Friedrich Schiller
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe - Erster Band
Friedrich Schiller

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1797.

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264. An Schiller.

Leipzig den 1. Januar 1797.

Ehe ich von hier weggehe muß ich noch ein Lebenszeichen von mir geben und kürzlich meine Geschichte melden. Nachdem wir am 28sten December uns durch die Windwehen auf dem Ettersberge durchgewürgt hatten und auf Buttelstädt gekommen waren, fanden wir recht leidliche Bahn und übernachteten in Rippach. Am 29sten früh um 11 Uhr waren wir in Leipzig und haben der Zeit eine Menge Menschen gesehen, waren meist Mittag und Abends zu Tische geladen und ich entwich mit Noth der einen Hälfte dieser Wohlthat. Einige recht interessante Menschen haben sich unter der Menge gefunden, alte Freunde und Bekannte habe ich auch wieder gesehen, so wie einige vorzügliche Kunstwerke, die mir die Augen wieder ausgewaschen haben.

Nun ist noch heute ein saurer Neujahrstag zu überstehen, indem frühmorgens ein Cabinet besehen wird, Mittags ein großes Gastmahl genossen, Abends das Concert besucht wird, und ein langes Abendessen darauf gleichfalls unvermeidlich ist. Wenn wir nun so um 1 Uhr nach Hause kommen steht uns, nach einem kurzen Schlaf, die Reise nach Dessau bevor, die wegen des eingefallenen starken Thauwetters einigermaßen bedenklich ist; doch wird auch das glücklich vorübergehen.

So sehr ich mich freue nach dieser Zerstreuung bald zu Ihnen in die Jenaische Einsamkeit zurückzukehren, so lieb ist mir's, daß ich einmal wieder so eine große Menschenmasse sehe, zu der ich eigentlich gar kein Verhältniß habe. Ich konnte über die Wirkung der literarischen positiven und polemischen Schriften manche gute Bemerkung machen, und das versprochene Gegenmanifest wird nicht um desto schlimmer werden.

Leben Sie recht wohl. Da wir schon morgen nach Dessau gehen, so scheint es daß die Reise überhaupt nicht gar zu lange dauern wird.

Sagen Sie Herrn von Humboldt daß ich Doctor Fischern gesehen habe, und daß er mir recht wohl gefallen hat. Die Kürze der Tage und das äußerst böse Thauwetter hindern mich übrigens meinen Aufenthalt so zu nutzen wie ich wohl wünschte; doch findet man zufällig manches was man sonst vergebens sucht. Leben Sie nochmals wohl, vergnügt und fleißig.

G.


265. An Schiller.

Nach einer vierzehntägigen Abwesenheit bin ich glücklich wieder zurückgekommen, von meiner Reise sehr wohl zufrieden, auf der mir manches Angenehme und nichts Unangenehmes begegnet ist. Ich habe viel davon zu erzählen und werde, sobald ich nur wieder hier ein wenig Ordnung gemacht, wenn es auch nur auf einen Tag ist, zu Ihnen hinüber kommen. Leider kann ich nicht sogleich, so sehr ich auch wünschte Herrn Oberbergrath Humboldt noch zu sprechen. Grüßen Sie beide Brüder aufs beste und schönste und sagen Sie daß ich sogleich Anstalt machen werde die verzeichneten Bücher Herrn Gentz zu verschaffen.

Ich verlange sehr Sie wieder zu sehen, denn ich bin bald in dem Zustande daß ich für lauter Materie nicht mehr schreiben kann, bis wir uns wieder gesehen und recht ausgeschwätzt haben.

Poetisches hat mir die Reise nichts eingetragen als daß ich den Schluß meines epischen Gedichts vollkommen schematisirt habe. Schreiben Sie mir was Ihnen indessen die Muse gegönnt hat. Grüßen Sie Ihre liebe Frau und sagen mir wie die Kleinen sich befinden.

Weimar am 11. Januar 1797.

Mit dem Buche, das mir Rath Schlegel mitbrachte, geht es mir wunderlich. Nothwendig muß es einer der damals gegenwärtigen Freunde eingesteckt haben, denn ich habe es nicht wieder gesehen und deßhalb auch vergessen; ich will sogleich herumschicken um zu erfahren wo es steckt. Wenn Sie Schlegeln sehen, so sagen Sie ihm daß ich ihm ein Compliment von einer recht schönen Frau zu bringen habe, die sich sehr lebhaft für ihn zu interessiren schien.

G.


266. An Goethe.

Eben bekomme ich Ihren lieben Brief, der mich mit der Nachricht von Ihrer Zurückkunft herzlich erfreut. Diese Zeit Ihrer Abwesenheit von Jena währt mir unbeschreiblich lang; wiewohl es mir gar nicht an Umgang fehlte, so hat es mir doch gerad an der nöthigsten Stärkung bei meinem Geschäft gemangelt. Kommen Sie ja, so bald Sie können. Ich zwar habe nicht viel gesammelt was ich mittheilen könnte, desto begieriger aber und bedürftiger werde ich alles aufnehmen, was ich von Ihnen hören kann.

Wir sind alle so wohl, wie wir zu sein pflegen; unthätig bin ich gar nicht gewesen, wiewohl in diesen düstern drückenden Wintertagen alles später reift, und die rechte Gestalt sich schwerer findet. Indessen ich sehe doch ins Helle und mein Stoff unterwirft sich mir immer mehr. Die erste Bedingung eines glücklichen Fortgangs meiner Arbeit ist eine leichtere Luft, und Bewegung; ich bin daher entschlossen, mit den ersten Regungen des Frühjahrs den Ort zu verändern und mir, wo möglich in Weimar, ein Gartenhaus, wo heizbare Zimmer sind, auszusuchen. Das ist mir jetzt ein dringendes Bedürfniß, und kann ich diesen Zweck zugleich mit einer größern und leichtern Communication mit Ihnen vereinigen, so sind vor der Hand meine Wünsche erfüllt. Ich denke wohl, daß es gehen wird.

Die Reichardtische Sache habe ich mir diese Zeit über aus dem Sinne geschlagen, weil ich mich darin mit Freuden in Ihren Rath ergeben will. Sie überfiel mich in einer zu engen Zimmerluft, und alles was zu mir kommt, muß noch dazu beitragen, mir diese Widrigkeiten noch lastender zu machen.

