Paul Grabein
Nomaden
Paul Grabein

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Das Glück des Wiedersehens übertraf noch seine Erwartungen. Fränze empfing ihn schon an der Bahn. Ihr Auge sagte ihm alles, was sie zu schreiben sich gescheut hatte. Und dann zu Hause, bei ihr in Villa Montana! Sie hing an seinem Hals, als ob sie ihn nie wieder lassen wollte, und er fühlte es in diesen Augenblicken: Nun war sie sein, ganz sein mit jedem Atemzuge, mit jedem Pulsschlag ihres Blutes, das ihm heiß entgegendrängte. Das Weib in ihr war erwacht!

Der Abend dieses unvergeßlichen Tages wurde ihnen zu dem höchsten Fest ihrer Liebe. Sie blieben ganz allein. In einem kleinen Salon des Kurhauses nahmen sie ihr Souper. Ein wahrer Hain von Rosen blühte über ihrem Tisch und strömte seinen süß schmeichelnden Duft über sie aus. Vom großen Speisesaal drüben schwebten die Klänge der Musik herüber, nur ganz gedämpft, verloren, wie ein ferner seliger Traum. Über die Blumenfülle hinweg trafen sich ihre Blicke, glückstrunken und doch noch höhere Seligkeiten ahnend und verheißend. Wenn sich ihre Hände durch Zufall streiften oder bewußt suchten, erschauerten sie bis in die Tiefen ihres Seins.

So gingen, flogen die Stunden hin. Ihr Plaudern, ihre leise kosenden Worte kamen immer öfter ins Stocken. Schon eine geraume Weile saß Fränze schweigend da, ganz in sich versunken, tief versonnen, einen nie gekannten, weichen Zug um die halb geöffneten Lippen. Ihre Linke hielt die zarten, sammetweichen Blätter einer Rose umschlossen, die auf das weiße Linnen niedergeweht waren, und deren Kühle ihrer Hand wohlgetan hatte. Nun freilich hatte ihr heiß pulsendes Blut sie längst durchtränkt mit der Wärme ihres jungen, glücksfiebernden Lebens. Lange ruhte Wilms' Auge auf der lieben Hand, mit ihrem durchsichtigen Geäder, und ein Vers fiel ihm ein, den er vor langen Jahren wohl einmal gelesen hatte:

»Die rote Rose Leidenschaft fiel jäh
In meine schmale, blasse Kinderhand.«

Da griff er nach ihrer Linken, sanft und doch entschieden, fordernd. Ein kurzes Widerstreben bei ihr, tief senkte sich Blick in Blick, dann gab sie nach, willig erschloß sich ihm ihre Hand und überließ ihm die lang gehütete Blüte. Heiß brannte es in seinen Augen auf, strahlende Siegerfreude, und rasch warf er die rosigen Blätter, die noch die Wärme ihrer Hand trugen, in seinen Sektkelch. Mit langem Zuge schlürfte er sie hinab, als tränke er damit ihr innerstes Wesen in sich hinein, die Augen fest auf sie gerichtet. Schwer senkte sie da die Lider, mit einem tiefen Atmen.

»Komm',« forderte er leise, »wir wollen heim!«

»Ja, aber die Rosen müssen mit.«

Den reichen Blütenflor im Arm, sie selber rosig erglüht, ein bezauberndes Bild glückseliger Jugend und Anmut, schritt sie vor ihm her durch die Räume, an allen Tischen die erstaunten, bewundernden Blicke auf sich ziehend.

Schnell trug der Schlitten sie beide zur Villa Montana hinauf. Oben in ihrem Stübchen angekommen, wollte Fränze die Büsche von Rosen in Vasen und Wasserkannen verteilen, zu sorgsamer Pflege. Aber mit einem Griff entriß Wilms ihr die Blumen. Heute nicht ängstlich sparen und schonen – nein, verschwenden, was es an Schönheit und Seligkeit gab! Und rasch trat er zu ihrem Bett. Wie aus einem Füllhorn des Glücks streute er die rotlodernde, lebensglühende Blütenpracht über das Lager der geliebten Frau aus. –

Eine mildleuchtende Ampel hing der Mond droben an der dunklen, sammetausgeschlagenen Kuppel des Himmelsgewölbes, als Wilms heimging. In feierlichem Schweigen lag der nächtliche Wald zu Seiten seines Wegs. Weich und geheimnisvoll fielen die langen Schatten der Tannen über die silberweiße Schneedecke des Pfads. Wie abertausende von Juwelen blitzten und funkelten die Sterne aus dem Blauschwarz des Äthers durch die reine, köstliche, erfrischende Nachtluft hernieder. Von den fernen Hochzinnen drüben jenseits des Tals lösten sich zarte durchleuchtete Nebel, duftige Zaubergespinste, die Schleier der seligen Fräulein, und schwebten herab zu den Erdgeborenen wie beglückende Träume. All die Glückseligkeit, die noch in Ewald Wilms nachbebte, klang da still über in die Wonne dieses Schauens, des Aufgehens in den Frieden dieser unbeschreiblich großen und herrlichen Natur. Er fühlte, was ihm heute beschert worden war, das war etwas so Großes und Schönes, daß es ihn adelte und die Stunde, die es ihm gebracht.

Im Innersten ergriffen, schritt Wilms seinen stillen, nächtlichen Weg. Mit einer nie gekannten Zärtlichkeit gedachte er der geliebten Frau, die ihm vertrauend sich und all dies namenlose Glück geschenkt. Und ein weihedurchschauertes Wollen kam über ihn: Er wollte sie fortab mit treuen, starken Händen durchs Leben tragen, als sein Allerkostbarstes und Heiligstes.

Sein Auge glitt zum Tal drunten, zu der Stadt, in der noch Hunderte von Lichtern silbern und golden glitzerten. Selbst ganz hinten auf den fernsten Berghängen funkelte hie und da ein winziges Lichtlein auf. Mit den vielen flachen Häusern, mit den roten und grünen Ampeln vor den offenen Veranden, hatte diese Stadt etwas Orientalisches, Märchenhaftes. Lautlos lag sie da. Nur dann und wann einmal ein verträumter, dunkel-weicher Laut, wenn da irgendwo eine Schneelawine vom Dach glitt. Liebevoll, wie mit einem dankbaren Segnen, umfing Wilms' Auge das Bild dieser Stadt, die ihm Erfüllung dessen gebracht, wonach sein Herz so lange gesucht hatte.

Dann war er endlich daheim, aber noch lange kam ihm kein Schlummer. Das Blut sang ihm in den Schläfen, in allen Pulsen, eine süße, wild brausende Weise. Ein Gefühl von Jugend und Leichtbeschwingtheit war in ihm, dessen er sich nie mehr für fähig gehalten hätte. In strahlendem Sonnenglanz lag die Zukunft vor ihm. Nun war er am Ziel – nun wollte er sein Leben neu aufbauen, in innerster, beglückender Gemeinschaft mit der geliebten Frau, die er sich ganz zu eigen gewonnen hatte.

* * *

Mehrfach schon im Laufe der letzten Wochen hatte Heinz Bracke versucht, mit Elga ernste Gedanken zu erörtern, die ihn innerlich unausgesetzt beschäftigten, aber immer war sie ihm ausgewichen. Die Weise, in der es geschah – das bestrickende Wort: »Nicht jetzt uns mit solchen Sorgen beschweren! Laß uns das Glück der Stunde genießen!« verdrängte im Augenblick wohl in ihm selber diese Gedanken, aber sie kehrten doch wieder und heischten immer dringlicher von ihm Klarheit und Entschluß. Und heute gab ein Brief von Hause den Anlaß, diese Entscheidung herbeizuführen. Der Vater hatte geschrieben in Erwiderung auf sein eignes letztes Schreiben, worin er die Absicht geäußert hatte, den Aufenthalt hier oben, der ihm sehr wohl täte, noch um einige Zeit auszudehnen. Da lag die Antwort vor ihm. Der Vater wies darauf hin, daß die ursprünglich geplante Zeit für die Erholung des Sohnes bereits stark überschritten sei. Auch wirke seine Abwesenheit nicht günstig auf das Befinden der Mutter – kurzum er müsse heimkommen, und er erwarte ihn bestimmt bereits in den nächsten Tagen.

