Jeremias Gotthelf
Eine alte Geschichte zu neuer Erbauung
Jeremias Gotthelf

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Jeremias Gotthelf

Eine alte Geschichte zu neuer Erbauung

Erzählung (1849)

Es wechselt die Gestalt des Himmels. Heute scheint aus tiefblauem Grunde die goldene Sonne, auf milder Winde leisem Hauche wiegen sich und schwimmen Ströme ihres freundlichen Lichtes auf die errötende Erde nieder; morgen ist der blaue Grund ein ungeheurer Schoß schwarzer Wolken geworden, Hagel, Schnee und Regenfluten brechen aus den unergründlichen Schlünden, und wilde Stürme peitschen sie nieder auf die trübselige Erde. Wenn am blauen Himmel keine Wolke geht, in der Sonne Gold die bräutliche Erde glänzt, jeder Baumzweig von blühenden Hoffnungen schwellt, und das Auge des Menschen würde wonnetrunken, und seine Seele würde loben den Herrn, weil seine Hand die wüsten Wolken verzehrt, die Erde mit Pracht geschmückt, mit Hoffnungen gesegnet, weil sein Ratschluß endlich Sturm und Wechsel aufgehoben und das Schöne bleibend gemacht unter dem Himmel: so würde der Herr, der die Sonne hinausführt aus der Morgenröte gleich einem Bräutigam aus seinem Gezelte, der verschlossen hält die Winde in ihren Kammern, und dessen Hand die Wolken ballt, dem Wechsel rufen, dem törichten Menschenkinde das Eitle seines Lobes zeigen und ihm predigen im Sturmwinde, daß das Bleibende nicht hienieden zu suchen sei, und daß der, der die Natur geschaffen, die Natur nicht ändere, denn was er getan, ist wohlgetan. Dieses Gesetz des Wechsels erstreckt sich über alles, was unter dem Himmel ist, berührt oder geboren wird aus den Elementen; auch das Menschengeschlecht ist ihm untertan. Wer träumen würde, in langem Frieden, wo die Kräfte im Gleichgewicht liegen, ein Interesse das andere gebunden hat, wie auch zuweilen im Gleichgewicht die Elemente schweben und einander auf immer gebunden zu haben scheinen, die geordneten Interessen würden das Paradies wieder auf Erden zaubern, der täte gröblich irren. Interessen bleiben nie lange geordnet, Interessen entstammen der Selbstsucht, und eben Selbstsucht duldet den Frieden nicht; Interessen schwellen auf, werden übermächtig, Interessen werden gefährdet, die Krämpfe der Not bringen sie in Aufruhr, was andere ihnen gebracht, bringen sie wieder, die Krämpfe des Todes durch Entziehen der Säfte; die Furie des Krieges erhebt sich, läßt ihre Flammen sprühen über die Erde. So geht es.

So gings zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Gewaltige Krämpfe erfaßten die Menschheit; wie Wirbelwind den Staub wirbelt, wirbelte der Krieg die Völker durcheinander, die Franzosen über das Meer ins heiße Afrika, die Russen aus ihrem kalten, öden Lande ins schöne Italien hin. Wie Stürme die Heuschrecken verschlagen, die hungrigen, welche alles Grüne fressen, so ward eine wüste Wolke voll kleiner unbehoster Franzosen verschlagen über die Schweizerberge ins grüne, schöne Land mitten hinein, sie zehrte an ihm wie die Heuschrecken am Grase auf dem Acker. Es waren lauter Teufelskerle, die an den Bergen kletterten wie Gemsen, ins Feuer liefen wie Rosse, die man aus einem brennenden Stalle getrieben, keinen ganzen Fetzen, groß wie eine Hand, am Leibe hatten und doch die ganze Welt in die Tasche stoßen wollten, den Tod in allen Gliedern, hellauf erschallen ließen ihre Siegeslieder. Es war ein eigenes Volk; die Welt begriff es nicht, und das Volk begriff ebensowenig die Welt, hielt sie für ein Butterbrot, welches unser Herrgott den Franzosen zum Frühstück extra zurechtgestrichen.