Aber Wieland wird nun auch gegen die Xenien auftreten, wie Sie aus dem ersten Stück des Merkur ersehen werden. Es wäre doch unangenehm, wenn er uns zwänge, auch mit ihm anzubinden, und es fragt sich, ob man nicht wohl thäte, ihm die Folgen zu bedenken zu geben.

Ihre Aufträge sollen besorgt werden. Ich lege hier das zwölfte Horenstück bei, die übrigen Exemplare kommen übermorgen.

Wir umarmen Sie alle herzlich.

Jena den 11. Januar 1797.

Sch.


267. An Goethe.

Jena den 17. Januar 1797.

Ich mache eben Feierabend mit meinem Geschäft und sage Ihnen noch einen guten Abend, eh ich die Feder weglege. Ihr letzter Besuch, so kurz er auch war, hat eine gewisse Stagnation bei mir gehoben, und meinen Muth erhöht. Sie haben mich durch Ihre Beschreibungen wieder in die Welt geführt, von der ich mich ganz abgetrennt fühlte.

Besonders aber erfreut mich Ihre lebhafte Neigung zu einer fortgesetzten poetischen Thätigkeit. Ein neueres schöneres Leben thut sich dadurch vor Ihnen auf, es wird sich auch mir nicht nur in dem Werke, es wird sich mir auch durch die Stimmung, in die es Sie versetzt, mittheilen und mich erquicken. Ich wünschte besonders jetzt die Chronologie Ihrer Werke zu wissen; es sollte mich wundern, wenn sich an den Entwicklungen Ihres Wesens nicht ein gewisser nothwendiger Gang der Natur im Menschen überhaupt nachweisen ließe. Sie müssen eine gewisse, nicht sehr kurze, Epoche gehabt haben, die ich Ihre analytische Periode nennen möchte, wo Sie durch die Theilung und Trennung zu einem Ganzen strebten, wo Ihre Natur gleichsam mit sich selbst zerfallen war und sich durch Kunst und Wissenschaft wieder herzustellen suchte. Jetzt däucht mir kehren Sie, ausgebildet und reif, zu Ihrer Jugend zurück, und werden die Frucht mit der Blüthe verbinden. Diese zweite Jugend ist die Jugend der Götter und unsterblich wie diese.

Ihre kleine und große Idylle und noch neuerlich Ihre Elegie zeigen dieses, so wie die alten Elegien und Epigramme. Ich möchte aber von den früheren Werken, vom Meister selber, die Geschichte wissen. Es ist keine verlorene Arbeit, dasjenige aufzuschreiben was Sie davon wissen. Man kann Sie ohne das nicht ganz kennen lernen. Thun Sie es also ja, und legen auch bei mir eine Copie davon nieder.

Fällt Ihnen etwas von der Lenzischen Verlassenschaft in die Hände, so erinnern Sie sich meiner. Wir müssen alles was wir finden, für die Horen zusammenraffen. Bei Ihrem veränderten Plan für die Zukunft können Sie vielleicht auch die italienischen Papiere den Horen zu gut kommen lassen.

An den Cellini bitte ich auch zu denken, daß ich ihn etwa in drei Wochen habe.

Freund Reichardts Abfertigung bitte auch nicht ganz zu vergessen.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


268. An Schiller.

Die wenigen Stunden, die ich neulich mit Ihnen zugebracht habe, haben mich auf eine Reihe von Zeit nach unserer alten Art wieder recht lüstern gemacht; sobald ich nur einigermaßen hier verschiedenes ausgeführt und manches eingerichtet habe, bringe ich wieder eine Zeit mit Ihnen zu, die, wie ich hoffe, in mehr als Einem Sinn für uns beide fruchtbar sein wird. Benutzen Sie ja Ihre besten Stunden, um die Tragödie weiter zu bringen, damit wir anfangen können uns zusammen darüber zu unterhalten.

Ich empfange soeben Ihren lieben Brief und läugne nicht daß mir die wunderbare Epoche in die ich eintrete, selbst sehr merkwürdig ist: ich bin darüber leider noch nicht ganz beruhigt, denn ich schleppe von der analytischen Zeit noch so vieles mit, das ich nicht los werden und kaum verarbeiten kann. Indessen bleibt mir nichts übrig als auf diesem Strom mein Fahrzeug so gut zu lenken als es nur gehen will. Was bei dieser Disposition eine Reise für Wirkung thut habe ich schon die letzten 14 Tage gesehen; indessen läßt sich ins Ferne und Ganze nichts voraussagen, da diese regulirte Naturkraft sowie alle unregulirten durch nichts in der Welt geleitet werden kann, sondern wie sie sich selbst bilden muß auch aus sich selbst und auf ihre eigne Weise wirkt. Es wird uns dieses Phänomen zu manchen Betrachtungen Anlaß geben.

Der versprochene Aufsatz ist so reif daß ich ihn in einer Stunde dictiren könnte, ich muß aber nothwendig vorher mit Ihnen noch über die Sache sprechen und ich werde um so mehr eilen bald wieder bei Ihnen zu sein. Sollte sich ein längerer Aufenthalt in Jena noch nicht möglich machen, so komme ich bald wieder auf einen Tag; solch ein kurzes Zusammensein ist immer sehr fruchtbar.

Eine Abtheilung Cellini corrigire ich gegenwärtig; haben Sie eine Abschrift von derjenigen die im nächsten Stück erwartet wird, so schicken Sie mir solche doch.

Ich schließe für dießmal und wünsche recht wohl zu leben.

Weimar am 18. Januar 1797.

G.


269. An Goethe.

Jena 24. Januar 1797.

