Christian Dietrich Grabbe
Napoleon oder die hundert Tage
Christian Dietrich Grabbe

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Dritter Aufzug

Erste Szene

Paris. Grèveplatz in der Nähe der Laterne. Es ist Nachmittag.

Volk, zum Teil müßig, zum Teil beschäftigt. Chassecoeur, Vitry und ein Schneidermeister im Vorgrunde.

Vitry. Es ist nicht richtig, Chassecoeur! Nachts wecken uns verdächtige Gespräche, Ney ist fort mit den Truppen, die Angoulême soll schon auf dem Wege nach Bordeaux sein, und dort geht ein kleiner Emigrant mit seinem Reisebündel Adieu, mein Herr!

Der Emigrant. Wir kommen wieder, Herr von Namenlos – (Für sich.) O Feuer, Schwert, Schafotte – Das ganze abtrünnige Frankreich soll brennen und bluten! (Ab.)

Chassecoeur. Wer weiß, wohin der Emigrant betteln geht, und die Angoulême wird in ihrem Bordeaux beten wollen, daß sie ein Kind bekömmt, wie die Jungfrau Maria, ohne Hülfe ihres Mannes, weil ihr diese Hülfe doch nicht helfen kann. – Hol's der Teufel!

Schneidermeister. Meine Herren, meine Herren, die Herzoge Angoulême und Berry fahren aus der Stadt, auch die Herren Blacas d'Aulps und d'Ambray haben seit einer Viertelstunde Reisepelze an. – Es wird wieder lustig.

Chassecoeur. Konvulsivischer Wurm, wer bist du?

Schneidermeister. Herr Mensch, ein Pariser Kleiderfabrikant, der Sie, wenn Sie seine Ehre beleidigen, mit dieser Nadel siebenundsiebenzigmal durchbohrt, ehe Sie ihm eine einzige Wunde mit dem Degen anflicken!

Chassecoeur. Ich zittre schon.

Frau des Schneidermeisters (kommt). Mann, lieber Mann, find' ich dich endlich – o nach Haus! Auch unsre Straße ist voll Lärm und Bewegung! Man sagt der Kaiser käme zurück.

Chassecoeur. Sollt' es sein? – Oh!

Schneidermeister. Dummes, infames Weib, sprich leiser (Leise.) Käm' er zurück, so wäre das viel für Frankreichs Ehre und für meine Wohlfahrt. – Geh, Nadeln und Zwirn angeschafft, soviel du kannst! Wir machen bald Monturen! – Ich sondiere hier nur noch ein bißchen die Stimmung von Paris, – es ist der beste Platz dazu. – Drum geh, ich komme gleich nach,

Frau des Schneidermeisters. Gleich? – Ist das gewiß?

Schneidermeister. Meinst du, ich würde dich und meine Würmchen in der Gefahr allein lassen?

(Frau des Schneidermeisters ab.)

Jesus! heiliger Geist! Da kommt der König! Und welchen Rock trägt er! De anno 1790 – Geschmack, Geschmack, du sinkst in das Meer! Das verschulden die Engländer!

Eine Dame der Halle (tritt auf). Ach Gott, ich weine – wie erschütternd geht es in der Deputiertenkammer her. – Alle Deputierten wollen sich für den König opfern –

Vitry. Tun sie es auch?

Die Dame der Halle. Sie hätten es gewiß getan, wenn er nicht zu schnell Abschied genommen hätte. Und wie sprach er! Tränen, sag' ich, Tränen im Auge! Mit einem batistenen Schnupftuch voll gestickter Lilien wischte er sie ab – ach, die Lilien werden unter solchen Tropfen nur zu herbe genäßt.

Vitry. Da hält der Königsmann mit seiner Kutsche im Gedränge.

Chassecoeur. Er wird etwas herschwatzen, was wir in dieser Entfernung gar nicht hören, und von den Nächststehenden kaum drei, ohne daß sie es begreifen.

Vitry. Desto mehr Respekt haben sie davor.

Viele aus dem Volk. Still! still! – Der große Monarch!

Schneidermeister. Erhöbe sich der König nur nicht, bliebe er nur ruhig sitzen, und verdeckte seine Frackschöße, denn von allen im Universum sind sie die abscheulichsten. Weit auseinanderklaffend! Ist das französisch? Es ist nicht einmal englisch – es ist barbarisch! An dem Kleide den Mann – wer sich albern kleidet, ist albern – Aus mit unserm schönen Lande! So gewiß die Revolution nicht entstehen konnte, wenn man Reifrock, Perücke und Puder beibehalten und sich daher wohl gehütet hätte, einander auf den Leib oder in die Haare zu kommen, so sicher kann die königliche Würde nicht bestehen, wenn der König durch seine Frackschöße eine Sache zeigt, die zwar auch groß und gewaltig, aber nichts minder als majestätisch ist.

(Man hört den König reden.)

Eine Dame der Halle. Ach – das ist zum Herzbrechen –

Volk. Lang lebe der König!

(Die Kutsche des Königs fährt weiter.)

Schneidermeister. Was sprach er?

Die Dame der Halle. Oh, mein Herr, welche Zunge vermag es wiederzusagen? »Die rührendsten Beweise der Liebe hätt' er von seinem Volke erhalten! wenige Verräter störten Frankreichs Glück! Er wolle sich an die Spitze der Armee stellen!« Oh, der wahre Sohn Heinrichs des Vierten!

Chassecoeur. Der alte podagrische – will an die Spitze der Armee?

Schneidermeister. Alles sehr gut, meine Dame, aber weshalb läuft er fort, wenn so rührende Beweise der Liebe und so wenig Verräter da sind? – Volk, Volk, laß dich durch Mitleid und Edelmut nicht um deine Klugheit betrügen! Der König will nach Wien und dort auf dem Kongresse Frankreichs beste Provinzen verschenken! Dafür sollen ihm die Russen helfen, alle Nicht-Emigranten zu unterdrücken! Das ist schon lange im Werk gewesen!

