Maxim Gorki
Mein Weggenosse und andere Erzählungen
Maxim Gorki

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Malva

Das Meer lachte.

Unter dem leichten Wehen des glühenden Windes erzitterte es und lächelte, von einem feinen Gekräusel, das blendend hell die Sonne spiegelte, bedeckt, mit tausendfachem silbernem Lächeln dem blauen Himmel zu. In den tiefen Räumen zwischen Meer und Himmel schwebte das lustige und laute Plätschern der Wellen, die eine nach der anderen an das flache Ufer der sandigen Landzunge heranliefen. Dieser Laut und das vom Meere tausendfach zurückgeworfene Leuchten der Sonne flossen harmonisch zu einer ununterbrochenen, von lebender Freude erfüllten Bewegung zusammen. Die Sonne war glücklich darüber, daß sie leuchtete, das Meer, daß es dieses jubelnde Licht widerspiegelte.

Der Wind streichelte zärtlich die mächtige atlasne Brust des Meeres, die Sonne wärmte sie mit ihren heißen Strahlen, und das Meer atmete schlaftrunken unter der zarten Gewalt dieser Liebkosungen und füllte die heiße Luft mit dem salzigen Dufte seiner Dünste. Die grünlichen Wellen liefen auf den gelben Sand und warfen auf ihm den weißen Schaum ihrer üppigen Mähnen ab, und der Schaum schmolz mit einem leisen Laut und befeuchtete den heißen Sand.

Die schmale und lange Landzunge glich einem riesengroßen Turm, der vom Ufer ins Meer gestürzt war. Indem er mit seiner Spitze in die grenzenlose Wüste des mit der Sonne spielenden Wassers hinausragte, verlor sich seine Grundfeste dort, wo der trübe und glühende Nebel die Erde einhüllte. Von dort kam mit dem Winde ein dumpfer Geruch, der hier mitten im leeren, reinen Meere, unter der blauen, heiteren Decke des Himmels unverständlich und beleidigend erschien.

In dem mit Fischschuppen besäten Sande der Landzunge steckten Holzpfähle, und auf ihnen hingen Netze, die ein Spinngewebe von feinen Schatten warfen. Einige große Boote und ein kleineres lagen nebeneinander auf dem Sande, und die Wellen, die an das Ufer heranliefen, schienen sie zu sich locken zu wollen. Schiffshaken, Ruder, große Knäuel von Stricken, Körbe und Fässer lagen unordentlich auf der Landzunge herum, und in ihrer Mitte erhob sich ein aus Weidenzweigen, Baumrinde und Bastgeflecht zusammengefügtes Zelt. Vor dem Eingang ragten zwei auf einen knorrigen Stock gesteckte Filzstiefel mit den Sohlen in den Himmel. Und über diesem ganzen Chaos erhob sich eine lange Stange mit einem roten Fetzen an der Spitze, der im Winde flatterte.

Im Schatten eines der Boote lag Wassilij Legostjew, der Wächter auf dieser Landzunge, die einen Vorposten der Fischereibetriebe des Kaufmanns Grebjenschtschikow bildete. Er lag auf der Brust und blickte, den Kopf in die Handflächen gestützt, unverwandt in die Ferne des Meeres, auf den kaum sichtbaren Uferstreifen. Dort bewegte sich im Wasser ein kleiner schwarzer Punkt, und Wassilij war es angenehm zu sehen, wie der Punkt immer größer wurde und näher kam.

Er kniff die Augen vor dem grellen Spiel der Sonnenstrahlen auf den Wellen zusammen und lächelte zufrieden: er sah ja Malva kommen. Sie wird kommen und auflachen, so daß ihre Brust verführerisch erbebt, wird ihn mit ihren starken, doch weichen Armen umschlingen, wird ihn abküssen und dann so laut, daß die Möwen erschrecken, von den Neuigkeiten drüben am Ufer erzählen. Sie werden eine gute Fischsuppe kochen, Branntwein trinken und sich, plaudernd und zärtlich miteinander spielend, auf dem Sande wälzen; dann, wenn es dunkelt, eine Kanne Tee kochen, ihn trinken, schmackhafte Brezeln dazu essen und schlafen gehen . . . So ist es jeden Sonntag und auch jeden Feiertag in der Woche. Am frühen Morgen wird er sie über das noch schläfrige Meer in der frischen Morgendämmerung ans Ufer bringen. Sie wird verschlafen am Steuer sitzen, er aber wird rudern und auf sie sehen. So drollig pflegt sie dabei zu sein, so drollig und so lieb wie eine satte Katze. Vielleicht wird sie von der Bank auf den Boden des Bootes gleiten und dort zu einem Knäuel zusammengerollt einschlafen. Oft macht sie es so . . .

An diesem Tage sind selbst die Möwen von der Hitze ermattet. Sie sitzen reihenweise auf dem Sande mit offenen Schnäbeln und gesenkten Flügeln, oder wiegen sich träge auf den Wellen, ohne zu schreien und ohne ihre gewöhnliche raubgierige Lebhaftigkeit zu zeigen.

Unter der heißen Liebkosung der Sonne hebt sich die Brust des Meeres so wollüstig, und die Luft ist von einer berauschenden Ermattung erfüllt . . .

Wassilij schien es, als wäre Malva nicht allein im Boote. Hat sich etwa wieder Sserjoschka zu ihr gesellt? Wassilij drehte sich schwerfällig auf dem Sande um, setzte sich auf, hielt die Hand vor die Augen und begann unzufrieden auszuspähen, wer da noch mitfahre. Malva sitzt auf dem Hinterteil des Bootes und steuert. Der Ruderer ist aber nicht Sserjoschka; er rudert kräftig, aber ungeschickt; auch würde Malva, wenn Sserjoschka ruderte, gar nicht steuern.

»Hallo!« rief Wassilij ungeduldig.

Die Möwen auf dem Sande fuhren auf und horchten.

»Hallo; hallo«, klang vom Boote Malvas helle Stimme.

»Mit wem bist du?«

Als Antwort kam nur ein Lachen.

»Die Teufelsdirne!« schimpfte Wassilij halblaut und spuckte aus.

Er wollte gerne wissen, mit wem sie da fuhr, und während er sich eine Zigarette drehte, blickte er unverwandt auf den Rücken und Nacken des Ruderers, der sich ihm schnell näherte. Das laute Plätschern des Wassers unter den kräftigen Ruderschlägen schallt durch die Luft, und der Sand knirscht unter den bloßen Füßen des Wächters, der seine ungeduldige Neugier zu unterdrücken sucht.

»Wer ist da bei dir?« rief er, als er schon das ihm bekannte Lächeln auf dem hübschen, vollen Gesicht Malvas unterscheiden konnte.

»Wart . . . wirst es schon erfahren!« gab sie ihm lachend zurück.

Der Ruderer wandte sein Gesicht dem Ufer zu und sah Wassilij gleichfalls lachend an.

Der Wächter runzelte die Stirne und suchte sich zu erinnern, wer wohl dieser Bursche sei, der ihm so bekannt vorkam.

»Rudere schneller!« kommandierte Malva.

Das Boot glitt im Schwunge zugleich mit einer Welle fast bis zur Hälfte auf den Sand hinauf, neigte sich auf eine Seite und blieb liegen, aber die Welle rollte lachend wieder ins Meer zurück. Der Ruderer sprang ans Ufer, kam auf Wassilij zu und sagte: »Guten Tag, Vater!«

»Jakow!« rief Wassilij bestürzt, mehr erstaunt als erfreut. Sie umarmten sich und küßten sich dreimal auf den Mund und auf die Wange, worauf in Wassilijs Gesicht das Erstaunen sich mit Freude und Verlegenheit mischte.

»Ich schaue hinaus . . . und, und . . . mir zuckt so das Herz . . . Ach, du . . . wie kommst du her? So was! Ich schau' hin und denke mir: ist es nicht Sserjoschka? Nein, ich sehe, es ist nicht Sserjoschka! Und doch bist du's!« Wassilij streichelte sich mit der einen Hand den Bart und fuhr mit der anderen durch die Luft. Er wollte Malva anschauen, doch die lächelnden Augen seines Sohnes starrten ihm ins Gesicht, und ihr Glanz machte ihn verlegen. Das Gefühl der Selbstzufriedenheit, daß er einen so kräftigen und hübschen Sohn hatte, kämpfte in ihm mit dem Gefühl der Verlegenheit, in die ihn die Anwesenheit der Geliebten brachte. Er trat von einem Fuß auf den andern, immer vor Jakow stehend, warf ihm eine Frage nach der anderen hin und wartete seine Antworten gar nicht ab. In seinem Kopfe war alles durcheinandergekommen, und besonders unbehaglich wurde es ihm, als er die spöttischen Worte Malvas hörte: »Spring nicht so herum . . . vor Freude! Führe ihn doch ins Zelt und gib ihm was zu essen . . .«

Er wandte sich zu ihr um. Auf ihren Lippen spielte ein Lächeln, das ihm wieder unbekannt war, und sie selbst, rundlich, weich und frisch wie immer, war zugleich irgendwie neu und gleichsam fremd. Sie richtete ihre grünlichen Augen bald auf den Vater und bald auf den Sohn und knabberte mit ihren kleinen weißen Zähnchen Melonenkerne. Jakow betrachtete die beiden auch lächelnd, und während der ersten, für Wassilij recht unangenehmen Sekunden schwiegen sie alle drei.

»Sofort!« begann Wassilij plötzlich mit großer Hast, indem er auf das Zelt zuging. »Geht aus der Sonne, ich werde Wasser holen . . . Fischsuppe wollen wir kochen! Mit einer feinen Fischsuppe werd' ich dich traktieren, Jakow! Macht es euch hier . . . bequem, ich bin gleich wieder da.«

Er hob vom Boden neben dem Zelte einen kleinen Kessel auf, ging hinter die Netze und verschwand in der grauen Masse ihrer Falten.

Malva und sein Sohn gingen auch zum Zelte.

»So, lieber Bursch', da hab' ich dich zum Vater gebracht«, sagte Malva, indem sie die stämmige Gestalt Jakows von der Seite betrachtete.

Er wandte ihr sein Gesicht mit dem lockigen dunkelblonden Vollbart zu, blinzelte mit den Augen und sagte: »Ja, wir sind da . . . Schön ist es aber hier . . . dieses Meer!«

»Ein weites Meer . . . Nun . . . ist der Vater sehr alt geworden?«

»Nein, nicht so alt. Ich dachte, er sei viel grauer, aber er hat wenig graue Haare . . . Und dann ist er . . . noch so kräftig.«

»Wie lang, sagst du, habt ihr euch nicht gesehen?«

»Ich mein', an die fünf Jahre . . . Als er aus dem Dorfe ging, war ich im siebzehnten Jahr . . .«

Sie traten in das Zelt, wo es schwül war und die Bastdecken nach Salzfischen rochen, und setzten sich dort: Jakow auf einen dicken Baumstumpf, Malva auf einen Haufen von Säcken. Zwischen ihnen stand ein in der Mitte durchsägtes Faß, dessen Boden Wassilij als Tisch diente. Als sie sich hingesetzt hatten, sahen sie einander schweigend und durchdringend an.

»Du willst also hier arbeiten?« fragte Malva.

»Ja, siehst du . . . Ich weiß es nicht . . . Wenn sich etwas findet, werde ich arbeiten.«

»Bei uns findet sich schon was!« versprach Malva überzeugt, ihn immer mit ihren grünen, rätselhaft zusammengekniffenen Augen betastend.

Er aber sah sie nicht an und trocknete sich mit dem Ärmel seines Hemdes das schweißige Gesicht.

Plötzlich fing sie zu lachen an.

»Die Mutter hat wohl durch dich Aufträge und Grüße für den Vater bestellt?«

Jakow blickte sie an, runzelte die Stirne und entgegnete kurz: »Gewiß . . . warum?«

»Nichts!« sagte sie und lachte.

Ihr Lachen mißfiel Jakow, es schien ihn necken zu wollen. Jakow wandte sich von diesem Weibe ab und erinnerte sich der Aufträge der Mutter.

Als sie ihn bis vors Dorf begleitete, stützte sie sich auf einen Zaun und sagte schnell, mit ihren trockenen Augen zwinkernd: »Sag es ihm, Jascha . . . Sag es, um Christi willen, dem Vater. Sag ihm, die Mutter ist allein . . . fünf Jahre sind vergangen, und sie ist immer allein! Sie wird alt . . . sag es ihm, Jakow, um Gottes willen. Bald wird die Mutter eine alte Frau sein . . . immer allein, immer allein . . . Immer bei der Arbeit. Um Christi willen, sag es ihm . . .«

Und dann hat sie, das Gesicht in die Schürze vergraben, lautlos geweint.

Damals hatte Jakow mit ihr kein Mitleid gehabt, aber jetzt tat sie ihm leid . . . Und er sah Malva an, zuckte streng mit den Brauen und war bereit, sie ordentlich auszuschelten.

»So, da bin ich!« rief Wassilij, mit einem zappelnden Fisch in der einen Hand und einem Messer in der anderen im Zelte erscheinend.

Er war mit seiner Verlegenheit schon fertig geworden und hatte sie tief in sein Inneres versteckt. Jetzt sah er die beiden ruhig und zufrieden an, nur seine Bewegungen zeigten eine ihm sonst nicht eigene Geschäftigkeit.

»Gleich werde ich ein Feuer machen . . . und zu euch kommen, und . . . wir werden reden! Ja! Ach, Jakow! Was bist du doch für ein strammer Kerl geworden!«

Und er ging wieder aus dem Zelte.

Malva knabberte unaufhörlich Melonenkerne und betrachtete ganz ungeniert Jakow; er aber bemühte sich, sie nicht anzusehen, obwohl er es gern täte, und dachte bei sich: – Sie leben hier wohl gut und satt . . . so rund ist sie, und der Vater auch.

Da ihn das Schweigen bedrückte, sagte er laut: »Meinen Sack habe ich im Boote gelassen . . . ich will ihn mal holen.«

Er stand langsam auf und ging hinaus, und statt seiner trat ins Zelt Wassilij. Er beugte sich über Malva und begann eilig und böse: »Na, warum bist du mit ihm gekommen? Was soll ich ihm von dir sagen? Was bist du mir?«

»Ich bin eben gekommen und fertig!« entgegnete Malva kurz.

»Ach du . . . dummes Frauenzimmer! Machst immer solche dumme Geschichten . . . wozu? Was soll ich jetzt machen? Darf man es denn ihm zeigen . . . auf einmal . . . und ich habe doch eine Frau zu Haus! Sie ist seine Mutter . . . Du solltest doch daran denken!«

»Was brauch' ich daran zu denken! Habe ich vielleicht Angst vor ihm? Oder vor dir?« fragte sie, die grünlichen Augen verächtlich zusammenkneifend. »Und wie du dich eben vor ihm gedreht hast! Ach, war das zum Lachen!«

»Dir war das zum Lachen! Und was soll ich tun?«

»Hast du mal früher daran gedacht?«

»Hab' ich denn gewußt, daß ihn das Meer so auf einmal ausspeien wird?«

Unter Jakows Füßen knirschte der Sand, und sie brachen ihr Gespräch ab. Jakow brachte seinen leichten Sack, warf ihn in die Ecke und schielte mit bösen Augen zu dem Weibe hinüber.

Sie knackte ganz hingerissen ihre Melonenkerne; Wassilij setzte sich aber auf den Baumstumpf, rieb sich mit den Händen die Knie und begann mit einem verlegenen Lächeln: »So bist du also gekommen . . . wie ist dir das bloß eingefallen . . .?«

»Ja, so . . . wir haben dir doch geschrieben . . .«

»Wann? Ich habe keinen Brief bekommen . . .!«

»So? Wir haben dir aber geschrieben . . .«

»Der Brief ist wohl verlorengegangen«, sagte Wassilij betrübt. »Sieh mal an, daß ihn der Teufel! Wenn man den Brief braucht, geht er verloren . . .«

»Du weißt also nichts von unseren Sachen?« fragte Jakow mit einem mißtrauischen Blick auf den Vater.

»Woher denn? Ich hab' keinen Brief bekommen!«

Nun erzählte ihm Jakow, daß ihr Pferd eingegangen sei, daß sie ihr ganzes Brot schon Anfang Februar aufgegessen und nichts zu verdienen gehabt hätten. Auch das Heu hätte nicht gereicht, die Kuh wäre vor Hunger beinahe verreckt. Sie hätten mit Mühe bis zum April durchgehalten und dann beschlossen, Jakow solle, wenn er mit dem Ackern fertig ist, zum Vater fahren, um etwas zu verdienen, und dort drei Monate bleiben. Dies alles hätten sie ihm geschrieben, dann drei Schafe verkauft, Getreide und Heu gekauft, und nun ist Jakow da.

