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Wie sich Iwan Iwanowitsch mit Iwan Nikiphorowitsch verfeindete

Erstes Kapitel
Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch

Einen prachtvollen Pelzrock hat doch Iwan Iwanowitsch! Wahrhaft herrlich! Und was für ein Fell! Pfui Teufel, was für ein Fell. Taubenblau mit Reifschimmer! Ich will Gott weiß was wetten, daß sich nirgends mehr solches findet! Schaut nur um Gottes willen auf es hin – besonders wenn Iwan Iwanowitsch mit irgendwem spricht –, schaut von der Seite hin, was ist das für eine Pracht! Beschreiben kann man das nicht: Wie Samt! Wie Silber! Wie Feuer! Oh, mein Gott! Nikolai Wundertäter, Knecht Gottes! Weshalb habe ich denn nicht einen solchen Pelzrock? Er hat ihn sich machen lassen, bevor noch Agaphja Fedosejewna nach Kiew reiste. Kennen Sie Agaphja Fedosejewna? Dieselbe, die dem Gerichtsbeisitzer das Ohr abbiß!

Was ist Iwan Iwanowitsch für ein prächtiger Mensch! Was für ein Haus besitzt er in Mirgorod! Von allen Seiten umgibt es ein Schirmdach auf Eichenpfosten, darunter stehen überall Bänke. Wenn es allzu heiß wird, nimmt Iwan Iwanowitsch den Pelzrock und sein Unterkleid ab und bleibt nur im Hemd, ruht sich unter dem Schirmdach aus und betrachtet, was auf dem Hofe und auf der Straße vorgeht. Was für Apfel- und Birnbäume stehen gerade vor seinen Fenstern! Man braucht sie nur zu öffnen, die Zweige drängen sich ganz von selber ins Zimmer. Das ist alles vor seinem Hause; wenn Sie aber erst gesehen hätten, was in seinem Garten steht! Was gibt es dort nicht alles? Pflaumen, Weichselkirschen, allerart Gemüse, Sonnenblumen, Gurken, Melonen, Erbsen, sogar eine Tenne und eine Schmiede.

Was für ein guter Mensch ist Iwan Iwanowitsch! Sehr liebt er Melonen zu essen. Das ist seine Leibspeise. Sobald er mit dem Mittagessen fertig ist und im bloßen Hemde unter das Schirmdach hinaustritt, befiehlt er sogleich der Gapka, ihm zwei Melonen zu bringen. Die zerschneidet er dann schon selber, sammelt die Kerne in ein besonderes Papier und beginnt zu essen. Alsdann läßt er Gapka das Tintenfaß bringen und schreibt selber eigenhändig auf das Papier, in dem die Kerne liegen: »Diese Melone ward an dem und dem Tage verspeist.« War hierbei irgendwer zu Gaste, so fügte er hinzu: »Es beteiligte sich dabei der und der.«

Der verstorbene Richter von Mirgorod hatte immer seine Freude, wenn er auf das Haus des Iwan Iwanowitsch hinschaute. Ja, das Häuschen ist auch nicht übel! Ganz besonders gefällt es mir, daß von allen Seiten Treppen und Treppchen angebaut sind, so daß, wenn man von ferne auf es hinschaut, man nichts weiter erblickt als Dächer, von denen immer eines auf dem anderen steht. Und das gleicht sehr einem Teller, auf dem ein Haufen Eierkuchen liegt, und vielleicht besser noch Schwämmen, die auf einem Baume wachsen. Im übrigen sind alle diese Dächer mit Schilf bedeckt. Eine Weide, eine Eiche und zwei Apfelbäume stützen sich auf sie mit ihren weitausgebreiteten Ästen. Zwischen den Bäumen schimmern kleine Fensterchen mit geschnitzten und geweißten Fensterläden hervor und werden bisweilen völlig von der Straße aus sichtbar.

Was für ein guter Mensch ist doch Iwan Iwanowitsch! Ihn kennt sogar der Kommissär von Poltawa. Wenn Dorosch Tarasowitsch Puchiwotschka von Chorol kommt, dann fährt er immer bei ihm an. Aber wenn der Oberpriester, Vater Peter, der in Koliberda wohnt, etwa fünf Personen bei sich zu Besuch hat, sagt er immer, er kenne niemand, der derart seine Christenpflicht erfülle und zu leben verstehe wie Iwan Iwanowitsch.

Mein Gott, wie fliegt die Zeit dahin. Damals waren schon zehn Jahre vergangen, seit er verwitwet war. Kinder hatte er keine. Gapka hat aber welche, und die laufen stets auf dem Hofe umher. Iwan Iwanowitsch gibt ständig einem jeden von ihnen eine Brezel oder ein Stückchen Melone oder eine Birne. Gapka führt bei ihm die Schlüssel zu den Kammern und Kellern. Nur den Schlüssel von dem großen Koffer, der in seinem Schlafzimmer steht, und auch den Schlüssel von der mittleren Kammer, die hält Iwan Iwanowitsch bei sich und liebt es nicht, irgendwen da hineinschauen zu lassen. Gapka ist eine kräftige Dirne, trägt immer eine Schürze und hat frische Backen und stramme Waden.

Aber wie gottesfürchtig ist auch Iwan Iwanowitsch! Jeden Sonntag zieht er seinen Pelzrock an und geht zur Kirche. Dort verbeugt er sich nach allen Seiten, nimmt gewöhnlich auf dem Chore seinen Platz und singt stets schön im Basse mit. Ist der Gottesdienst zu Ende, so kann es Iwan Iwanowitsch durchaus nicht unterlassen, an den Bettlern vorüberzugehen. Vielleicht möchte er sich gar nicht mit so etwas Langweiligem befassen, wenn ihn nicht seine angeborene Güte dazu zwingen würde. »Grüß Gott, du Arme«, pflegte er gewöhnlich zu sagen, nachdem er sich das allerverkrüppeltste Weib ausgesucht hatte, in einem zerlumpten, aus Fetzen genähten Kleide, »von woher bist du, Arme?«

»Ich, lieber Herr, komme vom Dorfe; drei Tage habe ich weder gegessen noch getrunken; meine eigenen Kinder warfen mich hinaus!«

»Armes Köpfchen! Weshalb bist du denn hierhergekommen?«

»Deshalb, mein lieber Herr, um Almosen zu erbitten, ob mir nicht irgendwer Geld zum Brote gibt.«

»Hm! Wie denn? Wünschest du etwa Brot?« pflegte Iwan Iwanowitsch zu fragen.

»Wie sollte ich das denn nicht wünschen? Ich bin hungrig wie ein Wolf.«

»Hm!« antwortete dann gewöhnlich Iwan Iwanowitsch. »Möchtest du vielleicht auch Fleisch?«

»Ja, alles, was Euer Gnaden geben wird, mit allem werde ich zufrieden sein.«

»Hm! Ist denn Fleisch besser als Brot?«

»Wie soll denn das ein Hungriger entscheiden? Alles, was Ihr mir gebt, alles ist gut!«

Hierbei streckte die Alte gewöhnlich ihre Hand aus.

»Nun, so geh mit Gott!« sprach dann Iwan Iwanowitsch. »Was stehst du denn noch da? Ich schlage dich ja gar nicht!«

Und nachdem er sich mit ganz den gleichen Fragen an einen zweiten und einen dritten gewandt hatte, kehrte er nach Hause zurück, oder er geht, ein Gläschen Schnaps zu trinken, zu seinem Nachbar Iwan Nikiphorowitsch oder zum Richter oder zum Stadtkommandanten.

Iwan Iwanowitsch liebt es sehr, wenn man ihm Geschenke macht oder etwas Süßes mitbringt. Das gefällt ihm gar wohl.

Ein sehr guter Mensch ist auch Iwan Nikiphorowitsch. Sein Hof liegt neben dem des Iwan Iwanowitsch. Sie sind solche Freunde, wie sie die Welt noch gar nicht sah. Anton Prokophiewitsch Pupopus, welcher bis jetzt noch im braunen Rock mit blauen Ärmeln herumläuft und Sonntags bei dem Richter zu Mittag speist, pflegt zu sagen: »Iwan Nikiphorowitsch und Iwan Iwanowitsch hat der Teufel selber mit einer Schnur zusammengebunden: wo sich der eine hinschleppt, da ist auch der andere.«

Iwan Nikiphorowitsch war niemals verheiratet. Man erzählte zwar, er habe sich verehelicht, das ist aber völlig erlogen. Ich kenne Iwan Nikiphorowitsch sehr gut und kann sagen, daß er sogar niemals die Absicht hatte, zu heiraten. Woher kommen denn eigentlich alle solche Klatschereien? So erzählt man, Iwan Nikiphorowitsch sei mit einem Schwanze hinten geboren. Dieses Märchen ist aber so albern und zugleich so gemein und unanständig, daß ich es sogar nicht einmal für nötig halte, es vor gebildeten Lesern zu widerlegen. Denn ihnen ist es zweifellos bekannt, daß einzig und allein Hexen Schwänze haben, und auch nur ganz wenige von ihnen. Die Hexen gehören indes eher zum weiblichen Geschlecht als zum männlichen.

Ungeachtet ihrer großen Freundschaft waren diese seltenen Freunde nicht in allem einander ähnlich. Am besten kann man ihre Charaktere erkennen, wenn man sie miteinander vergleicht. Iwan Iwanowitsch hatte die ungewöhnliche Gabe, außerordentlich angenehm zu sprechen. Mein Gott, wie er redete! Die Empfindung beim Zuhören kann man nur mit derjenigen vergleichen, wenn man uns auf dem Kopfe Läuse sucht oder leise mit dem Finger über die Sohle fährt. Man hört zu, man hört immer zu, und der Kopf sinkt einem herab. Angenehm! Außerordentlich angenehm! Wie der Schlaf nach dem Bade. Iwan Nikiphorowitsch liebt es dagegen mehr, zu schweigen; läßt er aber ein Wörtchen los, so nimm dich nur in acht: es schneidet besser als jedes Rasiermesser. Iwan Iwanowitsch ist hager und von hohem Wuchs; Iwan Nikiphorowitsch ist ein wenig kleiner, dafür geht er aber in die Dicke. Der Kopf von Iwan Iwanowitsch sieht aus wie ein Rettich mit dem Stiel nach unten, der Kopf von Iwan Nikiphorowitsch – wie ein Rettich mit dem Stiel nach oben. Iwan Iwanowitsch pflegt nur nachmittags im bloßen Hemde unter dem Schirmdach zu liegen; gegen Abend zieht er jedoch seinen Pelzrock an und geht aus: entweder zum städtischen Magazin, wohin er das Mehl liefert, oder ins Feld – Feldhühner zu fangen. Iwan Nikiphorowitsch liegt den ganzen Tag über auf der Vortreppe – ist es nicht allzu heiß, so gewöhnlich mit dem Rücken zur Sonne – und will nirgendshin gehen. Wenn es ihm morgens einfällt, geht er in den Hof, schaut nach der Wirtschaft und begibt sich dann wieder zur Ruhe. In früheren Zeiten ging er bisweilen zu Iwan Iwanowitsch. Iwan Iwanowitsch ist ein außerordentlich feiner Mensch. In anständiger Gesellschaft wird er nie ein unanständiges Wort sagen und sich sogleich erzürnen, wenn er ein solches hört. Iwan Nikiphorowitsch läßt sich dagegen bisweilen gehen. Dann steht gewöhnlich Iwan Iwanowitsch auf und spricht: »Genug, genug, Iwan Nikiphorowitsch; gehen Sie lieber in die Sonne, als solche gottungefälligen Worte zu sprechen!« Iwan Iwanowitsch wird sehr böse, wenn er in seiner Suppe eine Fliege findet: er gerät dann ganz außer sich, wirft den Teller in die Ecke und macht dem Hausherrn einen Spektakel. Iwan Nikiphorowitsch liebt außerordentlich, zu baden, und wenn er bis zum Halse im Wasser sitzt, befiehlt er, daß man ihm gleichfalls ins Wasser einen Tisch mit einer Teemaschine stelle. Und er liebt es sehr, in solcher Kühle Tee zu trinken. Iwan Iwanowitsch rasiert sich zweimal in der Woche, Iwan Nikiphorowitsch nur einmal. Iwan Iwanowitsch ist außerordentlich neugierig. Behüte Gott, daß man ihm etwas zu erzählen anfängt und es nicht zu Ende bringt! Ist er aber mit etwas unzufrieden, dann gibt er das auch ohne weiteres zu erkennen. Iwan Nikiphorowitsch kann man es dagegen außerordentlich schwer ansehen, ob er zufrieden ist oder zürnt. Wenn er sich auch über irgend etwas freut, wird er das doch nicht zeigen. Iwan Iwanowitsch ist ein wenig ängstlicher Natur. Iwan Nikiphorowitsch trägt hingegen Pumphosen mit so gewaltigen Falten, daß, wenn man sie aufbläst, man in ihnen den ganzen Hof mitsamt dem Wohnhause und allen Scheunen unterbringen könnte. Iwan Iwanowitsch hat große ausdrucksvolle Augen von Tabaksfarbe. Sein Mund gleicht ein wenig dem Buchstaben »V«. Iwan Nikiphorowitsch hat dagegen kleine gelbliche Augen, die ganz verschwinden zwischen den buschigen Augenbrauen und dicken Backen, und seine Nase sieht aus wie eine reife Pflaume. Bietet Ihnen Iwan Iwanowitsch Tabak an, so fährt er immer erst mit der Zunge über den Deckel der Dose, alsdann schlägt er mit dem Finger darauf und, wenn Sie mit ihm bekannt sind, sagt er: »Kann ich wohl, mein Herr, Sie um die Gefälligkeit bitten?« Kennt er Sie aber nicht, dann sagt er: »Kann ich Sie wohl, mein Herr, um die Gefälligkeit bitten, obgleich ich nicht die Ehre habe, Ihren Rang, Namen und Vaternamen zu wissen?« Iwan Nikiphorowitsch gibt Ihnen dagegen ohne weiteres sein Tabakshorn in die Hand und fügt nur hinzu: »Bedienen Sie sich!« Sowohl Iwan Iwanowitsch wie Iwan Nikiphorowitsch lieben gar nicht die Flöhe, und deshalb lassen weder Iwan Iwanowitsch noch Iwan Nikiphorowitsch jemals einen Handelsjuden vorüber, ohne bei ihm »Elexir« gegen diese Insekten in verschiedenen Fläschchen zu kaufen, nachdem sie ihn vorher tüchtig deswegen ausgeschimpft haben, daß er sich zum hebräischen Glauben bekennt.

Im übrigen waren, ungeachtet einiger Unähnlichkeiten, sowohl Iwan Iwanowitsch wie auch Iwan Nikiphorowitsch vortreffliche Leute.

Zweites Kapitel
aus dem man erfahren kann, wonach es Iwan Iwanowitsch gelüstete, wovon das Gespräch zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch handelte und womit es endigte.

Eines Morgens – das war im Monat Juli – lag Iwan Iwanowitsch unter seinem Schirmdach. Es war ein heißer Tag. Die trockene Luft zitterte. Iwan Iwanowitsch war schon vor der Stadt bei den Schnittern und auf dem Vorwerk gewesen, hatte die Bauern und Bäuerinnen, die ihm begegneten, bereits ausgefragt: von woher und wohin, wie und weshalb. Er war furchtbar müde, legte sich nieder, um auszuruhen, und schaute lange auf die Vorratskammer hin, den Hof, die Scheune und die Hühner, die auf dem Hofe herumliefen, und dachte bei sich: »Mein Gott, was bin ich doch für ein Hausherr! Was habe ich nicht alles? Geflügel, Gebäude, Scheunen, Überfluß jeder Art, gebrannten und angesetzten Schnaps; im Garten Birnen, Pflaumen; im Gemüsegarten Mohn, Kohl, Erbsen … was habe ich denn eigentlich noch nicht? … Ich möchte gern wissen, was ich noch nicht habe? …«

Nachdem sich Iwan Iwanowitsch diese tiefsinnige Frage gestellt hatte, versank er in Gedanken. Währenddessen aber suchten seine Augen nach neuen Gegenständen, schweiften über den Zaun in den Hof von Iwan Nikiphorowitsch und beschäftigten sich mit einem ziemlich merkwürdigen Schauspiel. Ein hageres Weib trug der Reihe nach abgelegte Kleider heraus und hängte sie zum Lüften über eine ausgespannte Schnur. Alsbald streckte eine alte Uniform mit abgetragenen Aufschlägen ihre Ärmel in die Luft und umarmte eine Bluse aus Goldbrokat. Hinter ihr schaute eine Adelsuniform mit wappengeschmückten Knöpfen und von Motten zerfressenem Kragen hervor; dazu weiße, befleckte Hosen aus Kaschmir, die Iwan Iwanowitsch einstmals über die Beine gezogen hatte und die man ihm jetzt höchstens über seine Finger ziehen konnte. Gleich darauf wurden andere Hosen aufgehängt in Gestalt des Buchstaben »L Der Buchstabe L hat im Russischen die Form &#1051;.. Alsdann ein blauer Kosakenrock, den sich Iwan Nikiphorowitsch vor zwanzig Jahren hatte machen lassen, als er die Absicht hegte, in die Miliz einzutreten und sich bereits einen langen Schnurrbart wachsen ließ. Endlich wurde dazu auch noch ein Säbel herausgetragen, ähnlich einer Spitze, die sich in die Luft erhebt. Alsdann kamen Schöße von etwas zum Vorschein, das aussah wie ein grasgrüner Kaftan mit Kupferknöpfen von der Größe eines Fünfkopekenstücks. Hinter den Rockschößen schaute eine Weste hervor, benäht mit goldenen Streifen und mit einem großen Ausschnitt vorn. Diese Weste bedeckte alsbald ein alter Rock der verstorbenen Großmutter mit Taschen, in welche man eine Wassermelone hätte legen können. Wie sich das alles miteinander vereinigte, das war für Iwan Iwanowitsch außerordentlich belustigend anzuschauen. Dabei verwandelten die Strahlen der Sonne, indem sie bisweilen einen blauen oder einen grünen Ärmel, einen roten Aufschlag oder ein Stück Goldbrokat erfaßten, oder indem sie auf der Degenspitze spielten, das Ganze in etwas Ungewöhnliches, ähnlich einem Puppentheater, wie es umherziehende Spitzbuben auf den Bauernhöfen herumzufahren pflegen, besonders wenn die Volksmenge, dicht zusammengepreßt, auf den König Herodes mit seiner goldenen Krone hinschaut oder auf den heiligen Anton, der eine Ziege führt. Die Geige kreischt, der Zigeuner schlägt mit den Händen auf seine Lippen, um den Klang der Trommel nachzuahmen, die Sonne geht unter, und die frische Kühle der südlichen Nacht schmiegt sich enger an die frischen Schultern und Brüste der üppigen Bäuerinnen.