Die Franzosen hatten Geld nötig zu einem Zuge, die Welt von Ägypten her anzubeißen, darum fielen sie, wie Kinder vor Ostern über ein Nest voll Eier, über die Schweiz her. Damals war Frankreich eine Republik, die Franzosen nannten sich Republikaner, die Schweiz war ebenfalls eine Republik, und die Schweizer waren wirklich Republikaner. Darum sagten die Franzosen den Schweizern, sie liebten sie wie Brüder; sie liebten aber nicht die Schweizer, sondern bloß die Eier. Aber die Franzosen haben schöne Worte, und die wußten sie geltend zu machen und an Mann zu bringen, als wären sie goldene Münzen. Der ärgste Jagdhund und Spitzbub weiß zu reden, als ob neben ihm die edelsten Römer und Griechen, Brutus und Cato, Aristides und Sokrates, bloße Dreckseelen und volksverräterische Aristokraten und verkappte vorweltliche Jesuiten seien. Darum sagten sie zu den Schweizern: »Ihr alten Lümmels wißt gar nicht, was eine Republik ist, wir ungehosten Franzosen wollen euch das Ding lehren. Ihr habt Herren, Aristokraten, Pfaffen, gar einen Gott! Das ist all nichts und muß weg. Denn seht, wir sind alle gleich, sind alle Brüder, keiner mehr als der andere, jeder, was der andere: Bürger, Brüder, sacré nom de Dieu! Wir wollen euch die rechte Republik bringen, vom alten Ungeziefer säubern, wir, die große Nation, die wahren Menschen, les hommes par préférence!« Das zog. Die Wege wurden ihnen geebnet, und wenn sie dieselben auch mit Blut begießen mußten, so war Blut damals nicht bloß wohlfeil, sondern man hielt brave Aderlässe zu passender Zeit für gesund. Als sie nun mal hinein waren, die braven Citoyens, da frugen sie den schweizerischen Brüdern spottwenig nach, sondern bloß den Eiern. Diese nahmen sie aus mit französischer Kunstfertigkeit und zwar bei Patrioten und Patriziern, bei Aristokraten und Demokraten, wirklich ohne allen Unterschied. Und als sie alle Eier hatten, da kamen sie wieder auf das erste zurück, sagten, wir seien alle Brüder, und darum müßten die Schweizer ihnen auch helfen, die Welt in die Tasche stoßen, des großen Butterbrotes teilhaftig werden. Wenn sie es mal hätten, werde es sich dann wohl zeigen, wer es speise, werden sie gedacht haben. Nach den Eiern nahmen sie also den Schweizern noch ihre Kinder, zogen mit ihnen in der Welt herum; wo verschlossene Tore waren, stießen sie dieselben mit den harten Schweizerköpfen auf, und als sie aus Rußland über die Beresina rannten, da mußten die Schweizer die Mauer machen, an welche die Russen rannten, hinter welcher die Franzosen sicher laufen konnten. So ging es damals, und so waren die Franzosen ehemals und so die Schweizer ebenfalls. Ob jetzt die Franzosen anders sind oder die Schweizer noch so einfältig, das weiß Gott, und die Zeit wird es lehren.

Damals also, wo die Franzosen die Eier ausnahmen bei den dummen Schweizern, damals geschah es, daß Nachzügler einer wilden Halbbrigade, wahrscheinlich von Luzern kommend, in Waltrigen Halt machten und über Nacht blieben. Waltrigen liegt in einem Emmentaler Tal, besteht aus einzelnen Höfen und Häusern, unter welchen auch eine Mühle sich befand. Jetzt sind noch drei Wirtshäuser dort; das Örtlein ist nämlich auch in entschiedenem Fortschritt begriffen und dreht sich nach den Bedürfnissen des Zeitgeistes. In der ganzen Welt, das heißt, so weit Brot gegessen wird, hat das Wort Mühle einen angenehmen Klang, die Mühle selbst eine freundliche Anziehungskraft, bloß für die Störche nicht, welche, wie das Gerede geht, nie auf einer Mühle nisten sollen aus Furcht, wie man eben sagt, daß ihnen die Eier gestohlen werden möchten. Da aber bekanntlich die Franzosen nicht Störche sind, quartierten sie sich vorzugsweise in der Mühle ein; eher hatten der Müller und die Frau Müllerin Ursache, sich für Störche zu halten, denen gestohlen wurde, was sie in ihrem Neste hatten.