»So ist es!« rief Wassilij. »So . . . Und . . . wie ist es denn . . . ich hab' euch ja Geld geschickt . . .«

»War es denn viel? Das Haus haben wir ausgebessert, die Marja verheiratet . . . einen Pflug hab' ich gekauft . . . Es sind ja fünf Jahre . . . eine lange Zeit!«

»Ja! Es hat also nicht gereicht? So ist die Sache. Die Fischsuppe läuft mir über!« Er stand auf und ging hinaus. Vor dem Feuer, über dem der brodelnde Kessel hing, kauernd und den abgeschöpften Schaum ins Feuer werfend, versank Wassilij in seine Gedanken. Alles, was ihm der Sohn erzählt hatte, rührte ihn wenig, weckte aber in ihm ein unangenehmes Gefühl gegen seine Frau und gegen Jakow. So viel Geld hat er ihnen schon in diesen fünf Jahren geschickt, und sie sind mit der Wirtschaft doch nicht fertig geworden. Wäre nicht Malva da, hätte er Jakow schon einiges gesagt. Eigenmächtig, ohne Erlaubnis des Vaters, war er aus dem Dorfe fortgezogen – dazu hatte ihm der Verstand gereicht – aber mit der Wirtschaft hat er nicht fertig werden können. Und diese Wirtschaft, an die Wassilij, der bis zum heutigen Tage so leicht und angenehm gelebt hatte, sehr selten dachte, erschien ihm jetzt plötzlich als ein bodenloses Loch, in das er fünf Jahre lang sein Geld hineingeworfen hatte, als etwas in seinem Leben Überflüssiges, was er gar nicht brauchte. Und während er die Fischsuppe im Kessel mit einem Löffel umrührte, seufzte er.

Im Sonnenscheine schien das kleine gelbliche Feuer so armselig und blaß. Die blauen und durchsichtigen Rauchwölkchen zogen vom Feuer zum Meere, den Wellenspritzern entgegen. Wassilij verfolgte sie mit den Augen und dachte an seinen Sohn, an Malva und daran, daß nach Jakows Erscheinen sein Leben schlechter und nicht mehr so frei wie bisher sein würde . . . Jakow war doch schon sicher dahintergekommen, wer Malva war . . .

Sie saß aber im Zelte und machte den Burschen mit ihren herausfordernden Augen verlegen, in denen fortwährend ein Lächeln spielte.

»Hast wohl eine Braut im Dorfe zurückgelassen?« fragte sie plötzlich, Jakow ins Gesicht blickend.

»Vielleicht hab' ich eine zurückgelassen«, antwortete er unwillig.

»Ist sie hübsch?« fragte sie nachlässig.

Jakow schwieg.

»Was schweigst du? Ist sie hübscher als ich oder nicht?«

Er blickte ihr, ohne es zu wollen, ins Gesicht. Sie hatte gebräunte und volle Wangen und saftige Lippen; sie waren jetzt von einem herausfordernden Lächeln halb geöffnet und zitterten. Die rosa Kattunjacke saß ihr besonders gut am Körper und umspannte die runden Schultern und die hohe, pralle Brust. Aber ihre listig zusammengekniffenen, grünen, lachenden Augen mißfielen ihm.

»Warum sprichst du so?« fragte er, indem er aus unbekanntem Grunde aufseufzte, mit bittender Stimme, obwohl er mit ihr streng und ernst sprechen wollte.

»Wie soll man denn sprechen?« fragte sie lachend.

»Und du lachst auch . . . worüber?«

»Über dich lache ich . . .«

»Nun, was bin ich dir?« fragte er verlegen und beleidigt und schlug unter ihrem Blicke wieder die Augen nieder.

Sie antwortete ihm nicht.

Jakow ahnte schon, was sie dem Vater sei, und das hinderte ihn, unbefangen mit ihr zu sprechen. Dieser Gedanke verblüffte ihn nicht: er hatte gehört, daß die Leute, die aus dem Dorfe fortziehen, ausgelassen leben, und sah ein, daß ein so kräftiger Mensch wie sein Vater schwerlich so lange ohne ein Weib hätte auskommen können. Und doch genierte er sich vor ihr und vor dem Vater. Dann erinnerte er sich auch an seine Mutter, an eine erschöpfte, mürrische Frau, die dort im Dorfe unermüdlich arbeitete . . .

»Die Fischsuppe ist fertig!« rief Wassilij, wieder im Zelte erscheinend. »Hol mal die Löffel, Malva!«

Jakow sah seinen Vater an und dachte sich: Sie kommt wohl oft zu ihm, wenn sie weiß, wo die Löffel liegen!

Als sie die Löffel gefunden hatte, sagte sie, daß sie sie im Meere spülen müsse und daß sie im Hinterteile des Bootes auch etwas Schnaps habe.

Vater und Sohn blickten ihr nach und schwiegen, als sie allein waren, eine Weile.

»Wo hast du sie getroffen?« fragte Wassilij.

»Als ich im Kontor nach dir fragte, war sie dort . . . Und sie sagte: ›Statt zu Fuß durch den Sand zu gehen, komm lieber mit dem Boot hin, ich will auch zu ihm.‹ So sind wir hergekommen.«

»Ja . . . Ich dachte mir aber oft: wie mag jetzt mein Jakow sein?«

Der Sohn lächelte dem Vater gutmütig ins Gesicht, und dieses Lächeln machte Wassilij Mut.

»Nun . . . was sagst du zum Frauenzimmer?«

»Nicht übel . . .« erwiderte Jakow unbestimmt und zwinkerte mit den Augen.

»Da hilft kein Teufel, Bruder!« rief Wassilij aus und fuhr mit beiden Händen durch die Luft. »Erst habe ich mich beherrscht . . . aber ich kann es nicht! Die Gewohnheit. Ich bin ein verheirateter Mann. Dann bessert sie mir auch die Kleider aus und alles andere . . . Und überhaupt . . . ach ja! Dem Weibe kann man wie dem Tode niemals entrinnen!« schloß er offenherzig seine Erklärung.

»Was geht es mich an?« sagte Jakow. »Es ist deine Sache, und ich bin nicht dein Richter.«

Dabei dachte er sich: – Ja, so eine wird dir . . . die Hose flicken –

»Dann bin ich erst fünfundvierzig Jahre alt . . . Sie kostet mich nicht viel Geld und ist auch nicht meine Frau«, sprach Wassilij.

»Gewiß . . .« stimmte ihm Jakow bei und dachte sich: – Aber sie rupft dich wohl ordentlich! –

Malva kam mit einer Flasche Schnaps und einem Kranz Brezeln in den Händen, und sie machten sich an die Fischsuppe. Sie aßen schweigend, sogen laut die Gräten aus und spuckten sie aus dem Munde auf den Sand bei der Tür. Jakow aß viel und gierig; dies schien Malva zu gefallen: sie lächelte freundlich, als sie sah, wie seine gebräunten Wangen sich blähten und wie schnell seine feuchten, vollen Lippen sich bewegten. Wassilij aß ohne Appetit, bemühte sich aber, so zu tun, als wäre er mit dem Essen eifrig beschäftigt; er brauchte das, um ungestört, ohne vom Sohn und von Malva beobachtet zu werden, über sein Verhältnis zu ihnen nachzudenken.

Die lustige und zärtliche Musik der Wellen wurde von den gierigen und triumphierenden Schreien der Möwen unterbrochen. Die Hitze war weniger glühend, und ab und zu drang ins Zelt ein kühler, vom erfrischenden Geruche des Meeres erfüllter Lufthauch.

Nach der schmackhaften Fischsuppe und mehreren Portionen Schnaps wurden Jakows Augen schwer. Er fing an, blöde zu lächeln, zu rülpsen, zu gähnen und Malva mit solchen Augen anzuschauen, daß Wassilij es für nötig hielt, ihm zu sagen: »Leg dich hier hin, Jascha, bis zum Tee . . . dann werden wir dich wecken.«

»Das können wir machen . . .« willigte Jakow ein und fiel auf die Säcke nieder. »Und . . . ihr, wo wollt ihr hin? Haha!«

Wassilij ging, von seinem Lachen peinlich berührt, schnell hinaus, Malva aber preßte die Lippen zusammen, runzelte die Stirne und antwortete Jakow: »Wohin wir gehen, ist nicht deine Sache! Was fällt dir ein? Du bist noch ein Lämmchen! Ja, das bist du, Bursche!« Und sie ging hinaus.

»Ich? Das ist gut!« rief ihr Jakow nach. »Wart! Ha, ha, ha! Ich werd's dir zeigen! Schon gut! Was bist du für eine . . . Mamsell!«

Er brummte noch eine Weile und schlief mit einem trunkenen und satten Lächeln auf seinem geröteten Gesichte ein. Wassilij steckte drei Bootshaken in den Sand, band die oberen Enden zusammen, warf eine Bastdecke darüber und legte sich, nachdem er auf diese einfache Weise ein schattiges Obdach hergestellt hatte, hinein; dann verschränkte er die Hände im Nacken und blickte in den Himmel. Als Malva zu ihm kam und sich auf den Sand neben ihm niederließ, wandte er ihr sein Gesicht zu, und sie las darin den Ausdruck von Gekränktheit und Unzufriedenheit.

»Nun, Alterchen?« fragte sie und lachte. »Bist wohl wenig froh über den Sohn?«

»Er . . . lacht mich aus . . . Und warum? Alles nur deinetwegen . . .« sagte Wassilij mürrisch.

»So? Meinetwegen?« fragte sie mit schelmischem Erstaunen.

»Warum denn sonst? Natürlich . . .«

»Ach, du Ärmster! Was soll ich jetzt machen? Soll ich vielleicht nicht mehr zu dir kommen? Wie? Nun, dann nicht . . .«

»Was bist du aber für eine Hexe!« sagte Wassilij vorwurfsvoll. »Was seid ihr für Menschen! Er lacht, und du auch – und ihr seid mir dabei doch die Nächsten! Und warum lacht ihr mich aus? Teufel!« Er wandte sich von ihr weg und verstummte.

Sie aber umschlang ihre Knie mit den Armen, wiegte den Körper leise hin und her, blickte mit ihren grünen Augen unverwandt auf das leuchtende lustige Meer und lächelte auf eine der vielen triumphierenden Arten, die jeder Frau eigen sind, die sich der Macht ihrer Schönheit bewußt ist.

Ein Segelschiff glitt über das Wasser wie ein großer plumper Vogel mit grauen Flügeln. Es war weit vom Ufer entfernt und zog noch weiter fort, dorthin, wo Himmel und Meer in ein Ganzes zusammenflossen, in eine blaue Unendlichkeit, die mit ihrer feierlichen Stille zu sich lockte.

»Was schweigst du?« fragte Wassilij.

»Ich denke . . .« entgegenete Malva.

»An was?«

»So . . .« Sie bewegte die Brauen und fügte nach einer Pause hinzu: »Dein Sohn ist ein ganzer Kerl . . .«

»Was geht dich das an?« rief Wassilij eifersüchtig.

»Nun, warum nicht . . .«

»Du . . . paß auf!« Er maß sie mit einem strengen, mißtrauischen Blick. »Mach keine Dummheiten! Ich bin zwar ein ruhiger Mensch, aber reize mich nicht . . . Ja!«

Er preßte die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und fuhr fort: »Gleich wie du heute hergekommen bist, hast du ein Spiel angefangen . . . Ich verstehe es noch nicht . . . aber, paß auf, wenn ich mal drauf komme, wirst du es bereuen! Du hast auch so ein Lächeln . . . und manches andere . . . Ich versteh' schon mit euch Weibern umzugehen . . . wenn was passiert . . .!«

»Erschreck mich nicht, Wassja . . .« bat sie gleichgültig, ohne ihn anzusehen.

»Also paß auf! Spiel nicht mit mir . . .«

»Mach mir doch keine Angst . . .«

»Ich werde dich vermöbeln, wenn du was anstellst«, drohte Wassilij böse.

»Wirst du mich schlagen?« fragte sie, indem sie sich zu ihm umwandte und sein erregtes Gesicht neugierig betrachtete.

»Was bist du für eine Gräfin? Ich werde dich auch durchbleuen . . .«

»Was bin ich dir, deine Frau vielleicht?« fragte Malva ruhig und überzeugend und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: »Da du gewohnt bist, deine Frau so mir nichts, dir nichts zu prügeln, so glaubst du wohl, daß du auch mich so behandeln darfst? Nein, das geht nicht. Ich bin frei. Ich bin mir selbst Herrin und fürchte niemand. Du aber fürchtest deinen Sohn; wie du vorhin vor ihm herumgesprungen bist – eine Schande war es! Und mir drohst du noch!«

Sie schüttelte verächtlich den Kopf und schwieg. Ihre kalten, geringschätzigen Worte erstickten Wassilijs Zorn. Noch nie hatte er sie so schön gesehen, und er staunte, als er sie so sah.

»Wie die ins Krächzen gekommen ist . . .« sagte er ärgerlich und zugleich entzückt.

»Und ich will dir noch das sagen. Du hast vor Sserjoschka geprahlt, daß ich ohne dich wie ohne Brot nicht leben kann! Das solltest du nicht . . . Vielleicht liebe ich gar nicht dich und komme auch nicht zu dir, vielleicht liebe ich nur diesen Ort . . .« Sie beschrieb mit der Hand einen weiten Bogen um sich. »Vielleicht gefällt es mir, daß es hier so leer ist – Meer und Himmel und keine gemeinen Menschen. Und daß du hier bist – das ist mir gleich . . . Das ist wie Eintrittsgeld für den Ort . . . Wäre Sserjoschka hier, so ginge ich zu ihm; wird dein Sohn hier sein, so werde ich zu ihm kommen. Am besten wär' es aber, wenn hier niemand von euch wäre, ich habe euch alle satt! Wenn ich aber nur will, kann ich mit meiner Schönheit jeden Mann, der mir paßt, aussuchen . . . Noch einen ganz anderen als du . . .«

»So?!« zischte Wassilij wütend und packte sie plötzlich bei der Kehle. »So?«

Er schüttelte sie, sie aber wehrte sich nicht, obwohl ihr Gesicht rot geworden war und die Augen sich mit Blut füllten. Sie legte einfach ihre beiden Hände auf seine Hand, die ihre Kehle zusammenpreßte, und blickte ihm unverwandt ins Gesicht.

»Also das ist in dir?« röchelte Wassilij, immer wütender werdend. »Und du hast immer geschwiegen, du Teufelshaut . . . hast mich umarmt . . . hast mich liebkost . . . ich werde dir's zeigen!«

Er drückte sie zur Erde nieder und schlug sie mit Wollust auf den Nacken, einmal . . . zweimal . . . mit den schweren Schlägen seiner fest zusammengeballten muskulösen Faust. Es war ihm angenehm, wenn seine Hand im Schwunge ihren vollen prallen Hals traf.

»Da! Was, du Schlange?« sagte er triumphierend und schleuderte sie von sich.

Sie fiel, ohne einen Ton von sich zu geben, stumm und ruhig auf den Rücken, zerzaust, rot und trotzdem schön. Ihre grünen Augen sahen ihn unter den Wimpern an und brannten vor kaltem, drohendem Haß. Er aber atmete schwer vor Erregung, durch den Ausfluß seines Zornes angenehm befriedigt, und sah ihren Blick nicht; und als er sie triumphierend und verächtlich anblickte, lächelte sie leise. Zuerst erbebten kaum merklich ihre vollen Lippen, dann leuchteten ihre Augen auf, an den Wangen erschienen Grübchen, und sie lachte auf. Wassilij sah sie erstaunt an, wie sie so laut und zufrieden lachte, als hätte er sie gar nicht geschlagen.

»Was hast du . . . Teufel!« rief er unruhig, indem er sie roh bei der Hand zog.

»Wassja . . .! Hast du mich geschlagen?« fragte sie flüsternd.

»Nun, ja, ich . . . wer denn sonst?« Er sah sie verständnislos an und wußte nicht recht, was er jetzt tun sollte. Sollte er sie noch einmal schlagen? Er fühlte aber keinen Zorn mehr in sich, und seine Hand wollte sich nicht gegen sie erheben.

»Du liebst mich also?« fragte sie wieder, und von ihrem Flüstern wurde es ihm ganz heiß.

»Schon gut . . . Teufel!« sagte er mürrisch. »Man hätte dich noch ganz anders schlagen müssen!«

»Wassja! Ich glaubte schon, du liebst mich nicht mehr . . . ich dachte mir: da ist zu ihm sein Sohn gekommen . . . er wird mich des Sohnes wegen davonjagen . . .«

Und sie lachte noch immer mit dem seltsamen, viel zu lauten Lachen.