Alsbald zog die Alte ächzend einen alten Sattel aus der Kammer heraus und schleppte ihn hinter sich her. Er hatte keine Steigbügel mehr, und die Ledertaschen für die Pistolen waren ganz abgerieben. Zu ihm gehörte eine Satteldecke, die einstmals blutrot, mit Gold ausgestickt und mit Kupferblättchen behangen gewesen war.

»Was ist das doch für ein dummes Weib!« dachte Iwan Iwanowitsch. »Sie wird nächstens auch noch Iwan Nikiphorowitsch in eigener Person hinaustragen und auslüften!«

Und in der Tat: Iwan Iwanowitsch hatte sich nicht völlig in seiner Annahme getäuscht. Fünf Minuten später richteten sich die Leinwandpluderhosen des Iwan Nikiphorowitsch auf und nahmen fast die Hälfte des ganzen Hofes ein. Hierauf brachte das Weib noch eine Mütze und ein Gewehr heraus.

»Was soll denn das bedeuten?« dachte Iwan Iwanowitsch. »Noch niemals sah ich ein Gewehr bei Iwan Nikiphorowitsch. Was ist mit ihm los! Er denkt gar nicht daran, zu schießen, besitzt aber ein Gewehr. Wozu braucht er es denn? Das ist übrigens ein prächtiges Ding. Schon längst wollte ich mir ein solches zulegen. Gar sehr verlangt es mich danach, dieses Gewehrchen zu besitzen. Ich liebe es, mit einem Gewehrchen meine Kurzweil zu treiben.« »Heda, Weib!« schrie Iwan Iwanowitsch und winkte mit dem Finger.

Die Alte trat zum Zaune. »Was hast du denn da, Großmütterchen?«

»Sie sehen selber: ein Gewehr!«

»Was für ein Gewehr?«

»Wer weiß, was für eins! Wenn es meines wäre, würde ich es vielleicht wissen, woraus es gemacht ist, es gehört aber dem Herrn.«

Iwan Iwanowitsch stand auf und begann das Gewehr von allen Seiten anzuschauen. Er vergaß dabei ganz, der Alten einen Verweis dafür zu erteilen, daß sie es und den Säbel zum Auslüften aufgehängt hatte. »Es ist wohl aus Eisen«, fuhr die Alte fort.

»Hm! Aus Eisen! Weshalb ist es denn aus Eisen?« sprach Iwan Iwanowitsch für sich. »Hat es der Herr schon lange?«

»Vielleicht auch schon lange!«

»Das ist ein schönes Sächelchen!« fuhr Iwan Iwanowitsch fort. »Ich werde es mir bei ihm ausbitten. Was soll er denn damit anfangen? Oder ich werde es gegen irgend etwas eintauschen. Wie, Großmütterchen, ist der Herr zu Hause?«

»Zu Hause!«

»Hat er sich hingelegt?«

»Ja.«

»Nun schön, ich werde zu ihm kommen.«

Iwan Iwanowitsch zog sich an, nahm einen Knotenstock zur Hand gegen die Hunde, weil man ihnen in Mirgorod bei weitem mehr auf der Straße begegnet als Menschen, und machte sich auf den Weg.

Obgleich der Hof des Iwan Nikiphorowitsch neben dem Hof von Iwan Iwanowitsch lag, und man aus einem in den anderen hätte über den Zaun klettern können, ging Iwan Iwanowitsch gleichwohl auf der Straße hin. Von dieser Straße mußte man in eine Gasse einbiegen, die so eng war, daß, wenn sich dort zwei einspännige Fuhren begegneten, sie schon nicht aneinander vorüberfahren konnten und stehenbleiben mußten, bis man sie an die Hinterräder faßte und sie wieder auf die Straße herauszog, jede nach der entgegengesetzten Seite. Der Fußgänger aber schmückte sich beim Durchschreiten dieser Gasse mit Kletten, die zu beiden Seiten neben dem Zaune wuchsen, wie mit Blumen. Auf diese Gasse hinaus gingen von der einen Seite die Scheunen des Iwan Iwanowitsch, von der anderen das Vorratshaus, das Tor und der Taubenschlag von Iwan Nikiphorowitsch. Iwan Iwanowitsch schritt zum Tore und machte mit der Klinke Lärm: im Innern erhob sich Hundegebell. Die verschiedenfarbige Meute lief rasch herbei, wedelte mit den Schwänzen, als sie ein bekanntes Gesicht erschaut hatte. Iwan Iwanowitsch betrat den Hof, in dem indische Tauben, die Iwan Nikiphorowitsch mit eigener Hand fütterte, auch Reste von Wasserkürbissen und Melonen, hier etwas Grünes, dort ein zerbrochenes Rad oder ein Faßreifen oder ein Knabe in schmutzigem Hemd, der sich da herumwälzte, ein buntes Bild gaben, wie es Maler lieben. Der Schatten von den aufgehangenen Kleidern bedeckte fast den ganzen Hof und gab ihm eine gewisse Kühle. Das Weib empfing Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung und blieb mit offenem Munde stehen. Das Haus schmückte eine kleine Vortreppe mit einem Schirmdach auf zwei Eichenpfosten – ein unvollkommener Schutz vor der Sonne, die zu dieser Zeit in Kleinrußland nicht zu scherzen liebt und den Fußgänger von Kopf bis zu Fuß mit einem heißen Strom übergießt. Hieraus hätte man ersehen können, ein wie heftiges Verlangen Iwan Iwanowitsch trieb, diese ihm unentbehrliche Sache zu erwerben, da er sich ja entschlossen hatte, zu einer solchen Zeit auszugehen, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, nur abends das Haus zu verlassen!

Das Zimmer, das Iwan Iwanowitsch betrat, war ganz dunkel. Die Läden waren geschlossen. Das Sonnenlicht drang nur durch ein Loch, das im Fensterladen ausgeschnitten war. Es nahm daher Regenbogenfarbe an und zeichnete auf der gegenüberliegenden Wand eine bunte Landschaft aus Schilfdächern, Bäumen und der im Hof aufgehängten Wäsche, nur alles auf den Kopf gestellt. Von dem allen herrschte ein ganz wunderbares Zwielicht im Zimmer.

»Gott helfe!« sprach Iwan Iwanowitsch.

»Ach, guten Tag, Iwan Iwanowitsch!« antwortete eine Stimme aus der Zimmerecke. Da erst bemerkte Iwan Iwanowitsch Iwan Nikiphorowitsch, der auf einem Teppich auf dem Boden lag. »Entschuldigen Sie, daß ich ›in natura‹ vor Ihnen bin.« Iwan Nikiphorowitsch hatte gar nichts an, nicht einmal ein Hemd.

»Das hat nichts zu sagen. Haben Sie heute schon geschlafen, Iwan Nikiphorowitsch?«

»Ja. Haben Sie aber geschlafen, Iwan Iwanowitsch?«

»Jawohl!«

»So sind Sie denn eben erst aufgestanden?«

»Ich eben erst aufgestanden? Ist das Ihr Ernst, Iwan Nikiphorowitsch? Wie kann man denn bis jetzt schlafen?! Ich bin soeben erst von dem Vorwerk zurückgekommen. Prächtig steht die Ernte am Wege! Zum Entzücken! Auch das Heu ist hoch, weich und duftig!«

»Gorpina!« rief Iwan Nikiphorowitsch. »Bring Iwan Iwanowitsch Schnaps und Rahmpasteten!«

»Ist das heute ein schönes Wetter!«

»Loben Sie es nicht, Iwan Iwanowitsch! Der Teufel soll es holen! Man kann sich nirgends niederlassen vor Hitze!«

»Müssen Sie denn wiederum an den Teufel erinnern! Ach, Iwan Nikiphorowitsch! Sie werden noch an mein Wort denken, wenn es schon zu spät sein wird. Sie werden schon in jener Welt heimgezahlt bekommen für so Gott ungefällige Worte.«

»Wodurch habe ich Sie denn beleidigt, Iwan Iwanowitsch? Ich habe weder Ihren Vater noch Ihre Mutter berührt. Ich weiß nicht, wodurch ich Sie beleidigte.«

»Genug, Iwan Nikiphorowitsch, genug!«

»Bei Gott, ich habe Sie nicht beleidigt, Iwan Iwanowitsch!«

»Sonderbar, daß das Feldhuhn bis jetzt noch nicht auf die Lockpfeife hört!«

»Sie können denken, was Sie wollen. Nur habe ich Sie durchaus nicht beleidigt.«

»Ich weiß nicht, weshalb sie nicht auf die Lockpfeife horchen«, sprach Iwan Iwanowitsch, gleich als höre er gar nicht auf Iwan Nikiphorowitsch. »Ist die Zeit dazu noch nicht gekommen … nur scheint es mir, als wäre jetzt gerade die richtige Zeit.«

»Sie sagen, die Ernte sei gut?«

»Großartig einfach!«

Hierauf folgte ein Schweigen.

»Wozu lassen Sie denn die Kleider heraushängen, Iwan Nikiphorowitsch?« sprach endlich Iwan Iwanowitsch.

»Ja, ein schönes, fast neues Kleidungsstück hat mir das verfluchte Weib vermodern lassen. Jetzt lasse ich alles auslüften. Es ist feines, vorzügliches Tuch, man braucht es nur zu wenden, dann kann ich es von neuem tragen.«

»Mir gefiel da ein Sächelchen, Iwan Nikiphorowitsch!«

»Was für eins?«

»Sagen Sie, bitte, wozu brauchen Sie das Gewehr da, das man zugleich mit den Kleidern zum Auslüften hinausbrachte?«

Hier reichte Iwan Iwanowitsch seine Tabaksdose hin. »Kann ich Sie um die Gefälligkeit bitten!«

»Danke! Bedienen Sie sich selber. Ich schnupfe den meinigen.«

Hierbei tastete Iwan Nikiphorowitsch um sich herum und erfaßte sein Tabakshorn. »Was ist das für ein dummes Weib! So hat sie denn auch das Gewehr hinausgehängt? Einen guten Tabak macht der Jude in Sorotschinzi. Ich weiß nicht, was er da beimischt; es duftet nur so! Ein wenig wie Pfefferminz. Nehmen Sie doch etwas in den Mund und kauen Sie es: schmeckt es nicht wirklich nach Pfefferminz? Bedienen Sie sich doch!«

»Sagen Sie, bitte, Iwan Nikiphorowitsch, ich habe immer noch das Gewehr im Sinn. Was sollen Sie mit ihm anfangen? Sie haben es doch nicht nötig.«

»Wieso denn nicht nötig? Wenn man aber schießen muß?«

»Gott mit Ihnen, Iwan Nikiphorowitsch, wann werden Sie dazu kommen? Wohl bei der Wiederkunft des Herrn? Soviel ich weiß und andere sich erinnern, haben Sie bis jetzt noch nicht eine einzige Ente getötet. Ja, und auch Ihre Natur ist von Gott dem Herrn nicht dazu geschaffen, um zu schießen. Sie haben eine stolze Haltung und Figur, wie werden Sie sich denn da in den Sümpfen herumschleppen; Ihr Kleidungsstück, das bei Namen zu nennen nicht jederzeit anständig ist, wird immer noch ausgelüftet. Wie wird es denn dann nach der Jagd sein? Nein, Sie müssen Ruhe haben, Erholung.« (Wie oben erwähnt, pflegte Iwan Iwanowitsch außergewöhnlich malerisch zu sprechen, wenn es galt, irgendwen zu überzeugen. Wie er sprach! Mein Gott, wie er zu sprechen verstand!) »Ja, daher ziemt Ihnen ein anständiges Verhalten. Hören Sie, geben Sie mir das Gewehr!«

»Unmöglich! Das ist ein wertvolles Gewehr. Solche findet man jetzt nirgends mehr. Ich habe es damals noch einem Türken abgekauft, als ich in die Miliz eintreten wollte; und jetzt sollte ich es mir nichts dir nichts hergeben? Wie ist das möglich?! Ich habe dies Ding nötig!«

»Wozu haben Sie es denn nötig?«

»Wozu? Wenn aber Räuber das Haus überfallen … Ich hätte es nicht nötig? Das wäre noch schöner! Gott sei Dank! Jetzt bin ich ruhig und fürchte niemand. Weshalb? – Deshalb, weil ich weiß, daß in meiner Kammer ein Gewehr steht.«

»Ein schönes Gewehr! Ja, das Schloß ist doch ganz verdorben, Iwan Nikiphorowitsch.«

»Was hat das zu sagen! Man kann es ausbessern; man braucht es nur mit Hanföl einzuschmieren, damit es nicht rostet.«

»Aus Ihren Worten, Iwan Nikiphorowitsch, vermag ich durchaus keine freundliche Gesinnung für mich zu ersehen. Sie wollen auch gar nichts für mich tun zum Zeichen der Freundschaft.«

»Wie können Sie nur sagen, Iwan Iwanowitsch, ich erweise Ihnen keine Freundschaft. Ihre Ochsen weiden doch in meiner Steppe, und ich habe sie noch kein einziges Mal in Anspruch genommen. Wenn Sie nach Poltawa fahren, bitten Sie immer um meinen Wagen. Und wie denn? Habe ich ihn Ihnen jemals verweigert? Ihre Kinder klettern über den Zaun in meinen Hof und spielen mit meinen Hunden – und ich sage gar nichts dazu. Mögen sie nur spielen! Wenn sie nur nichts anrühren! Mögen sie nur spielen!«

»Wenn Sie mir das Gewehr nicht schenken wollen, so könnten wir vielleicht einen Tausch machen?«

»Was werden Sie mir dafür geben?« Hierbei stützte sich Iwan Nikiphorowitsch auf und blickte Iwan Iwanowitsch an.

»Ich werde Ihnen ein braunes Schwein dafür geben, dasselbe, das ich im Verschlag aufzog. Ein prächtiges Schwein! Sie werden sehen, ob es Ihnen nicht im nächsten Jahre Ferkel bringt.«

»Ich weiß nicht, wie Sie, Iwan Iwanowitsch, so etwas sagen können! Wozu brauche ich denn Ihr Schwein? Etwa um dem Teufel ein Gedächtnismahl zuzubereiten!«

»Wiederum! Ohne den Teufel kommen Sie schon gar nicht mehr aus! Das ist sündhaft, bei Gott sündhaft, Iwan Nikiphorowitsch!«

»Wie denn, Iwan Iwanowitsch? Sie bieten tatsächlich für das Gewehr der Teufel weiß was: ein Schwein!«

»Weshalb ist denn das – der Teufel weiß was, Iwan Nikiphorowitsch?«

»Wie denn? Sie sollten besser selber urteilen: ein Gewehr ist doch etwas Bekanntes; ein Schwein aber – der Teufel weiß was! Würden Sie das nicht gesagt haben, so würde ich es für eine Beleidigung halten!«

»Was finden Sie denn Unschönes an einem Schwein?«

»Wofür halten Sie mich denn eigentlich? Ich sollte ein Schwein …«

»Setzen Sie sich doch! Ich will nicht mehr … Behalten Sie nur Ihr Gewehr! Mag es nur in Ihrer Kammer stehen, vermodern und verrosten – ich wünsche nicht mehr davon zu sprechen!«

Hierauf folgte ein Schweigen.

»Man erzählt,« begann Iwan Iwanowitsch, »drei Könige hätten unserem Zaren den Krieg erklärt.«

»Ja, das erzählte mir auch Peter Fjedorowitsch. Was ist denn das für ein Krieg? Und aus welchem Grunde?«

»Etwas Gewisses kann man darüber nicht sagen, Iwan Nikiphorowitsch, aus welchem Grunde dies geschah. Ich vermute, die Könige wünschen, wir alle sollen den türkischen Glauben annehmen!«

»Sieh mal an, die Schufte, was die da wünschen!« sprach Iwan Nikiphorowitsch und erhob seinen Kopf.

»Nun, sehen Sie es, unser Zar hat ihnen deswegen den Krieg erklärt. ›Nein,‹ spricht er, ›Ihr sollt selber den Christenglauben annehmen!‹«

»Was ist denn dabei? Die Unserigen werden sie sicher schlagen, Iwan Iwanowitsch!«

»Jawohl. Sie wollen also nicht das Gewehrchen umtauschen, Iwan Nikiphorowitsch?«

»Ich wundere mich, Iwan Iwanowitsch: man kennt Sie, scheint es, als einen gebildeten Menschen, Sie sprechen aber wie ein Kind. Ich sollte ein solcher Dummkopf sein …«

»Setzen Sie sich, setzen Sie sich doch … Gott mit ihm! Soll es nur verrecken … Ich werde nicht mehr davon sprechen!«

In diesem Augenblick brachte man das Frühstück.

