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Zu Wälschnoven im Eggenthal war Kirchtag. Die Böller krachten von den Höhen und dann wieder ganz nahe auf der Gemeindewiese, daß es einen prächtigen Wiederhall gab. Das Echo rollte durch das Thal. Bald war es hier, bald dort, und immer wieder bekam es neue Arbeit.
Ein prächtiger Herbsttag lag über der Gegend. Am Himmel zeigten sich nur vereinzelte lichte und zerrissene Wolkenstreifen, die auf nahenden Wind zu deuten schienen. Die Sonne vergoldete die Hausfirste des stattlichen Dorfes und blitzte in den kleinen Fensterscheiben, daß es eine helle Freude war. Über den Hausthüren wölbten sich Bogen aus frischem Tannenreisig. Bunte Fähnlein, gelbe, rote und weiße Klatschrosen aus Seidenpapier waren in das waldduftige Grün gesteckt.
Jetzt läuteten alle Glocken von der Kirche. Noch weit vor dem Gotteshaus standen die Andächtigen auf dem Friedhofe. Alle beugten das Knie. Der greise Kurat gab mit dem Allerheiligsten vom Hochaltar aus seiner Gemeinde den Segen. Die letzten Töne der Orgel verklangen. Alles strömte, sich zuerst mit dem Weihbrunn bekreuzigend, aus der Kirche auf den freien Platz hinaus in den hellen Sonnenschein.
Bald darauf war auch die große Gaststube beim Ochsenwirt bis zum Erdrücken gefüllt. Die Bauern, Knechte und Burschen saßen dichtgedrängt auf den hölzernen Bänken. Eine Maß »Rötel« nach der andern »spazierte« auf. Kirchtag ist ja nur einmal im Jahr. Und da muß man schon etwas draufgehen lassen.
Der Ochsenwirt, der alte Steingruber, wie sein Hausname war, ging durch die Reihen der Gäste, hier und dort ein Wort fallen lassend; diesen neckend, jenen gemütlich auf die Schulter klopfend. »Es ist nit guat mit ihm anz'bandeln. Der hat im Ellbogen mehr Verstand, als's ganze Dorf mitsamm' – den Herrn Kuraten natürlich ausg'nommen! – Der weiß dir's fein z'geben. Und's letzte Wort hat er alleweil!« sagten die Leute.
Der Steingruber war als ein armes Knechterl nach Wälschnoven gekommen und hatte es durch eigene Thatkraft bis zum reichen Ochsenwirt gebracht. Die stolzen Weinherren in Bozen zogen vor ihm ganz tief den Hut; denn er war einer ihrer besten Kunden weit und breit.
Der Steingruber Kaßl hatte auch reich geheiratet. Freilich lag nun sein Weib, die Babi, schon einige Jahre unter dem kühlen Rasen, auf eine fröhliche Auferstehung harrend.
»Vater, der Zieler Wasterl sauft heut wieder ganz unvernünftig. Soll i ihm nit 'n Wein a bißl wassern? 's is do schad' um den guaten Tropfen für dö ausg'waschne Gurgel!«
Es war der jüngere Sohn des Ochsenwirtes, der Klaus, der auf den Steingruber zugetreten war. Der Bursche hatte etwas Schleichendes in seinem Wesen. Sein Gesicht trug unverkennbar die Züge geheimer Habgier. Es waren immer seine schlimmsten Tage, wenn es beim Ochsenwirt hoch herging und der Vater »a noble Spendasch« gab. »Schad' ums teure Geld« – brummte dann immer der Klaus – 's kommt grad 'n Kindern weg!«
Der Ochsenwirt hatte sich fast unwillig nach seinem Sohn umgedreht und polterte: »Was, Wein wassern! Schamst di nit, bist alleweil der gleiche Geizkrag'n! Am Kirchtag wird bei mir dahoam nix g'wassert. Dös hat scho der Kurat in der Kirch'n mit'n Weihbrunnwedel b'sorgt. I, der Ochsenwirt, gib aber mein Segen mit'n Besten aus'm Keller. Da laß i mir nix nachsagen!«
Der Klaus wandte sich unwillig zu einem Tisch, während der Ochsenwirt einer schmucken Dirne, welche die Gäste mit bedienen half, einen Auftrag gab: »Du Stasi, vom Schweinernen gibst nachher dem Wasterl a paar gute Rippen. Er hat's verdient mit sein'm Böllern. Z'sammgangen is's ihm ak'rat so schnurgrad wie die Betengrallen am Rosenkranz!«
Der Wasterl, die »ausg'waschne Gurgel«, saß auf einem Stuhl ohne Lehne in der Nähe der Thür und lachte verschmitzt in sich hinein. Er hatte offenbar von dem Diskurs über ihn einiges verstanden. Da jetzt der Klaus unter seinen buschigen Augenbrauen einen bitterbösen Blick auf ihn herüberschoß, legte er die beiden Zeigefinger kreuzweis übereinander und fuhr mit dem einen schnell mehreremale auf dem andern hin und her, was in der Zeichensprache ungefähr soviel bedeutet, als: »Abg'schlüpft!« Dann leerte der Wasterl »grad mit Fleiß« ein volles vor ihm stehendes Weinglas und strich sich den etwas struppigen Schnurrbart zurecht.
Der Wasterl mochte ein Bursch in der Mitte der dreißiger Jahre sein. Ein dicker Kopf mit fast gekraustem schwarzem Haar saß auf einem kurzen, gedrungenen Körper. Zwei listige Augen blitzten aus einem über und über mit »Blattersteppen« bedeckten Gesicht. Der Wasterl betrieb eigentlich gar keine bestimmte Profession. Er war der Spaßmacher im Dorf. In keinem Dienst hielt er es allzulange aus. Bei Schützenfesten machte er den Zieler, bei Kirchweihen, Prozessionen, Kaisers Geburtstag und ähnlichen Anlässen verstand es niemand besser als er, die Böller zu laden und loszulassen. Daneben spielte er auch die Rolle eines Vertrauten von jungen Liebespaaren, ohne daß man jemals imstande gewesen wäre, ihm selbst eine Liebschaft oder »Gspusi« mit einem Dirndl nachzuweisen. Er war zu allem zu brauchen und doch wieder zu gar nichts.
Wäre seine Schwester, die Zenzi, nicht gewesen, die für die reichen Bauernweiber nähte und den gemeinschaftlichen Haushalt in Ordnung hielt, dem Wasterl wäre es gar manchmal übel genug ergangen. Vor der Zenzi hatte er denn auch einen Heidenrespekt – und wehe demjenigen Burschen, welcher dem bildsaubern Mädchen irgendwie unehrerbietig zu nahe getreten wäre. Der Wasterl hätte ihn in der Luft »zu lauter Stückeln z'rissen!« – wie er sich auszudrücken pflegte. Er war ordentlich eifersüchtig auf seine Schwester.
»Weiß Gott, woher die Zenzi den guaten Kern hat?« – meinten die Heute. »Der Wasterl, der schlagt nit aus der Art. Is wia sei Vater, der alte Köhlhofer. Dem hat halt a nix g'langt. Sonst wären's nit as die Gant kommen, und die beiden Kinder hätten iatz a Herrenleben.« Die alten Köhlhofer waren früh gestorben. Fremde Leute hatten den Wasterl, der damals schon in einen Dienst treten konnte, und seine Schwester, die kaum aus den Windeln war, ausgezogen.
Neben der Thür befand sich in der Gaststube ein kleines Klapptischchen, das man nach Bedarf von der Wand herunterlassen und aufstellen konnte. Jetzt saß der Wasterl und zwei Knechte des Ochsenwirtes um dasselbe. Einer Schüssel mit »Kirchtagnudeln« wurde von den dreien eifrig zugesprochen. Der Wasterl suchte sich öfter durch einen Schluck Wein mehr Schneid zu machen.
»Geh, Ander, thu's Fenster zu. Es zieht mir z'viel!« meinte der Jüngere von den beiden Knechten, Hiesl, zu jenem gewendet, der schon hoch in den Siebzigern schien.
»Schau grad, daß di d' Luft nit vertragt!« brummte der Ander, ein Stück Hauserbteil. Er hatte noch unter dem früheren Besitzer des Ochsenwirtshauses gedient.
»Na, mi nit!« erwiderte Hiesl lachend – »aber die Nudeln. Dö sein ja heut so trocken, daß ei'm völlig der Staub aus'm Mund fliagt, so oft i an Löffel voll aufnimm.«
»Könnten schon a bißl mehr g'schmalzen sein!« brummte Wasterl, mit vollen Backen kauend. »Und der Wein scheint mir auch a bißl getauft –« fuhr er, den Bissen krampfhaft hinunterwürgend, mit einem lustigen Seitenblick auf den an einem Tische nebenan sitzenden Klaus fort.
»Bist schon du g'tauft!« rief dieser zornig hinüber. »Thät' vielleicht was schaden, wenn man di ins Wasser leget. Vielleicht ziehet's dir deine Dummheiten außer!«
»Und di müßt' man schon in a Essigbeiz legen, daß 's dir no was G'scheutes außer ziehet!« erwiderte der Wasterl und rückte seinen runden kleinen Filzhut mit der schneeweißen Hahnenfeder vom linken Ohr auf das rechte.
»Gebt's Fried iatz!« beschwichtigte der Ander.
Der Wein erhitzte die Köpfe immer mehr. Die Lust zum Singen wurde rege. Manch heiteres Schnadahüpfel flog von einem Tisch zum andern, neckend und herausfordernd, wurde aufgefangen und in gleich gelungener Weise erwidert.
So verging der Vormittag. Die meisten Bauern kehrten in ihre Häuser zurück. Nur mehrere treue Stammgäste des Ochsenwirtes, fast durchwegs ledige Leute, saßen mit ihm, seinen Knechten, Stasi, Klaus und Wasterl um den größten Tisch der Gaststube, auf dem in den Schüsseln delikates »Schweinernes« mit »eingelegten« Erdäpfeln dampfte.
Nachmittag war Best-Kegelscheiben im Garten des Ochsenwirtes.
Bei Einbruch der Dunkelheit verabschiedete sich der Wasterl vom Kegelplatz. Er hatte ein seidenes Halstuch mit je einem Silberzwanziger an den vier Zipfeln desselben sich »herauskegelt«.
»Iatz muß i enk schon allein lass'n,« meinte er zu den übrigen. »I hab' heut dem Kirchberger Seppl versprochen, mit meiner Klampf'n Guitarre. bei an Standerl mitz'thun, dös er sei'm Schatz bringt. Wir zwei singen am besten z'samm im ganzen Dorf. Gegen a Zehne geht's los. Daß mir keiner dem Haus z'nahe kommt! Der Seppl is a Schneidiger und – eifersüchtig.« Wasterl schnalzte mit der Zunge und trollte sich davon.
Vor dem Standerl stieg er aber noch zu einem einschichtigen Holzhäusl am Waldrand empor. Die Dunkelheit herrschte bereits vollkommen. Am klaren Himmel glänzten die Sterne. Der Vollmond guckte hinter den zackigen Felsen, welche das Eggenthal abschließen, hervor.
Der Wasterl trug einen kleinen Vogelkäfig mit einem abgerichteten Krummschnabel in der Hand. Den wollte er heute noch einem alten kranken Mütterchen, das in dem Häuschen am Walde wohnte, bringen, damit es auch etwas vom Kirchtag habe. Er hatte es schon lange versprochen.
Während er so den steilen Pfad emporstieg, sang er hell in die Nacht hinaus, um sich für das Standerl zu üben – –
Neb'nen Bachal steaht a Hüttal,
Neb'nen Hüttal steaht a Bam;
Und so oft i da vorbeigeah,
Find i oftmals nimma hoam.
Denn im Hüttal haust a Dianal,
Grad so frisch als wie a Reh;
Und so oft i's Dianal anschaug',
Thuat mir's Herzal gar so weh!
Dös Dianal hat zwoa Äugal,
Wie im Himmel drob'n die Stearn';
Und so oft i in dö einiguck',
Möcht' i narrisch völlig wear'n!
Ja, dös Dianal is mei Leben!
Ob i wach bin oder tram':
I denk' alleweil übers Bachal
In die Hütten beim Bam!
Ein langgezogener Jodler, dem ein heller Juhschrei folgte, daß der Vogel, in seinem Käfig erschreckt, flatterte, schloß das Lied.
Um dieselbe Zeit wanderte den wilden Weg von Kardaun in das Eggenthal ein junger kräftiger Mann in der Tracht eines Laienbruders der Kapuziner. Das Haupt trug er bloß. Ein dunkler, etwas verwilderter Bart umrahmte die frischen Gesichtszüge. Der Wanderer setzte seinen Weg rüstig fort, mit einem derben Stock regelmäßig aufklappend.
Die Felsen türmten sich zu beiden Seiten und bildeten oft ganz enge Kessel, so daß es unmöglich schien, noch einen Ausweg zu finden. Immer führte der Pfad aber wieder um einen Vorsprung, schlängelte sich weiter und weiter, bald aufwärts, bald abwärts. Hie und da hatte sich ein Steinkoloß, der aus den Höhen schon vor langer Zeit gestürzt war, breitspurig über den Weg gelegt, der nun um ihn herumführte. Die Menschen müssen solchen Giganten der Berge eben nachgeben und trachten, wie mit ihnen gütlich auszukommen ist.
In der Tiefe rauschte der Eggenbach, den einige starke Regentage angeschwellt hatten. Hier bildete das Wasser tiefe Trichter im Felsen. Schaum und kleine Wellen gurgelten und wirbelten im Kreise herum, als ob sie verzweifelt einen Ausweg suchten. Dann wurde der tosende Bach wieder durch enge Felsspalten eingeengt, durch die er brausend schoß. Hie und da führte das Wasser wohl auch einen Baumstamm mit, der schon ganz zerfasert und zerschunden war – ein Zeugnis, wie oft er auf seinem Wege mit spitzen Felskanten, an die ihn das Wasser warf und wieder wegschwemmte, in Berührung kam.
Das Terrain wurde endlich einladender. Der Pfad führte über die Höhen hinab in die breitere hintere Hälfte des Eggenthales. Wald und Wiesen wechselten miteinander. Der Bach floß im sanftern Laufe dahin. Die angrenzenden Ufer waren allerdings mit Geröll überschüttet, das der wilde Geselle von den Bergen zu bringen pflegte.
Vor den Augen des Wanderers erhob sich jetzt zur linken Seite des Weges ein vollständig bewaldeter spitzer Bergkopf. Weit über den Wald ragte aber am Gipfel des Kopfes ein hoher schmaler Kirchturm fast in das Firmament hinein. Der Vollmond, die sternhelle Nacht, der einsame Turm, sonst ringsum keine Spur einer menschlichen Ansiedlung – das alles gab ein seltsames Bild der Einsamkeit, des weltabgeschiedenen Waldfriedens.
Die Kirche in der Höhe gehörte zu dem Ort Gummer, einer wahren Waldeinöde. Denn da droben auf dem kleinen Plateau des Bergkogels fanden sich neben der Kirche nur etwa drei bis vier Häuser, darunter der Widdum und ein kleines Schulhäuschen. Die übrigen seiner geistlichen Pflege empfohlenen Seelen mußte der Lokalkaplan von Gummer rings auf den Höhen, mitten im Wald, oft in stundenweiter Entfernung suchen.
An der Kirche von Gummer hängt aber ein alter Rechtsgebrauch. Wo sie mit ihrem zum Himmel strebenden Turmspitz dem Wanderer im Thale das erste Mal zu Gesicht kommt, da ist die Grenzmark zwischen dem hintern und vordern Eggenthal.
Der Wanderer beschleunigte seine Schritte. In einer Stunde mußte er in seiner Heimat Wälschnoven sein. Jetzt ging es durch den kleinen Weiler Birchabruck. Ein paar Häuser und Hütten. An keinem Fenster war mehr ein Licht zu sehen. Die Leute waren entweder zur Ruhe gegangen oder befanden sich noch zur Kirchweih in Wälschnoven.
Am Weg, der durch die Wiesen weiter führte, stand eine kleine baufällige Kapelle, die dem heiligen Valentin geweiht war. Von den Mauern waren vielfach die Steine losgebröckelt; ein Bewurf ließ sich fast nicht mehr erkennen. Das mit grünen Flechten überwachsene Schindeldach war recht schadhaft. Hie und da fand sich ein Stück Brett über eine Lücke genagelt und noch dazu mit einem Steine beschwert. Die Thüre hing nur mehr an der unteren Angel, die obere war aus der Mauer gebrochen.
Ein roter Schein fiel aus der Kapelle, in die der Laienbruder jetzt trat. Er ließ sich müde auf einen der beiden rohgeschnitzten Betstühle nieder, stützte die Arme auf die Knie und den Kopf in beide Hände.
An den Wänden hingen in schlechten Farbendrucken die Stationen des Kreuzweges. Auf dem Altartuch lag dicker Staub. Den kleinen Altar selbst schmückte eine derb in Holz geschnitzte Statue des Heiligen, mit grellen Farben bemalt. An vielen Stellen guckten aber bereits die Spuren früherer Bemalung oder gar das graue rissige Holz hervor.
Eine Ampel aus rotem Glase baumelte an einer gedrehten, schon mehrfach verknüpften Wollschnur von der Decke hernieder. Der Wind knarrte mit der einzigen Angel der Thüre und machte das Licht in der Ampel flackern, so daß es öfters zu erlöschen drohte.
In der Bank kniete jetzt der kräftige Bursche. Seine Lippen bewegten sich. Er schien zu beten. Ein tiefes Atmen hob seine Brust und wie selbstvergessen sprach er vor sich hin … »Da bin i iatz wieder – dahoam. Gelt, i hab's nit lang ausg'halten, Heiliger. Hast mir's aber nit für übel? – Schau, es hat mi wieder zogen daher … i hab's nit anders machen können. Und iatz soll's werden, wie's will: i frag' nimmer danach. Aber gelt, Heiliger! – a gut's Fürwörterl legst mir do ein bei unserm Herrgott, daß vielleicht do no a glücklich's End' hergeht für mi und –« Er faltete die Hände über dem Kopf und ließ sie langsam wieder auf den Betstuhl niedersinken. Dann erhob er sich wie von einem raschen Entschluß getrieben, trat einen Schritt näher zum Altar und meinte gutherzig, zu dem Heiligenbild gewendet: »An neuen Anstrich könntest a amal brauchen. I glaub', wenn d' in dem G'wand amal zur himmlischen Visit müßtest, der Peterl thät' di gar nit einilass'n. Da will i schon dafür sorgen. Glanz'n sollst mir mit alle Farben vom Regenbogen. An neuen roten Rock will i dir malen und blaue Ärmel dran mit a silbernen Einfassung. Und goldene Knöpf' sollst krieg'n und a goldene Bischofsmützen. Aber gelt, bist nachher a bißl erkenntlich gegen mi, du kannst dös ganz leicht machen, wennst d' es nur dem Himmelvater recht eindringlich vorstellst. Du findest schon die rechte Weis' dafür. A so a großer Heiliger wie du hat da viel mehr Praxis als wir dummen Leut'. Vergißt mi halt nit – i bitt di gar recht schön!«
Der Laienbruder erhob sich und trat ins Freie. Es wurde ihm fast leicht ums Herz. Als er so durch die Nacht wanderte, gedachte er der lustigen Liedlein, die er als Bauernbursche im Heimgarten oft und oft gesungen hatte. Leise pfiff er vor sich hin. Der Text, der dem neckischen G'stanzl zu Grunde lag, wollte freilich nicht recht mit dem frommen Gewande des Pfeifers harmonieren …
Bin a lebfrischer Bua,
Laß'm Teufl koa Ruah,
Und d' Engaln im Himm'l,
Dö lachen dazua!
Als der Wanderer nach Wälschnoven kam, ging es im Ochsenwirtshaus noch recht lebendig her. Die lustigen Paare der Burschen und Diandlen stampften den Fußboden im Takte des Schuhplattlers. Die Musikanten mußten aufgeigen, daß ihnen schier die Arme und das Handgelenke zu erlahmen drohten; und die beiden Trompeter bliesen auf ihren Instrumenten, daß sie wohl noch bis Allerheiligen vom Durst gequält wurden. Dazu biß noch mancher Bursche eine kleine Mundharmonika zwischen die Zähne, wacker den Tanz fortsetzend und soviel es der Atem zuließ, den Takt in das Musikinstrument blasend.
Der Laienbruder ließ die helle Lustbarkeit abseits liegen, schlich durch ein Hinterpförtlein in das Haus, beinahe wie ein Dieb, der die Leute zu scheuen hat. Einen Augenblick blieb er im Hausgange stehen, fast wie überlegend, ob er nicht doch zu den übrigen gehen solle. Dann raffte er mit einem raschen Entschluß seine Kutte zusammen und stieg langsam und behutsam die Treppe zum ersten Stockwerke empor, dort wieder über einen Flur, dann noch über eine Treppe und endlich über die Estrichstiege. Das volle Licht des Mondes fiel durch die Dachluken in den weiten Raum, wo alles mögliche Gerümpel, das im Haus selbst nicht mehr benötigt wurde, Platz gefunden hatte. Dort stand ein Garnhaspel, hier ein alter Kasten, in jener Ecke die verstümmelte Holzstatue eines Kirchenheiligen, der einmal bei Prozessionen geprunkt hatte.
Der Mann in der Kutte atmete schwer auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als ob er seine Gedanken sammeln wollte. Dann öffnete er eine aus ungehobelten Brettern roh zusammengezimmerte Thüre und trat in eine kleine niedrige Dachkammer. Die eine Langseite nahm ein gemauerter Ofen und ein breites Bett ein. An der andern stand eine lange Bank und ein schmaler Ecktisch. Das war die ganze Einrichtung.
