Christian Dietrich Grabbe
Napoleon oder die hundert Tage
Christian Dietrich Grabbe

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Erster Aufzug

Erste Szene

Paris. Unter den Arkaden des Palais Royal.

Vieles Volk treibt sich durcheinander, darunter Bürger, Offiziere, Soldaten, Marktschreier, Savoyardenknaben und andere. Die sprechenden Personen halten sich im Vorgrunde auf. Vitry und Chassecoeur sind zwei abgedankte Kaisergardisten.

Vitry. Lustig, Chassecoeur, die Welt ist noch nicht untergegangen, – man hört sie noch – dort oben im zweiten Stock wird entsetzlich gelärmt.

Chassecoeur. So? – Ich hörte nichts – Warum lärmen sie?

Vitry. Der alte Kanonendonner steckt dir noch im Ohr. Hörst du denn nicht? – Wie rollt das Geld, wie zanken sie sich – sie spielen.

Chassecoeur. O mein Karabiner, dürft' ich mit deiner Kolbe wieder die Kisten zerschmettern wie die Gehirne!

Vitry. Ja, ja, Vater Veilchen spielte um die Welt, und wir waren seine Croupiers.

Chassecoeur. Blut und Tod! Wären wir es noch!

Vitry. Na, still, nur still – In unsrem schönen Frankreich blühn jeden Lenz das Veilchen, der Frohsinn und die Liebe wieder neu, – Veilchenvater kommt auch zurück.

Ausrufer einer Bildergalerie. Hier, meine Herren, ist zu sehen Ludwig der Achtzehnte, König von Frankreich und von Navarra, der Ersehnte.

Ausrufer einer Menagerie (dem vorigen gegenüber). Hier, meine Herren, sehen Sie einen der letzten des aussterbenden Geschlechtes der Dronten, wackeligen Ganges, mit einem Schnabel gleich zwei Löffeln, von Isle de France und Bourbon bei Madagaskar, lange von den Naturforschern ersehnt, ihn zu betrachten und zu zerlegen.

Ausrufer der Bildergalerie. Hier ist zu sehen der Monsieur, der Herzog von Angoulême, sein Sohn, die Herzogin, dessen Gemahlin, der Herzog von Berry und das ganze bourbonische Haus.

Ausrufer der Menagerie. Hier erblicken Sie den langen Orang-Outang, gezähmt und fromm, aber noch immer beißig, den Pavian, ähnlichen Naturells, die Meerkatze, etwas toller als die beiden andern, und so genannt, weil sie über die See zu uns gekommen, den gewöhnlichen Affen, nach Linnée simia silvanus, und das ganze Geschlecht der Affen, wie es nicht einmal in dem Pflanzengarten oder den Tuilerien leibt und lebt.

Ein Polizeibeamter. Mensch, du beleidigst den König und die Prinzen.

Ausrufer der Menagerie. Wie, mein Herr, wenn ich Affen zeige? Hier mein Privilegium.

Geschrei. Rettet! Helft dem Unglücklichen!

Chassecoeur. Was da?

Vitry. Aus dem zweiten Stock stürzt einer auf das Pflaster, und sein Gehirn beschmutzt die Kleider der Umstehenden. Wohl ein Spieler, der sein Alles verloren hat.

Chassecoeur. Oder den die Mitspieler aus dem Fenster geworfen haben, weil er betrogen oder zuviel gewonnen hat.

Vitry. Wie du raten kannst. – Das Volk zittert und faßt ihn nicht an. Ich will ihm beispringen.

Chassecoeur. Pah, laß ihn liegen.

Vitry. Freund, hätt' er nun Frau und Kind, die ohne ihn verhungern müßten?

Chassecoeur. Mir recht lieb. Ich muß auch hungern, – ich wollte die ganze Welt hungerte mit zur Gesellschaft. – Vitry, wir! Als wir Italien, Deutschland, Spanien, Rußland, und Gott weiß was sonst, plünderten und brandschatzten, tausend und aber tausend Damen dieser Länder karessierten oder notzüchtigten, das Geld in Haufen auf die Straße warfen, den Kindern zum Spielwerk, weil wir jede Minute neues bekommen konnten, – hätten wir da gedacht, jetzt zusammen keine vier Sous in der Tasche zu haben, abgesetzt, der Gage beraubt zu sein durch die schwammigen, seewässerigen, schwindsüchtelnden –

Vitry. Bonbons, oder wie es heißt. Kenne den Namen nicht genau. – Doch höre! der kleine Savoyarde.

Savoyardenknabe (mit Murmeltier und dem Dudelsack).

La marmotte, la marmotte,
Avec si, avec là,
La marmotte ist da.
Von den Alpen –
Schläft im Winter, –
Wacht im Sommer, –
Und tanzt in Paris.
La marmotte, la marmotte,
Avec si, avec là,
La marmotte ist da.

Ausrufer bei einem Guckkasten. Meine Damen und meine Herren, hieher gefälligst. – Etwas Besseres als eine elende Marmotte, – die ganze Welt schauen Sie hier, wie sie rollt und lebt.

Savoyardenknabe. Was schimpfst du mein Tierchen? Es ist wohl ebenso gut als dein Guckkasten – (Zu seinem Murmeltiere.) Armes Ding, siehst ordentlich betrübt aus, – der grobe Mensch hat dich beleidigt – O mein Schätzchen, freue dich, sei wieder munter, – niemand glaubt dem Schimpfen – ich gebe dir auch zwei dicke, süße Wurzeln zu Mittag. Nur wieder munter!

Ausrufer bei dem Guckkasten. Sieh da, Zuschauer! – Willkommen! – Erlaubnis, daß ich erst die Gläser abwische – So Treten Sie vor. – Da schauen Sie die große Schlacht an der Moskwa – Hier Bonaparte –

Chassecoeur. Napoleon heißt es!

Ausrufer bei dem Guckkasten. – Bonaparte auf weißem Schimmel –

Chassecoeur. Du lügst! Der Kaiser war zu Fuß und kommandierte aus der Ferne. Ich hielt keine zwölf Schritt von ihm als Ordonnanz.

Ausrufer bei dem Guckkasten. Und da, meine Herren und Damen, erblicken Sie den großen, edlen Feldmarschall Kutusow –

Chassecoeur. Die alte Schlafmütze, die den Löwen zu fangen verstand, aber nicht zu halten wußte. Hätt' er mit seinen Leuten jeden Tag nur viertausend Schritt mehr gemacht, so kam kein Franzose aus Rußland.

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Und hier schauen Sie den Übergang über die Beresina!

Vitry. Eh, da schlug ich ja die Pontons mit auf!

Chassecoeur. Beresina! Eis und Todesschauer! – Da war ich auch – Laß doch sehen! (Er tritt an ein Glas des Guckkastens.) Mein Gott, wie erbärmlich! – Vitry, guck' einmal!

Vitry. Ich gucke. Dummes Zeug. Ich hatte damals nichts im Leibe und stand drei Fuß tief im Wasser, unter herüberfliegendem feindlichen Kanonenhagel. Du gabst mir einen Schnaps –

Chassecoeur. Es war mein vorletzter –

Vitry. Wie albern hier – weder Pioniere, Gardisten, Linie sind zu unterscheiden – Und wie wenig Leichen und Verwundete!

Chassecoeur (zum Ausrufer). Mann, kannst du Frost, Hunger, Durst und Geschrei malen?

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Nein, mein Herr.

Chassecoeur. So ist das Malerhandwerk Lumperei.

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Ah, und da sehen Sie die so braven, aber jetzt geschlagenen Franzosen über die Beresina flüchten.

Vitry. Mein Herr und Freund, die Schläge, die wir damals erhielten, will ich sämtlich auf meinen Rücken nehmen, ohne daß er davon blau wird.

Chassecoeur. Recht, Vitry! – Wir, nur achttausend Mann, umstellt wie ein Wildpret, schlugen uns durch sechszigtausend Schufte, und entkamen.

Vitry. Und das nannten sie Sieg!

Chassecoeur. Die armen russischen Teufel wissen wohl nicht, was ein rechter Sieg ist.

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Und hier, meine Damen und Herren, die große Völkerschlacht bei Leipzig – Schauen Sie: da die bemooseten grauen Türme der alten Stadt, – da die alte Garde zu Fuß, voran der Tambourmajor, mit dem großen Stab, wie er ihn todverhöhnend lustig in die Luft wirft, – hier die alte Garde zu Pferde, im gelben Kornfelde haltend, wie ein Pfeil, der abgeschossen werden soll. – Dort die braven Linientruppen schon im Gefechte. Hier die preußischen Jäger mit den kurzen Flügelhörnern –

Vitry und Chassecoeur. O Preußen und Patronen!

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. – und da im Regen, unter dem Galgen, den er verdient, der Blutsauger, der jämmerliche korsische Edelmann, jetzt entflohen vor dem gerechten Zorne seines rechtmäßigen Fürsten, Ludwigs des Achtzehnten, der meuchelmördrische Bonaparte –

Vitry. Wer sagt das?

Chassecoeur. Schurke, mehr wert war Er, als alle deine Ludwigs – wenigstens zahlte er den vollen Sold.