Iwan Iwanowitsch trank einen Schnaps und aß eine Schmandpastete. »Hören Sie, Iwan Nikiphorowitsch, ich werde Ihnen außer dem Schwein noch zwei Säcke Hafer geben. Sie haben ja keinen Hafer gesät. Dies Jahr müssen Sie gleichwohl Hafer kaufen.«

»Bei Gott, Iwan Iwanowitsch, mit Ihnen muß man sprechen, wenn man sich mit Erbsen vollgefressen hat.« (Das ist noch gar nichts: Iwan Nikiphorowitsch pflegte noch ganz andere Phrasen loszulassen.) »Wo hat man denn gesehen, daß irgendwer ein Gewehr gegen zwei Säcke Hafer umtauschte? Ihren Pelzrock werden Sie mir wohl nicht anbieten?«

»Sie haben ganz vergessen, Iwan Nikiphorowitsch, daß ich Ihnen auch noch das Schwein gebe.«

»Wie! Zwei Säcke Hafer und ein Schwein für ein Gewehr?«

»Ja, ist das denn etwa wenig?«

»Für ein Gewehr?«

»Natürlich für ein Gewehr.«

»Zwei Säcke für ein Gewehr?«

»Die zwei Säcke sind ja nicht leer, vielmehr mit Hafer gefüllt. Das Schwein haben Sie aber vergessen?«

»Küssen Sie sich doch mit Ihrem Schwein, und wenn Sie das nicht wollen, dann mit dem Teufel!«

»Oh! Mit Ihnen soll man sich nur einlassen! Sie werden sehen: in jener Welt wird man Ihnen für solche gotteslästerlichen Worte glühende Nadeln in die Zunge stecken. Wenn man sich mit Ihnen unterhalten hat, muß man sich Gesicht und Hände waschen und sich selber ausräuchern.«

»Erlauben Sie einmal, Iwan Iwanowitsch: ein Gewehr – ist etwas Vornehmes, der allerinteressanteste Zeitvertreib, zudem auch noch ein angenehmer Zimmerschmuck …«

»Sie, Iwan Nikiphorowitsch, prahlen sich derart mit Ihrem Gewehr wie der Narr mit der gestickten Schwinge«, sprach Iwan Iwanowitsch verdrießlich, weil er schon tatsächlich böse zu werden begann.

»Sie aber, Iwan Iwanowitsch, sind ein richtiger Gänserich!«

Hätte Iwan Nikiphorowitsch dieses Wort nicht gesagt, so würden sie sich gezankt haben und wie immer als Freunde auseinandergegangen sein; diesmal aber ereignete sich etwas ganz anderes. Iwan Iwanowitsch brauste nur so auf.

»Was haben Sie da gesagt, Iwan Nikiphorowitsch?« fragte er mit erhöhter Stimme.

»Ich sagte, Sie seien einem Gänserich gleich, Iwan Iwanowitsch!«

»Wie haben Sie denn gewagt, mein Herr, jeden Anstand und jede Achtung vor dem Rang und dem Namen eines Menschen vergessend, ihn mit einem solchen Schimpfnamen zu entehren?«

»Was ist denn da für ein Schimpf dabei? Weshalb fuchteln Sie denn so mit den Armen herum, Iwan Iwanowitsch?«

»Ich wiederhole: wie haben Sie es gewagt, gegen allen Anstand mich einen Gänserich zu nennen?«

»Ich niese Ihnen auf den Kopf, Iwan Iwanowitsch. Was haben Sie denn da so zu gackern begonnen?«

Iwan Iwanowitsch konnte nicht mehr an sich halten. Seine Lippen zitterten; sein Mund veränderte seine gewöhnliche Form eines »V« und ward einem »O« ähnlich. Mit den Augen blinzelte er derart, daß man hätte Angst bekommen können. Das kam bei Iwan Iwanowitsch außerordentlich selten vor. Man mußte ihn schon sehr erzürnt haben. »So erkläre ich Ihnen denn, daß ich Sie nicht mehr zu kennen wünsche!«

»Ein großes Unglück! Bei Gott, ich werde deshalb nicht zu weinen anfangen!« antwortete Iwan Iwanowitsch. – Er log, er log, bei Gott, er log! Es war ihm dies sogar sehr verdrießlich.

»Mein Fuß wird nicht mehr Ihr Haus betreten.«

»Oho!« sprach Iwan Nikiphorowitsch. Aus Verdruß wußte er selber nicht, was zu tun, und erhob sich gegen seine Gewohnheit vom Boden.

»He, Weib, Bursche!« Hierbei zeigte sich in der Tür dasselbe hagere Weib und ein kleiner Knabe, um den ein langer und breiter Rock herumhing. »Nehmt Iwan Iwanowitsch am Arm und führt ihn zur Tür hinaus!«

»Wie? Einen Adligen?« schrie mit dem Gefühl der Würde und des Unwillens Iwan Iwanowitsch. »Wagt es nur! Kommt nur her! Ich werde euch zunichtemachen mitsamt eurem dummen Herrn! Kein Rabe wird mehr etwas von euch finden!« (Iwan Iwanowitsch sprach ungewöhnlich kräftig, wenn seine Seele erschüttert war.)

Die ganze Gruppe bildete ein ausdrucksvolles Bild: Iwan Nikiphorowitsch stand in der Mitte seines Zimmers in seiner ganzen Schönheit, ohne jede Verzierung! Das Weib sperrte den Mund auf, und ihr Gesicht hatte den Ausdruck völliger Sinnlosigkeit und Angst. Iwan Iwanowitsch hatte den Arm erhoben, so, wie die römischen Tribunen dargestellt werden! Das war ein ungewöhnlicher Anblick – ein herrliches Schauspiel. Und dabei gab es nur einen einzigen Zuschauer: das war der Knabe in seinem unermeßlichen Rock. Er stand ziemlich ruhig da und reinigte sich mit dem Finger die Nase.

Endlich nahm Iwan Iwanowitsch seinen Hut ab. »Sehr vornehm benehmen Sie sich, Iwan Nikiphorowitsch! Schön! Ich werde daran denken!«

»Machen Sie, daß Sie fortkommen, Iwan Iwanowitsch, machen Sie, daß Sie fortkommen! Ja, sehen Sie nur zu, daß Sie mir nicht in den Weg geraten, sonst werde ich Ihnen, Iwan Iwanowitsch, die ganze Fresse zerschlagen!«

»Das ist meine Antwort für Sie, Iwan Nikiphorowitsch«, entgegnete Iwan Iwanowitsch, indem er ihm »Etsch – etsch« machte und die Tür krachend hinter sich zuschlug. Sie kreischte winselnd und öffnete sich von neuem.

Iwan Nikiphorowitsch erschien auf der Schwelle und wollte irgend etwas hinzufügen. Iwan Iwanowitsch schaute sich aber gar nicht mehr um und flog vom Hofe davon.

Drittes Kapitel
Was sich ereignete, nachdem sich Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch verzankt hatten.

So hatten sich also die zwei ehrwürdigen Männer, die Ehre und die Zierde von Mirgorod, miteinander verzankt! Und weshalb? Wegen eines Unsinns, wegen eines Gänserichs! Sie wollten einander nicht mehr sehen und brachen alle Beziehungen ab, während sie vordem bekannt waren als die unzertrennlichsten Freunde! Jeden Tag pflegten Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch einer zum anderen zu schicken, um sich nach der Gesundheit zu erkundigen, häufig unterhielten sie sich von ihren Balkons aus und sagten einander so angenehme Dinge, daß es herzerfreuend war, zuzuhören. Sonntags pflegten Iwan Iwanowitsch in seinem Wollrock und Iwan Nikiphorowitsch in seinem gelbbraunen Leinwandrock fast Arm in Arm miteinander sich zur Kirche zu begeben. Und wenn Iwan Iwanowitsch, der außerordentlich scharfe Augen hatte, zuerst eine Pfütze bemerkte oder irgendeine Unreinlichkeit inmitten der Straße, was bisweilen in Mirgorod vorkommt, dann sprach er stets zu Iwan Nikiphorowitsch: »Geben Sie acht, treten Sie nicht hierhin, hier ist es nicht schön!« Auch Iwan Nikiphorowitsch pflegte seinerseits die allerrührendsten Beweise der Freundschaft zu geben, und wie weit auch Iwan Iwanowitsch von Iwan Nikiphorowitsch stehen mochte, stets reichte der ihm sein Tabakshorn und murmelte: »Bedienen Sie sich!« Und was für eine prachtvolle Wirtschaft hatten alle beide! … Und diese beiden Freunde … Als ich hiervon vernahm, traf mich das wie der Blitz! Lange wollte ich es gar nicht glauben. Gerechter Gott! Iwan Iwanowitsch hat sich mit Iwan Nikiphorowitsch verzankt! So würdige Leute! Worauf soll man noch bauen in dieser Welt?

Als Iwan Iwanowitsch nach Hause gekommen war, befand er sich noch lange in heftiger Erregung. In der Regel pflegte er zu allererst in den Stall zu gehen, um nachzuschauen, ob sein Pferdchen Heu frißt. (Iwan Iwanowitsch besaß eine rehbraune kleine Stute mit einem weißen Flecken auf der Stirn, ein sehr schönes Pferdchen.) Hierauf pflegte er die Truthühner und Ferkel mit eigener Hand zu füttern und erst dann ins Zimmer zu gehen, wo er entweder hölzernes Geschirr anfertigte (er versteht sehr kunstvoll, nicht schlechter als der Drechsler, verschiedene Dinge aus Holz herzustellen), oder er las ein Büchelchen, das bei »Lubij, Garij und Popoff« gedruckt war (an seine Überschrift vermag sich Iwan Iwanowitsch nicht zu erinnern, weil das Mädchen vor längerer Zeit den oberen Teil des Titelblattes abgerissen hatte, um ihr Kind zu beschäftigen), oder er ruhte sich unter dem Schirmdach aus. Nunmehr aber machte er sich an keine von seinen gewöhnlichen Beschäftigungen. Statt dessen begann er Gapka, als sie ihm in den Weg kam, zu schelten, sie treibe sich ohne Arbeit herum, obgleich sie gerade Graupen in die Küche schleppte. Er warf mit dem Stock nach dem Hahn, der zum Eingang gekommen war, um seine gewohnte Gabe in Empfang zu nehmen, und als der schmutzige Knabe in durchlöchertem Hemdchen herankam und ausrief: »Papa, Papa, gib mir ein Plätzchen!«, da drohte er ihm furchtbar und stampfte mit dem Fuß auf, so daß das erschreckte Bübchen davonlief, Gott weiß wohin.

Endlich kam er gleichwohl zur Besinnung und begann, seinen gewohnten Beschäftigungen nachzugehen. Spät setzte er sich zum Mittagessen, und es war schon fast Abend, als er sich unter das Schirmdach zum Ausruhen niederlegte. Die schöne Gemüsesuppe mit Taubenfleisch, die Gapka gekocht hatte, verscheuchte völlig den Vorfall vom Morgen aus seiner Erinnerung. Iwan Iwanowitsch begann wiederum mit Vergnügen seine Wirtschaft zu betrachten. Endlich ließ er seinen Blick auf dem Nachbarhofe ruhen und sprach zu sich: »Ich war heute noch nicht bei Iwan Nikiphorowitsch, ich will zu ihm hingehen.« Iwan Iwanowitsch ergriff Stock und Hut und begab sich auf die Straße. Als er aber eben aus dem Tor getreten war, entsann er sich an den Streit, spuckte aus und kehrte um. Fast die gleiche Bewegung ging im Hause des Iwan Nikiphorowitsch vor sich. Iwan Iwanowitsch sah, wie das alte Weib schon den Fuß auf die Hecke gestellt hatte, in der Absicht, in seinen Hof hinüberzuklettern, als plötzlich die Stimme des Iwan Nikiphorowitsch erklang: »Zurück, zurück, es ist nicht nötig!« Gleichwohl ward es Iwan Iwanowitsch sehr traurig zumute. Es hätte sehr wohl sein können, daß diese würdigen Leute sich schon am anderen Tage versöhnt hätten, wenn nicht ein besonderer Vorfall im Hause des Iwan Nikiphorowitsch jegliche Hoffnung vernichtet und Öl in das schon erlöschende Feuer der Feindschaft gegossen hätte.

Zu Iwan Nikiphorowitsch kam am Abend desselben Tages Agaphja Fedosejewna. Sie war weder eine Verwandte noch eine Schwägerin, nicht einmal eine Gevatterin von Iwan Nikiphorowitsch. Es hätte scheinen sollen, sie hat überhaupt gar keinen Grund, ihn zu besuchen, und er selber freute sich nicht allzu sehr über sie. Gleichwohl kam sie zu ihm gefahren und pflegte bei ihm ganze Wochen zuzubringen und bisweilen auch noch länger. Dann nahm sie sogleich die Schlüssel in Verwahrung und das ganze Haus in ihre Hände. Dies war Iwan Nikiphorowitsch stets sehr unangenehm. Zu allgemeinem Staunen folgte er ihr wie ein Kind. Und wenn er auch bisweilen zu streiten versuchte, so behielt Agaphja Fedosejewna doch stets die Oberhand.

Ich bekenne es, ich verstehe nicht, weshalb es so eingerichtet ist, daß die Frauen uns so geschickt bei der Nase fassen, als wäre das der Griff einer Teekanne; entweder sind ihre Hände so beschaffen, oder unsere Nasen taugen zu weiter gar nichts. Und ungeachtet dessen, daß die Nase von Iwan Nikiphorowitsch ein wenig einer Pflaume glich, faßte Agaphja Fedosejewna ihn gleichwohl an ihr und führte ihn hinter sich her wie ein Hündchen. Er pflegte sogar während ihres Besuches unfreiwillig seine gewöhnliche Lebensart zu verändern. Er lag nicht mehr so lange in der Sonne, und wenn er das tat, so nicht ›in natura‹, vielmehr mit Hemd und Hose bekleidet, obgleich Agaphja Fedosejewna dies durchaus nicht verlangte. Sie machte sich gar nichts aus Zeremonien: hatte Iwan Nikiphorowitsch Fieber, pflegte sie ihn mit eigener Hand vom Kopf bis zu den Füßen mit Terpentin und Essig einzureiben. Agaphja Fedosejewna trug ein Häubchen auf dem Kopfe, drei Warzen auf der Nase und einen kaffeefarbenen Morgenrock mit gelben Blumen. Ihre ganze Gestalt glich einem Faß, und deshalb war es ebenso schwer, ihre Taille herauszufinden, wie ohne Spiegel die eigene Nase zu erblicken. Ihre Beine waren kurz und hatten die Form zweier Kissen. Sie pflegte zu klatschen, verstand ausgezeichnet zu schimpfen, morgens gekochte rote Rüben zu essen, und bei allen diesen verschiedenartigen Beschäftigungen veränderte ihr Gesicht nicht auf einen Augenblick seinen Ausdruck, was einzig und allein Frauen fertigbringen.

Als sie nur eben angekommen war, ging alles drüber und drunter. »Du, Iwan Nikiphorowitsch, versöhne dich nur nicht mit ihm und bitte ihn nicht um Verzeihung. Er will dich zugrunderichten. Das ist schon ein solcher Mensch! Du kennst ihn noch gar nicht.« So flüsterte und flüsterte das verdammte Weib und setzte es durch, daß Iwan Nikiphorowitsch von Iwan Iwanowitsch nicht einmal mehr hören wollte.

Alles nahm ein anderes Aussehen an. Kam der Nachbarhund nunmehr auf den Hof gelaufen, so schlug man nach ihm mit allem, was man gerade zur Hand hatte. Waren die Kinderchen über den Zaun geklettert, so kehrten sie heulend zurück, die Hemdchen aufgehoben und auf den Rücken Zeichen von Ruten. Sogar das alte Weib selber machte eine so unanständige Bewegung, als es Iwan Iwanowitsch über irgend etwas fragen wollte, daß Iwan Iwanowitsch als ein außerordentlich delikater Mensch nur ausspuckte und murmelte: »Was für ein übles Weib! Schlechter noch als ihr Herr!« Endlich, um alle Beleidigungen voll zu machen, baute der Nachbar ihm gegenüber, dort, wo man gewöhnlich den Zaun überstieg, einen Gänsestall – gerade als habe er die besondere Absicht, die Beleidigung noch zu vertiefen. Dieser für Iwan Iwanowitsch widerliche Gänsestall ward mit teuflischer Schnelligkeit – an einem Tage – errichtet.

Das erregte in Iwan Iwanowitsch Zorn und das Verlangen, sich zu rächen. Gleichwohl zeigte er keinerlei Verdruß, ungeachtet dessen, daß der Gänsestall sogar einen Teil seines Bodens einnahm. Er hatte aber solches Herzklopfen, daß es ihm außerordentlich schwer fiel, diese äußere Ruhe zu bewahren.

