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Fortunata

O Gott, mein Gott, hast du mich ganz verlassen?
Bin ich verworfen, um der Kleinheit willen?
Der Schwäche und der Häßlichkeit? – Wie schwer,
Mein Gott und Vater, hast du mich versucht!
Ich glaubte gut zu sein und war nur schwach,
Ich wähnte kühn zu handeln – es war Unmut!
Nicht die Bestimmung hatte ich erkannt,
Nur die Geduld verloren, auf die deine
Stark, kühn und treu zu warten! Großer Gott,
Nun lassest du mich fallen! –
        (Plötzlich Fassung gewinnend)
                                                  Aber wie!
Bin ich gefallen, oder gleit ich nur, 205
Und wie, wenn ich mich hielte, Gott, an dir,
Und stießest du mich streng zurück, an mir!
Wie, wenn ich stünde! – Tief im Westen hängt
Die Sonne schon, doch ging sie noch nicht unter –
Und wie, wär es noch immer an der Zeit,
Stark, kühn und treu zu sein, und nun erst recht!
O, Stille nur ins Herz, Klarheit ins Auge,
Beschwichtigung des Lärms und der Empörung,
Damit das Gute doch noch kommen kann! –
Ich fühl's, es muß ein Ungeheures sein,
Das Ungeheure, das mir droht zu wenden:
Endlose, tiefe Schmach, von äußerm Glanz,
Vielleicht auch Glücke, trugvoll überkrustet,
Im Kinde fortgeprägt, ein ewiger Vorwurf,
Mir, die das Gut und Böse wußte! Nie!
Das weiß ich, nie! – Wie aber wird es werden? –
Besinnen! – Ach, wie schmerzt mich Kopf und Brust
Vom Ringen nach dem Atem! – Eins nur weiß ich:
Ich hab mir dies Verhängnis selbst geschaffen,
Die leise Stimme dessen überhört,
Der uns das seine aus der Höhe schickt;
Doch wenn ich töricht war, und müd, und krank,
Verdunkelt und verstört, nicht ganz ich selber,
Soll nun ein unheilvoller Augenblick
Die ganze heilige Zukunft mir zerstören?
Oder kann ich, wenn ich ein Verhängnis schuf, 206
Es auch umschaffen! Ach, ich weiß es nicht!
Man hat mir eingeprägt: sei treu dem Wort,
Allein mein dunkler Wille bäumt sich auf,
Von einem Wort Zerstörung zu empfangen,
Das er nicht hätte gehen sollen, heute
Nicht gäbe, und von dieser Stunde an
Nie wieder gäbe. Und dies Wort soll binden?
Und Treue nennt sich diese Selbstzerstörung?
Und durfte er es nehmen, dieses Wort,
Und darf er es behalten, wo er sieht,
Daß es mich unfrei und zum Häftling macht?
Ich habe diese Treue nicht erfunden,
Dies traurige Gewirr, Geklirr von Ketten,
Darin die Menschheit seufzt! Im tiefsten Innern
Lebt mir und tönt das heilige Gefühl;
Es gilt ein Wort, solang es tönt, das ewige ewig!

Ich kann, ich darf nicht grübeln, was zu tun!
Nur stille kann ich werden, und geduldig
Den Augenblick erwarten und dann handeln,
Wie mir in klarer Totenstille dann
Die innre Stimme sagt, auf die ich lausche.
Doch wenn sie schweigt, was dann? – Sie wird nicht schweigen.
Das ewig Tönende, es schweigt ja nie!
Wir hören es, sind wir nur still genug. 207
Und ich will stille sein, ganz still, und lauschen –
(Sie kniet) Du wirst mir tönen, Gott, du wirst, ich spür's!
Und freudig will ich tun dann, was du sagst,
Und sprächst du tief und leise zu mir: stirb! –
Ich säh zu dir mit tiefem Atemholen,
Und ginge! – Alles! nur nicht schmachvoll leben!
        (Sie weint; dann mit kindlichem Schreck)
Wie kommt das mir? So hast du schon gesprochen!
Und muß es bald sein, diese Nacht schon, jetzt?
        (Sie steht langsam auf)
Dann will ich einmal noch die Sonne trinken,
Mit einem tiefen Zug das Leben fassen,
Und ihm den süßen Atem wieder geben.
Ich war nicht immer gut, doch es war gut;
Ich war nicht immer glücklich, aber jetzt doch! –
Ich will zum Vater gehn, und mit der Mutter
Recht gut sein – ach ich war ihr heut so bös!
        (Sie geht, hält inne)
An Trude muß ich auch noch schreiben – gleich!