Die Franzosen übten eine ganz wunderbare, zauberähnliche Macht zur selben Zeit; wo einer erschien, da war er Herr, und erschien er alleine in einem großen Dorfe, so gebärdete er sich als König, und er war König, er, der brave Citoyen, der liebe Bruder. Und war der eine gar General, so brandschatzte er, so weit er kam, als wäre er alleine eine ungeheure Heuschreckenwolke, hinter welcher nichts grün bleibt, unter welcher alles verödet. Als die braven Citoyens in die Stadt Bern ritten, zogen sie allen lieben Brüdern, welche am Wege stunden, die Uhren aus den Taschen, und die lieben Brüder in Bern meinten, das müsse so sein, verstehe sich von selbst; aus den hintersten Gliedern, wohin die Arme der Husaren nicht langten, drängten sich die guten Bürger heran, hoch in der Hand die Uhr, und schrien: »Voilà encore une!« So einer, der eine solche einem Husaren darbrachte, sagte demselben, er solle doch einen Augenblick hier warten, er habe noch eine zu Hause, und diese wolle er ihm auch noch holen und bringen. Der Husar lachte, wartete, und der gute Bernerbürger brachte richtig seine Uhr und freute sich sehr, daß der gute Husar so gut gewesen war, zu warten, bis er mit der Uhr wiederkam. So kreuzehrlich war damals die Welt gegen die guten, lieben Franzosen, welche allen die besten Worte gaben und dafür sich berechtigt glaubten, alles übrige zu behändigen, und zwar von Rechtes wegen, das heißt aus lauter Liebe und Brudersinn.

So rumorten auch die französischen Halbbrüder, welche man füglich für ganze Waldteufel hätte nehmen können, in der Mühle von Waltrigen, nur war der Müller eben kein ehrlicher Bernerbürger, der, was die Franzosen nicht sahen, noch freiwillig holte, sondern eben ein Müller und gewohnt, beiseitezuschieben, was er gerne behalten wollte. Aber im Geschäfte war er diesmal nicht glücklich; am wenigsten ließen sich vier stattliche Rosse beseitigen, welche er im Stalle hatte, so rechte Emmentaler Müllerrosse mit ellenbreiter Brust und einer Rinne über den Rücken, durch welche man füglich einen artigen Brunnen hätte leiten können; es laufen in fürstlichen Gärten Bächlein, welche Wasserfälle vorstellen sollen und so eine Rinne nicht halb füllen würden.

Bekanntlich haben die Franzosen von je eine besondere Vorliebe für das Requirieren gehabt und sich auch eine bedenkliche Gewandtheit in Requisitionen von allen Sorten erworben; sie requirierten also die vier Rosse samt einem Knechte, um sie nach Burgdorf zu führen. Der Knecht war ein wilder Bursche, blieb unzähmbar bis zum Tode, selbst ein böses Weib brachte nichts an ihm ab; den Beinamen Mühlehänsel nahm er mit ins Grab. Mühlehänsel fluchte mörderlich, als er hörte, die Franzosen wollten gefahren sein. Er schlug vor, dieselben fortzuprügeln oder totzuschlagen, man sei doch nicht auf die Welt gekommen, um von den fremden Halunken sich kujonieren zu lassen; wenn die was befehlen wollten, so sollten sie heimgehen und dort befehlen! »Hänsel, was denkst!« sagte der Müller; »ja, wenn die alleine im Lande wären, so käme es mir nicht darauf an, ein paar mehr oder weniger ab Seite zu tun. Aber du weißt, es wimmelt von denen Kujonen; machte man die abweg, kämen andere und suchten, bis sie wüßten, wo die hingekommen, dann gnade Gott uns: sie täten alles verbrennen, so weit sie kommen möchten, sogar den Himmel über uns. Am besten ists, man führe sie weg und je weiter je lieber; aber wenn du es ungern tust und dich fürchtest, so kann Michel fahren, oder ich will.« Potz, wie fluchte Hänsel! Das konnte er nicht verwinden, daß der Meister denken sollte, er fürchte die Franzosen, und wenn deren wären wie Sand am Meer, so wolle Hänsel ihnen zeigen, wer Meister sei, sagte er. Hänsel ward ausgelacht; das beschämte ihn aber nicht, sondern machte ihn nur zorniger. Man könne es noch erfahren, sagte er, wer der Hänsel sei, und was der Hänsel könne.

Ein großer Wagen ward zurechtgemacht, mit Stroh gefüllt, Bretter auf die Leitern gebunden, die Räder geschmiert und ein tapfer Nachtfutter den Pferden vorgeschüttet, dann harrte man des kommenden Tages. Die Ruhe zu suchen in einem Hause, in welchem ein Rudel Franzosen hausen, heißt Zeit verloren. Franzosen und Tessiner haben darin mit Flöhen und Wanzen eine sehr auffallende Ähnlichkeit, daß sie des Nachts am aufgeregtesten und kühnsten sind oder scheinen. In Waltrigen hatte man bereits Erfahrungen gesammelt, die Ideale waren zerronnen, man kannte die Franzosen. Diese ließen durch solch Mißtrauen sich nicht anfechten, ihr Selbstbewußtsein erhob sie darüber, jedem war es, als ob er die ganze große Nation in seinem Leibe trüge.