Volk (wütend). Der verfluchte bourbonische Heuchler! Ihm nach – fanget, fesselt ihn!

Schneidermeister. Recht so – und soll er verbluten, so tu' er es an unseren treuen Herzen! (Für sich.) Das verdirbt die Kleider und nützt meinem Geschäft.

Mehrere Stimmen. Er ist schon fort – über alle Berge!

Ein ältliches Frauenzimmer. Schimpft nach Belieben – Er war doch ein guter Mann.

Chassecoeur. Ja, er aß Rostbeef, aber keine Ofenschrauben.

Vitry. Du schilderst ihn. Was da?

Leute verschiedenen Standes (stürzen herein). Napoleon ist gelandet –

Chassecoeur. Vitry!

Vitry. Chassecoeur! das Veilchen blüht!

Schneidermeister. Die beiden Gardisten springen auf, als ging' es zum Tanze!

Die Leute. – und bei Chalons-sur-Saône ist er gehängt worden!

Chassecoeur. Wer sagt das?

Die Leute. Der Moniteur und der Telegraph.

Vitry. Sei ruhig, Chassecoeur. – Wenn die beiden zusammen es sagen, so ist es doppelte Lüge. Warum liefe der König sonst weg?

Anderes Volk (stürzt herein). Der Kaiser ist in Fontainebleau!

Schneidermeister. Donner und Hagel! – Neys Armee?

Volk. Ist zu ihm übergegangen, und hat ihm den Marschall mitgebracht!

Schneidermeister. Die armen Bourbons!

Vitry (zu Chassecoeur). Von nun an laß das Räsonnieren – nicht mehr nötig – denk' an deine Waffen.

Chassecoeur. Sie liegen geputzt und blank im Winkel.

Vitry. Die meinigen auch!

Schneidermeister (zu einem Nebenstehenden). Paß auf, jetzt stift' ich eine Revolution.

Der Nebenstehende. Wodurch?

Schneidermeister. Narr, durch diesen Pflasterstein –- Ich blicke, blicke und blicke auf ihn hin.

Savoyardenknabe.

»La marmotte –«

(Er stockt und deutet auf den Schneidermeister.) Was hat der Mensch?

Andere Umstehende. Was sieht der?

Noch andere. Was geschieht? (Es drängt sich allmählich eine große Volksmasse um den Schneidermeister.)

Schneidermeister (halblaut). Hm – Hum – Oh!

Volk. Großer Gott! Was ist?

Schneidermeister (murmelt). Gefahr – Paris – Die Seine – Aristokraten –

Einer aus der Masse. Was sagt er?

Ein Anderer. Verstehst du nicht? Die Aristokraten wollen Paris untergraben, es mit Pulver von Vincennes in die Luft sprengen, wollen die Seine ableiten, und die Zufuhr sperren!

Weiber. Wir Unglücklichen! oh, unsere Kinder!

Männer. Waffen! Waffen! – Die Arsenale erbrochen! – Waffen! Waffen!

Ein Bürger (kommt). Meine Herren, es ist wahr – man will die Seine ableiten – Hier hab' ich eine Schaufel – sie lag an ihrem Ufer – Zeugnis genug!

Volk im Vordergrunde. Die Schaufel – oh, die Schaufeln!

Volk im Mittelgrunde. Man miniert unter der Seine – Zehntausend Schaufeln sind entdeckt!

Volk im Hintergrunde. Auf! auf! Wir wollen uns wehren für Leben, Weib und Kind, oder was es sonst sein mag!

Schneidermeister (für sich). Das letzte klingt lustig – »Was es sein mag!« – Sie wissen nicht, was sie wollen, und werden nehmen, was sie bekommen. – Ich aber weiß mein Teil, neue Regierung, neue Kleider! (Halb für sich.) Das Brot Gott, das Brot –

Volk. Die Bäcker, die Müller erwürgt! Sie sind von den Ministern bestochen, uns aushungern zu lassen! Es findet sich kein Brot mehr in der Stadt! Brot, Brot, Brot!

Schneidermeister. Wie sie auf einmal hungrig werden! – Aber – o wer kommt da? – Weh! die Vorstadt St-Antoine! Die ganze Stadtsippschaft, mit welcher ich mich bis jetzt vergnügte, rettet weder mich noch sich gegen das Belieben dieser Bestien von Habenichts und Herren von Schlagzu! – Ach, wir lebten unter dem achtzehnten Ludwig so glücklich!

Ein Nebenstehender. Auch du?

Schneidermeister. Freilich. Wie sonst hätt' ich so kühn scherzen können? (Er horcht auf.) Und Himmel! schon das alte, wilde »ça ira« – Mir fröstelt's im Blut! Es wird weiß, wie Schnee!

Vorstädter von St-Antoine (treten auf, singend).

Ah! ça ira, ça ira,
Suivant les maximes de l'Evangile,
Ah ça ira, ça ira, ça ira,
Du legislateur tout s'accomplira.

Ein Bürger. Wie paßt das heute?

Schneidermeister. »ça ira«, mein Herr, heißt so viel als »Kopf ab, wo es uns gefällt«. Mit dem Inhalt ist es einerlei, aber die Bedeutung und Wirkung ist dieselbe. – Wir Armen!

Vitry. Ja. Chassecoeur, so etwas hast du in Rußland nicht gesehen, – das sind die echten Ohnehosen und Schonungslosen – Ihre Piken sind schlimmer als die der feigen Kosaken!

Vorstädter von St-Antoine.

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Celui qui s'élève, on l'abaissera,
Celui qui s'abaisse, on l'élèvera,
Ah ça ira, ça ira, ça ira.
Le peuple armée toujours se gardera,
Le clergé regrette le bien qu'il a,
Ah ça ira, ça ira, ça ira,
Par justice la nation l'aura,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

Schneidermeister. Welche Orchesterbegleitung! Ein zerlumpter Bärenführer mit der Trommel und ein schmutziger Junge mit einem Triangel! Na, Opern, jetzt ist es aus mit euch!

Vorstädter von St-Antoine.