Schwer hatte es sich auf Heinz Brackes Brust gelegt, als atme er bereits wieder die dumpfe Stickluft zu Haus. Die Vorstellung, dort wieder leben zu müssen, hatte etwas Erschreckendes für ihn. Im Glück dieser letzten Wochen war alles in ihm versunken, was hinter ihm lag; nun aber mahnte ihn die rauhe Wirklichkeit. Eine unbarmherzige Mahnerin, und er hatte keine Macht, sich ihr zu entziehen.

Qualvoll, mit einem Gefühl der Beschämung, empfand er die materielle Abhängigkeit von seinem Vater. Selbst, wenn er wollte, er konnte sich ja nicht seiner Forderung, die einem Gebot gleichkam, entziehen. Seine Geldmittel gingen zur Neige, eigne finanzielle Hilfsquellen besaß er nicht – er war also einfach gezwungen, nach Hause zurückzukehren.

Alles in ihm bäumte sich gegen diese Tatsache auf, und doch, sie war unabänderlich. Nur ein Gedanke gab ihm eine Lebensmöglichkeit – Elga! Wenn sie an seiner Seite blieb, mit ihm in die Heimat ging, dann würde er die drückende Enge dort ertragen können – ja, dann würde das Leben trotz allem voller Glück und Frohsinn für ihn sein.

So mußte denn heute die Entscheidung fallen. Gewiß, er war gefaßt auf die Bedenken, die Widerstände, die Elga ihm entgegensetzen würde, aber er mußte sie niederringen und er würde es! Stärker als alle Vernunftgründe war schließlich doch die Liebe; und sie liebte ihn, daran zweifelte er nicht mehr nach diesen Wochen wunschloser Seligkeit, die sie ihm geschenkt hatte.

Die feste Entschlossenheit, von der Heinz Bracke beseelt war, mußte sich wohl schon in seinen Mienen verraten, wie er jetzt bei Elga eintrat, denn ihr im ersten Augenblick froh aufleuchtendes Antlitz wurde alsbald ernst, und etwas beunruhigt klang ihm die Frage entgegen:

»Was bringst du mir, Heinz? Es ist nichts Gutes, seh' ich.«

Langsam trat er zu ihr und nahm ihre beiden Hände.

»Ich soll heim, Elga – mein Vater fordert es.«

»Und du wirst gehen?«

»Ich muß, du weißt es ja.«

»So ist es denn also aus, unser schönes, kurzes Wintermärchen«, leise sagte es Elga und senkte das Haupt.

»Aus? Nie und nimmer!«

»Ja, wie denn? Du denkst doch nicht etwa daran, daß ich mit dir gehen sollte?«

»Nicht so, wie du meinst. Aber es gibt doch noch eine andere Möglichkeit, die allernächstliegendste, natürlichste – daß wir heiraten.«

»Heiraten?!«

»Erschreckt dich der Gedanke?«

»Heinz –« in ihre Mienen trat ein schmerzlicher Ausdruck – »ich hab' es dir ja oft angemerkt, daß du diese Frage an mich richten wolltest.«

»Du wichest mir stets aus, ich merkte das nur zu gut. Warum, Elga?«

»Muß ich das erst sagen?«

»Ich weiß wohl, aber sollen die paar Jahre, die uns trennen, denn wirklich ein Hindernis sein?«

»Es ist mehr als ein Jahrzehnt, Heinz!«

»Was frage ich danach!«

»Aber die andern! Ich mag keine lächerliche Rolle vor den Leuten spielen – oder eine Mitleid erregende.«

»Wie sollte das je möglich sein! Wer tiefer empfindet, wird denken wie ich. Aber auch die, die nach Äußerlichkeiten urteilen – da sieh' in deinen Spiegel: Du bist ja so jung geblieben, unglaublich jung!«

Der Ernst verharrte auf Elgas Zügen. »Wenn ich jetzt wirklich noch leidlich aussehe – wie lange? Denk' einmal voraus, nur fünf, sechs Jahre. Dann bist du noch immer ein jugendlicher Mann, ich aber –«

»Du wirst auch dann noch eine reizvolle Frau sein: ganz gewiß!«

Sie lächelte ein kleines wehmütiges Lächeln. Dann nahm sie seine Hand.

»Komm' einmal!«

Sie führte ihn mit sich zum Fenster und zog den Store beiseite, so daß das helle Tageslicht ihr voll ins Gesicht fiel.

»So – nun sieh mich einmal an – ganz genau und kritisch, nicht mit verliebten Augen. Siehst du nun, wie's da ausschaut? – – Ja, ja, das Leben zeichnet halt seine Runen.«

Ganz ernsthaft und prüfend blickte Heinz Bracke auf das Frauenantlitz nieder, das sich seinen Augen so aus nächster Nähe mit einer anmutvollen Bewegung darbot. Er gewahrte nun, was ihm bisher in der Tat noch nie bemerkbar geworden war, daß sich unter dem zarten Puder, der ihre Wangen rosig überhauchte, um Nasenflügel, Augen und Mundwinkel bereits manch feines Fältchen versteckte.

Seine Wahrnehmung entging ihr nicht, und das Lächeln, das ihren Mund umspielte, ward zu einem Zug schmerzlicher Gewißheit.

»Siehst du, nun denkst du anders und wirst es verstehen – wirst mir danken, daß ich vernünftig blieb und dich vor einem unbedachten Augenblick bewahrte. Und nun hat sich deine große Leidenschaft auch gleich merklich abgekühlt?«

Traurig wollte sie nach der Schnur greifen und den Store wieder zuziehen, aber da riß er sie an sich:

»Elga – wie kannst du denken!« Noch einmal sah er auf ihr Antlitz nieder mit seinen feinen Fältchen und dem wehevollen Lächeln. »Du weißt ja gar nicht, wie lieb ich dich habe – so, gerade so!« Sein Mund preßte sich auf ihre Wangen und bedeckte sie mit zärtlichen Küssen. Dann rief er mit glücklichen Augen: »Da – wie du wieder aufblühst unter meinen Küssen! Jung – ganz jung bist du mit einem Male wieder. Und ich bring' dies Wunder fertig. Das ist's ja, was mich so selig macht. Und damit erhalte ich dir – uns – deine Jugend, noch lange, lange. Wird's aber wirklich anders, nisten sich die Fältchen da, die jetzt doch nur erscheinen, wenn du einmal ernst und traurig bist, dauernd ein, nun so mag es geschehen. Ich hab' dich lieb, auch damit – ganz, ganz gewiß!«

Ehe sie es noch hindern konnte, hatte er sie mit beiden Armen an sich gerissen, hoch emporgehoben und, sie so haltend, erstickte er sie fast mit seinen leidenschaftlichen, über sie hinstürmenden Liebkosungen.