Nur zwei Worte für heute. Ich hoffte, nach Ihrem letzten Brief, Sie schon seit etlichen Tagen hier zu sehen. Die paar heitern Tage haben mich auch wieder in die Luft gelockt und mir wohlgethan. Mit der Arbeit geht's aber jetzt langsam, weil ich gerade in der schwersten Krise bin. Das seh ich jetzt klar, daß ich Ihnen nicht eher etwas zeigen kann, als bis ich über alles mit mir selbst im reinen bin. Mit mir selbst können Sie mich nicht einig machen, aber mein Selbst sollen Sie mir helfen mit dem Objecte übereinstimmend zu machen. Was ich Ihnen also vorlege, muß schon mein Ganzes sein, ich meine just nicht mein ganzes Stück, sondern meine ganze Idee davon. Der radicale Unterschied unserer Naturen, in Rücksicht auf die Art, läßt überhaupt keine andere, recht wohlthätige Mittheilung zu, als wenn das Ganze sich dem Ganzen gegenüber stellt; im einzelnen werde ich Sie zwar nicht irre machen können, weil Sie fester auf sich selbst ruhen als ich, aber Sie würden mich leicht über den Haufen rennen können. Doch davon mündlich weiter.

Kommen Sie ja recht bald. Ich lege hier das neueste von Cellini bei, das neulich vergessen wurde.

Alles grüßt Sie. Die Humboldtin leidet doch viel bei ihren Wochen und es wird langwierig werden.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


270. An Goethe.

[Jena den 27. Januar 1797]

Da Sie jetzt mit Farben beschäftigt sind, so will ich Ihnen doch eine Beobachtung mittheilen die ich heute, mit einem gelben Glase, gemacht. Ich betrachtete damit die Gegenstände vor meinem Fenster, und hielt es so weit horizontal vor das Auge, daß es mir zu gleicher Zeit die Gegenstände unter demselben zeigte, und auf seiner Fläche den blauen Himmel abspiegelte, und so erschienen mir an den hochgelb gefärbten Gegenständen alle die Stellen hell purpurfarbig, auf welche zugleich das Bild des blauen Himmels fiel, so daß es schien, als wenn die hochgelbe Farbe, mit der blauen des Himmels vermischt, jene Purpurfarbe hervorgebracht hätte. Nach der gewöhnlichen Erfahrung hätte aus dieser Mischung Grün entstehen sollen, und so sah auch der Himmel aus, sobald ich ihn durch das Glas betrachtete, und nicht bloß darin abspiegelte. Daß aber in dem letztern Fall Purpur erschien, erklärte ich mir daraus, daß ich bei der horizontalen Lage des Glases durch die Breite desselben also den dickern Theil sah, der schon ins Röthliche fiel. Denn ich durfte bloß das Glas von der einen Seite zuhalten und die Gegenstände als wie in einen Spiegel hineinfallen lassen, so war da ein reines Roth, wo vorher Gelb gewesen.

Ich sage Ihnen mit meiner Bemerkung schwerlich etwas neues, indessen wünschte ich zu wissen, ob ich mir das Phänomen recht erkärte. Hinge es wirklich nur von der größern oder geringeren Verdichtung des Gelben ab, um mit dem Blauen bald Purpur bald Grün hervorzubringen, so wäre die Reciprocität dieser zwei letztern Farben noch interessanter.

Haben Sie gelesen, was Campe auf die Xenien erwidert hat? Es geht eigentlich nur Sie an, und er hat sich auch höflich benommen, aber den Pedanten und die Waschfrau nur aufs neue bestätigt. Was das Archiv des Geschmacks und der Genius der Zeit zu Markte gebracht, haben Sie wohl schon gelesen, auch des Wandsbecker Boten klägliche Verse.

Leben Sie recht wohl. Ich wünschte, daß Sie bald von allen lästigen Amtsgeschäften frei zur Muse zurückkehren möchten.

Sch.


271. An Schiller.

Sonntag, den 29. Januar 1797.

Wenigstens soll heute Abend Ihnen ein eilfertiges Blatt gewidmet sein, damit Sie doch im allgemeinen erfahren wie es mit mir steht.

Ich habe diese Woche einige bedeutende Contracte zu Stande gebracht. Erstlich habe ich Dem. Jagemann für den hiesigen Hof und das Theater gewonnen; sie ist als Hofsängerin angenommen und wird in den Opern manchmal singen, wodurch denn unsere Bühne ein ganz neues Leben erhält. Ferner habe ich auch mein episches Gedicht verhandelt, wobei sich einige artige Begebenheiten ereignet haben.

Daß bei solchen Umständen an keine ästhetische Stimmung zu denken ist läßt sich leicht begreifen; indessen schließen sich die Farbentafeln immer besser an einander, und in Betrachtung organischer Naturen bin ich auch nicht müßig gewesen; es leuchten mir in diesen langen Nächten ganz sonderbare Lichter, ich hoffe es sollen keine Irrwische sein.

Ihre Farbenbeobachtung mit dem gelben Glase ist sehr artig; ich glaube daß ich diesen Fall unter ein mir schon bekanntes Phänomen subsumiren kann, doch bin ich neugierig bei Ihnen gerade den Punkt zu sehen auf welchem es beobachtet worden.

Grüßen Sie doch Humboldt vielmals, und bitten um Vergebung daß ich die auf Italien sich beziehenden Bücher noch nicht geschickt; Mittwoch soll etwas kommen.

Von Xenialischen Dingen habe ich die Zeit nichts gehört; in der Welt in der ich lebe klingt nichts literarisches weder vor noch nach; der Moment des Anschlagens ist der einzige der bemerkt wird. In Kurzem wird sich zeigen ob ich auf längere Zeit zu Ihnen kommen kann, oder ob ich nochmals nur eine augenblickliche Visite machen werde.

Leben Sie recht wohl; grüßen Sie was Sie umgiebt und halten sich zum Wallenstein so viel nur immer möglich ist.

G.


272. An Goethe.

Jena den 31. Januar 1797.

Zu der guten Acquisition für die Oper wünsche ich Glück, und was das epische Werk betrifft, so hoffe ich, Sie sind in gute Hände gefallen. Das Werk wird einen glänzenden Absatz haben, und bei solchen Schriften sollte der Verleger billig keinen Profit zu machen suchen, sondern sich mit der Ehre begnügen. Mit schlechten Büchern mag er reich werden.

Weil doch von mercantilischen Dingen die Rede ist, so lassen Sie mich Ihnen eine Idee mittheilen, die mir jetzt sehr am Herzen liegt. Ich bin jetzt genöthigt, mich in der Wahl einer Wohnung zu beeilen, da ein Gartenhaus hier zu verkaufen ist, welches mir convenient wäre, wenn ich hier wohnen bleiben wollte. Da ich nothwendig auf einen Garten sehen muß, und die Gelegenheit so leicht nicht wieder kommen könnte, so müßte ich zugreifen.