Pierrot et Margot chantent à la guinguette,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Rejouissons-nous, le bon temps viendra,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

Schneidermeister. Wie gern lief' ich weg – die verwünschte Neugierde! Es sieht zu kurios aus – Oh – da ist Jouve, der Kopfabhacker von Versailles und Avignon, wieder an der Spitze, eine ellenhohe rote Mütze auf dem Kopfe – Seit zwanzig Jahren sah' ich ihn nicht – – Und da tragen sie auf den Schultern eine Hure, in ihrer Jugend, als Gott vom Wohlfahrtsausschuß abgesetzt war, Göttin der Vernunft, und jetzt dieselbe noch einmal, aber recht gealtert.

Vorstädter von St-Antoine. Hoch die Vernunft!

Andere. Die Hölle mit ihr!

Wieder Andere. Und der Himmel breche zusammen!

Noch Andere. Der Teufel soll Gott sein!

Alle. Das soll er, er ist ein braver Kerl!

Jouve. Das ist er, Brüder, aber eben darum der Verleumdete, der Unterdrückte – (Zu dem Schneidermeister.) Lumpenhund, was blinzelst du mit den Augen?

Schneidermeister. Vor Freude, mein Herr, daß in Frankreich auch der Teufel zu Recht und Ehre kommt.

Viele Vorstädter. Jouve, laß den Mann gehn – er ist so übel nicht –

Jouve. Dann ist er schlecht genug – Wer nicht für uns ist, der ist wider uns – Dieser, merk' ich, ist ein Schuft, der seine Courage da hat, wo er nichts zu fürchten braucht, – der die Fahne auf der einen Seite weiß, auf der anderen dreifarbig trägt, und sie nach dem Winde schwingt. – Seht, wie er anfängt, sich hin und her zu wenden – er möchte jetzt gern fort, nach Haus, sich dort mit seiner Familie hinter dem Ofen verstecken, bisweilen an die Fensterladen schleichen, durch die Ritzen gucken, und ohne Gefahr bemerken, was es auf der Straße für Unheil gibt, um gleich darauf in Sicherheit darüber zu schwatzen – Derlei Memmen sind schändlicher als die öffentlichen Mordbrenner – – Schneiderfetzen, (denn so etwas wirst du sein) Courage, Schere, Nadeln heraus, – hier mein Schmiedehammer – Wehre dich oder krepiere!

Schneidermeister. Weh mir!

Jouve. Nieder! (Er schlägt ihn zur Erde.)

Vorstädter und anderes Volk. Ha! Blut! Blut! Blut! Schaut, schaut, schaut, da fließt, da flammt es – Gehirn, Gehirn, da spritzt es, da raucht es – Wie herrlich! Wie süß!

Jouve. Schneiderblut und Schneidergehirn – Besseres Blut tut uns not – Wer noch keine rote Mütze hat, färbe sich, bis wir edleres haben, mit diesem Blute das Haar.

(Viele Vorstädter tun es.)

Vorwärts – die Tuilerien angesteckt – Es lebe die Freiheit!

Alle Vorstädter. Sie lebe!

Ein Vorstädter. Da kommt Nationalgarde!

Jouve. Geh' du hin, und sag' ihren Anführern, sie möchten sich mit ihren Leuten auf der Stelle, und zwar mit gekrümmtem Buckel nach Hause begeben, sonst würd' ich ihnen in der Manier, wie ich sie 1789 in Versailles lernte, ihre Köpfe, falls sie etwas von Kopf haben möchten, dergestalt abhacken, daß dieselben, ehe sie den Mund zum Schrei aufsperren könnten, auf dem Boden lägen. –

(Der von Jouve Angeredete ab.)

– Wer ein guter Patriot ist, folgt mir nach! Hacket dem verräterischen Schneider die Finger ab, und steckt sie in den Mund als Zigarren der Nation!

Viele Vorstädter. Her die Finger! – Ach, er hat nur zehn!

Jouve. Geduld, es gibt Verräter genug, um noch tausende zu erhalten. Bekommen wir den König oder den Kaiser in die Hände, sie gehören beide mit dazu.

Chassecoeur. Der Kaiser?

Vitry. Kamerad, still – den Kaiser und uns hat die Revolution gemacht, diese aber machten die Revolution und den Kaiser.

Jouve. Welcher Bengel wagte mir in die Rede zu fallen und nach dem Kaiser zu fragen?

Vitry. Da hast du es, Chassecoeur.

Chassecoeur. Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde.

Jouve. Leute, der Kerl macht sich Titel – An den Arm der Laterne mit ihm!

Vorstädter. An den Laternenarm den Verräter!

Vitry. Bitte, bitte, schont ihn, ihr Helden der Revolution –

Vorstädter. Ah –

Vitry. Schöne, allerschönste Göttin der Vernunft, leg' ein Wort für den Unvernünftigen ein – Es geziemt der Vernunft, die Tollen zu bemitleiden.

Göttin der Vernunft. Jouve, laß den Narren närrisch sein. Er ist so geboren und in der Armee so erzogen – er kann es nicht ändern.

Jouve. Du sagst es, Göttin. – Aber du kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, merke dir mit deinem schwachen Verstande die Kleinigkeit: soll dir nicht hineingeschlagen werden, so reiße gegen französische Bürger das Maul nicht zu weit auf.

Chassecoeur. Hölle –

Vitry. Sacht! – der Kaiser ist gewiß bald da.

Advocat Duchesne (kommt). Meine Herren –

Vitry (beiseit zu ihm). Herr Redner, still – Die da verstehen den Teufel von Ihrem Brei, und wen sie nicht verstehen, den bewundern sie nicht, wie unsre Bekannten im Palais Royal, sondern sie bringen ihn um.

(Gensd'armerie zu Pferde kommt.)

Ein Hauptmann der Gensd'armes. Auseinander, Pöbel!

Jouve (zu einem seiner Nebenmänner). Schleich' dich hinter das Pferd des Gensd'armeshauptmanns, reiß' ihn rücklings herunter – ich falle ihn und seinen Gaul von vorn an.