(Sie setzt sich, schlägt eine Schreibmappe auf und versenkt sich in ein intensives Schreiben. Nach einer Weile stutzt sie sinnend, ihre gespannte Miene löst sich und erheitert sich zu einer lächelnden)

Seltsam, ganz seltsam! – Sterben! – sterben – – sterben!?
Balsamisch kühlend tönt dies Wort mich an 208
Und schwichtigt allen Sturm zu stiller Kraft,
Als trät ich in ein neugespanntes Leben! –
Sterben? – wozu das? – einem Kampf entfliehen,
Zu dem mir Zeit und Raum und Kraft noch wächst,
Ihn auszufechten, ihn zu überleben?
›Entweder – oder‹ meint ich, wie schon oft
Und übersah mit überhitztem Auge
Das kühle Zwischenin, das ›keins von beiden‹!
So komm denn Stunde, Wort, gefürchtetes,
Und fall mich an! Ich werde sagen: ›nein‹! –
Dir nach, du dunkler Mahner, bis du schweigst! – –
Doch diesen Brief – ich schreib ihn – aber anders –
Auch für das Leben will ich dieses schlichten –
Was zürn ich ihr, dem guten, starken Herzen,
Daß sie ein wenig ebener ist, als ich!

(Zerreißt ihn und macht sich an ein neues Blatt)

Zwischenspiel

Erdmann und ein ältlicher Gärtner kommen aus der Gartentiefe heran und halten vor einem Beete. Gespräch. Der Gärtner schneidet ihm eine Rose; dann entfernt er sich und Erdmann kommt nach vorn. Gleichzeitig hat Fortunata ihren Brief vollendet und sich erhoben; und nun geht sie, noch immer tief sinnend, gegen das Haus. Wie sie um die Hecke biegt, stehen sie voreinander. Auf beiden Seiten ein 209 Laut der höchsten Überraschung. Das Mädchen wirft, nach Luft ringend, die Arme hoch, taumelt; er springt, Tasche und Stock fallen lassend, hinzu und fängt sie auf. Sie ist ohnmächtig; er blickt keuchend in wilder Erregung auf zum Himmel. Dann geht ein Ruck durch ihn und er ist wieder stark und ruhig.)

Erdmann (sie mit tiefem Ernst betrachtend, leise).
Dich treff ich hier und heut! – dich! – wieder! – heut!

Adalbert (heraneilend, nachstürzend).
Was ist – was geht hier – Herr – was ist –

Erdmann.                                                             Das Fräulein
Drohte zu fallen und ich sprang ihr bei –

Adalbert. Sie ist ohnmächtig – darf ich bitten, Herr –

Erdmann (sie aus seinem Arm gleiten lassend).
Sie regt sich wieder – (Tritt scheu zurück)

Adalbert.                             Fortunata! – Gott – – (Belauscht sie) 210

Erdmann (zuckt bei dem Namen).
Welch schauerlich-dämonische Musik –:
Felix und Fortunata!

Adalbert.                           – sie erwacht!

Fortunata (noch geschlossenen Auges, lächelnd, im Traum).
So bist du da!?

Adalbert.                 Ja – Fortunata!

Fortunata (erschreckt, erwachend, sich aufrichtend).
                                                    A–h!
War es ein Traum?

(Sich aus seinem Arm lösend erblickt sie Erdmann wieder und erbebt aufs neue)

Adalbert (begreifend, aufschreiend).
                                Ha –! – Er!
        (Einen langen Hauch ausstoßend)
                                                    Verloren!