Nun sind aber verschiedene überwiegende Gründe da, warum ich doch lieber in Weimar wohnen möchte, und könnte ich dort eine Wohnung von derselben Art finden, so möchte ich es wohl vorziehen. Nach den Erkundigungen, die ich habe anstellen lassen, wird dieses aber schwer halten. Da Sie neulich von Ihrem Gartenhause sprachen und meinten, es habe Raum genug, so wünschte ich zu wissen, ob Sie es vielleicht für eine längere Zeit entbehren und es mir ordentlich vermiethen könnten. Es ist ja ohnehin Schade daß es dasteht, ohne sich zu verinteressiren, und mir wäre sehr damit geholfen.

Wären Sie dazu nicht ungeneigt, und qualificirte sich das Haus in den wesentlichen Dingen dazu, Sommers und Winters bewohnt zu werden, so würden wir über die Veränderungen, die noch nöthig wären, leicht miteinander einig werden können.

Was den Garten betrifft, so stünde ich für meine Leute, daß nichts verdorben werden sollte.

Die Entfernung würde mich wenig abschrecken. Meiner Frau ist eine äußere Nothwendigkeit sich in Bewegung zu setzen sehr gesund, und was mich betrifft, so hoffe ich nach einigen Versuchen in freier Luft, mir auch mehr zutrauen zu können.

Vor der Hand wünschte ich nun bloß zu wissen, ob Sie überhaupt nur zu einer solchen Disposition geneigt wären; das übrige würde dann auf eine nähere Besichtigung ankommen.

Leben Sie recht wohl. Alles grüßt.

Sch.

Körner wünscht zu erfahren, ob Sie die bestellten Musikalien und den Katalog der Wackerischen Auction bekommen?


273. An Schiller.

Sie erhalten auch endlich wieder einmal einen Beitrag von mir und zwar einen ziemlich starken Heft Cellini; nun steht noch der letzte bevor, und ich wünsche daß wir alsdann wieder einen solchen Fund thun mögen. Auch einige Lenziana liegen bei. Ob und wie etwas davon zu brauchen ist, werden Sie beurtheilen. Auf alle Fälle lassen Sie diese wunderlichen Hefte liegen bis wir uns nochmals darüber besprochen haben.

Mein Gartenhaus stünde Ihnen recht sehr zu Diensten, es ist aber nur ein Sommeraufenthalt für wenig Personen. Da ich selbst so lange Zeit darin gewohnt habe, und auch Ihre Lebensweise kenne, so darf ich mit Gewißheit sagen daß Sie darin nicht hausen können, um so mehr als ich Waschküche und Holzstall wegbrechen lassen, die einer etwas größeren Haushaltung völlig unentbehrlich sind. Es kommen noch mehr Umstände dazu, die ich mündlich erzählen will.

Der zu verkaufende Garten in Jena ist wohl der Schmidtische? Wenn er wohnbar ist, sollten Sie ihn nehmen. Wäre denn einmal Ihr Herr Schwager hier eingerichtet, so könnte man auf ein freiwerdendes Quartier aufpassen und den Garten werden Sie, da die Grundstücke immer steigen, ohne Schaden wieder los. Jetzt ist ein Quartier, wie Sie es wünschen, hier auf keine Weise zu finden.

Von Rom habe ich einen wunderlichen Aufsatz erhalten, der vielleicht für die Horen brauchbar ist. Er hat den ehemals sogenannten Maler Müller zum Verfasser, und ist gegen Fernow gerichtet. In den Grundsätzen die er aufstellt hat er sehr recht, er sagt viel gründliches, wahres und gutes; so ist der Aufsatz auch stellenweise gut geschrieben, hat aber im Ganzen doch etwas unbehülfliches und in einzelnen Stellen ist der Punkt nicht recht getroffen. Ich lasse das Werkchen abschreiben und theile es alsdann mit. Da er genannt sein will, so könnte man es wohl mit seinem Namen abdrucken lassen und am Schlusse eine Note hinzufügen, wodurch man sich in die Mitte stellte und eine Art von pro und contra eröffnete. Herr Fernow möchte alsdann im Merkur, Herr Müller in den Horen seine rechtliche Nothdurft anbringen und man hätte dabei Gelegenheit die mancherlei Albernheiten, die Herr Fernow mit großer Freiheit im Merkur debitirt, mit wenig Worten herauszuheben.

Körnern danken Sie recht vielmals für das überschickte Duett und den Catalogus; ersteres ist schon übersetzt und auf dem Theater. Leben Sie recht wohl! Mein Winterhimmel klärt sich auf und ich hoffe bald bei Ihnen zu sein; alles geht mir gut von statten und ich wünsche Ihnen das gleiche.

Weimar am 1. Februar 1797.

G.


274. An Goethe.

Jena den 2. Februar 1797.

Mit der gestrigen Sendung haben Sie mich recht erquickt, denn ich bin noch nie so in der Noth gewesen, die Horen flott zu erhalten als jetzt. Die Arbeit vom Maler Müller soll mir sehr lieb sein; er ist sicher eine unerwartete und neue Figur und es wird uns auch sehr helfen, wenn ein Streit in den Horen eröffnet wird. Die Lenziana, so weit ich bis jetzt hineingesehen, enthalten sehr tolles Zeug, aber die Wiedererscheinung dieser Empfindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherlich nicht ohne Interesse sein, besonders da der Tod und das unglückliche Leben des Verfassers allen Neid ausgelöscht hat, und diese Fragmente immer einen biographischen und pathologischen Werth haben müssen.

Zu einem Nachfolger des Cellini wäre Vieilleville wohl sehr brauchbar, nur müßte er freilich nicht sowohl übersetzt als ausgezogen werden. Wenn Sie selbst sich nicht daran machen wollen und auch nichts anders Masse gebendes wissen, so will ich mich an den Vieilleville machen und bitte mir ihn zu dem Ende zu senden.