Der Laienbruder schloß die Thüre, ja schob fast ängstlich den hölzernen Riegel vor, als fürchtete er, gestört oder hier oben entdeckt zu werden. Dann setzte er sich schwerfällig auf die Bank an der Wand nieder und stützte sich mit dem Ellbogen auf den Tisch. Seinen Wanderstab hatte er quer über das Bett gelegt.
So saß er wieder in seiner eigenen Kammer, die er vor einem Jahre verlassen hatte, mit dem Vorsatz nie wieder zurückzukehren. Er, der älteste Sohn und berechtigte Erbe des Hauses, war zurückgekehrt bei Nacht, heimlich wie ein Einbrecher.
Der Lex vom Ochsenwirt war einer der muntersten Burschen im Dorf gewesen. Bei keiner Festlichkeit fehlte er, überall hatte er glückliche Gedanken, alles recht »damisch« herauszuputzen. Kurz, der Lex mußte dabei sein, wo nur »a blau's Rach'l aufging«. Die Diandlen waren alle in ihn verliebt, ohne daß sich eine rühmen konnte, besonders von ihm begünstigt zu werden. »Er is der reinste Eiszapfen, der Lex!« meinte dann wohl manche Dorfschöne erbittert, wenn sie sich den ganzen Abend hindurch Mühe gegeben hatte, dem schmucken Burschen durch alle möglichen Aufmerksamkeiten zu beweisen, daß er ihr nicht so ganz gleichgültig sei. Der Lex war aber ein rarer Vogel und ließ sich nicht so leicht fangen. »Kommt Zeit, kommt Rat,« dachte er, »und kommt einmal die Rechte, dann ist's immer noch früh genug.«
Diese Rechte kam denn auch. Vor nun bald zwei Jahren seit Beginn unserer Geschichte war die Stasi als Kellnerin zum Ochsenwirt gekommen. An den Werktagen oder im Sommer, wo es mit Wirtschaften auf dem Lande, die gerade nicht auf Durchzug von Touristen oder auf ständige Sommerfrischler zu rechnen haben, ziemlich flau geht, half die Stasi fleißig auf dem Felde mit arbeiten. Sie war ein recht »anstelliges« Diandl und ließ sich zu aller Arbeit gebrauchen. Dabei hatte sie ein eigenes Geschick, mit den Herrenleuten, die etwa im Sommer auf ihren Gebirgstouren beim Ochsenwirt einkehrten und einen Imbiß nahmen, zu verkehren, daß sich der alte Steingruber oft selbst nicht genug darüber wundern konnte. »In dem Diandl muß völlig a verwunschene Prinzeß stecken!« meinte er dann immer kopfschüttelnd, »soviel nobel versteht sie's; grad als wann's ihrer Lebtag in der Stadt g'wesen wär'!«
Zwischen der Stasi und dem Lex keimte von Tag zu Tag eine innigere Zuneigung, bis die beiden endlich wußten, sie könnten ohne einander nicht mehr leben. Der Lex, der ein offener Bursche war und immer den geraden Weg allen Schlichen vorzog, das Mädel ehrlich liebte und aus der Sache Ernst machen wollte, stand denn auch nicht lange an, seinem Vater alles zu eröffnen.
Da kam er aber übel daran. Der Steingruber wollte von einer Heirat mit der Stasi absolut nichts wissen. Das ginge ihm noch ab, daß eine Betteldirn auf seinen Hof komme, den er blutig sauer erworben habe und dessen Ansehen er nicht schaden lasse. An jedem Bröcklein Stein, an jedem Teilchen »Malter« Mörtel. hänge ein Stück Arbeit seiner Hände, ein Tropfen Schweiß, und jetzt wolle sein ältester Bube, der sein Stolz wäre und dem er einst alles überlassen würde, wenn ihn die alten Tage drückten, eine Dienstmagd heiraten! Das gebe es nicht! Eher –!
Nichts half es, daß der Lex seinem Vater vorstellte, die Stasi sei doch ein braves Diandl, die zum Hauswesen schauen und auf alles acht haben werde, die ihm, dem alten Steingruber selbst, eine folgsame Tochter sein wolle und ihn pflegen wolle wie ihren eigenen Augapfel. Der Bauernstolz, der Stolz auf das selbst erworbene Besitztum war beim Ochsenwirt zu groß, als daß er vernünftigen Gründen sein Herz offen gehalten hätte. Die Stasi war eine arme Waise, die auf Gemeindeunkosten erzogen werden mußte und der Überzeugung des Steingruber nach ihr Leben lang dazu bestimmt war, in untergeordneten dienstlichen Verhältnissen zu bleiben und dadurch für die Wohlthaten, zu denen ja er als Steuerträger auch mitgeholfen hätte, Dank abzutragen. Daß dieser Dank nun darin bestehen sollte, das Diandl als junge Ochsenwirtin auf den Hof zu setzen, wollte dem Alten nicht einleuchten.
Der Lex schwieg nach der ersten erregten Scene mit seinem Vater eine Weile still und trug sein Anliegen, ohne weiteres merken zu lassen, allein mit sich herum. Er dachte, der Widerstand des Alten wäre doch mit der Zeit zu brechen, wenn es sich der Vater nur erst in Ruhe überlegt haben würde. Darin sollte er sich jedoch arg täuschen. Als er nach geraumer Zeit wieder einmal anzuklopfen wagte, fand er den Steingruber noch starrköpfiger als zuvor. Es kam zu einem heißen Auftritte zwischen Vater und Sohn. Das Ende war, daß der Lex erklärte, ohne die Stasi als Weib wolle er überhaupt nicht mehr daheim bleiben, wolle er überhaupt von der Welt nichts mehr wissen!
Dann solle er gehen, polterte der Alte. Eines schönen Tages war der Lex auf und davon. Der alte Steingruber machte sich anfangs nicht viel daraus, da sein ältester Sohn ja oft tagelang auf einem Viehhandel abwesend war. Endlich wurde er aber doch unruhig und schickte einen Boten nach Bozen zu dem Wirt, wo der Lex gewöhnlich »stellte«, einkehrte. wenn er auf den Markt ging. Am selben Tage brachte man ihm jedoch einen Brief vom Lex, der in das Bozner Kapuzinerkloster als Laienbruder getreten war. Er fühle sich recht wohl in den Mauern des Klosters, schrieb der Lex, und er hoffe darin auch seinen Frieden zu finden. Der Vater möge ihm nicht zürnen.
Der alte Steingruber ging mit dem Schreiben zum Kuraten, der gegen den Schritt des Lex nichts einzuwenden hatte. Das sei eine Fügung Gottes, meinte der Priester, der man sich beugen müsse. Solche Entschlüsse kämen von oben wie eine höhere Erleuchtung. Der Steingruber habe nun einen frommen Ordensmann in der Familie, der für Aller Seelenheil beten könne. Und das wolle viel bedeuten und sei keineswegs zu unterschätzen.
Zufrieden war der Ochsenwirt mit diesem Bescheide nun allerdings nicht so recht. Er hätte das von dem Lex doch nicht erwartet. Fast kränkte es seinen Stolz, da er nun in seinem ältesten Buben einen demütigen Laienbruder der Kapuziner sah, der mit dem Brotsack bei den Bauern betteln gehen mußte, betteln gehen oft bei solchen, die vor ihm, seinem Vater, den Hut tief abzogen.
Gegen den Entschluß des Lex aufzutreten, wagte aber der alte Steingruber nicht. Alles, was mit der Kirche zusammenhängt, hat für den Bauern, sei er nun reich oder arm, eine eigene Weihe. Diese verletzen zu wollen, hieße sich selbst den Verlust der Seligkeit bereiten. Der Ochsenwirt hatte vor seinem ältesten Buben im Kapuzinerkloster zu Bozen heimlich einen gewissen Respekt, obwohl er sich das nicht gerne selbst eingestehen wollte.
Im nächsten Briefe schrieb der Lex, der Herr Vater möge ihn einmal in Bozen besuchen. Der »Herr Vater« ließ sich aber noch öfter bitten, ehe er sich dazu entschließen konnte, der Einladung Folge zu leisten.
Es war ein kalter Januartag, als der Ochsenwirt an der Pforte des Kapuzinerklosters in Bozen läutete. Der Bruder Pförtner öffnete und führte ihn durch weite hallende Gänge, in denen es dem Ochsenwirt ganz unheimlich einsam vorkam, in die Zelle des Frater Alexius. Eigentümliche Gefühle mochten in Vater und Sohn erwachen, da sie sich in der kahlen, weißgetünchten Kammer mit der hölzernen Pritsche, dem großen Kruzifix und dem Betschemel in der Ecke gegenüberstanden.
Die Fensterscheiben waren gefroren. Auch in dem Raum war es nicht viel wärmer als auf den Gängen. Man sah den Hauch in dicken Wolken vor dem Munde.
Das erste, was der Steingruber seinen Sohn fragte, war, ob ihn denn nicht friere und ob man im Kloster nicht alle Tage heize. Im Refektorium sei es immer hübsch warm, meinte der Lex. Ob er den Vater hinunterführen solle, dort könne er mehrere seiner Mitbrüder sehen. Der Ochsenwirt trug aber kein Begehren danach und verblieb lieber in der kalten Zelle.
Es ging recht schweigsam her zwischen den beiden. Der Stasi, des eigentlichen Grundes, warum der Lex im Kloster saß, wurde keine Erwähnung gethan. Auch sonst sprach man nicht viel über die Dinge draußen. Dem alten Steingruber war es, als ob die Kälte sich bis in sein Herz erstrecken und es schmerzhaft zusammenkrampfen würde. Er spielte eine eigentümliche Rolle. In dem Sohn, den er barsch abgewiesen hatte, der seiner Ansicht nach allen seinen Überzeugungen ins Gesicht schlug, mußte er dennoch einen gottwohlgefälligen Menschen erblicken, der dereinst vielleicht in seiner selbstgewählten Armut mehr Anspruch auf die ewige Seligkeit besitze, als der reiche Ochsenwirt. Er kam sich dem Lex in dem frommen Gewand gegenüber fast arm und nichtig vor. Ein eigenes Gefühl der Beschämung kam über ihn, das er aber wohl zu verbergen trachtete. Er selbst wich im Gespräche sorgfältig allem aus, was etwa an das Vorgefallene erinnern könnte, und war auch froh, daß der Lex gleichfalls nichts davon erwähnte. Das heilige Gewand versetzte den Alten in eine Art unwillkürlicher Scheu, er kam sich ganz anders vor, fast als ob er nicht mehr der Vater des Lex wäre, oder es sich wenigstens nicht eingestehen wollte, daß er es sei; denn als Vater hätte er ihm eigentlich ordentlich seine Meinung sagen wollen, wie damals, als es sich um die Stasi handelte. Hier blieb er stumm wie ein Fisch. Es würgte ihn etwas in der Kehle, daß er das rechte Wort unmöglich heraufgebracht hätte.
Sein Sohn kam dem Alten auch so eigentümlich fremd vor mit dem kahlgeschorenen Kopf, dem verwilderten Bart. Wie hatte doch früher der Lex seinen »Schnauzer« Schnurrbart. aufgewichst, daß man sich hätte stechen können an den Spitzen! Auch sonst sah er als Laienbruder nicht mehr so fröhlich und hell aus den Augen, wie früher, da er der Veranstalter aller Lustbarkeit im Dorfe, der unermüdliche Spaßvogel war.
Der alte Steingruber verabschiedete sich bald. An einem der nächsten Tage hielt vor dem Kloster der Knecht vom Ochsenwirt mit einer großen Fuhre Holz. Der Lex sollte es wenigstens im [Refektorium] warm genug haben, dachte sich der Spender.
Seitdem hatte sich der Ochsenwirt nur noch zweimal im Kloster blicken lassen. Das erste Mal gegen Ostern, das zweite Mal kurz nach Pfingsten. Beide Male brachte er für die frommen Patres ein umfangreiches Stückfaß Wein mit. Den Lex besuchte er nicht mehr in der Zelle, sondern ging ins Refektorium, wo er ihn unter den übrigen traf. Es war ihm auf diese Weise leichter zu Mute. Er scheute das Alleinsein mit seinem Sohn. Der hochwürdige Guardian konnte den frommen Eifer und die Demut des neuen Laienbruders, als er den alten Steingruber zur Ausgangspforte begleitete, nicht genug loben. Dieser nahm das alles mit einer Art sauersüßen Miene hin. Als er wieder auf der Straße war, kam es ihm vor, als ob ein centnerschwerer Mühlstein von seinem Herzen gefallen wäre.
Vom Kloster weg hatte der alte Steingruber, als er nach Pfingsten in Bozen war, noch einen zweiten wichtigen Gang, nämlich zu seinem Notar. Er ließ dort ein neues Testament errichten, in dem er seinen zweiten Sohn, den Klaus, zum Universalerben einsetzte und nebstbei auch den Kapuzinern ein beträchtliches Legat vermachte. Das ursprüngliche Testament, in dem der Lex der alleinige Erbe von Haus und Liegenschaften war und dem jüngeren Sohne nur die Zinsen eines gewissen Kapitals, das auf dem Hofe fest blieb, von dem Bruder ausbezahlt werden mußten, hatte ja nunmehr keinen Zweck, nachdem der Lex von der Weltlichkeit geschieden war. Mit schwerem Herzen setzte der Ochsenwirt seinen Namen unter das neue Testament und trat den Heimweg an. Jetzt war die letzte Brücke zwischen ihm und dem Sohne gefallen. Er konnte ihm nicht einmal etwas hinterlassen. Der arme Laienbruder besaß ja kein Eigentum und durfte keines besitzen.
Als der Steingruber auf seinem Schlitten mit dem Schimmel die einsame Straße durch das Eggenthal fuhr, überkam ihn fast ein Gefühl der Reue. Es war ihm, als habe er eine schwere Schuld auf sein Gewissen geladen, als müsse er umkehren, zurück zum Notar, um alles wieder null und nichtig zu machen, was gerade früher rechtskräftig abgeschlossen wurde. Das Dokument in der inneren Brusttasche brannte ihn wie Feuer, er hätte es am liebsten zu lauter kleinen Stücken zerrissen, sie in das Wasser des tosenden Eggenbaches geworfen, daß sie davongetrieben wären und er nichts mehr von ihnen erfahren würde.
Und doch war es nicht anders zu machen, so gern er auch den Lex auf dem Hof gesehen hätte. Der jüngere Sohn war ihm lange nicht so ans Herz gewachsen, wie der Erstgeborene. Der Lex war so ganz nach seinem Schlag, kernig, offen, gerade und unverhohlen. Aus dem Klaus, meinte der Steingruber immer, habe er sich nicht das Richtige erziehen können. Der sei ihm aus der Art geschlagen. Er wisse selbst nicht, wie das komme; denn der Klaus habe keinen Tropfen Blut von dem Vater und auch keinen von der Mutter selig geerbt.
Der Schimmel ging seinen langsamen Trott. Er wußte den Weg ebensogut wie der Herr. Wenn der Steingruberknecht mit ihm von Bozen heimkam, mußte er ihn sogar gewöhnlich besser wissen, als der angeheiterte Wagenlenker. Dem Mann in dem Schlitten kam es jetzt fast zu Sinnen, ob er nicht gescheiter zu einer Verbindung des Lex mit der Stasi Ja und Amen gesagt hätte. Er hieb auf den Schimmel ein, um die lästigen Gedanken loszuwerden. Der Lex hatte sein Schicksal einmal gewählt. Nun mochte er selbst sehen, wie er damit fertig wurde – der Starrkopf! –
In Wälschnoven, ja im ganzen Eggenthal hatte der Entschluß des Lex das größte Aufsehen hervorgerufen. Diejenigen, welche dem alten Steingruber in ihrem Innern Vorwürfe machten, waren nicht in der Minderzahl; den Verlust des heiteren Burschen bedauerten alle. Namentlich konnten es die jungen Mädchen im Dorfe lange Zeit gar nicht fassen. Wie sich die Stasi damit abfand, niemand wußte es. Das Mädchen sprach kein Wort darüber, vertraute niemand etwas an, wie es in ihrem Herzen stand, ja sie wich, wenn jemand das Gespräch absichtlich auf die Sache brachte, ängstlich und erschrocken aus und suchte sich gleich irgend etwas im Hause zu schaffen, um dem lästigen Frager aus den Augen zu kommen.
Der alte Steingruber hatte das Mädchen im ersten Zorn aus dem Haus jagen wollen, überlegte es sich aber anders. Er hatte trotz seiner hartnäckigen Denkungsart doch einen großen Sinn für Recht und Gerechtigkeit. Die Stasi hatte in ihrem Dienst nie einen Grund zu Klagen gegeben, also mochte sie als Dienstbote bleiben. Der Lex war fort. Es hatte demnach keine weitere Gefahr mit den beiden. Ein klein wenig Mitleid über das arme Mädchen, das still seiner gewohnten Arbeit nachging, immer gleich heiter und freundlich blieb, mochte dabei vielleicht auch im Spiele gewesen sein.
In einer Hinsicht vermißten auch die frommen alten Betschwestern des Dorfes, die sonst auf junge lebfrische Burschen nicht immer zum besten zu sprechen waren, den Lex. Der älteste Steingrubersohn hatte eine gute Naturanlage zum Zeichnen und Malen. Viele der neueren Votivtäfelchen und Marterln im Thale, die auf Weg und Steg, mitten im Walde wie auf der Straße den Wanderer gemahnten, der Endlichkeit dieses Lebens zu gedenken, rührten von den kunstfertigen Händen des Lex her. Ein strenger Kritiker hätte freilich an diesen Kunstwerken viel auszusetzen gehabt. Die Figuren waren eckig und auch oft arg verzeichnet, die Farben grell und in vielen Fällen für ein feineres Auge geschmacklos zusammengestellt. Den einfachen Bedürfnissen des Landvolkes genügte das jedoch vollkommen. Und wenn man bedachte, daß der Lex niemals irgend welche Schule in seiner Kunst genossen hatte, konnte man seinen Werken ein gewisses Lob nicht versagen. Ein Maler aus München hatte ihn, als er noch ein halbwüchsiger Bub war, mit sich nehmen und ausbilden lassen wollen. Dem war aber der alte Steingruber gleich »über den Mund gefahren«. Er solle dem Buben nicht solche Dummheiten in den Kopf setzen. Der Lex werde Ochsenwirt und damit basta!
Die alten Mütterlein hatten immer sorgfältig in ihrem Gedächtnis nachgesucht, ob nicht irgendwo in der Verwandtschaft vor undenklichen Zeiten ein Unglücksfall passiert sei, den man an Ort und Stelle durch ein Marterl verewigen könnte. Da gab es denn immer für den Lex zu thun. Die eine oder andere brachte wohl eine alte Heiligen- oder Muttergottesstatue oder ein Kruzifix, das von der Farbe gelassen hatte, zum Übermalen. Der Lex wußte seine Kundschaften stets vollkommen zufriedenzustellen.
Merkwürdig, daß in Tirol diese volkstümlichen Künstler einen recht unheimlichen Namen tragen. Man heißt sie allgemein »Tuifelemaler« (Teufelmaler). Der Ausdruck mag wohl auch vielfach daher seinen Ursprung nehmen, weil auf den meisten Votivtafeln, wenn es nur irgend thunlich ist, der Teufel oder wenigstens die armen Seelen im Fegefeuer als abschreckendes Beispiel angebracht werden. Der Lex hatte daher im Eggenthal auch schon neben seiner eigentlichen Würde als zukünftiger Ochsenwirt zu Wälschnoven den Rang eines Teufelmalers erklommen …
Mannigfache Erinnerungen mochten durch die Seele des Laienbruders in der einsamen Dachkammer gehen. Am meisten gedachte er wohl der letzten Tage.
Der Lex war nicht aus innerlichem Beruf ins Kloster gegangen. Es war eine That verzweiflungsvollen Trotzes, die ihn dahin trieb. Er hatte anfangs vielleicht wirklich geglaubt, in den geweihten Mauern Ruhe und Frieden finden zu können, vergessen zu können, daß ihm in der Welt draußen ein warmes Herz schlug, das ihn unendlich liebte, das alles um ihn gegeben hätte, das seinetwegen litt und vielleicht in frühem Grame brach. Er hatte von der Stasi nichts mehr gehört, seit er ins Kloster gegangen war. Er wollte nichts mehr von ihr hören. Er wollte die Erinnerung an sie töten.
Die wahre Liebe ist aber wie ein fruchtbares Samenkorn, das in ein Menschenherz gesenkt wird und treibt und Wurzeln schlägt und zu einem mächtigen Baume heranwächst. Seine Wurzeln haben sich tief eingegraben; und wolltest du ihn ausreißen, du müßtest dein Herz mit ihm aus dem Leibe reißen.
So war es auch dem Lex ergangen. Statt daß es ihm gelungen wäre, die Erinnerung an sein verlorenes Glück im Innern zu töten, wurde dieselbe von Tag zu Tag nur immer mächtiger und endlich allmächtig, Herrin über alle seine Gedanken, Gefühle und Wünsche. Das Bild des geliebten Mädchens verfolgte ihn Tag und Nacht. Und das paßte doch so gar nicht in die Mauern eines Klosters. Der Lex hatte schwere Zeiten durchgemacht, er litt unsäglich, folterte sich selbst mit Vorwürfen und Zweifeln, bis er zuletzt den Entschluß faßte, aus dem Kloster zu gehen.