(Jouves Nebenmann ab.)

Was wollen Sie, mein Herr?

Hauptmann der Gensd'armes. Nur Ruhe

Jouve. Die soll Ihnen werden, in zwei Minuten. – Leute, habt ihr recht starke Stricke? Der Kerl ist fett und schwer.

Hauptmann der Gensd'armes. Empörung! Schießt, haut ein, Gensd'armes!

Jouve. Wer ist mehr, ein Gensd'armes oder ein Franzose? Ihr hauet nicht ein, Bürger Gensd'armes, aber euren elenden Hauptmann hängen wir an jene Laterne, so gewiß als ihn mein Freund in diesem Augenblick vom Pferde reißt.

Hauptmann der Gensd'armes. Rettet mich, Kameraden!

Jouve. Findest deine Kameraden in der Hölle. (Er schlägt das Pferd des Hauptmanns der Gensd'armes nieder.)

Vorstädter. In die Luft den Kerl! Hopsa!

Hauptmann der Gensd'armes. Schändlich – – Tut alles, nur meinem Halse nicht zu weh – (Er hängt.) Ach! (Er stirbt.)

Jouve. Wo sind die anderen Gensd'armes?

Ein Vorstädter. Schnell auseinander und fortgeritten.

Jouve. Das war von ihnen weise gehandelt! (Aufhorchend.) Was für Trompeten?

Chassecoeur und Vitry. Ha! (Horchen auch auf.)

Volk. Dort zahllose Reiterei!

Einige. Kennt ihr die klirrenden Kalpaks von Blech und Stahl? Es sind polnische Lanzenreiter.

Jouve. In Ordnung, Brüder – Man will uns im Namen des längst hingerichteten Kaisers überrumpeln! – Da Trommeln?

Ein Ankommender. Die Infanterie von Ney, an den Tschakos das Trikolor!

Jouve. Satan, von jener Seite?

Der Angekommene. Artillerie, bedeckt von den Kürassieren Milhauds.

Jouve. Wie konnte der kleine Corporal das alles so schnell ordnen? – Er ist doch ein tüchtigerer Kerl als Mirabeau, Robespierre oder ich – Schade, daß er tyrannisiert! – Links? und hinter uns?

Der Angekommene. Links die Garde zu Fuß mit der alten Parademusik, hinter uns die Garde zu Pferd, – soweit man blickt nichts als Bärenmützen!

Chassecoeur und Vitry. Unsre Kameraden, unsre Kameraden – In Reih und Glied mit ihnen – Jetzt Pöbel zittre! – (Sie eilen zu der vorbeirückenden Garde.)

Jouve. Vorstädter, Ruhe! – Wir spielen nicht mehr mit Ludwigs Gensd'armes, sondern mit Ihm. Er ist ein schlechter Kerl, aber sein Handwerk versteht er. Paris liegt in seinen Ketten, eh' es ihn nahe ahnte. –

Ein Vorstädter. Da 'ne Kröte von einer Kutsche – Dragoner um sie her – Was wollen die bei dem erbärmlichen Dinge? Ich möcht' es visitieren.

Jouve. Der Blick aus dem Kutschschlag war vom Auge des Mannes von Austerlitz.

Mehrere Stimmen. Wieder zwei Kutschen mit kaiserlichen Wappen!

Jouve. Voll von Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses. – Wo Aas, da die Raben, sonst begreif's der Henker, wo diese Personen auf einmal herkommen. (Für sich.) Der Imperator zurück, und in der Mode, solang es dauert. Ich mache sie mit und trage morgen wieder einen eleganten Frack. Die Jakobinermützen überdauern am Ende doch alles. (Laut.) Es beginnt zu dämmern! Hausbewohner, Lichter an die Fenster, zu Ehren des Kaisers und der Nation! – Damen von Paris, muß man euch erinnern? Das Volk erwartet schon lange von euren schönen Händen dreifarbige Kokarden! (Die Fenster werden erhellt, – Damen eilen an dieselben und werfen die Kokarden in Menge unter das Volk.)

Volk. Heil den Damen von Paris!

Ein Krämer (tritt mit seiner Frau aus dem Gewölbe). Liebe Frau, laß die weißen Kokarden, die sie wegwerfen, morgen mit dem Frühesten aufsuchen, und sorgfältig in einen Koffer packen – Vor einem Jahre macht' ich es ebenso mit den dreifarbigen, habe drei Koffer davon voll und pass' auf, ich setze sie jetzt reißend ab. (Ruft.) Hier dreifarbige Kokarden, das Stück zu einem Sous!

Jouve. Hund, du wagst die Farben der Nation zu verkaufen? Du kommst meiner Laune gelegen! (Zu seinen Leuten.) Nehmt ihm die Kokarden! (Wieder zu dem Krämer.) Dir schaff' ich dafür das Trikolor umsonst: sieh, diese Faust ballt sich unter deiner Nase, und du wirst weiß, – jetzt erwürgt sie dich und du wirst blau wie der heitere Himmel, – nunmehr zerstampf' ich deinen Kopf, und du wirst rot vor Blut.

Frau des Krämers. Gott, o Gott!

Jouve. Die Gans fällt in Ohnmacht – notzüchtigt sie, wenn sie so viel wert ist, aber im Namen des Kaisers!

Alle. Jouve hoch und abermals hoch!

Jouve. Bärenführer pfeif' und trommle, Triangler klingle!

(Es geschieht.)

Nach den Tuilerien!

(Alle ab.)

Zweite Szene

Vor den Tuilerien.

Abenddämmerung. – Alte Gardegrenadiere zu Fuß, und polnische Lanzenreiter auf Wache. Überall Volk.

Alter Gardegrenadier. Was hast du da?

Ein anderer alter Gardegrenadier. Betten aus dem Schloß.

Alter Gardegrenadier. Wer schlief darin?

Der Andere. Die königlichen Haustruppen.

