das Grab liegt als die letzte Stufe.
Ich hielt die Welt für klug, sie ist es nicht.
Gemartert vom Gedanken droh'nder Zukunft,
Dacht' ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt,
Im weisen Zögern seh'nd die einz'ge Rettung.
Allein der Mensch lebt nur im Augenblick,
Was heut ist kümmert ihn, es gibt kein morgen.
So rannten sie hinein ins tolle Werk,
Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt.
Ich tadl' euch nicht, ihr wart besorgt ums Ganze,
Nicht böse Selbstsucht hat euch irrgeführt.
Nur einen tadl' ich, den ich hier nicht nenne;
Den ich verachtet einst, alsdann gehaßt.
Und nun bedaure als des Jammers Erben.
Er hat nur seiner Eitelkeit gefrönt,
Und dacht' er an die Welt, so war's als Bühne,
Als Schauplatz für sein leeres Heldenspiel.

Max (vom Stuhle aufstehend).
Gerade darum, Bruder, sind wir hier.
Es muß der böse Zwist zum Abgrund kehren,
Und Recht dir werden, der du rechtlich bist.

Rudolf. Davon kein Wort! Der König ist dahin.
Ich geb ihn auf. Allein das Königtum
Möcht' ich der Welt erhalten, der's vonnöten.
Mein Bruder herrscht in Ungarn und in Östreich,
Er will's in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt.
Wohlan es sei darum; denn keine Teilung
Verträgt was alle Teile eint zum Ganzen.
Ich selbst, wie einst mein Oheim, Karl der Fünfte,
Als er die Welt, wie sie nun mich, zurückstieß,
Im Kloster von Sankt Justus in Hispanien
Den Tod erwartete, so will auch ich.
Es währt nicht lang, ich fühl es wohl, denn Undank
Gräbt tiefer als des Totengräbers Spaten;
Und Kloster sei und Zelle mir dies Schloß.
Mathias herrsche denn. Er lerne fühlen,
Daß tadeln leicht und Besserwissen trüglich,
Da es mit bunten Möglichkeiten spielt;
Doch handeln schwer, als eine Wirklichkeit,
Die stimmen soll zum Kreis der Wirklichkeiten.
Er sieht dann ein, daß Satzungen der Menschen
Ein Maß des Törichten notwendig beigemischt,
Da sie für Menschen, die der Torheit Kinder.
Daß an der Uhr, in der die Feder drängt,
Das Kronrad wesentlich mit seiner Hemmung,
Damit nicht abrollt eines Zugs das Werk,
Und sie in ihrem Zögern weist die Stunde.
Ihr selbst wart um mein Herrscheramt bemüht,
Mehr fast als gut. Sorgt auch für ihn.
Allein bedenkt: der auf dem Throne sitzt,
Er ist die Fahne doch des Regiments,
Zerrissen oder ganz, verdient sie Ehrfurcht.

Fernand, du glaubst dich stark, und bist es auch,
Vor allem wenn du meinst für Gott zu streiten.
Sei's gleicherweis auch sonst, und stark, nicht hart!
Was dir als Höchstes gilt: die Überzeugung,
Acht sie in andern auch, sie ist von Gott,
Und er wird selbst die Irrenden belehren.
Des Menschen Innres wie die Außenwelt
Hat er geteilt in Tag und dunkle Nacht.
Das Aug' ertrüge nicht beständ'ges Licht,
Da führt er an dem Horizont herauf
Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille,
Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl
Und süße Schauer durch die Seele schreiten.
Doch immer Nacht, wär' schlimmer noch als nie,
Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht.

Ich selber war ein Mann der Dunkelheit.
Von ihren Streitigkeiten angeekelt,
Floh ich dahin allwo die frühsten Menschen
Zuerst erkannten ihres Lebens Meister.
Vom Hügel auf zu den Gestirnen blickend
Und ihre stät'ge Wiederkehr betrachtend,
Erscholl's in ihrer Brust: es ist ein Gott
Und ewig die Gesetze seines Waltens.
Seitdem hat er sich kundig offenbart
Und übertönt die Stimmen der Natur,
Doch in der Stille klingen sie noch nach,
Und als er selbst als Mensch zu Menschen kam,
Da sandt' er einen Stern, und jene Weisen,
Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel,
Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte,
Wo schon die Hirten standen und die Engel
Aus weiter Ferne: Friede, Friede sangen.
– Ist hier Musik?