Aber wie sollte er dem Pater Guardian gegenübertreten, wie ihm alles gestehen! Er verehrte den greisen Mönch wie einen Vater. Er fand nicht das Herz und nicht den Mut dazu, ihm Aug' in Auge das alles zu sagen, was seine Seele drückte. So ging er heimlich, als die Brüder zur Nachmittagsandacht in der Kirche waren; stahl sich vom Chore weg, legte einen schon vorbereiteten Brief an den Guardian auf seinen Betstuhl in der Zelle … und jetzt war es geschehen. Jetzt mußten sie seinen Weggang schon längst bemerkt haben, längst in seiner Zelle gesucht, den Brief gefunden haben. Der Guardian mußte ihn schon seit einigen Stunden gelesen haben. Er hatte sein ganzes Herz darin ausgeschüttet. Ob ihm der greise Mann wohl fluchen würde, ob er es ihm verzeihen könnte? Der Lex stöhnte im Banne dieser Zweifel auf.
Er mußte das Fenster öffnen. Es war ihm zum Ersticken in der engen niedrigen Kammer, wo ein aufrecht Stehender mit dem Kopfe fast an den Oberboden stieß. Von drunten klangen noch immer die Töne der Geigen, der Lärm der Tanzenden. Ob er wohl in seinem Leben noch einmal tanzen würde, dachte der Lex. Das stille Klosterleben und jetzt auf einmal wieder die weltliche Lustbarkeit; die ernsten Klänge der Orgel und der einförmige kirchliche Gesang der Mönche, dagegen das in die tanzlustigen Beine fahrende Tempo der Dorfmusikanten in dem großen Saale beim Ochsenwirt, das alles gestaltete sich zu einem eigentümlichen und fast schmerzlichen Kontrast in der Brust des Lauschers.
Und dennoch! Hatte er anders gekonnt? Sollte er mit der Lüge auf dem Gewissen im Kloster bleiben! Sollte er zeitlebens an dieser Lüge schleppen, dahinsiechen, zu Grunde gehen! Nein, nie und nimmer! Soviel Lebenslust war noch in dem Steingruber Lex, daß er sich zu einer solchen Rolle nicht verstehen konnte. Wie es nun werden sollte, da er wieder heimgekommen war, was der Vater sagen würde, er wußte es selbst nicht. Es war ihm peinlich, daran zu denken. Nur das eine wußte er, daß er die Stasi liebte über alles in der Welt, und daß sie sein Weib werden mußte; und wenn es nicht anders ginge, wollte er mit ihr von Haus zu Haus betteln als ein vagabundierender Karrenzieher.
Jetzt tönte ein Schnadahüpfel zu ihm herauf. Er hatte es selbst oft gesungen. In diesem Augenblicke erschreckte es ihn aber fast durch den beißenden Sarkasmus auf seine eigene gegenwärtige Lage. Der Lex schloß eilig das Fenster. Das Schnadahüpfel aber lautete:
Da Oansiedl
Einsiedler. am Berg
Hat die Kutten aufg'hängt,
Hat die Beten
den Rosenkranz. verschmissen,
weggeworfen.
Is den Diandeln nachg'rennt!
Noch einmal riegelte der Lex die Thüre auf. Draußen im Estrich stand neben der Thüre ein kleiner Kasten, in dem er früher seine Kleider zu verwahren pflegte. Das schlechteste und abgetragenste Werktagsgewand fand er noch im Kasten hängen, das übrige war fort. »Dös is allen z'schlecht g'wesen!« murmelte der Lex, »freili, wer hätt' a für mi no was aufheben sollen!« Er nahm das »alte G'lump« aus dem Kasten, trug es für morgen früh in die Kammer, verriegelte die Thüre und legte sich zur Ruhe.
Der Schlaf übermannte ihn bald. Er hatte einen anstrengenden Marsch gemacht, um so anstrengender, da er durch das Jahr im Kloster jeder größeren Bewegung entwöhnt worden war. Das Bett daheim war zum Ausruhen auch viel einladender als das harte Zellenlager. Bald ließen sich die regelmäßigen Atemzüge des Schlummernden vernehmen, während der Mond durch das kleine Fenster guckte und auf der Bank das »lötze schlecht, zerlumpt. Werktagsg'wandl« und die Kutte des Lex beschien, die friedlich nebeneinander lagen.
*
Am nächsten Morgen, als die Steingruberischen in der Stube beim Frühstück saßen, stand auf einmal der Lex unter ihnen, in seinem zerlumpten Werktagsgewand, eine alte grüne Stallmütze auf dem Kopf, von der nur mehr ein Endchen Schnur statt der Quaste hing. Hatte sich seine Pfeife angezündet der Lex, die er nebst dem alten Tabaksbeutel aus Hirschleder in der Joppe noch vorfand, und qualmte, als ob er sich gestern erst zum »gute Nacht sagen« verabschiedet hätte.
Der alte Steingruber wollte im ersten Augenblick emporspringen, bezwang sich aber, blieb sitzen wie angenagelt und löffelte aus der Musschüssel weiter. Die Stasi wurde bald rot und bald blaß. Aus ihren Augen brach aber ein heller Freudenstrahl, und ihre Brust wogte unter dem färbigen Tüchel auf und nieder, daß sie meinte, es müsse ihr das Mieder sprengen. Der Klaus schnitt ein finsteres Gesicht und schoß einen tückischen Blick auf seinen Bruder.
Am Tische wagte niemand ein Wörtlein zu sagen. Alles schaute bald den Steingruber an, bald den Lex, der neben der Thüre gelehnt stand und mit dem Zeigefinger in der Pfeife stocherte, um ihr besseren Zug zu verschaffen.
Da wandte sich der Steingruber gegen die Thüre um und meinte: »Willst di nit niedersitzen, Lex? Wirst do nit allein die Standesperson spielen wollen!« Das war so ruhig gesprochen, als wenn man erst gestern Abends voneinander gegangen wäre.
Der Lex setzte sich zum Tisch. Der Ochsenwirt langte einen Löffel von der Wand, wo sie mit den Stielen in ledernen Riemchen steckten, und schob ihn dem Lex zu: »Wirst do mit essen?«
»Ei ja!« sagte der Lex, ergriff den Löffel und hieb wacker in das Mus ein. Sonst wurde nichts mehr weiter gesprochen unter dem Essen. Als es vorüber war, erhoben sich alle zum Tischgebet. Als wenn es verabredet gewesen wäre, betete der Lex vor, wie es früher, als er noch im Hause lebte, der Brauch gewesen war.
»– des heiligen Geistes. Amen!« schlossen die Beter. Dann wandte sich der alte Steingruber zu seinem Sohn und meinte: »In Mutters Stuben oben hab' i neulich an neuen Boden legen lassen. Willst'n vielleicht sehen?« Der Lex bejahte stumm und ging mit dem Vater nach der Stube im oberen Stockwerk, in der seine Mutter gelebt hatte, in der sie gestorben war, in der sie »auf Ehren« auf der Bahre. gelegen hatte. Seitdem wurde die Stube nicht mehr bewohnt. Man hatte die besten Einrichtungsstücke, so namentlich den Glasschrank mit dem feinen Geschirr hinaufgeschafft, in dem auch der Brautkranz und das Gebetbuch der alten Steingruberin und die Taufkerze der Kinder lag. Das Sterbezimmer war jetzt die Prunkstube beim Ochsenwirt.
Der Lex trat mit seinem Vater über die Schwelle. Drunten bei den Dienstboten hätte der alte Steingruber nichts von seiner innerlichen Erregung merken lassen, und wenn sie ihm den Sohn »d' Füß voraus« tot ins Haus gebracht hätten!
»Mir scheint, du hast's nimmer ganz recht, Lex!« sagte der Alte, als sich beide am Tisch niedergelassen hatten.
»Na, Vater!« sprach der Lex. »Iatz bin i wieder da. Macht's mit mir, was ös wollt's. I hab's nimmer ausg'halten im Kloster. I hab' die Stasi amal z'viel gern!«
»Und was willst nachher?« fragte der Ochsenwirt.
»Das Diandl heirat'n!« entgegnete der Lex fest.
»So!« sprach der Alte gedehnt. »Und mit was denn?«
»Wenn mich der Vater im Stich laßt,« rief der junge Bursche, indem er sich erhob, »so soll er's thun! I bin volljährig. Und die Stasi muß und muß mei Weib werd'n! I hab' mir g'litten und ausg'standen g'nug. Was hab' i von all dem Reichtum vom Vater, wenn i mei Lebtag lang a elender Mensch bleib', der wohl amal hätt' sei Glück finden können, si's aber hat aus die Händ' winden lassen! Den Vorwurf will i mir und Enk ersparen, Vater! I bin dös Jahr durch a gute Schul' gangen, i kenn's iatz beiläufig, was es heißt, koa Glück und koa Herz z'haben auf der Welt. Und i laß mi um mei Glück nimmer bringen! Die Stasi wird mein, und wenn i a Laniger Eine Art tirolischer Zigeuner. werden sollt', der sei Weib und seine Kinder im Gratten Karren durchs Land zieht!«
»Imstand wärst es!« polterte der Ochsenwirt heraus. Es war ihm aber nicht so ganz Ernst mehr. Er mußte heimlich lachen, wenn er sich den stattlichen Burschen als Laniger dachte. Und innerlich war er stolz auf den Lex. »Ganz Steingruber Rass'!« dachte er bei sich.
»I bin's imstand, Vater!« rief der Lex, indem er mit hastigen Schritten durch die Stube ging. »A verliabter Mensch ist alles imstand!«
»Dös hab' i g'sehen,« sagte der Steingruber, indem er ein Lachen verbiß. Der Lex, dem das Blut zu Kopfe stieg, hatte die Zipfelmütze abgenommen. Der ausgeschorene Haarkranz des Laienbruders stand in dem merkwürdigsten Kontrast zu dem Bauerngewand.
»Na, hörst,« lachte jetzt der Alte, »ausschauen thust schon, Lex, wie der reinste Narrentattel! Pudelnärrischer Mensch. Laß di frisch ganz scheren. Der Zieler Wasterl bringt di g'wiß wieder z'recht. Und mit dem G'wand kannst ja a nit vor die Thür gehen!«
»Vielleicht bin i no amal froh darum, wenn i's als Festtagsg'wand anziehen kann!« brummte der Lex, indem er seinem Vater von der Seite einen erstaunten Blick zuwarf.
»Gelt, und aus der Kutten laßt nachher der Stasi an Unterrock machen und aus der Kapuzen a Paar Feiertagshöslen für dein ersten Buab'n!« lachte der Steingruber.
Der Lex wußte nicht, was er denken sollte. »Spottet's nit, Vater, i hab' mei'm G'wand im Kloster nie a Unehr' g'macht!«
»Dös mein' i a nit!« begütigte der Alte. »Dö Kutten werd'n wir ihnen gut verpackt mit'm Boten schicken müss'n. Und aufrichtig g'standen, du g'fallst mir in dei'm z'fetzten G'lump do no besser! Iatz bleibst also wieder am Hof, und nachher werd'n wir's wohl no richten können. Weil d' nur wieder da bist und dein Rappl Narretei. auf'geben hast!«
»Ja, wie meint dös der Vater mit'm Richten?« fragte der Lex.
»Mir scheint, du bist a bißl stützig word'n in dei'm Kloster, daß d' so hart verstehst!« sagte der Steingruber.
»Die Stasi?« rief der Lex. Es fuhr ihm siedendheiß und dann wieder eiskalt durch den ganzen Körper, sein Herz hüpfte wie »a Lamplschwoaf«, Der Schweif eines Lämmleins. als er jetzt auf den Alten näher zukam. »Vater, du willst? Du hast nix mehr dagegen?« fragte er mit unterdrückter Stimme.
»Na! na! Soll's halt sein in Gott'snamen!« sagte der alte Steingruber, indem er seine innere Rührung unter äußerlichem Gepolter zu verbergen suchte.
»Vater!« schrie der Lex auf und stürzte dem Alten zu Füßen, während er dessen Hände ergriff und drückte.
»So steh' doch auf, Lex,« sprach der Ochsenwirt, seinen Sohn emporziehend. »Mach' keine solche Dummheiten! Du bist ja nit in der Kirchen, und um an neuen Fußboden is a schad, wenn d' ihn schmierig machst mit dei'm Stallg'wand!«
Der Lex erhob sich langsam. Es schwindelte ihm vor den Augen. Am liebsten hätte er jetzt einen Luftsprung gemacht, mitten durch die Stubendecke durch und weit, weit hinauf, bis er in den Himmel ein Loch gesprungen hätte.
»Ja, is's denn wahr, Vater, is's wirklich wahr?« rief der junge Bursche, der an sein Glück noch nicht zu glauben vermochte. »Und is's enker Ernst, enker voller Ernst?«
»Mei voller Ernst!« versicherte der Ochsenwirt. »Freilich, a bißl Schererei hast mir scho g'macht mit dei'm Fortrennen von dahoam. Der Herr Notary in der Stadt wird bald glauben, i bin verruckt word'n, wenn i iatz das Testament no amol umsetzen lass'. Aber zu was wären dö Herren da und zu was gäb's Stempel auf der Welt. Man muß dem Kaiser do a was verdienen lass'n! Und weißt, Lex, im Vertrauen g'sagt, sieh i do di am liebsten auf'm Hof. Wenn's scho nit anders geht, als mit der Stasi – in Gott'snam', in Gott'snam'!« –
Während der Vater und sein ältester Sohn im Sterbezimmer der Mutter die Versöhnung feierten, war ihr Gespräch nicht ohne einen Zeugen geblieben. Vor der Thüre lauschte der Klaus und hatte jedes Wort deutlich vernommen. Jetzt, als er hörte, daß sich Schritte der Thüre näherten, schlich er eilends über die Stiege davon. Er ballte noch die Faust nach oben und zerdrückte einen giftigen Fluch zwischen den Zähnen.
*
Die plötzliche Sinnesänderung des alten Steingruber war keinem raschen unüberlegten Entschluß zuzuschreiben. Es war alles in ihm von langer Hand vorbereitet und wohl überlegt. Und jetzt, da ihm der Lex selbst ins Haus kam, ohne daß er ihn aufzusuchen brauchte, was sollte er den braven Burschen noch lange hinhalten und quälen. Und der stolze Ochsenwirt hätte, wenn sein Ältester nicht gekommen wäre, ihn im Kloster aufgesucht und hätte gesagt: »Lex, heirat' die Stasi, übernimm den Hof, thu alles, was d' willst – aber komm hoam, dei eigener alter Vater bitt' di drum!«
Diese Demütigung war dem Steingruber erspart geblieben. So, wie es jetzt gekommen war, konnte es ihm am liebsten sein. Nun schlichtete sich ja alles von selber. Und alles sollte vergessen sein. Man ging einer freudigen Zukunft entgegen.
Der Alte hatte, seitdem er beim Notar in Bozen war, schwere Tage zu bestehen gehabt. Seinen Lieblingssohn hatte er durch seinen Eigensinn von Haus und Hof gebracht und den Klaus an seine Stelle gesetzt, den hintertückischen Burschen, welcher der ehrlichen und offenen Natur des alten Ochsenwirtes so fremd war, als es Licht und Schatten sind. Und wie hatte ihm der Klaus gelohnt! Seit er wußte, daß Haus und Hof ihm verschrieben sei und er den älteren Bruder als Erben nicht mehr zu fürchten brauche, war sein Benehmen gegen den Vater und gegen alle im Hause plötzlich ein anderes geworden. Er, der früher nur eine untergeordnete Rolle gespielt und sich an allem, was in seines Vaters Haus vorging, scheu, mürrisch und hämisch vorbeigedrückt hatte, begann auf einmal seinen Kopf zu heben und einen eigenen Willen zu zeigen. Dem Gesinde im Haus gegenüber spielte er den Herrn, suchte zu knickern und den Leuten etwas »abzuzwacken«, wo er es nur heimlich thun konnte. Zuletzt scheute er auch offene Auftritte nicht.
Kurz, der Klaus war wie ausgewechselt und kehrte jetzt erst recht seine wahre Natur hervor, so daß er dem Vater von Tag zu Tag widerlicher wurde. Der Klaus ließ es auch nicht an mehr oder minder zarten Anspielungen fehlen: wenn der Vater sich doch bald zur Ruhe setzen würde. Es wäre vielleicht besser für seine alten Tage, zu rasten, als sich noch lange abzuschinden. Und nach gethaner Arbeit sei gut ruhen; ein gemütliches Austragstüberl sei doch für alte Leute ratsamer, als ihre schwachen Kräfte bis zum letzten »Schnaufer« aufzureiben.
»Wärst wohl froh, wenn i amal den letzten Schnaufer thät!« schrie dann der Alte den Klaus an. »Du erwartest es ja kaum! Hätt'st mi am liebsten in der Gruben unten! Schau den Racker an!« Der alte Steingruber wollte von Ruhe und Rast noch nichts wissen. Er fühlte sich nicht schwach. Und das Austragstübel wäre gerade gut genug, wenn man einmal schon in den Zügen liege, als letzte Station vor dem stillen Freithof.
Der Klaus verstand es, dem Alten sein eigenes Haus von Tag zu Tag mehr zu verleiden. Dieser fühlte sich zuletzt fast fremd darin. Er glaubte es zu merken, wie ihm jemand heimtückisch und unaufhörlich den Boden, auf dem er stand, unterwühlte. Dabei mußte er sehen, wie die Dienstboten den Befehlen des Klaus nachkamen. Sie thaten es widerwillig, aber sie thaten es doch. Es war ja schließlich zu begreifen, daß sich die Dienstleute mit dem zukünftigen Herrn früh genug auf guten Fuß setzen wollten. Dem alten Steingruber hämmerte dann die Aufregung so dumpf und hohl in seinem Kopf und schlug in seinem Herzen wie mit rohen Hammerschlägen, daß es ihm im Halbschlaf oft war, als wenn man einen Sarg zunageln würde und er selbst darin läge. Und der Klaus war in dem Traumbild derjenige, welcher am gewaltsamsten darauf loshämmerte und die spitzen Nägel durch das Holz trieb, seinem eigenen Vater ins Herz. Dann fuhr der alte Steingruber vom Schlafe auf und stöhnte schmerzlich. Sollte wirklich eine schleichende Krankheit in ihm stecken, die eines Tages ausbrechen und ihn jäh dahinraffen konnte? Nur jetzt nicht sterben, nur jetzt nicht! Er hatte noch viel zu ordnen, der alte Steingruber.
Einigemale hatte es sich auch zugetragen, daß seine Anweisungen nicht erfüllt wurden, sondern gerade das Entgegengesetzte geschah. Forschte er nach, so stellte es sich heraus, daß der Klaus es so geordnet habe. In rasendem Zorne fuhr dann der Alte auf die Dienstleute los, stellte sie zur Rede. Er bekam aber kein Wörtlein der Entschuldigung zu hören und nichts anderes zu sehen, als verlegene Mienen. Dann schrie er wohl den Klaus an: »Wer is Herr im Haus, i oder du! Wer gibt dir a Recht, mei Haus – denn mei Haus is es, lach' nur nit z' früh – auf'n Kopf z' stellen, mir meine Ehhalten abspenstig z' machen, du Duckmauser, du elendiger!« – Der Klaus widersprach nie, sondern nahm alles kaltblütig mit einem Ausdrucke im Gesichte hin, als ob er hätte sagen wollen: »Herr verzeihe ihm, er weiß nicht, was er thut!« Diese Gleichgültigkeit machte den Alten noch wütender. Er stürzte dann gewöhnlich in hellem Zorn ins Freie, suchte die Holzhauer im Walde auf oder sah auf den Wiesen nach. Seine ganze Empfindung machte sich dann meistens in dem Stoßseufzer Luft: »Wär' do der Lex dahoam!«
Jetzt war er wieder daheim der Lex. Der alte Steingruber wäre seinem Buben, als er durch die Stubenthüre trat, am liebsten um den Hals gefallen, hätte die Stasi am liebsten hinter dem Tisch hervorgeholt und gesagt: »Da Lex, hast die Stasi! I wirf dir's nach! daß d' sie ja nimmst und daß d' mir am Hof bleibst. So geht's nimmer weiter, wia's iatz a Zeitlang gangen is!« Das konnte nun der Steingruber freilich nicht so thun, wie es ihn innerlich trieb. Seine Vaterwürde durfte er doch nicht ganz hintansetzen. Nun wollte er aber das Glück der jungen Leute gründen. Lieber hätte er noch eine Lanigerin auf den Hof genommen, als dem Treiben seines jüngeren Sohnes länger zugeschaut. Die Stasi war schließlich von ehrlichen Leuten. Für ihre Armut konnte sie nichts. Er, der Steingruber, war ja auch einmal arm gewesen und hatte eine Reiche geheiratet. Warum sollte nun der Steingrubersohn nicht eine Arme heiraten, wenn er sie gern hatte. »Umg'kehrt is a g'fahren!« dachte der Alte.
Noch im Laufe des Morgens hatte sich die Kunde im Dorf verbreitet, der Lex sei wieder da. Und der Alte sei mit seinem Buben ganz »Allianz«. harmoniere gut. Es verging bis zum Mittag kaum eine Viertelstunde, in der nicht eine neue Hand auf die Schnalle drückte und sich dann ausstreckte, um den Lex zu bewillkommnen. Den komischen Anblick seiner Kapuzinerfrisur genossen nur wenige mehr. Unter den ersten Besuchern war auch der Zieler Wasterl gewesen. Der hatte sich gleich an das Geschäft gemacht und den Lex glatt geschoren, daß er doch wieder ein »menschliches Aussehen« bekäme. Einige »Stufen« hatte es bei dem Haarschneiden wohl abgesetzt. Aber der Wasterl war ja kein geprüfter Bader. Er stutzte dem Lex auch seinen Bart zurecht, machte aus Seife und Wachs mit etwas Öl vermischt eine Pomade an und gab dem »Schnauzer« wieder seine alte »schnittige« Form. Dann betrachtete der Wasterl zufrieden sein Werk und meinte, jetzt könne sich der Lex doch wieder unter die Leute trauen, ohne daß ihm die kleinsten Schulbuben: »Huttlee! Huttlee!« Faschingsnarr. nachschreien würden.
