Johann Wolfgang von Goethe
Wilhelm Meisters Lehrjahre
Johann Wolfgang von Goethe

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Sechstes Kapitel

Das Gemisch der Empfindungen von Verdruß und Dankbarkeit verdarb ihm den ganzen Rest des Tages, bis er gegen Abend wieder Beschäftigung fand, indem Melina ihm eröffnete, der Graf habe von einem Vorspiele gesprochen, das dem Prinzen zu Ehren den Tag seiner Ankunft aufgeführt werden sollte. Er wolle darin die Eigenschaften dieses großen Helden und Menschenfreundes personifizieret haben. Diese Tugenden sollten miteinander auftreten, sein Lob verkündigen und zuletzt seine Büste mit Blumen- und Lorbeerkränzen umwinden, wobei sein verzogener Name mit dem Fürstenhute durchscheinend glänzen sollte. Der Graf habe ihm aufgegeben, für die Versifikation und übrige Einrichtung dieses Stückes zu sorgen, und er hoffe, daß ihm Wilhelm, dem es etwas Leichtes sei, hierin gerne beistehen werde.

»Wie!« rief dieser verdrießlich aus, »haben wir nichts als Porträte, verzogene Namen und allegorische Figuren, um einen Fürsten zu ehren, der nach meiner Meinung ein ganz anderes Lob verdient? Wie kann es einem vernünftigen Manne schmeicheln, sich in effigie aufgestellt und seinen Namen auf geöltem Papiere schimmern zu sehen! Ich fürchte sehr, die Allegorien würden, besonders bei unserer Garderobe, zu manchen Zweideutigkeiten und Späßen Anlaß geben. Wollen Sie das Stück machen oder machen lassen, so kann ich nichts dawider haben, nur bitte ich, daß ich damit verschont bleibe.«

Melina entschuldigte sich, es sei nur die ungefähre Angabe des Herrn Grafen, der ihnen übrigens ganz überlasse, wie sie das Stück arrangieren wollten. »Herzlich gerne«, versetzte Wilhelm, »trage ich etwas zum Vergnügen dieser vortrefflichen Herrschaft bei, und meine Muse hat noch kein so angenehmes Geschäfte gehabt, als zum Lob eines Fürsten, der so viel Verehrung verdient, auch nur stammelnd sich hören zu lassen. Ich will der Sache nachdenken, vielleicht gelingt es mir, unsre kleine Truppe so zu stellen, daß wir doch wenigstens einigen Effekt machen.«

Von diesem Augenblicke sann Wilhelm eifrig dem Auftrage nach. Ehe er einschlief, hatte er alles schon ziemlich geordnet, und den andern Morgen bei früher Zeit war der Plan fertig, die Szenen entworfen, ja schon einige der vornehmsten Stellen und Gesänge in Verse und zu Papiere gebracht.

Wilhelm eilte morgens gleich, den Baron wegen gewisser Umstände zu sprechen, und legte ihm seinen Plan vor. Diesem gefiel er sehr wohl, doch bezeigte er einige Verwunderung. Denn er hatte den Grafen gestern abend von einem ganz andern Stücke sprechen hören, welches nach seiner Angabe in Verse gebracht werden sollte.

»Es ist mir nicht wahrscheinlich«, versetzte Wilhelm, »daß es die Absicht des Herrn Grafen gewesen sei, gerade das Stück, so wie er es Melinan angegeben, fertigen zu lassen: wenn ich nicht irre, so wollte er uns bloß durch einen Fingerzeig auf den rechten Weg weisen. Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künstler an, was er wünscht, und überläßt ihm alsdann die Sorge, das Werk hervorzubringen.«

»Mitnichten«, versetzte der Baron; »der Herr Graf verläßt sich darauf, daß das Stück so und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde. Das Ihrige hat freilich eine entfernte Ähnlichkeit mit seiner Idee, und wenn wir es durchsetzen und ihn von seinen ersten Gedanken abbringen wollen, so müssen wir es durch die Damen bewirken. Vorzüglich weiß die Baronesse dergleichen Operationen meisterhaft anzulegen; es wird die Frage sein, ob ihr der Plan so gefällt, daß sie sich der Sache annehmen mag, und dann wird es gewiß gehen.«

»Wir brauchen ohnedies die Hülfe der Damen«, sagte Wilhelm, »denn es möchte unser Personal und unsere Garderobe zu der Ausführung nicht hinreichen. Ich habe auf einige hübsche Kinder gerechnet, die im Hause hin und wider laufen und die dem Kammerdiener und dem Haushofmeister zugehören.«

Darauf ersuchte er den Baron, die Damen mit seinem Plane bekannt zu machen. Dieser kam bald zurück und brachte die Nachricht, sie wollten ihn selbst sprechen. Heute abend, wenn die Herren sich zum Spiele setzten, das ohnedies wegen der Ankunft eines gewissen Generals ernsthafter werden würde als gewöhnlich, wollten sie sich unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit in ihr Zimmer zurückziehen, er sollte durch die geheime Treppe eingeführt werden und könne alsdann seine Sache auf das beste vortragen. Diese Art von Geheimnis gebe der Angelegenheit nunmehr einen doppelten Reiz, und die Baronesse besonders freue sich wie ein Kind auf dieses Rendezvous und mehr noch darauf, daß es heimlich und geschickt gegen den Willen des Grafen unternommen werden sollte.