(Längere, ausdrucksvolle Pause; dann:)

Erdmann (weich, fein, fremd).
Ich weiß nicht – bin ich schuld – – und um Vergebung,
Wenn ich es bin, unschuldig, wie ich denke! – –
Zwei junge, schöne Menschen seh ich hier 211
Durch meinen Anblick seltsam aufgeschreckt!
Kann ich durch Gehen wieder Ruhe schaffen,
So sei's getan – nur um Vergebung bitt ich!

(Neigt sich; Fortunata und Adalbert machen abwehrende Gesten; das Mädchen schamhaft und doch fesseln wollend, der Jüngling mit der Gerechtigkeit des Mannes den furchtbaren Gegner entsühnend)

Erdmann (wieder aufnehmend).
Ich bin es meiner eignen Ruhe schuldig –!
Ein fremdes Glück zu stören – – (Stockt)

Fortunata (hauchend).                           – Glück zu stören?

(Neue, feine Pause; sie sprengend wirft sich)

Adalbert (zu ihren Füßen nieder).
O Fortunata – –!

(Er liegt schluchzend da. Erdmann hat erst eine Bewegung auf ihn zu gemacht, tritt aber ergriffen einen Schritt weiter zurück; umgekehrt neigt sich Fortunata erst nach einer zurückweichenden Gebärde hilflos über ihn)

Fortunata.                 Adalbert! – (Es erkrampft ihn)
                                                Adalbert! –

Adalbert (sich ermannend und aufraffend).
Verzeih! – doch sieh – es hat mich übermannt!
Das Langerwartete kam nun – zu jäh! – – 212
O Fortunata! – – – du bist – frei!

(Erdmann zuckt zusammen)

Fortunata (aufschreiend).                     Adalbert! –

Adalbert. Geh – laß! – O süßer Klang des eignen Namens –
Und doch: nicht noch einmal! – Geh, du bist frei!
        (Sie schließt die Augen und wehrt sich gegen das Langersehnte)
Doch Eines wisse, Fortunata, Eines!
Befreien kann ich dich, nicht aber mich –
Freilassen kann ich dich, doch nicht dich lassen –
Auch lassen kann ich dich, nicht aber leben,
Nicht leben ohne dich, o Fortunata!
Ich kann nicht leben ohne dich!

(Bricht wieder auf die Kniee, einen Augenblick das Gesicht verhüllend)

Fortunata.                                           Adalbert!

Adalbert. Ich habe dich geliebt vom ersten Blicke,
Noch eh ich wußte selbst, was Liebe ist,
Als Knabe schon, die selige Jugendzeit,
Die süß-gemeinsame hindurch! Du bliebst
Mein lichter Stern im wilden Strudel auch 213
Des Jugendlebens! hast mich hergeleitet
Zum Mann heran, und nie hab ich gewankt:
Es war mein Stolz, in fleckenloser Treue
Die reinste Hand der deinen zu bewahren!
An keiner Andern klebte je mein Blick,
Aus diesem Mund, dem du in süßer Unschuld
Den deinen willig einst als Kind geboten,
Ist nie ein häßlich Wort geflossen! rein,
Rein wie du selbst, ein klarer Spiegel deiner,
Das wollt ich sein, das war mein Stolz und Steuer!
Nur dich hab ich begehrt, und sonst kein Weib – –
Nun lieg ich hier, im Port, gescheitert, wrack!
Und du – bist – dort! – –
                                          Wer bist du denn,
Du Räuber meines Glücks, des roter Schatten
Seit sieben Jahren meine Welt verdüstert!
Aus welcher – (Unsicher) Hölle reckst du deinen Arm
Und streckst die Hand nach meinem Leben aus –
Denn das bist du, o Fortunata! – Alles
Bin ich bereit zu lassen, nur nicht dich!
Sieh her und sag ein Wort, so schleudr' ich alles,
Geburt und Güter, Stolz und Ehrgeiz, alles
Was an mir ist, mein Leben selbst von mir –
Mein Leben selbst, nur dich nicht, Fortunata!
Ich kann nicht leben ohne dich!