Vitry. Den Kaiser laß ich nicht beschimpfen! Entzwei den Guckkasten!

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Hülfe! Hülfe! – Konspiration! – Gensd'armes! – Man spricht hier von Kaisern!

Vitry. Ja, und die Könige zittern!

Pöbel (kommt). Kaiser, Kaiser, – ist er wieder da?

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Was weiß ich. Meinen Kasten haben sie mir in Stücken geschlagen. Er kostet funfzig Francs.

Vitry. Bitte die Angoulême, daß sie ihn dir bezahlt. – Hier ist deines Bleibens nicht mehr.

Das Volk (auf den Ausrufer losdringend). Der Lump – Zerreißt ihn –

Ein Gensd'armes (kommt). Guckkasten-Kerl, fort mit dir, – du veranlassest Aufruhr –

Der Ausrufer bei dem Guckkasten. Ich lobe den König.

Der Gensd'armes. Darum brauchst du andre nicht zu schimpfen – Fort!

Das Volk. Herrlich! Es lebe die Gensd'armerie!

Ein alter Offizier in Ziviltracht. Chassecoeur.

Chassecoeur. Die Stimme kenn' ich von den Pyramiden her, als wir da unser Trikolor hoch über Kairos Minarets aufpflanzten, und der Nil zu unsern Füßen rollte. – Mein Hauptmann, seit Ägypten sah' ich dich nicht.

Der alte Offizier. Ich focht während der Zeit bald in St. Domingo, bald in Deutschland, dann bei Cattaro, dann in Schwedisch-Pommern, und zuletzt bei Riga und Montereau.

Chassecoeur. Na, ich war die Zeit über meistens in Österreich, Italien und Spanien, zuletzt in Rußland und Deutschland. Und bei Montereau kämpft' ich auch, vielleicht in deiner Nähe.

Der alte Offizier. Chassecoeur, wir haben beide eine schlechte Karriere gemacht, – ich bin Hauptmann geblieben, du, wie's scheint, Gefreiter. Und nun sind wir überdem des Dienstes entlassen.

Chassecoeur. Wahr – du und ich könnten so gut als Marschälle figurieren, wie die verräterischen Schurken, der Augereau und der Marmont, vielleicht Kaiser dazu sein, wie der Napoleon.

Vitry. La la! Den einen trägt, den andern ersäuft die Woge des Geschicks. Das Herz nur frisch, es ist die Fischblase, und hebt uns, wenn wir wollen, bis wir krepieren, sei es so oder so. (Zu einer vorübergehenden Dirne) Einen Kuß, mein Kind!

Der alte Offizier. Was verwahrst du an der Brust? Ist es etwas zu essen, Chassecoeur? Gib mir davon.

Chassecoeur. Hauptmann, ich ess' es nicht und doch macht es mich bisweilen satt und dich vielleicht auch.

Vitry. Nun geht es los mit seinen verwünschten Phrasen, und sie rühren mich doch.

Chassecoeur. Es ist ein Adler der Garde, von mir gerettet, als er unter tausend Leichen hinsinken wollte bei Leipzigs Elsterbrücke. Und – sonst hole mich der Satan! (wenn es einen gibt) die Sonne kommt zurück, zu der er wieder auffliegt.

Der alte Offizier. Ich glaub' es auch: jetzt ist es zwar Nacht, und die Toren wähnen, das Licht bliebe aus. Aber sowenig wie die Sonne dort oben, kann eine Größe wie die Seinige untergehen und Er kommt wieder.

Vitry. Das wäre! Hier werf' ich meine letzten Sous in die Luft! Es lebe – Doch still – (Er hält sich die Hand auf den Mund.)

Chassecoeur. Deine paar Sous konntest du sparen. Was hilft es uns, daß der Kaiser zurückkommt, wenn wir unterdes verhungert sind?

Der alte Offizier. Wer ist der Mann, Kamerad?

Chassecoeur. Von der jungen Garde zu Fuß, drittes Regiment, zweite Compagnie, heißt Philipp Vitry, und denkt wie ich.

Der alte Offizier. Er scheint sehr lustig, ungeachtet seines Elends.

Vitry. Das bin ich, mein Herr. Jetzt geht's schlecht. Aber gibt's künftig Gelegenheit, so habe ich zwei Hände zum Losschlagen, und gibt's keine, habe ich zwei Füße zum Tanzen.

Kommt das Weh,
Scheuch's mit Juchhe,
Schlag den König am Morgen tot,
Denke des Kaisers beim Abendbrot!

Chassecoeur, laß dich umarmen!

Chassecoeur. Ach, laß die ewigen Narrenteidungen! – Der springt und lacht, und mir krümmen sich die Finger vor Wut in die flache Hand, als wären sie zehn getretene Würmer und mir knirschen die Zähne nach – Die Angoulême mag sich nach ihren Pfaffen umsehen, kommt sie in meinen Bereich –

Der alte Offizier. Kamerad, hoffe –

Chassecoeur. Würge! Alles Lumpenzeug, so weit wir uns umsehen.

Der alte Offizier. Auch die sechstausend verabschiedeten Offiziere der großen Armee, die sich gleich uns unter diesem Haufen herumtreiben?

Chassecoeur. Nein. Ich sehe und schätze sie wohl. Aber daß auch sie sich so lumpen lassen müssen! – Sieh, der da ist einer – und zwar von den Ingrimmigen, nicht still und traurig wie du –

Der alte Offizier. Freund, ich habe Familie –

Chassecoeur. Ja so – Doch der da hat keine. – Am abgetragenen, faserigen Überrock, den er so zornig schüttelt, an den alten Militärgamaschen, mit denen er auftritt, als ging' es über Leichen, und dem blutdunkelnden Auge erkennt man ihn mitten in dem Hefen des vornehmen und niedrigen Gesindels, eines so schlecht als das andere. Tod und Hölle, der ist von anderem Stahl als die neuen königlichen Haustruppen, vor denen jetzt Sieger von Marengo das Gewehr präsentieren müssen. Der lief nicht den Bourbons nach, als sie wegliefen – Geschmiedet ist er in den Batteriefeuern von Austerlitz oder Borodino!

Vitry. Bruder, welch ein Tag, als unsere Lanzenreiter durch die östlichen Tore von Moskau auf den Wegen nach Asien hinsprengten!

Chassecoeur. Ja, da konnte man noch denken in den Schatzgewölben und Harems von Persien, China und Ostindien zu schwelgen! Ach, es kommt einem jetzt auf der Welt so erbärmlich vor, als wäre man schon sechsmal dagewesen und sechsmal gerädert worden.

(Die Emigranten Marquis Hauterive und Herr von Villeneuve kommen.)

Marquis von Hauterive. Nicht mehr das alte Palais Royal, mein Teurer. Alles anders –

Vitry. Und darum auch wohl schlechter?

Marquis von Hauterive (nach einigem Bedenken mit verachtender Miene antwortend). Ja. mein Freund, – schlechter. (Zu dem Herrn von Villeneuve, mit dem er etwas weiter zur Seite tritt.) Was der Pöbel frech geworden ist.

Herr von Villeneuve. Er soll schon wieder werden wie sonst, bei meinem Degen.

Marquis von Hauterive. Es wird schwer halten. Denn, Herr von Villeneuve, sollte man nicht glauben die Welt wäre seit den Achtziger Jahren untergegangen? Es gibt nicht nur am Hofe bürgerliche Dames d'atour, sondern sie sollen auch wagen, sogar in Gegenwart des Königs sich auf die Tabourets zu setzen!

Herr von Villeneuve. Schändlich, entsetzlich! Bei Gott, wäre Ludwig der Achtzehnte nicht mein angeborener König, ich könnt' ihn wegen seiner schwächlichen Nachgiebigkeit auf dieses Schwert fodern. Doch die Sache wird, muß Verleumdung sein, von Antiroyalisten ausgesponnen, um den König zu erniedrigen.

Marquis von Hauterive. Und, Herr von Villeneuve, was sagen Sie zu den neugebackenen Fürsten, Herzogen und ihren Gemahlinnen, besonders zu der Frau des Ney, sogenannten Fürstin von der Moskwa?

Herr von Villeneuve. Ich achte sie des Wortes nicht wert.

Marquis von Hauterive. Welche geschmacklose Kleidung, welches dummdreiste Benehmen, welche wüste Konversation, welche Arroganz! – Weiß denn die Person nicht, daß wir recht wohl wissen, daß sie eine Bäckerstochter ist?

Herr von Villeneuve. Mein Herr Marquis, das kommt alles davon her, daß die hochselige Maria-Antoinette zu herablassend mit der Canaille umging und den König zum selben Benehmen verleitete. Nie etwas Gutes aus Österreich für Frankreich!

Marquis von Hauterive. Ach, die gute alte Zeit – die damaligen eleganten, zierlichen Salons – Nun überschwemmt von dem gemeinen Vieh!