Niethammer, der diesen Brief mitnimmt, ist in der Angelegenheit nach Weimar gereist, sich beim Geh. Rath Voigt wegen einer außerordentlichen Professur in der Theologie zu melden. Es ist nämlich ein anderer philosophischer Professor Namens Lange darum eingekommen, und Niethammers ganzer Lebensplan ist davon abhängig, daß dieser Lange der viel neuer ist als er, ihm nicht zuvorkomme. Niethammer wird Sie bitten, Ihnen seine Angelegenheit vortragen zu dürfen, und Sie werden diese arme Philosophie nicht stecken lassen. Er ist nicht so unbescheiden, Ihnen zur Last fallen zu wollen, er wünscht bloß daß Sie dem Geh. Rath Voigt, und wenn es Gelegenheit dazu gäbe, dem Herzog selbst davon sagen möchten, daß Sie ihn kennen und einer solchen Beförderung nicht für unwürdig halten.

Daß mein Plänchen auf Ihr Gartenhaus unausführbar ist, beklage ich sehr. Ich entschließe mich ungern, hier sitzen zu bleiben; denn wenn Humboldt erst fort ist, so bin ich schlechterdings ganz allein, und auch meine Frau ist ohne Gesellschaft. Ich will mich doch noch erkundigen, ob das Gartenhaus des Geh. Rath Schmidt nicht verkäuflich ist; denn wäre es gleich in seinem jetzigen Zustand nicht bewohnbar, so könnte ich es doch, wenn es mein eigen wäre, in Stand richten lassen, welches ich auch bei dem Professor Schmidtischen hier thun müßte.

Leben Sie aufs beste wohl und kommen Sie ja, so bald Sie können.

Sch.


275. An Schiller.

Nach einer sehr staubigen und gedrängten Redoute kann ich Ihnen nur wenige Worte sagen.

Erstlich sende ich hier das Opus des Maler Müllers abgeschrieben; ich habe es nicht wieder durchsehen können und lege daher auch das Original bei. Da Sie es wohl nicht sogleich brauchen, so conferiren wir vorher nochmals drüber und Sie überlegen ja wohl ob am Style irgend etwas zu thun ist. Leider vergleicht er sich selbst ganz richtig mit einem Geist der nothgedrungen spricht, nur äußert er sich nicht so leicht und luftig wie Ariel. Vieles, werden Sie finden, ist ganz aus unserm Sinne geschrieben und, auch unvollkommen wie sie ist, bleibt eine solche öffentliche, ungesuchte und unvorbereitete Beistimmung schätzbar. Am Ende ist's und bleibt's denn doch ein Stein, den wir in des Nachbars Garten werfen; wenn er auch ein bißchen aufpatscht, was hat's zu bedeuten. Selbst wenn wirklich etwas an Fernow ist, muß es durch Opposition ausgebildet werden, denn seine deutsche Subjectivität spricht nur immer entscheidender und alberner von Rom her.

Zweitens sende ich Ihnen einen Gesang eines wunderlichen Gedichtes. Da ich den Verfasser kenne, so macht mich das im Urtheil irre. Was sagen Sie? glauben Sie daß er poetisch Talent hat? Es ist eine gewisse anmuthige freie Weltansicht drin und eine hübsche Jugend; aber freilich alles nur Stoff, und wie mich dünkt keine Spur von einer zusammenfassenden Form. Gesetzt man hätte eine poetische Schule, wo man die Hauptvortheile und Erfordernisse der Dichtkunst, wenigstens dem Verstande eines solchen jungen Mannes klar machen könnte, was glaubten Sie, daß aus einem solchen Naturell gezogen werden könnte? Jetzt weiß ich ihm keinen Rath zu geben als daß er kleinere Sachen machen soll.

Meine Aussicht auf längere Zeit bei Ihnen zu bleiben, verschiebt sich abermals weiter hinaus. Die Anstellung der Jagemann und ihre Einleitung aufs Theater macht meine Gegenwart höchst nöthig; doch soll mich nicht leicht etwas abhalten Sonntag den 12ten zu Ihnen zu kommen; wir haben Vollmond und brauchen bei der Rückkehr das zerrissene Mühlthal nicht zu fürchten.

Den Vieilleville will ich schicken, denn ich darf nichts neues unternehmen. Vielleicht bildet sich die Idee zu einem Mährchen, die mir gekommen ist, weiter aus. Es ist nur gar zu verständig und verständlich, drum will mirs nicht recht behagen; kann ich aber das Schiffchen auf dem Ocean der Imagination recht herumjagen, so giebt es doch vielleicht eine leidliche Composition die den Leuten besser gefällt als wenn sie besser wäre. Das Mährchen mit dem Weibchen im Kasten lacht mich manchmal auch wieder an, es will aber noch nicht recht reif werden.

Uebrigens sind jetzt alle meine Wünsche auf die Vollendung des Gedichtes gerichtet und ich muß meine Gedanken mit Gewalt davon zurückhalten, damit mir das Detail nicht in Augenblicken zu deutlich werde wo ich es nicht ausführen kann. Leben Sie recht wohl und lassen mich etwas von Ihrer Stimmung und Ihren Arbeiten wissen.

Weimar den 4. Februar 1797.

G.


276. An Goethe.

Jena den 7. Februar 1797.

Sie haben mir in diesen letzten Botentagen einen solchen Reichthum von Sachen zugeschickt, daß ich mit dem Besichtigen noch gar nicht habe fertig werden können, besonders da mir von der einen Seite ein Garten, den ich im Handel habe, und von der andern eine Liebesscene in meinem zweiten Act den Kopf nach sehr verschiedenen Richtungen bewegen.

Indessen habe ich mich gleich an das Maler-Müllerische Scriptum gemacht, welches, zwar in einer schwerfälligen und herben Sprache, sehr viel vortreffliches enthält, und nach den gehörigen Abänderungen im Stil einen vorzüglich guten Beitrag zu den Horen abgeben wird.

In dem neuen Stück Cellini habe ich mich über den Guß des Perseus recht von Herzen erlustigt. Die Belagerung von Troja oder von Mantua kann keine größere Begebenheit sein, und nicht pathetischer erzählt werden als diese Geschichte.