(Fortunata steht im tiefsten Schmerz; Pause) 214

Erdmann (näher tretend, tief, ruhig, ganz).
                                                    Mensch!
Ich seh ein großes Leid, von dem du sagst,
Daß ich's verschuldet, und das weiß ich nicht!
Den Räuber deines Glückes nennst du mich,
Den roten Schatten, der dich lang verfolgt –
Und fragst, aus welcher Hölle ich die Faust
In deinen Himmel strecke – aber streck ich –
Mensch, sieh mich an, und du, o Mädchen auch!
Seid mir ein offen Ohr bis tief hinein:
Du irrst dich, Mensch, ich strecke nicht die Hand –
Hier halt ich sie, hör an, so weich wie nie,
Zu keinem Griffe fähig! – Daß mein Schatten
So weich nicht auf dir ruht wie diese Hand,
Das drückt auf mich zurück! – doch keinen Wunsch,
Auch nicht den leisesten – – Du Mensch vor mir,
Den ich als Freund wohl eigen nennen möchte –
(In deinen Zügen ist ein Raum für Schönheit!) –
Denk dir ein Leichtes aus, doch so ein Leichtes,
Daß jeder Duft und jeder Schein und Schimmer
Granitne Dinge sind, mit ihm verglichen,
Und hast du es, so wäg es mit der Seele,
Und wisse: nicht so schwer als dieses Leichte
Wiegt alles, was von Wunsch ich nach euch werfe! – –
Ich bin nicht unbewegt, und schämte mich,
Wenn ich es wäre, oder scheinen wollte! 215
Noch steh ich da, von einer Welle Staunens
Ergriffen und geschaukelt: dieses Mädchen,
Das ich mit frohem Mannesauge schaue,
Es segnend, und der guten Erde dankend,
Daß sie die Mutter solcher Kinder ist,
Und still den Mann auch selig preisend, dem
Sie einst sich neigen wird, dies schöne Mädchen,
Es kreuzt mir heut als liebliche Erscheinung
Zum zweitenmal den wildeinsamen Weg –
Ganz wie ein Traum, den ich zum zweitenmal
Im Traume träum, und doppelt nun verwirrt
Erst aus dem Traum zum Traum, und dann vom Traum
Mich erst zur wachen Wirklichkeit besinne –
Doch ferner als das Fernste, was du kennst,
Liegt mir der Wunsch nach ihr! (Sie zuckt) Was bin ich auch,
Wie glückeswert, daß ich sie wünschen sollte?
Mit welchem Rechte darf ich sie begehren?
Die Hand verkohle, die ich nach ihr strecke.
– Hörst du es, Mädchen –
        (Sie weicht erschauernd von ihm)
Ein Schimmer fällt von dir auf mich, sonst nichts!
        (Sie horcht wieder auf)
Ich wollt euch segnen beide, dich und sie,
Wenn nicht die Scheu mich hielte, selbst zu segnen!
So laßt mich wieder gehn, wie ich gekommen
Im Spiel des Zufalls oder des Geschicks! – 216
Und doch, ich kann nicht so! Unfriede schuf ich
Und ließ' ihn hinter mir? und Friede schaffen,
Ist doch mein Wille – (lächelnd) und es scheint mein Los,
Zerstören stets zu müssen starken Willens,
Was ungewollt ich schuf! – Was aber wird,
Was weiß ich! Darf ich denken überhaupt?
So wenig als ich glauben, hoffen darf,
Und nur die Liebe soll mir niemand wehren!
Wen aber lieb ich? – mich! und – mich! und – mich!
Ich hab mir weh an eurem Schmerz getan
Und möchte meine Wunde wieder heilen! –
Ihr schlugt sie mir an meinem schönsten Tage:
Nie war ich so beglückt! Vom ersten Strahl
Der Sonne an bis hier zu ihrem letzten
Lag ich – vergebt, daß ich mein Glück bespreche
Und das Geheime eines fremden Lebens
Vor euerm leidumflorten Aug entblöße –
Vom ersten bis zum letzten Strahl der Sonne
Lag ich im Siegesrausch an – meiner Brust!
Seht dort die Berge, die im Abendrot
Von einem fernen Tage noch erzählen,
Dort lag im Frührot ich im starken Tau
Und badete! – Ich lebte meine Stunde,
Nach der das Leben nichts mehr ist, und – alles!
Zum Haben und Verlieren! nein, wo nichts
(An Leib und Seele!) mehr verlierbar ist. 217
So lag ich da, nach einer langen Schlacht,
In meiner großen Stunde, wo die Wünsche
Erlöschen, und der letzte noch erlosch,
Der schon kein Wunsch mehr ist: ein froher Trieb,
Mein Schicksal zu erfüllen! – Denn ich fühlte:
Es war erfüllt, oder – erfüllte sich! –
Und als ich frisch mich auf die Füße hob,
Neu in das neubeglänzte Leben tretend,
War ich im Zweifel mir noch, was zu tun!
Ein jedes Ding will seinen Körper haben,
Das Leben eine Form, in der es spielt,
Sein Schleier fast zu nennen, der sein Wesen
Dem fremden, ja dem eignen Aug verhüllt!
Es drängte mich nach irgendeinem Tun,
Nur groß genug, die weite Brust zu füllen,
Und schwer genug für ihre Leichtigkeit!
Da fiel mir ein, und wies mir hell den Weg
Der neue Krieg, an dem ich schon entbrannt,
Doch nur vor Zorn, und jetzt nahm ich Partei. –
Im Morgenlichte glänzte mir von fern
Im Lande drunten diese alte Stadt;
Du liegst am Weg, denk ich, ich nehm dich mit –
Ich hatte plötzlich Lust nach alten Mauern,
Nach spitzen Giebeln, Erkern, engen Gassen,
Nach lauten Märkten und Gewühl von Menschen,
Nach etwas Leichtsinn, Lärm, Geschmack und Torheit 218
Aug lange Stille und schwermütige Weisheit –
So zog ich denn die Straße her und dachte
Mich auszurüsten hier und nebenher – –
Desipere in loco nennt es Horaz!
An diesem Garten stand ich still, die Rosen
Bewundernd, denn ich lieb die Rosen sehr:
Wie alles Leben, aber mehr als manches,
Sind sie mir wieder aufgegangne Sonne,
Funken von ihm, dem großen, heißen Vater –
Ein Zaungespräch mit einem muntern Gärtner
Bracht mich herein, den ganzen Park zu sehn,
Und – hier zu stehn! – Das ist's, ihr seht! Was noch?
Ich bin ein Wandrer nur auf dieser Erde:
Da fließt die Straße, dort kam ich herauf,
Und hier hinaus, da schlängelt sie sich weiter!
So gebt den Weg mir frei und laßt mich gehn!