Julius.         Wir hören nichts, o Herr.

Rudolf. Nun denn, so ist's der Nachklang von der Weihnacht,
Die mir herübertönt aus ferner Zeit,
An die ich glaube und im Glauben sterbe.
– Nicht Stern, nur Gott! – Wer bist denn du,
Du flammender Komet? Nur Dunst und Nebel. –
Nun Frieden auch mit dir, mit allen Frieden. –
Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! –

Max. Sein Geist beginnt zu schwärmen.

Ferdinand.         Laßt uns gehn!
Versöhnen was zu sühnen ist, und dann
Ihm schützend stehn zur Seite, Wächtern gleich.

Rumpf. Ach wir empfehlen Euch den frommen Herrn.

(Die Erzherzoge gehen.)

Rudolf. Und einig, einig seid! Das Neue drängt.
Die alternden Geschlechter sterben aus,
Das Band gelöst, bricht es die einzelnen.

Rumpf. Sie sind schon fort.

Rudolf.         Schon fort? Nun, um so besser!
Mir ist so leicht, so wohl. Gebt mir nur Luft!
Ich will ans Fenster.

Rumpf.         Herr, wir leiten Euch.

Rudolf. Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft.
(Er versucht aufzustehen.)
Doch ist's der Geist nur, meine Glieder wanken.
Rückt einen Stuhl ins Fenster, ich will Luft.
(Unterstützt ans Fenster gehend, zu Herzog Julius.)
Siehst du? So lohnt die Welt für unsre Sorge.
Sie saugt uns aus und findet uns dann welk,
Indes sie prangt mit unsern besten Kräften.
(Er sitzt.) Das Fenster auf!

Rumpf.         Allein, o Herr, bedenkt!
Ihr habt der Luft Euch sorglich stets verschlossen.

Rudolf. Nicht Kaiser bin ich mehr, ich bin ein Mensch
Und will mich laben an dem Allgemeinen.
Wie wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt
Mit ihren Straßen, Plätzen, voll von Menschen.

Julius. Und gabt Ihr erst den Fluch in Euerm Zorn.

Rudolf. Tat ich's? Nun ich bereu's. Mit jedem Atemzug
Saug ich zurück ein vorschnell rasches Wort,
Ich will allein das Weh für alle tragen.
Und also segn' ich dich, verlockte Stadt,
Was Böses du getan, es sei zum Guten.

Mein Geist verirrt sich in die Jugendzeit.
Als ich aus Spanien kam, wo ich erzogen,
Und man nun meldete, daß Deutschlands Küste
Sich nebelgleich am Horizonte zeige,
Da lief ich aufs Verdeck und offner Arme
Rief ich: mein Vaterland! Mein teures Vaterland!
– So dünkt mich nun ein Land in dem ein Vater –
Am Rand der Ewigkeit emporzutauchen.
– Ist es denn dunkel hier? – Dort seh ich Licht
Und flügelgleich umgibt es meinen Leib.
– Aus Spanien komm ich, aus gar harter Zucht,
Und eile dir entgegen, – nicht mehr deutsches,
Nein himmlisch Vaterland. – Willst du? – Ich will!
(Er sinkt zurück.)

Rumpf. Ruft Ärzte! Er hat öfter solchen Anfall.
Der Herzschlag geht. Nach Ärzten, Hilfe, schnell!
Und bringt ihn auf sein Bett in jene Kammer!
Ich mag nicht denken, daß es Schlimmres wäre.

Julius (sich entfernend).
Das Schlimmste kennt kein Schlimmres, er erlitt's.
Der Kaiser starb, ob auch der Mensch genese.

Rumpf. Er lebt, ich fühl's. Faßt ihn nur sorglich an!

Julius (auf ihn zueilend).
Mein edler, frommer, mildgesinnter Herr!

(Der Vorhang fällt.)


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