So brachte er den Tag zu. Es ward Nacht … Oh, wäre ich ein Maler, wie wunderbar wollte ich die ganze Herrlichkeit dieser Nacht schildern! Ich würde darstellen, wie ganz Mirgorod schläft. Wie unzählige Sterne unbeweglich auf es niederschauen. Wie die förmlich sichtbare Stille nur unterbrochen wird durch das nahe und ferne Bellen der Hunde. Wie an ihnen vorüber der verliebte Küster dahinfliegt und mit ritterlicher Furchtlosigkeit über den Zaun klettert. Wie die weißen Mauern der Häuser, vom Mondlicht erfaßt, noch weißer werden und die Bäume, die sie umschatten, noch dunkler. Ihr Schatten wird schwärzer, die Blumen und das verstummte Gras verbreiten noch mehr Duft, und die Grillen, die unermüdlichen Sänger der Nacht, lassen einträchtlich aus allen Ecken ihre zirpenden Lieder erschallen. Ich würde darstellen, wie in einem von diesen niedrigen Lehmhäuschen die schwarzbrauige Städterin einsam auf ihrem Bette ausgestreckt liegt: ihre Brüste beben, es träumt ihr von einem Husarenschnurrbart und Sporen. Und das Mondlicht lacht auf ihren Wangen. Ich würde darstellen, wie auf dem weißen Wege der schwarze Schatten der Fledermaus umherhuscht und sie sich auf die weißen Schornsteine niederläßt. Ich wäre aber kaum imstande, zu schildern, wie Iwan Iwanowitsch in dieser Nacht, die Säge in der Hand, sein Haus verließ: so vielerlei mannigfache Gefühle malten sich auf seinem Gesichte! Ganz leise schlich er sich heran und kroch unter den Gänsestall. Die Hunde von Iwan Nikiphorowitsch hatten noch gar nichts erfahren von dem Streite zwischen den beiden. Deshalb erlaubten sie ihm als einem alten Freunde, zu dem Gänsestall heranzukommen, der auf vier Eichenpfosten ruhte. Iwan Iwanowitsch kroch zum nächsten Pfosten heran, setzte die Säge an und begann zu sägen. Der hierdurch erregte Lärm veranlaßte ihn, sich jeden Augenblick umzuschauen, doch der Gedanke an die erlittene Beleidigung gab ihm stets den Mut zurück. Der erste Pfosten war durchsägt. Iwan Iwanowitsch machte sich an den zweiten. Die Augen brannten ihm und sahen schon gar nichts mehr vor lauter Furcht. Plötzlich schrie Iwan Iwanowitsch auf und erstarrte: er sah einen Toten vor sich. Bald aber kam er zu sich, da er erkannt hatte, daß das nur eine Gans war, die ihren Hals nach ihm ausstreckte. Voller Unwillen spuckte Iwan Iwanowitsch aus und nahm seine Arbeit wieder auf. Auch der zweite Pfeiler ward durchsägt. Der Bau begann zu schwanken. Iwan Iwanowitsch fing das Herz so furchtbar zu schlagen an, als er sich an den dritten Pfosten machte, daß er mehrere Male seine Arbeit unterbrechen mußte. Schon war mehr als die Hälfte des Pfeilers durchsägt, als plötzlich der schwankende Bau heftig zu schaukeln begann … Iwan Iwanowitsch hatte kaum Zeit, beiseitezuspringen, als alles krachend zusammenstürzte. Er erfaßte die Säge, lief in furchtbarem Schrecken nach Hause und warf sich in sein Bett, und er fand nicht einmal den Mut, durch das Fenster auf die Folgen seiner furchtbaren Tat zu schauen. Es schien ihm aber, als habe sich der ganze Hof des Iwan Nikiphorowitsch versammelt: das alte Weib, der Hausherr selber, der Knabe in endlosem Überrock, sie alle kommen mit Stangen bewaffnet und angeführt von Agaphja Fedosejewna daher, um sein Haus zu zertrümmern und zu zerschlagen!

Den ganzen Tag verbrachte Iwan Iwanowitsch wie im Fieber. Immer schien es ihm so, als würde der verhaßte Nachbar aus Rache wenigstens sein Haus in Brand stecken. Deshalb gab er Gapka den Befehl, jeden Augenblick überall nachzusehen, ob nicht irgendwo trockenes Stroh untergelegt sei. Schließlich beschloß er aus lauter Angst, um Iwan Nikiphorowitsch zuvorzukommen, beim Mirgoroder Kreisgericht gegen ihn eine Klage einzureichen. Worin sie bestand, kann man aus dem folgenden Kapitel erfahren.

Viertes Kapitel
handelt davon, was sich in den Räumen des Mirgoroder Kreisgerichts zutrug.

Was ist doch Mirgorod für eine wunderschöne Stadt! Was gibt es da alles für Häuser! Mit Stroh gedeckt und mit Schilf und sogar mit Holz. Rechts ist eine Straße, links ist eine Straße, überall schöner Zaun. Um ihn schlingt sich Hopfen. Auf ihm stecken Töpfe, über ihn erhebt die Sonnenblume ihr sonnenartiges Haupt, da blüht roter Mohn, schimmern dicke Kürbisse … Was für eine Pracht! Der Zaun ist mit Gegenständen geschmückt, die ihn noch malerischer machen: bald hängt da ein Unterrock, bald ein Hemd, bald ein Paar Pluderhosen. In Mirgorod gibt es weder Diebe noch Spitzbuben, und deshalb hängt jeder auf seinen Zaun auf, was ihm gerade einfällt. Wenn Sie vom Markte aus kommen, bleiben Sie sicherlich etwas stehen, um sich an dem Anblick zu erlaben: dort befindet sich eine Pfütze, eine bemerkenswerte Pfütze! Die einzige in ihrer Art, die Sie jemals zu sehen bekamen! Sie nimmt fast den ganzen Platz ein. Wie schön ist diese Pfütze! Häuser und Häuschen, die man aus der Ferne für Heuhaufen halten könnte, umgeben sie von allen Seiten und staunen über ihre Schönheit.

Auch bin ich der Meinung, daß es kein schöneres Haus gibt als das Kreisgericht. Ob es aus Eichen- oder Birkenholz gebaut ist – geht mich nichts an. Es hat aber, verehrte Herrschaften, acht Fenster! Acht Fensterchen in einer Reihe, unmittelbar auf den Platz hinaus und auf die Wasserfläche, von der ich schon sprach und die der Stadtkommandant See nennt! Nur dies eine Haus hat einen granitnen Anstrich; alle übrigen Häuser in Mirgorod sind einfach geweißt. Sein Dach ist ganz aus Holz. Und es wäre sogar rot angestrichen, hätten nicht die Kanzleibeamten das dafür angeschaffte Öl vertilgt, nachdem sie Zwiebel hineingeschnitten. Denn es war unglücklicherweise gerade Fastenzeit, und so blieb denn das Dach ungestrichen. Auf den Platz hinaus führt eine Vortreppe, auf der häufig Hühner herumlaufen, weil da fast immer Graupen oder sonst etwas Eßbares ausgestreut liegt, was übrigens keineswegs absichtlich geschieht, vielmehr einzig und allein durch die Unvorsichtigkeit der Bittsteller. Das Haus ist in zwei Hälften geteilt; in der einen tagt das Gericht, in der anderen ist die Arrestantenkammer gelegen. In der für das Gericht bestimmten Hälfte befinden sich zwei sauber geweißte Zimmer: das eine dient als Wartezimmer für die Bittsteller, im anderen steht ein mit Tintenflecken verzierter Tisch, auf ihm der Gerichtsspiegel, vier eichene Stühle mit hohen Lehnen ringsherum. An den Wänden erblickt man eisenbeschlagene Koffer, in denen Stöße von Akten aufbewahrt werden. Auf einem von diesen Koffern stand gerade ein frisch gewichster Stiefel. Die Tagung begann bereits am Morgen. Der Richter, ein ziemlich kräftiger Herr, wenn auch ein wenig schlanker als Iwan Nikiphorowitsch, von gutmütigem Gesichtsausdruck, in schmierigem Schlafrock, die Pfeife im Munde und die Teetasse vor sich, sprach gerade mit seinem Gehilfen. Die Lippen des Richters befanden sich ganz dicht unter seiner Nase und deshalb konnte diese die Oberlippe riechen, soviel es ihr danach verlangte. Diese Lippe diente ihm zur Tabaksdose, weil der Tabak, der an die Nase adressiert war, sich fast immer auf ihr festsetzte. Der Richter sprach also mit seinem Gehilfen. Neben ihm hielt eine barfüßige Dirne ein Teebrett mit Tassen. Am Ende des Tisches verlas gerade der Sekretär die Entscheidung einer Sache, aber mit einem so gleichförmigen und melancholischen Ton, daß sogar der Verurteilte beim Zuhören eingeschlafen wäre. Zweifellos wäre dies dem Richter zuallererst begegnet, wenn er sich nicht währenddessen in ein unterhaltendes Gespräch eingelassen hätte.

»Ich habe mich absichtlich bemüht, zu erfahren,« sprach der Richter, indem er aus der schon kalt gewordenen Tasse Tee schlürfte, »wie das vor sich geht, daß sie schön singen. Ich hatte eine prachtvolle Drossel vor zwei Jahren. Aber wie denn? Plötzlich war sie völlig verdorben und begann Gott weiß wie zu singen. Je länger um so schlechter. Sie begann zu schnarren und zu röcheln, zum Davonlaufen! Und dabei die allernichtigste Ursache! Das kommt ja daher: unter der Kehle bildet sich ein Pickel, kleiner als eine winzige Erbse. Dieses Pickelchen muß man aber nur mit einer Stecknadel aufstechen. Das hat mir Sachar Prokophiewitsch erklärt und, wenn Sie wollen, will ich Ihnen erzählen, auf welche Weise das vor sich ging: Ich komme zu ihm angefahren …«

»Befehlen Sie, Demian Demianowitsch, die zweite Entscheidung zu lesen?« unterbrach ihn der Sekretär, der schon vor einigen Minuten sein Lesen beendet hatte.

»Haben Sie das schon vorgelesen? Seht mal an, wie schnell! Ich habe gar nichts davon vernommen! Ja, wo ist es denn? Gib das Papier hierher, ich werde es unterschreiben! Was haben Sie da noch?«

»Die Sache des Kosaken Bokitka wegen einer gestohlenen Kuh.«

»Schön, lesen Sie! Ja, ich komme also zu ihm … ich kann Ihnen sogar ausführlich erzählen, womit er mich bewirtete. Zum Schnaps ward Stör gegeben, einzigartiger! Ja, nicht von unserem Stör« (wobei der Richter mit der Zunge schnalzte und lächelte, und hierbei schnupfte seine Nase aus ihrer ewigen Tabaksdose), »womit unsere Mirgoroder Eßwarenbude uns bewirtet. Hering aß ich nicht, weil, wie Sie selbst wissen, ich davon Magenbrennen bekomme. Den Kaviar aber probierte ich – vortrefflicher Kaviar! Man kann nicht anders sagen, er war vorzüglich. Alsdann trank ich Aprikosenschnaps, der dazu noch mit Tausendgüldenkraut angesetzt war. Es gab auch Safranschnaps, den aber genieße ich nicht, wie Sie selber wissen. Es ist, sehen Sie, sehr gut, den Appetit erst sozusagen anzuregen und dann sich richtig satt zu essen … Ah, was höre ich, was sehe ich …« schrie plötzlich der Richter, als er Iwan Iwanowitsch eintreten sah.

»Gott zur Hilfe! Ich wünsche Gesundheit!« sprach Iwan Iwanowitsch, nachdem er sich nach allen Seiten verbeugt hatte, mit der ihm allein eigenen Anmut. Mein Gott, wie verstand er alle zu bezaubern mit seinem Benehmen! Nirgends ist mir eine solche Feinheit vorgekommen. Er kannte sehr wohl selber seine Würde, und deshalb erblickte er in der allgemeinen Achtung etwas, was man ihm schuldig sei. Der Richter schob selber Iwan Iwanowitsch einen Stuhl hin, und seine Nase zog von der Oberlippe den ganzen Tabak ein, was bei ihm stets ein Zeichen großen Vergnügens war.

»Womit befehlen Sie, Ihnen aufzuwarten, Iwan Iwanowitsch?« fragte er. »Befehlen Sie eine Tasse Tee?«

»Nein, meinen besten Dank«, antwortete Iwan Iwanowitsch, verneigte sich und setzte sich nieder.

»Erweisen Sie mir die Gnade, ein einziges Täßchen!« wiederholte der Richter.

»Nein, ich danke. Ich bin sehr zufrieden mit der Aufnahme!« antwortete Iwan Iwanowitsch, verneigte sich und setzte sich.

»Eine einzige!« wiederholte der Richter.

»Nein, beunruhigen Sie sich nicht, Demian Demianowitsch!« hierbei verneigte sich Iwan Iwanowitsch wieder und setzte sich.

»Ein Täßchen?«

»In Gottes Namen, aber nur eines!« sprach Iwan Iwanowitsch und streckte die Hand nach dem Teebrett aus.

Mein Gott! Was für eine Menge von Feinheit kommt bei manchem Menschen zum Vorschein! Man kann gar nicht sagen, einen wie angenehmen Eindruck solches Benehmen hervorruft!

»Befehlen Sie nicht noch ein Täßchen?«

»Ich danke ergebenst!« antwortete Iwan Iwanowitsch, indem er die umgestürzte Tasse auf das Teebrett stellte und sich verneigte.

»Tun Sie mir den Gefallen, Iwan Iwanowitsch!«

»Ich kann nicht! Besten Dank!« Hierbei verneigte sich Iwan Iwanowitsch wiederum und setzte sich dann nieder.

»Iwan Iwanowitsch! Erweisen Sie mir die Freundschaft! Ein einziges Täßchen!«

Iwan Iwanowitsch streckte die Hand nach dem Teebrett aus und nahm eine Tasse.

Zum Henker! Wie kann nur, wie bringt es nur ein Mensch fertig, so seine Würde zu bewahren!

»Demian Demianowitsch,« begann Iwan Iwanowitsch, und er trank das letzte Tröpfchen aus, »ich habe ein unaufschiebbares Anliegen an Sie: ich reiche eine Klage ein.«

Hierbei stellte Iwan Iwanowitsch seine Tasse nieder und nahm aus der Tasche einen beschriebenen Bogen Stempelpapier. »Klage gegen meinen Feind, gegen meinen geschworenen Feind.«

»Gegen wen denn?«

»Gegen Iwan Nikiphorowitsch Dowgotschchun!«

Bei diesen Worten wäre der Richter fast vom Stuhle gefallen. »Was sagen Sie da!« rief er aus und warf die Hände in die Luft: »Iwan Iwanowitsch! Sind Sie das?!«

»Sie selber sehen, daß ich es bin!«

»Gott mit Ihnen und alle Heiligen! Wie! Sie, Iwan Iwanowitsch, wurden der Feind von Iwan Nikiphorowitsch?! Sind das Ihre Lippen, die das sagen? Wiederholen Sie es noch einmal! Ja, hat sich nicht irgendwer hinter Ihnen versteckt und spricht statt Ihrer …?«

»Was ist denn da so unwahrscheinlich? Ich kann ihn gar nicht mehr ausstehen: er hat mir eine tödliche Beleidigung zugefügt, er hat meine Ehre gekränkt.«

»Heilige Dreieinigkeit! Wie soll ich das jetzt meinem Mütterchen klarmachen! Jeden Tag, wenn ich mich nur mit meiner Schwester zanke, spricht das alte Frauchen: ›Ihr, meine Kinderchen, lebt miteinander wie Hunde. Wenn ihr euch nur ein Beispiel nehmen wolltet an Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch: das sind schon Freunde, solche Freunde! Das nennt man einmal Freunde! Das nennt man würdige Leute!‹ Und da hast du es! Auch solche Freunde! Erzählen Sie doch, warum das so kam, wie?«

»Das ist eine delikate Sache, Demian Demianowitsch! Mit Worten kann man sie gar nicht erzählen. Befehlen Sie lieber meine Bittschrift vorzulesen. Nehmen Sie sie doch, von dieser Seite, hier ist es ziemlicher!«

»Lesen Sie sie vor, Taras Tichonowitsch«, sprach der Richter, zum Sekretär gewandt.

Taras Tichonowitsch nahm die Bittschrift, und nachdem er sich so geschneuzt hatte, wie sich alle Sekretäre an den Kreisgerichten schneuzen: mit Hilfe von zwei Fingern, begann er zu lesen:

»Bittschrift des Adligen und Gutsbesitzers des Mirgoroder Kreises, Iwan, Sohn des Iwan, Pererepenko; worüber aber, das besagen folgende Punkte:

Erstens. Der, der ganzen Welt durch seine gottzuwideren, in Übelkeit versetzenden und jedes Maß überschreitenden, dem Gesetze nach verbrecherischen Handlungen bekannte Adlige Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, fügte mir in diesem Jahre 1810 am siebenten Juli eine tödliche Beleidigung zu, die sich sowohl persönlich auf meine Ehre bezieht als in gleicher Weise die Entwürdigung und Erniedrigung meines Ranges und meines Standes beabsichtigt. Derselbe, selber ein Adliger, zudem von üblem Aussehen, hat einen zänkischen Charakter und ist ganz erfüllt von Gotteslästerungen und Schimpfworten! …«

Der Vorleser hielt ein wenig inne, um sich von neuem zu schneuzen. Der Richter aber faltete mit Andacht die Hände und sprach nur vor sich hin: »Was für eine lebendige Feder! Mein Gott! Wie versteht dieser Mensch zu schreiben!«

Iwan Iwanowitsch bat, man möchte weiter lesen, und Taras Tichonowitsch fuhr fort:

»Dieser Adlige, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, nannte mich, als ich zu ihm mit freundlichen Vorschlägen kam, öffentlich mit einem beleidigenden und für die Ehre kränkenden Namen, nämlich: ›einen Gänserich‹, während es doch dem ganzen Mirgoroder Kreis bekannt ist, daß ich mich niemals nach diesem üblen Tier benannte und ich auch keineswegs die Absicht habe, mich nach ihm zu benennen. Daß ich aber von adliger Herkunft bin, dazu dient zum Zeugnis, daß in dem Kirchenbuch, welches sich in der Pfarrei der Kirche zu den drei Heiligen befindet, sowohl der Tag meiner Geburt geschrieben steht wie auch, wann ich die Taufe erhalten habe. ›Gänserich‹ aber kann, wie einem jeden bekannt, der irgendwie in den Wissenschaften bewandert ist, in keinem Kirchenbuch geschrieben stehen. Denn ein ›Gänserich‹ ist kein Mensch, vielmehr ein Vogel, was schon einem jeden glaubwürdig bekannt ist, wenn er auch nicht im Seminar war. Dieser böswillige Adlige war hierüber wohl unterrichtet, und zu keinem anderen Zwecke, als um mir eine für meinen Rang und meinen Stand tödliche Beleidigung zuzufügen, beschimpfte er mich mit diesem üblen Worte.