Herr von Villeneuve. Es muß anders, anders, und es soll anders werden, Marquis, bei meinem Wappen. Schurken haben uns alle unsere alten Rechte und Güter geraubt, – jedes Gericht muß uns unser Eigentum wieder zuerkennen, denn wir haben ihm nie entsagt – – Denken Sie, mein Herr, mein so hübscher Landsitz, la Merveille bei Tours, an dem die Loire so lieblich sich hinschlängelt, in dessen Taxusgängen wir beide so oft mit den Damen der Nachbarschaft uns im freundlichen Herbste von 1783 bis zum schwindenden Abendrot ergötzten, in dem ich schon als Kind stets die erste Blume des Frühlings für Adelaide, Vicomtesse von Clary brach, meiner toten aber nimmer vergessenen Geliebten, – gehört jetzt einem filzigen Fabrikherrn! Niedergerissen sind die hohen Hecken, Dampfmaschinen brausen in den Gewächshäusern und Kartoffeln haben sich an die Stelle der kostbaren Tulpenzwiebeln von Harlem gedrängt!

Marquis von Hauterive. Nun, Blacas d'Aulps und die Angoulême werden uns schon helfen und – (Hauterive und Villeneuve gehen weiter.)

Vitry (deutet ihnen nach). Die beiden Emigranten! Welche Rockschöße, welche Backentaschen, welche altfränkische Mienen und Gedanken, welche Gespenster aus der guten, alten und sehr dummen Zeit!

Der alte Offizier. Von der Revolution mit ihren blutigen Jahren wissen sie nichts, Philipp Vitry, – das ist vorüber, sie aber sind geblieben, wie bisweilen der Bergstrom verbraust und das Gräslein bleibt, und vielleicht darum sich für stärker hält, als die Fluten, welche es eben noch überschütteten und die Ufer auseinanderrissen. Nicht einen Strohhalm weit sind sie aus sich und ihrem stolzen Wahn herausgegangen und Ludwig der Achtzehnte selbst datiert ja seine Regierung seit fünfundzwanzig Jahren –

Chassecoeur. Was zum Totlachen ist! – Als er regiert haben will schossen wir in Vincennes auf obrigkeitlichen Befehl seinen Vetter und Helfershelfer, den Enghien, tot und ich selbst band ihm, da es Nacht war, die Laterne vor die Brust, um besser zu zielen.

Der alte Offizier. O daß ich so alt geworden und nicht in einer Schlacht gefallen bin, ehe die Bourbons in Paris einzogen. (Zu einer Stuhlvermieterin.) Dame, darf ich mich niedersetzen? Meine Füße sind sehr müde, ich kann aber nicht für den Sitz zahlen.

Die Stuhlvermieterin. Ich seh' Ihnen an, Sie sind ein Offizier der großen Armee. Gebieten Sie über meine Stühle nach Belieben.

Zeitungsausrufer. Was Wichtiges! Wichtiges! Vom Palais Bourbon, aus der Deputiertenkammer! Hier die Journale!

Viele Stimmen. Her damit – Lies sie vor!

Eine alte Putzhändlerin. Nein, hieher Ausrufer, – hieher Deine wichtige Nachricht gehört an diesen Tisch!

Zeitungsausrufer. An das morsche, alte Brett?

Die alte Putzhändlerin. Respekt vor ihm, Mann! Der Tisch ist klassisch – Auf diesem Fleck fiel zuerst das Fünkchen, welches die Welt entzündete. Hier saß ich am zwölften Juli des Jahres siebenzehnhundertneunundachtzig, nachmittags gegen halb vier Uhr, an einem sonnigen Tage, und selbst noch jung und heiter verkaufte ich einem fröhlichen Bräutchen aus St. Marceau einige Spitzen. Wir scherzten über den Preis und dachten an nichts als den Hochzeittag. Da kam ein Mann mit wild flutenden Locken, brennenden Augen, herzzerschmetternder Stimme – es war Camille Desmoulins, – die Tränen rannen ihm aus den Augen, zwei Pistolen riß er aus der Tasche und rief: Necker hat den Abschied, eine Bartholomäusnacht ist wieder da, nehmt Waffen und wählt Kokarden, daß wir einander erkennen. Und seitdem ist er, sind der gewaltige Danton, der erhabene Hérault de Séchelles, der schreckliche Robespierre unter dem Messer der Guillotine gefallen, seitdem hat der Kaiser über der Erde geleuchtet, daß man vor dem Glanze die Hand vor die Augen hielt, und ist doch dahin geschwunden wie ein Irrwisch, drei meiner Söhne sind seitdem in den Schlachten geblieben, – viel, viel Blut und unzählige Seufzer hat mir die Revolution gekostet, aber sie ist mir um so teurer geworden und an diesem Tische lies die wichtigen Zeitungen! – Das ist ja jetzt mein letztes einziges Vergnügen!

Volk. Ja, braves Mütterchen, an deinem Tische soll er sie lesen!

Vitry. Das soll er! Der Augenblick vom zwölften Juli 1789, nachmittags halb vier Uhr, an diesem Tische erlebt, war mehr wert, als die Jahrhunderte, die ihn vielleicht verderben!

Zeitungsausrufer. Nicht nötig, daß ich hier lese, meine Herren – da kommt einer, der es euch deutlich genug sagen wird.

Advocat Duchesne (stürmt durch die Menge an den Tisch der Putzhändlerin). Hört, hört, und nehmet euch in acht, daß ich euch nicht mit meiner Nachricht die Ohren zersprenge! Alles, alles wird bedroht, die dummsten frechsten Hände greifen dreist in die Speichen des Schicksalrades – In der Deputiertenkammer geschehen vom Ministerium Anträge gegen die Käufer der Nationalgüter –

Volk. Ha!

Chassecoeur (lacht). Geht's denen auch nicht besser als uns? Eh!

Duchesne. Klöster sind wieder da, die Ächtung aller Herren der Revolution ist im Werke, Leibeigenschaft wird darauf folgen –

(Marquis von Hauterive und Herr von Villeneuve sind wieder näher getreten.)

Marquis von Hauterive. Nun, mein Herr, das wäre alles noch so übel nicht.

Herr von Villeneuve. Das mein' ich wahrlich auch.

Volk. Was? »So übel nicht?« »Das mein ich auch?« Zu Boden die altadligen Schurken, die dummstolzen Feiglinge!

Herr von Villeneuve. Dumm, das mag sein – stolz sind wir gewiß – Feiglinge aber zeugte Frankreichs Adel nimmer. – Probiert das an uns –- Zücken wir die Degen, Marquis, und lassen Sie uns untergehen wie Männer.

Marquis von Hauterive. Mit Freuden – Für Gott, für meinen König und mein Recht!

Herr von Villeneuve. Und für die Damen unserer Jugend!

Vitry. Jetzt wohl alte Schachteln!

Herr von Villeneuve. Schurke, du hast dir den Tod an den Hals gesprochen. (Er will den Vitry durchbohren.)

Vitry. Ich glaub' es nicht – Dir aber und deinem Freunde will ich den Hals retten. (Er entwaffnet ihn und den Marquis.)

Chassecoeur. Vitry, sei kein Narr – Laß mich den Hunden »Marquis und Herr von« im Gedränge eins unter die Rippen geben – Niemand merkt es und sie sollen verrecken.

Vitry. Nein, die Kerle mögen schlecht sein, aber sie haben Courage – Die schätz' ich überall – Hoch lebe der Mut, auch bei französischen Emigranten!

Volk. Er lebe!

Herr von Villeneuve. (zum Marquis von Hauterive, indem er mit ihm entfernt wird). Wer sollt' es glauben, Marquis, daß gemeines Volk doch noch so viel Gefühl für Mut und Ehre haben könnte?

Marquis von Hauterive. Ach, es ist mehr augenblickliche Aufwallung als echtes Gefühl.

Duchesne. All dieses Volk, bis zu dem Kanzler des Königs, zu dem invaliden Advocaten d'Ambray hinauf, kennt es uns, die Weltenstürmer? Sieht es nicht die große Nation an, als wäre sie ein albernes Kind? Nicht uns, der Gnade Englands –

Volk. Nieder die Beefsteaks!

Duchesne. – der Gnade Englands verdankt seinem Irrwahn nach König Ludwig die Krone – Frankreichs Krone! so leuchtend und so gewaltig, daß sie selbst einen Riesen, der sie trüge, und schwenkte er den Trident des Neptuns noch leichter als die großbritannische Majestät, Aug' und Haupt verblenden und zerschmettern könnte! Und noch mehr: – wenn der König uns unsere Rechte läßt, so nennt er das nicht Gerechtigkeit, sondern er sagt: er setze seiner durch Gott und Blut angeerbten –

Chassecoeur. Schlachtenblut, nicht Weiberblut macht adlig.

Duchesne. – angeerbten Machtvollkommenheit Schranken. – Schranken! Schranken! – Wenn sie sich nur vor dem Worte hüteten: Ludwig der Sechszehnte stand vor den Schranken, die ihm das Volk setzte und zerschmetterte daran mit allen seinen Höflingen zu blutigem Schaum! – Wie? können uns jeden Tag ein paar Ordonnanzen im Moniteur mit drei Zeilen nehmen, was wir in fünfundzwanzig Jahren errangen? Ist das Volk denn gar nichts? Ist es das Erbteil einiger Familien?