»Dumme Gans!« sagte Wassilij lächelnd. »Der Sohn . . . was hat der zu sagen?«

Er schämte sich vor ihr, und sie tat ihm leid; als er sich aber an ihre Worte erinnerte, begann er wieder streng: »Der Sohn hat damit gar nichts zu tun . . . Und daß ich dich geschlagen habe, daran bist du selbst schuld, warum hast du mich gereizt?«

»Ich hab' es absichtlich getan, nur um dich zu prüfen . . .!« Sie lächelte beruhigend und schmiegte Ihre Schulter an ihn. Er schielte nach dem Zelte hinüber und umarmte sie. »Ach, du, prüfen wolltest du mich! Was gibt's da zu prüfen? Das hast du damit erreicht!«

»Macht nichts!« sagte Malva überzeugt und kniff die Augen zusammen. »Ich bin nicht böse . . . du hast mich doch aus Liebe geschlagen? Ich werde es dir heimzahlen . . .« Sie sah ihn durchdringend an, fuhr zusammen und wiederholte mit gedämpfter Stimme: »Ach, wie ich es dir heimzahlen werde!«

Wassilij hörte aus diesen Worten ein ihm angenehmes Versprechen heraus; es erregte ihn süß, und er fragte mit einem zufriedenen Lächeln:

»Wie denn? Nun, sag!«

»Wirst es schon sehen«, antwortete Maiva ruhig. Sie sagte es sehr ruhig, aber ihre Lippen zitterten. »Ach du, mein Lieb!« rief Wassilij aus und preßte sie mit den Händen eines Verliebten fest zusammen. »Weißt du, nachdem ich dich geschlagen habe, bist du mir noch teurer geworden! Wirklich! Lieber . . . oder so . . .«

Die Möwen flogen über ihnen. Der freundliche Seewind brachte die Spritzer der Wellen fast bis an ihre Füße, und das unermüdliche Lachen des Meeres wollte nicht verstummen . . .

»Ach . . . unser Leben!« seufzte Wassilij erleichtert auf, nachdenklich das Weib liebkosend, das sich an ihn schmiegte. »Wie ist es nur so in der Welt eingerichtet: was sündhaft ist, das ist auch süß. Du verstehst wohl nichts . . . Aber ich denke manchmal über das Leben nach . . . und es wird mir sogar ängstlich zumute. Besonders in der Nacht . . . wenn ich nicht einschlafen kann . . . Ich sehe vor mir das Meer, über mir den Himmel, ringsum ist es so dunkel und unheimlich . . . und ich bin allein. Und dann komme ich mir so klein, so ganz klein vor, und es ist mir, als schwankte die Erde unter mir und als sei niemand auf ihr außer mir. Wenn du wenigstens zu einer solchen Zeit bei mir wärest . . . man ist dann immerhin zu zweien . . .«

Malva lag mit geschlossenen Augen bei ihm auf dem Schoß und schwieg. Das etwas grobe, doch gutmütige, von Sonne und Wind gebräunte Gesicht Wassilijs beugte sich über sie, und sein langer, ausgeblichener Bart kitzelte ihren Hals. Das Weib bewegte sich nicht, nur ihre Brust hob sich hoch und gleichmäßig. Wassilijs Augen irrten bald auf dem Meere und hefteten sich bald auf diese Brust, die ihm so nahe war. Und er erzählte ihr, wie langweilig es sei, allein zu leben, und wie qualvoll die schlaflosen Nächte voller dunkler Gedanken über das Leben seien. Dann begann er sie auf den Mund zu küssen; er machte es ohne Übereilung und schmatzte mit seinen Lippen so laut, als äße er einen heißen, mit viel Butter zubereiteten Brei. An die drei Stunden verbrachten sie hier, und als die Sonne sich schon dem Meer zuneigte, sagte Wassilij mit gleichgültiger Stimme: »Nun, ich gehe den Tee kochen . . . der Gast wird bald aufwachen.«

Malva rückte mit der trägen Gebärde einer wonnetrunkenen Katze zur Seite; er aber stand ungern auf und ging ins Zelt. Das Weib sah ihm unter den kaum gehobenen Wimpern nach und seufzte so, wie Menschen unter einer ermüdenden Last zu seufzen pflegen.

Es verging noch eine Stunde, und nun saßen sie alle drei um das Feuer herum, tranken Tee und unterhielten sich.

Die Sonne färbte schon das Meer in die lebhaften Farben des Abendrotes, und die grünlichen Wellen erstrahlten unter der Zaubermacht ihrer Strahlen in Purpur und in den zartesten Tönen einer Rose.

Wassilij trank den Tee aus einem weißen Tonbecher, fragte den Sohn über das Dorf aus und frischte auch seine eigenen Erinnerungen auf. Malva mischte sich nicht hinein und hörte ihren langsamen Reden zu.

»Sie leben also, die Bauern?«

»Sie leben immerhin . . .« antwortete Jakow.

»Braucht denn unsereins viel? Ein Haus und genug Brot . . . und ein Glas Schnaps am Feiertag . . . Ja. Aber dort haben wir auch das nicht . . . Wäre ich denn fortgegangen, wenn's zu Hause etwas zu essen gäbe? Im Dorfe bin ich mir selbst Herr, allen gleich . . . hier bin ich aber Knecht . . .«

»Dafür kann man sich hier sattessen, und die Arbeit ist leichter . . .«

»Sage das nicht! Es kommt vor, daß alle Knochen schmerzen, als wären sie zerquetscht . . . auch arbeite ich hier für einen Fremden und dort für mich selbst.«

»Dafür verdienst du hier mehr«, entgegnete Jakow ruhig. Innerlich stimmte Wassilij allen Gründen, die Jakow vorbrachte, zu: auf dem Lande ist das Leben und die Arbeit schwerer als hier; das stimmt; aber er wollte aus irgendeinem Grunde nicht, daß Jakow es wisse. Und er sagte streng: »Hast du den hiesigen Verdienst gezählt? Im Dorfe, Bruder . . .«

»Ist es wie in einer Grube, finster und eng . . .« wandte Malva lächelnd ein. »Und besonders das Weiberleben ist nichts als Tränen.«

»Das Weiberleben ist überall das gleiche . . . auch die Welt ist überall gleich, auch die Sonne . . .« sagte Wassilij finster und sah sie an.

»Na, das ist nicht wahr!« rief sie aus und wurde lebhafter. »Im Dorfe muß ich, ob ich will oder nicht, heiraten. Eine verheiratete Frau ist aber eine ewige Sklavin: muß nähen, spinnen, das Vieh versorgen und Kinder kriegen. Was bleibt für sie selbst? Nichts als die Prügel und das Geschimpfe des Mannes . . .«

»Es sind nicht immer Prügel . . .« unterbrach sie Wassilij. »Aber hier«, fuhr sie fort, ohne auf ihn zu hören, »hier gehöre ich niemand. Bin frei . . . wie eine Möwe! Wohin ich will, dorthin fliege ich! Niemand kann mir den Weg versperren! Niemand darf mich anrühren . . .!«

»Und wenn dich doch wer anrührt?« fragte Wassilij lächelnd, als wollte er sie an etwas erinnern.

»Nun . . . ich zahle es schon heim!« sagte sie leise, und ihre leuchtenden Augen erloschen.

Wassilij lachte herablassend.

»Ach du . . . frech bist du schon, aber schwach! Es sind Weiberworte, die du da redest. Im Dorfe ist das Weib ein für das Leben wichtiger Mensch, aber hier . . . lebt sie nur zum Vergnügen . . .« Er schwieg eine Weile und fügte hinzu: »Für die Sünde.« Als dieses Gespräch stockte, seufzte Jakow nachdenklich und sagte: »Gar kein Ende scheint dieses Meer zu haben . . .«

Alle drei blickten schweigend auf die Wasserwüste vor ihnen. »Wenn das doch alles Erde wäre!« rief Jakow mit einer breiten Handbewegung. »Gute schwarze Erde! Und wenn man sie dann pflügen könnte!«

»So was!« lachte Wassilij mit einem beifälligen Blick auf das Gesicht des Sohnes, das von der Kraft des ausgesprochenen Wunsches sich sogar gerötet hatte. Es war ihm angenehm, in den Worten des Sohnes die Liebe zur Scholle zu hören, und er dachte sich, daß diese Liebe ihn vielleicht bald und zwingend von den Versuchungen des freien Lebens in der Fischersiedlung ins Dorf zurückrufen würde. Er aber wird hier mit Malva bleiben, und alles wird seinen alten Gang gehen.

»Das hast du gut gesagt, Jakow! Ein Bauer muß auch so sprechen. Die Kraft des Bauern steckt in der Erde: solange er auf ihr sitzt, lebt er, wenn er sich aber von ihr losreißt, ist er verloren! Der Bauer ohne Land ist wie ein Baum ohne Wurzel: zur Arbeit taugt er noch, aber lange leben kann er nicht – er verfault! Auch seine ganze Waldschönheit ist dahin – er ist abgenagt, abgeschält, ganz unansehnlich! Da hast du eben ein gutes Wort gesagt, Jakow . . .«

Das Meer nahm die Sonne in seinen Schoß auf und begrüßte sie mit der freundlichen Musik seiner plätschernden Wellen, die von den Abschiedsstrahlen mit wunderbaren, an Tönen unsagbar reichen Farben geschmückt waren. Die göttliche Quelle des lebenspendenden Lichtes verabschiedete sich vom Meere mit der beredten Harmonie ihrer Farben, um irgendwo ferne von diesen drei Menschen, die sie beobachteten, die schlafende Erde durch das freudige Aufleuchten der Morgenstrahlen zu wecken.

»Mir schmilzt gleichsam die Seele, wenn ich die Sonne untergehen sehe . . . wirklich, bei Gott!« sagte Wassilij, sich an Malva wendend.

Sie schwieg. Die blauen Augen Jakows lächelten, über die Ferne des Meeres schweifend. Alle drei blickten lange nachdenklich dorthin, wo die letzten Minuten dieses Tages erloschen. Vor ihnen glommen die Kohlen unter dem Teekessel. Hinter ihnen entrollte schon die Nacht auf dem Himmel ihre Schatten. Der gelbe Sand wurde dunkel, die Möwen waren irgendwohin verschwunden, alles ringsum wurde so still, träumerisch und sanft. Selbst die unermüdlichen Wellen rauschten, den Sand hinauflaufend, nicht mehr so laut und lustig wie bei Tage.

»Was sitze ich noch da?« sagte Malva. »Ich muß gehen.«

Wassilij fuhr zusammen und blickte auf seinen Sohn.

»Wohin eilst du denn?« murmelte er unzufrieden. »Wart, gleich geht der Mond auf . . .«

»Was brauch' ich den Mond? Ich hab' auch so keine Angst . . . es ist nicht das erstemal, daß ich bei Nacht von hier weggehe!«

Jakow sah seinen Vater an und kniff die Augen zusammen, um ein Lächeln, das in ihnen leuchtete, zu verbergen; dann sah er Malva an – auch sie sah ihn an – und er wurde verlegen.

»Nun, geh. Geh . . .« stimmte Wassilij unzufrieden und verstimmt zu.

Sie stand auf, verabschiedete sich und ging langsam das Ufer der Landzunge entlang, und die Wellen rollten ihr unter die Füße, als wollten sie mit ihr spielen. Am Himmel leuchteten zitternd die Sterne auf – seine goldenen Blumen. Malvas grelle Jacke entfernte sich von Wassilij und seinem Sohn, die sie mit den Augen begleiteten, und verblich in der Dämmerung.

»Meine Wonne, . . . meine Lust . . .
Schmiege dich an meine Brust!«

sang Malva mit hoher und schriller Stimme.

Wassilij kam es vor, als wäre sie stehengeblieben und warte. Er spuckte erbittert aus und dachte sich: Das tut sie absichtlich, um mich zu reizen, die Teufelin!

»Sieh mal an, sie singt . . .« versetzte Wassilij mit einem Lächeln.

Für ihre Augen war sie nur noch ein dunkler Fleck in der Dämmerung.

»Meine Brüste, warm und weich,
Sind zwei weißen Schwänen gleich!«

tönte ihre Stimme über dem Meere.

»Sieh nur an!« rief Jakow und strebte mit seinem ganzen Körper dorthin, von wo die verführerischen Worte kamen.

»Also bist du mit der Wirtschaft nicht fertig geworden?« fragte die strenge tiefe Stimme Wassilijs.

Jakow sah ihn verständnisvoll an und sank wieder in seine frühere Stellung zurück.

Im Wellenrauschen versinkend, schlugen einzelne, abgerissene Worte des herausfordernden Liedes an ihr Ohr:

»Ach . . . in dieser Nacht . . . allein
Schlafe ich . . . nicht ein!«

»So heiß!« rief Wassilij traurig aus und rückte auf dem Sande hin und her. »Es ist schon Nacht, und noch immer so heiß! So eine verfluchte Gegend . . .«

»Das macht . . . der Sand . . . er ist über Tag heiß geworden . . .« sagte Jakow; er wandte sich ab und schien zu stocken.

»Was hast du? Lachst du gar?« fragte der Vater streng.

»Ich?« fragte Jakow unschuldig. »Worüber denn?«

»Das will ich meinen, daß es da nichts zum Lachen gibt.«

Und sie verstummten.

Und durch das Rauschen der Wellen hindurch drangen zu ihnen halb Seufzer, halb leise, zärtlich rufende Töne.

 

Es vergingen zwei Wochen, und wieder kam ein Sonntag. Wassilij Legostjew lag wieder auf dem Sande neben dem Zelte, blickte aufs Meer und erwartete Malva. Und das leere Meer spielte lachend mit der sich spiegelnden Sonne, und Legionen von Wellen wurden geboren, um den Sand hinaufzulaufen, den Schaum ihrer Mähnen auf ihn abzuwerfen, wieder ins Meer hinabzurollen und in ihm zu zerschmelzen. Alles war genauso wie vor vierzehn Tagen. Bloß daß Wassilij, der seine Geliebte sonst immer mit ruhiger Sicherheit erwartet hatte, sie heute mit Ungeduld erwartete. Am vorigen Sonntag war sie nicht dagewesen, heute mußte sie kommen. Jakow wird heute nicht stören: vorgestern war er mit den anderen Arbeitern dagewesen, um ein Netz zu holen, und hatte gesagt, er werde am Sonntag gleich am Morgen in die Stadt fahren, um sich Hemden zu kaufen. Er hatte eine Stellung als Fischer bekommen, war schon einigemal zum Fischfang ausgefahren und sah jetzt munter und lustig aus. Er roch wie alle Arbeiter nach Salzfischen und war wie alle schmutzig und abgerissen. Beim Gedanken an den Sohn mußte Wassilij seufzen.

»Wenn er hier nur unverdorben bleibt . . . er wird Geschmack am lustigen Leben bekommen und nicht mehr ins Dorf zurückkehren wollen . . . Dann werde ich wohl selbst hin müssen . . .«

Außer den Möwen war auf dem Meere niemand zu sehen. Dort, wo es durch einen schmalen sandigen Uferstreifen vom Himmel getrennt war, erschienen zuweilen auf diesem Streifen schwarze kleine Punkte, die sich bewegten und dann wieder verschwanden. Das Boot war aber noch immer nicht da, obwohl die Sonnenstrahlen das Meer schon fast senkrecht trafen. Zu dieser Stunde pflegte Malva schon längst dazusein.

Zwei Möwen sind in der Luft aneindergeraten und kämpfen so, daß die Federn fliegen. Ihre wütenden Schreie zerreißen den lustigen Gesang der Wellen, der so beständig ist und so harmonisch mit der feierlichen Stille des strahlenden Himmels zusammenfließt, daß er vom freudigen Spiel der Sonnenstrahlen auf der Fläche des Wassers erzeugt zu sein scheint. Die Möwen stürzen ins Wasser und bearbeiten dort einander mit den Schnäbeln, wütend vor Haß und Schmerz schreiend; dann steigen sie, einander verfolgend, wieder in die Luft . . . Und ihre Schwestern – eine große Schar – scheinen den wütenden Kampf nicht zu sehen und fangen gierig Fische, sich im grünlichen, durchsichtigen, spielenden Wasser überschlagend. Auf dem Meere war aber nichts zu sehen. Der bekannte dunkle Punkt dort weit am Ufer wollte nicht erscheinen.

»Du kommst nicht?« sagte Wassilij laut. »Also nicht! Was denkst du dir bloß . . .?«

Und er spuckte verächtlich in der Richtung nach dem Ufer aus.

»So, jetzt! Nun . . . schlag mich doch! Nun . . . was?«

Das Meer lachte.

Wassilij stand auf und ging ins Zelt mit der Absicht, sich sein Mittagessen zu kochen; aber er besann sich plötzlich, daß er keinen Hunger hatte, kehrte auf seinen früheren Platz zurück und legte sich dort wieder hin.

»Wenn doch wenigstens Sserjoschka käme!« rief er innerlich aus und zwang sich, an Sserjoschka zu denken. Der ist ein giftiger Kerl. Alle lacht er aus, geht auf alle mit seinen Fäusten los. Kräftig ist er, kann lesen und schreiben, ist viel in der Welt herumgekommen . . . ist aber ein Säufer. Mit ihm ist es lustig . . . Die Weiber sind alle in ihn verschossen und laufen ihm alle nach, obwohl er erst vor kurzem hergekommen ist. Nur Malva allein hält sich von ihm fern . . . Sie will nicht kommen. So ein verdammtes Weibsbild! Zürnt sie ihm vielleicht, weil er sie geschlagen hat? Aber ist ihr denn das neu? Die anderen haben sie wohl noch ganz anders geschlagen. Auch er wird es ihr zeigen.