Geschlossenen Auges ließ Elga es geschehen, bis seine drängende Bitte sie ihrem kurzen Rausch entriß:

»Und nun sag' mir's, daß du mein, ganz mein werden willst!«

Langsam schlug sie die Lider auf. Mit einem tiefen Blick sah sie ihn an. Dann entwand sie sich seinen Armen und erwiderte voller Ernst:

»Weißt du auch, was du damit von mir forderst?«

»Wie sollt' ich nicht?«

»Heinz, was bis jetzt zwischen uns war, das –«

Elga!«

»Gewiß, es war etwas sehr Schönes, aber doch auch noch nicht das Höchste. Ich will ganz rückhaltlos sprechen in dieser Stunde. Ich hab' dich lieb, Heinz, sonst hätte ich mich dir ja nicht geschenkt; aber ich habe nie damit gerechnet, daß das Band, das uns verknüpft, uns für alle Ewigkeit binden wird. Es stand dem ja zu viel entgegen. Und weil ich so dachte, im Grunde immer das Ende vor Augen sah, darum ist mein Empfinden doch nicht bis in die innersten Tiefen gewachsen. Ich gestehe, es kamen Augenblicke, wo das dumme Herz wohl von dem träumen wollte, was du mir jetzt ausmalst; aber dann habe ich es nicht gelitten, hab' mit Gewalt die Wurzeln wieder herausgerissen, ehe sie noch Boden fassen konnten. Nun aber kommst du, Heinz, und forderst mich ganz, forderst, daß Empfindungen, Hoffnungen, Wünsche, die ich einst in schmerzlichsten Kämpfen endlich zur Ruhe gebracht habe, sich wieder in mir erheben sollen, daß wieder auflebt, was fast zwei Jahrzehnte hindurch in mir tot war. Noch einmal, Heinz, weißt du, was du damit von mir forderst?«

»Aber es soll ja doch zu deinem eignen Glück sein, Elga!«

»Ich soll noch einmal glauben an ein Glück, an seinen Bestand, soll mein ganzes Leben aufbauen auf diesem Grund! Und wenn ich es vermöchte, wenn ich es täte, wenn da wirklich noch einmal etwas aufblühen wollte – wer bürgt mir dafür, daß es nicht wiederum enttäuscht wird? Ich habe so namenlos gelitten in meiner ersten Ehe – Heinz – eine abermalige Enttäuschung ertrüge ich nicht!«

»Elga –« auf Heinz Brackes Antlitz lag ein feierlicher Ernst – »sieh mir ins Auge! Was ich dir jetzt sage, das ist wie ein Eid. Ich bin mir voll bewußt, welche Verantwortung ich damit übernehme. Dein Schicksal liegt in dieser Stunde in meiner Hand. Aber im vollen Bewußtsein dessen sage ich dir nun: Ich werde dich nie enttäuschen. So wie ich dich heute liebe, so werde ich dich immer lieben mit aller Tiefe und Heiligkeit, deren ein Mann fähig ist. Du kannst auf mich bauen, bis zu meinem letzten Atemzug!«

Sie sah ihn schweigend an, und an der unerschütterlichen Überzeugtheit, die in seinem Antlitz stand, begann sich ihr schwankender Glaube aufzurichten. Noch einmal klang zwar ein Zweifel aus ihrer Frage:

»Werden die Verhältnisse aber nicht stärker sein als dein Wille? Werden all die Widrigkeiten, die dich zu Hause erwarten, deine große Liebe nicht doch allmählich zermürben und schließlich vernichten?«

»Wenn du zu mir hältst, niemals! Dir zu Liebe nehme ich alles auf mich – auch das Äußerste, auch den Bruch mit den Meinen, wenn es nicht anders geht. Nicht leichten Herzens, gewiß, aber doch ohne jedes Schwanken. Du bist mir nun das Höchste, was ich auf Erden habe.« – Da war es entschieden, auch in ihren Augen leuchtete es jetzt auf, und ihre Hände streckten sich ihm entgegen.

»Bin ich dir so viel,« sagte sie ernst, »ja, dann will ich noch einmal vertrauen und hoffen! Auch in mir ist ja noch ein Sehnen nach Glück, kommt es freilich auch spät – sehr spät. Und du wirst Geduld mit mir haben müssen, Heinz, ich bin zu lange schon meinen Weg allein gegangen. Ich werde dir nicht immer eine bequeme Frau sein.«

»Wie du auch sein wirst – ich werde dich lieben. Du soll es fühlen in jedem Augenblick, was du mir bist, daß ich dir die Hände unter die Füße breiten möchte bei jedem deiner Schritte, du angebetete Frau!«

»Nicht so, Heinz!« Sie schüttelte abwehrend das Haupt. »Das ist ein Rausch, der verfliegt. Aber sei stets zart und voll Achtung zu mir, wie bisher. Das macht mich so glücklich!« Und mit einem dankbaren Blick schmiegte sie sich an ihn.

* * *

Noch am selben Abend schrieb Heinz Bracke nach Hause. Er teilte seine Verlobung mit. Schon in wenigen Tagen werde er zurückkehren, und Elga werde ihn begleiten, da es auch ihr Wunsch sei, die Eltern ihres Verlobten baldigst kennenzulernen. In ausführlicher Schilderung entwarf Heinz dann noch ein Bild Elgas. Er konnte sich ja nicht verhehlen, daß seine Mitteilung daheim zunächst Bestürzung hervorrufen würde. Eine Frau, soviel älter als er, und obenein noch geschieden – bei dem engen Gesichtskreis, bei der religiösen Einstellung der Eltern mußte sie das ja befremden. Seine Schilderung Elgas suchte daher von vornherein alle Bedenken zu entkräften, die bei den Eltern gegen diese Verbindung entstehen könnten. In dem Bemühen, die von ihm so sehr geliebte Frau auch denen zu Haus näherzubringen, bekam sein Ton eine ungewöhnliche Wärme und Herzlichkeit, und Seite auf Seite füllte sich mit seiner Hand. Als er dann alles noch einmal überlas, hatte er das hoffnungsfrohe Gefühl, daß dieser Brief seine Wirkung nicht verfehlen würde, und zuversichtlich sah er der Antwort entgegen.

Einige Tage vergingen und der Zeitpunkt kam, wo die Erwiderung der Eltern hätte da sein müssen. Als aber dann noch ein paar Tage verstrichen, ohne daß sie kam, wurde Heinz Bracke unruhig. Das war kein gutes Zeichen. Zugleich fühlte er sich aber auch aufs peinlichste berührt in Gedanken an Elga. Sie wußte, daß er an die Eltern geschrieben hatte. Wenn sie es auch zartfühlend vermied, ihn nach der erhaltenen Antwort zu fragen, so war es doch ganz selbstverständlich, daß sie genau so wie er selber verwundert und betroffen sein mußte über das Ausbleiben jeglicher Anteilnahme an dem für ihn so bedeutungsvollen Ereignis.

Wieder war eine geraume Frist verstrichen – Bracke war gerade entschlossen, daheim anzufragen, ob sie denn nicht sein neuliches Schreiben erhalten hätten – da brachte ihm die Post den so lange erwarteten Brief. Er bestätigte im schlimmsten Maße die Befürchtungen, die sich immer stärker in Heinz Bracke geregt hatten.

Die Mutter war todunglücklich über den Schritt des Sohnes; sie beschwor ihn, diese übereilte Verbindung, die ihm niemals zum Glück werden könnte, wieder zu lösen. – Und erst der Vater! Heinz zitterte die Hand, wie er seine Zeilen las. Ganz kühl, geschäftsmäßig schrieb er ihm da, er habe – bevor er zu dem Schritt des Sohnes Stellung nehmen wollte – erst einmal eine Auskunft über Frau Tenbrink eingeholt. Die habe alle seine Besorgnisse noch weit übertroffen. Nicht allein die Scheidung, die doch an sich schon ein Skandal sei, denn wie könne eine Frau ihren Mann verlassen, der jederzeit seine Pflicht ihr gegenüber getan, der ihr ein geradezu glänzendes Leben geboten und auch nicht den leisesten Anlaß zu einem Vorwurf, geschweige denn zu einem so unbegreiflichen und nicht zu verantwortenden Schritt geboten habe, wie ihn die Scheidung nach so langer, glücklicher Ehe bedeute.