Beim Mittagessen hatte die Stasi die Suppe versalzen und wurde tüchtig darob geneckt. Gegen Abend saßen der Lex und die Stasi allein in der Laube des Hausgärtels und sprachen von ihrer Hochzeit und von tausenderlei Dingen, wie sie eben Brautleute zu verhandeln haben. Sie waren ja jetzt erklärte Brautleute, brauchten keine Heimlichkeiten mehr zu haben; ihre Liebe brauchte sich nicht mehr zu verstecken.
Das wilde Weinlaub, das sich über die Stangen und Drähte des lauschigen Winkels rankte, begann sich bereits rot zu färben. Die untergehende Sonne grüßte mit ihren letzten Strahlen durch das Blattwerk. Heute hatte sie einmal ein glückliches Paar zu bescheinen. Bei dem vielen Elend auf der Welt wird diese Freude der lieben leuchtenden Frau am blauen Himmelszelt nicht immer zu teil.
Der Lex hatte ein besseres Gewand angezogen, eine feuerrote Nelke auf den Hut gesteckt und seine treue, nun ganz verstaubte Zither wieder hervorgeholt. Hell tönten zwei frische Stimmen in den Herbstabend hinaus …
Mei Häusal steht ob'n auf an Roan,
's is nett, es is nett, aber kloan;
Es hat scheane Zimma,
Aber iatz g'freut's mi nimma,
Weil i bin im Häusal alloan.
Vor'm Häusal am Roan liegt a Stoan,
Ja da sitz' i recht oftmals alloan;
Die Aussicht is prächtig,
Man sieht so weitmächtig,
Mi g'freut's nimmer z' schaug'n alloan.
Iatz woaß i a Diandl in der G'moan,
Dö war für mi recht, wie i moan',
Zum Weibl hab' i's g'nomma
Im vorigen Somma,
Seitdem bin i nimmer alloan! …
Ein weniger freundliches Bild als in der Laube, bot sich in einem dunkeln Winkel der Tenne. Dort saß der Klaus auf einem Heuschober. Halb aufgerichtet saß er. Die Fäuste hatte er geballt, focht damit in der Luft herum und vergrub sie dann wieder in das Heu. Die Dämmerung ließ seine verzerrten Züge kaum erkennen. Von Zeit zu Zeit rang sich ein heiseres Stöhnen aus seiner Kehle. Er gurgelte die schrecklichsten Flüche hervor, um sich dann in ohnmächtiger Wut auf dem Heu zu wälzen.
*
Eine Woche war vergangen, seit der Lex wieder in Wälschnoven war. Man hatte viel zu thun mit der Ernte. Der Lex griff überall zu. Er arbeitete doppelt so freudig wie früher. Er schaffte ja auch für sein eigenes Heim, für die Stasi, die ihm bald in den Steingruberhof als Weib folgen sollte. Am nächsten Sonntag sollten die beiden zum erstenmal von der Kanzel aufgeboten werden.
Wenn es nach dem Willen des Lex gegangen wäre, so wäre er mit der Stasi gleich alle üblichen dreimal unter einem aufgeboten worden. Davon wollte jedoch der Ochsenwirt nichts hören. Das sei eine neue Stadtleut'mode und nichts für die Bauern. Der Herrgott im Himmel wolle auch seine Zeit zum Überlegen haben, ob er den Brautleuten seinen Segen gebe. Wenn man ihn so ungebührlich dränge, könnte er leicht unwirsch werden und mit einem Donnerwetter dareinfahren. Jetzt habe er, der liebe Gott nämlich, sich um das glückliche Einbringen der Ernte auch noch zu bekümmern und keine Zeit für verliebte »Faxen«. Tändeleien.
Der Lex ließ dem Vater gern seinen Willen. Ob ein Monat früher oder später; für verliebte Brautleute dehnt sich freilich jeder Tag zum Monat – aber der Gehorsam ging vor, und man wußte sich zu bescheiden. Ein großer Stein war dem Lex schon in der ersten Woche seines Brautstandes vom Herzen gefallen, der Gedanke an den Guardian nämlich und was der wohl zu der unvermuteten Standesveränderung des seiner Hut Empfohlenen sagen würde.
Es war doch ein etwas großer Sprung vom Klosterstand in den Brautstand. Der alte Steingruber teilte die Sorge des Lex; denn auch er war im Grunde seines Herzens ein tiefreligiöser Mann. Der alte Kurat von Wälschnoven hatte auch am ersten Tag nicht gleich das freundlichste Gesicht zu der ganzen Sache gemacht.
Da kamen zwei Briefe von Bozen, der eine an den Lex, der andere an den alten Steingruber. Sie waren beide vom Guardian des Kapuzinerklosters. Dem Lex schrieb der greise Priester, daß er ihm nicht zürne und er hätte sich genug getrauen können, ihm das alles mündlich zu sagen, was in dem zurückgelassenen Briefe stand. Wenn ihn etwas kränken würde, so wäre es nur das allein, daß er sich vor seinem alten geistlichen Vater gescheut habe. Er kenne aber das Menschenherz und wisse das Vorgehen des Lex wohl zu begreifen. Er habe ihm in demselben Augenblick alles verziehen, als er seinen Brief gelesen. Wenn der Lex keinen Beruf zum Klosterleben in sich fühle, so sei es gut, daß er gegangen sei. Er werde bei einem rechtschaffenen Leben in der Welt sich in gleicher Weise den Himmel verdienen können, dessen reichen und vollen Segen der Guardian am Schluß seines Schreibens auf den gewesenen Laienbruder herabflehte.
Der Brief des Guardian an den Steingruber war keineswegs in allem so freundlich. Der Schreiber machte ihm in recht ernstlichen und energischen Worten Vorwürfe darüber, wie er dem Glück seines Sohnes so hartköpfig im Wege stehen könne. Ob er ewig zu leben gedenke und ob er sich nicht fürchte, dereinstens vor dem Richterstuhl Gottes für sein Thun und Handeln Rechenschaft ablegen zu müssen.
Der Ochsenwirt lachte in sich hinein, als er den Brief gelesen hatte, und meinte, jetzt könne er dem Guardian gar auch noch eine Freude bereiten. Er wollte ihn in den nächsten Tagen in Bozen aufsuchen, da er ja ohnedies dorthin zum Notar müßte. Anfangs wollte der Steingruber den Brief beantworten, gab aber den Plan wieder auf, indem er überlegte, er könne, bis er mit einem Briefe zurecht komme, schon mehr als den halben Weg nach Bozen zurückgelegt haben. Und das war ihm lieber als das leidige Schreiben. Mit den Füßen war er besser beim Zeug als mit der Feder. Und setzte sich ja noch am selben Tag der Lex zum Papier und schrieb seinem ehemaligen geistlichen Vorstand, wie alles gekommen und nun zum besten geordnet sei.
Von Tag zu Tag nahm sich der Steingruber vor, nach Bozen zu fahren oder wenn das Wetter günstig wäre, den Weg zu Fuß zu machen. Es kam immer etwas dazwischen, wie es in der drängenden Erntezeit ja nicht zum Verwundern ist. Und dann dachte der Alte auch, gar so »damische« Eile werde es nicht haben, er müßte denn von heute auf morgen zu sterben fürchten.
Die Ernte war zum großen Teile eingebracht. Die Holzarbeit im Walde wurde immer rüstiger und nachhaltiger betrieben. Es galt für den Winter zu sorgen. Zudem unterhielt der Ochsenwirt einen blühenden Holzhandel nach Bozen. Schon jetzt gingen Bestellungen ein. Morgen wollte er selbst mit der ersten Fuhre in die Stadt und bei dieser Gelegenheit alles Nötige erledigen, damit er das drückende Gefühl, noch dringend etwas thun zu müssen, endlich vom Herzen habe.
Am späten Nachmittag war der Steingruber zu den Holzknechten in den Gummerer Wald gegangen, um nachzusehen, ob wohl alles in Ordnung sei und in sträflicher Fahrlässigkeit keine jungen Stämme geschlagen würden.
Er pflegte dann gewöhnlich gemeinsam mit den Holzknechten abends nach Hause zurückzukehren, wo die Arbeiter in der Wirtsstube ihren reichlichen Imbiß einnahmen und jeder von ihnen seine Halbe Wein auf den Tisch gestellt bekam. Schnaps pflegte der Ochsenwirt seinen Arbeitern grundsätzlich nicht zu verabreichen.
An jenem Abend kam er nicht mit den Arbeitern. Es fiel nicht weiter auf. Vielleicht hatte er noch irgend ein Geschäft zu erledigen gehabt. Einer der Arbeiter erwähnte auch, der Steingruber habe sich geäußert, er wolle noch, bevor es ganz dunkel werde, die jüngeren Waldbestände besichtigen.
Man aß ohne den Hausvater zu Abend. Es wurde dunkel. Der Steingruber kam nicht. Die Leute im Hause wurden unruhig. Man wartete noch eine, zwei Stunden zu, ging sich in die Nachbarschaft erkundigen, ob der Wirt nicht irgendwo im »Hoangart« säße. Niemand hatte ihn gesehen.
Um zehn Uhr nachts brach der Lex mit den Knechten, einigen Holzhauern, die Karten spielend in der Wirtsstube zurückgeblieben waren, und Männern aus dem Dorfe, welche sich freiwillig anschlossen, auf, um seinen Vater zu suchen.
Man hatte »Kenteln« Fackeln aus Kienspänen. mitgenommen, die man durch die Luft schwang, damit das pechige Holz sich zu immer neuem Brande anfache. Schweigend ging der Zug der Männer, einer hinter dem andern, dem Hochwald zu.
Für die im Hause Zurückbleibenden schienen sich bleierne Gewichte an die Stunden gehängt zu haben. Niemand ging zur Ruhe. Die Kunde, daß man den alten Steingruber vermisse, hatte sich wie ein Lauffeuer im ganzen Dorfe verbreitet. Die Nachbarn kamen zum Ochsenwirt. Man saß in der Stube und erging sich in den verschiedensten Vermutungen.
Es wurde Mitternacht. Kein Steingruber kam. Auch die Ausgezogenen kehrten nicht zurück. Ängstlich spähte man vor dem Hause und durch die Fenster von der Wirtsstube aus, ob sich vom Walde her nicht der rötliche Schein nahender Kienfackeln erblicken lasse.
Da wollte es jemand aufleuchten gesehen haben. Es war wieder nichts. Aber jetzt! Es hatte vom Kirchturm schon zwei Uhr nachts geschlagen. Jetzt ließ es sich nicht mehr leugnen. Alle strömten ins Freie, um besser sehen zu können. Eine sternhelle Nacht lag über dem Thale. Vom Wald her kam tatsächlich ein rotgelber Schein, der immer stärker wurde und in dem sich zuletzt auch einzelne Lichtpunkte unterscheiden ließen.
»Sie sein's!« rief man und eilte auf dem kürzesten Wege dem Wald entgegen. Nun mußte man doch etwas Gewisses erfahren. Und lieber die schrecklichste Gewißheit, als diese peinigenden Zweifel!
Jetzt hörte man ein dumpfes Gemurmel. Es klang fast wie Beten. Man schrie den Kommenden entgegen. Keine Antwort erfolgte. Nur der unstete Schein zeigte sich immer deutlicher zwischen den Bäumen.
Mehrere Burschen unter den Leuten aus dem Dorfe sprangen voraus. Jetzt sah man sie mit den Fackelträgern zusammentreffen, sah sie die Hüte abziehen und betend neben den andern gehen, die gleichfalls ihre Häupter entblößt hatten und eine aus Baumästen zusammengebundene Bahre in ihrer Mitte trugen.
»Er is tot!« schrie die Stasi auf. Das junge Mädchen glaubte, Himmel und Erde müßten vor ihr versinken. Sie lehnte sich einen Augenblick wie betäubt an einen Baumstamm, schrak dann aber jäh empor, als ihre halbgeschlossenen Augen das grelle Licht der Fackeln traf.
Jetzt trugen sie die Bahre an ihr vorüber. Der Lex trug mit an der Leiche seines Vaters, die unter Taxen verborgen war. Er war schrecklich bleich der Lex. Als er das junge Mädchen halberstarrt an dem Baum sah, neigte er sein Gesicht. Zwei dicke Thränen rannen ihm langsam über die Wangen; dann betete er laut wieder den andern vor: »Herr gieb ihm die ewige Ruh'!« – »Und das ewige Liacht leuchte ihm!« fielen die übrigen ein.
Nun schlugen auch die ersten Worte an das Ohr der Stasi, die nicht Gebet waren. Im Wald droben hatten sie den alten Steingruber gefunden unter einem mächtigen Baumstamm, der über ihn gerollt war und dem starken Mann die Brust eingedrückt hatte. Er hatte kein Lebenszeichen mehr gegeben; als sie ihn unter dem Baume hervorzogen, war er schon ganz kalt und starr. Wie der Baum ins Rollen gekommen war, wer konnte es erklären!
»Der Herr schickt's,« meinte ein altes Weiblein weinend. »Er schickt's wohl oft hart g'nuag. Aber er wird das Seine haben dabei. Wir Leut können's nit ergründen!«
»Des Herrn Wege sind wunderbar!« sagte der junge Hilfspriester von Wälschnoven, welcher dem Zuge gefolgt war, und begann zu beten: »Gegrüßt seist du Maria –«
Unter den letzten im Zuge war auch der Klaus, der sich bereits den Männern, die um zehn Uhr nachts aufgebrochen waren, angeschlossen hatte. Die Stasi kam zufällig neben ihm zu gehen. Keine Muskel zuckte in dem Gesicht des jüngeren Steingrubersohnes. Nur einmal war es der Stasi, als ob er einen Blick auf sie werfe, unter dem sie unwillkürlich zusammenschauerte …
Am nächsten Morgen lag der alte Steingruber in dem Sterbezimmer seines Weibes selig auf Ehren. Die Wachskerzen brannten um das Rechbrett. Die Leute gingen schweigend aus und ein und besprengten den Toten mit Weihwasser.
Zwei Tage später senkten sie ihn zur ewigen Ruhe in die Erde. Als der alte Kurat an der offenen Grube stand, dem Toten warme Worte nachrief und die Überlebenden zu Mut und Ausdauer in ihrem Leid ermahnte, brach ihm zuletzt die Stimme, und er fing an zu weinen wie ein kleines Kind.
In dem Hause, aus dem der Vater gestorben war, hatte es noch früher eine erregte Scene gegeben. Der Klaus war auf Eröffnung des Testamentes gedrungen; er konnte es nicht einmal erwarten, bis sein toter Vater unter der Erde war. Das Dokument wurde im Beisein der Gerichtsbeamten, welche die Verlassenschaft aufnahmen, eröffnet. Es war dasjenige, welches der alte Steingruber nach Pfingsten in Bozen unterfertigt hatte.
Noch am selben Tage hatte der Lex eine Unterredung mit seinem Bruder. Es setzte harte Worte. Und als der Lex aus der Thüre ging, wußte er, daß er von dem Bruder nichts zu hoffen habe.
Nach dem Begräbnis wurde in der Kirche zu Wälschnoven das Totenamt für den seligen Steingruber gehalten. Nach dem Amte begannen die Gebete für den Verschiedenen. Der Kurat betete von der Kanzel aus vor. Dann folgte das stille Gebet der Andächtigen, in dem jedes für sich die unsterbliche Seele des Toten der Gnade ihres Schöpfers empfahl. Kein Laut regte sich in der Kirche, nur vom Turme hörte man das Totenglöcklein läuten. In einem der Betstühle kniete ein junges Mädchen, das die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte und herzbrechend zu schluchzen begann. Es war die Stasi. Das Totenglöcklein läutete auch ihrem Glück zu Grabe.
*
Fast dreißig Jahre sind seit jenem Herbst ins Land gezogen, da der Lex aus dem Kapuzinerkloster in Bozen nach Wälschnoven zurückkam. Vieles hat sich seither verändert. Der alte Kurat ist längst gestorben. Der junge Hilfspriester, der damals mit im Hochwald war, als sie den Steingruber brachten, ist sein Amtsnachfolger geworden. Man liebt ihn allgemein und rühmt ihn als einen duldsamen Herrn. Der Wasterl ist einige Jahre auf der Wanderschaft gewesen und womöglich noch als ein ärgeres »Durchübel« Nichtsnutzer Mensch heimgekehrt. Er lebt noch und ist ein alter Schnapsbruder geworden. Seine Schwester, die Zenzi, ist ein Jahr nach dem Tode Steingrubers bei einer entfernten Verwandten im Oberinnthal, zu der sie gezogen war, gestorben.
Ochsenwirt ist der Klaus. Es stand schwarz auf weiß in dem Dokumente. Und da der alte Steingruber sonst keine schriftliche Aufzeichnung hinterlassen hatte, konnte das Testament nicht mehr umgestoßen werden, und der »letzte Wille« erwuchs in Rechtskraft. Soviel nützte aber dem Lex ein angestrengter Prozeß, daß ihm der jüngere Bruder einen Pflichtteil auszahlen mußte. Es war freilich wenig genug gegen das reiche Besitztum, welches der Klaus als einziger Erbe überkommen hatte. Das Legat an die Kapuziner in Bozen mußte ebenfalls ausbezahlt werden. Der Guardian schoß aber dem Lex die ganze Summe vor. Dieses Anlehen, vereint mit seinem Pflichtteile vom Steingruberhof, setzte den Lex in den Stand, das zum Verkauf ausgebotene Schneidergütel in dem Dorfe Kardaun am Eingange des Eggenthales zu erwerben.
Ein Jahr nach dem Tode seines Vaters führte der Lex die Stasi als ehelich Weib auf sein Gütel in Kardaun. Es hieß freilich anfangs etwas schmal zubeißen. Mit Fleiß und Betriebsamkeit gelang es dem jungen Paar aber doch innerhalb einiger Jahre, die Hypothek, welche die Patres Kapuziner in Bozen auf dem Gütel hatten, abzulösen. Nun war es längst vollkommen schuldenfrei. Seinen Grundbesitz an Äckern, Wiesen und Wald hatte der Lex sogar bedeutend vergrößert. Vor einigen Jahren war auch auf den kleinen Hof ein neues Stockwerk gebaut worden, so daß er jetzt ein ganz stattliches Aussehen hatte.
Die Teufelmalerei hatte der Lex fleißig fortgesetzt, wenn es ihm freie Stunden trug. Namentlich entstand an den langen Winterabenden so manches neue Kunstwerk. Wegen einiger derselben kam der Lex sogar einmal mit seinem jüngeren Bruder vor das Bezirksgericht in Bozen. Der Klaus wollte nämlich in den Teufelsgesichtern auf den Marterln seine eigenen Züge entdeckt haben und verklagte den Maler. Das Gericht fällte jedoch damals ein freisprechendes Urteil, weil es sich der Meinung des Klägers nicht anschließen konnte und auch sonst einen gänzlichen Mangel an Beweisen fand.
Aus der Ehe des Lex mit der Stasi entsprossen drei Kinder. Das älteste, der Franz, war ein Bub, die beiden jüngeren Dirnen. Die ältere davon hatte in dem Jahre, da unsere Geschichte sich fortsetzt, einen wohlhabenden Bauern im Burggrafenamt geheiratet. Die jüngere war noch im Hause und half der Mutter bei der Arbeit.
Der Franz war ein aufgeweckter Junge geworden. Man hatte ihn das Handwerk eines Orgelbauers lernen lassen. Der junge Meister hatte bereits recht viel zu thun und wurde bald dahin, bald dorthin in Tirol zu Reparaturen oder zum Neubau von Orgeln berufen. Sogar ins Schwäbische hatte er schon einmal müssen. Gegenwärtig suchte er der uralten Kirchenorgel in Wälschnoven wieder etwas mehr und reinere Stimme zu verleihen.
Auch der Klaus hatte geheiratet. Sein Weib war ihm jedoch schon nach zwei Jahren gestorben. Die Leute sagten, er habe sie zu Tode gequält, andere wieder, er habe sie halb verhungern lassen. Sie konnte sich von den Wochen ihres ersten und einzigen Kindes nicht mehr erholen und »serbte« siechte. langsam dahin.
Das Kind, ein Mädchen, blieb am Leben. Die Emerenz vom Ochsenwirt Klaus galt als eine der saubersten Dirnen im Eggenthal. War auch ganz das Widerspiel ihres Vaters, freigebig und leutselig gegen jedermann. Den Klaus mochte niemand, weder im Dorf, noch in der Gegend. Er war ein verbissener alter Geizhals geworden, herrisch und roh gegen jedermann. Am meisten schien er noch vor dem Wasterl Respekt zu haben, der seit der Rückkehr von seiner Wanderschaft die Dachkammer im Ochsenwirtshaus bewohnte, welche ehemals der Lex innegehabt hatte.
Der Klaus hatte den Vagabunden in eine Art Dienst genommen. Der Wasterl machte sich allerlei im Hause zu schaffen; war aber hinten und vorn nicht viel daran an seiner Thätigkeit. Er brachte meistens nur Verwirrung in das Hauswesen. Die Gäste hatten ihn aber ganz gern; denn er war der alte Spaßvogel geblieben.