Zweitens. Dieser selbe, unwürdige und unanständige Adlige verübte zudem einen Anschlag auf mein ererbtes Besitztum, das auf mich überging nach dem Tode meines Vaters, der von geistlichem Stande gewesen war: Iwan, der Sohn von Onisij, Pererepenko, gesegneten Angedenkens – dadurch, daß er, entgegen allen Gesetzen, gerade meinem Hauseingang gegenüber einen Gänsestall errichtete, was in gar keiner anderen Absicht geschah, als um die mir angetane Beleidigung noch zu verstärken, denn dieser Gänsestall stand bis dahin an seiner richtigen Stelle und war noch ziemlich fest. Die niedrige Absicht des obenerwähnten Adligen bestand aber einzig und allein darin, mich zu einem Zeugen unwürdiger Passagen zu machen: denn es ist bekannt, daß kein Mensch in einen Stall, um so mehr in einen Gänsestall, zu einer anständigen Verrichtung geht. Bei dieser ungesetzlichen Handlung wurden die zwei Vorderpfosten auf meinem eigenen Boden eingeschlagen, den ich noch bei Lebzeiten meines Vaters, gesegneten Angedenkens, Iwan, Sohn Onisijs, Pererepenko, von ihm erhalten hatte – der bei dem Vorratshaus beginnt und sich in gerader Linie hinzieht bis ganz zu dem Platz, wo die Weiber Töpfe waschen.

Drittens. Der obengeschilderte Adlige, dessen Ruf- und Familienname jeglichen Ekel erregt, nährt in seiner Seele die böswillige Absicht, mich in meinem eigenen Hause zu verbrennen. Zweifellose Anzeichen hierfür gehen aus folgendem hervor: erstens, dieser bösartige Adlige begann häufig aus seinem Hause herauszukommen, was er früher niemals unternahm wegen seiner Faulheit und üblen Körperfülle; zweitens: in seiner Gesindestube, die unmittelbar an den Zaun stößt, der mein Eigentum umgrenzt, das ich von meinem verstorbenen Vater erhielt, gesegneten Angedenkens, Iwan, Sohn Onisijs, Pererepenko, brennt täglich und in außergewöhnlicher Dauer ein Licht, was schon ein deutlicher Beweis hierfür ist; denn bis dahin ward wegen seines schmutzigen Geizes stets nicht nur das Talglicht, vielmehr sogar das Öllämpchen sogleich wieder ausgelöscht.

Und deshalb bitte ich, diesen Adligen, Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, als schuldig der Brandlegung, der Beleidigung meines Ranges, Namens und Standes und der räuberischen Aneignung meines Eigentums, vor allem aber der niedrigen und anstößigen Hinzufügung der Benennung ›Gänserich‹ zu meinem Familiennamen, zu verurteilen zu einer Bestrafung, zum Ersatz der Schäden und Verluste, ihn selber als Gesetzesübertreter in Fesseln zu legen, ins städtische Gefängnis zu überführen und nach dieser meiner Bittschrift sofort und unverzüglich die Entscheidung herbeizuführen.

Dies schrieb und verfaßte der Adlige, der Mirgoroder Gutsbesitzer Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko.«

Nachdem die Bittschrift verlesen war, näherte sich der Richter Iwan Iwanowitsch, faßte ihn an einem Knopf seines Rockes und begann zu ihm fast in dieser Weise zu sprechen: »Was tun Sie denn da, Iwan Iwanowitsch! Fürchten Sie doch Gott! Werfen Sie doch diese Bittschrift fort. Soll sie der Teufel holen! (Soll ihr Satan im Traum erscheinen!) Nehmen Sie lieber Iwan Nikiphorowitsch bei der Hand und küssen sie einander; kaufen Sie Santuriner oder Nikopolsker oder machen Sie ganz einfach ein Pünschchen und laden Sie mich dazu ein! Wir werden es zusammen austrinken und alles vergessen!«

»Nein, Demian Demianowitsch! Das ist nicht eine solche Sache!« sprach Iwan Iwanowitsch mit jener Wichtigkeit, die ihm stets so gut zu Gesicht stand. »Das ist nicht eine solche Sache, die man auf gütlichem Wege beilegen könnte. Leben Sie wohl! Leben auch Sie wohl, meine Herren!« fuhr er mit ganz der gleichen Gewichtigkeit fort, indem er sich an alle wandte: »Ich hoffe, daß meine Bitte die gewünschte Wirkung haben wird.« Und er ging hinaus und ließ alle Anwesenden in Staunen zurück.

Der Richter saß da und sprach kein Wort. Der Sekretär schnupfte Tabak; ein Kanzleidiener stieß den Boden einer zerbrochenen Flasche, der als Tintenfaß diente, um, und der Richter erweiterte selber in seiner Zerstreutheit mit dem Finger die Tintenpfütze auf dem Tisch.

»Was sagen Sie dazu, Dorophei Trophimowitsch?« sprach der Richter nach einigem Schweigen, indem er sich an seinen Gehilfen wandte.

»Ich sage gar nichts«, antwortete dieser.

»Ach, was kommen doch für Dinge vor!« fuhr der Richter fort. Er hatte aber noch nicht geendigt, als die Tür krachend aufflog und sich die vordere Hälfte von Iwan Nikiphorowitsch in den Gerichtsraum hineinschob, während seine andere Hälfte noch im Vorzimmer geblieben war. Das Erscheinen von Iwan Nikiphorowitsch, und noch dazu vor Gericht, schien etwas so Ungewöhnliches, daß der Richter aufschrie, der Sekretär sein Lesen unterbrach und der eine Kanzleidiener – in einem Friesrock, der einem Halbfrack ähnlich war – die Feder zwischen die Lippen nahm, der andere aber eine Mücke verschluckte. Sogar der Invalide, der den Posten eines Feldjägers und Wächters innehatte und bis dahin in einem schmutzigen Hemde mit Tressen auf der Schulter an der Türe gestanden und sich gekratzt hatte, sogar dieser Invalide sperrte das Maul auf und trat irgend jemand auf den Fuß.

»Welches Schicksal führt Sie hierher? Wie und was? Wie ist Ihre Gesundheit, Iwan Nikiphorowitsch?«

Iwan Nikiphorowitsch stak aber mehr tot als lebendig in der Tür und konnte weder vor noch zurück. Vergeblich schrie der Richter ins Vorzimmer, jemand von den dort Anwesenden möchte Iwan Nikiphorowitsch von hinten her in das Verhandlungszimmer hineinschieben. In dem Vorzimmer befand sich indes nur ein einziges altes Weibchen, das ungeachtet aller Anstrengungen ihrer knochigen Hände nichts ausrichten konnte. Nur einer von den Kanzleidienern mit dicken Lippen, breiten Schultern, einer fleischigen Nase und Augen, die schief und betrunken blickten, mit an den Ellenbogen durchgestoßenen Rockärmeln, näherte sich der vorderen Hälfte von Iwan Nikiphorowitsch, legte ihm beide Arme übers Kreuz, wie einem kleinen Kinde, und winkte dem alten Invaliden, der sich mit seinem Knie gegen den Bauch von Iwan Nikiphorowitsch stemmte, und ungeachtet seines kläglichen Stöhnens ward er ins Vorzimmer zurückgedrängt. Darauf zog man die Riegel heraus und öffnete die zweite Hälfte der Tür, wobei der Kanzleidiener und sein Gehilfe, der Invalide, infolge ihrer gemeinsamen Anstrengungen und Ausatmen ihres Mundes, einen so heftigen Geruch verbreiteten, daß das Verhandlungszimmer sich vorübergehend in eine Schnapsschenke verwandelte.

»Hat man Ihnen nicht wehgetan, Iwan Nikiphorowitsch? Ich will das meinem Mütterchen sagen, sie wird Ihnen einen Aufguß schicken, mit dem reiben Sie sich das Kreuz und den Rücken ein, und alles wird vorübergehen.«

Iwan Nikiphorowitsch hatte sich aber auf einen Stuhl fallen lassen und vermochte gar nichts zu sagen außer fortgesetztem »Och!« und »Ach!« Endlich sprach er mit schwacher, vor Müdigkeit kaum hörbarer Stimme: »Ist es Ihnen gefällig«, und er nahm aus der Tasche sein Tabakshorn und fügte hinzu: »Bedienen Sie sich!«

»Sehr erfreut, Sie zu sehen«, antwortete der Richter. »Ich kann mir nur noch gar nicht vorstellen, was Sie eigentlich veranlaßte, sich der Mühe zu unterziehen und uns durch eine so angenehme Überraschung Ihnen zu verpflichten.«

»Mit einer Bitte …« vermochte nur Iwan Nikiphorowitsch hervorzubringen.

»Mit einer Bitte? Mit was für einer?«

»Mit einer Klage …« (hier erfolgte eine lange Pause zum Atemschöpfen) »... Och! Ach! … mit einer Klage gegen einen Betrüger … Iwan Iwanowitsch Pererepenko.«

»Mein Gott! Auch Sie?! So seltene Freunde! Eine Klage, gegen einen so tugendhaften Menschen?!«

»Der – ist der Satan selber!« brachte Iwan Nikiphorowitsch stockend hervor.

Der Richter bekreuzte sich.

»Nehmen Sie die Bittschrift, lesen Sie.«

»Da ist nichts zu machen, lesen Sie, Taras Tichonowitsch, sprach der Richter, zum Sekretär gewandt, mit verdrießlicher Miene, wobei seine Nase unwillkürlich die Oberlippe roch, was er gewöhnlich doch nur aus großem Vergnügen tat. Eine solche Selbständigkeit der Nase bereitete dem Richter noch mehr Verdruß: er nahm das Taschentuch heraus und strich sich den ganzen Tabak von der Oberlippe ab, um ihre Frechheit zu bestrafen.

Der Sekretär machte seine gewöhnliche Vorbereitung, wie er stets vor dem Beginn des Verlesens zu tun pflegte, das heißt ohne Hilfe des Taschentuchs, und begann mit seiner gewöhnlichen Stimme in folgender Weise:

»Es bittet der Adlige des Mirgoroder Kreises, Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, worum aber, darüber folgen die Punkte:

Erstens. Aus gehässiger Bosheit und offenbarem Übelwollen fügt mir der sich einen Adligen nennende Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, allerlei Schweinereien, Verluste und andere tückische und entsetzenerregende Taten zu, und am gestrigen Tage, am Nachmittag, schlich er sich wie ein Räuber und Dieb mit Beilen, Sägen, Stemmeisen und anderem Schlosserwerkzeug in der Nacht auf meinen Hof, und in meinen dort befindlichen, mir gehörigen Stall und zerhackte ihn eigenhändig und in beleidigender Weise, wozu ich von meiner Seite keinerlei Veranlassung gegeben hatte zu einem so gesetzlosen und räuberischen Vorgehen.

Zweitens. Derselbe Adlige, Pererepenko, bereitet einen Anschlag auf mein Leben vor und, nachdem er bis zum Siebenten des vergangenen Monats diese Absicht geheimgehalten hatte, kam er zu mir und begann bei mir auf freundliche und listige Weise das Gewehr zu erbitten, das sich in meinem Zimmer befindet, und bot mir dafür mit dem ihm eigenen Geize viele untaugliche Dinge an, wie zum Beispiel: ein braunes Schwein und zwei Maß Hafer. Da ich aber schon damals seine verbrecherische Absicht erriet, bestrebte ich mich, ihn auf jede Weise von ihr abzubringen. Dieser Betrüger und Schuft, Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, beschimpfte mich aber auf bäuerische Weise und hegt seit dieser Zeit eine unerbittliche Feindschaft gegen mich. Zudem ist aber dieser häufig erwähnte, tollgewordene Adlige und Räuber, Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, auch noch von äußerst schimpflicher Herkunft: seine Schwester war der ganzen Welt als liederliches Frauenzimmer bekannt, und sie zog der Jägerabteilung nach, die vor fünf Jahren in Mirgorod stand, und ihren Mann ließ sie als Leibeigenen eintragen. Sein Vater und seine Mutter waren gleichfalls die allergesetzlosesten Leute und beide unglaubliche Säufer. Aber der obenerwähnte Adlige und Räuber, Pererepenko, übertraf durch seine viehischen und des Tadelns werten Taten sein ganzes Geschlecht. Und unter dem Schein der Frömmigkeit verübt er die allerverführerischsten Taten: die Fasten hält er nicht ein, denn am Vorabend des Philippstages Philippstag am vierzehnten Dezember, Beginn der Fastenzeit vor Weihnachten. kaufte dieser Ketzer einen Hammel, und am anderen Tag befahl er seiner gesetzlosen Dirne Gapka, ihn zu schlachten, indem er sich herausredete, als hätte er gerade zu dieser Stunde Talg nötig für die Lämpchen und Lichter.

Deshalb bitte ich, diesen Adligen als einen Räuber, Gotteslästerer und Betrüger, der bereits des Diebstahls und des Raubes überführt ward, in Fesseln zu legen und ins Gefängnis oder ins staatliche Zuchthaus überführen zu lassen und dort schon nach dem Ermessen des Gerichts ihn des Ranges und Adels verlustig zu erklären, fest durchzuprügeln und nötigenfalls nach Sibirien ins Zuchthaus zu schicken, die Schäden und Verluste ihm aber zu zahlen zu befehlen und nach dieser meiner Bittschrift die Entscheidung zu treffen.

Diese Bittschrift unterschrieb eigenhändig der Adlige des Mirgoroder Kreises, Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun.«

Als der Sekretär die Verlesung nur eben beendet hatte, griff Iwan Nikiphorowitsch nach seiner Mütze und verneigte sich in der Absicht, davonzugehen.

»Wohin eilen Sie denn nur, Iwan Nikiphorowitsch?« rief ihm der Richter nach. »Bleiben Sie doch ein wenig sitzen! Trinken Sie doch ein Täßchen Tee! Orischka, was stehst du denn da, du dumme Dirne, und machst den Kanzleidienern Augen! Geh und bring Tee!«

Iwan Nikiphorowitsch war aber – voller Schrecken, daß er so weit von Hause gegangen war und eine so gefährliche »Quarantäne« ausgehalten habe, schon aus der Tür hinaus, nachdem er gemurmelt hatte: »Beunruhigen Sie sich nicht, ich werde mit Vergnügen …« und er schloß die Tür hinter sich und ließ alle Anwesenden in Staunen zurück.

Da war gar nichts zu machen. Beide Bittschriften waren angenommen, und die Sache drauf und dran, eine ziemliche Wichtigkeit anzunehmen, als ein nicht vorauszusehender Umstand ihr ein noch größeres Interesse gab. Als nämlich der Richter, in Begleitung seines Gehilfen und seines Sekretärs, das Zimmer verlassen hatte, die Kanzleidiener aber gerade dabei waren, die von den Bittstellern mitgebrachten Hühner, Eier, Brotlaibe, Pasteten, Weißbrote und das übrige Zeug in einen Sack zu legen, lief gerade ein braunes Schwein ins Zimmer und erfaßte zum Staunen aller Anwesenden – nicht die Pasteten oder Brotrinden, vielmehr die Bittschrift von Iwan Nikiphorowitsch, welche so auf dem Tischende lag, daß die Blätter nach unten hingen. Die braune Sau erfaßte das Papier und lief so rasch mit ihm davon, daß kein einziger von den Angestellten sie einholen konnte, ungeachtet dessen, daß sie ihm Lineal und Tintenfässer nachwarfen.

Dieser außergewöhnliche Vorfall erregte eine furchtbare Verwirrung, weil sogar nicht einmal eine Kopie von der Bittschrift angefertigt worden war. Die Richter, das heißt der Sekretär und der Gehilfe, unterhielten sich lange über einen solchen unerhörten Umstand. Endlich entschied man sich dahin, dem Stadtkommandanten hierüber zu schreiben, da ja die Untersuchung über diese Angelegenheit eher die städtische Polizei anging. Der Bericht hierüber unter Nummer 389 ward noch am gleichen Tage abgesandt, und gerade aus diesem Anlaß kam es auch zu einer ziemlich eigenartigen Auseinandersetzung, von der die Leser im folgenden Kapitel erfahren werden.

Fünftes Kapitel
welches von einer Beratung zweier in Mirgorod angesehener Persönlichkeiten handelt.

Kaum hatte Iwan Iwanowitsch nur eben seine Hausangelegenheiten erledigt und war, seiner Gewohnheit nach, hinausgegangen, um sich unter dem Schirmdach niederzulegen, da sah er, zu seinem unsagbaren Erstaunen, etwas Rotes an der Gartenpforte schimmern. Das war der rote Aufschlag des Stadtkommandanten, der, ebenso wie sein Kragen, eine Politur erhalten und sich an den Rändern in lackiertes Leder verwandelt hatte. Iwan Iwanowitsch dachte bei sich: »Das ist gar nicht so übel, daß Peter Fjedorowitsch zum Plaudern gekommen ist«, er wunderte sich aber gar sehr, als er sah, daß der Stadtkommandant außerordentlich rasch ging und die Hände dabei schwenkte, was, seiner Gewohnheit nach, äußerst selten bei ihm vorkam. An der Uniform des Stadtkommandanten waren acht Knöpfe; der neunte war während einer Prozession bei der Einweihung der Kirche vor zwei Jahren abgerissen und bis jetzt noch nicht von den Polizisten aufgefunden worden, obgleich der Stadtkommandant bei den täglichen Rapporten, welche ihm die Bezirksaufseher abstatteten, stets zu fragen pflegte, ob sich der Knopf gefunden habe. Diese acht Knöpfe waren bei ihm so angebracht, wie die Weiber gewöhnlich Bohnen setzen: einer rechts, der andere links. Sein linker Fuß war im letzten Feldzug durchschossen worden, und deshalb hinkte der Stadtkommandant und setzte ihn so weit auf die Seite, daß er hierdurch fast die ganze Arbeit des rechten Beines zunichte machte. Je eiliger der Stadtkommandant mit seinem »Fußvolk« handelte, um so langsamer rückte es vor, und deshalb hatte Iwan Iwanowitsch, bis der Kommandant zum Schirmdach herangekommen war, Zeit genug, sich in Vermutungen zu ergehen, weshalb denn der Kommandant so rasch mit den Händen in der Luft herumfahre. Dies beschäftigte ihn um so mehr, als die Sache von außergewöhnlicher Wichtigkeit schien. Denn der Stadtkommandant trug sogar einen neuen Degen.