Dieses nationale Selbstbewußtsein hat seine große, schöne, aber auch seine wüste und lächerliche Seite; jedenfalls wäre zu wünschen, daß die Deutschen und Schweizer auch etwas davon hätten; hätten sie etwas davon, so würden sie nicht meinen, sie müßten dieses französische Selbstgefühl sich aneignen, sobald es bei den Franzosen zutage trittet, als ob sie die gebornen Affen der Franzosen wären. In Frankreich soll folgende Sage existieren: Als unser Herrgott aus Lehm den Adam geschaffen, habe er dem Adam mit dem Atem des Lebens die französische Sprache eingehaucht, und das erste Lebenszeichen, welches Adam gegeben, sei gewesen, daß er gesagt habe: »Merci bien, cher père!« Ein Klümplein Lehm sei übriggeblieben, und Gott der Herr habe es liegen lassen. Als Gott der Herr den Adam gemacht, habe auf einem Baum ein Affe gesessen und Gott dem Herrn zugesehen, wie er den Adam gemacht. Als Gott der Herr fortgeflogen, da sei der Affe vom Aste gesprungen, habe über den Lehm sich hergemacht, habe denselben geknetet, getanggelt, bis er eine Figur gegeben, und dann habe er dreingeblasen aus Leibeskraft. Da sei Leben in die Figur gekommen, sie habe sich gedreht und gestreckt, habe endlich das Maul aufgerissen und gesagt: »Himmelsackerment, da bin ich auch!« Darauf habe der Adam gesagt: »Qui est là?« Darauf habe der andere gesagt: »Versteh dich nicht, das wird französisch sein? Himmelsackerment, wenn ich nur Französisch könnte, quix und cax und sonst noch mehr!« Darauf habe der Adam gesagt: »Bougre bête!« »Märschi bieng!« habe darauf der andere gesagt. So erzählt man sich in Frankreich die Schöpfung.

Endlich brach der Tag an, es war schön und dazu ein Sonntag. Sonntage, wenn die Sonne scheint, sind immer glänzender als andere Tage, so wie sie auch, wenn trüb das Wetter ist, viel trübseliger scheinen als andere Tage. Die Franzosen fuhren wie Wespen im Hause herum, jagten nach allerlei Dingen, absonderlich dem Weibervolk, kriegten viele Dinge, aber eben gerade dieses nicht. Hänsel hatte unter vielem Fluchen angespannt; einige Franzosen hatten dazu getrieben, saßen längst oben auf dem Wagen, machten höllischen Spektakel mit Schreien und Gestikulieren, sprangen hinunter und wieder herauf, daß die wilden Pferde fast nicht anzuspannen und zu halten waren. Das ging auf und nieder noch ganz anders, als auf der Leiter, auf welcher Vater Jakob die Engel auf- und niedersteigen sah, wird zugegangen sein. Die auf dem Wagen schrien nach denen, welche noch im Hause waren; trabten endlich diese her, sprangen die erstern herunter, und die andern schrieen und lärmten. Hänsel verlor die Geduld; er setzte sich aufs Sattelroß und schrie, wer mitwolle, solle aufsitzen, keinem Donners Schelm warte er eine Minute länger! Die Franzosen verstunden ihn nicht, begriffen ihn jedoch und schrieen nun noch einmal soviel, dem Hänsel, er solle warten, den andern, sie sollten kommen, und kam einer, sprangen zwei herunter, die übrigen zu holen. Da setzte sich Hänsel zweg, sagte: »Hü, in Gottes Name!« und ließ die Peitsche knallen, daß es an allen Bergen widerhallte. »Bougre diable! Sacré nom de Dieu! C'est une bête! Cochon!« usw. brüllte es hinter Hänsel her, focht den aber nicht an; der fuhr kaltblütig zu und gerade in die tiefsten Löcher mitten hinein, daß der Wagen alle Augenblicke umzustürzen drohte, die Franzosen die größte Mühe hatten, sich oben zu erhalten, und die, welche über Hals und Kopf nachgelaufen kamen, das Leben riskierten.


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