Zum Hauswesen des Klaus gehörte noch ein rothaariger Bursche in den zwanziger Jahren, der Liachtl-Toni. Man nannte ihn so nach dem Licht, das ihm der Herrgott selbst mit den roten Haaren auf den Schädel gesetzt hatte. In dem Schädel selbst war freilich nicht viel Gescheites zu finden. Der Liachtl-Toni konnte zeitweise ganz vernünftig sein und reden wie andere Christenmenschen. Dann gab es aber wieder Tage, besonders wenn der Südwind in der Höhe war, an denen es mit dem Toni nicht mehr völlig in Richtigkeit war. An solchen Tagen pflegte er zu arbeiten wie ein Vieh. Wenn er wieder vernünftig wurde, lag er auf der faulen Haut.
Der Liachtl-Toni war ein Findelkind. Man hatte ihn eines Morgens vor der Thüre des Steingruberhofes gefunden. So sagten die Leute, wenn sie sich auch anfangs darüber gewundert hatten, daß der Klaus sich entschloß, den wildfremden Findling aufzunähren. Jetzt sprach niemand mehr darüber. Der Toni gehörte zum Dorf wie irgend ein anderer. Man konnte es sich gar nicht denken, daß er anderswo zur Welt gekommen sein sollte.
Was endlich die beiden Brüder Lex und Klaus betrifft, so sahen sie sich selten und hatte einer des andern Haus seit dem Tode des Vaters niemals betreten. Hatte wohl auch keiner sonderlichen Grund, ein Zusammentreffen mit dem andern zu erstreben. Begegneten sie sich zufällig einmal, so grüßten sie sich vielleicht kurz der Leute wegen. Wenn es irgend thunlich war, that einer, als ob er den andern nicht sehen würde.
Der Groll des Lex, der nun auch auf einem geordneten und ziemlich wohlhabenden Hauswesen saß, das ihm allerdings nicht so leicht und bequem in den Schoß gefallen war, wie dem jüngeren Bruder das Ochsenwirtshaus, hatte sich im Laufe der Jahre gelegt. Die Menschen werden friedsamer, wenn sie älter werden, und die Zeit überkleidet manchen harten Fels doch allmählich mit grüner, lebendiger Vegetation. Einen Weg zwischen den Herzen der beiden Brüder gab es freilich nicht mehr. Der Ochsenwirt Klaus schien vor seinem ältern Bruder sogar eine Art geheimer Furcht zu haben; denn er ging ihm aus dem Wege, wo er nur konnte. Wenn er in Kardaun ein Geschäft abzuwickeln hatte, trachtete er immer, einen Bekannten dorthin zu senden, der für ihn alles erledigte.
*
In der Tenne des Ochsenwirtes Klaus ging es hoch her. Man feierte das Einbringen der Ernte auf die landesübliche Weise mit Wein und Krapfen. Der Klaus selbst hätte diese Sitte wohl gern abgebracht; denn das kostete ihm zu viel Geld. Da ließ sich aber der Wasterl nichts bieten. Es mußte beim alten bleiben. »Dös wär' do a Schand' im ganzen Thal!« meinte er. Der Klaus gab denn auch jedesmal klein bei. So wurde auch heuer der Ernteschmaus abgehalten.
An den Wänden der sauber ausgekehrten Tenne standen Fässer und Kisten in der Reihe. Man hatte Bretter darüber gelegt. Wo gerade Platz war, stand auch ein wackliger Wirtstisch, auf den man die Gläser und Krüge stellen konnte, wenn man nicht gerade trank. Und getrunken wurde, was nur durch die Gurgel rinnen wollte.
Der größte Raum der Tenne war frei geblieben für die Tanzenden. Auf einigen Fässern in der Ecke saßen die Musikanten.
Gerade zogen sich die Paare von einem beendeten Tanz wieder gegen die Tische und Bänke zurück, als der Wasterl mit der alten Bärbel, der Großdirn beim Klaus, sich noch in der Mitte der Tenne drehte und offenbar nicht zu bemerken schien, daß ihm kein Geigenstrich mehr aufspielte.
»Hellauf, wir Lustigen!« schrie der Wasterl und schwenkte die dicke und ziemlich unbeholfene Dirn im Kreise herum. »Gelt, Bärbel, hätt'st dir a eher den Tod ein'bildet, als daß i no so umschieß'n tanzen. könnt'!«
Das Gelächter der Umstehenden machte den Wasterl endlich darauf aufmerksam, daß er nur mehr allein tanze. Mit einem plötzlichen Ruck stand er still und rief: »Ja, da wären wir ja gar die letzten, wie's Amen im Gebet!« Dann ließ er die Bärbel los und hatte, die Stütze derselben entbehrend, schwere Mühe, sich auf den Füßen zu halten. »Holla!« rief er, »heut gibt's mir ja glei ganze Riss'! Ja, ja, der Wein und der verflixte verfluchte. Bierputzer Bierschnaps. obendrauf!«
»Setz' di nieder, Wasterl!« meinte einer der Burschen mitleidig und führte den Angeheiterten zur Bank.
Der Klaus war hastig zur Bärbel getreten und flüsterte in sie hinein: »Dös is do a Kreuz auf Gottes Erdboden! Hab' i dir nit g'sagt, du sollst 's Getränk ordentlich wassern!«
»I hab's ja 'than, Wirt!« verteidigte sich die Großdirn.
»Ja, wie könnt' denn dann um Himmels willen der Wasterl so an Eselsrausch z'samm'kriegen!« versetzte der Klaus ingrimmig.
»Glaub's wohl, wenn er die eine Halbe nach der andern nur so abischüttet!« sagte die Bärbel.
Der Klaus wandte sich zu seinen übrigen Gästen. Da saß einmal der Schneider vom Dorf und neben ihm die Resi vom Loosbauern. War schon ziemlich »übertragen« gealtert. die Resi. Und ist wohl kein Wunder gewesen, daß sich kein anderer als der zaundürre Schneider an sie heranmachte. Auf einer andern Bank saß auch der Orgelbauer Franz, der Sohn vom Lex in Kardaun. Er war mit einem Freund zum Erntefest gekommen. Ein eigener Trotz trieb ihn dazu, sich die Gesellschaft beim Onkel Klaus einmal anzuschauen, und zwar an einem solchen Tage, wo niemand der Eintritt verwehrt werden konnte. Da mußte jeder frei gehalten werden, der des Weges kam.
Und eine lustige Gesellschaft war es doch, die sich da in der weiten Tenne beim kärglichen Schein der Windlichter zusammengefunden hatte. Hübsche Diandeln waren drunter. Die jungen Dirnen saßen etwas mehr abseits von den Burschen. Die Emerenz vom Ochsenwirt Klaus war auch darunter und schenkte jetzt ihren Genossinnen aus einem Kruge warmen süßen Glühwein in die Gläser. Eine stattliche Mädchengestalt, mit dicken Zöpfen, die ihr über den Rücken hingen, von einem schlanken ebenmäßigen Wuchs und mit frischen roten Wangen, in denen die Gesundheit lachte. Jede Bewegung hatte den Reiz jener ungezwungenen Anmut, wie wir sie nur bei Naturkindern zu finden pflegen.
»Da schau, Schneider, wie der Orgelbauer Franz die Emerenz anguckt!« sagte die Resi, indem sie einen mißgünstigen Blick auf das junge Mädchen warf.
»Mir scheint, er spitzt drauf!« raffte sich der Angesprochene nach einer Weile zu einer Erwiderung auf.
»Dann is er dumm g'nua!« sprach die Resi schnell und giftig.
»Auf di sollt' er halt spitzen, gelt Resi, nachher wär' er schon g'scheuter!« lachte ein alter Knecht.
»Schau, daß i di –!« wandte sich die Gefoppte drohend nach dem Spötter um.
Der Schneider legte begütigend seinen Arm um ihre Schulter und meinte: »Geh Resi, thu di nit ärgern; weißt, auf di spitzt schon a einer!«
Der Orgelbauer Franz war jetzt wirklich zu dem Diandltisch getreten und hatte sich dort ganz häuslich eingerichtet. Während die Unterhaltung immer lebendiger wurde, neckische Worte vom einen zum andern flogen, inzwischen auch wohl herausfordernde Vierzeilige gesungen wurden, deren Schneide keinen Vaterunser lang auf dem Betroffenen sitzen blieb, ohne noch schneidiger erwidert zu werden, hatte der Wasterl den Klaus in eine einsamere Ecke der Tenne gezogen und meinte mit unterdrückter Stimme: »Wie steh'n wir denn mit'n Kalender? Samstag, nit?«
»Dös geht mi nix an!« wollte der Klaus ausweichen.
»Aber mi!« sagte der Wasterl. »Morgen is's also Sonntag, und da gibt's beim Wirt in Birchabruck alleweil gut z' essen und gut z' trinken – und dös is mei Leibspeis!« Der Klaus that, als ob er nichts hören würde. »Hast schon amal den Teufel g'sehen?« fragte da der Wasterl.
»Mir is nix wissentlich!« sprach der Ochsenwirt.
Der Wasterl stülpte schnell beide Hosensäcke heraus: »Da schau dir'n an!«
Der Klaus wich einen Augenblick fast erschrocken zurück und rief: »So was verbitt' i mir in mei'm Wirtshaus da,« trat dann wieder näher und meinte etwas spöttisch: »Da sieh i nix!«
»Dös is eben der Teufl,« lachte der Wasterl, »wenn man eins auf'n Kopf stellen könnt', ohne daß a Kreuzer außifallt!«
»Aha! geht's aus dem Ton!« Der Klaus wollte sich zum Gehen anschicken.
»Ton hin oder Ton her! Geld her, sag' i! Oder i schrei' – Hallo, Leuteln!«
Der Klaus hielt ihm den Mund zu und raunte ihm wütend ins Ohr: »So! Is dös der Lohn, daß i di Jahr für Jahr umsonst fütter' und daß d' umadum ausschaust wie a Blasengel!«
»'s Neueste, was i hör'!« rief der Wasterl verbissen. »Da hätt' i ja bald Zeit, zum Faßbinder z' gehn. Gut, daß i's weiß! Und morgen will i beim Birchabrucker Wirt mein Hasenbraten essen!«
»Gibt's epper bei mir koan Hasenbraten?« polterte der Ochsenwirt.
»Ja, ja, Steingruber,« lachte der Wasterl auf. »Zutrauliche Viecherln dö Hasen!«
»Du lieber Gott, is dös a Kreuz auf Gottes Erdboden!« jammerte der Steingruber Klaus, zog seinen Geldbeutel und zählte dem Wasterl einige Kupfermünzen auf die flache Hand.
Der Wasterl zählte mit einem spöttischen Lachen nach und meinte dann, indem er das Geld in die Hosentasche schob: »So, das wär' amal 's Trinkgeld für die Kellnerin. Und iatz außer mit dem größeren Format – oder i schrei'! – Hallo, Leuteln, der Wasterl weiß was!«
Der Klaus drückte ihm eilends zwei Gulden in die Hand.
»Ja, was weißt d' denn, Wasterl? A Neuigkeit?« kam der Schneider auf ihn zugestelzt.
»Was gibt's denn?« fragte ein anderer.
»Könnt' mir vielleicht einer von Enk sagen, was wir heut für an Heiligen haben?« meinte der Wasterl gemütlich, indem er die beiden Guldenzettel zusammenknüllte und in das »Leibeltaschel« Westentasche. schob.
»Hab' andere Leut' für an Narren!« grollte der neugierige Schneider.
»Es is a Kreuz auf Gottes Erdboden!« jammerte der Steingruber Klaus.
»Geh, thu nit gar a so!« sprach der Wasterl mitleidig, »dö Kleinigkeit bringst bald wieder ein, kannst ja wieder amal auf d' Hasenjagd gehen. Jagdkarten wirst wohl eine haben? Ja richtig, ins Unterdach Estrich. aufi brauchst ja keine! Für d' Mäus' nimmst halt nachher dein mindern Schnaps um drei Kreuzer! Der bringt a Roß um! So, und iatz nix für ungut! Wir bleiben die Alten – du, der Wirt und i dei Kreuz auf Gottes Erdboden!« Der Wasterl mischte sich mit dem Geld für seinen Hasenbraten und dazu nötige Anfeuchtung wieder unter die übrigen. Ein neuer Tanz begann. Diesmal war der Wasterl aber nicht mehr mit von der Partie. Es sei ihm zu viel wirblig im Kopf. Sonst wolle niemand mit ihm tanzen, als die alte Barbel. Und »dös schwere Trampeltier« könne er nicht herumzerren.
Kaum war der neue Tanz zu Ende, als sich der eine Flügel des großen Thores, das von der Tenne ins Freie führte, öffnete und zwei abgerissene Gestalten hereintraten. In ihrem Gefolge befand sich der Liachtl-Toni.
»Die Herrschaften entschuldigen meine gefällige Kleinigkeit!« sagte der eine der Landstreicher mit einer tiefen Verbeugung.
»Der is amal ganz frisch vom Galgen abg'schnitten!« meinte der Schneider.
»Mir scheint, in der Höll' unten is's Thürschloß brochen!« lachte ein Bursche. »Dö zwei schauen ja aus, als wenn sie die Teufel selber z'rissen hätten!«
»Was sucht's denn ös da?« herrschte der Klaus die beiden an.
»Wir sein eing'laden da!« meinte der zweite Vagabund und stellte sich breitspurig vor dem Ochsenwirt auf.
»Ja, von wem denn?« schrie der Klaus.
»Vom Herrn Ochsenwirt selber!« erwiderte der Vagabund. »Herr Ochsenwirt!« damit zerrte er den Liachtl-Toni in den Vordergrund.
»Der a Ochsenwirt?« rief der Klaus wie besessen. »A Ochs is er, aber koa' Wirt!«
»Du, laß mir den Toni in Ruah!« mischte sich der Wasterl drein, der immer zu dem Halbnarren hielt. »Über'n Toni lass' i nix kommen. Er hat heut wieder sein guten Tag!«
Der Liachtl-Toni lachte sich verschmitzt in die Fäuste, weil es ihm gelungen war, den beiden Landstreichern, die jetzt ganz verdutzte Gesichter machten, einen Bären aufzubinden.
»Nur her da!« rief der Wasterl und nahm sie unter den Arm. »Heut wird alles freig'halten!«
»Dös leid' i da nit. A so a G'sindel!« warf der Steingruber Klaus dazwischen.
»Was, G'sindel!« entgegnete der Wasterl. »I hab' amal nit viel besser ausg'schaut, wie i auf der Wanderschaft war, und bin do a rarer Kerl word'n!« Der Klaus schwieg, und der Wasterl führte die beiden Fechtbrüder zum nächsten Tisch, wo er sie »brav« trinken machte. Der Liachtl-Toni lachte noch immer über seinen Spaß.
Es war schon nach Mitternacht, als sich die letzten Gäste des Klaus auf den Heimweg machten. Der Klaus selbst hatte sich schon früher »gezogen«. heimlich fortgestohlen. Er konnte es nicht länger mit ansehen, wie man seinen teuren Wein verschwendete, wenn er schon »g'wassert« war. Der Wasterl hatte heute gar keinen Grund und Boden. Und die beiden Landstreicher, mit denen der Wasterl gleich Bruderschaft gemacht hatte, soffen wie die Bürstenbinder. Der Liachtl-Toni machte ein ganz selbstzufriedenes Gesicht und ließ es sich ebenfalls wohl sein.
An einem andern Tisch saß der Orgelbauer Franz mit einem jungen Bauernburschen, der ihm bei seiner Arbeit Handlangerdienste that und recht anstellig war. Er reinigte die metallenen und hölzernen Orgelpfeifen vom Staub, bog neue Drähte für das Register zurecht, konnte auch mit Holzarbeiten gut umgehen, da er ein »gelernter« Tischler war. Der Franz hatte mit seinem Gehilfen noch mehreres für die nächsten Tage zu besprechen. Auch verspürte er keinen Schlaf und keine Lust, den Heimweg anzutreten, bevor nicht alle gegangen waren. Die Diandeln hatten sich schon zur Ruhe begeben. Zuletzt waren nur mehr die zwei Tische mit dem Orgelbauer und der andere mit dem Wasterl und seiner Gesellschaft besetzt.
Das Gespräch wurde am letztern Tisch immer leiser geführt. Die vier steckten die Köpfe zusammen und »tuschelten« wispern. ganz geheimnisvoll.
»Also is's wirklich wahr mit dem Schatz bei dem Karer See droben?« fragte der Toni, indem er seinen roten Kopf gegen den ersten Landstreicher bog, der sich Jackl nannte.
»Freilich!« versetzte der Kumpan des Jackl für diesen. Die Augen des Liachtl-Toni glänzten fast unheimlich.
»Also wirklich a Schatz!« rief er mit unterdrückter Stimme, gegen den zweiten Vagabunden gewendet. »Simerl, du bist a Goldkerl!«
»Is schon möglich!« mischte sich der Wasterl in das Gespräch.
»Es soll bei dem Karer See droben viel vergraben liegen, no von alten Zeiten her. Aber woher wißt's denn ös das?« fragte er die Landstreicher.
»Woher sollen wir's nit wissen?« bekräftigte der Simerl. »Unsereins kommt viel im Land umadum und hört dabei allerhand, was a andrer sei Lebtag lang nit z' hören kriagt! Der Schatz liegt amal droben. Dös hab' i schon häufig g'hört und weiß es so genau, daß i enk völlig 's Platzl zeigen könnt'!«
»'s Platzl!« rief der Wasterl, der von Natur aus abergläubisch war und dessen angeborene Habgier sich regte.
Der Liachtl-Toni war aufgesprungen. »So, 's Platzl a schon?« Dabei warf er einen mißtrauischen Blick auf den Franz und seinen Gehilfen in der hintern Ecke, ob man dort wohl von dem Gespräch nichts verstehen würde. Seine Finger krallten sich über der Tischplatte zusammen, als ob er in einer Truhe voll Dukaten wühlen wollte.
»Es is aber a heiklige Sach',« sagte der Jackl. »Der Teufl is a meistens bei dem Schatzgraben im Spiel. Und wenn ein'n der amal beim Kragen hat, laßt er nimmer leicht lugg.« los.
»O, da gibt's Gegenmittel,« beruhigte der Wasterl. »Zu was hätt' man denn alle dö g'weihten Sachen und Kräuter und Amulett'!«
»I hab' oben in meiner Kammer a altes Zauberbuch!« flüsterte der Liachtl-Toni geheimnisvoll. »Die alte Kathrein von Langesbach, die voriges Jahr g'storben is und wo d' Leut' allgemein g'sagt haben, sie könn' hexen, hat mir's amal g'schenkt. Da steht alles drinnen, wie man thun muß.«
»Ah was, Zauberbuch!« meinte der Jackl, sich in die Brust werfend. »A Praxis muß man haben in dö Sachen. Dös geht über alle Bücher. Was kümmert si der Teufl um alte Zauberbücher. Wenn's ihm g'fallt, holt er di do, mitsamt dei'm Buch!«
»Meinst?« lachte der Liachtl-Toni halb verlegen.
»Die Hauptsach', was man haben muß, is a g'weihtes Amulett, dös a reine Jungfrau auf ihrem Herzen 'tragen hat,« erklärte der Jackl.
»Dös will i mir schon verschaffen!« meinte der Liachtl-Toni leise.
»Für heut is's g'nua!« sagte der Wasterl, zum Aufbruch drängend. »Gehn wir schlafen. Sonst kommen mir die höllischen Geister no im Traum vor. Morgen is a no a Tag, wo si alles in Ruah aussprechen laßt!« Die Gläser wurden geleert. Die vier Schatzgräber brachen auf. Der Wasterl wies den beiden Vagabunden noch ihre Schlafstelle im Heu an.
»Wir haben iatz wohl auch Zeit!« meinte der Steingruber Franz zu seinem Genossen und trat mit ihm ins Freie.
Die beiden mochten sich kaum zwanzig Schritte entfernt haben, als durch eine kleine Thüre in der Seitenwand der Tenne, welche dieselbe mit dem übrigen Haus in Verbindung setzte, die Emerenz trat. Das junge Mädchen hatte nur einen Rock übergeworfen und ein dickes Wollentuch um die Schultern geschlungen. Von ihrem Kammerfenster aus hatte sie gesehen, daß in der Tenne noch Licht sei, und war besorgt aufgestanden, weil ja in dem ausgetrockneten hölzernen Bau leicht Feuer entstehen konnte. Sie hatte sich nicht getäuscht. Noch mehrere Lichter brannten und flackerten in dem Windzuge, der durch das halboffene Tennenthor kam, unruhig hin und her.
Das Mädchen löschte die Lichter behutsam aus. Dann öffnete sie einen der breiten Flügel des Thores ganz. Es war ihr fast unheimlich geworden in dem weiten dunkeln Raume. Das volle Mondlicht fiel nun herein. Die Nacht war ziemlich kühl, so daß die Emerenz ihr Tuch fester um die Schultern zog. Draußen lag die schweigende Berglandschaft im Mondlicht. Der dunkle Wald baute sich in der Höhe auf. In der Tiefe rauschte der Eggenbach. Vom nahen Freithof sah man wie ein halb verglommenes Sternlein das rote Ampellicht schimmern, das vor dem großen Missionskreuz an jedem Samstag brannte. Das Mädchen sog in vollen Zügen die frische Luft ein. Es wurde ihr ganz wohl zu Mute. Sie hatte noch keinen Schlaf gefunden und bedauerte es gar nicht, daß sie durch die Fahrlässigkeit der Gäste zum Aufstehen gezwungen worden war. Da war es jetzt so luftig und frei, ganz anders als in der dumpfen Schlafkammer. Das Mädchen lehnte eine Weile den Kopf an den Thorpfosten und schloß die Augen wie zu leisem Halbschlummer.