»Guten Tag, Peter Fjedorowitsch«, rief Iwan Iwanowitsch, der – wie schon berichtet worden – große Neugierde besaß und seine Ungeduld kaum zu bändigen vermochte, als er sah, wie der Stadtkommandant die Eingangstreppe im Sturme nahm, aber immer noch nicht seine Augen erhob und sich mit seinem »Fußvolk« herumstritt, das auf keine Weise mit einem Schwung eine Stufe zu nehmen vermochte.

»Guten Tag wünsche ich meinem lieben Freunde und Wohltäter, Iwan Iwanowitsch!« antwortete der Stadtkommandant.

»Ich bitte freundlichst, Platz zu nehmen! Wie ich sehe, sind Sie ermüdet, weil Sie Ihr verwundetes Bein behindert …«

»Mein Bein!« rief der Stadtkommandant, wobei er auf Iwan Iwanowitsch einen von jenen Blicken warf, mit dem ein Riese eine Pygmäe anschaut, oder ein gelehrter Pedant einen Tanzlehrer. Hierbei streckte er sein Bein aus und schlug mit ihm auf den Boden auf. Diese Tapferkeit kam ihm indes teuer zu stehen. Denn sein ganzer Körper geriet ins Schwanken, und seine Nase berührte den Zaun. Der weise Hüter der Ordnung setzte sich aber sogleich wieder zurecht, und um keinerlei Anschein zu geben, fuhr er in die Tasche, als wolle er seine Tabaksdose herausnehmen. – »Ich kann Ihnen von mir, liebster Freund und Wohltäter, Iwan Iwanowitsch, versichern, daß ich in meinem Leben ganz andere Feldzüge mitgemacht habe. Ja, im Ernste, ich habe schon was durchgemacht. Zum Beispiel während des Feldzugs von 1807 … ach! Ich will Ihnen erzählen, auf welche Weise ich über den Zaun kletterte – zu einer hübschen Deutschen.« Hierbei kniff der Stadtkommandant das eine Auge zu und lächelte ganz teuflisch listig.

»Wo waren Sie denn heute?« frug Iwan Iwanowitsch, da er den Stadtkommandanten zu unterbrechen wünschte, um ihn möglichst rasch auf die Ursache seines Besuches hinzuleiten. Es verlangte ihn gar sehr danach, einfach zu fragen, was denn der Stadtkommandant ihm zu eröffnen beabsichtige. Indes ließ ihn seine feine weltmännische Bildung die ganze Ungebührlichkeit einer solchen Frage verstehen, und Iwan Iwanowitsch mußte sich zusammennehmen und die Lösung abwarten, während sein Herz mit außergewöhnlicher Stärke schlug.

»Erlauben Sie nur, ich will Ihnen erzählen, wo ich heute war«, antwortete der Stadtkommandant. »Zunächst gestatte ich mir, Ihnen kundzugeben, daß heute prachtvolles Wetter ist …«

Bei diesen Worten wären Iwan Iwanowitsch fast die Sinne geschwunden.

»Erlauben Sie,« fuhr der Stadtkommandant fort, »ich bin heute in einer wichtigen Angelegenheit zu Ihnen gekommen.« Hier nahm das Gesicht und die Haltung des Stadtkommandanten ganz denselben bekümmerten Ausdruck an, mit dem er die Eingangstreppe genommen hatte. Iwan Iwanowitsch belebte sich und zitterte wie im Fieber. Er zögerte nicht, seiner Gewohnheit nach, sogleich zu fragen: »Wie? Ist sie denn wichtig? Ist sie wirklich wichtig?«

»Geruhen Sie, selber zu sehen: zunächst erkühne ich mich, Ihnen, lieber Freund und Wohltäter, Iwan Iwanowitsch, mitzuteilen, daß Sie … meinerseits habe ich, erlauben Sie, zu sehen, nichts einzuwenden, aber die Anschauung der Regierung, die Anschauung der Regierung: Sie haben die Ordnung der Wohlanständigkeit übertreten!«

»Was sprechen Sie denn da, Peter Fjedorowitsch? Ich verstehe gar nichts!«

»Erlauben Sie einmal, Iwan Iwanowitsch! Wie? Verstehen Sie denn gar nichts? Ihr eigenes Vieh stahl ein sehr wichtiges Staatspapier, und Sie sagen noch, Sie verständen nichts?!«

»Was für ein Vieh?«

»Mit Verlaub zu sagen, Ihr eigenes braunes Schwein.«

»Worin besteht denn meine Schuld? Weshalb läßt der Gerichtswächter die Tür offen?«

»Gleichwohl, Iwan Iwanowitsch, gehört das Vieh Ihnen: demnach tragen Sie die Schuld.«

»Ich danke Ihnen gehorsamst dafür, daß Sie mich meinem Schweine gleichsetzen.«

»Das habe ich aber gar nicht getan, Iwan Iwanowitsch! Bei Gott, das habe ich nicht getan. Geruhen Sie nach reinem Gewissen zu überlegen. Zweifellos ist es Ihnen bekannt, daß es, entsprechend der Anschauung der Regierung, unreinen Tieren verboten ist, in der Stadt, um so mehr in den Hauptstraßen, herumzuspazieren. Gestehen Sie selber, daß das verboten ist.«

»Gott weiß, was Sie da sprechen! Eine große Wichtigkeit, daß ein Schwein auf die Straße lief!«

»Erlauben Sie, Ihnen zu bemerken, erlauben Sie, erlauben Sie, Iwan Iwanowitsch, das ist völlig unmöglich. Was soll man denn tun? Die Regierung wünscht – wir müssen gehorchen. Ich streite nicht darüber, es laufen bisweilen Hühner und Gänse auf die Straße und sogar auf den Platz: bemerken Sie wohl: Hühner und Gänse. Schweine aber und Ziegen auf öffentliche Plätze zu lassen, habe ich noch im vorigen Jahre verboten. Und ich befahl damals, diese meine Verordnung vor dem ganzen Volke laut zu verlesen.«

»Nein, Peter Fjedorowitsch, ich sehe hier gar nichts anderes, als daß Sie sich auf jede Weise bemühen, mich zu beleidigen.«

»Gerade Sie können das gar nicht sagen, liebster Freund und Wohltäter, daß ich mich bemühe, Sie zu beleidigen. Entsinnen Sie sich doch nur: ich sagte Ihnen kein einziges Wort, als Sie im vorigen Jahre Ihr Dach um einen ganzen Arschin höher bauten, als das erlaubt ist. Im Gegenteil, ich gab mir den Anschein, als habe ich dies gar nicht bemerkt. Glauben Sie mir, liebster Freund, auch jetzt würde ich durchaus, sozusagen … es ist aber meine Pflicht, mit einem Wort, ich bin verpflichtet, auf Sauberkeit zu achten. Beurteilen Sie selber: wenn plötzlich auf der Hauptstraße …«

»Bleiben Sie mir nur mit Ihrer Hauptstraße! Jedes Weib wirft auf sie alles hinaus, was es nicht mehr nötig hat.«

»Erlauben Sie, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, daß Sie selber mich beleidigen! Es ist wahr, das kommt bisweilen vor, aber größtenteils doch nur nahe beim Zaun, bei den Scheunen oder Vorratshäusern. Daß sich aber auf die Hauptstraße, auf den Platz, eine trächtige Sau eindrängt, das ist eine solche Sache …«

»Was ist denn dabei, Peter Fjedorowitsch! Ein Schwein ist doch auch – ein Geschöpf Gottes!«

»Einverstanden. Der ganzen Welt ist es bekannt, daß Sie ein gelehrter Mann sind. Sie kennen die Wissenschaften und die übrigen mannigfaltigen Gegenstände. Ich habe natürlich keinerlei Wissenschaften gelernt. Das Schreiben begann ich erst im dreißigsten Lebensjahre zu erlernen. Ich war ja, wie Ihnen bekannt ist, gemeiner Soldat.«

»Hm!« sprach Iwan Iwanowitsch.

»Ja«, fuhr der Stadtkommandant fort. »Im Jahre 1801 stand ich im zweiundvierzigsten Jägerregiment in der vierten Abteilung als Leutnant, der Abteilungschef war, wenn Sie zu wissen geruhen, der Kapitän Jeremejeff.«

Hierbei ließ der Kommandant seine Finger in die Tabaksdose gleiten, die ihm Iwan Iwanowitsch hinhielt, und machte sich eine Prise zurecht.

Iwan Iwanowitsch antwortete: »Hm!«

»Meine Pflicht ist es aber,« fuhr der Stadtkommandant fort, »den Forderungen der Regierung zu gehorchen. Wissen Sie denn, Iwan Iwanowitsch, daß, wer im Gericht ein Staatspapier stiehlt, gleich allen anderen Verbrechern dem Strafgericht verfällt?«

»Ich weiß das so gut, daß, wenn Sie es wünschen, ich auch Sie noch belehren kann. Das gilt aber nur von Menschen, zum Beispiel: wenn Sie das Papier gestohlen hätten; ein Schwein aber ist ein Tier, ein Geschöpf Gottes.«

»Das ist richtig, das Gesetz spricht indes: ›Wer schuldig ist des Diebstahls …‹ Ich bitte Sie, aufmerksamer zuzuhören: ›Wer schuldig ist‹! Hier wird weder die Familie noch das Geschlecht noch der Stand bezeichnet; demnach kann auch ein Tier schuldig sein, das ist einleuchtend! Bevor man aber das Strafurteil fällt, muß das Tier auf die Polizei gebracht werden – als Störer der öffentlichen Ordnung.«

»Nein, Peter Fjedorowitsch!« entgegnete kaltblütig Iwan Iwanowitsch. »Das wird nicht geschehen!«

»Wie Sie wünschen, ich muß nur den Vorschriften der Regierung folgen!«

»Was wollen Sie mich denn da einschüchtern?! Wahrscheinlich wollen Sie den Soldaten ohne Arm nach dem Schwein schicken! Ich werde meiner Dienstmagd befehlen, ihn mit dem Schürhaken davonzujagen. Man wird ihm auch noch den letzten Arm brechen.«

»Ich wage nicht, mit Ihnen zu streiten, in solchem Fall, wenn Sie das Schwein nicht auf die Polizei zu bringen wünschen, machen Sie mit ihm, was Sie wollen. Stechen Sie es zu Weihnachten ab, wenn Sie es wünschen, und machen Sie Schinken daraus, oder essen Sie es so. Ich möchte Sie nur bitten, wenn Sie Würste machen, so schicken Sie mir ein paar von denen, die bei Ihnen Gapka so kunstvoll aus Blut und Speck zubereitet. Meine Agraphena Trophimowna liebt sie gar sehr.«

»Ein paar Würste will ich Ihnen schon schicken.«

»Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, lieber Freund und Wohltäter, nunmehr erlauben Sie mir, Ihnen ein Wort zu sagen. Ich bin beauftragt, sowohl vom Richter wie auch von allen unseren Bekannten, Sie, sozusagen, mit Ihrem Freund Iwan Nikiphorowitsch auszusöhnen.«

»Wie? Mit dem Flegel? Ich sollte mich mit diesem Grobian versöhnen? Niemals! Das wird nicht sein! Niemals!« Iwan Iwanowitsch nahm eine außerordentlich entschlossene Haltung an.

»Wie Sie wollen!« antwortete der Stadtkommandant, indem er beide Nasenlöcher mit Tabak bewirtete. »Ich wage nicht, Ihnen einen Rat zu geben; gleichwohl erlauben Sie, zu bemerken: Sie sind ja jetzt miteinander verzankt, so versöhnen Sie sich doch …«

Iwan Iwanowitsch begann aber vom Feldhuhnfang zu sprechen, was er gewöhnlich tat, wenn er ein Gespräch abbrechen wollte.

So mußte denn der Stadtkommandant, ohne irgend etwas erreicht zu haben, sich nach Hause begeben.

Sechstes Kapitel
aus dem der Leser leicht alles erfahren kann, was in ihm enthalten ist.

Wie sehr man sich auch auf dem Gerichte bemühte, die Sache zu verheimlichen, schon am nächsten Tag erfuhr ganz Mirgorod, daß das Schwein des Iwan Iwanowitsch die Bittschrift des Iwan Nikiphorowitsch weggeschleppt habe. Der Stadtkommandant selber hatte sich zuerst vergessen und alles ausgeschwatzt. Als man Iwan Nikiphorowitsch hiervon berichtete, sagte er gar nichts, sondern fragte nur: »War das Schwein nicht etwa braun?«

Agaphja Fedosejewna aber, die gerade anwesend war, begann wiederum, Iwan Nikiphorowitsch zuzusetzen: »Wie denn, Iwan Nikiphorowitsch? Man wird über dich lachen wie über einen Dummkopf, wenn du das hingehen läßt! Was wirst du dann für ein Adliger sein! Du wirst schlechter sein wie das Weib, welches die Plätzchen verkauft, die du so liebst.« Und es beschwatzte ihn das unermüdliche Weib! Irgendwo trieb sie ein schwarzbraunes Männchen auf, von mittleren Jahren, mit Flecken auf dem ganzen Gesicht, in einem dunkelblauen, an den Ellenbogen geflickten Überrock, ein leibhaftiges Bureautintenfaß. Die Stiefel schmierte er sich mit Teer ein, hinter jedem Ohr trug er drei Federn und an dem Knopf seines Rockes angebunden ein kleines Fläschchen statt eines Tintenfasses; er pflegte auf einem Sitz neun Pasteten zu essen und die zehnte in die Tasche zu stecken, und auf einen einzigen Bogen Stempelpapier vermochte er soviel Bosheiten aller Art zusammenzuschreiben, daß es niemand auf einmal durchlesen konnte, ohne dabei durch Husten und Niesen unterbrochen zu werden. Dieses winzige Abbild eines Menschen wühlte, kritzelte, strengte sich an und brachte endlich folgendes Schreiben zusammen:

 

»An das Mirgoroder Kreisgericht von dem Adligen Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun.

Wegen jener meiner Bittschrift, die von mir, dem Adligen Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, eingereicht ward. Hierbei offenbarte auch das Mirgoroder Kreisgericht selber sein Einverständnis mit dem Adligen, Iwans Sohn, Pererepenko. Auch wegen jener frechen Eigenmächtigkeit des braunen Schweins, die geheimgehalten wurde und erst durch andere Personen uns zu Ohren kam. Dieses Geschehenlassen und Miteinverständnis unterliegt ebenso wie die Boshaftigkeit ungesäumt dem Gericht: denn dieses Schwein ist ein dummes Vieh und um so mehr geeignet zum Wegschleppen eines Papiers. Hieraus geht augenscheinlich hervor, daß das häufig erwähnte Schwein von niemandem anders dazu angeleitet worden war als von dem Gegner selber: dem sich einen Adligen nennenden Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, der schon des Raubs, des Anschlags auf das Leben und der Gotteslästerung überführt wurde. Jenes Mirgoroder Gericht legte mit der ihm eigenen Parteilichkeit das heimliche Einverständnis seiner Person an den Tag. Ohne dieses Einverständnis hätte dieses Schwein auf keine Weise zum Diebstahl des Papieres zugelassen werden können. Denn das Mirgoroder Kreisgericht ist durchaus mit Bediensteten versehen; hierzu genügt es schon, den einen Soldaten zu nennen, der sich jederzeit in dem Empfangsraum aufhält und, obgleich er ein schielendes Auge hat und einen etwas beschädigten Arm, gleichwohl entsprechende Fähigkeiten besitzt, um ein Schwein hinauszujagen und es mit einem Stock zu hauen. Hieraus ist das Einverständnis dieses Mirgoroder Gerichtes glaubwürdig zu ersehen und zweifellos auch die Teilung des jüdischen Profits davon, nach gegenseitiger Abmachung. Aber dieser oben erwähnte Räuber und Adlige, Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, stak bei dieser Schelmerei unter einer Decke mit ihnen. Deshalb erkläre ich, der Adlige, Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, diesem Kreisgericht zur geziemenden Kenntnisnahme: wenn von diesem braunen Schwein oder dem mit ihm in Einverständnis stehenden Adligen Pererepenko die erwähnte Bittschrift nicht beigetrieben wird und ihr entsprechend die Entscheidung der Gerechtigkeit nach und zu meinen Gunsten nicht erfolgt, so werde ich, der Adlige Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun, über ein solches ungesetzliches Verhalten dieses Gerichtes unter Überführung dieser Angelegenheit in entsprechender Form eine Klage an das Obergericht einreichen.