Viel, viel schlimmer aber als all das sei, was ihm dann noch über die Lebensführung Frau Tenbrinks nach ihrer Scheidung in zuverlässiger Weise berichtet worden sei. Wie eine Abenteuerin sei sie jahrelang durch die Welt gezogen, unstet, ohne geordneten Haushalt, und ganz allein, ohne jeden Schutz, wie er sich doch für eine alleinstehende Frau gebühre. Aber ein solcher wäre ihr auch nur ein lästiger Zwang gewesen bei dem Leben, das sie geführt habe. Immer nur in Herrengesellschaft, in einer mehr als freien Weise, und – jetzt käme das Allerschlimmste – er habe verbürgte Nachricht erhalten, daß diese Frau Beziehungen unterhalten habe, die sie in den Kreisen, die noch auf gut bürgerliche Sitten hielten, ein für allemal unmöglich machten.

Es sei für ihn ja selbstverständlich, daß Heinz von diesen Dingen nichts ahne; aber er könne ihm doch den Vorwurf nicht ersparen, daß er sich über das Vorleben dieser Frau nicht hinreichend vergewissert habe. Wie es ihm denn auch unbegreiflich sei, daß der Sohn überhaupt seine Neigung an einen so brüchigen Charakter habe verschwenden können. Nun sei der den Sohn wie die ganze Familie schwer kompromittierende Schritt leider bereits geschehen. Er erwarte jedoch, daß der Sohn jetzt, wo er über die Unwürdigkeit der Verlobten unterrichtet sei, sofort dieses Band lösen werde, wie es ihm die schuldige Rücksicht gegen die Eltern und die eigene Ehre geböte.

Heinz Bracke flammte hell auf, als er diese Worte las, die ihn wie ein Schlag ins Gesicht trafen. Dieser Schimpf ihm und der Frau, die er liebte und verehrte wie nichts auf der Welt! Jede Erwägung der Vernunft war zurückgedrängt. Nur ein einziges, leidenschaftlich emporloderndes Gefühl beherrschte ihn: Das durfte er sich nicht bieten lassen – ganz gleich, wer hier in Frage stand und was auch die Folgen sein mochten! Und aus dieser Stimmung heraus schrieb er zurück, kurz und schneidend – der Bruch mit den Eltern war da!

Nachdem er den Brief abgesandt hatte, drängten natürlich alle die Fragen auf ihn ein, die er vorhin erst nicht hatte aufkommen lassen. Wie sollte sich seine Zukunft gestalten – wie wollte er nun die Ehe mit Elga ermöglichen? Lange lief er draußen umher, auf abgelegenen Wegen, um zu einem Entschluß zu kommen. Seine Lage war bitterernst. Die Tätigkeit im väterlichen Unternehmen war ja doch seine letzte Zuflucht, die einzige, ihm bisher noch möglich erscheinende Grundlage seiner Existenz gewesen. Jetzt war ihm auch die entzogen – was sollte nun werden? Drückende Sorge, ja eine dumpfe Angst wollte ihn befallen.

Seine Gedanken irrten nach einem rettenden Ausweg suchend umher. Er erwog dies und das, aber immer wieder mußte er sich sagen: aussichtslos! Er kannte doch sich und die Grenzen seiner Möglichkeiten, die Sorge ward da quälender, wollte ihn lähmen. Doch mit Gewalt entriß er sich ihr. Es ging um Elga, es mußte sich ein Ausweg finden. Und plötzlich fand er ihn. Er hatte einen alten Regimentskameraden, der ihm freundschaftlich nahe stand, und dem die Umstellung auf einen Zivilberuf bestens geglückt war. Er war schon seit Jahren Mitinhaber einer kleinen Fabrik, die sich aber gut entwickelt hatte. Dieser Freund mußte ihm helfen; er hatte das Vertrauen zu dem einstigen Waffengefährten, mit dem er an der Front Schwerstes gemeinsam durchlebt, daß er ihn auch in dieser Not nicht im Stich lassen würde.

So eilte er wieder heim und schrieb auch den zweiten Brief. Er legte dem Freunde offen dar, was geschehen und baute vertrauensvoll auf seine kameradschaftliche Hilfe, bat, ihm die Möglichkeit zur Betätigung in seinem Betriebe zu geben.

Erleichtert und beruhigt ging Bracke dann zu Elga. Unterwegs hatte er sich zurechtgelegt, wie er ihr die schwerwiegende Eröffnung mit möglichster Schonung machen könnte; aber schon nach den ersten einleitenden Sätzen unterbrach ihn Elga:

»Gib dir keine Mühe, ich übersehe alles,« und blaß vor Erregung barg sie ihr Antlitz in der Hand.

Vergebens versuchte Heinz Bracke ihr den Stachel aus der Seele zu ziehen und von Mißverständnissen bei den Eltern zu sprechen, die er beseitigen würde; sie wehrte ab, und nun richtete sie sich auf in einem Entschlusse:

»Heinz, du weißt, wie ich von Anfang an gegen den Gedanken einer Heirat war. Zu all den Gründen, die ich dir damals nannte, kommt nun noch dieser. Ich trete trennend zwischen dich und deine Eltern, ich zerstöre dir deine ganzen Lebensmöglichkeiten. Du mußt es nun einsehen, ich bringe dir kein Glück. Darum – ich gebe dich frei!«

»Elga!«

»Ich will nur dein Bestes, Heinz. Und wie könnte ich all das verantworten, was kommen würde, wenn es nach dir ginge.«

»Hier ist doch nichts mehr zu retten – der entscheidende Schritt ist getan!«

»Er läßt sich wieder rückgängig machen. Schreib an deinen Vater, noch heute, telegraphiere, daß unser Verlöbnis gelöst, und alles ist wieder gut!«

Heinz Bracke ergriff ihre beiden Hände.

»Was du da sagst, müßte mich eigentlich ernstlich verletzen. Glaubst du denn noch immer nicht, was ich dir so oft versichert, daß es für mich kein Leben mehr ohne dich gibt? Hieltest du das etwa nur für eine billige Redensart? – Noch ein letztesmal sag ich es dir heute, und du mußt nun begreifen, was das bedeutet, für mich und dich: Ich lasse dich nicht, mag kommen, was will! Wendest du dich aber von mir ab, dann –«

Ein düsteres Glimmen in seinen Augen sprach beredter als Worte.

Erschüttert stand Elga vor dieser leidenschaftlichen Bekundung eines Gefühls, das stärker war als die Macht des Lebens. In diesem Augenblick kam ihr zum Bewußtsein, daß es nun auch für sie ein Zurück nicht mehr gab. Ihr Schicksal war fortab unlöslich an das seine gekettet – mochte es zum Guten oder Bösen führen. Da erwiderte sie mit tiefem Ernst:

»Ich tat, was ich konnte, Heinz; ich wollte nicht an mich denken. Nun nimmst du mir jede andere Möglichkeit. Es ist entschieden: Ich bleibe bei dir – gebe Gott, daß es dir zum Glück ist! – –

Die Antwort des Freundes war da. Es zeigte sich, Bracke hatte nicht umsonst auf alte Kameradentreue gebaut, es war eine Zusage. Ja, ein glücklicher Zufall wollte es, daß seine Tätigkeit sogar sofort erwünscht war. Der Freund brauchte baldmöglichst einen Vertreter für seine Fabrik zum Verkehr mit der Kundschaft. Die Gehaltsbedingungen waren günstig, eine erfolgreiche Tätigkeit verhieß sogar einen annehmbaren Anteil am Gewinn.