Ueber das Epos, welches Sie mir mitgetheilt, werde ich Ihnen mehr sagen können, wenn Sie kommen. Was ich bis jetzt darin gelesen, bestätigt mir sehr Ihr Urtheil. Es ist das Product einer lebhaften und vielbeweglichen Phantasie, aber diese Beweglichkeit geht auch so sehr bis zur Unart, daß schlechterdings alles schwimmt und davonfließt, ohne daß man etwas von bleibender Gestalt darin fassen könnte. Bei diesem durchaus herrschenden Charakter der bloßen gefälligen Mannigfaltigkeit und des anmuthigen Spiels würde ich auf einen weiblichen Verfasser gefallen sein, wenn es mir zufällig in die Hände gerathen wäre. Es ist reich an Stoff, und scheint doch äußerst wenig Gehalt zu haben. Nun glaube ich aber, daß das was ich Gehalt nenne, allein der Form fähig werden kann; was ich hier Stoff nenne, scheint mir schwer oder niemals damit verträglich zu sein.

Ohne Zweifel haben Sie jetzt auch die Wielandische Oration gegen die Xenien gelesen. Was sagen Sie dazu? Es fehlt nichts, als daß sie im Reichsanzeiger stünde.

Von meiner Arbeit und Stimmung dazu kann ich jetzt gerade wenig sagen, da ich in der Krise bin, und mein bestes feinstes Wesen zusammennehme, um sie gut zu überstehen. Insofern ist mir's lieb, daß die Ursache die Sie abhält hieher zu kommen, gerade diesen Monat trifft, wo ich mich am meisten nöthig habe zu isoliren.

Soll ich Ihre Elegie nun etwa zum Druck abschicken, daß sie am Anfange Aprils ins Publicum kommt?

Zu dem Mährchen wünsche ich bald eine recht günstige Stimmung. Leben Sie recht wohl. Wir freuen uns, Sie auf den Sonntag zu sehen.

Sch.


277. An Schiller.

Ich freue mich daß Sie in Ihrem abgesonderten Wesen die ästhetischen Krisen abwarten können; ich bin wie ein Ball den eine Stunde der andern zuwirft. In den Frühstunden suche ich die letzte Lieferung Cellini zu bearbeiten. Der Guß des Perseus ist fürwahr einer von den lichten Punkten, so wie bei der ganzen Arbeit an der Statue bis zuletzt Naturell, Kunst, Handwerk, Leidenschaft und Zufall alles durcheinander wirkt und dadurch das Kunstwerk gleichsam zum Naturprodukt macht.

Ueber die Metamorphose der Insecten gelingen mir auch gegenwärtig gute Bemerkungen. Die Raupen, die sich letzten September in Jena verpuppten, erscheinen, weil ich sie den Winter in der warmen Stube hielt, nun schon nach und nach als Schmetterlinge und ich suche sie auf dem Wege zu dieser neuen Verwandlung zu ertappen. Wenn ich meine Beobachtungen nur noch ein Jahr fortsetze, so werde ich einen ziemlichen Raum durchlaufen haben; denn ich komme nun schon oft wieder auf ganz bekannte Plätze.

Ich wünsche daß der Handel mit dem Gartenhaus gelingen möge. Wenn Sie etwas daran zu bauen haben, so steht Ihnen mein Gutachten zu Diensten.

Die Wielandische Aeußerung habe ich nicht gesehen noch nichts davon gehört: es läßt sich vermuthen daß er in der heilsamen Mittelstraße geblieben ist. Leben Sie recht wohl; noch hoffe ich Sonntags zu kommen; Sonnabend Abend erfahren Sie die Gewißheit.

Weimar den 8. Februar 1797.

G.


278. An Goethe.

Jena den 10. Februar 1797.

Es ist mir dieser Tage der Brief von Meyern wieder in die Hände gefallen, worin er den ersten Theil seiner Reise bis Nürnberg beschreibt. Dieser Brief gefällt mir gar wohl, und wenn sich noch drei, vier andere daran anschließen ließen, so wäre es ein angenehmer Beitrag für die Horen und die paar Louisdors könnte Meyer auch mitnehmen. Ich lege Ihnen die Copia hier bei.

Von Nicolai in Berlin ist ein Buch gegen die Xenien erschienen; ich hab' es aber noch nicht zu Gesichte bekommen.

Ich habe jetzt ein zweites Gebot auf meinen Schmidtischen Garten gethan, 1150 Rthlr., und hoffe ihn um 1200 zu bekommen. Es ist vorderhand zwar nur ein leichtes Sommerhaus, und wird auch wohl noch ein hundert Thaler kosten, um nur im Sommer bewohnbar zu sein; aber diese Verbesserung meiner Existenz ist mir alles werth. Wenn ich erst im Besitz bin, und Sie hier sind, dann wollen wir Sie bitten, uns zu rathen und zu helfen.

Alles weitere mündlich. Ich hoffe, Sie übermorgen gewiß zu sehen, schicke aber doch auf jeden Fall die Horen heute mit. Inlage an Herdern bitte abgeben zu lassen.

Der Auftrag an meinen Schwager ist besorgt.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


279. An Schiller.

Die Horen habe ich erhalten und danke für deren schnelle Sendung. Morgen bin ich bei Ihnen und wir können uns über manches ausreden; morgen Abend gehe ich zwar weg, hoffe aber über acht Tage auf längere Zeit wieder zu kommen.

Dem verwünschten Nicolai konnte nichts erwünschter sein als daß er nur wieder einmal angegriffen wurde; bei ihm ist immer bonus odor ex re qualibet, und das Geld das ihm der Band einbringt ist ihm gar nicht zuwider. Ueberhaupt können die Herren uns sämmtlich Dank wissen, daß wir ihnen Gelegenheit geben einige Bogen zu füllen und sich bezahlen zu lassen, ohne großen Aufwand von productiver Kraft.

Lassen Sie ja den Garten nicht weg, ich bin dem Local sehr günstig; es ist außer der Anmuth auch noch eine sehr gesunde Stelle. Leben Sie recht wohl, ich freue mich auf morgen. Ich esse mit Ihnen, aber allein; geheimer Rath Voigt, der mit mir kommt, wird bei Hufelands einkehren und Nachmittags verschränken wir unsere Besuche.

Weimar den 11. Februar 1797.

G.


280. An Goethe.

Jena den 17. Februar 1797.

Ich wünsche, daß Sie neulich wohl mögen angekommen sein, Ihre Erscheinung war so kurz, ich habe mein Herz gar nicht ausleeren können. Aber es ist wirklich nothwendig, daß man einander, wenn es nicht auf länger sein kann, manchmal nur auf einige Stunden sieht, um sich nicht fremder zu werden.