Der Adlige des Mirgoroder Kreises,
Iwan, Nikiphors Sohn, Dowgotschchun.«

 

Diese Bittschrift erzielte ihre Wirkung. Der Richter war, wie gewöhnlich gute Menschen zu sein pflegen, von furchtsamem Charakter. Er wandte sich an den Sekretär. Der aber stieß ein dumpfes »Hm!« durch die Lippen hervor und zeigte auf seinem Gesicht jene gleichmütige und teuflisch zweideutige Miene, welche einzig und allein der Satan anzunehmen pflegt, wenn er ein Opfer zu seinen Füßen sieht, das zu ihm hingelaufen kam. Es blieb nur ein Mittel: die beiden Freunde zu versöhnen. Wie sollte man das aber anfangen, da ja bis dahin alle Bemühungen umsonst waren? Gleichwohl beschloß man, noch einmal den Versuch zu machen; Iwan Iwanowitsch erklärte indes gerade heraus, er wünsche das nicht, und er geriet sogar in großen Zorn. Iwan Nikiphorowitsch zeigte statt jeder Antwort einfach den Rücken und sagte kein einziges Wort. Da nahm denn der Prozeß seinen Verlauf mit jener ungewöhnlichen Schnelligkeit, deren sich gewöhnlich die Gerichte rühmen. Das Papier wurde vermerkt, eingetragen, mit einer Nummer versehen, eingenäht, unterschrieben, alles an einem und demselben Tag, und dann legte man es in den Schrank, wo es lag und lag und lag: ein Jahr, ein zweites, ein drittes. Viele Mädchen fanden inzwischen Zeit, sich zu verheiraten; in Mirgorod baute man eine neue Straße; dem Richter fielen ein Backzahn und zwei Seitenzähne aus; bei Iwan Iwanowitsch liefen noch mehr Kinder auf dem Hofe herum als vordem (woher sie kamen, weiß Gott allein); Iwan Nikiphorowitsch baute Iwan Iwanowitsch zum Trotz einen neuen Gänsestall, wenn auch ein wenig weiter vom Zaune entfernt als der frühere, und verbaute sich vollkommen vor Iwan Iwanowitsch, so daß diese würdigen Leute fast niemals einander von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekamen; und diese Angelegenheit lag immer noch in der allerbesten Ordnung im Schranke, der ganz marmoriert geworden war von vielen Tintenflecken. Währenddessen ereignete sich ein für ganz Mirgorod außerordentlich wichtiges Begebnis. Der Stadtkommandant gab eine Gesellschaft. Wo nehme ich Pinsel und Farben her, um die Mannigfaltigkeit der Anfahrt und das herrliche Gastmahl zu schildern! Nehmt eine Uhr, öffnet sie und schaut, was dort vor sich geht! Nicht wahr, ein furchtbares Durcheinander? Stellen Sie sich nunmehr vor, daß ganz ebenso viele, wenn nicht noch mehr Räder auf dem Hofe des Stadtkommandanten standen. Wieviel Kaleschen und Fuhren gab es dort! Die eine – hinten breit und vorne schmal – die andere hinten schmal und vorne breit. Die eine war zugleich eine Kalesche und eine Fuhre, die andere weder eine Kalesche noch eine Fuhre. Die eine glich einem gewaltigen Heuhaufen oder einer dicken Kaufmannsfrau, die andere einem zerzausten Juden oder einem Skelett, das noch nicht völlig von Haut entblößt ward. Die eine sah im Profil ganz so aus wie eine Rauchpfeife mit Pfeifenkopf; die andere sah gar nichts ähnlich, stellte vielmehr ein ganz seltsames Wesen vor, völlig formlos und außerordentlich phantastisch. Aus der Mitte dieses Chaos von Rädern und Kutschböcken ragte etwas hervor in der Art eines Landauers mit einem Zimmerfenster, das ein dickes Fensterkreuz hatte. Die Kutscher in kurzen und langen Röcken, in Lammfellmützen und verschiedenartiger Kopfbedeckung führten, die Pfeife in der Hand, die ausgespannten Pferde im Hofe umher. Was für eine Gesellschaft gab der Stadtkommandant! Ich will alle aufzählen, die dort waren: Taras Tarassowitsch, Ewpl Akinphowitsch, Ewtichij Ewtichijewitsch, Iwan Iwanowitsch – nicht jener Iwan Iwanowitsch, vielmehr ein anderer, Sawa Gawrilowitsch, unser Iwan Iwanowitsch, Elewpherij Elewpheriewitsch, Makar Nasariewitsch, Phoma Grigoriewitsch … Ich kann nicht weiter, die Kraft verläßt mich! Die Hand ermüdet. Aber wieviel Damen gab es! Brünetten und Blondinen, lange und kurze, so dicke wie Iwan Nikiphorowitsch und so schlanke, daß man sie, schien es, in der Säbelscheide des Kommandanten hätte verstecken können. Wieviel Häubchen, was für Kleider! Rote, gelbe, kaffeefarbene, grüne, blaue, neue, umgewendete, umgearbeitete! Tücher, Bänder, Ridiküle! Lebt wohl, meine armen Augen! Ihr werdet zu nichts mehr taugen nach solchem Anblick! Und Was war da für ein langer Tisch ausgezogen! Und wie sprachen alle durcheinander! Was machten sie für einen Lärm! Was ist eine Mühle dagegen mit allen ihren Mühlsteinen, Rädern und Stampfen! Ich kann Ihnen nicht genau erzählen, worüber sie sprachen. Man muß aber annehmen, daß es sich um viele angenehme und nützliche Dinge handelte, wie zum Beispiel: über das Wetter, über Hunde, über den Weizen, über Häubchen, über Pferde. Endlich sprach Iwan Iwanowitsch, nicht jener Iwan Iwanowitsch, vielmehr ein anderer, der auf einem Auge schielte: »Es kommt mir seltsam vor, daß mein rechtes Auge« (der schieläugige Iwan Iwanowitsch pflegte immer ironisch von sich zu sprechen) »nicht Iwan Nikiphorowitsch sieht, den Herrn Dowgotschchun!«

»Er wollte nicht kommen!« sprach der Kommandant.

»Wie denn das?«

»Es sind schon, Gott sei gedankt, zwei Jahre her, daß sie sich verzankten, das heißt Iwan Iwanowitsch mit Iwan Nikiphorowitsch, und wo der eine ist, dahin wird der andere auf keinen Fall kommen!«

»Was sagen Sie da!« Hierbei erhob der schieläugige Iwan Iwanowitsch seine Augen und faltete die Hände. »Wie denn, wenn schon Leute mit geraden Augen nicht im Frieden miteinander leben, wie soll ich denn im Frieden leben mit meinem schiefen Auge!« Auf diese Worte lachten alle aus vollem Halse. Der schieläugige Iwan Iwanowitsch war deshalb allgemein beliebt, weil die Scherze, die er loszulassen pflegte, durchaus im jetzigen Geschmacke waren. Da war ein hochgewachsener, hagerer Mann in einem Flauschrock, mit einem Pflaster auf der Nase, der bis dahin in einer Ecke gesessen und kein einziges Mal sein Gesicht bewegt hatte, nicht einmal, als sich eine Fliege ihm auf die Nase gesetzt hatte – dieser selbe Herr erhob sich von seinem Sitz und näherte sich der Menge, die den schieläugigen Iwan Iwanowitsch umgab. »Hören Sie!« sprach der schieläugige Iwan Iwanowitsch, als er sah, daß ihn ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft umgab. »Hören Sie: statt daß Sie jetzt auf mein schielendes Auge hinschauen, lassen Sie uns lieber unsere Freunde versöhnen. Soeben unterhält sich Iwan Iwanowitsch mit den Frauen und Mädchen – lassen Sie uns in aller Stille nach Iwan Nikiphorowitsch schicken, und stoßen wir sie aufeinander!«

Alle nahmen einmütig den Vorschlag des Iwan Iwanowitsch an und beschlossen, unverzüglich zu Iwan Nikiphorowitsch zu schicken, um ihn zu bitten, auf jeden Fall zum Stadtkommandanten zum Essen zu kommen. Indes brachte die wichtige Frage, wem man denn diesen wichtigen Auftrag geben sollte, alle in Ratlosigkeit. Lange stritt man, wer am geeignetsten und kunstvollsten in diplomatischen Dingen sei; endlich beschloß man einstimmig, Anton Prokophiewitsch Golopus mit dem allem zu beauftragen.

Zunächst muß man den Leser ein wenig mit diesem bemerkenswerten Menschen bekanntmachen. Anton Prokophiewitsch war durchaus tugendhaft in der vollen Bedeutung dieses Wortes: gibt ihm jemand von den angesehenen Leuten in Mirgorod ein Halstuch oder Unterwäsche – so dankt er; kriegt er eins leicht auf die Nase – so bedankt er sich gleichfalls. Fragt man ihn: »Weshalb, Anton Prokophiewitsch, ist Ihr Rock braun, die Ärmel aber blau?«, so pflegt er gewöhnlich zu antworten: »Sie aber haben nicht einmal einen solchen Rock. Warten Sie, er wird sich schon austragen und dann ganz von gleicher Farbe sein.« Und in der Tat, das blaue Tuch begann sich unter der Einwirkung der Sonne in braunes zu verwandeln und paßte nunmehr vollkommen zur Farbe des Rockes. Das ist aber das Seltsame, daß Anton Prokophiewitsch die Gewohnheit hat, seinen Tuchrock im Sommer zu tragen, seinen Leinwandrock dagegen – im Winter. Anton Prokophiewitsch besitzt kein eigenes Haus. Früher hatte er eins, er verkaufte es aber und schaffte sich für das erhaltene Geld ein Dreigespann brauner Pferde an und einen kleinen Wagen, mit dem er zu den Gutsbesitzern zu Besuch zu fahren pflegte. Da es aber mit den Pferden viel zu tun gab, und außerdem Geld nötig war zum Hafer, so vertauschte sie Anton Prokophiewitsch gegen eine Geige und eine Hofleibeigene, wobei er außerdem noch einen Fünfundzwanzig-Rubel-Schein erhielt. Darauf verkaufte Anton Prokophiewitsch die Geige und vertauschte das Mädchen gegen einen Tabaksbeutel aus Saffianleder mit Gold, und jetzt besitzt er einen solchen Tabaksbeutel wie niemand auf der ganzen Welt. Für dieses Vergnügen kann er aber schon nicht mehr auf den Gutshöfen umherfahren. Er muß vielmehr in der Stadt bleiben und in verschiedenen Häusern übernachten, besonders bei solchen Adligen, die ein Vergnügen daran finden, ihn auf die Nase zu knipsen. Anton Prokophiewitsch liebt gut zu essen und spielt leidlich Dummkopf und Mühle. Gehorchen war immer seine Leidenschaft. Deshalb nahm er Stock und Hut und machte sich sogleich auf den Weg.

Unterwegs begann er zu überlegen, auf welche Weise er Iwan Nikiphorowitsch veranlassen könnte, in die Gesellschaft zu kommen. Der ein wenig hartnäckige Charakter dieses im übrigen würdigen Menschen machte sein Unternehmen fast unmöglich. Ja, und in der Tat! Wie sollte er sich denn entschließen, zu kommen, da es ihm schon eine solche Mühe bereitete, sich auch nur vom Bett zu erheben? Aber nehmen wir selbst an, er werde aufstehen, wie soll er denn hierherkommen, wo sich – und das weiß er zweifellos – sein unversöhnlicher Feind befindet? Je mehr Anton Prokophiewitsch nachdachte, um so mehr Hindernisse fand er. Es war ein schwüler Tag; die Sonne brannte, der Schweiß floß ihm in Strömen herab. Ungeachtet dessen, daß Anton Prokophiewitsch häufig auf die Nase bekam, war er in Hinsicht auf mancherlei Angelegenheiten ein ziemlich schlauer Mensch. Nur im Tauschhandel war er nicht gerade glücklich. Er wußte sehr wohl, wo man sich als Narr geben mußte, und er verstand es auch bisweilen, sich in solchen Verhältnissen und bei solchen Gelegenheiten zurechtzufinden, wo sogar ein gescheiter Mensch selten imstande wäre, sich aus der Klemme zu ziehen.

Während sein erfinderischer Geist ein Mittel ausdachte, wie er Iwan Nikiphorowitsch zu überzeugen vermöchte, und er schon mutig allem entgegenging, setzte ihn ein unerwartetes Ereignis ein wenig in Verwirrung. Es ist vielleicht am Platze, dem Leser mitzuteilen, daß Anton Prokophiewitsch unter anderem ein Paar Hosen besaß, welchen die seltsame Eigenschaft anhaftete, daß ihn stets die Hunde in die Waden bissen, wenn er sie anzog. Zum Unglück hatte er gerade an diesem Tage diese Hosen an. Und als er sich deshalb nur eben seinen Erwägungen hingegeben hatte, drang von allen Seiten ein furchtbares Bellen an sein Ohr. Anton Prokophiewitsch fing derart zu schreien an (lauter als er vermochte schon niemand zu brüllen), daß nicht nur das uns bereits bekannte alte Weib und der Bewohner des unermeßlichen Rockes ihm entgegenliefen, vielmehr sogar die Buben vom Hofe des Iwan Iwanowitsch zu ihm hinstürmten. Obgleich die Hunde ihn nur in sein eines Bein zu beißen vermocht hatten, verminderte dies gleichwohl gar sehr seinen Mut, und mit einer gewissen Schüchternheit betrat er die Vortreppe.

Siebentes Kapitel
zugleich das letzte.

»Ah! Guten Tag! Was necken Sie meine Hunde?« sprach Iwan Nikiphorowitsch, als er Anton Prokophiewitsch erblickte. Denn mit dem sprach niemand anders als im Scherz.

»Möchten sie alle krepieren! Wer neckt sie denn?« antwortete Anton Prokophiewitsch. Dann aber trug er beherzt und wortreich die Einladung vor.

»Sie lügen!«

»Bei Gott, nein! Iwan Fjedorowitsch bat Sie, zum Mittagessen zu kommen!«

»Hm!«

»Bei Gott! Er bat so dringend, wie ich es gar nicht auszudrücken vermag: ›Weshalb,‹ spricht er, ›hält sich denn Iwan Nikiphorowitsch von mir fern, als ob ich sein Feind wäre; niemals kommt er zu mir, um zu plaudern oder ein wenig bei mir zu bleiben.‹«

Iwan Nikiphorowitsch strich sich über das Kinn.

»›Wenn,‹ so spricht er, ›Iwan Nikiphorowitsch auch jetzt nicht kommen wird, so weiß ich wirklich nicht, was ich davon halten soll. Sicherlich hat er da irgendeinen Hintergedanken! Seien Sie so gut, Anton Prokophiewitsch, und überreden Sie Iwan Nikiphorowitsch!‹ Wie denn, Iwan Nikiphorowitsch, lassen Sie uns gehen! Dort ist jetzt eine vortreffliche Gesellschaft beisammen!«

Iwan Nikiphorowitsch begann einen Hahn zu betrachten, der auf der Vortreppe stand und aus voller Kraft krähte.

»Wenn Sie wüßten, Iwan Nikiphorowitsch,« fuhr der eifrige Abgesandte fort, »was für einen Stör, was für frischen Kaviar man Peter Fjedorowitsch schickte!«

Bei diesen Worten drehte sich Iwan Nikiphorowitsch wieder um und begann aufmerksam zuzuhören.

Das gab dem Abgesandten Mut: »Lassen Sie uns rasch gehen, dort ist auch Foma Grigoriewitsch! Was ist Ihnen?« fügte er hinzu, als er sah, daß Iwan Nikiphorowitsch immer noch in der gleichen Lage verharrte. »Wie denn, werden wir gehen oder nicht?«

»Ich will nicht!«

Dieses »Ich will nicht« erschütterte Anton Prokophiewitsch: er hatte schon geglaubt, seine überzeugende Vorstellung habe diesen im übrigen würdigen Menschen völlig geneigt gemacht; statt dessen aber hörte er nur ein entschlossenes: »Ich will nicht!«

»Weshalb wollen Sie denn nicht?« fragte er fast mit Verdruß, der bei ihm außerordentlich selten zum Vorschein kam, selbst dann, wenn man ihm ein brennendes Papier auf den Kopf legte, womit sich besonders der Richter und der Stadtkommandant zu unterhalten pflegten.

Iwan Nikiphorowitsch nahm eine Prise.

»Das ist Ihr Wille, Iwan Nikiphorowitsch, nur weiß ich nicht, was Sie zurückhält.«

»Weshalb ich nicht gehe?« sprach endlich Iwan Nikiphorowitsch. »Dort wird jener Räuber sein!« So nannte er gewöhnlich Iwan Iwanowitsch … Gerechter Gott! Und das lange schon …

»Bei Gott, er wird nicht da sein! So wahr, wie Gott heilig ist, er wird nicht da sein! Möge mich gleich hier, wo ich stehe, der Blitz treffen«, antwortete Anton Prokophiewitsch, der stets bereit war, zehnmal in einer Stunde zu schwören. »Lassen Sie uns also gehen, Iwan Nikiphorowitsch.«

»Sie lügen, Anton Prokophiewitsch! Er ist dort!«

»Bei Gott, bei Gott, nein! Möge ich mich nicht von der Stelle bewegen können, wenn er dort ist! Ja, und urteilen Sie selber: aus welchem Anlaß sollte ich denn lügen? Mögen mir Hände und Füße dürr werden! … Wie, Sie glauben mir immer noch nicht? Möge ich hier vor Ihren Augen verrecken! Möge weder mein Vater noch meine Mutter noch ich selber das himmlische Reich erschauen! Glauben Sie mir noch immer nicht?«

Iwan Nikiphorowitsch beruhigte sich völlig bei diesen Versicherungen und befahl seinem Kammerdiener im grenzenlosen Rock, ihm seine Pluderhosen zu bringen und seinen Leinwandrock.

Ich denke, es ist völlig überflüssig, zu beschreiben, auf welche Weise Iwan Nikiphorowitsch seine Pluderhosen anzog, wie man ihm das Halstuch schlang und endlich den Rock anzog, der unter dem linken Ärmel platzte. Genug, daß er diese ganze Zeit über eine würdige Ruhe bewahrte und mit keinem Wort auf den Vorschlag des Anton Prokophiewitsch antwortete, irgend etwas gegen seinen türkischen Tabaksbeutel zum Tausch zu geben.