Heinz war glücklich, voll warmer Dankbarkeit und Stolz auf die Zuverlässigkeit des alten Waffengefährten. Nun war alle Sorge von ihm genommen. Er hatte die Gewißheit, in kürzester Frist die geliebte Frau in das Heim führen zu können, das er aus eigner Kraft aufbauen würde.

Mit Feuereifer wandte er sich in seinen Gedanken und Plänen dem Ziele zu, und die Energie, die er dabei bekundete, blieb schließlich nicht ohne Wirkung auf Elga, von deren Seele bisher ein banger Druck nicht hatte weichen wollen. Klang ihr doch immer wieder jenes Bekenntnis im Ohr, das Heinz ihr einst in ernster Stunde gemacht hatte: »Es ist nun einmal so – meinen eigentlichen Beruf habe ich verloren – zum Geschäftsmann bin ich nicht geschaffen – eine verpfuschte Existenz!« – Aber offenbar war das nur der Ausbruch einer verzweifelten Stimmung gewesen. Und so gab auch sie sich denn einer hoffnungsvolleren Auffassung hin, ja teilte schließlich seine freudige Zuversicht.

Diese Hoffnung auf eine baldige dauernde Vereinigung erleichterte ihnen auch das Scheiden und den Gedanken, räumlich nun weit getrennt zu sein. Die Fabrik des Freundes lag in Norddeutschland. Noch ein letztesmal vereinten frohe Stunden sie mit den Freunden bei einem kleinen Abschiedsfeste, das Bracke im Supérior veranstaltete und bei dem er auch seine Verlobung mit Elga bekannt gab. Von Herzen kamen allen die Glückwünsche, und die Feststimmung war auf der Höhe wie nur je. Nur einer blickte bisweilen etwas melancholisch drein, Axel Nibüll, der jetzt auch zu den Tafelgenossen sagte:

»Das große Auseinandergehen beginnt. Das ist nun der erste, der aus unserer Runde scheidet – wer wird der nächste sein?«

Über Rias Züge glitt ein tiefer Schatten, und ihre Augen suchten den Freund.

»Es gibt ja ein Wiedersehen!«

Bracke rief es mit heller Stimme, frohe Zustimmung weckend, und niemand sah, wie es in Rias Blick feucht aufschimmerte.

* * *

Die Tage, die Wochen reihten sich für Fränze und Wilms aneinander wie eine Kette köstlicher, schönheitsstrahlender Perlen. Ihr Glück wuchs in die Tiefe von einem Tag zum andern mit jedem inneren Erleben, das er ihnen brachte. Der Ernst, auch gewisse Enttäuschungen und Kämpfe fehlten diesen innersten Bemühungen ihrer Seelen nicht, aber zum Schluß gab es doch immer wieder den reinsten Zusammenklang und eine Steigerung des Glücksgefühls.

Um sich ganz nahe zu sein und von dem Freundeskreis im Supérior etwas unabhängiger zu werden, war Wilms nach Villa Montana übergesiedelt. Sein Zimmer lag gerade unter dem Fränzes, und ihr fröhliches Lachen und Singen, das durch die offne Balkontür zu ihm drang, wenn morgens Cathérine ihr das Frühstück brachte und sie hernach beim Anziehen war, läutete ihm mit hellem Freudenklang jeden neuen Tag ein.

Am schönsten waren die stillen Stunden, wenn sie zusammensaßen, er ihr vorlas und sie dann über das Gelesene sprachen. Wißbegierig und aufnahmebereit hingen da ihre Augen an seinem Munde, während sie auf der Chaiselongue oder im Liegestuhl draußen auf der Veranda unter der Pelzdecke im warmen Strahl der Wintersonne lag. So ließ sie sich von ihm neue Welten erschließen; ihr Urteil reifte unter seinen Erfahrungen heran.

»Du wirst denken, hat das kleine Frauenzimmer schon wieder etwas zu fragen!« leitete sie dann wohl entschuldigend den Ansturm ihrer Wißbegierde oder ihres kampflustigen Temperaments ein, dem er so gern, mit einem nachsichtigen Lächeln, standhielt. Und am liebsten von allen traulichen Namen, die er ihr in solchen Stunden gab, war ihr, wenn er sie sein »liebes, großes Kind« nannte.

Doch sie wäre nicht Fränze gewesen, wenn nicht der Übermut bisweilen ihre Folgsamkeit durchbrochen hätte. So in jener Stunde, wo sie ihm, der neben ihr im Korbstuhl im hellen Sonnenlicht ruhte, mit prüfendem Blick lange ins Antlitz schaute, bis er schließlich fragte:

»Was siehst du mich so an?«

»Das Leben hat dich doch schon ziemlich zerknittert.«

»Bin ich dir zu alt?«

»Nun – eine Mandel Jahre wirst du mir wohl voraus haben.«

»Ja, wenn du Bedenken hast –« und er wollte ernst werden.

Da lachte sie hell auf, und ihre Augen strahlten ihn an:

»Bist du mir glücklich mal wieder auf den Leim gegangen! Ich liebe doch gerade solche Gesichter mit Wetterrunen. Glatte Visagen sind mir wie eine unausgeschriebene Handschrift. Aber das mag ich –« und ihre Fingerspitzen strichen liebkosend über seine Augen- und Mundwinkel. – –

Eines Tages empfing sie ihn, als er von einer größeren Skitour zurückkehrte, sehr still und in sich gekehrt.

»Nun, Fränzekind, was hat's gegeben?«

»Ich las heut ein Buch, das mich unglaublich fesselte und erschütterte. Eine Biographie des Malers und Radierers Stauffer-Bern. An dem hat sich alles im Leben genau so vollzogen, wie es ihm vom Schicksal in die Wiege gelegt worden ist, und er meint, so müsse es jedem gehen: Leid und Freud, Glück und Unglück, alles muß so kommen, wie es kommt, und man selber kann nichts dazu tun. Und das Erschütterndste: dieser Mann starb mit dreiunddreißig Jahren durch eigne Hand!«

Wilms suchte ihr solchen Fatalismus auszureden, aber Fränze blieb bei diesem Gedanken, der klar aussprach, was sie selber so oft schon dunkel empfunden hatte: Das Walten einer dunklen Macht in uns, der wir nicht entrinnen können, gegen die aller guter Wille nicht ankann. Doch dann sagte sie, aus ihrem ernsten Sinnen heraus:

»Muß man wirklich so ganz Fatalist sein? Darf man's? – – Ich will dir einmal etwas sagen, was ich schon lange auf dem Herzen habe: Unter manchem, was in meinem Leben war, leide ich doch unsagbar, und ich kann mich nicht damit trösten, daß mir das Schicksal das alles bringen mußte. Kannst du dir wohl denken, daß ich sehr lange ein Kind war, ein ganz dummes? Und als ich das Leben sah, da schillerte es mir so wonnig bunt, und lachend stürzte ich mich mitten hinein. Und niemand half mir! Nein, du – rückblickend waren es mir nicht nur wertvolle Erlebnisse. Und nur die läßt du doch gelten!«

Er sprach zu ihr mit warmem Verstehen. Gerade wer im schweren Kampfe mit sich selber, wenn auch nach manchem Fehlschlag, ans Ziel käme, der habe ein Recht, stolz auf sich zu sein. Und sie beginne doch jetzt zu reifen, das Kind in ihr mit allen seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Fehlern, zu überwinden.