Indem er so bald an den Sohn, bald an Sserjoschka und bald an Malva dachte, rückte Wassilij auf dem Sande hin und her und wartete immer. Die unruhige Stimmung ging allmählich in einen dunklen Verdacht über, aber er wollte bei diesem Gedanken nicht stehenbleiben. Und so verheimlichte er diesen Verdacht vor sich selbst und schlug die Zeit bis zum Abend tot, indem er bald aufstand, bald auf dem Sande auf und ab ging und sich bald wieder hinlegte. Das Meer war schon dunkel geworden, er aber blickte noch immer in die Ferne und erwartete das Boot. Aber Malva kam an diesem Tage nicht.

Beim Schlafengehen fluchte Wassilij düster auf seinen Dienst, der ihm nicht erlaubte, ans Ufer zu gehen, und sprang beim Einschlafen immer wieder auf: im Halbschlummer glaubte er ferne Ruderschläge zu hören. Dann hielt er sich die Hand vor die Augen und blickte ins dunkle, trübe Meer hinaus. Drüben am Ufer, bei der Fischerei, brannten zwei Feuer, aber auf dem Meere war niemand.

»Schon gut, Hexe!« drohte Wassilij . . . Dann versank er in einen schweren Schlaf.

In der Fischersiedlung hatte sich aber an diesem Tage folgendes zugetragen:

Jakow war früh am Morgen aufgestanden, als die Sonne noch nicht so heiß brannte und vom Meere ein erfrischender kühler Hauch kam. Er ging aus der Baracke zum Meer, um sich zu waschen, und erblickte, als er ans Ufer trat, Malva. Sie saß auf dem Hinterteil einer großen Barkasse, die am Ufer lag, ließ die nackten Beine über den Bord herabhängen und kämmte sich ihr nasses Haar. Jakow blieb stehen und begann sie mit neugierigen Augen zu betrachten. Die Kattunjacke, die an der Brust offenstand, war von der einen Schulter heruntergerutscht, und diese Schulter war so weiß und appetitlich.

Gegen das Hinterteil der Barkasse schlugen die Wellen, und Malva wurde bald hoch über das Meer gehoben und sank bald wieder so tief hinab, daß ihre bloßen Füße beinahe das Wasser berührten.

»Hast du gebadet, oder was?« rief ihr Jakow zu.

Sie wandte sich zu ihm um, streifte mit einem Blick ihre Füße und antwortete, immer noch das Haar kämmend: »Ich habe gebadet . . . Was bist du so früh aufgestanden?«

»Du bist aber noch früher aufgestanden . . .«

»Was bin ich dir für ein Beispiel?«

Jakow antwortete nicht.

»Wenn du auf meine Manier lebst, wird es dir schwerfallen, den Kopf zu behalten . . .« sagte sie.

»Oho? So schrecklich bist du!« lächelte Jakow. Er hockte sich hin und begann sich zu waschen.

Er schöpfte das Wasser mit den Händen, goß es sich aufs Gesicht und ächzte ab und zu vor Kälte. Als er sich später mit dem Schoße seines Hemdes abtrocknete, fragte er Malva: »Was machst du mir immer solche Angst?«

»Und warum glotzt du mich so an?«

Jakow konnte sich nicht entsinnen, daß er sie mehr angeschaut hätte als die anderen Weiber in der Fischersiedlung. Trotzdem sagte er ihr: »Nun, wenn du . . . so appetitlich bist!«

»Wenn der Vater von deinen Manieren hört, wird er dir den Buckel vollhauen!«

Sie sah ihm schelmisch und herausfordernd ins Gesicht. Jakow lachte und kletterte auf die Barkasse. Er wußte zwar nicht, was für Manieren sie meinte; wenn sie es aber sagte, so hatte er sie wohl wirklich irgendwie besonders angegafft. Und ihm war es plötzlich, er wußte selbst nicht warum, so lustig zumute.

»Was ist mit dem Vater?« sagte er, indem er über das Deck der Barkasse auf sie zuging. »Hat er dich denn gekauft oder was?«

Er setzte sich neben sie und heftete die Augen auf ihre nackte Schulter, die halbentblößte Brust und ihren ganzen frischen, kräftigen, nach dem Meere duftenden Körper.

»Was bist du für ein Weißfisch!« rief er entzückt aus, nachdem er sie genau betrachtet hatte.

»Aber nicht für dich . . .« entgegnete sie kurz, ohne ihn anzusehen und ohne ihr offenherziges Kostüm in Ordnung zu bringen.

Jakow seufzte.

Vor ihnen breitete sich in den Strahlen der Morgensonne das grenzenlose Meer. Kleine spielerische Wellen, vom freundlichen Atmen des Windes erzeugt, schlugen leise an den Bord der Barkasse. Weit auf dem Meere lag wie eine Schramme auf einer Atlasbrust die Landzunge. Auf ihr ragte die Stange als feiner Strich in den weichen Hintergrund des blauen Himmels, und man konnte sehen, wie der Fetzen an ihrer Spitze im Winde flatterte.

»Ja, Bürschlein . . .« begann Malva, ohne Jakow anzusehen. »Ich bin wohl zum Anbeißen, aber nicht für dich . . . Niemand hat mich gekauft, und ich bin auch deinem Vater nicht untertan. Ich lebe für mich . . . Laß mich in Ruhe, denn ich will nicht zwischen dir und Wassilij stehen . . . Ich will keinen Streit und Zank . . . Verstanden?«

»Was tue ich denn?« rief Jakow erstaunt. »Ich rühr' dich ja nicht an . . . ich dachte mir nichts dabei!«

»Du wagst aber nicht, mich anzurühren!« sagte Malva. Sie sagte das mit einer solchen Geringschätzung gegen Jakow, daß er sich zugleich als Mann und als Mensch beleidigt fühlte. Ihn erfaßte ein kampflustiges, beinahe böses Gefühl, und seine Augen blitzten auf.

»Oho!? Ich wage es nicht?« rief er aus und rückte näher.

»Du wagst es nicht!«

»Wirklich? Und wenn ich dich anrühre?«

»Versuch's nur!«

»Was wird dann geschehen?«

»Daß ich dir eins auf den Kopf gebe und du ins Wasser purzelst.«

»Na, gib mir doch eins auf den Kopf!«

»Rühr mich nur an!«

Er maß sie mit brennenden Augen und umfaßte sie plötzlich von der Seite mit seinen kräftigen Tatzen und preßte ihr Brust und Rücken zusammen. Von der Berührung ihres heißen, kräftigen Körpers flammte er ganz auf, und seine Kehle krampfte sich wie beim Ersticken zusammen.

»So, jetzt! Nun . . . schlag mich doch! Nun . . . was?«

»Laß mich, Jaschka!« sagte sie ruhig und versuchte, sich aus seinen zitternden Händen zu befreien.

»Du wolltest mich doch schlagen?«

»Laß los! Paß auf, es wird dir schlecht gehen!«

»Nun . . . mach mir keine Angst! Ach du . . . Himbeere!«

Er schmiegte sich an sie und drückte seine dicken Lippen an ihre rote Wange.

Sie lachte keck auf, packte Jakow kräftig bei den Händen und stürzte plötzlich mit einem heftigen Ruck ihres ganzen Körpers vornüber. Sie fielen beide umschlungen als schwere Masse ins Wasser und verschwanden im Schaum und im Wasserstaub. Dann erschien aus dem bewegten Wasser der nasse Kopf Jakows mit dem erschrockenen Gesicht, und neben ihm tauchte wie eine Möwe Malva auf. Jakow arbeitete verzweifelt mit den Armen, schlug das Wasser um sich, heulte und brüllte, während Malva laut lachend um ihn herumschwamm, ihm mit den Händen das salzige Wasser ins Gesicht spritzte und untertauchte, um sich vor den schweren Schlägen seiner Tatzen zu retten.

»Teufel!« schrie Jakow pustend. »Ich ertrinke! Genug . . .! Bei Gott . . . ich ertrinke! Das Wasser . . . ist bitter . . . Ach du . . . ich ertrinke!«

Sie hatte aber schon von ihm abgelassen und schwamm, so kräftig wie ein Mann mit den Armen rudernd, ans Ufer. Dort kletterte sie geschickt auf die Barkasse, stellte sich auf das Hinterteil und blickte lachend Jakow entgegen, der eilig heranschwamm. Die nassen Kleider klebten an ihrem Körper und umspannten seine festen Formen von den Knien bis zu den Schultern, und Jakow, der ans Schiff herangeschwommen war und sich mit einer Hand festhielt, starrte mit gierigen Augen auf dieses nasse, fast nackte Weib, das über ihn lustig lachte.

»Nun, komm heraus . . . Seehund!« sagte sie lachend. Sie kniete nieder und reichte ihm eine Hand, während sie sich mit der anderen auf den Bord der Barkasse stützte. Jakow packte ihre Hand und rief begeistert: »Nun . . . Jetzt paß auf! Jetzt werd' ich dich baden . . .!« Er zog sie, bis an die Schultern im Wasser stehend, zu sich herab; die Wellen liefen ihm über den Kopf, zerschellten am Schiffe und spritzten Malva ins Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen, lachte, kreischte plötzlich auf und sprang ins Wasser, wobei sie Jakow durch die Schwere ihres Körpers umwarf.

Und sie spielten wieder wie zwei große Fische im grünlichen Wasser, einander anspritzend, kreischend, pustend, brüllend und untertauchend.

Die Sonne sah lachend auf sie herab, und die Fensterscheiben in den Fischereigebäuden lachten gleichfalls, indem sie die Sonne widerspiegelten. Die von ihren starken Armen geschlagenen Wellen rauschten, und die Möwen flogen, durch dieses Balgen der beiden Menschen erschrocken, mit durchdringenden Schreien über ihren Köpfen, die ab und zu unter den aus der Ferne des Meeres heranrollenden Wellen verschwanden . . .

Schließlich, als sie ermattet waren und genug Wasser geschluckt hatten, stiegen sie ans Ufer und setzten sich in die Sonne, um auszuruhen.

»Pfui Teufel!« schimpfte Jakow. Er spuckte und verzog das Gesicht. »Ist das ein gemeines Wasser! Jetzt weiß ich, warum es so viel davon gibt!«

»Gemeines gibt es viel auf der Welt . . . zum Beispiel Burschen . . . Herrgott, wieviel!« lachte Malva, indem sie sich das Wasser aus den Haaren drückte.

Ihre Haare waren dunkel, und wenn auch nicht lang, so doch dicht und lockig.

»Darum hast du dir auch einen Alten ausgesucht«, lächelte Jakow spöttisch, indem er sie mit dem Ellbogen in die Seite stieß.

»Mancher Alte ist besser als ein Junger.«

»Wenn der Vater gut ist, so muß der Sohn noch besser sein . . .«

»Was du nicht sagst! Wo hast du das Prahlen gelernt?«

»Die Mädels im Dorf haben mir oft gesagt, ich sei kein so übler Bursche.«

»Verstehen denn die Mädels was? Frag doch mich . . .«

»Und was bist du? Vielleicht kein Mädel?«

Sie sah ihn durchdringend an, er lachte frech. Nun wurde sie plötzlich ernst und sagte ihm zornig: »Das war ich einmal . . . bis ich ein Kind kriegte.«

»Gut, aber nicht wahr«, sagte Jakow und lachte.

»Narr!« warf ihm Malva schroff hin und wandte sich von ihm ab.

Jakow erschrak, preßte die Lippen zusammen und verstummte.

Eine halbe Stunde schwiegen sie beide und wandten sich so der Sonne zu, daß ihre nassen Kleider schneller trockneten. In den Baracken – langen, schmutzigen Scheunen mit einseitigen Dächern – erwachten die Arbeiter. Aus der Ferne – bis zu den Baracken waren mehr als hundertfünfzig Klafter – sahen alle die Arbeiter einander ähnlich, alle waren gleich zerlumpt, zerzaust und barfuß . . . Ihre heiseren Stimmen klangen zum Ufer herüber, jemand klopfte auf den Boden eines leeren Fasses, und die dumpfen Töne klangen wie das Dröhnen einer großen Trommel. Zwei Frauen stritten mit kreischenden Stimmen, und ein Hund bellte. »Sie wachen schon auf«, sagte Jakow. »Und ich wollte heute ganz früh in die Stadt hinausfahren . . . nun habe ich die Zeit mit dir vertrödelt . . .«

»Mit mir erlebst du nichts Gutes«, sagte sie halb im Scherz und halb im Ernst.

»Was machst du mir immer Angst?« fragte Jakow erstaunt und lächelte.

»Nun, du wirst schon sehen, wenn dich der Vater erwischt . . .«

Die Erinnerung an den Vater machte ihn plötzlich wütend. »Was ist mit dem Vater? Nun?« rief er roh aus. »Der Vater! Ich bin doch kein Kind . . . Eine wichtige Sache . . . Hier sind andere Sitten . . . ich bin nicht blind, ich sehe alles . . . Er ist selbst kein Heiliger . . . er legt sich keinen Zwang auf . . . Also darf er auch mich nicht anrühren.«

Sie blickte ihm spöttisch ins Gesicht und fragte neugierig: »Man soll dich nicht anrühren? Was hast du denn vor?«

»Ich?« Er blies die Wangen auf und reckte die Brust, als wollte er eine Last heben. »Ich? Ich kann vieles! Die reine Luft hat mich schon genug umweht und den Dorfstaub von mir abgeblasen.«

»Das ist schnell gegangen!« rief Malva spöttisch.

»Was denn? Ich werde dich noch mal dem Vater wegschnappen.«

»Nein, wirklich?«

»Werde ich vielleicht wen fürchten?«

»Was du nicht sagst!«

»Hör mal«, sagte Jakow erstaunt und leidenschaftlich, »reiz mich nicht! Paß auf!«

»Was denn?« fragte sie ruhig.

»Nichts!«

Nun wandte er sich von ihr ab und verstummte mit der Miene eines kühnen und selbstbewußten Burschen.

»Bist du aber keck! Der Verwalter hat hier einen kleinen schwarzen Hund, hast du ihn gesehen? Er ist ganz wie du. Aus der Ferne bellt er, verspricht zu beißen, kommt man aber näher, zieht er den Schwanz ein und läuft davon!«

»Schon gut!« rief Jakow erbittert. »Warte nur! Du wirst schon sehen, wie ich bin!« Sie aber lachte nur.

Ihnen näherte sich mit langsamen Schritten und den Körper hin und her wiegend ein großer, sehniger, wie aus Bronze gegossener Mann mit einem ganzen Wald zerzauster feuerroter Haare auf dem Kopfe. Sein Kattunhemd ohne Gürtel war im Rücken fast bis zum Kragen zerrissen, und damit ihm die Ärmel nicht von den Armen herunterrutschten, hatte er sie bis zu den Schultern hinaufgekrempelt. Die Hose stellte eine Sammlung der verschiedensten Löcher dar, die Füße waren bloß. In seinem dicht mit Sommersprossen besäten Gesicht leuchteten große blaue Augen, und die breite Stupsnase verlieh seiner ganzen Gestalt einen zügellos frechen Ausdruck. Als er sich ihnen genähert hatte, blieb er stehen, und sein bloßer Körper, der aus den zahllosen Löchern seiner leichten Kleidung hervorguckte, leuchtete in der Sonne. Er schnaubte laut mit der Nase, sah die beiden fragend an und schnitt eine komische Fratze.

»Sserjoschka hat gestern ein wenig getrunken, sein ganzes Geld ist ins Meer versunken . . . Pumpt mir zwanzig Kopeken! Ich geb' es euch ja sowieso nicht zurück . . .«

Jakow lachte gutmütig über die kecken Worte, und Malva betrachtete lächelnd die abgerissene Gestalt.

»Gebt doch, ihr Teufel! Ich will euch für die zwanzig Kopeken trauen – wollt ihr?«

»Ach du Schwätzer! Bist du denn ein Pope?« fragte Jakow.

»Narr! Ich bin in Uglitsch bei einem Popen Hausknecht gewesen . . . gib die zwanzig Kopeken her!«

»Ich will mich aber von dir nicht trauen lassen!« weigerte sich Jakow.

»Ganz gleich, gib's her! Ich will dafür deinem Vater nicht sagen, daß du seinem Liebchen nachläufst«, drang Sserjoschka in ihn ein, indem er sich seine trockenen, gesprungenen Lippen mit der Zunge beleckte.

»Lüge nur, der wird es dir gleich glauben . . .!«

»Ich werd' es ihm schon so vorlügen, daß er es glaubt«, versprach Sserjoschka. »Und dann prügelt er dich durch, und wie!«

»Ich fürchte mich nicht!« sagte Jakow lächelnd.