Da hörte sie auf einmal ihren Namen mit unterdrückter Stimme hinter sich rufen. »Emerenz! Emerenz!« rief es. Sie wandte sich mit einem Schrei um. Der Liachtl-Toni stand vor ihr.
»Was willst du no da?« fragte die Emerenz unwirsch und zugleich geängstigt durch die seltsame Miene des Toni. Es lag etwas von Weinseligkeit darin, zugleich aber auch eine Art fanatischer Freude.
»Dös könnt' i di a fragen!« lachte der Toni kurz auf.
»I hab' die Lichter ausg'löscht!« entgegnete das Mädchen. »Dir wär's freilich gleich, wenn 's ganze Haus in Brand käm'!«
»Ganz gleich!« rief der Toni. »Soll's abbrennen bis zum Grund! I kann an seiner Stell' an Palast bauen! Ha! ha!«
»Wenn d' narrisch sein willst, sei's, aber mi laß mit dei'm dummen G'red' in Ruah!« zürnte das junge Mädchen und wandte sich zum Gehen. »Und dös möcht' i mir künftighin a verbeten haben, daß du mir überall nachschleichst wie a Katz'! Geh deine Weg' und laß mi im Frieden!« Sie war bis zu der kleinen Stiege gekommen, die durch die niedere Seitenthüre von der Tenne in das Haus führte.
Der Liachtl-Toni war mit einem Sprung an ihrer Seite und faßte sie am Arm: »No an Augenblick wartest!«
»Z'ruck, sag' i!« rief das Mädchen sich losreißend, »oder i schrei' um Leut'!«
»Schrei'!« murmelte der Toni und biß die Zähne aufeinander. »Du hast a g'weihtes Amulettl auf'm Herzen, und dös mußt mir geben!« Ehe es das Mädchen wehren konnte, hatte er ihr Tuch beiseite geschoben und das farbige Band erwischt, an dem sie das Amulett trug. Ein Ruck, ein Riß, das dünne seidene Band brach, und der Liachtl-Toni hatte das Amulett, einen in roten Seidenstoff eingenähten Gnadenpfennig, den er mit einem unterdrückten Lachen in die Höhe hielt.
»So, weiters will i amal nix! I dank' dir schön!« sagte der Toni.
Die Emerenz war einen Augenblick starr vor Schrecken und Entrüstung. Dann zog sie, indem eine flammende Röte ihr bis in den Nacken fuhr, ihr Tuch eilig über der Brust zusammen und griff nach dem Amulett, mit dem der Liachtl-Toni an den Mondschein getreten war.
»Du frecher, elendiger Kerl! Mei Breverl Amulett. gibst her! Es is no von der Mutter selig!« Der Emerenz war das Weinen nahe. Sie wollte dem Toni das geweihte Andenken entreißen. Der schob sie aber zurück. »Mei Breverl!« schrie das Mädchen noch einmal auf und wollte gegen den Räuber. Da warf das Mondlicht einen Schatten vom Tennenthor her, und im nächsten Augenblick stand der Orgelbauer Franz zwischen den beiden.
»Was gibt's da?« fragte der junge Bursche, während sich der Liachtl-Toni gegen die Wand der Tenne zu drücken suchte.
»Mei Breverl hat er mir g'stohlen!« Der Emerenz rannen vor Zorn und Aufregung die hellen Thränen über die Wangen.
Der Toni hatte das Amulett in einer Faust zusammengeballt, so daß nur mehr ein Endchen des seidenen Bandes hervorguckte.
»Hergeben!« rief der Steingruber Franz und faßte den Burschen an der Brust.
»Hol' dir's!« knirschte der Toni, indem er sich zur Wehr setzte.
»Wart' nur, du narrischer Kunt!« Kerl. keuchte der Orgelbauer, mit ihm ringend. Da gelang es ihm, seinem Widersacher ein Bein zu stellen, so daß der Toni »allerlängs« der ganzen Länge nach. auf den Boden niederstürzte. Der Franz kniete ihm auf die Brust, hielt den einen Arm des Liachtl-Toni mit seiner rechten Hand umklammert und preßte mit der Linken das Handgelenk des Liegenden wie in einem Schraubstocke, daß der Toni mit einem Schmerzensschrei die zusammengekrallten Finger öffnete und das Amulett fahren ließ. Der Franz nahm es zu sich und ließ den Burschen aufstehen, der sich am ganzen Körper wie zerschlagen fühlte, sich mühsam erhob und dann mit einem Fluch das Freie suchte.
Jetzt ging der junge Orgelbauer auf die Emerenz zu, die zitternd beiseite stand, und reichte ihr das erbeutete Andenken.
»I dank' dir viel tausendmal, Franz!« hauchte das Mädchen, knüpfte das Seidenband an der gerissenen Stelle wieder zusammen, legte es um den Hals und schob das Amulett hastig unter das Wollentuch.
»Nix zu danken!« meinte der Franz. »Es is ja gern g'schehen!«
»Das weiß i,« sprach das Mädchen leise.
»I ging' ja durchs Feuer für di!« rief der junge Orgelbauer, indem er in einer plötzlichen Erregung beide Hände der Emerenz ergriff und sie warm drückte. Das Mädchen ließ es geduldig geschehen. Ein heller seliger Strahl brach aus ihren Augen. Ihr Atem flog schneller, sie wollte etwas sprechen und fand nicht das richtige Wort.
»Du bist mir ins Herz g'wachsen, wie a blühender Zweig, Emerenz!« sagte der Steingruber Franz leise, indem er das Mädchen näher an sich zog.
»Und i weiß, du bist mir a gut, vom Herzen gut! Und du denkst an mi, Diandl, wie i an di denk', bei Tag und Nacht. Wer hätt' mir denn sonst am heiligen Blutstag das Sträußerl aufs Fenster g'legt, als du! I hab's no, trag's alleweil bei mir, auf mei'm Herzen, und das is mei g'weihtes Amulett!«
»Franz, laß mi! Franz!« flehte das Mädchen und wollte sich aus den Armen des Orgelbauers winden, der sie sachte an seine Brust gezogen hatte.
»I laß di nimmer, Diandl!« rief der Franz und drückte ihr einen brennenden Kuß auf die Lippen.
»Was sollen wir es uns no länger verheimlichen, daß wir einander gern haben, so treu und fest, wie ein Asterl am selben Baum das andere, wie der weite Himmel seine glänzenden Stern'. I hab's längst in deine Augen g'lesen, Emerenz, wie's in dei'm Herzen steht. Und Tag für Tag hab' i zu dir gehen wollen und dir alles sagen. Es hat mir völlig die Brust auseinanderg'sprengt. Jetzt is es heraus. Und jetzt sag' mir's du a, daß d' mi liab hast, daß d' mei Weib werden willst. Auf die Händ' will i di tragen dei ganzes Leben lang. Koa spitzig's Stoanl soll an dein Fuß kommen und koa Dorn deine Handerln stechen! Emerenz! Diandl!«
Mit einem unterdrückten Jubelschrei schlang jetzt das junge Mädchen ihre Arme um den Hals des Orgelbauers: »Ja, i hab' di liab. Und i will nimmer lassen von dir! Und sollt' uns alles im Weg stehen, i bleib' bei dir, Franz!« flüsterte sie, sich an ihn schmiegend.
Eine Weile standen die beiden schweigend und wie versunken in ihr Glück. Dann machte sich das Mädchen langsam aus der Umarmung los und flüsterte erschrocken: »Wenn uns da wer sehen würd', was sollt' er meinen! Geh heim iatz, Franz, denk' an mi, laß mi iatz allein! Es is spät –« Sie drängte ihn mit sanfter Gewalt von sich. Da hob sie der junge Bursche empor, indem er sie um die Mitte faßte. Und während sie in der Luft schwebte, lachte sie auf ihn nieder. »Ja, es is Nacht,« sagte der Franz, während er das Mädchen wieder auf den Boden gleiten ließ, »aber so will i di zeigen allen Leuten, beim helllichten Tag, mei Leben, mei Glück, mei Tagsliacht!« Noch einen heißen Kuß preßte er auf ihren Mund und eilte mit einem leisen: »Gute Nacht, Emerenz! Die goldenen Engerln sollen Wacht stehn an dei'm Bett!« ins Freie.
Das junge Mädchen sah ihm noch nach, bis er um die Ecke eines benachbarten Bauernhofes verschwand. Dann preßte sie die Hände auf das pochende Herz und eilte durch die Tenne in das Haus zurück nach ihrer Schlafkammer.
Der Steingruber Franz, dem man im Widdum Pfarrhaus. ein freundliches Zimmer eingeräumt hatte, ging nicht auf dem nächsten Weg nach seiner Behausung. Er machte noch einen Gang um das Dorf. Es war ihm so hell und fröhlich zu Mute und so leicht ums Herz, als ob er fliegen könnte weit über die Berge und Thäler, weit hinein in den mondbeglänzten Nachthimmel.
Und als er so langsam vor sich hinging, dachte der Franz nach, wie das alles gekommen war. Sein ganzes Leben zog an ihm vorüber. Von den Kinderjahren, wo er mit der Emerenz »Schneider leih' mir die Scher'« spielte, bis zur Zeit, da sie beide an dem gleichen Tage gefirmt wurden. Dann war der Franz in die Fremde gezogen. Das Bild seiner Jugendgespielin trug er mit im Herzen. Und als er heimkam, war sie zu einer stattlichen Dirn herangewachsen. Die Neigung der Kinder war zwischen den beiden geblieben, nur daß es jetzt auf beiden Seiten ganz anders wurde. Da klopfte und hämmerte es in den jungen Herzen und läutete und klang drinnen und gab einen wunderschönen hellen Ton wie Glockengeläute an einem hohen Festtag. Thür aus und Thür ein gingen in den beiden Herzen die Gedanken, bis sie endlich einander trafen. Hatte lang gebraucht, bis diese Gedanken zu Worten wurden. Jetzt war es geschehen. Gottlob, jetzt war es entschieden. Jetzt brauchte der junge Bursche keinen Zweifel mehr zu hegen, ob er Wolken oder Sonnenschein in seiner Seele haben sollte zeitlebens. Sonnenschein war's, Sonnenschein, lichter flutender Sonnenschein mitten in der Nacht.
Es geht doch oft eigentümlich zu auf der Welt. Der Franz war aus demselben Beweggrund nach der Tenne zurückgekehrt, der das junge Mädchen aus seiner Schlafkammer getrieben hatte. Er hatte seinen Begleiter verlassen, als sie beide ein Stück Weges mitsammen gegangen waren, um die Lichter beim Steingruber auszulöschen, damit ja kein Brand entstünde. Die Lichter waren schon ausgelöscht, und dennoch entstand ein Brand zwischen zwei jungen liebenden Herzen. Und beiden war in jener einsamen Stunde das Licht ihres Lebens aufgeleuchtet. Bei Tage hätte es der Franz vielleicht lange noch nicht gewagt, den stürmischen Gefühlen seines Herzens Luft zu machen. Nun mußte es wohl der liebe Herrgott so gefügt haben. Er staunte jetzt selbst, der Franz, wie er den Mut gefunden, so gleich mit der Thüre ins Haus zu fallen.
Zwei Sorgen schlichen sich allerdings noch in seinen Jubel. Da war einmal die Feindschaft des Vaters der Emerenz mit seinem eigenen Vater. Und dann waren ja er und die Emerenz Geschwisterkinder. Dafür giebt es aber päpstliche Dispens, tröstete sich der Franz, wenn man auch über die Heirat reden wird im Eggenthal. Aber welche Heirat gäbe nicht Stoff für die bösen Mäuler! Und er, der Franz, sei imstande, mit seinem Gewerbe allein ein Weib und Kinder zu ernähren, wenn sich auch die ganze »Freundschaft« alle Verwandten. dagegen stemmen auflehnen. würde. Junge Liebe ist ja so hoffnungsreich. Der Himmel hängt ihr voll Baßgeigen.
Während Franz den Rückweg zum Widdum einschlug, sang er leise vor sich hin das gleiche Lied vom »Häusl am Roan«, das sein Vater und seine Mutter vor dreißig Jahren in der Laube des Wirtsgärtels gesungen hatten. Die Lieder des Volkes altern nicht und werden von Geschlecht zu Geschlecht zu heimlichen und beredten Zeugen von Glück und Leid, von Jauchzen und Weinen ihrer Sänger.
Der Steingruber Franz trat durch die hintere Pforte des Widdums, welche meistens offen stand, zog seine Schuhe aus und schlich auf den Strumpfsocken leise nach seinem Zimmer, um die beiden hochwürdigen Herren und die Jungfer Häuserin nicht zu wecken.
Hinter dem Weißdornzaun, der den Garten des Widdums auf der Seite gegen die Straße abschloß, richtete sich, als der Franz in das Haus getreten war, eine gebückte Gestalt auf und ballte die Faust gegen den Widdum. Es war der Liachtl-Toni.
»Ha! ha!« lachte der Halbnarr in sich hinein und sprach für sich selbst. »Du lumpiger Orgelflicker! No hat die zwölfte Stund' nit g'schlagen. Und wer z'letzt lacht, lacht am wohlfeilsten! Den Schatz will i heben bei dem Karer See droben. Und is es epper etwa. schon ausg'macht, was für a Spiel der Emerenz besser in ihre Ohren klingt – deine alten Orgelpfeifen und Blasbälg' oder meine Goldfüchs'!« Der Liachtl-Toni steckte beide Hände in die Hosentaschen, als ob er mit den Dukaten klimpern wollte, und lachte: »Kling! kling! Das is ganz a anders Spiel! Hat so an vornehmen Klang! Ausg'lacht und verspottet haben mi die Leut' mei Lebtag lang. Aber sie werd'n si no bucken lernen vor mei'm goldenen Spiel! Und nachher lach' i! Und alles is mein!« Der Toni ballte seine Fäuste noch einmal über den Gartenzaun und rief wie in wildem Triumph: »Mein! mein! mein!«
Dann riß er einen Zweig von der Hecke, biß ihn zwischen die Zähne und wirbelte den Stiel wie eine Drehkurbel rund herum. Pfeifend wandte er sich das Dorf abwärts zum Ochsenwirt.
*
Die beiden Vagabunden waren nach einer Woche noch im Ochsenwirtshaus und hatten sich ganz seßhaft gemacht. Klaus meinte, wenn man ihn fragte, warum er solches Gesindel im Haus dulde, daß er sie gegenwärtig ganz gut beim Dreschen brauchen könne. Bei der Arbeit waren aber der Jackl und der Simerl nicht oft zu sehen. Und wenn sie sich je blicken ließen, wußten sie mit Pfeifenstopfen, Anzünden und dergleichen die Zeit ganz trefflich zu vertreiben.
Meistens saßen sie mit dem Wasterl, der sich ganz in seinem Element fühlte, in der Wirtsstube und spielten Karten, wobei jeder trachtete, daß er im Betrügen noch pfiffiger sei als der andere.
Man hatte den Klaus in das Schatzgeheimnis eingeweiht. Der alte Geizhals war gleich Feuer und Flamme dafür. Und das war eigentlich der wahre Grund, warum die beiden »Dörcher« Landstreicher. beim Ochsenwirt ein Herrenleben führten. Wenn man sie fortziehen ließ, dann konnten sie ja ihr kostbares Geheimnis anderswo verkaufen.
Bis zum nächsten Vollmond sollte man noch warten. Der Jackl und der Simerl trachteten, die guten Tage nach Möglichkeit auszunützen. Weiß Gott, wann sie wieder jemand finden würden, der dumm genug wäre, ihnen auf den Leim zu gehen.
Der Klaus ging den ganzen Tag im Hause herum wie eine Henne, die ein Ei legen will. Nirgends ließ es ihm Rast und Ruhe. An einem trüben Herbstabend hatte er mit dem Wasterl eine geheime Unterredung. Sie wollten beide zusammen allein den Schatz heben, meinte der Klaus, und ihn redlich teilen. Die andern brauchten nichts davon zu wissen. Der Wasterl, der schon wieder halb berauscht war, ging mit Vergnügen auf den Vorschlag ein und meinte, »a bißl zaubern« könne er schon auch, wenn es drum und drauf ankäme, und das »Platzl«, wo der Schatz vergraben liege, habe ihm der Jackl verraten.
Als die Dunkelheit vollständig hereingebrochen war, schlichen sich der Klaus und der Wasterl aus dem Hause. Ersterer trug eine Schaufel und einen Pickel. Der Wasterl hatte sich mit dem großen Kessel aus der Waschküche beladen. Das sei gar nicht notwendig, meinte der Steingruber Klaus. Er wisse das besser, protestierte der Wasterl und trottete mit dem Kessel voraus, so gut ihn seine Füße trugen.
Auf Umwegen kamen die beiden unbemerkt aus dem Dorf und schlugen den kürzesten Weg nach dem Hochwald ein. Sie bemerkten es nicht, daß ihnen der Liachtl-Toni in einiger Entfernung nachschlich.
Es führt ein steiler Weg zu dem am Fuße des mächtigen Latemargebirges gelegenen Karer See. Kein Mond, kein Stern zeigte sich am Himmel. Der Sturm jagte in der Höhe die Wolken und machte sich in einzelnen heftigen Stößen auch schon im Thale bemerkbar.
Der Wasterl hatte eine Laterne mitgenommen, die er halb versteckt unter seiner Lodenjoppe trug, damit der Wind das Licht nicht verlösche. Bei dem schmalen Schein, den die kleine Flamme kaum zwei Schritte vor den Wanderern warf, suchten sie mühsam ihren Weg.
Der Sturm brauste und heulte in den Wipfeln der Bäume und drohte die beiden nächtlichen Wanderer in wütendem Anprall oft zu Boden zu werfen. Selbst dem Wasterl war seine gute Laune vergangen. Er hielt sich nur mühsam mehr aufrecht und glaubte, die Füße müßten ihm jeden Augenblick an den Knien mitten entzwei brechen. Der schwere Kessel, unter dessen Last er keuchte, drohte ihn gleichfalls zu Boden zu drücken. Aber es galt ja, den großen Schwedenschatz zu heben bei dem Karer See, von dem sich der Wasterl dunkel erinnerte, selbst schon in seiner Jugend erzählen gehört zu haben. So klomm er hinter dem ächzenden Klaus weiter und holte sich von Zeit zu Zeit Stärkung aus einer großen Schnapsflasche, die er bei sich trug.
Der Sturm hatte das Gewölk in der Höhe zerrissen. Jetzt kam die sich schon zum Vollmond rundende Sichel am Himmel zum Vorschein und beleuchtete ihren Weg.
Nun waren sie am See, den man, im dichten Wald versteckt, nicht eher sieht, bevor man an seinen Ufern steht. Dort sollte der Schatz vergraben liegen unter einer großen Weißtanne, dem einzigen Baum dieser Art, welcher daselbst gedieh. Da stand die Tanne. Der Sturm hatte ihre Äste geknickt und ihren Wipfel zerzaust. Sie war nahe dem Ufer des Karer Sees emporgewachsen, in welchem der Sturm große Wellen warf. Das Licht des Mondes brach sich in den erregten Fluten und es gewann fast den Anschein, als wenn hunderte von leuchtenden Blitzen in ununterbrochener Folge über die Oberfläche des Sees hinzucken würden.
Der Klaus schlug fortwährend große Kreuze vor sich hin und murmelte Stoßgebete. Der Wasterl, den der Schnaps wieder angeheitert und innerlich erwärmt hatte, gewann seine Laune zurück.
»So, da wären wir!« schnaufte er. »Aber a Kälten hat's! Man könnt' völlig mit die Knie Feuer schlagen vor lauter Kälten!« Er ließ den Kessel auf die Erde poltern, daß er einen dumpfen Schall gab.
»I bitt' di, lieber Wasterl, klapper klirren. nit so mit'm Kessel und mach' nit so an Rebell, sonst sein wir so g'wiß hin, wie dem Judas sei Seel'!« flehte der Klaus ängstlich.
»Da muß i iatz schon bitten!« entgegnete der Wasterl obstinat. »Reden thu i, wie i will! Dös hab' i mir von klein auf nit wehren lassen! Kreuzdonnerwetter no amal eini!«
Der Klaus machte einen Luftsprung vor Schrecken. »Wasterl! Dös a no! Koa laut's Wort soll man reden beim Schatzgraben, und du fluchst wie a Scherenschleifer!«
»Dös is G'wissenssach'!« meinte der Wasterl trocken und begann aus herumliegenden Steinen einen Herd für den Kessel zu bauen und Reisig zu sammeln.
Der Klaus suchte in seinen Taschen und brachte schließlich ein Stück Kreide zum Vorschein. »Dös wär' die g'weihte Kreiden zum Zauberkreis,« flüsterte er. »I weiß nit, soll i mi trauen?«
»So gib her, du Furchthenn'!« rief der Wasterl und riß ihm die Kreide aus der Hand.
»Ja, dös geht nit so einfach!« wendete der andere ein.
»I mach's schon verzwickt!« kompliziert. sagte der Wasterl und taumelte, die Kreide gegen den Boden haltend, eine Weile im Kreise herum.
»Dös wird ja koa Kreis nit! Du kannst ja gar nimmer auf d' Füß' stehen. Dös wird ja wie a Bandelwurm, der den Grimmen Leibschneiden. hat!« protestierte der Klaus.