Alter Gardegrenadier. Die haben ja einen Geschmack wie die Wickelkinder der – Ich wenigstens kannte außer Stroh und Straßenpflaster seit vierzehn Jahren kein Bett, und schlafe so besser, je härter ich liege.

Der Andere. Volk, nimm dich in acht! Es stäuben Federn! (Er wirft die Betten unter das Volk, und legt sich zum Schlafe auf das Pflaster, viele seiner Kameraden ebenfalls. – Das Volk streitet sich um die Betten und reißt sie bei der Gelegenheit zu Stücken.)

Jouve (kommt mit seinen Vorstädtern; für sich). Wie es hier stehen mag? – Ha, schlimm – Hat der Kaiser hunderttausend Mann, die so wie diese für ihn sich in den Dreck lagern, so macht ganz Europa mit allen diplomatischen Sofas nichts gegen ihn.

Ein Bürger. Auf die Seite, Platz gemacht!

Ein Vorstädter. Weshalb, Kerl?

Der Bürger. Es sprengen zwanzig, dreißig Estafetten aus dem Tor des Palastes.

Ein anderer Bürger. Und da kommen gerade dreißig wieder an – Gleich und gleich hebt sich!

Erster Bürger. Da fliegen Adjutanten heraus!

Zweiter Bürger. Und da jagen Kaleschen herein!

Jouve (für sich). Er ist da – und schon reißt er Frankreich in seinen Strudel – – Aber hier ein kaiserlicher Wagen, die Hortense darin – Die Wache liegt zum Teil schlafend auf dem Boden – Macht sie nicht die Honneurs oder kommt sie in Unordnung, so fass' ich frischen Mut, stürme noch heute nacht die Tuilerien, und pflanze auf seiner Leiche den Freiheitsbaum auf!

Schildwache (ruft). Ins Gewehr! – Königin Hortense!

(Die ganze Wache kommt in Bewegung, und hält gleich darauf zu Pferde und zu Fuß in Ordnung.)

Offizier der Gardegrenadiere zu Fuß. Präsentiert das Gewehr! Trommel gerührt!

Offizier der polnischen Lanzenreiter. Säbel heraus! Trompete geblasen!

(Trommeln und Trompeten.)

Volk. Es lebe Hortense!

Hortense (blickt aus dem Wagenfenster). Ich danke!

Viele des Volkes. Die ist doch hübscher als die Angoulême.

Jouve (für sich). Hier ist nichts zu machen – Die Leute sind zu einexerziert und zu begeistert – Weg meine Träume – Es lebe der Kaiser!

Volk. Hoch der Kaiser!

Offizier der Gardegrenadiere zu Fuß. Gewehr ab!

(Es geschieht.)

Offizier der polnischen Lanzenreiter. Säbel ein!

(Es geschieht.)

Die Offiziere. Nun schlaft, bis die Schildwachen euch wecken.

Dritte Szene

Abend. Zimmer in den Tuilerien. Erleuchtet.

Napoleon. Viele diensttuende Offiziere um ihn. Andere sitzen und schreiben.

Napoleon. Wo Cambronne?

Offizier. Sire, er visitiert die Wachen.

Napoleon. Diese Zimmer – Ich bin wieder zu Haus, und Frankreich ist mein! – Hier wandelten also vor ein paar Stunden Blacas d'Aulps und d'Ambray? Ah, (halblaut)

S'il est un temps pour la folie,
il en est un pour la raison.

Wem gehörten diese Bücher?

Offizier. Dem König Ludwig.

Napoleon. Ich bin doch neugierig – (Er blickt in mehrere.) Gebete! – Mit Gebeten und Jesuiten zwingt man nicht mehr die Welt – Die Bücher beiseit, und Landkarten auf den Tisch – (Zu einem Offizier.) Lassen Sie in die Zeitungen setzen: binnen drei Wochen würden die Kaiserin und der König von Rom hier sein. (Adjutant ab. Napoleon für sich.) O mein Sohn – in den Krallen von Habsburg – Ich kann's, ich mag's nicht denken! (Zu einem schreibenden Offizier.) Die Depeschen?

Der Offizier. Sind fertig, Sire.

Napoleon. Fort mit ihnen in die Provinzen. – – Hier neue! – Welch sonderbares Ding von einem Stuhl?

Ein Offizier. Des Königs Rollstuhl.

Napoleon (setzt sich hinein). In dem sitzt es sich freilich bequem – in dem konnte man leicht vergessen, daß es in Frankreich und auf Elba ganz anders war, als in diesem Zimmer. (Wieder aufstehend.) Schließt den Stuhl beiseit.

Ein Kammerherr (tritt ein). Sire, hier Depeschen – schriftliche Nachrichten von dem Telegraphen –

Napoleon. Her damit – – Die Depesche ist albern – (Er wirft sie weg.) – Da Aufruhr in der Vendée – General Travot kennt den Distrikt seit zwanzig Jahren – Er soll hin mit zehntausend Mann – Schnell, schnell das expediert, ihr Schreibenden! Die Truppen nimmt er aus Nantes und Angers. – – – Hier – oh, alles, alles seit dem April von 1814 in Frankreich Ruin, Festungen und bürgerliche Ordnungen – bloß mit den Einkünften der Pfaffen steht's gut – wenigstens beschweren sich die Gemeinden über das Unmaß derselben. (Zu den Schreibenden.) Die Missionskreuze auf den Marktplätzen sollen fort, kein Geistlicher unter Bischofsrang erhält mehr Gehalt als ein Bezirksrichter.

– Nochmals der Telegraph? – Murat marschiert. Konnt' er denn nicht warten, bis Ich gerüstet war? Die Übereilung ist schlimm für ihn und etwas Schade für mich. – Zwölf Zimmer sollen in Toulon königlich eingerichtet, und ihm überlassen werden, kommt er auf der Flucht dahin. – Bildet sich der Mensch ein, er könne in Einem Feldzuge mit seinem neapolitanischen Gesindel Italien organisieren – Das ist eine Arbeit für Jahrhunderte – Geistliche und weltliche Politik haben zu fleißig dafür gesorgt.