»Dann werd' ich dich selbst verprügeln!« erklärte Sserjoschka ruhig und kniff die Augen zusammen.

Jakow war es schade um die zwanzig Kopeken, aber man hatte ihn schon darauf aufmerksam gemacht, daß man sich mit dem Sserjoschka lieber nicht einlassen solle und daß es immer besser sei, sein Verlangen zu erfüllen. Viel verlangte er ja nicht; wenn man ihm aber nichts gäbe, könne er bei der Arbeit irgendeine Gemeinheit anstellen oder einen so ohne Grund verprügeln. Jakow erinnerte sich dieser Belehrungen, seufzte und griff in die Tasche.

»So«, lobte ihn Sserjoschka, indem er sich auf den Sand neben ihn setzte. »Wenn du immer auf mich hörst, wirst du klug sein. Und du«, wandte er sich an Malva, »wirst du mich bald heiraten? Mach dich schnell fertig . . . ich will nicht lang warten.«

»Du bist so abgerissen . . . flick dir erst deine Löcher, dann wollen wir reden«, antwortete Malva.

Sserjoschka musterte kritisch seine Löcher und schüttelte den Kopf.

»Gib mir lieber deinen Rock.«

»So!« sagte Malva und lachte.

»Nein, wirklich! Gib mir einen . . . hast wohl einen alten?«

»Kauf dir doch lieber eine Hose«, riet Malva.

»Nein, ich vertrinke das Geld lieber . . .«

»Lieber!« lachte Jakow, der vier Fünfkopekenstücke in der Hand hielt.

»Aber gewiß! Der Pope hat mir gesagt, daß der Mensch nicht um sein Fell sorgen soll, sondern um seine Seele. Aber meine Seele verlangt Schnaps und keine Hose. Gib das Geld her! Jetzt werde ich trinken . . . Dem Vater werde ich aber doch noch von dir erzählen.«

»Erzähl nur!« Jakow winkte ihm mit der Hand und blinzelte Malva keck zu, indem er sie in die Schulter stieß. Sserjoschka merkte das, spuckte aus und versprach noch: »Ich werde auch nicht vergessen, dich zu verprügeln. Wenn ich nur mal freie Zeit habe, werde ich dich schon durchbleuen!«

»Wofür denn?« fragte Jakow besorgt.

»Das weiß ich schon selbst, wofür . . . Nun, wirst du mich bald heiraten?« wandte sich Sserjoschka an Malva.

»Erzähl mir erst, was wir tun und wie wir leben werden . . . dann werde ich es mir überlegen . . .« antwortete sie ernst.

Sserjoschka blickte mit zusammengekniffenen Augen aufs Meer, befeuchtete sich die Lippen und erklärte: »Nichts werden wir tun . . . werden in der Welt herumspazieren.«

»Und woher nehmen wir was zu essen?«

»Nun«, Sserjoschka fuhr mit der Hand durch die Luft. »Du redest genauso wie meine Mutter. Wie und was? Ein langweiliges Volk seid ihr Frauenzimmer! Weiß ich denn, was und wie? Ich geh' hin und trinke eins . . .«

Er stand auf und verließ sie, von einem eigentümlichen Lächeln Malvas und von einem feindseligen Blicke des Burschen begleitet.

»Wie der 'rumkommandiert!« sagte Jakow, als Sserjoschka schon weit war. »Bei uns im Dorfe hätte man so einen Prahler bald gezähmt . . . Man hätte ihm eine ordentliche Tracht Prügel gegeben, und fertig . . . Hier hat man aber Angst . . .«

Malva sah ihn an und sagte durch die Zähne: »Ach du, Ferkel! Weißt du auch, was er wert ist?«

»Was ist da zu verstehen? Solche kriegt man das Bündel um einen Fünfer, und das auch nur, wenn im Bündel hundert Stück sind.«

»So!« rief Malva spöttisch. »Das ist dein Preis . . . Er aber . . . er ist überall herumgekommen, ist durch die ganze Welt gegangen und fürchtet niemand . . .«

»Und wen fürchte ich?« fragte Jakow tapfer.

Sie gab keine Antwort und verfolgte nachdenklich das Spiel der Wellen, die das Ufer heraufrollten und die schwere Barkasse schaukelten. Der Mast schwankte von Seite zu Seite, das Hinterteil hob und senkte sich und schlug auf das Wasser. Es war ein lauter und ärgerlicher Ton: es klang, als wollte die Barkasse sich vom Ufer losreißen und ins weite freie Meer hinausschwimmen, als ärgerte sie sich über das Tau, das sie festhielt.

»Nun, was gehst du nicht weg?« fragte Malva Jakow.

»Wo soll ich hin?« erwiderte er.

»Du wolltest doch in die Stadt . . .«

»Ich geh' nicht hin!«

»Nun, dann fahr zum Vater.«

»Und du?«

»Was, ich?«

»Fährst du auch hin?«

»Nein . . .«

»Dann fahre ich auch nicht hin.«

»Wirst du den ganzen Tag bei mir herumstehen?« fragte Malva.

»Ich brauche dich gar nicht . . .« antwortete Jakow beleidigt. Er stand auf und ging von ihr fort.

Aber er irrte sich, als er sagte, daß er sie nicht brauche. Ohne sie langweilte er sich. Ein sonderbares Gefühl regte sich in ihm nach diesem Gespräch mit ihr – ein dunkler Protest gegen den Vater, eine dumpfe Unzufriedenheit mit ihm. Gestern war das nicht so, auch heute nicht vor der Begegnung mit Malva . . . Jetzt schien ihm aber, der Vater sei ihm irgendwie im Wege, obwohl er dort weit im Meere, auf dem kaum sichtbaren Sandstreifen war . . . Dann kam ihm vor, als fürchte sich Malva vor dem Vater. Wenn sie sich aber nicht fürchtete . . . dann würde die Sache ganz anders gehen. Doch ohne sie langweilte er sich, obwohl er des Morgens an sie gar nicht gedacht hatte.

Er trieb sich in der Fischersiedlung herum, betrachtete gleichgültig die Leute, die ihm in den Weg kamen, und wechselte mit ihnen träge zwei, drei Worte.

Da sitzt im Schatten einer Baracke auf einem Fasse dieser selbe Sserjoschka; er klimpert auf einer Balalaika und singt, komische Grimassen schneidend:

»Ach, Herr Schutzmann, bitte sehr,
Machen Sie mir doch die Ehr',
Führen Sie mich aufs Revier,
Daß ich nicht versumpfe hier . . .«

Ihn umringen an die zwanzig ebenso zerlumpte Kerle wie er, und sie alle riechen, wie alles hier, nach gesalzenen Fischen und Salpeter. Vier unschöne schmutzige Weiber sitzen in der Nähe auf dem Sande und trinken Tee, den sie sich aus einer großen Blechkanne einschenken. Ein Arbeiter ist schon trotz der frühen Morgenstunde betrunken und zappelt im Sande, indem er aufzustehen versucht, aber immer wieder hinfällt. Irgendwo weint in hohen Tönen eine Frau, von irgendwoher klingt eine verstimmte Ziehharmonika . . . und überall schimmern Fischschuppen.

Um die Mittagsstunde fand Jakow ein schattiges Plätzchen inmitten eines Haufens leerer Fässer; er legte sich hin und schlief bis zum Abend; als er aber erwachte, begann er wieder durch die Siedlung zu irren, ohne ein klares Ziel vor sich zu haben, aber von einer dunklen Sehnsucht nach etwas ergriffen.

Nachdem er zwei Stunden so herumgeirrt war, fand er Malva weit von der Siedlung unter dem Schatten junger Weiden. Sie lag auf der Seite, hielt ein zerfetztes Buch in der Hand und blickte ihm lächelnd entgegen.

»Ach, da bist du!« sagte er, indem er sich neben sie setzte.

»Suchst du mich schon lange?« fragte sie mit Sicherheit. »Hab' ich dich denn gesucht?« rief Jakow aus, der plötzlich einsah, daß es tatsächlich so war: er hatte sie ja wirklich, ohne es selbst zu merken, gesucht. Er schüttelte erstaunt den Kopf.

»Verstehst du zu lesen?« fragte sie ihn.

»Ja, aber schlecht . . . hab' schon alles verlernt . . .«

»Auch ich kann es schlecht . . . Hast du's in der Schule gelernt?«

»Ja, in der Semstwo-Schule.«

»Und ich hab's selbst gelernt . . .«

»Wirklich?«

»Ja . . . Ich bin in Astrachan Köchin bei einem Advokaten gewesen, und sein Sohn hat's mich gelehrt.«

»Hast es also nicht selbst gelernt . . .« erklärte Jakow.

Sie sah ihn an und fragte wieder: »Und möchtest du gern Bücher lesen?«

»Ich? Nein . . . was hab' ich davon?«

»Ich aber lese gern . . . ich hab' mir jetzt von der Verwaltersfrau ein Buch geben lassen und lese . . .«

»Was denn?«

»Vom heiligen Alexej, dem Menschen Gottes.«

Und sie erzählte ihm nachdenklich, wie der Jüngling, ein Sohn reicher und vornehmer Eltern, sie und sein Glück verlassen hatte und dann arm und zerlumpt zu ihnen zurückgekehrt war, auf ihrem Hofe mit den Hunden lebte und ihnen bis zu seinem Tode nicht gesagt hatte, wer er sei; dann fragte Malva Jakow leise: »Warum hat er das getan?«

»Wer kann das wissen?« antwortete Jakow gleichgültig.

Ringsum lagen Sandhügel, die der Wind und die Wellen zusammengefegt hatten. Aus der Ferne kam ein dumpfes undeutliches Brausen – in der Siedlung lärmte man. Die Sonne ging unter, und auf dem Sande lag der rosa Widerschein ihrer Strahlen. Verkümmerte Weidenbüsche zitterten im leichten Seewind.

Malva schwieg und lauschte auf etwas.

»Warum bist du heute nicht hingefahren . . . auf die Landzunge?«

»Was geht's dich an?«

Jakow pflückte sich ein Blatt und begann daran zu kauen, das Weib mit gierigen Augen von der Seite anblickend und überlegend, wie er ihr das, was er brauchte, sagen sollte.

»Wenn ich allein bin . . . und es so still ist . . . will ich immer weinen . . . oder singen. Aber ich kenne keine schönen Lieder, und zu weinen schäme ich mich . . .«

Jakow hörte ihre saftige, zärtliche Stimme, aber das, was sie sagte, berührte in ihm nichts und verlieh nur seinen Wünschen eine bestimmtere Form.

»Hör mal . . .« begann Jakow mit dumpfer Stimme, an sie näher heranrückend, aber ohne sie anzusehen. »Hör mal, was ich dir sage . . . Ich bin ein junger Bursch' . . .«

»Und dumm, ach, wie dumm!« sagte Malva gedehnt und mit Überzeugung und schüttelte den Kopf.

»Gut, mag ich dumm sein!« rief Jakow geärgert. »Braucht man denn Verstand dazu? Ich bin dumm, gut! Ich will dir aber dieses sagen: willst du mit mir . . .«

»Brauchst es nicht zu sagen . . . Ich will nicht . . .!«

»Was denn?«

»Nichts!«

»Rede keinen Unsinn . . .« Er faßte sie vorsichtig bei den Schultern. »Bedenke doch . . .«

»Geh weg, Jaschka!« sagte sie streng und schüttelte seinen Arm ab. »Geh!«

Er stand auf und sah sich um.

»Nun . . . wenn du so bist, dann spucke ich drauf! Euer gibt es hier genug . . . Glaubst du, du bist besser als die anderen?«

»Du junger Hund«, sagte sie ruhig, indem sie sich erhob und den Sand von ihrem Kleide abschüttelte.

Und sie gingen nebeneinander der Siedlung zu. Sie gingen langsam, denn ihre Füße sanken im Sande ein. Jakow suchte sie bald mit rohen Worten zu überreden, seinem Wunsche nachzugeben, bald erklärte er ihr geringschätzig, sie sei nicht die einzige in der Siedlung und nicht die beste unter den Weibern; sie aber lächelte ruhig und kalt und antwortete ihm mit bissigen Worten.

Als sie schon bei den Baracken waren, blieb er plötzlich stehen und packte sie bei der Schulter.

»Du reizt mich doch mit Absicht?! Wozu tust du das? Ich werde dich . . . paß auf!«

»Laß mich in Ruh!« sagte sie. Sie entwand sich seinen Händen und ging, aber hinter der Ecke der Baracke kam ihnen plötzlich Sserjoschka entgegen. Er schüttelte seine zerzauste feuerrote Mähne und sagte drohend:

»Ihr seid spazierengegangen? Gut!«

»Schert euch alle zum Teufel!« rief Malva böse.

Jakow blieb aber vor Sserjoschka stehen und sah ihn finster an. Zwischen ihnen waren etwa zehn Schritte.

Sserjoschka starrte Jakow an. Nachdem sie eine Minute so gestanden hatten, wie zwei Hammel, die bereit sind, mit den Stirnen gegeneinander zu rennen, gingen sie schweigend nach verschiedenen Richtungen auseinander.

Das Meer war still und vom Abendrot übergossen, und über der Siedlung schwebte ein dumpfer Lärm, von dem sich grell eine trunkene Frauenstimme abhob, die hysterisch sinnlose Worte sang.

Die unverständlichen Worte des Liedes krochen ekelhaft wie Asseln über die vom Geruch von Salz und faulen Fischen erfüllte Siedlung und schändeten die weiche Musik der Wellen, die durch die Luft schwebte.

 

Die Ferne des Meeres schlummerte ruhig im zarten Scheine des Morgenrotes und spiegelte die perlmutterfarbenen Wolken wider. Auf der Landzunge regten sich schon die schläfrigen Fischer, die die Fischereigeräte in die Barkasse brachten.

Die gewohnte Arbeit wurde schnell und schweigend gemacht. Die graue Masse des Netzes kroch über den Sand in die Barkasse und legte sich in einem Haufen auf ihren Boden.

Sserjoschka, wie immer ohne Mütze und halbnackt, stand auf dem Hinterteil der Barkasse und trieb die Fischer mit heiserer, trunkener Stimme zur Eile an. Der Wind spielte mit den Fetzen seines Hemdes und mit seiner roten Mähne.

»Wassilij! Wo sind die grünen Ruder?« schrie jemand.

Wassilij, so finster wie ein Oktobertag, brachte das Netz in der Barkasse unter, und Sserjoschka blickte auf seinen gebeugten Rücken und befeuchtete sich die Lippen – das war ein Anzeichen seines Wunsches, sich nach dem gestrigen Rausche durch einen neuen Trunk zu stärken.

»Hast du Schnaps?« fragte er.

»Ich habe welchen«, sagte Wassilij dumpf.

»Nun, dann fahr' ich nicht mit . . . ich bleibe am trockenen Flügel des Netzes.«

»Fertig!« schrie man von der Landzunge.

»Stoßt ab!« kommandierte Sserjoschka, von der Barkasse steigend. »Fahrt . . . ich bleibe hier. Paßt auf, führt das Netz breit, damit es sich nicht verwickelt . . . Werft es gleichmäßig ins Wasser.., daß es keine Schlingen gibt . . .! Marsch!«

Man stieß die Barkasse ins Wasser, die Fischer stiegen an den Borden ein, verteilten unter sich die Ruder und hoben sie in die Höhe, bereit, zum ersten Ruderschlage auszuholen.

»Eins!«

Die Ruder schlugen einträchtig aufs Wasser, und die Barkasse stürmte vorwärts, in die weite Fläche des sonnenbeschienenen Wassers.

»Zwei!« kommandierte der Steuermann, und die Ruder hoben sich wie die Füße einer gigantischen Schildkröte zu den Borden . . . »Eins! Zwei!«

Am Ufer, beim trockenen Flügel des Netzes, blieben fünf Mann zurück: Sserjoschka, Wassilij und noch drei andere. Einer von den dreien ließ sich auf den Sand nieder und sagte: »Will noch etwas schlafen . . .«

Die beiden anderen folgten seinem Beispiel, und auf dem Sande rollten sich drei Körper in schmutzigen Lumpen zu Knäueln zusammen.

»Warum warst du am Sonntag nicht hier?« fragte Wassilij Sserjoschka, sich mit ihm ins Zelt begebend.

»Ich konnte nicht . . .«

»Warst du betrunken?«

»Nein. Ich habe auf deinen Sohn und seine Stiefmutter achtgegeben . . .« teilte Sserjoschka ruhig mit.

»Hast eine neue Sorge!« lächelte Wassilij mit schiefem Munde. »Sind sie vielleicht kleine Kinder?«

»Schlimmer als das . . . Der eine ist ein Narr, und die andere eine Verrückte . . .«

»Ist Malva die Verrückte?« fragte Wassilij, und in seinen Augen leuchtete dumpfer Haß.