»Alles dei schlechter Schnaps schuld!« brummte der Wasterl, indem er das Übergewicht bekam und auf einmal am Boden saß. Dann meinte er gemütlich zu seinem Begleiter: »Du Ochsenwirt, wenn d' halt bei G'legenheit a bißl in mein Kreis einihupfen hineinspringen. thätest. Man hört dort und da sagen, der höllische Schürmeister packt alles gleich z'sam', was er außerm Mark antrifft!«
»Jessas! Bin i iatz erschrocken!« schrie der Klaus auf und beeilte sich, in die nächste Nähe seines Genossen zu kommen.
Wasterl machte einen vergeblichen Versuch, unter dem Kessel Feuer anzuzünden, und gab schließlich dieses Vorhaben auf. Eigentlich wußte er selbst nicht, wozu das Wasser, das er am Ufer des Sees geschöpft hatte, dienen sollte. Der Wasterl, der selten nüchtern war, nahm eben, wie wir es bei solchen Leuten häufig zu finden pflegen, den ersten Gedanken, der ihm durch den Kopf schoß, gleich auf und ging an dessen Ausführung, wenn der Gedanke auch noch so unsinnig und nutzlos war. So hatte er, weil er vielleicht einmal von einem Hexenkessel gehört hatte, das schwere Instrument in seinem Halbrausch bis zu dem Karer See geschleppt.
Der Steingruber Klaus, der wieder etwas mehr Mut bekommen hatte und in dem die Ungeduld erwacht war, drängte, man solle nun endlich nach dem Schatz zu graben beginnen. Das Wasser im Kessel könne noch immer gewärmt werden, wenn der Sturm etwas nachgelassen habe.
Der Wasterl war damit einverstanden. Beide begannen den steinigen Boden aufzuschürfen. Der Klaus befand sich in fieberhafter Aufregung und glaubte jedesmal, wenn er mit dem Pickel auf einen harten Gegenstand stieß, er habe bereits das eiserne Kistchen, voll von Gold und Edelsteinen. Der Wasterl schaffte das aufgeschürfte Material mit der Schaufel beiseite.
Je tiefer sie gruben, desto mehr regte sich der Geiz des Steingruber Klaus. Es wurmte ihn gewaltig, daß er den Schatz mit dem Trunkenbold an seiner Seite teilen sollte. Bald lieh er auch seinen Gedanken Worte und begann mit dem Wasterl zu feilschen, daß doch die Edelsteine ihm allein gebührten und von dem Gold auch ein beträchtlicher Teil und daß er den Wasterl mit dem übrigen schon befriedigen wolle.
Da hatte er es aber bei diesem ganz falsch erraten.
Der Wasterl, dessen Habgier nicht geringer war als die des Ochsenwirtes, hatte eine ähnliche Reihe von Empfindungen und Gefühlen durchgemacht, wie der Klaus.
Der Streit beider um die Teilung des Schatzes wurde immer heftiger und erbitterter. Dem Wasterl begann der reichlich genossene Schnaps zu Kopfe zu steigen, und er schrie vor Wut schäumend, indem er seine Schaufel wegwarf und den Klaus bei der Brust packte: »Willst mi recht in d' Hitz bringen, du Lump! Mein g'hört das Gold im Kistl, weil i's brauch', und mein g'hörn die Edelstoan', weil i a armer Mensch bin!«
Der Klaus schleuderte ihn von sich und rief: »Vom Hof jag' i di! Nachher kannst betteln gehn! I hab' di iatz lang g'nua g'füttert! Und dös is der Lohn und der Dank dafür!«
»Du mi vom Hof jagen!« zischte der Wasterl erbittert, indem er sich im Wasser des Kessels das erhitzte Gesicht wusch. »Du mi jagen! Probier's! Wollen schauen, wer eher geht! I glaub' völlig, du müßtest voran, ins Zuchthaus, wo d' schon lang hing'hörst, du Vatermörder!«
Der Klaus wollte ihn an der Gurgel fassen. Der Wasterl entriß ihm aber den Pickel und schwang ihn drohend gegen den Angreifer: »Rühr' mi an, und es is dei letztes End'! Ja, Vatermörder! Und no amal Vatermörder! Du hast dein' Vater, den alten Steingruber, um'bracht, Klaus! I hab' di g'sehn oben im Wald, wie d' paßt und g'lauert hast auf dein' eignen Vater, damit d' die reiche Erbschaft antreten kannst und dein' ältern Bruder um Haus und Hof bringst! Du hast den Baum abig'wälzt über den ausg'rodeten ausgeholzten. Waldteil auf den Steig, wo der alte Steingruber heimgehen hat wollen. Dei eigner Vater hat's no g'sehn, wie der Baum über ihn is, und hat no g'rufen: ›Klaus! Mei eigner Bua bringt mi um!‹ I weiß es no, als wenn's heut wär'! Dann hat man an gellen Schrei g'hört drunten, dann hat's no a bißl g'wimmert und g'stöhnt, und dann is alles ruhig worden, mäuselstad, mäuschenstill totenstill. Und i hab' das alles g'sehn, i, der Wasterl. Und wie i hinter dir g'standen bin und dir die Hand auf die Schulter g'legt hab', bist herumg'fahren, bleich wia a G'spenst. G'wälzt hast di vor mir aufm Boden und hast mi bettelt um Gotts willen, i soll di nit verraten. Und i hab' nix verraten. I weiß, i bin a Lump und nit viel besser als du! Aber dös is der wahre Grund, warum du mi jahrlang g'füttert hast auf dei'm Hof, wenn's d' vielleicht vergessen hast und i dir's wieder amal sagen muß. Und der Grund is 's nit allein!«
Der Klaus lehnte mit dem Rücken an der Wettertanne. Er ließ den Kopf hängen, zitterte am ganzen Körper und murmelte halb blöd vor sich hin: »Is dös a Kreuz auf Gottes Erdboden!«
Der Wasterl war zu ihm getreten und schrie ihm in die Ohren: »Schneid' nur a Gfriß wie a Pfann' voll kranke Teufel! Wahr is es! Alles is wahr! Leugn's, wenn d' kannst! – Und amal is a blutarm's Diandl g'wesen, dös hast gern g'habt, 's is nit dö, die d' nachher g'heiratet hast. Hast es gern g'habt dös Diandl, Klaus, und bist oft zug'kehrt bei ihm. Hast ihm's Heiraten versprochen. Und auf einmal, wenn d' sie von weitem g'sehen hast, bist an Umweg gangen, damit du ihr ja nit begegnest! – Und eines Tags is dös Diandl zu dir ins Haus kommen und hat g'weint und hat di auf die Knie bettelt, daß d' sie vor der Schand' bewahrst und nit ins Elend treibst! G'weint hat sie, daß si a Stein drüber hätt' erbarmen können. Du hast sie außi g'jagt aus dei'm Hof. Soll i di nit bei Haar und Ohren auflupfen, in die Höhe reißen. daß dir alle fünf Weltteil' vor die Augen tanzen! Und vertuschen hast's wollen, du Karfreitagjud! Geld hast dem Diandl geben. Sie soll si nix draus machen und gehn – aber schön stad sein! – 's Geld hat's dir vor die Füß' g'worfen und gangen is, und stad is 's g'wesen bis zum Grab. Niemand hat's g'wußt, außer i. Mir hast auch Geld geben. Es reut mi, soviel i Haar am Kopf hab', daß i dir's g'nommen hab'! – Und amal is 's nachher g'wesen z' Telfs im Oberinnthal, wo das Diandl mit ihrem Elend si zu einer Basl g'flüchtet hat g'habt. – Da sein vier Totentrager bei stockg'schlagner Nacht mit a Truchen in Freithof abi. Und g'sprungen sein's, als wenn's was g'stohlen g'habt hätten. I allein bin mit der Leich gangen und bin ihnen kaum nachkommen. Wer hätt' a sonst no mitgehen sollen! Hätt' si ja a jedes g'schamt für si selber, weil dös Diandl a ledig's Kind g'habt hat und dabei g'storben is. Der Pfarrer selber hat si's no a Weil' überlegt, ob er die Leich' wohl kirchlich einsegnen soll. Im hintersten Winkl vom Freithof haben sie's eing'schaufelt, als wann's a Hund g'wesen wär'. Und i bin mutterseelenallein niederkniet an ihrem Grab und hab' an Vaterunser betet und hab' ihr an Weihbrunnen geben. Und der Mond hat g'scheint, und der Wind is gangen und hat's Freithofgatterl auf und zu trieben. Auf'm Boden haben die Lauber g'raschelt, und die Grabkreuz' haben g'ächzt und knarrt, daß ei'm völlig unheimli worden is. – Und wie i wieder z'rückgekommen bin nach Wälschnoven, was war's erste, das i g'hört hab'? – Musi und Tanz hab' i g'hört vom Ochsenwirt her. Der reiche Klaus hat Hochzeit g'halten! Da hab' i's nimmer erlitten, und g'sprungen bin i a paar Stund' durch'n Wald, ohne Rasten, grad' daß i dö gottverdammte Musi nimmer g'hört hab'! – Und nachher, wie i dir dei Kind vor die Thür g'legt hab', hast di no a Weil' b'sonnen, obst's nit erfrieren und verhungern lassen sollst draußen! Da hab' aber i a Wörtel mit dir g'red't. Nachher hast es schon g'nommen. Und die Leut' haben di g'lobt und haben g'meint: ›O, der Steingruber Klaus is a guter Mensch, hat a ganzes Lebzeltenherz Lebkuchenherz, d. i. ein weiches Herz.] im Leib!‹ I dank' für dös Lebzeltenherz! Und wie hast dös Kind behandelt? Spottschlecht! Beutelt hast'n dein' Buab'n und den Kopf hast ihm zerschlagen, bald rechts und bald links, als wenn der Hascher Armer Kerl. dafür g'könnt hätt', daß er auf der Welt is. Und wer is 's denn g'west, du alter Spitzbua, den du zu an halben Lappen Kretin. g'schlagen hast! Dei eigen's Fleisch und Bluat is 's g'west: dei Kind und's Kind von meiner armen Schwester, der Zenzi, – der rothaarige Liachtl-Toni!« –
Hinter der Tanne ertönte auf einmal ein unartikulierter Schrei. Eine dunkle Gestalt sprang mit katzenartiger Geschwindigkeit hervor und würgte den Klaus, der noch immer zusammengeknickt am Baume lehnte, gegen den Stamm.
»Du mein Vater!« schrie der Angreifer, gell auflachend. »I erwürg' di, mach Reu' und Leid! Dein Stündel hat g'schlagen! Mach' di reisfertig, Vater!«
»Himmel hilf!« stöhnte der Klaus, während der Wasterl mit aller Anstrengung den Burschen von dem Ochsenwirt zurückriß.
Der Liachtl-Toni fuhr mit den Armen durch die Luft und keuchte: »I muß'n erwürgen!«
Kaum fühlte sich der Steingruber Klaus frei, als er seine letzte Kraft zusammenraffte und über Stock und Stein davonrannte. Der Toni wollte dem Fliehenden nach, wurde aber vom Wasterl verzweifelt zurückgehalten.
Dieser, der durch den ausgestandenen Schreck wieder nüchtern geworden war, suchte ihn zu beschwichtigen.
»Aber Toni, um Gottes willen, was hast denn? Was hast a horchen müssen! Daß d' a lediges Kind bist, hast ja g'wußt, und daß der Klaus dein Vater is, weißt iatz. Schau, gern hab' i di alleweil g'habt. Du hast mir oft erbarmt. Und iatz will i's no dahin bringen, daß du dein rechtlichen Teil am Steingruberhof kriegst. Die Emerenz muß mit dir teilen. So g'hört si's a. Du bist ihr Bruder.«
»Die Emerenz mei Schwester – mei Schwester die – Emerenz!« schrie der Toni wild auf und packte den Wasterl krampfhaft am Arm.
»I versteh' di nit!« sprach der Wasterl. »Hör do amal auf mit dei'm wilden Thun! Sonst könnt' i fast glauben, es seien dir alle Radeln im Hirnkasten abg'laufen!«
Der rothaarige Bursche griff, ohne auf ihn zu hören, nach dem Erdpickel und fing mit verzweifelter Anstrengung an zu graben. Der Wasterl sah seinem Treiben eine Weile schweigend zu.
Der Toni warf den Pickel weg und rief mit einem wahnwitzigen Lachen: »Siehst, jetzt rückt er herauf der Schatz aus der Erden. A große Truhen is es! Greif zu, Wasterl, greif zu!« Er hatte sich an der Grube niedergekniet und wühlte mit den Händen im Erdreich. »Einstecken! einstecken!« murmelte der Wahnsinnige und füllte seine Taschen bis an den Rand mit Erde und Steinen. »Siehst den großen Karfunkel!« fuhr er fort, dem Wasterl einen Stein reichend, »steck' ein, steck' ein! Is allein schon a ganzes Bauerngut wert! – Und alles is mein! Der ganze Schatz is mein! Und i bin der reichste Bauer in ganz Tirol! – Und die Emerenz wird mei Weib! Iatz, weil i reich bin, kriag' i sie! Juhe!« Der Toni stieß einen hellen Jodler aus und erhob sich mit seinen schweren Taschen.
»Gehn wir heim!« mahnte der Wasterl, dem es unheimlich zu werden begann. »Armer Bua! Du bist heut wirklich nimmer bei dir selber. Wo denkst denn hin? Die Emerenz dei Weib – Was steckt dir denn auf einmal die Emerenz im Sinn?«
»Auf einmal?« fragte der Liachtl-Toni leise, ganz nahe an den Wasterl herantretend. »Im Sinn steckt sie mir, die Emerenz. Ja! I hab' sie g'liebt, jahrlang, wahnsinnig g'liebt! Nachg'schlichen bin i ihr wie a treuer Hund. Jedes gute Wort von ihr hat mi g'freut. Und jeden, den sie schön ang'schaut hat, hätt' i am liabsten erwürgt. Und was hast du g'sagt, die Emerenz mei Schwester? – mei Schwester!« schrie er auf. Dann schlug er sich gegen die Stirn, als ob er sich plötzlich an etwas erinnern würde, und stürzte zu der Grube am Fuß der Wettertanne. »Der Schatz!« schluchzte er niederkniend. »I hab' den Schatz verpaßt! Iatz sinkt er – sinkt er – sinkt – sinkt – halt' ihn auf!«
Der Liachtl-Toni stürzte vornüber zu Boden und barg den Kopf in den Händen. Ein Weinkrampf machte seinen ganzen Leib erbeben: »Und iatz is alles wieder abi in d' finstere Erden! Alles hat die Erden verschlungen! Alles! den Schatz – die Emerenz – mei Glück – alles – und mein ganzes Leben lang bin i betteln gangen ums Glück – und iatz fahrt's vor mir in d' Erden eini! Und nimmer kann i's heben. Nimmer!«
Der Wasterl war auf ihn zugetreten und versuchte ihn aufzurichten. Langsam erhob sich der Wahnsinnige und schaute mit leeren Blicken um sich.
»Geh mit mir hoam, Bua!« tröstete der Wasterl. »'s is a Elend auf der Welt. Du wirst's schon überwinden, Toni; komm mit mir!«
»Von da weitergehen?« meinte der Liachtl-Toni leise und stützte sich auf seinen Gefährten. »I trau' mi nit. Wir könnten beide in an Abgrund fallen. Hörst, wie's raschelt in die Bäum'?« flüsterte er, mit einem Arm ins Leere deutend. »Dann geht's wieder aus der Weiten auf uns los mit riesige Schritt'. Iatz holt's uns ein!« schrie er auf. »Es tritt uns nieder – nieder auf den Boden!« Der Toni duckte sich furchtsam und jammerte: »O weh, wie's preßt und druckt, so grausam, so grausam. Es druckt mir fast's Herz aus'm Leib! I kann's nimmer abwehr'n, nimmer ertragen. I erstick'. Hilf'!«
Der Wasterl riß ihm die Joppe auf. »Laß nur, laß nur!« sprach der Bursche tief aufatmend. »Es is mir auf einmal leichter. Ganz lustig is mir z' Mut. Und is 's nit zum Lachen, wie i plötzlich zu der Verwandtschaft kommen bin? Der Steingruber Klaus mei Vater – und die Emerenz mei Schwester – Und früher hab' i niemand g'habt, koan Vater und koa Schwester! –«
»Toni, i bitt' di, folg mir! Gehn wir hoam!« flehte der Wasterl inständig.
»'s wär' schon recht,« flüsterte der Liachtl-Toni furchtsam, »wenn's nit so donnern thät' in der ganzen Welt. Alles is finster um mi! Finstere Nacht! Und i muß wandern durch a weites Land!« Der Toni streckte die Hände wie tastend vor sich hin und murmelte verzweifelt: »Durch a weites Land – Hörst, wie die Wildbäch' brausen und die Muhren rutschen und abipumpern hinabpoltern. von die Berg'! Weitum koa Bruck'n und koa Steg – alles verweht und vertragen! Is dös a Wanderschaft!« Eine Weile schwieg der Wahnsinnige. Dann deutete er plötzlich mit einem Ausdruck der Freude gegen den Himmel: »Wasterl, siehst dort den Stern? Schau, wie er hell glänzt und flimmert. Sonst umadum rund herum. Wolken, grad' a Fleckerl hat er no erwischt für sein' Glanz. – Is der Stern schön! – Richtig, wir müssen gehen, Wasterl!« meinte er wieder, wie sich besinnend. »Müssen in die Welt wandern, weit in die Welt. Und i find' mi nit z'recht. Auf Irrwegen bin i gangen mei Lebtag lang. A Traum is alles g'west –« Dann besann er sich wieder einen Augenblick und sagte flehend: »Wasterl, hörst, iatz thust mir no an G'fallen! Wir können nit wandern ohne Liacht. Wir kommen lang nit außi aus der Finsternis. Der Stern!« bat er, gegen den nächtlichen Himmel deutend, »hol' mir den Stern abi vom Himmel, Wasterl! I bitt' di! Wir wollen ihn mitnehmen den Stern auf die Wanderschaft. Und leuchten soll er uns. Bald trägst du ihn und bald i, daß wir weiterfinden in der Nacht. Eil' di, eil' di! G'schwind! Der Stern! Sonst kommst z' spät!« drängte er. »Iatz kommt a Wolken,« murmelte der Toni mit gebrochener Stimme, »iatz nimmt sie den Stern. Es is z' spät. Wir müssen im Finstern wandern.«
Der Wahnsinnige ließ sich von dem Wasterl geduldig weiterführen und flüsterte nur manchmal vor sich hin: »Im Finstern wandern – in der ewigen Nacht – ohne Glück – ohne Segen – ohne Liacht – ohne Stern! –«
Zuzeiten klammerte sich der Toni angstvoll an seinen Begleiter und rief verzweifelt: »Wasterl, verlaß mi nit im Finstern! I fürcht' mi!« –
Die beiden kamen beim Morgengrauen nach Wälschnoven. »Der Liachtl-Toni hat koa ganzes Radl mehr im Kopf,« sagten die Leute. »Er is tollwütig word'n. Man hat'n binden müssen, und morgen wollen sie ihn nach Pergine ins Narrenhaus liefern!«
Die beiden Landstreicher Jackl und Simerl hatten sich in der gleichen Nacht, da der Steingruber Klaus mit dem Wasterl zu dem Karer See gezogen war, aus dem Staube gemacht. Waren nicht leer davongegangen. Hatten etliche Stücke Selchfleisch und dazu Flaschenwein, den der Ochsenwirt für die Touristen im Keller hielt, mitgehen lassen. Auch die Geldschublade in der Schenke war erbrochen und etwa vierzig Gulden in Banknoten und Münze, die sich darin befanden, entwendet worden. Der Klaus unterließ es jedoch, eine Anzeige zu machen.
*
Von der Überführung des Liachtl-Toni in das Irrenhaus zu Pergine in Südtirol hatte man in Wälschnoven einige Tage gesprochen. Zuletzt fanden es aber die Leute für selbstverständlich, daß der rothaarige Bursche, der nie recht »bei d' Groschen« war, endlich doch auf »Numero Sicher« kam. Es wuchs Gras über die ganze Sache. Bald dachte niemand mehr an den Liachtl-Toni, der wegen seines excentrischen Wesens in der ganzen Gegend keine Kameradschaft hatte.
Beim Ochsenwirt ging es den alten Gang. Der Wasterl trank noch mehr als zuvor und war nie mehr nüchtern zu treffen. Der Klaus schlich ziemlich gedrückt und scheu im Hause herum und gab dem alten Schnapsbruder überall nach.
Der Orgelbauer-Franz kam fast täglich in das Haus, ohne daß dies vom Ochsenwirt, dessen Gedanken meistens anderswo weilten, sonderlich bemerkt wurde. Es waren für die beiden jungen Liebesleute ziemlich ungestörte Tage stillen heiteren Glückes.
Die Leute im Dorfe murmelten freilich schon allerlei über die häufigen Besuche des Franz beim Ochsenwirt. Etliche, namentlich junge Burschen, welche selbst ein Auge auf die Emerenz hatten, sahen das etwas mißgünstig. Da jedoch der Orgelbauer allgemein als ein rechtlicher Mensch bekannt und beliebt war und mit jedermann im Frieden lebte, wagte es keiner der Nebenbuhler, offen gegen ihn aufzutreten. Ältere Leute meinten, wenn eine Heirat zwischen dem Franz und der Emerenz zustande käme, sei das eigentlich nur gebührlich, damit das große Steingrubergut, das der jüngere Bruder dem älteren weggeschnappt habe, wieder nach Recht und Gewissen in die Familie des Lex gelange. Der Klaus werde freilich nicht gleich Ja und Amen dazu sagen, meinten die meisten.