Die alte Putzhändlerin. Ganz, ganz so, mein Sohn, wie Camille Desmoulins!

Vitry. Da kommen Gensd'armes!

Duchesne. Laß sie kommen, Freund. Ich muß es aussprechen und die Wahrheit verkünden. Selig sind die, die da blind sind, und zu sehen wähnen, aber unselig sind die Sehenden, welche bemerken, daß Blinde nichts erblicken, und dennoch handeln, als sähen sie. Der König ist gut, aber das Geschmeiß der Aasfliegen aus den Zeiten der Pompadours verdunkelt ihm das Auge. – Hinter russischen, hinter preußischen Bajonetten wähnen sie die Nation mit Edikten niederschlagen und sich selbst erheben zu können – Aber wartet!

Chassecoeur. Nur nicht zu lange, mein Herr.

Duchesne. Noch ist es nicht aller Tage Abend, und wär' er da, so möchte wieder gebadet in den Wogen seines heimatlichen Mittelmeers mit neuem Glanze ein ungeheurer Meerstern aufsteigen, der die Nacht gar schnell vertriebe!

Vitry. Der Stern hat einen grünen Rock an, Obristenepauletts, weiße Weste, weiße Hosen, einen kleinen Degen, und schlägt in der Bataille die Arme unter.

Chassecoeur. Wir schwingen sie desto besser für ihn!

Gensd'armes. Aufruhrschreier – Ihr werdet verhaftet.

Duchesne. Zeigt ein Gesetz, welches das erlaubt. Frei zu reden, ist nirgends verboten.

Chassecoeur. Frei essen wäre besser.

Volk. Da kommt der Herzog von Orléans!

Chassecoeur. Der ist von der Bourbonischen Race noch der Erträglichste. Die krumme Nase hat er aber auch.

Viele aus dem Volk. Respekt vor ihm, – Er ist der Sohn Egalités, und kämpfte für Frankreich, als sein Vater auf dem Schafott fiel.

Herzog von Orléans. Gensd'armes, was für Leute verhaftet ihr da?

Ein Gensd'armes. Aufrührerische Redner, mein Fürst.

Herzog von Orléans. So laßt sie frei, auf der Stelle – (Es geschieht.) Wehe dem Lande, das sich vor Reden und Rednern zu fürchten hat.

Volk. Hoch Orléans, einst König.

Herzog von Orléans. Das letztere nie, – doch stets euer Freund. (Er entfernt sich.)

Viele Stimmen. Welch ein trefflicher Prinz!

Chassecoeur. Würde auch endlich weggejagt, wenn er je König werden sollte.

Volk. Ha! da kommt auch der Herzog von Berry!

Chassecoeur. Zu Fuß, von der Revue seiner Hausgarden, der altadligen Zuckerhüte , die ihre Gewehre verstecken, wenn es regnet. O Dreikaiserschlacht bei Dresden!

Vitry. Freilich, da regnete es sehr, und wir trieben sie doch in die böhmischen Berghöhlen, wie das Vieh in den Stall.

Chassecoeur. Sieh einmal den großen weißen Federstrauß, den der Junge am Kopfe trägt! Mir tun die Augen davor weh!

Vitry. I, Freund, das ist der Helmbusch Heinrichs des Vierten, seines Ahnherrn – Seine Familie hat den Strauß so oft im Maul, daß ich fürchte, er wird endlich schmutzig.

Chassecoeur. Heinrich der Vierte? Was war der? Was tat er?

Vitry. Er war König von Frankreich und schlug ein paarmal einige tausend Rebellen.

Chassecoeur. Der Knirps! – Weiter nichts?

Vitry. Da frage die Gelehrten, ich weiß nicht mehreres. – – Der Berry bemerkt dich, sieht die Schmarren in deinem Gesicht. Er will dich anreden.

Chassecoeur. Er will durch mich einen Coup auf das Volk machen. Aber er irrt sich, der herzogliche Gelbschnabel. Ich bin nicht darnach behandelt worden, ihm entgegenzukommen.

Vitry. Und wenn er dir nun etwas verspricht?

Chassecoeur. In den Dreck damit. Sie halten es doch nur so lange, als sie müssen.

Herzog von Berry. Alter, braver Kamerad –

Chassecoeur. Danke. Ich weiß nicht, daß ich je mit Eurer königlichen Hoheit zusammen gefochten.

Herzog von Berry. Woher hast du die ehrenvollen Narben?

Chassecoeur. Das können Sie an ihren Namen hören: diese heißt Quiberon, da stürzten wir die Emigranten in das Meer, diese heißt Marengo, da packten wir Italien, – diese – ach!

Vitry (für sich). Ach, Leipzig!

Chassecoeur. Und wenn es gerade schlechtes Wetter oder schlechte Zeit ist, wie jetzt eben, so schmerzen diese Narben entsetzlich.

Einer aus dem Gefolge des Herzogs. Mensch, wer bist du, daß du so zu reden wagst?

Chassecoeur. Ach lieber, gnädiger Herr – Wer ich bin oder sein soll, weiß ich nicht, aber wer ich war, das kann ich Ihnen sagen (sich stolz aufrichtend): Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, zweite Schwadron, dem Ehrenkreuze nahe.

Herzog von Berry (zu seinem Begleiter). Still, rege nicht alte Wunden auf. (Zu Chassecoeur.) Ich schaffe dir eine Versorgung im Dome der Invaliden.

Chassecoeur. Deren bedarf ich noch nicht, Ew. königliche Hoheit.

Herzog von Berry. So nimm mit meinem guten Willen vorlieb. – Es lebe der König! –

Chassecoeur. Hm! –

(Alles schweigt; der Herzog von Berry mit seinem Gefolge ab.)

Der alte Offizier. Wahrlich, wenn das so schlimm mit den Bourbons steht, wie jetzt –

Vitry. So fallen sie bald um.

Der alte Offizier. Ob sie gehöhnt oder gelobt werden, das Volk bekümmert sich nicht einmal um sie.

Vitry, Desto schlimmer, – es kennt sie nicht.

Chassecoeur. Dafür kennt es einen Andren desto besser. Kommt, laßt uns sehen, wo wir etwas zu essen erringen. (Auf den Boden stampfend.) Oh! verdammtes Pflaster, das so viele Buben trägt! (Ab mit Vitry und dem alten Offizier.)

Savoyardenknabe (mit Murmeltier und Dudelsack).

La marmotte, la marmotte
Avec si, avec là etc. etc.

Zweite Szene

Paris. Große Galerie in den Tuilerien.

Gedränge von Volk, viele altadelige Herren und Damen darunter. Schweizergarden stehen auf Wache. Kammerherren und Kammerdiener eilen auf und ab.

Madame de Serré. Gleich kommt er, kommt er aus der heiligen Messe, hier vorbei, er, das Glück Frankreichs! – Amme halte meine kleine Enkelin hoch empor, daß sie ihn ja recht sieht! Und bestecke sie mit Lilien, – hier sind noch vier!

Die Amme (hält ein Mädchen auf dem Arme). Madame, Mademoiselle Victoire ist mit den weißen Kokarden schon über und über geschmückt und ich kann ihr keine mehr anheften.

Madame de Serré. Tut nichts – Hefte, hefte – Versuch's! – Das Weiße! welch eine Farbe – welche Reinheit, welche Tugend schimmert aus ihm. – Ach, es ist ja auch das bourbonische Abzeichen.

Ein alter Marquis. Madame, treten Sie vor – der König kommt mit seinem Hause.

Schweizergardist. Zurück!

Der alte Marquis. Wir sind treue Untertanen Sr. Majestät, wünschen gern Sein Antlitz zu sehen – Laß mindestens diese Dame vor.

Schweizergardist. Zurück!

Madame de Serré. Das ist ein nordischer Bär! Er droht uns schon mit dem Bajonett!

Der alte Marquis. Da ist die königliche Familie!

(König Ludwig mit dem Herzog, der Herzogin von Angoulême, dem Prinzen Condé und Gefolge tritt auf.)

Mehrere Stimmen. Monsieur und der Herzog von Berry fehlen!

Der alte Marquis. Wir sehen ja hier der Erlauchten genug – Es lebe der König!

Manche der Anwesenden. Es lebe der König!

Madame de Serré. Enkelin, rufe, ruf': Es lebe der König!

Ein Bürger. Das »Lebe der König« tönt sehr dünn!

Ein anderer Bürger. Dafür kommt es aber aus adeligen Kehlen.

Madame de Serré. Welch ein Mann! Das ist, Herr Marquis, das ist noch ein König! Ein geborner! Diese heitere Miene, dieser Adel im Antlitz –

Der alte Marquis. Die unwillkürliche Grazie –

Madame de Serré. Selbst in dem scheinbar nachlässigen Gange –

Erster Bürger (zu dem andern). Der dicke Herr König hinkt ja wie der Teufel –

Zweiter Bürger (zum ersten). Das kommt vom Podagra.

Erster Bürger. Und das Podagra kommt vom Saufen, Fressen und –

Zweiter Bürger. Sieh einmal, welch ein ernsthaftes Bocksgesicht geht ihm zur linken Seite –

Erster Bürger. Still, still! Die hagere Dame auf der rechten Seite ist Frau des Bocksgesichts, – sie selbst steht unter der Jesuitenkutte, er steht unter ihrem Pantoffel, der König steht unter ihm, und Frankreich unter allen zusammen.