Fortunata (hauchend).
Und das ist alles?

Erdmann.                     Ja! – für dich.

Fortunata.                                             – Und dich?

Erdmann. Für mich? – Kind, laß das mir! Und laß mich – gehn!
Hier rette und beglück ein Menschenleben! 219
Ich bin schon glücklich, schönes Mädchen du –
Und ich kann leben ohne dich! – Leb wohl!

(Beide fahren auf)

Adalbert (stöhnend).
Bleibe! – was hilft's! – Du nimmst sie doch mit dir! –

Erdmann (tiefernst zu Fortunata).
Denkst du so stark an mich? – Es ist schon lang – –

Adalbert (schreiend).
Sie lebt in dir!

Fortunata.               Hast du mich ganz vergessen?

Erdmann. Was frägst du mich?

Fortunata (schnell).                   O sprich!

Erdmann.                                                   Was hülf es dir?

Fortunata (stärker).
Ich muß es wissen! meine Ruhe will's!
Wenn alles Traum nur war die langen Jahre,
Wenn dieses Bild, in dessen Bann ich stand,
Und das mir heilig schien, ein Alp nur war, 220
Der mich bedrückte – sag's! – ich muß es wissen –
Befreie mich – und ich will um ihn dienen,
Den ich gefoltert mit den eignen Ketten – –
Wenn ich es – – aber nein! es ist nicht möglich –
Daß alles Traum nur war die langen Jahre,
Denn du bist da – –!