Jetzt wird meine Sehnsucht, Luft und Lebensart zu verändern, so laut und so dringend, daß ich es kaum mehr aushalten kann. Wenn ich mein Gartenhaus einmal besitze und keine große Kälte mehr nachkommt, so mache ich mich in vier Wochen hinaus. Eher komme ich auch mit meiner Arbeit nicht recht vorwärts, denn es ist mir, als könnte ich in diesen verwünschten vier Wänden gar nichts hervorbringen.

Mein Schwager denkt mit Anfang des März zu kommen. Er befindet sich aber wegen seiner Wohnung in einiger Verlegenheit, weil diese erst nach Ostern frei wird, und wünschte doch gleich mit seiner Frau und dem Kinde zu kommen. Dürfte ich ihm in dem äußersten Fall, daß er kein Logis bis dahin finden könnte, wo das von ihm gemiethete Stitzerische frei wird, Hoffnung machen, daß Sie ihm Ihr Gartenhaus auf die paar Wochen überlassen wollen? Ich würde ihm rathen, meine Schwägerin so lange hieher ziehen zu lassen, aber da kommt unglücklicherweise die Blatterninoculation in meinem und Humboldts Hause dazwischen, welche in drei, vier Wochen vor sich gehen soll, und meine Schwägerin will ihr Kind jetzt nicht inoculiren lassen. Ich weiß also keinen andern Rath, und nehme darum meine Zuflucht zu Ihnen.

Wünschten Sie Ihren Almanach nicht auf dem Papier gedruckt zu sehen, worauf ich hier schreibe? Es ist viel wohlfeiler als Velin und mir kommt es wirklich eben so schön vor. Das Buch kommt ohngefähr auf 13 Gr., da das Velin 18 Gr. kostet. Hermann und Dorothea müßten sich prächtig darauf ausnehmen.

Leben Sie recht wohl. Sehen Sie, daß Sie sich sobald möglich von Ihren Geschäften los machen und Ihr Werk vollenden.

Sch.


281. An Schiller.

Ich wage es endlich Ihnen die drei ersten Gesänge des epischen Gedichtes zu schicken; haben Sie die Güte es mit Aufmerksamkeit durchzusehen und theilen Sie mir Ihre Bemerkungen mit. Herrn von Humboldt bitte ich gleichfalls um diesen Freundschaftsdienst. Geben Sie beide das Manuscript nicht aus der Hand und lassen Sie mich es bald wieder haben. Ich bin jetzt an dem vierten Gesang und hoffe mit diesem wenigstens auch bald im Reinen zu sein.

Ihrem Herrn Schwager wollte ich mein Gartenhaus bis Ostern, aber freilich nur bis dahin, gern überlassen; doch würde es nur als die letzte Ausflucht zu empfehlen sein: denn es würde doch viel Umstände machen es für die jetzige Jahrszeit in Stand zu setzen, denn es ist kein Ofen darin, und Möbel könnte ich auch nicht geben. Allein das ganze Germarische Haus ist leer und die Fräulein, die ich so eben fragen lasse, will es im Ganzen oder zum Theil auf sechs Wochen vermiethen, auch wohl Meubles dazugeben.

Bei dem großen Drange aber, der hier nach Quartieren ist, stehe ich nicht dafür daß diese Gelegenheit nur eine Woche offen bleibt. Sie müßten mir daher durch einen Boten anzeigen wie viel Raum man verlangt, und mir etwa zugleich melden wer bisher Ihres Herrn Schwagers Angelegenheiten besorgt hat, damit man sich mit ihm bereden könne.

Meyer grüßt aufs beste und hat beiliegendes sehr artiges Titelkupfer geschickt, das aber freilich in die Hände eines sehr guten Kupferstechers fallen sollte, worüber wir uns noch bereden wollen.

Der heutige Oberon fordert mich zur Probe; das nächstemal mehr.

Weimar am 18. Februar 1797.

G.


282. An Schiller.

Aus meinen betrübten Umständen muß ich Ihnen noch einen guten Abend wünschen. Ich bin wirklich mit Hausarrest belegt, sitze am warmen Ofen und friere von innen heraus, der Kopf ist mir eingenommen und meine arme Intelligenz wäre nicht im Stande, durch einen freien Denkactus, den einfachsten Wurm zu produciren, vielmehr muß sie dem Salmiak und dem Liquiriziensaft, als Dingen, die an sich den häßlichsten Geschmack haben, wider ihren Willen die Existenz zugestehn. Wir wollen hoffen daß wir, aus der Erniedrigung dieser realen Bedrängnisse, zur Herrlichkeit poetischer Darstellungen nächstens gelangen werden, und glauben dieß um so sichrer als uns die Wunder der stetigen Naturwirkungen bekannt sind. Leben Sie recht wohl. Hofrath Loder vertröstet mich auf einige Tage Geduld.

[Jena] den 27. Februar 1797.

G.


283. An Goethe

[Jena den 27. Febr.]

Wir beklagen Sie herzlich, daß Sie etwas so ganz anderes hier gefunden haben als Sie suchten. In solchen Umständen wünschte ich Ihnen meine Fertigkeit im Uebelbefinden, so würde Ihnen dieser Zustand weniger unerträglich sein. Es ist übrigens kein groß Compliment für die Elementarphilosophie, daß nur der Katarrh Sie zu einem so gründlichen Metaphysicus macht. Vielleicht kommen Sie in diesem Zustand der Erniedrigung und Zerknirschung dazu, Fichtens Aufsatz im Niethammerischen Journal zu durchlesen; ich hab' ihn heute angesehen und mit vielem Interesse gelesen.

Können wir Ihnen eine Bequemlichkeit verschaffen, so sagen Sie es uns ja. Schlafen Sie recht wohl; ich hoffe, wenn Sie sich morgen noch ruhig halten und das Wetter gut bleibt, so sehen wir Sie übermorgen.

Sch.


284. An Schiller

Der Katarrh ist zwar auf dem Abmarsche, doch soll ich noch die Stube hüten und die Gewohnheit fängt an mir diesen Aufenthalt erträglich zu machen.