Zweiter Bürger. Mönchskutte also unsre Krone, Weiberpantoffel unser Szepter, und Schwächlinge, die sich davon beherrschen lassen, unsere Tyrannen! – – – Diese Prozession mit ihren Pfaffen, – und der Kaiser mitten unter dem Generalstabe zu Pferde an den Linien der Sieger dahinfliegend – Vergleiche!

Der alte Marquis (zu der Madame de Serré). Die Herzogin von Angoulême ist wirklich noch immer sehr schön.

Madame de Serré. Wahr, Marquis! Habsburgs Adler scheint über den Lilien Bourbons zu schweben, sieht man den erhabenen Zug ihrer Nase und den blendenden Teint ihrer Wangen!

Der alte Marquis. Sehr fein ausgedrückt, Madame – Wie fröhlich der König dasteht und in seiner treuen Nation sich umschaut.

Zweiter Bürger. Nation? Höre doch, Nachbar! die paar alten, der Guillotine entlaufenen Weiber und Herren nennen sich Nation!

Madame de Serré. Wie sollte er nicht heiter sein, Marquis? Wir alle, alle, sind ja seine Kinder.

Erster Bürger (für sich). Ja, ihr seid alte Kinder, – junge hat er nicht und kann sie auch nicht mehr machen.

Zweiter Bürger. Komm, laß uns fortgehen. Ich kann dies nicht mehr hören und anschauen. Dieses Geschlecht ist schlimmer als schlimm, es ist ekelhaft!

Madame de Serré. Was seh' ich? Der König winkt mir, tritt auf mich zu!

Schweizergardist (zum Könige). Zurück!

Der König. Ich bin der König, Freund.

Schweizergardist. Und dies ist mein Posten, auf den mich mein Offizier gestellt hat und für den ich bezahlt werde. Zurück, oder –

Der König. Schon gut, gut, braver Krieger – (Für sich.) Was für ein treues, dummes Tier! (Laut.) Madame de Serré, ich kenne Sie, und wünschte Sie zu grüßen – aber Sie sehen, meine Krieger sind so felsentreu, daß sie auch mich nicht zu Ihnen kommen lassen und imstande wären, mich gegen mich selbst zu schützen.

Madame de Serré. Sire, dieses ist der größte Tag meines Lebens – Ich –

(Der König mit seiner Begleitung ab.)

Der alte Marquis. Sie fällt in Ohnmacht –

Madame de Serré. O seliger Tod! Könnt' ich jetzt sterben!

Chorus der altadligen Emigranten, Damen und Herren durcheinander. O welch ein Monarch! – Welche Worte: »Ich kenne Sie, wünschte Sie zu grüßen!« »So felsentreu, mich gegen mich selbst zu schützen«! – – Man sollte sie in Erz graben, – hier ein Monument errichten! – Wie groß ist er! wie huldvoll! – O kennte ihn die Canaille! begriffe Sie diesen Geist! diesen Adel! – Aber wir wollen sie zügeln, und will sie nicht begreifen, so wollen wir es sie lehren!

Ein kleiner Ofenheizer (kommt aus dem Winkel). Ihr?

Mehrere. Wer sprach das?

Der alte Marquis. Ein kleiner Ofenheizer – da springt er mit seiner Gabel davon.

Viele Stimmen. Der elende Junge! – Doch der König: »Ich kenne Sie«, »felsentreu« – ungeheure Worte!

Der alte Marquis. Erholen Sie sich wieder, Madame de Serré!

Madame de Serré. Mir ist's noch immer, als wär' ich im Himmel.

Der alte Marquis. Ich bitte sehen sie auf! Da geht der königliche Oberzeremonienmeister mit dem uralten Speisenapfe der Bourbons, mit dem Nef vorbei.

Madame de Serré. Mit dem Nef! – O Gott, auch das Nef ist wieder da! Ja, Christus ist erstanden! jetzt erst glaub' ich es recht!

Chorus der altadligen Emigranten, Damen und Herren durcheinander. Das Nef, das Nef! O Frankreich ist gerettet! (Alle ab bis auf die Schweizergardisten.)

Ein Hauptmann der Schweizergarde (tritt vor). Rudi, du hast den König zu barsch behandelt.

Der Schweizergardist. Dem Kanton Luzern hab' ich geschworen, dir muß ich gehorchen, und solang du es nicht befiehlst, ist es mir eins, ob ich für oder wider dieses schnatternde Gesindel jemand totschlage.

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Dritte Szene

Königliche Zimmer in den Tuilerien.

König Ludwig und die Herzogin von Angoulême kommen.

König Ludwig. Wo ist Berry?

Herzogin von Angoulême. Auf der Revue, Sire, und mein Gemahl geht ihm eben entgegen.

König Ludwig. Revue! Revue! ich traue den Truppen nicht; sie gehorchen uns nur aus Not, ein Teil ist feig, ein anderer falsch. Das sag' ich dir: weit lieber würd' ich in Hartwell wieder meine Kräuter und Blumen suchen, und nach Linné ihre Ordnungen bestimmen, als auf dem Thron Frankreichs sitzen.

Herzogin von Angoulême. Sire, der Thron von Frankreich ist dein, – du erbtest ihn, und deinen spätesten Enkeln bist du schuldig, daß du ihn bewahrst. Gott führte dich auf ihn zurück, – versuche mit deinem Zagen Gott nicht.

König Ludwig. Du schmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind der beiden königlichen Menschenopfer –

Herzogin von Angoulême. Mein Vater! mein Vater! meine Mutter!

König Ludwig. – du lange Eingekerkerte, – wie kommt es, daß gerade du, die des Schicksals Schwere am härtesten empfand, von allen meines Stammes die Stärkste bist, bloß im Vertrauen auf Gott?

Herzogin von Angoulême. Gott? – Wo es an Menschen fehlt, da erscheint er! – Oheim, ich lernt' ihn kennen, dort in dem Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolution, doch für mich des Lichts. – Wer so wie ich, ein zartes Kind, da im Gefängnisse schmachtet, und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und der Mutter von den Schafotten rollen hört – o, wen so wie mich dieses Paris umbraust, rebellisch, jede Straße von dem Geschrei der Mörderrotten aufdonnernd, knirschend unter den Rädern der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, – wer selbst eine Capet, Tag und Nacht nichts als »Capet, Capet nieder« rufen hört, – wem, wie mir, die letzten Sterne sinken, und wer dann im unermeßlichen Dunkel gar nichts mehr fühlt, als das Zittern des eignen kleinen Herzens, – dem nahe Gott, wie mir! – Er ist der letzte, einzige, aber größte Trost. Mir nahte er, und ich ward stark und ruhig.

König Ludwig. Teure Nichte, ich glaube, du sagst die Wahrheit, und Trost sinkt in meine Brust, wenn ich fern von unseren Diplomaten dich höre. Bei dem ersten Tritt, den ich auf die Küsten meines Landes jüngst wieder tat, durchschauerte auch mich das unbegreifliche, aber gewaltige Walten der Vorsehung! – Komm an das Fenster: da breitet Paris sich aus! – Welche Stürme sind nicht hingebraust durch jene Straßen? Kein Fleckchen, das nicht von dem Blute, welches darauf vergossen, Inschrift tragen könnte, von der Bluthochzeit bis zu der Guillotine. Ungeachtet all des Scherzes, all des Schimmers, die hier gaukeln, weht es mich an, wie Moder, wenn ich diesen Steinhaufen sehe. – Noch keine drei Jahre und dort rückten mit Siegesklängen, mit feueratmenden Geschützen, Pferd an Pferd gedrängt, und Bajonett an Bajonett, dicht wie Blätter und Ähren im Frühling, die Weltbezwinger stolzen Zuges von Spanien nach Moskau. Und mit seinem ruhmestrunkenen, nie gesättigten Auge sah Er in ihnen nur die Zeichen seiner Allmacht. Die mächtigen Parlamente Englands wurden bang und flüsterten wie Haufen furchtsamer Vögel, – wollten Frieden machen, er möge kosten, was er wolle, auch wenn sie an mir das heilige Gastrecht verletzen, mich aus ihrem Reiche weisen sollten. – Und nun! – Die Schlachtendonner sind verklungen, – Europa ist still, – wo die Adler raseten, blühen wieder friedlich die drei Lilien, und Er, der Große, ward ein armer Einsiedler von Elba, starrt vielleicht grade jetzt in das Meer, und erkennt in ihm das Element, welches er nie besiegen konnte, und das ihm, ein Spiegel, groß wie Er selbst, höhnisch sein Antlitz zurückwirft.