Erdmann.                           Kind, wie versuchst du mich –
In meinem Guten!

Fortunata.                       Sag!

Erdmann.                                 Ich darf es nicht!

Fortunata. Du mußt, wenn du ein Herz hast!

Erdmann.                                                           Hab ich eins?

Fortunata. Entweiche nicht! – hast du an mich gedacht?

Erdmann. Ich hab an dich gedacht – (Stockt)

Fortunata.                                           – und – 221

Erdmann.                                                           dich – vergessen!

Adalbert. Er konnte dich vergessen, Fortunata!

Fortunata. Ich konnt ihn auch vergessen, Adalbert!
Und mehr als einmal! Und ich wollt ihn fragen:
Hast du vergessen, oder hast du nur
Mich aus dem Sinn geschlagen?

Erdmann (näher tretend).                   Du bist stark! –
Und dehnst ein großes Herz nach mir! – So höre:
Weißt du, was ich gedacht vor sieben Jahren,
Als ich dich fand?
        (Sie schlägt fragend das Auge zu ihm auf)
                              Das, was ich eben denke:
        (Ihr Blick fragt wieder)
Hier wär wohl Raum für eine Mannesseele!
        (Adalbert stößt einen Schmerzenston aus; Fortunata leuchtet auf)
Und sieh, ich ging vorüber! (Zitternde Pause) Fortunata!
Ich suchte eine Mannesseele!

Fortunata.                                         Du? 222

Erdmann. Ich suche sie noch heute – – (Stockt)

Fortunata.                                                   – Und? –

Erdmann.                                                                     – ich muß
Noch heut vorübergehn! – Nicht dich, o Mädchen,
Such ich, noch sonst ein Weib! (wo bärg ich es?)
Nicht Ruhm, nicht Reichtum, Sicherheit und Glück –
Nichts sucht ich, such ich, nichts, nur eine Seele!
Nach Atem rang ich, ring ich, nur nach Atem!

Fortunata. Du?

Erdmann.         Ja! – Ich bin ein Wandrer, Fortunata!
Die Erde lief ich mit den Füßen ab,
Die Weltenweiten mit den scharfen Augen,
Und alle Gründe mit dem hellen Geiste –
Denn hart ist an mir alles, nur der Griff nicht
Nach den Armseligkeiten dieser Erde!
Ich bin und habe nichts! mein nacktes Leben
Ist viel zu schwer, um zu dem Sein an sich
Was andres noch zu tragen und zu sein –
So wanderte, so wandre ich! – Wonach? 223
Ich suchte jene Seele, die ich dachte,
Und fand sie nicht – –

Fortunata (fein).                   Trugst du sie nicht bei dir?

Erdmann (erst über ihre Feinheit lächelnd, dann ernst).
Ich trug ein Ding mit mir, das nach ihr schmeckte!
Doch war es nur der Durst nach ihr, und nur
Nach ihr! Und über ihm vergaß ich dich –

Fortunata. Nein, sag doch: suchtest du mich zu vergessen,
Doch dachtest du an mich!

Erdmann.                                     In guten Stunden,
Wenn ich der Seele einmal nah mich wähnte,
Da dacht ich wohl auch, daß da hinten wo
Ein Stückchen Raum für diese Seele sei!
Da dacht ich deiner wohl, des schönen Mädchens,
Das dort so traut an meiner Seite ging – –
Und – –

Fortunata.   – und

Erdmann.               – und – schüttelte mich – erwachend:
Ich sah den Raum wohl für die Mannesseele – 224
Wo aber war sie? – nicht in mir! – – Und dann auch,
O Fortunata, dacht ich deiner wohl,
Wenn ich ein ander Weib sah und berührte!
        (Sie erbleicht)
Denn wisse, Mädchen! ich bin nicht wie dieser:
An jedem Weibe hängt mein tastend Aug,
Und hundert hab ich schon besessen, hundert
Streift ich schon ab – – ich wachte auf, mich schüttelnd,
Und stand erbleichend da, vor dir da hinten!
An jedem Weib noch hab ich mich versucht,
Und nur an dir noch, Mädchen, bin ich – keusch!