Kammerherr (tritt ein). Der König flüchtet, wie man erfahren, über Lille.

Napoleon. Alle Behörden und alle Festungskommandanten sollen ihn laufenlassen, soviel er kann. Hab' ich ihn, so macht er mir Plage, hab' ich ihn nicht, so bin ich mit der Plage verschont und er tut mir keinen Schaden.

(Kammerherr ab.)

Ein Offizier. Sire, das Volk ruft Ihnen immer donnernder Vivat –

Napoleon. Schon gut.

Der Offizier. Und es fleht, Sire, Sich einen Augenblick am Fenster zu zeigen, um sein Sehnen nach Ihrem Antlitz zu stillen.

Napoleon. Die Canaille wird anmaßend – Die Bourbons haben, so hochadlig sie sind, die Zügel doch recht schlaff gehalten –Nun – (Er geht einen Augenblick an das Fenster, lautes Geschrei: »Es lebe der Kaiser« erschallt. Er tritt zurück und)

Der Kammerherr (kommt wieder). Neue Depeschen –

Napoleon. Gut. Übrigens verbitt' ich, mir künftig jedesmal die Kuriere und Depeschen förmlich anzumelden. Wer Beruf oder Mut hat, mir etwas zu bringen, mit mir zu sprechen, komme unangemeldet, Europa blickt voll Erwartung hieher, und läßt mir keine Zeit zur Etikette.

Kammerherr. Wie Sie befehlen, Sire.

Napoleon. Apropos – Standen Sie bei Ludwig dem Achtzehnten im Dienst?

Kammerherr. Sire, ja – einige Zeit.

Napoleon (für sich). »Sire, ja – einige Zeit« – Ein stotternder Zweideutler. (Laut.) Meines Dienstes sind Sie entlassen.

(Kammerherr ab. Kuriere, Ordonnanzen treten ein.)

Die Botschaften – Ah, Gilly hat den Angoulême bei Lyon gefangen – (Zu einem Offizier.) Der Telegraph hat nach Lyon zu berichten, daß General Gilly den Herzog von Angoulême im ersten besten Seehafen denen, die ihn zu besitzen wünschen, ausliefre.

(Offizier ab.)

Wieder der Telegraph – Die Angoulême ist nach tapferer Gegenwehr aus Bordeaux vertrieben. – Sie ist der einzige bourbonische Sprößling, der Hosen zu tragen verdiente. –Was bringst du?

Eine Ordonnanz. Dieses, Sire.

Napoleon. Auch vom Telegraphen. – Pah, der Kongreß in Wien ist auseinander. Daß der auseinanderlief, wußt' ich, als ich von Elba den Fuß in das Schiff setzte. – – Und du?

Eine andere Ordonnanz. Depeschen von Montmedy.

Napoleon (während er liest). In Preußen marschiert's – Der sonst so sparsame Staat schickt seine Soldaten sogar auf der Post an unsre Nordgrenze – Die Niederlande machen es ebenso – – Nun, kommt ihr mir zu voreilig entgegen, so rechnet's euch selbst zu, wenn ihr mich zu früh findet. (Zu den Schreibenden.) Ist alles fertig?

Die Schreibenden. Ja, Sire.

Napoleon. So schickt es fort.

(Mehrere ab.)

– – Du hast?

Eine Ordonnanz. Telegraphische Nachrichten von Brest und von Toulon –

Napoleon. Ha, England – (Er liest.) – Die englischen Flotten überall an Frankreichs Küsten mit ausgesteckter, roter, großer Kriegesflagge – Orlogs, kommt meinen Strandbatterien nicht zu nahe! – – Und ganz Frankreich ist von den Herren in St. James in den Blockadezustand erklärt? – Ei, warum verbieten sie uns nicht auch das Atmen?

Bertrand (kommt). Sire, hier die Ausfertigungen –

Napoleon. Bist fleißig gewesen; ich glaube, du hast in drei Tagen weder unterwegs noch hier geschlafen.

Bertrand. Konnt' ich's vor Freude? – Da wollt' ich denn doch bei dem Wachen auch etwas tätig sein.

Napoleon. Was macht deine Frau?

Bertrand. Sitzt am Stickrahmen, springt wieder auf, tanzt, küßt ihr Kind, empfängt Bekannte, glüht vor Freude und Gesundheit, und ruft einmal über das andere: Es lebe Gott, es lebe der Kaiser, und jetzt mögen wir dazu leben!

Napoleon. Grüße sie von mir – Nun?

Bertrand. Sire, noch etwas –

Napoleon. Ich merke, was Schlimmes – Entdeck' es, – ich bin kein Bourbon, – wer wie sie das Schlimme nicht erblicken will, vermeidet es nicht.

Bertrand. Die Telegraphen melden von allen Seiten, daß nirgends, vom kleinsten deutschen Fürstenhofe bis nach Wien, Berlin und der Newa deine Briefe angenommen sind.

Napoleon. So will Ich Selbst sie den Herren bringen, und drei mal hunderttausend Mann dazu. – Künftig läßt du in jedem offiziellen Schreiben, das »Wir« und das »von Gottes Gnaden« aus. Ich bin Ich, das heißt Napoleon Bonaparte, der sich in zwei Jahren Selbst schuf, während jahrtausendlange erbrechtliche Zeugungen nicht vermochten, aus denen, die sich da scheuen, meine Briefe anzurühren, etwas Tüchtiges zu schaffen. – Jetzt durchzuckt es mich wie ein Blitz, und ich sehe klar in die tiefsten Gefilde der Zukunft: es wäre klüger von mir gewesen, hätt' ich – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Sind einmal alle Vorurteile der alten Zeit umgewälzt, so schadet es den Enkeln meines Sohnes noch in späten Jahrhunderten, daß sie von einer als kaiserliche Prinzessin geborenen Mutter entsprungen und dadurch der Anhänglichkeit an lächerliche Ahnenideen verdächtig sind!

Bertrand. Auch haben alle Mitglieder des Kongresses –

Napoleon. Zaudre nicht –

Bertrand. – eine Art Acht über dich ausgesprochen.