Herzogin von Angoulême. König, nenn' ihn gewaltig, riesenhaft, ungeheuer, – doch nimmermehr groß den Mörder d'Enghiens, – nun und nimmer der groß, welcher Treue, Recht, Ehr' und Liebe dem Ruhm und der Macht aufopfert. Das kann auch der Dämon der Hölle. Die wahre Größe gibt Ruhm, Macht, jeden Außenschein für Ehre, Recht und inneres Glück dahin – Er aber tat das nie – Oh, ich kenne ihn – dieser Kaisertiger hätte sich vor seinem Feinde, den er mit den Klauen nicht erreichen konnte, zum Wurm verwandelt, sich von ihm treten lassen, wenn er nur wußte, daß er ihm alsdann giftig in die Ferse stechen konnte.

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Ihre königlichen Hoheiten, der Herzog von Angoulême und der Herzog von Berry.

König Ludwig. Meine geliebten Neffen mögen kommen.

(Oberzeremonienmeister ab. Herzog von Angoulême und Herzog von Berry treten ein.)

Herzog von Berry. Sire, Sire, ich flehe, schonen Sie nicht mehr die Canaille, das Volk!

Herzog von Angoulême. Ja, Sire, es wird zu arg.

König Ludwig. Was ist geschehen?

Herzogin von Angoulême. Gemahl, es ist doch kein Blut geflossen?

Herzog von Angoulême. Nein, Gemahlin.

Herzogin von Angoulême. Also wieder Kindereien, mit denen ihr den Oheim belästigt.

Herzog von Angoulême. Vielleicht.

Herzog von Berry. Sire, ich komme von dem Palais Royal. Dort seh' ich einen Lump, den ich an seinen Narben, oder, wie man es nennen sollte, an den Brandmalen aus den Schlachten des korsischen Rebellen, als einen seiner Söldner erkannte. Ich trat dem Kerl höflich entgegen, redete ihn freundlich an, und wähnte, ihn dadurch wieder auf den rechten Weg zu führen, und dem Volke zu zeigen, wie gütig ein Bourbon ist. Der Schurke beantwortete meine wohlgemeintesten Anträge mit nichts als Grobheiten, und als ich zuletzt rief »Es lebe der König«, schwieg er, und der Pöbel mit ihm. Das kann kein königlicher Prinz länger verbeißen, Sire, er müßte denn Elefantenzähne haben. Ich habe es noch einmal getan, um Ihrem Wunsche zu folgen, – aber, Sire, ich bürge nicht so weit für mein Temperament, daß ich versichern könnte, es auch künftig zu tun.

Herzog von Angoulême. Und, Sire, wie mir Bruder Berry erzählt, ist der Orléans vorher am nämlichen Orte, wo Berry mit Soldaten gesprochen, vorbeigekommen, und alles Volk hat ihm ein Lebehoch zugerufen.

Herzog von Berry. Ja, und noch mehr. Sie nannten ihn: »einst König«. Nun der Einst-König hüte sich vor uns und vor Ihnen, Sire, wenn er konspirieren sollte, und ich glaube, er tut es.

Herzogin von Angoulême. Das wäre kein Wunder, Freund. Das Haus der Orléans wimmelte stets von Mördern der Bourbons. Sie wollen die ersten in dem Geschlecht sein, wo sie nur die zweiten sind. Vergiftete der Regent nicht die Nachkommenschaft des großen Ludwigs? Brachte der sogenannte Egalité nicht meinen Vater auf das Schafott?

Herzog von Angoulême. Doch der jetzige Orléans, Gemahlin, ist besser als seine Vorfahren.

Herzogin von Angoulême. Er ist – ein Orléans.

Herzog von Angoulême. Und das –?

Herzogin von Angoulême. Sagt alles. Jeder artet nach dem Geschlecht, aus dem er entsprossen. Zeige mir in Bonapartes Blut ein Tröpfchen von dem ewigen Adelssinn der Montmorencys! Er war stets ein gemeiner Korse.

König Ludwig. Ein durch Jahrhunderte geheiligter Name ist der leuchtendste Wegweiser für den Enkel. Aber es gibt Ausnahmen, und wahrlich! der einst so unbekannte Korse schmückte mein Land mit einem Ruhmeskranze, wie er kein anderes Reich dieser Erde ziert, und ich bin ihm dafür dankbar.

Herzogin von Angoulême. Ja, Sire, Er schmückte oder befleckte es mit einem Ruhmeskranze, wie kein anderes Land ihn besitzt. Kennst du die Blätter daran? Sie triefen blutrot, wie Schlachtfelder, und werden fallen, wie die gelben Herbstblätter. – Oh, lob' ihn wie du willst, er war kleiner als sein Glück, und darum verließ es ihn.

König Ludwig. Er lebt noch, Beste. – Wenn er es wieder ergriffe?

Herzog von Berry. So schlüg' ich ihm auf die Hand. Die Haustruppen, welche ich befehlige, sind auch tapfere Franzosen, noch dazu von echten Edelleuten kommandierte und seinen Abenteurern mehr als gewachsen.

König Ludwig. Ich habe Nachrichten. Er soll oft an Elbas nördlichem Ufer stehen, und nach Frankreich schauen – Seine Blicke bedeuteten selten Heil.

Herzog von Berry. Die Blicke des armen Teufels? Des Toren, dem sein gutes Los den Mund so voll warf, daß er alles wieder ausspeien mußte? Dessen, der jetzt als eine lebendige Schandsäule auf seiner Insel umherwandelt? Dessen, den ich, wenn ich damals erwachsen gewesen wäre, mit zwanzigtausend Mann treuer Soldaten mitten in seiner Glorie leicht hätte nach Vincennes führen wollen?

Herzogin von Angoulême. Wo aber waren die zwanzigtausend treuen Soldaten?

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Der Kanzler und der Minister des Hauses harren draußen.

König Ludwig. Ach, d'Ambray und Blacas. Laß sie eintreten.

(Oberzeremonienmeister ab. Graf Blacas d'Aulps und d'Ambray treten ein.)

Jetzt, Neffe Berry, frage diese erfahrenen Geschäftsmänner, ob unser Reich noch das alte ist, und wir den Korsen nicht zu fürchten brauchen?

Graf Blacas d'Aulps. Das Reich ist das alte, Sire, und wir brauchen ihn nicht zu fürchten, so gewiß ich hier meinen alten Degen trage.

D'Ambray. Sire, es ist so, wie mein Kollege sagt. Die Nation liebt und verehrt die königliche Familie grenzenlos, – jedermann sehnt sich nach der Verfassung, wie sie etwa 1786 noch makellos in reiner Glorie prangte, – keine Stunde, wo ich nicht Briefe von Präfekten, Generalen, Maires erhielte, die diesen Wunsch nicht aussprechen, – nur ein paar Schwindelköpfe, besser für das Irren- als für das Zuchthaus, wagen anders zu denken. Die Gensd'armerie wird auch ihnen Vernunft beibringen.

Herzogin von Angoulême. Herr d'Ambray, wenn Sie nicht zuerst wieder die alte Achtung für Religion, für die angeborenen Herrscher, für die gesetzlichen Ordnungen herstellen, hilft Ihnen keine Gensd'armerie.

D'Ambray. Und, königliche Hoheit, wer sonst würde alles das herstellen?

Herzogin von Angoulême. Die, welche die Herzen beherrschen, sie auf dem Schafott beseligen, – die tüchtigen Geistlichen, und vor allen die vom Neide so oft verleumdeten Väter Jesu. – Sire, führe sie wieder ein.

König Ludwig. Wieder! wieder! Nichte, das Wort ist nur zu sehr in der Mode! – Verwechsle mir auch nicht die Diener des Herrn mit dem Herrn selbst.

Herzogin von Angoulême. König und Mensch, fühle deine Schwäche – Wie wolltest du den Herrn kennen lernen, ohne die auserwählten Diener, die dich zu ihm führen?

D'Ambray. Sire, das »wieder« möchte bis jetzt eher zu wenig, als zu sehr Mode sein – Die Revolution riß frech ein, lassen Sie uns kühn wieder aufbauen. Warum nicht auch die Kollegien der Jesuiten? Sire, die werden die heiligsten und festesten Grundlagen Ihres Thrones bilden. Und dann lassen Sie uns in den Reihen unserer Braven bis auf den gemeinsten Tambour, alle die ausmerzen, welche dem Adler des Korsen folgten, – weg mit den etwa noch existierenden Pensionen seiner Offiziere, – wenn wir die Summen auch nur an loyale Präfekten und Maires verwenden, sind sie besser benutzt als jetzt, – solange dieses Kriegsvolk nicht darbt, solange trotzt es.

Blacas d'Aulps. Sire, und nehmen Sie den verruchten Käufern der Nationalgüter, welche Sie, den Adel, die Kirche und uns alle beraubt, – die Sie selbst in Hartwell so oft Räuber genannt haben, die Beute wieder ab, – das Gesindel verwendet sie nur, daß es Feuer unter dem Thron anlegt.

König Ludwig. Mein lieber Blacas und d'Ambray, ihr habt Recht. Doch auch das Recht will mit Klugheit ausgeübt sein. Greifen wir die Nationalgüter voreilig an, so erregen wir einen Aufstand, den wir ein paar Jahre später vermeiden konnten. – Was meinst du, Angoulême?

Herzog von Angoulême. Sire, ich denke, wie meine Gemahlin Ich sehe und sehe schon lange, – da auf dem Dache sitzt ein wunderschöner Tauberich – könnte man ihn fangen!