Fränze griff seine letzten Worte auf:

»Reifer vielleicht, aber reif bin ich noch lange nicht. Dazu muß ich wohl noch einen weiten Weg gehen, durch Dickicht und Dornen. Und das Kind in mir, glaub' ich, geht nie ganz aus mir heraus. Manchmal erschrecke ich vor mir selber, wenn ich sehe, wie leicht ich zu beeinflussen bin, von Menschen und Situationen, wie ich mich fortreißen lasse von meiner Stimmung, von meiner überschäumenden Lebenslust.«

»Liebes –« er nahm sie tröstend an sich, strich ihr über die Wange, »das alles ist ja nun versunken, überwunden in unserer großen Liebe. Also nicht mehr daran denken!«

Doch es drängte sie, weiter zu bekennen, sich die Seele einmal freizusprechen:

»War es denn nur Rausch? Oberflächlichkeit? Ich bin bei aller Lebenslust doch innerlich, verarbeite alles tief. Kann Hand in Hand denn damit der Leichtsinn gehen? Leichtsinn – nein! In diesem Wort liegt ein Klang, der häßlich ist. Aber leichter Sinn – gibt es das? Und vielleicht schaffte ich's auch nicht allein aus mir heraus. Die führende, feste Hand fehlte mir. Die Hand eines, zu dem ich aufsehen konnte. Konnte ich's? Tat ich's je – bevor ich dich kennen lernte? Ich kann getrost sagen: Nein. Und da komme ich wieder auf unsern Ausgangspunkt: So war mir auch das alles bestimmt. Ich mußte erleben, um klar über mich selber zu sehen, um werden zu können, die ich jetzt bin. Aber gut bin ich noch nicht – vielleicht besser. Ach du, ich will ja so gern! Ich fange noch einmal an mit mir. Und so denke ich, auch das wollte mein Fatum, daß du kamst, gerade dann, wo ich dich brauchte, wo ich reif war für dich.«

Ihre Hand suchte die seine, und dann schloß sie:

»Es macht mich so glücklich, daß wir anfangen, über alles restlos zu sprechen. Einen Menschen muß man haben, dem man auch seine Häßlichkeiten zeigt, seine tiefsten Zweifel. Man frißt sonst zu viel in sich hinein. Und es ist so schön: Du verstehst alles – zu dir kann man alles sagen!« – – –

Eines auch war ganz eigen mit ihnen. Jene große, allerheiligste Stunde ihrer Liebe, die sie damals zusammen gefeiert, hatte durchaus noch nicht alle letzten Schranken zwischen ihnen beseitigt. Immer wieder brach bei Fränze die seltsame Herbheit durch; immer wieder mußte Ewald Wilms um sie werben, sie sich jedesmal wieder neu erringen. Er hatte sie einmal in vertrauter Stunde damit geneckt und ihr gesagt:

»Du bist wie jene schöne heidnische Prinzessin im Märchen, die tagsüber von allen bewundert, aber kalt und grausam war – nur nachts, wenn alles dunkel und niemand sie gewahrte, dann zeigte sich ihre Seele unverhüllt, weich und hingebend.«

Sie kamen darüber dann in ein ernsthaftes Gespräch, und in ihrem Verlauf mußte sie dann doch erkennen, daß er an ihr einen Mangel an Zärtlichkeit bedauerte und es entbehrte, daß sie niemals mit Worten aussprach, was sie empfand. Denn an diesem Empfinden könne und wolle er doch nicht zweifeln. Daraufhin erwiderte Fränze zunächst nur kurz in ihrer burschikosen Art:

»Ich kann nun mal keine süßen Worte machen – käme mir vor, wie ein Affenpinscher, der »Schön« macht!«

Als aber Wilms dann schwieg, kam sie nach einem Weilchen zu ihm, setzte sich ihm, wie sie es bisweilen tat, aufs Knie und schmiegte sich in einer kindlich zutraulichen Art an ihn:

»Du mußt nicht zu viel ›Hingabe‹ und ›Gefühl‹ von mir verlangen, in meinen Worten und in meinem Sichgeben. Es lebt ja beides so stark und tief in mir, aber ich kann es nicht zeigen. Das mußt du fühlen und glauben. Ich verberge ja so viel Weiches unter meiner rauhen Schale, wie manchmal auch Schmerzliches, Angst vor mir selber und eine dunkle Ahnung. Du weißt es nicht, und niemand weiß es. Und dann meinen die Menschen, es mangele mir an Tiefe des Gemüts. Aber wenn es dich glücklich macht, es einmal zu hören – komm', leg' dein Ohr an meinen Mund und schließ' die Augen. So will ich es dir sagen, daß ich dich nötig habe und sehr, sehr lieb. Du bist mir Ersatz für alles, was ich verloren habe – Familie, Heimat, Halt. Und wenn ich daran denke, ich sollte dich vielleicht eines Tages nicht mehr haben –«

Leidenschaftlich warf sie ihm die Arme um den Hals, Tränen in den Augen.

Wilms wurde selber bewegt. Er nahm sie an sich, und in dieser Stunde sprach er es zum erstenmal aus, daß sie nie mehr allein sein – daß sie sein werden solle, auch nach bürgerlichem Recht.

Wie es so oft zwischen ihnen kam, enttäuschte sie ihn zunächst. Kein Anzeichen der Empfindung für die weihevolle Bedeutung des Augenblicks – im Gegenteil, sie parodierte mit einem niedlich nachgemachten Kanzelton seine letzten Worte:

»Also vor Gott und den Menschen dein Weib – na, dann Gott befohlen, Herr Pastor!«

Und sie lachte herzlich vor sich hin. Als sie aber bei ihm eine aufsteigende Verstimmung sah, fuhr sie rasch fort:

»Ja, mein lieber Kerl, ich bin halt so. Hab' leider gar keinen Sinn fürs Feierliche. Ich hab' es dir ja so manchmal schon gesagt, am Ende wäre doch eine »hehre Frau« das richtigere für dich und nicht solch ein quirliges Menschenkind, wie ich eins bin. Und wenn du mich wirklich zu deiner Frau machen willst, sei sicher, du wirst noch deine liebe Not mit mir haben. Aber nun im Ernst: Gibt denn das erst unseren Beziehungen die höchste Weihe, wenn uns der Standesbeamte oder gar der Pastor die Hände zusammenlegt? Ich denke, und ich weiß, du denkst doch genau so: Die Stunde, wo sich zwei Menschen aus freiem Willen einander zu eigen geben – das ist in Wahrheit ihr Hochzeitstag, alles andere doch nur eine nichtige Zeremonie.«

»Ich gebe dir da natürlich recht, Fränze, nur ich denke doch nicht an diese Zeremonie. Aber sie leitet die Ehe ein, und die – da bekenne ich mich zu einer vielleicht recht altmodischen Auffassung – die ist mir in der Tat etwas Heiliges und Hohes.«

Sie sah ihn an in aufsteigender Beschämung. »Sei mir nicht bös',« bettelte sie und drängte sich in seinen Arm, »ich kann es mir ja auch so lieb vorstellen, deine Frau zu sein, wagte nur noch nicht im Ernst daran zu denken, weil du ja noch nie ein Wort davon sagtest. Ich dachte immer, du hättest nicht Vertrauen genug zu meiner Festigkeit. Das tat manchmal weh – ich will es dir nur gestehen – aber ich mußte mir ja selber sagen, ich hatte es nicht anders verdient. Nun willst du's also wahrhaftig mit mir wagen? Ach du,« und sie preßte sich an ihn – »wenn ich mir das vorstelle!«

Glückstrahlend begann sie, sich alles auszumalen. Ernst und Übermut lösten sich unvermittelt ab, doch plötzlich fiel ihr etwas ein, das sie bedenklich machte:

»Du, wie wird es denn aber mit Davos?«

»Du meinst mit deinem gewohnten Winteraufenthalt hier?«

Sie nickte.