»Ja, sie . . .«

»Ist sie das lange schon?«

»Sie war es immer. Ihre Seele paßt nicht in ihren Leib, Bruder Wassja . . . kannst du es verstehen?«

»Ich hab' es schon verstanden . . . eine gemeine Seele hat sie.«

Sserjoschka sah ihn von der Seite an und lachte spöttisch auf.

»Eine gemeine Seele! Ach ihr . . . stumpfschnäuzigen Erdfresser! Gar nichts versteht ihr vom Leben . . . Ihr verlangt vom Weibe nur dicke Brüste . . . aber ihren Charakter braucht ihr nicht . . . Im Charakter liegt aber die ganze Farbe des Menschen . . . ein Weib ohne Charakter ist wie Brot ohne Salz. Kann dir eine Balalaika ohne Saiten Vergnügen machen? Hund . . .!«

»Was für Reden hast du dir angetrunken . . .« stichelte Wassilij.

Er wollte gerne fragen, wo und wie Sserjoschka gestern Jakow und Malva gesehen hatte, aber er schämte sich. Als sie ins Zelt kamen, schenkte er Sserjoschka ein ganzes Teeglas Schnaps ein, in der Hoffnung, Sserjoschka würde von einer solchen Portion gleich betrunken werden und ihm alles ungefragt erzählen.

Aber Sserjoschka trank aus, räusperte sich, nahm einen heiteren Gesichtsausdruck an und setzte sich gähnend und sich reckend an den Eingang des Zeltes.

»Wenn man eins trinkt, ist es, als hätte man Feuer geschluckt . . .« sagte er.

»Wie du aber trinkst!« rief Wassilij, über die Schnelligkeit, mit der Sserjoschka den Schnaps heruntergestürzt hatte, erstaunt.

»Ich kann's . . .« sagte jener und nickte mit seinem roten Kopf. Dann wischte er sich mit der Hand den nassen Schnurrbart ab und sagte belehrend und stolz: »Ich kann es, Bruder! Ich mache alles schnell und geradeaus. Ohne Schliche, immer aufs Ganze! Und was ich treffe, ist mir gleich! Von der Erde kann man doch nirgends hinspringen als in die Erde . . .«

»Du wolltest doch nach dem Kaukasus?« fragte Wassilij, sich langsam seinem Ziele nähernd . . .

»Ich geh' hin, wenn ich Lust habe. Wenn ich mal etwas sehr will, so geh' ich gleich drauflos, eins, zwei und fertig! Entweder habe ich das Meinige erreicht, oder habe mir eine Beule in die Stirne geschlagen . . . Sehr einfach!«

»Was könnte einfacher sein! Es ist, wie wenn du ohne Kopf lebtest . . .«

Sserjoschka blickte Wassilij spöttisch von der Seite an.

»Und du bist gescheit! Wie oft hast du schon im Dorfgericht deine Prügel bekommen?«

Wassilij sah ihn an und schwieg.

»Wohl oft genug . . . Das ist aber gut, daß unsere Obrigkeit den Verstand mit Ruten von rückwärts nach vorn treibt . . . Ach, du! Was kannst du mit deinem Kopf anstellen? Und wohin kannst du mit ihm geraten? Und was kannst du dir mit deinem Verstand ausdenken? Na also! Ich aber gehe ohne Kopf geradeaus, da gibt's nichts! Und komme dabei sicher weiter als du . . .«

»Das kann stimmen . . .« entgegnete Wassilij lächelnd. »So kommst du vielleicht auch nach Sibirien . . .«

»Ach, wie schrecklich!«

Und Sserjoschka lachte herzlich.

Er wurde nicht betrunken, so sehr Wassilij es auch wollte, und das ärgerte jenen. Ihm noch ein Glas zu reichen, war ihm zu schade, und vom nüchternen Sserjoschka war wohl nichts herauszubekommen . . . Aber Sserjoschka kam ihm selbst zuhilfe.

»Nun, warum fragst du mich nicht nach Malva?«

»Was brauch' ich das?« sagte Wassilij gleichgültig und gedehnt, zuckte aber in seiner Vorahnung zusammen.

»Sie war ja am Sonntag nicht hier . . . Frag doch, wie sie diese Tage gelebt hat . . . Du bist wohl eifersüchtig, alter Teufel!«

»Es sind genug Weiber da!« Wassilij winkte geringschätzig mit der Hand.

»Ja, viel!« spottete Sserjoschka. »Ach, ihr dummen Bauern! Man mag euch Honig geben, man mag euch Teer geben, es ist für euch immer der gleiche Brei . . .«

»Was lobst du sie immer so? Bist du vielleicht hergekommen, um sie mir zuzufreien? Das hab' ich schon selbst längst besorgt . . .« sagte Wassilij höhnisch.

Sserjoschka sah ihn an, schwieg eine Weile und sagte dann eindringlich, indem er seine Hand auf Wassilijs Schulter legte: »Ich weiß es . . . Ich weiß, daß sie mit dir lebt. Ich hab' dich nicht gestört, ich wollte es nicht, ich brauchte es nicht . . . Aber jetzt springt dieser Jaschka, dein Sohn, immer um sie herum; prügele ihn doch mal durch, bis er rot wird! Hörst du? Sonst prügele ich ihn durch . . . Du bist ein braver Kerl, aber auch ein großer Dummkopf . . . Ich störte dich nicht, vergiß das nicht . . .«

»So, so! Und jetzt . . . bist du auch hinter ihr her?« fragte Wassilij mit dumpfer Stimme.

»Auch! Wenn ich nur daran dächte, würde ich euch alle mir aus dem Wege jagen, und fertig . . .! Was fang' ich aber mit ihr an?«

»Warum mischst du dich dann in die Sache ein?« fragte Wassilij.

Diese einfache Frage verblüffte wohl Sserjoschka.

Er sah Wassilij mit weit aufgerissenen Augen an und lachte auf.

»Warum ich mich einmische? Das weiß der Teufel, warum . . . Sie ist so ein Frauenzimmer . . . mit Pfeffer . . . Sie gefällt mir . . . Vielleicht tut sie mir auch leid, das ist auch möglich . . .«

Wassilij sah ihn mißtrauisch an, fühlte aber, daß Sserjoschka aufrichtig, von Herzen lachte und daß er wirklich keinerlei Absichten auf Malva hatte. Und dennoch sagte er ihm: »Wenn sie wenigstens ein unberührtes, ehrliches Mädel wäre, dann könnte sie noch einem leid tun. So ist es aber wirklich zum Lachen!«

Sserjoschka. schwieg und beobachtete, wie die Barkasse weit im Meere einen weiten Bogen machte und den Bug dem Ufer zuwandte. Das von roten Haaren umrahmte Gesicht Sserjoschkas hatte einen offenen Ausdruck und blickte gutmütig und einfach.

Wassilij wurde irgendwie sanfter, als er ihn ansah.

»Das hast du wahr gesagt . . . sie ist ein feines Weibsbild . . . nur leichtsinnig . . .! Und Jaschka . . . nun, dem werd' ich es schon zeigen! So ein junger Hund . . .«

»Ich mag ihn nicht . . .« erklärte Sserjoschka.

»Macht er sich an sie heran?« fragte Wassilij durch die Zähne und streichelte seinen Bart.

»Und wie! Er wird noch, du wirst es sehen, wie ein Keil zwischen euch eindringen«, sagte Sserjoschka überzeugt.

»Ich werd' ihm schon eindringen.«

In der Ferne des Meeres flammte der rosa Strahlenfächer des Sonnenaufganges auf. Der Rand der Sonne blickte schon auf dem vergoldeten Wasser hervor. Durch das Rauschen der Wellen hindurch klang von der Barkasse im Meere der schwache Schrei herüber: »Packt an . . .!«

»Steht auf, Kinder! He! Stellt euch ans Netz!« kommandierte Sserjoschka, indem er sich erhob.

Bald zogen sie alle fünf den Rand des Netzes; ein langer, wie eine Saite gespannter Strick zog sich aus dem Wasser ans Ufer, und die Fischer schlangen die Riemen um ihn und zogen ihn ächzend ans Ufer.

Die Barkasse führte, über die Wellen gleitend, den anderen Rand des Netzes ans Ufer, und ihr Mast durchschnitt die Luft, sich von Seite zu Seite wiegend.

Die Sonne erhob sich majestätisch und grell über dem Meere.

»Wenn du Jakow siehst, sage ihm, er soll zu mir kommen«, bat Wassilij Sserjoschka.

»Gut.«

Die Barkasse stieß ans Ufer, die Fischer sprangen aus ihr auf den Sand und zogen ihren Netzflügel an. Die beiden Gruppen kamen immer näher aneinander, und die Schwimmhölzer des Netzes hüpften auf dem Wasser und bildeten einen regelmäßigen Halbkreis.

 

Spät am Abend, als die Arbeiter in der Siedlung schon gegessen hatten, saß Malva müde und nachdenklich auf einem zerschlagenen Boot, das mit dem Boden nach oben lag, und blickte in das schon vom Nebel verschleierte Meer. Dort, in der Ferne leuchtete ein Feuer, und Malva wußte, daß es bei Wassilij brannte. Einsam, wie in der dunklen Ferne des Meeres verirrt, leuchtete das Feuer bald hell auf und erlosch bald wie erschöpft. Malva wurde es traurig zumute beim Anblick dieses roten Punktes, der in der Wüste verloren schien und im unermüdlichen und unverständlichen Gemurmel der Wellen schwach zitterte.

»Was sitzt du da!?« ertönte Sserjoschkas Stimme hinter ihrem Rücken.

»Und was geht es dich an?« fragte sie trocken, ohne ihn anzublicken.

»Ich möcht's wissen.«

Er sah sie schweigend an, holte eine Zigarette heraus, steckte sie an und setzte sich rittlings aufs Boot. Als er merkte, daß sie keinen Wunsch hatte, mit ihm zu sprechen, sagte er freundlich: »Du bist ein merkwürdiges Frauenzimmer: bald läufst du von allen fort und bald fällst du jedem um den Hals.«

»Falle ich vielleicht dir um den Hals?« fragte sie gleichgültig.

»Nicht mir, aber Jaschka.«

»Bist du neidisch?«

»Hm . . . Wollen wir doch offen miteinander reden, ja?« schlug Sserjoschka vor und klopfte ihr auf die Schulter. Sie saß seitwärts zu ihm, und er sah ihr Gesicht nicht, als sie ihm kurz hinwarf: »Sprich!«

»Hast du Wassilij den Laufpaß gegeben?«

»Ich weiß nicht«, sagte sie nach einem Schweigen. »Was brauchst du das zu wissen?«

»Nun, so . . . aus Langeweile.«

»Ich bin ihm jetzt böse.«

»Warum?«

»Er hat mich geschlagen.«

»Wie? . . . Er? So einer . . . pfui Teufel! Und du hast es dir gefallen lassen? Ei, ei!«

Sserjoschka war über ihre Mitteilung erstaunt. Er blickte ihr von der Seite ins Gesicht und schnalzte ironisch mit den Lippen.

»Wenn ich wollte, hätte ich es ihm schon gezeigt«, entgegnete sie wütend.

»Also wie war es denn?«

»Nun, ich wollte es eben nicht.«

»Du liebst also den grauen Kater sehr?« fragte Sserjoschka spöttisch und blies sie mit dem Rauche seiner Zigarette an. »Das sind Sachen! Und ich glaubte schon, du seist vom andern Schlag . . .«

»Ich liebe niemand von euch«, sagte sie wieder gleichgültig, den Rauch mit der Hand abwehrend.

»Du lügst wohl?«

»Was soll ich lügen?« fragte sie, und Sserjoschka konnte an ihrer Stimme erkennen, daß sie wirklich nicht zu lügen brauchte.

»Und wenn du ihn nicht liebst, was läßt du dich dann von ihm schlagen?« fragte er ernst.

»Weiß ich es denn? Was willst du von mir?«

»Sonderbar!« sagte Sserjoschka und schüttelte den Kopf. Und sie schwiegen beide lange.

Die Nacht nahte. Aufs Meer legten sich die Schatten von den Wolken, die langsam über den Himmel glitten. Die Wellen tönten.

Das Feuer auf der Landzunge bei Wassilij war erloschen, aber Malva sah noch immer hin. Und Sserjoschka sah auf sie.

»Hör!« sagte er. »Weißt du, was du willst?«

»Wenn ich's wüßte!« antwortete Malva mit einem tiefen Seufzer.

»Also weißt du's nicht? Das ist schlimm!« erklärte Sserjoschka mit Überzeugung. »Ich weiß es immer, aber«, fügte er traurig hinzu, »ich will nur selten etwas.«

»Ich will immer etwas«, begann Malva nachdenklich. »Aber was? – das weiß ich nicht. Manchmal möcht' ich ins Boot steigen und weit, weit ins Meer hinausfahren! Weit! Und nie wieder Menschen zu Gesicht bekommen. Und manchmal will ich jeden Menschen wie einen Kreisel um mich herumlaufen lassen. Ich würde aber ihm zuschauen und lachen. Bald habe ich mit allen Mitleid, und am meisten mit mir selbst und bald wäre ich imstande, alle umzubringen. Und dann auch selbst sterben . . . einen schrecklichen Tod . . . Und es ist mir traurig und auch lustig zumute . . . Die Menschen sind aber alle wie aus Holz.«

»Ein durchfaultes Volk«, stimmte ihr Sserjoschka leise zu. »Jetzt versteh' ich es; immer schau' ich dich an und sehe, du bist weder Katze noch Fisch . . . noch Vogel . . . Und doch steckt das alles in dir . . . Du siehst den andern Weibern gar nicht ähnlich.«

»Nun, wenigstens dafür muß ich Gott danken!« lächelte Malva.

Hinter der Kette der Sandhügel links von ihnen ging der Mond auf und übergoß die beiden Gestalten und das Meer mit seinem silbernen Lichte. Groß und mild stieg er langsam die blaue Himmelskuppel hinauf, und das helle Licht der Sterne erblaßte und schmolz in seinem gleichmäßigen, verträumten Scheine.

Malva lächelte.

»Weißt du? Manchmal denk' ich mir: wenn man diese Baracke bei Nacht anzünden wollte . . . das gäbe einen schönen Spektakel!«

»Und was für einen!« rief Sserjoschka. »Weißt du . . . ich will dir was raten . . . wir wollen ein feines Stück aufführen! Willst du?«

»Nun?« fragte Malva interessiert.

»Hast du diesen Jaschka ordentlich heiß gemacht?«

»Er brennt wie Feuer . . .« antwortete sie lächelnd.

»So? Hetz ihn und den Vater gegeneinander! Bei Gott! Das wird ein Spaß sein . . . Sie werden sich wie die Bären anpacken . . . Hetz den Alten auf und auch ihn . . . und dann lassen wir sie aufeinander los . . . was?«

Malva wandte sich zu ihm um und blickte ihm durchdringend in sein sommersprossenübersätes, lustig lächelndes Gesicht. Vom Monde beleuchtet, schien es weniger bunt als am Tage bei Sonnenlicht. Man sah keine Bosheit darin, nichts außer einem gutmütigen, etwas schalkhaften Lächeln und der Erwartung ihrer Antwort.

»Warum magst du sie nicht?« fragte Malva mißtrauisch.

»Ich? Wassilij . . . der ist nicht schlecht, ist ein braver Bauer. Jaschka aber ist ein Ekel. Siehst du, ich kann alle Bauern nicht leiden . . . sie sind ein Gesindel! Sie stellen sich arm und verwaist und kriegen dafür Brot . . . und das übrige . . . Sie haben ihr Semstwo, und das tut für sie alles . . . Sie haben die Landwirtschaft, Land, Vieh . . . Ich hab' bei einem Semstwo-Arzt als Kutscher gedient, da hab' ich genug davon gesehen . . . Und dann trieb ich mich lange als Vagabund im Lande herum. Wenn man in so ein Dorf kommt und um Brot bittet, gleich packen sie einen! Wer bist du, und was willst du, und zeig deinen Paß her . . . Wie oft haben sie mich geprügelt! Oder sie halten einen für einen Pferdedieb oder so . . . und sperren einen ins Loch . . . Sie jammern und heucheln, können aber leben: sie haben ihr Land, an dem sie sich festhalten können. Und was bin ich gegen sie?«

»Bist du denn nicht vom Bauernstande?« unterbrach ihn Malva, die seiner schnellen Rede aufmerksam zugehört hatte.

»Ich bin Kleinbürger!« sagte sich Sserjoschka mit einem gewissen Stolz vom Bauernstande los. »Ich bin Kleinbürger der Stadt Uglitsch.«

»Und ich bin aus Pawlisch«, teilte Malva nachdenklich mit.

»Für mich sorgt niemand! Aber die Bauern . . . diese Teufel können schon leben. Sie haben ihr Semstwo und alles andere.«

»Was ist das, Semstwo?« fragte Malva.