Gegen Abend um die bestimmte Zeit ward Wilhelm abgeholt und mit Vorsicht hinaufgeführt. Die Art, mit der ihm die Baronesse in einem kleinen Kabinette entgegenkam, erinnerte ihn einen Augenblick an vorige glückliche Zeiten. Sie brachte ihn in das Zimmer der Gräfin, und nun ging es an ein Fragen, an ein Untersuchen. Er legte seinen Plan mit der möglichsten Wärme und Lebhaftigkeit vor, so daß die Damen dafür ganz eingenommen wurden, und unsere Leser werden erlauben, daß wir sie auch in der Kürze damit bekannt machen.

In einer ländlichen Szene sollten Kinder das Stück mit einem Tanze eröffnen, der jenes Spiel vorstellte, wo eins herumgehen und dem andern einen Platz abgewinnen muß. Darauf sollten sie mit andern Scherzen abwechseln und zuletzt zu einem immer wiederkehrenden Reihentanze ein fröhliches Lied singen. Darauf sollte der Harfner mit Mignon herbeikommen, Neugierde erregen und mehrere Landleute herbeilocken; der Alte sollte verschiedene Lieder zum Lobe des Friedens, der Ruhe, der Freude singen und Mignon darauf den Eiertanz tanzen.

In dieser unschuldigen Freude werden sie durch eine kriegerische Musik gestört und die Gesellschaft von einem Trupp Soldaten überfallen. Die Mannspersonen setzen sich zur Wehre und werden überwunden, die Mädchen fliehen und werden eingeholt. Es scheint alles im Getümmel zugrunde zu gehen, als eine Person, über deren Bestimmung der Dichter noch ungewiß war, herbeikommt und durch die Nachricht, daß der Heerführer nicht weit sei, die Ruhe wiederherstellt. Hier wird der Charakter des Helden mit den schönsten Zügen geschildert, mitten unter den Waffen Sicherheit versprochen, dem Übermut und der Gewalttätigkeit Schranken gesetzt. Es wird ein allgemeines Fest zu Ehren des großmütigen Heerführers begangen.

Die Damen waren mit dem Plane sehr zufrieden, nur behaupteten sie, es müsse notwendig etwas Allegorisches in dem Stücke sein, um es dem Herrn Grafen angenehm zu machen. Der Baron tat den Vorschlag, den Anführer der Soldaten als den Genius der Zwietracht und der Gewalttätigkeit zu bezeichnen; zuletzt aber müsse Minerva herbeikommen, ihm Fesseln anzulegen, Nachricht von der Ankunft des Helden zu geben und dessen Lob zu preisen. Die Baronesse übernahm das Geschäft, den Grafen zu überzeugen, daß der von ihm angegebene Plan, nur mit einiger Veränderung, ausgeführt worden sei; dabei verlangte sie ausdrücklich, daß am Ende des Stücks notwendig die Büste, der verzogene Namen und der Fürstenhut erscheinen mußten, weil sonst alle Unterhandlung vergeblich sein würde.

Wilhelm, der sich schon im Geiste vorgestellt hatte, wie fein er seinen Helden aus dem Munde der Minerva preisen wollte, gab nur nach langem Widerstande in diesem Punkte nach, allein er fühlte sich auf eine sehr angenehme Weise gezwungen. Die schönen Augen der Gräfin und ihr liebenswürdiges Betragen hätten ihn gar leicht bewogen, auch auf die schönste und angenehmste Erfindung, auf die so erwünschte Einheit einer Komposition und auf alle schicklichen Details Verzicht zu tun und gegen sein poetisches Gewissen zu handeln. Ebenso stand auch seinem bürgerlichen Gewissen ein harter Kampf bevor, indem bei bestimmterer Austeilung der Rollen die Damen ausdrücklich darauf bestanden, daß er mitspielen müsse.

Laertes hatte zu seinem Teil jenen gewalttätigen Kriegsgott erhalten. Wilhelm sollte den Anführer der Landleute vorstellen, der einige sehr artige und gefühlvolle Verse zu sagen hatte. Nachdem er sich eine Zeitlang gesträubt, mußte er sich endlich doch ergeben; besonders fand er keine Entschuldigung, da die Baronesse ihm vorstellte, die Schaubühne hier auf dem Schlosse sei ohnedem nur als ein Gesellschaftstheater anzusehen, auf dem sie gern, wenn man nur eine schickliche Einleitung machen könnte, mitzuspielen wünschte. Darauf entließen die Damen unsern Freund mit vieler Freundlichkeit. Die Baronesse versicherte ihm, daß er ein unvergleichlicher Mensch sei, und begleitete ihn bis an die kleine Treppe, wo sie ihm mit einem Händedruck gute Nacht gab.


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