»Das hört natürlich auf.«

»Ist das dein Ernst?«

»Selbstverständlich – ich werde meine Frau doch nicht monatelang allein reisen lassen, und ich kann meiner Geschäfte wegen nicht fort.«

Sie schwieg, um nach einer Weile traurig zu sagen: »Nie mehr nach Davos, meinem lieben Davos – das hätte ich nicht gedacht.«

Wilms wurde ernst. »Liegt dir soviel daran? Was lockt dich denn noch so, nachdem wir uns gefunden? Sind dir die Menschen hier, die Freiheit des Lebens so nötig?«

»Ach, es war doch so schön: Immer die Sonne, dieser strahlend blaue Himmel! Mir graut vor dem Winter im Tiefland mit seiner Trübheit, ewig Nebel und Regen. Und dann diese wonnige Sorglosigkeit und Ungebundenheit hier, die man dort unten gar nicht kennt. Mir ist, wenn ich nach Hause muß, immer, als käme ich ins Gefängnis.«

Wilms wurde noch ernster. »Das hätte ich allerdings nicht gedacht, daß dir der Gedanke an unsere Ehe solche Stimmung auslösen würde.«

Die Worte trafen sie, und sie bat eifrig:

»Du mußt mich nicht falsch verstehen. Ich sagte es dir doch vorhin, wie ich mich darauf freue – aber wie schön wär's, wenn uns Davos trotzdem nicht ganz verloren ginge. Sag', ging's denn gar nicht einzurichten, daß wir dann und wann – es brauchte ja gar nicht jedes Jahr zu sein – zusammen hier heraufkämen, und wenn es nur vier, fünf Wochen wären?«

»Gewiß, Fränze, darüber ließe sich schon reden – das ist ja etwas anderes.«

Die Wolken, die ihnen ihr Glück getrübt hatten, waren da schnell wieder verflogen. Wieder im vollsten Einklang besprachen sie jetzt alles für ihre gemeinsame Zukunft. So warm und zuversichtlich ward Wilms dabei ums Herz, daß er nun ihr Antlitz zu dem seinen aufhob und mit einem langen Blick in ihre Augen sagte:

»Wir werden doch sehr glücklich zusammen sein, mein Fränzekind.« Innig küßte er sie und forschte dann noch einmal: »Wirst du mich auch immer so lieb haben wie jetzt – immer mein, ganz nur mein sein?«

Er hatte auf diese Frage nur einen strahlenden Blick, eine neue Liebkosung als selbstverständliche Antwort erwartet, aber ihre Mienen verrieten überraschender Weise, daß sie ganz ernsthaft mit sich zu Rate ging, und nun erwiderte sie langsam:

»Ja, ich glaube sicher, daß ich immer ganz dein sein werde – nur eines bitte ich dich: Halt mich fest und laß' mich nie lange allein.«

»So bange?« scherzte er. »Wovor denn?«

Sie antwortete nicht gleich und hielt die Augenlider gesenkt. Ruaz' Bild stand ihr – wie es auch sonst manchmal geschah, wenn sie allein mit ihren Gedanken war – plötzlich vor der Seele. Wohl war er jetzt räumlich fern, aber das Erinnern an jene Begegnung bei Kolbinger lastete doch noch immer auf ihr wie ein böser Alp. Sie fühlte, die dämonische Gewalt, die er über sie hatte, war noch immer nicht gebrochen. Und eine dunkle Angst befiel sie, er könne eines Tages plötzlich wieder vor ihr auftauchen, zu einer Stunde und Gelegenheit, wo sie allein, ohne Wilms' Schutz war. Und dann – –? Ein Schauer überlief sie. Es drängte sie, Ewald das alles zu sagen. Aber sie wagte es nicht. Sie mußte wieder an jene quälenden Augenblicke damals bei Kolbinger denken, wo sie nur allzu deutlich Ewalds stumme Vorwürfe gefühlt hatte. Wie würde er jetzt erst urteilen, wo nach seiner Meinung doch der letzte Anlaß zur Unruhe beseitigt war! Er würde sie für heillos schwach halten, ja wohl gar verächtlich finden! Da riß sie sich schnell zusammen, und ausweichend antwortete sie auf seine Frage:

»Ich bange vor mir selber. Ich sage dir ja nichts Neues. Ich ängstige mich vor dem Dämon, der in mir steckt und mich zu manchem treibt, was ich mit meinem Herzen gar nicht will. Du allein kannst ihn bannen – aber darum eben mußt du bei mir sein, wenn ich dich brauche.«

»Kind, sieh doch keine Gespenster! Nun, im übrigen werden wir deinen Dämon schon austreiben, wenn du erst ganz mein bist. Frau Ewald Wilms wird eine sehr verständige und selbstsichere kleine Frau werden – darauf kannst du dich verlassen!«

»Das sind ja schöne Aussichten: Ich soll also bei dir in eine Art Korrektionsanstalt kommen? Na – bin begierig, wie das ausgehen wird!«

So scherzte sie und verjagte damit den dunklen Schatten, der immer wieder von Zeit zu Zeit ängstigend vor ihre Seele trat.

* * *

»Hallo – Ria! Was läufst du hier so mutterseelenallein herum? Wo steckt Axel denn?«

Fränze rief es der Freundin zu, die ganz unerwartet vor ihr auftauchte, hier vor der kleinen Schutzhütte oben am Hang des Kämpfenwaldes, der ein bevorzugtes Ausflugsziel und Ruheplätzchen Fränzes war. So auch heute vormittag, wo Ewald droben von der Schatzalp aus eine Skitour unternommen hatte.

Ria war von dem Anruf von der Schutzhütte her, an der sie achtlos hatte vorübergehen wollen, zusammengeschrocken. Jetzt erkannte sie Fränze und kam herzu, aber der trübe Ernst wich nicht von ihren Zügen. Fränze gewahrte es, und die Freundin zu sich auf die Bank ziehend, forschte sie teilnehmend:

»Was hast du, Ria? Doch nicht etwa ein Zerwürfnis mit deinem Axel?«

Ria verneinte traurig.

»Ja, was dann? So sprich' doch – erleichtere dir dein Herz!«

Da sagte Ria mit einem Ton, der wie eine zerrissene Saite klang: »Der Traum vom Glück ist aus.« Und als Fränze sie forschend ansah, holte sie einen Brief aus ihrem Handtäschchen. »Hier, lies!«

Fränze entfaltete das Schreiben – es war von Rias Mutter – und sah nun, die Bemühungen der Familie waren von Erfolg gewesen. Die Freistelle im Stift war für Ria erwirkt; zum 1. April sollte sie dort eintreten.