(Sie hat eine furchtbare Scham und Qual zu Mitleid zu überwinden; in Adalbert entwickelt sich aus anfänglicher Mitscham etwas wie tiefe eigene)

Und wisse auch: ich bin nicht rein wie dieser!
An meinem Schilde dunkeln tausend Flecken!
Sieh diese Furchen meines Angesichts,
Es sind die Narben tiefer Seelenwunden! – –
Ich bin nicht ehrlos, aber meine Ehre
Sie baut sich auf aus vielen Tausenden
Von Ehrverletzungen, groben und feinen,
Und weite Strecken an ihr schimmern nicht,
Und liegen schwarz und wüst! Und, Fortunata,
Wärst du Genossin meiner bösen Nächte,
Du sähst mich gleich der Schottenkönigin
In mancher Mitternacht das Haus durchwandeln, 225
Und bleiche Flecken, die nicht schwinden wollen,
Vom roten Fleische scheuern – –

(Fortunata vergeht vor Mitleid und Mitscham; in Adalbert kocht ein Ausbruch)

                                                          Fortunata!
        (Die Hände zeigend)
Wie sollte das dir nahen?

Fortunata (statt der Antwort hauchend).
                                            Weiter! – mehr!

Erdmann (in Wildheit geratend).
Wie? – mehr? – du sagst es!?

Fortunata (voll das Auge zu ihm erhebend).
                                                    Daß ich mehr dich liebe!

Erdmann (gesteigert).
Du? – Reines Wesen – den unreinen Geist?!

Fortunata (mühsam).
Ich – wenn ich – ich bin nicht – oder nicht sehr –
Unrein – doch es war schwer – –

(Erdmann sieht sie starr an; Pause)

Adalbert (für sich).                                 Weh! ich vergehe!
Ihr klagt euch an, und ich, ich hab geprahlt! 226
Wo berg ich meine Scham!

(Er kann weder fliehen noch bleiben)

Erdmann.                                     Weib! – (Pause) Fortunata,
Du schämst dich nicht vor mir?

Fortunata.                                           Nein – vor dir nicht!

Erdmann (auflodernd).
Und nimmst mich auf?!

Fortunata.                               Wen sonst – als dich – und keinen!

Erdmann (brüllt auf wie ein getroffener Stier und stürzt wie ein solcher nieder; ein Krampf schüttelt ihn; dann ist er still; sie beugt sich nach einem ersten Leuchten erschrocken zu ihm nieder. Adalbert bedeckt sein Gesicht und will fortstürzen, hält wieder inne, sieht wild und entseelt auf die Gruppe und wiederholt das Spiel. Fortunata kniet nach kleiner Weile zu dem Hingeschmetterten nieder, erhebt seinen Kopf und erschrickt über die geschlossenen Augen).

Fortunata. Komm – lieg nicht!

Erdmann (geschlossenen Auges).   Lieg ich? Schweb ich? 227

Fortunata (entzückt).                                                             Seele!

Erdmann (die Augen aufschlagend).                                                 Raum!

Fortunata (beugt sich tiefer und sieht ihn voll unendlicher Liebe an; dann:)
Du schrieest so sehr! – –

Erdmann.                                   Ich schrie? (Besinnt sich)
                                                                Weißt du's nicht:
        (Erhebt sich halb)
Schweigend steht Memnons Säul' die lange Nacht,
Erst wenn die süße Sonne auf ihn scheint,
Weiß er, wie kalt es war!

(Nun seufzt, verstehend, Fortunata laut auf)

Fortunata.                                 So weh tat es?
Du Armer!

Erdmann (lächelnd).
                    Ja – so wohl – dem Reichsten!

Fortunata (atmet glücklich auf; sie sehen sich, während Erdmann sich langsam erhebt, groß und heiß an) 228

 


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