»Was es ist? Das weiß der Teufel! Es ist für die Bauern eingesetzt, eine Obrigkeit für sie . . . Spuck drauf! . . . Rede doch von der Sache . . . Willst du sie aufeinanderhetzen, was? Es wird ja nichts geschehen, sie werden sich nur prügeln . . . Und ich will dir helfen! Wassilij hat dich doch geschlagen? Nun, soll ihm sein Sohn diese Schläge heimzahlen!«

»Warum nicht?« lächelte Malva. »Das wäre schön . . .«

»Denk dir nur . . . ist es nicht angenehmen, zu sehen, wie Menschen sich deinetwegen die Rippen brechen? Bloß wegen deiner Worte? Du hast nur einmal die Zunge gerührt . . . eins, zwei, und fertig!«

Sserjoschka schilderte ihr lange mit glühender Begeisterung die Vorzüge ihrer Rolle. Er scherzte und sprach zugleich ernsthaft und war von seinem Plan selbst aufrichtig hingerissen. »Ach, wenn ich ein hübsches Weib wäre! Was für einen Brei hätte ich dann auf der Welt eingebrockt!« rief er schließlich aus. Dann preßte er seinen Kopf mit den Händen zusammen, schloß die Augen und verstummte. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als sie auseinandergingen. Ohne sie wurde die Schönheit der Nacht noch gewaltiger. Jetzt blieb nur noch das grenzenlose, feierliche, vom Monde versilberte Meer unter dem blauen, sternenbesäten Himmel zurück. Es waren noch Sandhügel da, Weidenbüsche zwischen ihnen und zwei schmutzige Gebäude im Sande, die wie zwei riesengroße, roh gezimmerte Särge aussahen. Doch das alles war armselig und nichtig vor dem Antlitz des mächtigen Meeres, und die Sterne, die das sahen, funkelten kalt.

 

Vater und Sohn saßen sich im Zelt gegenüber und tranken Schnaps. Den Schnaps hatte der Sohn mitgebracht, um sich mit dem Vater nicht so zu langweilen und um ihn milder zu stimmen. Sserjoschka hatte Jakow gesagt, der Vater zürne ihm wegen Malva und habe gedroht, Malva halbtot zu schlagen; daß Malva von dieser Drohung wisse und daher sich ihm, Jakow, nicht ergeben wolle. Sserjoschka lachte ihn böse aus: »Du wirst schon für deine Streiche von ihm was kriegen! Er wird dich so bei den Ohren ziehen, daß sie einen Arschin lang werden. Komm ihm lieber nicht unter die Augen!«

Die Sticheleien dieses rothaarigen, unangenehmen Burschen weckten in Jakow eine brennende Wut gegen den Vater. Dabei stand auch noch immer Malva herum, blickte ihn bald herausfordernd und bald traurig an und steigerte damit seinen Wunsch, sie zu besitzen, bis zur Qual . . . Und auch sie sprach immer vom Vater.

Nun ist Jakow zum Vater gekommen und sieht ihn wie einen Stein auf seinem Wege an, wie einen Stein, den er weder überspringen noch umgehen kann. Er fühlt aber, daß er den Vater nicht im geringsten fürchtet, und blickt ihm tapfer in seine finsteren und bösen Augen, als wollte er sagen: Nun, rühr mich nur an!

Sie haben schon zweimal getrunken, aber noch nichts zu einander gesagt, außer ein paar gleichgültiger Worte über das Leben in der Siedlung. So saßen sie unter vier Augen mitten im Meere, sammelten in sich die Erbitterung gegeneinander an und wußten, daß sie bald aufflammen und sie versengen würde.

Die Bastmatten des Zeltes raschelten im Winde, die Rindenstücke, mit denen es bekleidet war, klopften gegeneinander, und der rote Fetzen am Ende der Stange flüsterte etwas. Alle diese Töne klangen ängstlich und wie ein fernes Flüstern, das zusammenhanglos und unentschlossen um etwas flehte. Und die Meereswellen rauschten wie immer – frei und leidenschaftslos.

»Sserjoschka trinkt wohl noch immer?« fragte Wassilij finster.

»Er trinkt . . . jeden Abend ist er besoffen«, antwortete ihm der Sohn, indem er noch Schnaps einschenkte.

»Er wird zugrunde gehen . . . So ist dieses freie Leben, wenn man nichts fürchtet . . . auch du wirst so werden . . .«

Jakow antwortete kurz: »Ich werde nicht so sein!«

»Du wirst es nicht!?« sagte Wassilij und runzelte die Brauen. »Ich weiß, was ich sage . . . Wie lange wohnst du hier? Es ist schon der dritte Monat, bald mußt du nach Hause zurückkehren, und wieviel Geld wirst du heimbringen?« Er goß sich zornig den vom Sohne eingeschenkten Schnaps aus der Tasse in den Mund, packte den Bart mit der Hand und riß so stark daran, daß sein Kopf wackelte.

»In einer so kurzen Zeit kann man hier gar nicht viel verdienen . . .« erwiderte Jakow vernünftig.

»Und wenn es so ist, dann brauchst du dich hier nicht herumzutreiben, geh ins Dorf zurück!«

Jakow lächelte stumm.

»Was schneidest du Gesichter?« rief Wassilij drohend. Die Ruhe des Sohnes machte ihn wütend. »Der Vater spricht, und du lachst! Paß auf, ob du nicht zu früh angefangen hast, deinen eigenen Willen zu zeigen! Daß ich dich nur nicht am Zaume nehme . . .«

Jakow schenkte sich noch Schnaps ein und trank ihn aus. Diese groben Herausforderungen kränkten ihn, er nahm sich aber zusammen, um nicht so zu sprechen, wie er dachte, und um den Vater nicht wütend zu machen. Jetzt fürchtete er sich ein wenig vor seinen Augen, die streng und hart leuchteten.

Als aber Wassilij sah, daß der Sohn die letzte Tasse allein getrunken hatte, ohne auch ihm eingeschenkt zu haben, wurde er noch wütender und sprach darum noch ruhiger und schroffer.

»Der Vater sagt dir: geh nach Hause, und du lachst ihn aus? Ich werd' es dir schon zeigen . . . Laß dir am Sonnabend deine Abrechnung geben und . . . marsch ins Dorf! Hörst du?«

»Ich geh' nicht hin!« sagte Jakow bestimmt, am ganzen Körper zusammenfahrend, und schüttelte trotzig den Kopf.

»Was soll denn das?« brüllte Wassilij und erhob sich von seinem Platz, sich mit den Händen aufs Faß stützend. »Sprech' ich zu dir oder nicht? Was knurrst du den Vater an, du Hund? Hast wohl vergessen, daß ich mit dir alles machen kann, was ich will? Hast du es vergessen?«

Seine Lippen zitterten, und sein Gesicht verzerrte sich wie im Krampfe; die beiden Adern an seinen Schläfen schwollen an.

»Nichts hab' ich vergessen . . .« sagte Jakow halblaut, ohne den Vater anzusehen. »Sieh nur zu, ob du nicht etwas vergessen hast!«

»Es ist nicht deine Sache, mich zu belehren! Ich werde dich in Stücke hauen . . .«

Jakow wich der Hand seines Vaters aus, die jener über seinem Kopfe erhoben hatte, biß die Zähne zusammen, da er fühlte, daß in ihm wilder Zorn aufschäumte, und sagte: »Rühr mich nicht an . . . Hier sind wir nicht im Dorfe.«

»Schweig! Überall bin ich dein Vater . . .«

»Hier kannst du mich nicht im Dorfgericht durchpeitschen lassen . . . Es gibt hier kein Dorfgericht . . .« Jakow grinste ihm ins Gesicht und erhob sich ebenfalls langsam von seinem Platz.

Sie standen einander gegenüber. Wassilij stand mit blutunterlaufenen Augen, den Hals vorgestreckt, ballte die Fäuste und hauchte seinem Sohn mit seinem heißen, nach Schnaps riechenden Atem ins Gesicht; Jakow aber hatte sich zurückgelehnt und verfolgte mit finsterem Blicke alle Bewegungen seines Vaters, bereit, die Schläge abzuwehren, äußerlich ruhig, doch ganz in heißen Schweiß gebadet. Zwischen ihnen stand das Faß, das ihnen als Tisch diente.

»Ich werde dich nicht durchpeitschen?« fragte Wassilij heiser und krümmte den Rücken wie ein Kater, der sich zu einem Sprunge bereit macht.

»Hier sind alle gleich . . . Du bist Arbeiter und ich auch.«

»So-o?«

»Wie denn sonst? Was willst du von mir? Glaubst du, ich versteh' dich nicht? Du hast selbst zuerst . . .«

Wassilij brüllte und holte so schnell mit der Hand aus, daß Jakow keine Zeit mehr hatte, auszuweichen. Der Schlag traf ihn auf den Kopf; er wankte und starrte zähnefletschend auf das wilde Gesicht des Vaters, der schon wieder die Hand erhoben hatte.

»Paß auf . . .« warnte er ihn, die Fäuste ballend.

»Ich werde dir . . . aufpassen!«

»Hör auf, sag' ich dir!«

»Aha du . . .! den Vater? den Vater? den Vater? . . .« Es war ihnen hier zu eng, ihre Füße verwickelten sich in den leeren Salzsäcken; das umgeworfene Faß und der Baumstumpf waren ihnen im Wege.

Jakow parierte mit den Fäusten die Schläge des Vaters und wich bleich und schweißig, mit zusammengepreßten Zähnen und unheimlich wie bei einem Wolfe brennenden Augen vor dem Vater zurück; dieser aber ging auf ihn los, wild mit den Händen in der Luft fuchtelnd, blind in seinem Zorn, seltsam zerzaust, mit gesträubten Haaren wie ein wildgewordener Eber.

»Laß . . . genug . . . hör auf!« sagte Jakow drohend und ruhig, indem er aus dem Zelte ins Freie trat.

Der Vater brüllte und rückte ihm auf den Leib, aber seine Schläge trafen nur die Fäuste des Sohnes.

»Sieh mal an . . . sieh mal an . . .« reizte ihn Jakow, der sich geschickter fühlte und ihn nicht fürchtete.

»Wart . . . wart . . .«

Aber Jakow sprang zur Seite und rannte zum Meere. Wassilij senkte den Kopf und streckte die Hände vor, im Begriff, ihm nachzulaufen, stolperte aber über etwas und fiel mit der Brust auf den Sand. Er erhob sich rasch auf die Knie und setzte sich auf, sich mit den Händen gegen den Sand stemmend. Diese Balgerei hatte ihn ganz entkräftet, und er heulte jämmerlich vor dem brennenden Gefühl einer ungerächten Kränkung, vor dem bitteren Bewußtsein seiner Schwäche.

»Verflucht sollst du sein!« röchelte er, indem er seinen Hals gegen Jakow reckte und den Wutschaum von den zitternden Lippen spuckte.

Jakow lehnte sich an ein Boot, beobachtete aufmerksam den Vater und rieb sich mit der Hand den geschlagenen Kopf. Der eine Ärmel seines Hemdes war abgerissen und hing nur an einem Faden, auch der Kragen war zerrissen, und die weiße, schweißbedeckte Brust glänzte in der Sonne wie mit Fett eingerieben. Jetzt verachtete er den Vater; er hatte ihn für stärker gehalten, und wie er ihn jetzt zerzaust, unglücklich, mit den Fäusten drohend im Sande sitzen sah, lächelte er das herablassende, kränkende Lächeln des Starken vor dem Schwachen.

»Der Donner soll dich erschlagen! Verflucht bist du von mir!«

Wassilij schrie seinen Fluch so laut hinaus, daß Jakow sich unwillkürlich nach der Siedlung fern im Meere umsah, als glaubte er, daß man dort diesen krankhaften Schrei der Ohnmacht hören könnte.

Dort waren aber nur Wellen und die Sonne. Er spuckte auf die Seite und sagte:

»Schrei nur! Wen ärgerst du damit? Nur dich selbst! Und wenn es zwischen uns soweit gekommen ist, so will ich dir etwas sagen . . . um allem mit einem Male ein Ende zu machen . . .«

»Schweig . . . Geh mir aus den Augen . . . geh!« schrie Wassilij.

»Ins Dorf geh' ich nicht . . . ich bleibe über Winter hier . . .« sagte Jakow, ohne auf diese Schreie zu achten, aber die Bewegungen des Vaters noch immer aufmerksam verfolgend. Ich hab' es hier besser . . . ich verstehe das, ich bin nicht so dumm. Hier ist das Leben leichter . . . Und mehr Freiheit . . . dort würdest du kommandieren, wie du wolltest, aber hier – da, schau!«

Er zeigte dem Vater eine Feige und lachte nicht laut, doch so, daß Wassilij, in neuer Wut entbrannt, wieder auf die Füße sprang, ein Ruder packte und mit einem heiseren Schrei auf ihn losstürzte: »Dem Vater? Dem Vater? Was? Ich erschlage dich . . .« Als er aber blind in seiner Wut an das Boot heransprang, war Jakow schon weit von ihm. Er rannte, und der abgerissene Ärmel seines Hemdes flatterte hinter ihm im Winde. Wassilij warf ihm das Ruder nach, traf ihn aber nicht und fiel entkräftet mit der Brust auf das Boot, kratzte mit den Nägeln die Planken und sah auf den Sohn, der ihm aus der Ferne zurief: »Solltest dich doch schämen! Hast schon graues Haar und bist wegen eines Frauenzimmers so wild geworden . . . Ach, du! Ins Dorf kehre ich aber nicht zurück . . . ich kehre nicht zurück! Geh selbst hin . . . hier hast du sowieso nichts mehr zu suchen . . .«

»Jaschka! Schweig!« brüllte Wassilij auf, seine Stimme übertönend. »Jaschka! Ich erschlage dich noch . . . Geh! Geh!«

Jener entfernte sich aber schon und lachte.

Wassilij sah mit stumpfen, wahnsinnigen Augen, wie er ging. Da war er schon kleiner geworden, seine Füße schienen in den Sand eingesunken . . . Er verschwand darin bis zum Gürtel . . . bis zu den Schultern . . . mit dem Kopfe. Er ist nicht mehr zu sehen . . . Aber nach einer Minute tauchte etwas weiter von der Stelle, wo er verschwunden, wieder sein Kopf auf, dann kamen die Schultern, dann der ganze Körper . . . er ist jetzt kleiner geworden . . . Er hat sich umgewandt, blickt her und schreit etwas.

»Du bist verflucht! Verflucht, verflucht!« antwortete Wassilij auf den Schrei des Sohnes. Jener aber fuhr mit der Hand durch die Luft, ging weiter und . . . verschwand hinter einem Sandhügel.

Wassilij sah noch lange in jene Richtung, bis ihm in der unbequemen Lage der Rücken zu schmerzen begann: er lag an das Boot gelehnt und sich mit den Händen auf den Sand stützend. Ganz zerschlagen stand er auf und wankte vor zehrendem Schmerz in den Knochen. Der Gürtel war ihm unter die Arme hinaufgerutscht; er band ihn mit hölzernen Fingern auf, hielt ihn sich vor die Augen und warf ihn auf den Sand. Dann ging er ins Zelt, blieb vor der Vertiefung im Sande stehen und erinnerte sich, daß er auf dieser Stelle hingefallen war; wenn er nicht hingefallen wäre, so hätte er den Sohn vielleicht gepackt. Im Zelte war alles durcheinandergeworfen. Wassilij suchte mit den Augen die Schnapsflasche, fand sie zwischen den Säcken und hob sie auf. Der Stöpsel steckte tief im Flaschenhalse, und kein Tropfen war ausgelaufen. Wassilij stocherte langsam den Stöpsel heraus, steckte sich den Flaschenhals in den Mund und wollte trinken. Aber das Glas klapperte gegen seine Zähne, und der Schnaps floß ihm aus dem Munde auf den Bart und auf die Brust. Der Schnaps schmeckte ihm wie Wasser.

In seinem Kopf war es finster, auf seinem Herzen lag eine Last.

»Ich bin alt geworden . . .« sagte er laut und setzte sich auf den Sand beim Eingange des Zeltes.

Vor ihm lag das Meer, riesengroß, voller Kraft und Schönheit . . . Die Wellen, wie immer laut und lustig, lachten. Wassilij sah lange auf das Wasser und erinnerte sich der gierigen Worte des Sohnes: »Wenn das doch alles Erde wäre! Gute schwarze Erde! Und wenn man sie dann pflügen könnte!«

Ein scharfes Unlustgefühl ergriff den Mann. Er rieb sich kräftig die Brust, sah sich um und holte tief Atem. Sein Kopf war tief gesenkt und der Rücken gebeugt, als trüge er eine Last. Die Kehle krampfte sich wie vor Atemnot zusammen. Wassilij räusperte sich und bekreuzte sich mit einem Blick auf den Himmel. Schwere Gedanken hatten ihn umfangen.

. . . Dafür, daß er wegen eines liederlichen Frauenzimmers sein Weib verlassen, mit dem er in ehrlicher Arbeit mehr als anderthalb Jahrzehnte gelebt hatte, hatte ihn der Herr durch die Empörung seines Sohnes gestraft. So ist es, Herr!