Seinen Eltern hatte der Franz alles entdeckt. Er war ihnen von Jugend an aufrichtig gegenüber gestanden und konnte es auch jetzt nicht übers Herz bringen, vor ihnen ein Geheimnis zu haben.
Der Steingruber Lex schüttelte zwar anfangs recht bedenklich den Kopf zu der ganzen Sache, sagte aber schließlich, daß er gegen eine solche Heirat nichts einzuwenden habe. Die Emerenz sei als ein braves Diandl bekannt. Nur müsse der Franz selbst mit dem Ochsenwirt alles ausmachen; denn er würde bei seinem jüngeren Bruder keinen Brautwerber abgeben.
Die Mutter des Franz, die Stasi, welche noch immer eine recht stattliche Bäuerin war, versprach eine Wallfahrt nach Maria Weißenstein und dort zwei schwere Wachskerzen zu opfern, wenn der Herzenswunsch ihres Franz erfüllt würde.
Dieser nahm sich von Tag zu Tag vor, mit dem Ochsenwirt Klaus zu sprechen. Es wollte sich aber nie eine rechte Gelegenheit ergeben. Der Klaus wich dem jungen Orgelbauer mit sichtlicher Scheu aus, wo es nur ohne allzu großes Aufsehen geschehen konnte.
So kam Allerseelen. Im ganzen Eggenthal lag bereits tiefer Schnee. Auf der Straße gegen Bozen, deren Freihaltung stets große Mühe erforderte, verkehrten schon die schweren Holzfuhrwerke.
Es herrschte fast ein regeres Leben durch das enge wilde Bergthal, als mitten im Hochsommer.
In der Stube beim Ochsenwirt saßen der Wasterl und einige Fuhrknechte, die miteinander Karten spielten. Der Klaus selbst stand an einem Fenster, gähnte, trommelte auf den kleinen Scheiben und schaute wie verloren auf die beschneite Dorfgasse hinaus.
Beim großen grünen Kachelofen in der Ecke saß die Emerenz mit einem Bund neuer baumwollener Sacktücher, welche sie für ihren Vater einsäumte.
Im Freithof sah man durch die Fenster der Wirtsstube noch einzelne Lichter und kleine rote Laternen auf den Gräbern brennen. Die Allerseelenprozession hatte schon gleich nach Mittag stattgefunden. Jetzt war es bald Zeit, die Marende Nachmittags-Jause. einzunehmen.
Einige Bauern und Burschen traten in die Stube und stampfelten den Schnee von ihren Schuhen. Die Emerenz legte ihre Sacktücher beiseite und reichte jedem Gast das Verlangte.
»'s Grab von dei'm Großvater, dem alten Steingruber-Kassian, hast aber heut wieder amal schön aufputzt, Diandl!« sagte ein alter Bauer zur Emerenz. In demselben Augenblick trat der Orgelbauer Franz ins Zimmer und gesellte sich zu den übrigen Leuten am Tisch.
Der Ochsenwirt war am Fenster jäh herumgefahren und warf einen stechenden Blick auf den Sprecher, der fortfuhr: »Is recht von dir, Emerenz, daß d' das Andenken von dei'm Großvater selig so in Ehren hältst. Er verdient's a. I hab' ihn no gut kennt, den Kassian. Denk' ihn heut no, als ob er vor mir stünd'! – Unser Herrgott hat ihn viel z' früh zu sich g'nommen. Hätt' no viel Gutes stiften können im ganzen Eggenthal, wenn er länger g'lebt hätt'. War a großer Schad' für die G'moan und b'sonders a für die armen Leut'. Gott hab' ihn selig!« Dabei schenkte sich der Bauer das Glas mit Wein voll.
Der Ochsenwirt Klaus stand noch immer am Fenster und starrte, als ob er von dem ganzen Gespräch nichts vernehmen würde, ins Freie. Plötzlich fuhr er mit einem leisen Schrei zusammen. Er drehte sich um. Sein Gesicht war weiß wie eine getünchte Wand. Seine Augen starrten wie geistesabwesend gegen die Stubenthüre, die auf den Hausgang führte. In letzterem ließen sich gleich darauf schwere Tritte vernehmen. Die Stubenthüre wurde rasch geöffnet. Der Gendarmeriewachtmeister von Deutschnoven mit einem Postenführer trat herein.
Das Kommen von Gendarmen erregt auf dem Lande immer ein gewisses Aufsehen. Die Bauern hatten sich von dem Tisch erhoben und begrüßten die beiden. Auch die Fuhrknechte am andern Tisch hatten ihr Spiel unterbrochen.
»Sucht's wieder wen?« fragte der alte Bauer von früher.
»Haben sie schon g'funden,« meinte der Wachtmeister ruhig und machte einen Schritt gegen den Ochsenwirt, der noch am Fenster stand. Die Unterlippe hing ihm herab. Die Augen schauten ganz gläsern darein, und die Knie schlotterten dem Klaus, daß er sich kaum mehr aufrecht halten konnte. Als er den Wachtmeister auf sich zukommen sah, sank er mit einem Ächzen auf die hölzerne Bank, die sich unterhalb des Fensters an der Wand hinzog.
Alle schauten jetzt auf den Ochsenwirt, der das reinste Bild hilflosen Jammers und wahnsinniger Furcht bot. Es folgte ein Augenblick peinlichen Schweigens. Man hätte in der Stube die Fliegen husten hören können, wie der Volksmund sagt, wenn nicht alle schon dem Winter ihren Tribut gezahlt hätten.
Der Wachtmeister faßte den bebenden Klaus am Arm und sagte, die lautlose Stille unterbrechend: »Nikolaus Steingruber, Ihr seid verhaftet im Namen des Gesetzes! Sebastian Köhlhofer!« damit wandte sich der Wachtmeister gegen den Wasterl am Spielertisch, »Ihr seid gleichfalls verhaftet im Namen des Gesetzes!«
Die Emerenz war einen Augenblick wie versteinert dagestanden, jetzt stürzte sie auf den Wachtmeister zu. »Herr!« schrie sie, »mein Vater verhaftet! Um Gottes willen, das kann ja nit sein!«
»Leider!« sagte der Gendarm, das Mädchen sanft abwehrend. »Es wird mir schwer genug, hier meines Amtes zu walten.«
Das junge Mädchen war zu ihrem Vater geeilt, der noch immer auf der Bank saß. Sie fiel ihm zu Füßen. »Vater!« rief sie. »Es is nit möglich! Es is a Irrung! Redet, Vater!« – Der Ochsenwirt machte einen Ansatz, als ob er sprechen wollte, konnte aber kein lautes Wort herausbringen. Es war ihm, als ob eine eiserne Faust seine Kehle umklammern würde. Wie hilfesuchend streckte er seine Hände über den Kopf der Emerenz aus. Dort wurden sie auch gefesselt. Dann zog er die Arme zurück und ließ sie schwer in den Schoß sinken, daß die Kette klirrte.
Jetzt sah das junge Mädchen erst, was geschehen war. Mit einem wilden Schrei sprang sie empor. »Meinen Vater laßt los!« rief sie. Franz war an ihre Seite getreten. Sie sank ihm halb ohnmächtig an die Brust und begann leise zu weinen.
Unter den übrigen Anwesenden hatte die Verhaftung des reichen Ochsenwirtes das größte Aufsehen erregt. Alle riefen wirr durcheinander. Einige waren schnell auf die Straße zu den Nachbarn gesprungen und hatten ihnen die Kunde gebracht, die gleich durch das ganze Dorf lief. Die Leute strömten in die Wirtsstube. Man fragte. Niemand wußte eine sichere Antwort zu geben.
Auch der Wasterl wurde geschlossen. Er nahm sein Los mit der größten Gemütsruhe hin, trank noch zuvor seinen Schnaps aus und reichte dann seine Hände dem Postenführer. Zu dem Klaus, den zwei Bauern, ihn unter den Armen fassend, von der Bank emporgerichtet hatten, rief der Wasterl hinüber: »Siehst es, Ochsenwirt, hast immer g'sagt, daß es a Kreuz sei auf Gottes Erdboden. Iatz wirst wohl a paar Schuh über'n Erdboden kommen. Vielleicht hast nachher a Ruah!«
Die Gendarmen mahnten zum Aufbruch, nahmen die beiden Verhafteten in ihre Mitte und traten mit ihnen auf den Hausgang. Emerenz, die sich von Franz losgerissen hatte, wollte nacheilen, wurde aber von diesem und einigen benachbarten Bauernweibern, die begütigend auf sie einsprachen, daran verhindert.
Der Hausgang war ganz gefüllt von Leuten. Und vor dem Hause scharte sich die Menge immer mehr. Die Gendarmen pflanzten ihre Gewehre auf. Ein Bauer sprang noch in die Stube zurück und holte von der Ofenbank eine dicke Lodenjoppe, die er dem Klaus über die Schultern warf. Dann ging es rasch weiter.
Viele Leute schlossen sich dem Zuge an. Andere blieben stehen und sahen ihm nach, mit lebhaften Gebärden und alle möglichen Vermutungen über das unerhörte Ereignis anstellend. Bald kamen einige Bauern und Burschen zurück, die den Zug nur bis vor das Dorf begleitet hatten.
Und bald flog die Nachricht von Mund zu Mund, daß der Klaus seinen Vater, den alten Steingruber, im Wald droben ermordet hatte. Der Wasterl hatte es laut allen in die Ohren geschrien.
Im Sterbezimmer ihrer Großmutter saß die Emerenz und neben ihr der Orgelbauer-Franz. Er hatte, kaum daß der Zug aus dem Hause getreten war, das Mädchen den neugierigen Gaffern und Fragern entzogen und war mit ihr in die abgelegene Stube gegangen. Die Emerenz weinte still vor sich hin. Der Franz hatte ihre beiden Hände erfaßt und sprach tröstend auf sie ein: »Mei liabes, armes Diandl, du! Vielleicht is es nur a Irrung. Um so besser nachher! Schau, verzweifel' mir nit ganz. Mi hast ja no auf der Welt. Und i laß nit von dir, möcht' g'schehen was wollt'! – Da kannst nit dableiben, Emerenz,« fuhr der Franz nach einer Pause fort. »Wein' di aus. Wenn's Abend wird, laß i einspannen, und du fahrst mit mir nach Kardaun zu meine Eltern!«
So geschah es auch. Als die Dunkelheit hereingebrochen war, fuhr ein kleiner Schlitten eilig durch das Dorf und der Eggenthaler Straße zu. Der Franz saß mit der Emerenz darin. Es war schon finstere Nacht, als das Fuhrwerk vor dem Elternhaus des Franz in Kardaun hielt, dessen Schwelle das junge Mädchen zum erstenmale in ihrem Leben überschritt. Weinend fiel die Emerenz der Stasi an die Brust. Und sie hatte wohl Grund zu weinen. Es war an diesem Tage noch mehr über sie gekommen …
*
Wir müssen in unserer Geschichte etwas zurückgreifen.
Der Liachtl-Toni hatte außer einem neuen Tobsuchtsanfall den Irrenärzten in Pergine nicht viel zu schaffen gegeben. Er saß ruhig in seiner Zelle und starrte blöd und verloren vor sich hin. Die Ärzte glaubten, es sei wohl eine Gehirnerweichung vorauszusehen.
Dabei hatte der Irre aber wieder ganz lichte Momente. Das plötzliche Ausbrechen des Wahnsinns bei dem Burschen war den Ärzten ein Rätsel. Daß er am Morgen jenes verhängnisvollen Tages mit dem Wasterl von dem Karer See gekommen war, hatte man erfahren. Sonst war längere Zeit aus dem Toni nichts herauszubringen.
Zu dem Kaplan des Irrenhauses, einem freundlichen alten Weltpriester, der ihn öfters in seiner Zelle aufsuchte, zeigte der Toni das größte Zutrauen. Ihm erzählte er auch eines Tages in einer lichten Stunde alles, was er bei dem Karer See droben gehört und erlebt hatte. Der ursächliche Zusammenhang fehlte der Erzählung des Irren allerdings. Das Ganze wurde aber dennoch durch die einfachste Kombinationsgabe vollkommen klar.
Man wartete noch eine Weile zu und stellte dem Irren von Zeit zu Zeit eine auf seine damalige Erzählung bezügliche Frage. Die Antworten blieben sich stets fast gleich, namentlich wiederholte die eine Behauptung der Toni auch ungefragt öfters, daß der Ochsenwirt Klaus in Wälschnoven seinen Vater umgebracht habe.
Das Andenken an das schreckliche Ende des alten Steingruber lebte namentlich noch in der Seele des Kaplans fort, der damals selbst dem Begräbnis in Wälschnoven beigewohnt hatte. Die Ärzte kamen immer mehr zu der Überzeugung, daß es sich in diesem Punkte bei dem Liachtl-Toni nicht um Wahnideen handle, sondern daß man wirklich einem bisher unvermuteten und unaufgedeckten Verbrechen auf der Spur sei.
Es erging die Anzeige des Falles an die Staatsanwaltschaft in Bozen, welche unverzüglich die Verhaftung des Ochsenwirtes Klaus Steingruber veranlaßte. – –
Während der Zug mit den Verhafteten die Eggenthaler Straße gegen Bozen einschlug, kam in entgegengesetzter Richtung ein Bursche, der in ein leichtes städtisches Sommergewand gekleidet war, das ihm nirgends recht passen wollte, mit hastigen Schritten gewandert. So oft sich jemand zeigte oder eines der Holzfuhrwerke die Straße fuhr, wußte sich der Bursche immer noch rechtzeitig hinter irgend einem Felsenvorsprung zu verbergen, so daß er nicht bemerkt wurde.
Es war der Liachtl-Toni. Vor zwei Tagen war er durch den Ofen seiner Zelle aus der Irrenanstalt ausgebrochen, hatte sich in das Zimmer des Primararztes geschlichen, dort das städtische Kleid und eine Doppelflinte, die er am Riemen über dem Rücken trug, entwendet, und war bei der nächsten sich ergebenden Gelegenheit mit der den Narren eigenen Schlauheit glücklich aus dem wohlbewachten Hause entkommen.
Im Wald hatte er das Gewand gewechselt und wanderte nun in das Eggenthal, ohne recht zu wissen, wohin er wolle oder was er wolle. Nur das eine stand in ihm fest, daß er frei sein wolle, frei und abermals frei! Den ersten, der sich ihm hindernd in den Weg stelle, würde er niederschießen, hatte sich der Wahnsinnige vorgenommen.
Er war, rüstig ausschreitend, bis zu der gefährlichsten Stelle der Eggenthaler Straße gekommen. Der Bach schäumt tosend in der Tiefe und bildet einen gurgelnden Wassertrichter zwischen den zerzackten und zerklüfteten Felsen. Neben der engen Straße und jenseits des Wildbaches steigen die kahlen zerschrundeten Felswände empor. Man sieht in der Höhe nur einen schmalen Streifen des Firmamentes. An dieser Stelle finden fortwährend Abstürze statt, das überhängende Gestein löst sich durch den Regen, verschüttet die Straße oder reißt sogar eine Strecke derselben in den Bach hinunter. Auch Menschenleben sind hier den Elementen schon öfters zum Opfer gefallen. Es ist noch nicht lange her, daß ein abstürzender Stein von drei Wanderburschen, die gerade des Weges kamen, den in der Mitte zwischen seinen beiden Gefährten niederschlug, als ob ein böser Dämon in der Höhe gerade auf den Unglücklichen gezielt hätte.
In die steile Felswand an der Straße hat man eine Nische eingehauen. Dieselbe birgt hinter eisernen Stäben das Bild unseres Herrn im Elend. Sobald die Fuhrleute die Eggenthaler Straße an dieser Stelle passieren, dann schweigt jede Rede, wenn sie früher auch noch so laut war. Die wetterharten Leute ziehen die Hüte vom Kopf, schlagen ein Kreuz und beten andächtig ein Vaterunser für ihr Seelenheil. Keine Peitsche knallt. Kein Laut ringsum als das Knirschen der Wagenräder auf der Straße und das regelmäßige Aufschlagen der Pferdehufe. Alles atmet erleichtert auf, wenn es die gefährliche Felspartie passiert hat, und fühlt sich fast neu dem Leben wiedergeschenkt …
Der Liachtl-Toni lauschte gespannt. Es war ihm, als ob er aus der Ferne Schritte und Sprechen gehört hätte. Er hatte sich nicht getäuscht. Eilig barg er sich hinter einem vorspringenden Felszacken, der mit dem übrigen Gestein etwas abseits von der Straße fast eine Art Kluft bildete. Sie sollten ihn nur fangen, bäumte sich ein wahnsinniger Trotz in dem Toni auf, der das Gewehr von der Schulter gerissen hatte und den Hahn spannte.
Es war der Zug mit den Verhafteten, der des Weges kam. Noch immer folgten ihm mehrere Leute aus Wälschnoven nach. Der Wasterl war noch keine Minute still gewesen und tischte, nach rückwärts schreiend, den Leuten immer neue Schauergeschichten über den Steingruber Klaus auf.
Da tönte in nächster Nähe ein Schuß. Der Liachtl-Toni hatte beim Anblick der Gendarmen das Gewehr an die Backen gerissen und Feuer gegeben.
Der Postenführer sprang in die Richtung des Rauches. Ein Bauer sprang ihm nach. Beide zerrten nun den Wahnsinnigen, der sich verzweifelt wehrte, aus dem Versteck.
Der Schuß war fehlgegangen. Es war niemand verletzt. Wem er eigentlich gegolten, hat man nicht erfahren.
Der Klaus hatte einen leisen Schrei ausgestoßen, als er den rothaarigen Burschen erblickte. Gleich darauf starrte er aber teilnahmslos vor sich nieder auf den Boden.
Plötzlich riß sich der Liachtl-Toni, dem man die Arme auf den Rücken gedreht und das Gewehr entwunden hatte, mit einem jähen Ruck los, sprang auf den Ochsenwirt zu und faßte ihn um die Mitte. »I laß mi nit fangen! I will nimmer ins Narrenhaus!« schrie der Irre. »Lieber zum Teufel fahren!« Ehe es jemand hindern konnte, hatte der Toni den Steingruber Klaus an den Rand der Straße gezerrt. Noch ein Stoß, ein Aufschrei, und die beiden verschwanden in der Tiefe des gurgelnden Wassertrichters.
Alles war blitzschnell vor sich gegangen. Als der Wachtmeister gegen den Rand der Straße sprang, hatte das Wasser den Toni und den Steingruber schon verschlungen. Der brave Gendarm wäre bald selbst gestürzt, wenn ihn ein Bauernbursche nicht noch rechtzeitig zurückgerissen hätte.
Die beiden kamen nicht mehr an die Oberfläche. Das Wasser gurgelte und schäumte und brauste drunten wie ehedem und brach sich tosend Bahn durch die engen Felsenspalten.
Die Bauern zogen still ihre Hüte und verrichteten ein Gebet, daß der Herr den armen Seelen der beiden gnädig sein möge.
Ein Rettungsversuch war von vornherein unmöglich. Jeder, der da hinunterstürzte, fiel dem Tod in den Rachen, und wenn er auch der geübteste Schwimmer gewesen wäre.
Die Gendarmen setzten gleich darauf mit dem Wasterl allein ihren Weg nach Bozen fort. Von den Bauern folgte ihnen keiner mehr. Sie kehrten alle nach Wälschnoven zurück, um die Schreckensbotschaft in das Dorf zu bringen. – –
Die Leichen des Steingruber Klaus und seines ledigen Buben von der Köhlhofer Zenzi, des Liachtl-Toni, hat man nie wiedergefunden. Nach der Volkssage soll die Tiefe jenes Wassertrichters im Eggenbach unergründlich sein und der Bach an dieser Stelle mit unterirdischen Gebirgswässern in Verbindung stehen, von denen er Zufluß erhält.
*
Es ist Frühsommer geworden. Von dem Turm der Dorfkirche in Wälschnoven läuten alle Glocken. Aus der Kirche tritt ein festlich geschmückter Brautzug. Voran der Brautvater, die Zeugen, der Hochzeitslader und die Kranzjungfern. Ihnen folgen die Musikanten. Dann kommt das Brautpaar. Es ist der Franz und die Emerenz. Der Steingruber Lex und seine Stasi gehen ihnen geleitend zur Seite.
Sie hat Aufsehen gemacht im Thal, diese Hochzeit. Am sonderbarsten ist es den Leuten vorgekommen, als der Pfarrer von der Kanzel verkündete, daß in den Stand der heiligen Ehe treten wollten: der ehrsame Jüngling Franziskus Sales Steingruber und die tugendsame Jungfrau Emerenzia Steingruber.
Wie doch zwei gleiche Namen heiraten konnten! Das war im Eggenthal seit Menschengedenken noch nie dagewesen. Zu der Verbindung des Franz mit der Emerenz hatte aber der heilige Vater in Rom selbst seine Erlaubnis erteilt. Der Pfarrer hatte die päpstliche Entscheidung separat verkündigt. Die junge Ehe erhielt dadurch in den Augen der Wälschnovener nur einen um so größeren Nimbus der Heiligkeit. – –
Den Wasterl hat man in ein Arbeitshaus gesteckt. Die Gemeinde selbst hatte das bei Gericht beantragt. Hielt es aber nicht lange aus in den vier Mauern, der Wasterl. Er starb bald nach der »Steingruberischen Hochzeit«, wie man sie unter den Leuten allgemein nannte. Noch auf seinem Totenbette soll sich der alte Trunkenbold geäußert haben: »Da soll's a anderer aushalten auf der Welt, ohne Schnaps und Karten!«
*