D'Ambray. Das öffentliche Recht, Sire, will allerdings mit Politik gehandhabt sein. Aber das eigne bürgerliche Gesetz der Revolutionäre und Bonapartisten, ihr Code Napoléon, spricht gegen usurpierten Besitz.

Blacas d'Aulps. Und spricht das Gesetz nicht so, dann kehren wir es um. Für elende Assignaten erschacherten die Plebejer unsere Ländereien!

Herzogin von Angoulême. Assignaten! Nenne sie nicht elend! Ich sah die zitternden Hände, welche sie bei Lebensstrafe, für ihr Geld annehmen mußten. Die Assignaten waren mit Königsblut geschrieben, Blacas.

König Ludwig. Meine Herren, ich ergreife den Mittelweg.

Blacas d'Aulps. Der Mittelweg ist oft doppelt gefährlich.

König Ludwig. Hier nicht. Es sollen fürerst nur Worte vom Thron fallen, die den Nationalgutskäufern andeuten, wie sie für billigen Ersatz ihr Besitztum an dessen Herren zurückliefern können.

Herzogin von Angoulême. Oheim, du bist zu liberal.

D'Ambray und Blacas d'Aulps. Wir möchten dasselbe sagen.

König Ludwig. Der König selbst zu liberal?

Herzogin von Angoulême. Ja, Sire, und deshalb, weil er sich zu stark hält, als daß er glaubte, das Ungeheuer des Liberalismus fürchten zu müssen.

Der Oberzeremonienmeister (tritt ein). Sire, der Brief einer Estaffette von Lyon.

König Ludwig. Gut – ich will ihn lesen.

(Oberzeremonienmeister ab.)

König Ludwig (während er den Brief liest). – Nachrichten von neuen Verschwörungen. Eine Gesellschaft der eisernen Nadel, die den Bonaparte wieder auf den Thron setzen will, ist entdeckt.

D'Ambray. Der Korse muß fort vom nahen Elba, auf eine abgelegene Insel, weit weg, zum Beispiel nach St-Helena oder St-Lucie.

König Ludwig. Nicht übel wäre das für uns und auch für ihn. Ich merk' es allgemach auch. – Wir wollen bei Talleyrand in Wien anfragen, ob und wie es mit Einwilligung der fremden Monarchen möglich zu machen ist.

D'Ambray. Der Talleyrand saß auch in der Nationalversammlung!

Blacas d'Aulps. Nun, er ist doch aus einem altadligen Geschlecht und zurückgekommen zu seiner Pflicht.

König Ludwig. Wo ist Monsieur? Ich wünsch' ihn in dieser Angelegenheit zu befragen.

Blacas d'Aulps. Se. königliche Hoheit erholen sich von den Wunden, welche Ihnen der Schmerz über die Nachricht des Todes Ihres treuen Dieners Bussy geschlagen hat, in der eben aufblühenden Natur auf einer Jagd im Forste von Fontainebleau.

König Ludwig. So will ich ihn nicht stören.

Herzogin von Angoulême. Gemahl, der König geht – Laß uns folgen.

Herzog von Angoulême. Wie du befiehlst. – Der Tauberich, der Tauberich da oben – Welch einen Kropf hat er – Und siehe die allerliebsten Täubchen, die ihn umflattern – Ich hätt' ihn längst totgeschossen, aber ich muß ihn lebendig haben. Unser Houdet soll ihn fangen.

Herzogin von Angoulême. Hast du von den neuen Verschwörungen gehört?

Herzog von Angoulême. Das alberne Zeug. Laß uns nicht daran denken.

Herzogin von Angoulême. Ach!

(Alle entfernen sich.)

Vierte Szene

Nördliches Gestade von Elba, nicht weit von Porto Ferrajo.

Anbrechender Abend. Napoleon steht am Ufer, Bertrand neben ihm, – eine Ordonnanz von der polnischen Legion hält zu Pferde in der Nähe.

Napoleon. Bertrand, dies ist ein herrlicher Platz – Ich lieb' ihn abends – da das Meer, der Spiegel der Sternenwelt, hinbrausend nach den Küsten von – Ach – Der Bergwerksdirektor zu Porto Ferrajo ist abgesetzt. Er hat betrogen.

Bertrand. Ew. Majestät, der Mann war doch –

Napoleon. Ich hab' es gesagt – – Pole in Gedanken? Wo denkst du hin?

Der polnische Legionsreiter. Wegreiten möcht' ich über das Meer, nach Marseille, Paris, und zuletzt nach meinem Vaterlande, aber nimmer ohne dich, mein Feldherr und mein Vater.

Napoleon. Ein Schiff erscheint da – Welche Flagge führt es?

Bertrand. Man kann sie nicht erkennen. Vermutlich ein französischer Levantefahrer, der von Marseille kommt.

Napoleon. Der Glückliche! er war an den Küsten Frankreichs. – Ob man im schönen Frankreich noch meiner gedenkt?

Bertrand. Kaiser? Du fragst? – Solange die Sonne in die Prachtfenster der Paläste und in die schmalen Glasscheiben der Hütten funkelt, wird man deiner gedenken, oder Frankreich verdiente unterzugehen.

Napoleon. Möglich. Aber die Leute sind vergeßlich – Der Marmont, Augereau –

Bertrand. Die Verräter!

Napoleon. Ha! statt an Taten zehrt man jetzt an Erinnerungen! Zuckte nicht einst das stolze Österreich, wie ein Wurm in dieser Hand? Nicht Preußen? Ließ ich sie beide nicht leben und bestehen? – Wie undankbar die Welt, das elende, schlechte Scheusal! – Mein eigner Schwiegervater –

Bertrand. Verzeih' ihm, – er wurde es, weil du befahlst – Als er nicht mehr zu gehorchen brauchte, zerriß er die Bande –

Napoleon. Bande – sage, das Herz seiner Tochter.

Bertrand. Was kümmert das den Stolz und die Politik der alten Herrschergeschlechter?

Napoleon. Die Toren! Sie sehnen sich noch einst nach dieser kleinen Hand, wenn sie längst Asche ist, denn Ich, Ich bin es, der sie gerettet hat – Ließ ich den empörten Wogen der Revolution ihren Lauf, dämmt' ich sie nicht in ihre Ufer zurück, – schwang ich nicht Schwert und Szepter, statt das Beil der Guillotine immer weiter stürzen zu lassen, – wahrhaftig, wie dort am Strande die Muscheln, wären all die morschen Throne, samt den Amphibien, die darin vegetieren, hinweggeschwemmt, und schöner als jenes Abendrot begrüßten wir vielleicht die Aurora einer jungen Zeit. – Ich hielt mich zu stark, und hoffte sie selbst schaffen zu können. – O ich muß sprechen, denn ich vermag ja jetzt nicht anders. Diese Scholle Elba kenn' ich nun auch und habe sie satt. Ein bißchen Dreck! – Wie jämmerlich ein kleiner Fürst, der nicht dreinschlagen kann –

Bertrand. Werde wieder ein großer.

Napoleon. Ist die Canaille es wert? Ist sie nicht zu klein, um Größe zu fassen? Weil sie so niedrig war, ward ich so riesenhaft.

Bertrand. Du warst mehr als die Welt.

Napoleon. Und jetzt! Bertrand, welch ein Ende! Hier hingeschmiedet, ein anderer Prometheus, den Geier im Herzen. Hingeschmiedet, nicht von der Kraft und Gewalt, sondern von der Überzahl der Schwachen und Elenden – Sohn, Mutter, von mir gerissen – Täte man das einem Bauer?

Bertrand. Erderschütterer, den Bauer fürchtet man nicht.

Napoleon. Hat Rußlands Alexander so ganz vergessen, wie er auf dem Niemen sich beugte? Hat der Preußenkönig –

Bertrand. O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch deine Schlachten die schönste Rose im Schnee des Nordlands. Ich habe sie erblickt und das Auge ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.

Napoleon. Konnt' ich davor? – Weswegen blühte sie im Gleise meines Siegeswagens? Das Geschick trieb seine Räder zermalmend über noch viel härtere Herzen: Pichegru, d'Enghien, Moreau –

Bertrand. Du, selbst so Gewaltiger, glaubst ein Geschick?

Napoleon. Ja, es stand bei mir in Korsika, meiner meerumbrausten Wiege, und wird auch meinen Sarg umbrausen. In Moskaus Flammen, nachdem ich lange es vergessen, sah ich es mit seinen Fittichen sich wieder über mich erheben. – Nicht Völker oder Krieger haben mich bezwungen – Das Schicksal war es. – Was ist dir?

Bertrand. Mein Kaiser, vielleicht – kaum wag' ich es zu sagen –

Napoleon. Sag' es!

Bertrand. – vielleicht mein Freund –

Napoleon. Es könnte sein. Doch glaubst du es, so schweige davon.

Bertrand. – ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen, wie jetzt, einen –

Napoleon. Nun?

Bertrand. – einen Löwen im Käfig. – Auch meine Gemahlin härmt sich ab. Ihre Schönheit, ihre Heiterkeit schwinden dahin seit deinem Fall.