»Das kann doch nicht sein!« Erregt rief Fränze es aus, indem sie der Freundin den Brief zurückreichte. »Ist denn wirklich jede Möglichkeit einer Heirat für Euch ausgeschlossen? Axel sagte mir doch neulich –«

»– ich weiß: von den Aussichten der Zaristen, in Rußland wieder ans Ruder zu kommen, und der Hoffnung, dann wieder in sein Eigentum eingesetzt zu werden, nicht wahr?«

»Ja, und das klingt doch eigentlich ganz überzeugend – findest du denn nicht auch?«

»Anfangs war ich wohl der Ansicht, aber ich bin eines andern belehrt worden. Da doch meine ganze Zukunft davon abhängt, bin ich neulich, als ich mit Axel auf einen Tag drunten in Zürich war, auf unser Konsulat gegangen und habe mit einer unterrichteten Persönlichkeit über die Sache gesprochen.«

»Nun, und deren Meinung?«

»Keine Aussicht, die irgendwie greifbar wäre! Die Sowjetregierung sitzt nach wie vor fest im Sattel – jeder Versuch einer zaristischen Gegenbewegung, wenn es überhaupt zu einer solchen kommen sollte, würde unfehlbar schon im Keime unterdrückt werden. Also, die Hoffnungen Axels, die sich daran knüpfen, sind auf Sand gebaut.«

»Wenn es so steht, dann freilich –«

Wieder lastete das Schweigen auf ihnen. Diesmal brach Ria es, die nun zu der Freundin hinsah:

»Du wirst jetzt verstehen, wie mich der Brief heute traf, daß es mich trieb, allein zu sein, um erst einmal zu überwinden. Bloß eine Galgenfrist von ein paar Wochen ist mir gelassen –, dann heißt es für mich, Abschied nehmen vom Glück.«

Fränze schrak aus ihrem Grübeln auf. »Ich kann es nicht glauben! Wozu dann erst dies alles? Daß sich zwei Menschenkinder finden und lieb gewinnen, wenn es doch gleich wieder ans Scheiden gehen soll? Das wäre ja geradezu sinnlos!«

»Was fragt das Leben danach?« Bitter entgegnete es Ria. Doch dann fuhr sie fort in verändertem Ton. »Und darf ich mein Schicksal denn anklagen? Wäre mir dies Erleben nicht beschieden gewesen, ich wäre in meiner Stiftseinsamkeit alt und grau geworden, ohne jemals eine Ahnung davon erhalten zu haben, was es heißt, Frau zu sein. – Nun weiß ich es, nun habe ich das höchste Glück kennengelernt, das uns beschieden sein kann. Ich nahm mir dies Glück und bin stolz darauf, denn ich habe das Bewußtsein, dem Manne, der mich liebte, alles geschenkt zu haben, wonach sein einsames Herz sich sehnte. Kann eine Frau Höheres erleben? Freilich kurz – ach gar zu kurz nur – war die Spanne Zeit, die diesem Glück zugemessen war. Aber ich hatte es doch einmal und hege nun in meinem Herzen einen Schatz, den ich heilig halten, von dem ich leben werde in der Erinnerung.«

»Von der Erinnerung leben!« Fränze erschauerte, wie Moderduft wehte es sie an. Alles in ihr bäumte sich dagegen auf, und leidenschaftlich ergriff sie die Freundin bei den Händen.

»Nein, Ria – nicht diese Resignation! Wenn man noch jung ist wie du, noch ein langes Leben vor sich hat. Warum sich beugen vor dem Schicksal, wenn man dagegen ankämpfen kann!«

»Ankämpfen?«

»Ja! Erzwing' dir doch dein Glück – aller Welt zum Trotz! Du bist ein Soldatenkind, hast mir so manches von deinem Vater erzählt – mach' ihm jetzt Ehre: Sei Draufgänger wie er – hol' dir dein Glück, und wenn tausend Teufel dir's nicht gönnen wollen!«

Mit großen Augen sah Ria auf die Freundin. Wie ein Widerschein von Fränzes Glut leuchtete es in ihren eignen Blicken auf.

»Du sagst mir da, was sich in Stunden der Verzweiflung in mir selber schon geregt hat. Kämpfen, wie gerne tät ich's – nur sag' mir: Wie? – – Womit kann ich mir eine eigne Existenz schaffen? Ich hab' ja nichts zu bieten, nichts gelernt als leider jene brotlosen Künste eines Luxuslebens, das sich nun bitter genug an mir rächt!«

»Solltest du dir nicht gerade darauf eine Existenz aufbauen können, und gerade hier, wo Axel nun einmal leben muß?«

»Meinst du das im Ernst?«

»Es ist freilich nur so ein Gedanke, der mir auftaucht, aber ist er nicht wirklich erwägbar? Du bist groß in jedem mondänen Sport: Reiten, Tanzen, Tennis. Mach' einen Beruf daraus! Veranstalte Sportkurse für Damen! Gesellschaftlich vergibst du dir damit ja nichts heutzutage, wo Hunderte von Frauen der allerbesten Kreise notgedrungen auf eignen Füßen stehen, und diese Tätigkeit ist doch durchaus lady-like

»Ich würde mich auch keinen Augenblick daran stoßen, das darfst du mir glauben. Nur – ob sich auf diesem Wege wirklich Aussicht auf Erfolg bietet?«

»Warum nicht? Gerade dir! Es laufen ja genug Snobs hier 'rum. Töchter aus Häusern mit neuem Reichtum, die es sich zur Ehre schätzen würden, sich von einer leibhaftigen Komteß in diesen gesellschaftlichen Künsten ausbilden zu lassen.«

Ria sah schweigend vor sich hin, da neigte sich Fränze zu ihr:

»Du hast mir doch meine Worte eben nicht übelgenommen? Weißt ja, ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, wollte dir aber nicht weh tun, Ria.«

»Nicht doch, du meinst es gut, und ich danke es dir herzlich. Ich bin nur so unpraktisch in solchen Dingen. Ich wünschte, ich hätte dein frisches Zupacken. Der Gedanke, den du eben hinwarfst, hat tatsächlich ja etwas für sich; bloß wenn ich an die Ausführung denke, kommen mir so viele Wenns und Abers. Zum Beispiel: Wie stellt man's an, daß man Schülerinnen bekommt? Und wo erteile ich ihnen meinen Unterricht? Wo bekomme ich die notwendigen Räume, Lehrmittel – vor allem zum Reitenlernen?«

»Das alles müßte doch zu machen sein. Was zum Beispiel Tanzen und Tennis anlangt, so könnte es doch gar nicht so schwer sein. Da setzst du dich mit einem der großen Hotels in Verbindung, die eigne Plätze haben. Und mit dem Reiten wäre es ähnlich zu machen. Es gibt doch hier ein großes Reitinstitut, das auch eine Bahn hat. Ich bin fest überzeugt, wenn du mit deinem Namen mit den Leuten sprichst, sie rechnen es sich zur Ehre an, mit dir ein Abkommen zu schließen – es ist ja die beste Reklame für sie. Und ist das erst in Ordnung, dann mußt du tüchtig inserieren, Anschläge in allen Hotels machen – ich wette tausend gegen eins, in ein paar Wochen schon hast du großen Zulauf, und deine Existenz ist gesichert.«

»Wenn du mir das so ausmalst – wahrhaftig, ich könnte mir denken, es wäre möglich.«

»Es ist möglich!« Glücklich über den Erfolg ihrer Zusprache, preßte Fränze die Hände der Freundin. »Nur nicht wieder schwankend werden. Es wäre ja ein Jammer um dich, lebendig begraben zu sein, in solch einem Spinnenwinkel. Und denk' an deinen Axel! Was soll aus ihm werden, wenn er dich nicht mehr hat? Nein, Ria, du mußt es versuchen. Nur tapfer drauf los, und das Glück ist Euer!«

Da war es in Ria entschieden. Entschlossen erwiderte sie den Händedruck der Freundin und stand auf.

»Ich will's versuchen. Du hast recht, es wäre feige, wollte ich ohne Kampf auf mein Glück verzichten. – Ach, Fränze, mir ist ja mit einem Male wieder ganz anders zu Mute. Ich fühle Kraft in mir und Lebensfreude. Wie konnte ich nur so verzagt sein! – Was bist du doch ein liebes, prächtiges Menschenkind. Hab' Dank, tausend Dank!« Und sie zog die Freundin bewegt an sich.

Zusammen weitergehend, besprachen sie das Nähere. Noch heute wollte Ria ihrer Mutter alles mitteilen, und über die nötigen Schritte hier wollten sie am Abend mit Wilms und Axel Nibüll Rat schlagen.

* * *


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