Napoleon. Es ist spaßhaft. Geächtet? Mich? Warum?

Bertrand. Sire –

Napoleon. Ich will dir es sagen: Alle die Leute mit all ihren Generalen, den alten, tollen Blücher vielleicht ausgenommen, beben nicht vor Frankreich, wie es jetzt ist, sondern vor meinem Genie. – Geächtet! Ich! Ich kann mir die schönen Phrasen denken, in welchen die Ächtung ausposaunt ist – vom »Störer des Weltfriedens, Eroberer, Tyrannen« wird's darin wimmeln. – Eh, eine treffliche Sprache im Munde der Teiler von Polen – Vermieden sie nur die politische Scheinsucht, – würden sie nur nicht zugleich kleinliche Heuchler, indem sie große Gewalttaten begehen, – aber da wird alles mit erlesenen Beweggründen motiviert, jeder Raub mit glatten Worten ausgeputzt, und beides dient bloß die Bewältiger und Räuber verhaßter und verächtlicher und die Unterdrückten und Beraubten erbitterter zu machen! – Geächtet! – Weil ich als Kaiser, als unabhängiger Fürst von Elba, den Bourbons, die mir meine Pension nicht zahlten, Krieg gemacht? Hat Rußland je so viel Ursach zum Krieg mit den Osmanen gehabt? – O Gott sei gelobt, daß ich Waffen genug habe, um meinen Grimm nicht wie ein armer Sultan verbeißen zu müssen! – Bertrand, am dreizehnten Juni, abends sieben Uhr, steh' ich mit meiner ganzen Armee bei Avesnes und weder sie soll wissen, wie sie dort zusammengekommen ist, noch der Feind mich eher ahnen, als bis ich mitten in seinen Kantonierungen hause. – Nimm diese Karte, – die Marschrouten hab' ich schon darauf bezeichnet, – laß bis morgen früh an die Heerteile und Platzkommandanten die nötigen Befehle ergangen sein.

(Bertrand ab. Fouché und Carnot treten auf.)

Napoleon (für sich). Die beiden zusammen? – Ich hätte jeden lieber einzeln – Doch der freie Eintritt ist einmal erlaubt.

Fouché. Sire, unsre Glückwünsche zur Wiederbesteigung Ihres Thrones.

Napoleon. Otranto, – Sie übernehmen wieder das Portefeuille des Polizeiministers.

Fouché. Sire –

Napoleon. Und Ihnen, Graf Carnot, Dank für die Verteidigung von Antwerpen.

Carnot. Leider war sie vergeblich, – ich mußt' es auf Befehl des Königs übergeben.

Napoleon. Tut nichts. Belgien entläuft uns doch nicht. Wissen Sie, meine Herren, daß bereits ganz Europa gegen uns proklamiert und marschiert.

Fouché. Wir wissen es.

Napoleon. Was tun wir?

Carnot. Sire, geben Sie Frankreich eine liberale Konstitution, mit sichren Garantien, und die Despoten Europas erzittern, während der Bürger von Paris fröhlich sein Vaudeville singt.

Napoleon. So auch sprach neulich ein braver junger Mann, Labédoyère. »Liberalismus«, »Konstitution« lauten gut, aber Carnot, Sie erfuhren selbst, wie wenig die Menge davon versteht. Der gute, wohlmeinende Advocat aus Arras, Robespierre, mußte zum Schreckensmann werden, als er die Republik aufrechterhalten wollte, und Sie selbst waren sein Kollege. Dafür haben die Zeitungsschreiber ihn und Sie so mit Tinte übergossen, daß es lange währen wird, ehe der Strom der Geschichte beide wieder weißwäscht. – – – Was ich für den Augenblick tun kann, soll indes geschehen – Die Zukunft schaffe weiter. Alles was in der neuen bourbonischen Charte nach Feudalismus und Pfaffentum schmeckt, will ich durch eine Zusatzakte wegschaffen, und diese Akte auf einem Maifelde, ähnlich jenem der fränkischen Kaiser, publizieren lassen. Aber, aber, glauben Sie, meine Herren, Charten und Konstitutionen sind zerreißbarer als das Papier, auf welches man sie druckt.

Fouché. Sire, eine Druckerei bedeutet jetzt mehr als eine römische Legion.

Carnot. Und bedeutete sie weniger als eine französische Compagnie – besser, das Gute wollen, als das Schlechte tun.

Napoleon. Sie, Carnot, sind mein Minister des Innern.

Carnot. Sire, Sie geben mir ein Amt, dessen Geschäfte ich nicht kenne.

Napoleon. Das Kriegsministerium wär' ihnen lieber, aber Davoust ist der dermaligen Armee bekannter als Sie – Er hat es. – Drum nehmen Sie den Minister des Innern an, wär's auch nur als nicht verschmähtes Zeichen meines Zutrauens, und seien Sie ohne Sorge, ob Sie dazu passen, – Sie passen zu jedem großen Staatsdienst, denn Sie sind weise, kühn und brav. – Meine Herren, für heute gute Nacht.

Fouché (mit Carnot abgehend, flüstert diesem zu). Die alte Manier, als wäre gar kein Elba gewesen.

Napoleon. Der listig kühne Fouché und der ehrliche Republikaner Carnot sind immer zehnmal besser als der klug feige Talleyrand, welcher mit dem Winde schifft, und nachher sagt, er hätte ihn gemacht. Weh ihm, irrt er sich einmal um die Breite eines Haares, der Seiltänzer! Weh ihm, irrt er sich jetzt an mir!

(Hortense tritt ein.)

Warum kommst du erst jetzt? Du bist seit einer Stunde hier. – Ich hörte deinen Wagen.

Hortense. So genau weiß das mein Kaiser? Ich sollte mir schmeicheln.

Napoleon. Und deine Reisekleider abgelegt – in Goldstoff – Welch ein Gürtel, – eine Sammlung von Diamanten.

Hortense. Ich schmückte mich, um dich in würdiger Tracht zu grüßen.