Napoleon. Ich weiß. – Wie steht's wohl in Frankreich?

Bertrand. Schlecht, Sire. Der König schwach, die Prinzen übermütig, die Ultras siegend, deine alten Krieger verhöhnt –

Napoleon. O mein Land, mein Land! – Man sage, was man will, ich hab' es stets geliebt! – Fühlten meine Feinde den Schmerz, der mich seinetwillen durchbrennt, – die Jämmerlinge stürben daran, wie Mücken am Lichte!

Bertrand. Es ist gestern ein Offizier aus Frankreich angekommen.

Napoleon. Aus Frankreich? Er komme. – Aber bemerkte ihn keiner der fremden Späher?

Bertrand. Nein, – er schlich als italienischer Matrose verkleidet bis zu uns.

Napoleon. Wie heißt er?

Bertrand. Graf St-P--le.

Napoleon. Von dem hört' ich früher. – Er focht brav bei Champeaubert.

Bertrand. Da ist er, Sire.

(Der Offizier tritt vor.)

Napoleon. Wer sind Sie?

Der Offizier. Graf St-P--le, Ew. Majestät.

Napoleon. Was wollen Sie hier?

Der Offizier. Ewr. Majestät dienen.

Napoleon. Geht nicht, mein Herr. Habe schon Offiziere genug. Ich kann Sie nicht besolden.

Der Offizier. Sold verlang' ich nicht.

Napoleon. So? – Haben Sie Briefe?

Der Offizier. Nein, Sire.

Napoleon. Adieu.

Der Offizier. Sire, Briefe mitzunehmen, war gefährlich. Aber ich redete mit Fouché.

Napoleon. Fouché – Was sagte er? Sagen Sie es mir, – gleich und heimlich.

(Der Offizier spricht heimlich mit ihm.)

Es ist gut. – Wie ist's mit den Bourbons? Mir zahlen sie meine Gelder nicht. Ich könnte ihnen, als souveräner Fürst von Elba, Krieg erklären, wegen gebrochenen Vertrags.

Der Offizier. Der König übersetzt den Horaz, Monsieur geht auf die Jagd, die Angoulême betet, ihr Mann hört zu, Berry liebt die Damen.

Napoleon. Das Volk?

Der Offizier. Ärgert sich, daß Pfaffen, Betschwestern und emigrierte Edelleute es beherrschen sollen.

Napoleon. Das unselige Bourbonische Haus! Es wird noch einst in einem adligen Nonnenkloster aussterben. – Das Heer?

Der Offizier. Es schweigt.

Napoleon. Und denkt?

Der Offizier. An Sie!

Napoleon. Die Bourbons haben Haustruppen, rote Compagnien?

Der Offizier. Die Haustruppen sind Greise oder Kinder. An den roten Compagnien ist nichts Rotes als ihre Montur, – bei Marengo oder Austerlitz wurden sie wahrlich nicht rot gefärbt.

Napoleon. Die gefangenen Veteranen der großen Armee?

Der Offizier. Kommen täglich aus Rußland zurück –

Napoleon. Ha, wieder da!

Der Offizier. – und werden ohne Pension verabschiedet, oder mit halber Pension, die nicht bezahlt wird, entlassen –

Napoleon. Besser, besser stets und besser! Hätt' ich den treuesten meiner Freunde nach Paris geschickt, mein Reich zu verwalten, er hätte nicht so gut für mein Interesse gesorgt, als die Bourbons! – O meine Gardegrenadiere, wandelnde Festungswälle mir in der offnen Schlacht, und alle, alle, die ihr Bajonette für mich aufpflanztet, Säbel für mich schwanget, bald sonn' ich mich wieder in eurem Waffenglanze, und das Gleichgewicht Europas fliegt bebend aus den Angeln!

Bertrand. Kaiser, endlich?

Napoleon. Gleichgewicht! Als ob man Völker abwägen und zählen könnte! Die Erde ist am glücklichsten, wenn das größte Volk das herrschendste ist, stark genug überall sich und seine Gesetze zu erhalten, und wer ist größer, als meine Franzosen? – Kongreß zu Wien! Da streiten sie sich um den Mantel des Herrn, den sie hier am Kreuze wähnen – mein Polen, mein Sachsen wird zerteilt, – niemand wird von dem halben Bissen satt, ja, er wird Gift im Munde – Aber der Herr erstand! –- Europa, der kindisch gewordene Greis bedarf der Zuchtrute, und was meinen Sie, St-P--le, wer könnte sie besser schwingen, als Ich?

Bertrand. Der Prinz von Messeriano fordert Elba als sein Eigentum zurück.

Napoleon. Der Knabe!

Bertrand. Auch spricht man davon, dich nach St-Helena zu versetzen.

Napoleon. Wie? wenn es mir nun gefiele, den Fuß nach Frankreich zu setzen? Nicht zwei Tage und ich bin dort.

Der Offizier. O Sire, Sire, dahin! Sie nur können es erlösen!

Napoleon. Man denkt mit mir zu spaßen. Es ist zum Totlachen! – Meine Herren, wird nicht, sowie ich bei Toulon lande, der weltbekannte Klang meiner Kriegstrompete wie ein Blitz durch alle Busen schmettern? Wird mein Adler nicht im Augenblick von Turm zu Turm bis St-Denis hinfliegen?

Bertrand und der Offizier. O lande, lande!

Napoleon. Graf St-P--le, wer sendet Sie? Verschworene wider die Bourbons?

Der Offizier. Sire, nein. Die Nation ruft Sie.

Napoleon. Das wollt' ich – Verschworene sind immer Schurken, die nur ein Werkzeug für ihre Pläne suchen, welches sie nachher gerne wegwerfen.

Der Offizier. Auch Italien, aus dem ich eben komme, ist voll Unruhe. Selbst der König von Neapel bereut seinen Abfall.

Napoleon. Ich weiß – Er wird vernünftig aus Not. Der und der Bernadotte – Bernadotte, welcher vom nahen Rußland alles, vom fernen Frankreich nichts zu fürchten hatte, der seine Schildwache, wenn er mit mir hielt, dicht unter den Fenstern des Zarenschlosses zu Petersburg aufstellen konnte, sind untreu geworden, – Murat aus Tollheit, und Bernadotte aus Eifersucht auf mich – – Die Armen! Mit mir ging die Sonne unter, die diese Planeten im Schwunge erhielt – Nicht drei Jahre und Europas Fürstenhäuser schämen sich der unadligen, bloß von meiner Größe ausgebrüteten Fliegen! – Wo ist Cambronne?

Bertrand. Hält dicht hinter uns, bei dem dich begleitenden Detachement der Ulanen.

Napoleon. Pole, ruf den Commandeur der Garde!

Der polnische Legionsreiter. Ha! Gleich! (Reitet fort und kommt bald darauf mit Cambronne zurück.)

Napoleon. General, sind die Magazine versorgt?

Cambronne. Sire, wie Sie geboten.

Napoleon. Teilen Sie an jeden Infanteristen und jeden Reiter Rationen auf vier Tage aus. – Sind die Brigg und die beiden in Beschlag genommenen Kauffahrer imstande, morgen mit den Truppen abzusegeln?

Cambronne. Ja, Sire.

Bertrand (halb für sich). Was wird das?

Napoleon. Cambronne, morgen früh fünf Uhr lassen Sie die Reveille schlagen.

Cambronne. Welche? die alte oder die neue?

Napoleon. Die von Jena!

Cambronne. Oh, so stampft binnen sechs Wochen das Pferd jenes Reiters auf dem Pflaster von Paris.

Der polnische Legionsreiter. Es bäumt sich schon, General.

Napoleon. Es stampft da früher: am 20. März, dem Geburtstage meines Sohns.

Bertrand. Campbell aber mit dem englischen Geschwader?

Napoleon. Hindert uns nicht. Ich hab' ihn nach Livorno locken lassen, dort die Merkwürdigkeiten zu besehen, und heut' abend zecht er daselbst Madeira mit einigen seiner Landsleute, die nicht wissen, wie sie verleitet sind, ihn einladen zu lassen, sowenig als er weiß, warum er eigentlich eingeladen ist – O das Gepack!

Der Offizier. Also da, der ersehnte, der große Augenblick!

Alle Anwesenden. Es lebe der Kaiser!

Bertrand (zu dem Offizier). Wie viel haben wir gesprochen, Er Selbst mit, und Er hat alles getan, ehe wir sprachen.

Der Offizier. Er ist groß und gütig – ist ein Gott.

Napoleon (gegen das Meer gewendet). Amphitrite, gewaltige, blauäugige Jungfrau, – schon lange läßt du mich umsonst um dich buhlen, – ich soll dir schmeicheln, und ich möchte doch lieber als Mann mit Waffen dich den Händen der Krämer entringen, die dich, o Göttin, mit der Elle messen und zur Sklavin machen wollen, – aber ich weiß, du liebst ihn doch, den Sohn der Revolution, – einst vergaßest du deine Launen und trugst ihn mit sichren Armen von den Pyramiden nach dem kleinen Glockenturm von Fréjus, – morgen trägst du mich von Elba noch einmal dahin. – Amphitrite, schlummre süß.

(Alle ab.)


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