Der Sohn hat ihn beschimpft, hat ihn schmerzhaft am Herzen gezerrt . . . es wäre wenig, ihn dafür zu erschlagen, daß er die Seele seines Vaters so gepeinigt hat! Und weswegen? Wegen eines schlechten Frauenzimmers, das ein liederliches Leben führt! Es war Sünde, daß er alter Mann sich mit ihr eingelassen und ihretwegen sein Weib und den Sohn vergessen hatte.

Und nun hat ihn der Herr in seinem heiligen Zorn daran erinnert und hat sein Herz durch den Sohn mit gerechter Strafe getroffen . . . So ist es, Herr!

Wassilij saß gebückt und bekreuzte sich und zwinkerte oft mit den Augen, um mit den Wimpern die Tränen abzuschütteln, die ihn blendeten.

Die Sonne senkte sich schon ins Meer, und am Himmel erlosch langsam das blutige Rot. Ein warmer Wind aus der stummen Ferne strich über das tränenfeuchte Gesicht des Bauern. In reuige Gedanken versunken, saß er lange, bis er einschlief.

 

Am Tage nach diesem Streite mit dem Vater begab sich Jakow mit anderen Arbeitern in einer von einem Dampfschiff gezogenen Barke dreißig Werst weit in eine Bucht zum Störfang. Er kehrte nach fünf Tagen allein in einem Segelboot in die Siedlung zurück – man hatte ihn geschickt, um Lebensmittel zu holen. Er kam um die Mittagszeit an, als die Arbeiter nach dem Essen ruhten. Es war unerträglich heiß, der glühende Sand versengte ihm die Füße, und die Fischschuppen und Gräten stachen sie. Jakow schritt vorsichtig zu den Baracken und schimpfte auf sich selbst, daß er keine Stiefel angezogen hatte. Zur Barke zurückzukehren war er zu faul, außerdem hatte er Eile, etwas zu essen und Malva wiederzusehen. In der langweiligen Zeit, die er auf dem Meere verbracht hatte, hatte er oft an sie gedacht. Jetzt wollte er erfahren, ob sie seinen Vater gesehen und was er ihr gesagt hatte . . . Vielleicht hat er sie verprügelt? Prügel könnten ihr auch gar nicht schaden, sie würde ruhiger werden. So aber ist sie gar zu frech und zu keck . . .

In der Siedlung war es still und leer. Die Fenster in den Baracken standen offen, und auch diese großen hölzernen Kästen schienen vor Hitze zu vergehen. Im Kontor des Verwalters, das zwischen den Baracken versteckt lag, schrie aus Leibeskräften ein Kind. Hinter einem Haufen von Fässern tönten leise Stimmen.

Jakow ging mutig hin: er glaubte Malvas Stimme zu hören. Als er aber bei den Fässern war und hinter sie blickte, trat er zurück und blieb mit gerunzelter Stirne stehen.

Hinter den Fässern, in ihrem Schatten lag mit der Brust nach oben, die Hände im Nacken, der rothaarige Sserjoschka. An einer Seite saß Jakows Vater, an der anderen – Malva.

Jakow dachte von seinem Vater: Was hat der hier zu suchen? Hat er sich gar von seinem ruhigen Posten in die Siedlung versetzen lassen, um Malva näher zu sein und ihn an sie nicht heranzulassen? Ach, alter Teufel! Wenn die Mutter alle diese Dinge wüßte! Soll ich an sie herangehen, oder ist es nicht nötig?

»So . . .« sagte Sserjoschka. »Also leb wohl! Nun, geh, wühle in der Erde . . .«

Jakow fuhr zusammen und zwinkerte freudig mit den Augen.

»Ich gehe . . .« sagte sein Vater.

Nun trat Jakow tapfer vor und grüßte: »Ich wünsche der ganzen Gesellschaft einen guten Tag!« Der Vater sah ihn flüchtig an und wandte sich ab. Malva zuckte mit keiner Wimper, aber Sserjoschka stieß ein Bein vor und sagte mit tiefer Stimme:

»Da ist unser vielgeliebter Sohn Jaschka aus fernen Ländern zurückgekehrt!« Dann fügte er mit seiner gewöhnlichen Stimme hinzu: »Man sollte ihm die Haut für eine Trommel abschinden . . . wie man einem Schaf das Fell abzieht . . .«

Malva begann leise zu lachen.

»Heiß ist es!« sagte Jakow und setzte sich zu ihnen.

»Ich warte hier seit dem Morgen auf dich, Jakow. Der Verwalter hat mir gestern gesagt, daß du kommst . . .« sagte er.

Seine Stimme erschien Jakow leiser als sonst, und auch sein Gesicht kam ihm irgendwie neu vor.

»Ich bin hierhergekommen, um Lebensmittel zu holen . . .« teilte er mit und bat Sserjoschka um Tabak für eine Zigarette.

»Ich habe keinen Tabak – für dich, Dummkopf«, antwortete Sserjoschka, ohne sich zu rühren.

»Ich gehe nach Hause, Jakow«, sagte Wassilij mit Nachdruck, indem er mit dem Finger im Sande wühlte.

»Warum denn?« fragte der Sohn und sah ihn unschuldig an.

»Nun, und du . . . bleibst hier?«

»Ja, ich bleibe hier . . . Was sollen wir beide zu Hause tun?«

»Nun . . . ich will nichts sagen. Wie du willst . . . du bist doch kein Kind mehr. Aber . . . vergiß nicht, daß ich es nicht mehr lange hinziehen werde. Leben werde ich vielleicht noch, aber wie es mit dem Arbeiten wird, weiß ich nicht. Ich bin von der Erde abgekommen . . . Also vergiß nicht, daß du dort eine Mutter hast.«

Das Sprechen fiel ihm anscheinend schwer: die Worte blieben ihm zwischen den Zähnen stecken. Er streichelte seinen Bart, und seine Hand zitterte.

Malva sah ihn unverwandt an . . . Sserjoschka kniff das eine Auge zusammen, machte das andere rund und heftete es auf Jakows Gesicht. Jakow war voller Freude, und da er sie nicht verraten wollte, schwieg er und blickte auf seine Füße.

»Vergiß nicht die Mutter, Jakow . . . Sieh, du bist doch ihr Einziger«, sagte Wassilij.

»Ja, gewiß«, sagte Jakow ungeduldig. »Ich weiß es.«

»Es ist gut, wenn du es weißt . . .« sagte der Vater mit einem mißtrauischen Blick auf ihn. »Ich sage dir nur: vergiß es nicht.«

»Ja . . .«

Wassilij seufzte tief auf. Einige lange Minuten schwiegen sie alle vier. Dann sagte Malva: »Man wird gleich zur Arbeit läuten . . .«

»Nun, ich gehe . . .« erklärte Wassilij, indem er sich erhob. Auch alle anderen standen auf.

»Leb wohl, Sserjej . . . Wenn du mal an die Wolga kommst, besuchst du mich vielleicht? Im Ssimbirsker Kreis, Dorf Maslo bei Lykowo-Nikolskoje . . .

»Gut«, sagte Sserjoschka, schüttelte ihm die Hand und blickte ihm lächelnd ins traurige und ernste Gesicht, ohne Wassilijs Hand aus seiner sehnigen, rotbehaarten Tatze loszulassen.

»Lykowo-Nikolskoje ist ein großes Kirchdorf . . . Es ist weit und breit bekannt, und wir wohnen vier Werst davon«, erklärte Wassilij.

»Nun, ja . . . Ich werd' schon mal kommen . . . wenn es sich gerade trifft . . .«

»Leb wohl!«

»Leb wohl, lieber Mensch!«

»Leb wohl, Malva!« sagte Wassilij dumpf, ohne sie anzusehen.

Sie wischte sich langsam die Lippen mit dem Ärmel ab, legte ihm ihre weißen Arme auf die Schultern und küßte ihn dreimal schweigend und ernst auf die Wangen und auf den Mund.

Er wurde verlegen und brummte etwas Unverständliches. Jakow neigte den Kopf, um sein Lächeln zu verbergen, aber Sserjoschka blieb ruhig und gähnte sogar leicht mit einem Blick auf den Himmel.

»Du wirst einen heißen Weg haben«, sagte er.

»Macht nichts . . . Nun, leb wohl, Jakow!«

»Leb wohl!«

Sie standen sich gegenüber und wußten nicht, was anzufangen. Das traurige Wort »Lebwohl«, das in diesen Augenblicken schon so oft und so eintönig geklungen hatte, weckte in Jakows Herzen ein warmes Gefühl für den Vater, aber er wußte nicht, wie es auszudrücken: sollte er den Vater umarmen, wie es Malva getan hatte, oder ihm, wie Sserjoschka, die Hand drücken? Wassilij aber fühlte sich durch die Unentschlossen gekränkt, die das Gesicht und die Haltung des Sohnes ausdrückten, und empfand auch noch etwas wie Scham vor Jakow. Dieses Gefühl war in ihm durch die Erinnerung an den Auftritt auf der Landzunge und durch die Küsse Malvas geweckt worden.

»Also . . . denk an die Mutter!« sagte endlich Wassilij.

»Schon gut!« rief Jakow mit einem warmen Lächeln. »Mach dir keine Sorgen . . . ich werde schon . . .!«

Und er schüttelte den Kopf.

»So . . . das wäre alles! Lebt hier, Gott gebe euch . . . Gedenkt meiner im Guten. Den Kessel hab' ich also im Sande bei dem grünen Boot vergraben, Sserjoschka.«

»Was braucht er den Kessel?« fragte Jakow schnell.

»Er kommt auf meinen Posten . . . auf die Landzunge«, erklärte Wassilij.

Jakow sah Sserjoschka voller Neid an, blickte auch Malva an Und senkte den Kopf, um das freudige Leuchten in seinen Augen zu verbergen.

»Also lebt wohl, Brüder . . . ich gehe!«

Wassilij verbeugte sich und ging. Malva folgte ihm.

»Ich will dich ein Stück begleiten.«

Sserjoschka legte sich auf den Sand und packte Jakow, der schon mit Malva mitgehen wollte, am Bein.

»Halt! Wohin?«

»Wart! Laß mich . . .« Jakow versuchte sich loszureißen. Aber Sserjoschka packte ihn auch am andern Bein,

»Sitz eine Weile bei mir . . .«

»Laß! Was machst du für Dummheiten?«

»Ich mach' keine Dummheiten . . . Setz dich nur!«

Jakow biß die Zähne zusammen und setzte sich.

»Was willst du denn?«

»Wart! Schweig eine Weile, ich will aber nachdenken und es dir dann sagen . . .«

Er blickte den Burschen drohend mit seinen frechen Augen an, und Jakow fügte sich ihm.

Malva und Wassilij gingen einige Zeit schweigend. Sie blickte ihm von der Seite ins Gesicht, und ihre Augen leuchteten eigentümlich. Wassilij runzelte mürrisch die Stirne und schwieg. Ihre Füße sanken im Sande ein, und sie gingen sehr langsam.

»Wassja!«

»Was?«

Er sah sie an und wandte sich gleich wieder ab.

»Ich hab' dich doch absichtlich mit Jaschka entzweit . . .! Ihr könntet ja auch friedlich hier leben«, sagte sie ruhig und gleichgültig. Ihre Worte zeigten auch nicht den Schatten von Reue.

»Warum hast du das getan?« fragte Wassilij.

»Ich weiß nicht . . . So!«

Sie zuckte die Achseln und lächelte.

»Ein gutes Werk hast du getan! Ach, du!« sagte er ihr vorwurfsvoll mit böser Stimme.

Sie sagte nichts.

»Du verdirbst mir noch den Burschen, verdirbst ihn mir ganz! Ach, ja! Eine Hexe bist du, eine Hexe . . . Fürchtest Gott nicht . . . hast keine Scham im Leibe . . . was tust du?«

»Was soll man tun?« fragte sie ihn. In ihrer Frage klang etwas wie Unruhe oder Ärger.

»Was? Ach, du!« rief Wassilij, und heftiger Zorn gegen sie flammte in ihm auf.

Er fühlte ein leidenschaftliches Verlangen, sie zu schlagen, sie sich unter die Füße zu werfen, sie in den Sand zu treten und mit den Stiefeln auf Gesicht und Brust zu schlagen. Er ballte eine Faust und blickte zurück. Dort bei den Fässern ragten noch die Gestalten Jakows und Sserjoschkas, und ihre Gesichter waren ihm zugewandt.

»Geh weg . . . geh! Ich könnte dich erschlagen . . .«

Er blieb stehen und flüsterte ihr fast Schimpfworte ins Gesicht. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, sein Bart zitterte, und seine Hände zog es unwillkürlich zu den Haaren hin, die ihr aus dem Kopftuch hervorquollen.

Sie aber sah ihn mit ihren ruhigen grünen Augen an.

»Erschlagen sollte ich dich, du Dirne! Wart . . . du kommst schon mal auf den Richtigen, der dir den Schädel einschlägt . . .«

Sie lächelte und schwieg; dann seufzte sie tief auf und warf ihm hin: »Nun genug . . . leb wohl!«

Sie wandte sich schroff um und ging zurück.

Wassilij brüllte ihr nach und knirschte mit den Zähnen. Malva ging zurück und bemühte sich, mit ihren Füßen in die deutlichen tiefen Fußspuren Wassilijs zu treten, die in den Sand eingeprägt waren. Und wenn sie eine solche Spur traf, verwischte sie sie sorgfältig mit ihrem Fuß. So ging sie langsam bis zu den Fässern, wo Sserjoschka sie mit der Frage empfing: »Nun, hast du ihn begleitet?«

Sie nickte bejahend mit dem Kopf und setzte sich neben ihn. Jakow sah sie an, lächelte freundlich und bewegte die Lippen so, als flüstere er etwas, was nur er allein hören konnte.

»Nun . . . hast ihn begleitet, und jetzt tut er dir leid?« fragte Sserjoschka mit den Worten eines Liedes.

»Wann gehst du hinüber, auf die Landzunge?« antwortete sie ihm mit einer Frage und deutete mit dem Kopf nach dem Meere.

»Abends.«

»Ich geh' mit . . .«

»Großartig . . . das liebe ich!«

»Auch ich komm' mit!« erklärte Jakow entschlossen.

»Wer ruft dich?« fragte Sserjoschka, ein Auge zusammenkneifend.

Es ertönte das zittrige Läuten der gesprungenen Glocke – der Ruf zur Arbeit. Die Töne schwebten eilig einer nach dem andern durch die Luft und erstarben im lustigen Rauschen der Wellen.

»Sie wird mich schon rufen!« sagte Jakow mit einem herausfordernden Blick auf Malva.

»Ich? Was brauch' ich dich?« fragte sie erstaunt.

»Wir wollen offen reden, Jaschka . . .« sagte Sserjej streng, indem er sich erhob. »Wenn du sie nicht in Ruhe läßt, prügele ich dich durch! Und wenn du sie bloß mit dem Finger anrührst, erschlage ich dich wie eine Fliege! Ich geb' dir eins auf den Kopf – und du bist nicht mehr auf der Welt! Bei mir ist alles einfach!«

Sein Gesicht, seine ganze Gestalt und die sehnigen Hände, die sich Jakows Halse näherten, sprachen überzeugend davon, wie einfach es für ihn war, einen Menschen zu erschlagen.

Jakow trat einen Schritt zurück und sagte kleinlaut: »Wart! Sie hat doch selbst . . .«

»Halt's Maul, das ist alles! Was denkst du dir eigentlich? Nicht du wirst das Schäfchen fressen, Hund; bedanke dich, wenn man dir die Knochen zum Abnagen gibt . . . Nun? Was glotzt du so?«

Jakow sah Malva an. Ihre grünen Augen lachten ihm ins Gesicht so kränkend und erniedrigend, und sie schmiegte sich so zärtlich an Sserjoschkas Seite, daß es Jakow ganz heiß wurde.

Sie gingen Seite an Seite von ihm fort und lachten, als sie ein Stück gegangen waren, laut auf. Jakow drückte den Fuß fest in den Sand und erstarrte in gespannter Stellung, mit rotem Gesicht und schweratmender Brust.

In der Ferne, über die gelben toten Wellen des Sandes bewegte sich eine kleine, dunkle menschliche Gestalt; rechts von ihr leuchtete in der Sonne das lustige und mächtige Meer, und links zog sich bis an den Horizont eine eintönige, traurige, leere Sandwüste hin. Jakow blickte dem einsamen Menschen nach, zwinkerte mit den Augen, die voller Kränkung und Erstaunen waren, und rieb sich kräftig die Brust mit beiden Händen . . .

In der Siedlung begann die Arbeit.

Jakow hörte die saftige Bruststimme Malvas, die laut schrie:

»Wer hat mein Messer genommen . . .?«

Die Wellen tönten, die Sonne leuchtete, das Meer lachte.

 

Ende

 


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