Napoleon. Frischer Lorbeer im Haar? – Davon muß ich bald ein paar Blätter verdienen.

Hortense. Ach, seit wir uns nicht gesehen, Kaiser, ist manches, manches Schmerzliche über deine Familie ergangen, – du sprühtest Funken, wüßtest du, wie undankbar, wie schlecht die Menschen sind! Allein das Geschick tat doch den härtesten Schlag –

Napoleon. Hortense, ich bitte, laß deine Gewohnheit, mache mich nicht schwermütig – Ich habe andere Geschäfte. –

Hortense. Einen Augenblick hast du übrig für das Angedenken an Die, die jahrelang nur dich dachte – die bescheidene Blume, welche du der prächtigen Rose des stolzen Österreichs opfertest, – sank dahin.

Napoleon. Josephine! – – Hortense, du bist hart – Oh, ihr Tod hat mir schon genug schmerzvolle Nächte gekostet – Ja, Sie war mein guter Stern! – Mit ihr erlosch mein Glück! – – Selige Tage, wo ich in Italiens Gefilden den Tod verachtete, und nur siegte, um ihr meine Triumphe zu melden! Das hat mich zum Helden geschaffen! – Sprach sie von mir noch in den letzten Stunden?

Hortense. Als sie nicht mehr sprechen konnte, blickte sie auf das goldne N über ihrem Betthimmel, und ließ sich die Hand auf das Herz legen.

Napoleon. Ha! – – Genug, Hortense. Es ist überhaupt alles anders geworden. Ich bin, wie in einer Wüste. Berthier ist fern, Duroc, Bessieres sind längst gefallen, Junot hat sich aus dem Fenster zu Tode gestürzt, Louise und meinen Sohn hält man zurück, und noch schlimmer als das alles, viele sind weder gestorben, noch haben sie sich entfernt, aber sie wurden Verräter. Selbst der Ney – Er ist der Mutigste meiner Marschälle, doch an Charakter der Schwächste. Du hättest das Gesicht sehen müssen, mit dem er vor mich trat, als seine Truppen zu mir abfielen. Er hatte im Ernst gegen mich kämpfen wollen, und konnte nun nicht das Auge aufschlagen. Als ich ihm aber entgegenging und tat als wüßt' ich nichts, ward er wie ein geretteter armer Sünder, wäre mir fast zu Füßen gefallen, und ich bin überzeugt, er streitet nächstens verwegener für mich als je.

Hortense. Ich würd' ihn nicht wieder anstellen.

Napoleon. Ich muß es tun – Sein Name hat einen guten Klang im Heere.

Hortense. Es gibt Einen unter deinen Ministern, der treuer ist als alle deine Marschälle – Er harrt im Vorsaal, Wonne im Auge –

Napoleon. Das ist Maret.

Hortense. Du errätst ihn.

Napoleon. Keine Kunst, – er ist gewandt wie ein Aal, klammert sich aber auch ebenso fest an. – Er bekommt das Staatssekretariat zurück.

Hortense. Auch deine Brüder: Lucian –

Napoleon. Der Präsident der Fünfhundert naht sich dem Kaiser? O weh, ich muß ihm hülfsbedürftig, seiner Großmut würdig erscheinen.

Hortense. Auch Joseph, Jérôme –

Napoleon. Die beiden unterscheide ich nicht. Jeder fühlt sich in dem Teiche wohl, in den ich ihn setze.

Hortense. Beurteile nicht alle so hart. Bedenke, was würde die Welt, wären wir alle wie du!

Napoleon. Nun, die würde nicht so übel.

Hortense. Ewiger Krieg und Lärm wurde aus ihr –

Napoleon. Hortense –

Hortense. Verzeihe, Kaiser – – Bin ich zu frei, ist deine Güte schuld. – Aber wie viele Kürassiere, Dragoner, Batterien, Grenadiere, Voltigeurs, ziehen wohl schon auf allen Straßen? – O gesteh' es nur – Ich kenne dich. – Dir donnern bereits tausend Kanonen im Haupte – – Schone, schone die Jugend Frankreichs, schone die Mütter, welche mit zerrißnen Herzen ihre Söhne in den Tod senden!

Napoleon. Die Truppen, welche jetzt marschieren, sind Veteranen aus Spanien und Rußland, haben schwerlich noch Mütter, und hätten sie deren, welche Französin wäre so schlecht, ihren Sohn nicht gern dem Vaterlande auf dem Felde der Ehre zu opfern? Wo stirbt er besser?

Hortense. Feld der Ehre – sage oft: Feld der – (Sie stockt.)

Napoleon. Sprich.

Hortense. – der Eitelkeit.

Napoleon. Der Albernheit beschuldigen mich die faden Zeitungsschreiber. – Hortense, denke du besser von mir: nie kämpft' ich ohne Grund. Zog ich nach Spanien, so war es, um die Heimtücke des Kabinetts von Madrid zu strafen, die letzten Bourbonen des Kontinents, welche mich nie aufrichtig lieben konnten, aus meinem Rücken zu entfernen, den Engländern mit einem gewaltigen Bollwerk das Mittelmeer zu schließen. Zog ich nach Rußland, so war es, endlich mit einem Schlag zu entscheiden, ob südlicher Geist oder nordische Knuten die Welt beherrschen sollten. Jetzt hätt' ich indes gern Frieden – doch groß und klein ist gegen mich, und ich muß kämpfen.

Hortense. Du mußt – ja, weil du willst.

Napoleon. Ihr Weiber! Wer euch belehren will, beschwört das Feuer. – Hortense tanze, – du verstehst es meisterhaft, – aber nie wieder ein Wort über Politik.

Eine Ordonnanz (tritt ein). Paris ist illuminiert.

Napoleon. Mir lieb, – so haben die Lichtzieher vielen Absatz. (Zu Hortense.) Komm mit in den Vorsaal, Maret und die Brüder zu überraschen. (Zu den Schreibenden.) Meine Herren, schnell! (Mit Hortense ab.)


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