Währenddessen erwartete die Gesellschaft mit Ungeduld den entscheidenden Augenblick, wann Iwan Nikiphorowitsch auf der Bildfläche erscheinen und sich endlich der allgemeine Wunsch erfüllen würde, daß diese würdigen Leute sich miteinander versöhnten. Viele waren fest überzeugt, Iwan Nikiphorowitsch werde nicht kommen. Der Stadtkommandant hatte sogar mit dem schieläugigen Iwan Iwanowitsch gewettet; die Wette kam aber nicht zustande, weil dieser verlangte, jener möchte sein zerschossenes Bein einsetzen, er aber sein schielendes Auge. Hierüber hatte sich der Stadtkommandant sehr erzürnt, die Gesellschaft aber im stillen gelacht. Noch niemand hatte sich zu Tisch gesetzt, obgleich längst schon die zweite Stunde geschlagen hatte und man in Mirgorod sogar bei Paradediners zu dieser Zeit längst schon zu essen pflegte. Kaum war nur eben Anton Prokophiewitsch in der Tür erschienen, als ihn augenblicklich alle umringten. Anton Prokophiewitsch antwortete auf alle ihre Fragen mit dem einen entschiedenen Worte: »Er wird nicht kommen!« Kaum hatte er das gesagt – und schon wollte ein ganzer Hagel von Verwünschungen, Schimpfworten und vielleicht sogar Kopfnüssen auf sein Haupt niederprasseln wegen des Mißerfolgs seiner Sendung, als sich plötzlich die Tür öffnete – und Iwan Nikiphorowitsch eintrat.

Hätte sich der Teufel selber gezeigt oder ein Toter, sie würden nicht solches Staunen in der ganzen Gesellschaft erregt haben wie die unerwartete Ankunft von Iwan Nikiphorowitsch. Anton Prokophiewitsch aber schüttelte sich nur so vor Lachen und hielt sich die Seiten vor Freude, daß er die ganze Gesellschaft so angeführt habe.

Wie dem aber auch war, nur dies eine blieb fast unwahrscheinlich für alle, daß es Iwan Nikiphorowitsch fertiggebracht hatte, sich in so kurzer Zeit so anzuziehen, wie es einem Adligen geziemt. Iwan Iwanowitsch befand sich zu dieser Zeit nicht im Zimmer: er war aus irgendeinem Grunde hinausgegangen. Als sich das ganze Publikum von seinem Staunen erholt hatte, bezeigten alle ihre Teilnahme an der Gesundheit des Iwan Nikiphorowitsch und äußerten ihre Zufriedenheit darüber, daß er an Fülle zugenommen habe. Iwan Nikiphorowitsch küßte sich mit einem jeden und sagte: »Sehr gütig.«

Währenddessen verbreitete sich der Duft einer Suppe durch das Zimmer und kitzelte angenehm die Nasen der ausgehungerten Gäste. Alle stürmten ins Eßzimmer. Voraus der Zug der Damen, der gesprächigen und der schweigsamen, der dicken und der dünnen, und der lange Tisch schmückte sich in allen Farben. Ich will nicht die Speisen beschreiben, die man bei Tisch herumreichte! Nicht erwähnen will ich die Schmandpasteten, nicht die Beilage, die man zur Suppe gab, nicht den Truthahn mit Pflaumen und Rosinen, nicht jenes Gericht, welches ganz so aussah wie ein Paar Stiefel, die man in Kwaß Kwaß – ein Getränk aus Brot und Hefe. eingeweicht hatte, noch jene Soße, die gleichsam der Schwanengesang der alten Küche ist, jene Soße eben, die ganz in Flammen gehüllt herumgereicht wurde, was die Damen sehr amüsierte und doch erschreckte. Ich will nicht sprechen von allen diesen Gerichten, weil es mir bei weitem besser gefällt, sie zu essen, als mich über sie in Gesprächen zu verbreiten.

Iwan Iwanowitsch fand großes Wohlgefallen an dem Fisch, der mit Rettich zubereitet war. Er beschäftigte sich ganz besonders mit dieser nützlichen und nahrhaften Übung. Er las die allerfeinsten Gräten aus und legte sie auf den Teller, und dabei blickte er ganz zufällig auf sein Gegenüber: Himmlischer Schöpfer! Wie war das seltsam! Ihm gegenüber saß Iwan Nikiphorowitsch!

In ganz demselben Augenblick schaute auch Iwan Nikiphorowitsch auf! … Nein! … Ich kann nicht! … Gebt mir eine andere Feder! Die meinige ist zu matt, zu tot, zu feingespalten für dieses Bild! Ihre Gesichter, in denen sich höchstes Staunen malte, wurden wie von Stein. Jeder von ihnen erschaute ein längst bekanntes Antlitz, zu dem es ihn, so schien es, wider Willen hinzog, wie zu einem unerwarteten Freunde, bereit, die Tabaksdose anzubieten mit dem Worte: »Bedienen Sie sich!« oder: »Darf ich Sie um die Gefälligkeit bitten?« Aber dabei war dasselbe Gesicht auch furchtbar, wie eine schlechte Vorbedeutung! Der Schweiß floß in Strömen von Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiphorowitsch.

Alle Anwesenden, so viele ihrer bei Tisch saßen, waren stumm vor Aufmerksamkeit und wandten kein Auge von den einstigen Freunden. Die Damen, die sich bis dahin ziemlich interessant darüber unterhalten hatten, auf welche Weise man Kapaune züchtet, unterbrachen plötzlich ihr Gespräch. Alles ward still! Das war ein Bild, würdig des Pinsels eines großen Künstlers.

Endlich zog Iwan Iwanowitsch sein Taschentuch heraus und begann sich zu schneuzen, Iwan Nikiphorowitsch aber sah im Kreise umher und ließ seine Augen auf der geöffneten Tür haften. Sogleich hatte der Stadtkommandant diese Bewegung gemerkt und befohlen, die Tür fest zu schließen. Darauf begann jeder von den Freunden zu essen, und sie schauten schon gar nicht mehr einander an. Als nur eben das Mittagessen zu Ende war, erhoben sich beide ehemalige Freunde von ihren Sitzen und begannen ihre Mützen zu suchen, um zu entschlüpfen. Da aber gab der Stadtkommandant ein Zeichen, und Iwan Iwanowitsch – nicht jener Iwan Iwanowitsch, vielmehr der andere mit dem schielenden Auge – trat hinter Iwan Nikiphorowitsch, der Stadtkommandant aber hinter Iwan Iwanowitsch, und beide begannen sie von hinten zu schieben, um sie zusammenzustoßen und sie nicht eher loszulassen, bis sie einander die Hand gereicht hätten. Iwan Iwanowitsch, der mit dem Schielauge, schob Iwan Nikiphorowitsch, wenn auch ein wenig schief, so gleichwohl noch ziemlich geschickt zu dem Ort, wo Iwan Iwanowitsch stand; der Stadtkommandant aber nahm die Richtung allzusehr zur Seite, weil er auf keine Weise mit seinem eigenwilligen »Fußvolk« zurechtkommen konnte, welches diesmal auf kein Kommando horchte und wie zum Spott allzu weit und völlig in die entgegengesetzte Richtung abschwenkte (was vielleicht daher kam, daß auf dem Tische außerordentlich viel verschiedene Liköre standen), so daß Iwan Iwanowitsch auf eine Dame im roten Kleid fiel, die sich aus Neugierde bis ganz in die Mitte des Zimmers vorgedrängt hatte. Ein solches Vorzeichen versprach nichts Gutes. Indes übernahm der Richter, um die Sache in Ordnung zu bringen, die Rolle des Stadtkommandanten und, nachdem er allen Tabak von seiner Oberlippe mit der Nase eingezogen hatte, stieß er Iwan Iwanowitsch in der entgegengesetzten Richtung. In Mirgorod ist dies die gewöhnliche Art der Versöhnung. Sie gleicht etwas dem Ballspiel. Als nur eben der Richter Iwan Iwanowitsch vorwärts gestoßen hatte, stemmte sich der andere Iwan Iwanowitsch, der mit dem Schielauge, mit aller Kraft gegen Iwan Nikiphorowitsch und schob ihn vorwärts. Der Schweiß floß ihm herab wie Regenwasser vom Dach. Ungeachtet dessen, daß beide Freunde sich gar sehr widersetzten, wurden sie gleichwohl zusammengestoßen: denn beide handelnden Parteien erhielten beträchtliche Verstärkung von Seiten der übrigen Gäste.

Darauf umgab man sie dicht von allen Seiten und ließ sie nicht eher los, bis sie sich entschlossen hatten, einander die Hand zu geben. »Gott mit Ihnen, Iwan Nikiphorowitsch und Iwan Iwanowitsch! Sagen Sie auf Ehre und Gewissen: weshalb haben Sie sich verzankt? Etwa nicht aus Nichtigkeiten? Schämen Sie sich denn gar nicht vor Gott und den Menschen?«

»Ich weiß nicht,« sprach Iwan Nikiphorowitsch, schnaufend vor Ermüdung (es war zu merken, er war einer Versöhnung durchaus nicht abgeneigt), »ich weiß wirklich nicht, was ich eigentlich Iwan Iwanowitsch angetan habe; weshalb hat er denn eigentlich meinen Stall zertrümmert und danach getrachtet, mich zugrundezurichten?«

»Ich bin keinerlei böser Absicht schuldig«, sprach Iwan Iwanowitsch, ohne Iwan Nikiphorowitsch anzuschauen. »Ich schwöre vor Gott und vor euch, ehrwürdige Adlige, ich tat meinem Freunde nichts. Wofür beleidigt er mich denn und schädigt meinen Rang und meinen Stand?«

»Was habe ich Ihnen denn für einen Schaden zugefügt, Iwan Iwanowitsch?« sprach Iwan Nikiphorowitsch. Noch einen Augenblick der Erklärungen – und diese langandauernde Feindschaft war bereit, zu erlöschen. Schon fuhr Iwan Nikiphorowitsch in die Tasche, um die Tabaksdose herauszunehmen und zu sagen: »Bedienen Sie sich.«

»Ist denn das kein Schaden,« antwortete Iwan Iwanowitsch, ohne die Augen zu erheben, »wenn Sie, geehrter Herr, meinen Rang und meinen Namen mit einem solchen Wort beleidigen, welches hier auszusprechen unanständig wäre?«

»Erlauben Sie, Ihnen in aller Freundschaft zu sagen, Iwan Iwanowitsch« (hierbei berührte Iwan Nikiphorowitsch einen Knopf am Rocke des Iwan Iwanowitsch, was schon seine völlige Zugeneigtheit bedeutete), »Sie haben sich beleidigt gefühlt, der Teufel weiß worüber: deshalb, weil ich Sie einen Gänserich nannte …«

Wohl kam es Iwan Nikiphorowitsch in den Sinn, daß er eine Unvorsichtigkeit begangen habe, als er dieses Wort aussprach; aber es war schon zu spät: das Wort war gefallen. Alles ging zum Teufel. Da ja Iwan Iwanowitsch bei diesem Worte, als es noch ohne Zeugen ausgesprochen war, schon außer sich und in solchen Zorn geraten war, daß Gott einen davor bewahren möge, je einen so zornigen Menschen zu erblicken – was denn jetzt, urteilen Sie selber, liebe Leser, was denn jetzt, als dieses tödliche Wort in einer Gesellschaft ausgesprochen worden war, in der sich eine Menge Damen befanden, vor denen Iwan Iwanowitsch ganz besonders wohlanständig zu sein liebte? Wäre Iwan Nikiphorowitsch nicht auf diese Weise verfahren, hätte er »Vogel« gesagt, aber nicht »Gänserich«, so wäre es noch möglich gewesen, die Sache wieder ins reine zu bringen. Jetzt aber – war alles aus!

Iwan Iwanowitsch warf nur einen Blick auf Iwan Nikiphorowitsch, aber was für einen! Wäre diesem Blicke die Macht gegeben, zu wirken: er hätte Iwan Nikiphorowitsch in Staub verwandelt! Die Gäste verstanden das sehr wohl und beeilten sich selber, die beiden auseinanderzubringen. Und dieser Mensch, das Muster von Frömmigkeit, der keine einzige Bettlerin vorbeigehenließ, lief in furchtbarer Raserei davon. So schreckliche Stürme erregen die Leidenschaften!

Einen ganzen Monat hindurch war nichts von Iwan Iwanowitsch zu hören. Er hatte sich in seinem Hause eingeschlossen. Der heilig behütete Koffer ward geöffnet, und ihm wurden entnommen – was denn?

Silberstücke! Alte, vom Großvater stammende Silberstücke! Und diese Silberstücke wanderten in die schmutzigen Hände von Tintenfuchsern. Die Sache ward ins Obergericht übertragen. Und als Iwan Iwanowitsch die freudige Nachricht erhielt, morgen werde die Entscheidung fallen, da erst blickte er wieder in die Welt und beschloß auszugehen. O weh! Von da an benachrichtigte ihn das Obergericht täglich, daß die Sache morgen beendet werde, und so geschah es im Verlaufe von zehn Jahren.

 

Vor fünf Jahren kam ich durch Mirgorod. Die Jahreszeit war ungünstig. Der Herbst war gekommen mit seinem traurig nassen Wetter, mit Schmutz und Nebel. Irgendein unnatürliches Grün – das Ergebnis langweiliger ununterbrochener Regengüsse – bedeckte in dünner Schicht Felder und Wiesen, denen es so zu Gesichte stand wie Übermut einem Greise, Rosen – einer alten Frau. Das Wetter übte damals auf mich einen starken Einfluß: ich war traurig, wenn es trübe war. Aber ungeachtet dessen pochte mir heftig das Herz, als ich mich Mirgorod näherte. Mein Gott, wieviel Erinnerungen! Zwölf Jahre hatte ich Mirgorod nicht gesehen. Hier lebten damals in rührender Freundschaft zwei einzigartige Menschen, zwei einzigartige Freunde. Aber wieviel bemerkenswerte Leute waren seitdem gestorben! Der Richter Demian Demianowitsch weilte schon nicht mehr unter den Lebenden, auch Iwan Iwanowitsch, der mit dem Schielauge, hatte bereits das Zeitliche gesegnet. Ich fuhr auf die Hauptstraße: überall standen Stangen mit Strohbündeln daran: irgendeine Planierung ward gerade vorgenommen; einige Hütten waren abgetragen. Reste von Zäunen und Hecken standen traurig da.

Das war an einem Feiertag: ich ließ das mit Strohmatten bedeckte Wägelchen vor der Kirche halten und trat ganz leise ein, damit sich niemand umdrehen sollte. Freilich, es war auch gar niemand da. Die Kirche stand leer; fast kein Mensch war zu sehen; offenbar fürchteten sich sogar die frommen Leute vor dem Schmutz. Bei dem trüben, besser gesagt, kranken Tageslicht wirkten die Lichter ganz eigenartig unangenehm; die dunkle Vorhalle erregte Traurigkeit. An den länglichen Fenstern mit ihren bunten Scheiben floß der Regen in Strömen herab. Ich trat in den Vorraum und wandte mich an einen ehrwürdigen Greis mit ergrauten Haaren: »Möchten Sie mir nicht sagen, ob Iwan Nikiphorowitsch noch lebt?« In diesem Augenblick flackerte gerade das Lämpchen vor einem Heiligenbilde auf, und das Licht fiel auf das Gesicht meines Nachbars. Wie erstaunte ich, als ich bekannte Züge erschaute! Das war Iwan Nikiphorowitsch selbst! Wie hatte er sich aber verändert!

»Sind Sie gesund, Iwan Nikiphorowitsch? Sind Sie aber gealtert!«

»Ja, ich bin alt geworden. Ich komme eben aus Poltawa«, antwortete Iwan Nikiphorowitsch.

»Was Sie sagen! Bei einem so schlechten Wetter sind Sie nach Poltawa gefahren?«

»Was soll man denn machen? Ein Rechtshandel …«

Bei diesen Worten seufzte ich unwillkürlich auf.

Iwan Nikiphorowitsch bemerkte es und sprach: »Seien Sie unbesorgt: ich habe sichere Nachricht, daß in der nächsten Woche die Entscheidung fällt, und zu meinen Gunsten.«

Ich zuckte die Achseln und ging fort, um mich nach Iwan Iwanowitsch zu erkundigen.

»Iwan Iwanowitsch ist hier!« sagte mir irgendwer. »Er ist auf dem Chor.«

Da sah ich eine hagere Gestalt. Sollte das Iwan Iwanowitsch sein? Das Gesicht war mit Runzeln bedeckt, die Haare völlig weiß; nur der Pelzrock war derselbe geblieben. Nach der ersten Begrüßung wandte sich Iwan Iwanowitsch an mich mit jenem heiteren Lächeln, welches seinem trichterförmigen Gesicht so gut stand, und sprach: »Darf ich Ihnen eine angenehme Nachricht mitteilen?«

»Was für eine?« fragte ich.

»Morgen wird unbedingt mein Prozeß entschieden; das Obergericht hat das in sichere Aussicht gestellt.«

Ich seufzte noch tiefer auf und nahm rasch Abschied. – Ich reiste damals in einer sehr wichtigen Angelegenheit, und ich stieg sofort in mein Wägelchen.

Die abgemagerten Pferde, die man in Mirgorod »Kurierpferde« nennt, zogen an, und ihre mit grauem Schlamm bedeckten Hufe gaben beim Aufschlagen einen unangenehmen Klang. Der Regen floß in Strömen auf den Juden, der auf dem Bock saß und sich mit einer Bastmatte bedeckt hatte. Die Nässe ging mir durch und durch. Der traurige Schlagbaum mit der Bude, in der ein Invalide gerade seine graue »Rüstung« ausbesserte, flog im Augenblick vorüber … Wiederum dasselbe Feld, bisweilen ausgewaschen, schwarz, dann wieder grünlich, nasse Elstern und Raben, der eintönige Regen und der verweinte Himmel, den kein Sonnenstrahl durchdrang. – Traurig ist es auf dieser Welt, meine Herrschaften!


Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig

 


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