Nachdem die Insecten mich an den vergangenen Tagen beschäftigt, so habe ich heute den Muth gefaßt den vierten Gesang völlig in Ordnung zu bringen, und es ist mir gelungen; ich schöpfe daraus einige Hoffnung für die Folge. Leben Sie recht wohl und seien Sie von Ihrer Seite fleißig und sagen Sie der lieben Frau, daß ich für meine Theescheue durch den abscheulichsten Kräuterthee bestraft werde.

Jena am 1. März 1797.

G.


285. An Goethe

[Jena den 1. März]

Es freut mich herzlich, daß Loders Kräuterthee, so übel er auch schmeckt, einen poetischen Humor und Lust zum Heldengedicht bei Ihnen geweckt hat. Ich bin, obgleich von keinem Katarrh gehindert, seit gestern nicht viel avancirt, weil mein Schlaf wieder sehr in Unordnung gewesen. Doch hoffe ich meine zwei Piccolominis heute noch eine Strecke vorwärts zu bringen.

Haben Sie doch die Güte beiliegendes anzusehen und zu überlegen ob wir die Sache quaestionis nicht in Weimar beschleunigen, und allenfallsigen Obstakeln vorbeugen können. Es liegt mir gar zu viel an der Sache, und daß sie auch bald entschieden werde. Vielleicht hat Voigt dabei zu sagen, und da sind Sie wohl so gut, und schreiben ihm ein Wörtchen.

Erholen Sie sich sobald möglich, daß wir morgen wieder zusammen sein können.

Sch.


286. An Schiller.

Ich habe gleich an Geh. Rath Voigt geschrieben und schicke Ihnen den Brief um ihn nach Belieben absenden zu können. Zugleich erhalten Sie ein monstroses Manuscript, welches zu beurtheilen keines aller meiner Organe geschickt ist. Möchten Sie es diese Nacht nicht brauchen!

Mein Katarrh ist zwar merklich besser, doch fange ich an die Stube lieb zu gewinnen, und da es ohnedem scheint daß die Musen mir günstig werden wollen, so könnte ich wohl selbst meinen Hausarrest auf einige Tage verlängern, denn der Gewinnst wäre zu groß wenn man so unversehens ans Ziel gelangte.

Könnten Sie mir nicht einige Blätter von dem schönen glatten Papier zukommen lassen, und mir zugleich sagen wie groß die Bogen sind und was das Buch kostet? Leben Sie wohl und führen Sie nur auch, wachend oder träumend, Ihre Piccolomini's auf dem guten Wege weiter.

[Jena] den 1. März 1797.

G.


287. An Schiller.

Ich kann glücklicherweise vermelden daß das Gedicht im Gange ist und, wenn der Faden nicht abreißt, wahrscheinlich glücklich vollbracht werden wird. So verschmähen also die Musen den asthenischen Zustand nicht, in welchen ich mich durch das Uebel versetzt fühle, vielleicht ist er gar ihren Einflüssen günstig: wir wollen nun einige Tage so abwarten.

Daß wir an Voigt wegen der Gartensache schrieben, war sehr gut. Bei der Pupillen-Deputation ist bis dato noch nichts eingegangen, die Sache muß also bei dem akademischen Syndikat betrieben werden. Ich dächte Sie schrieben Faselius was Sie hier von mir erfahren, und ersuchten ihn bei dem Syndikus Asverus auszuwirken, daß die Sache hinüber komme; drüben soll sie keinen Aufschub leiden. Ich wünsche sehr, daß die Sache zu Stande komme, auch darum damit ich Ihnen bei meinem Hiersein noch einigen Rath zur künftigen Einrichtung geben könne. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.

Jena am 3. März 1797.

G.


288. An Schiller.

Die Arbeit rückt zu und fängt schon an Masse zu machen, worüber ich denn sehr erfreut bin und Ihnen als einem treuen Freunde und Nachbar die Freude sogleich mittheile. Es kommt nur noch auf zwei Tage an, so ist der Schatz gehoben, und ist er nur erst einmal über der Erde, so findet sich alsdann das Poliren von selbst. Merkwürdig ist's wie das Gedicht gegen sein Ende sich ganz zu seinem Idyllischen Ursprung hinneigt.

Jena den 4. März 1797.

Wie geht es Ihnen?

G.


289. An Goethe.

[Jena den 4. März.]

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Abend zu einem schönen und, wie ich nicht zweifle, fruchtbaren Tag. Der heitre Himmel an diesem Morgen hat Sie wahrscheinlich auch belebt und erfreut, aber Sie haben recht wohl gethan, noch nicht auszugehen.

Es konnte gar nicht fehlen, daß Ihr Gedicht idyllisch endigte, sobald man dieses Wort in seinem höchsten Gehalte nimmt. Die ganze Handlung war so unmittelbar an die einfache ländliche Natur angebaut, und die enge Beschränkung konnte, wie ich mir's denke, nur durch die Idylle ganz poetisch werden. Das was man die Peripetie darin nennen muß, wird schon von weitem so vorbereitet, daß es die ruhige Einheit des Tons am Ende durch keine starke Passion mehr stören kann.

Vielleicht sehen wir Sie morgen? Es ist mir, ob wir gleich nicht zusammen gekommen, doch eine freundliche Idee, Sie uns so nah und jetzt in so guten Händen zu wissen. Schlafen Sie recht wohl.

Sch.


290. An Goethe.

Aus der bisherigen Abwechslung und Geselligkeit bin ich auf einmal in die größte Einsamkeit versetzt und auf mich selbst zurückgeführt. Außer Ihnen und Humboldt hat mich auch alle weibliche Gesellschaft verlassen, und ich wende diese Stille dazu an, über meine tragisch-dramatische Pflichten nachzudenken. Nebenher entwerfe ich ein detaillirtes Scenarium des ganzen Wallensteins, um mir die Uebersicht der Momente und des Zusammenhangs auch durch die Augen mechanisch zu erleichtern.

Ich finde, je mehr ich über mein eigenes Geschäft und über die Behandlungsart der Tragödie bei den Griechen nachdenke, daß der ganze Cardo rei in der Kunst liegt, eine poetische Fabel zu erfinden. Der Neuere schlägt sich mühselig und ängstlich mit Zufälligkeiten und Nebendingen herum, und über dem Bestreben, der Wirklichkeit recht nahe zu kommen, beladet er sich mit dem Leeren und Unbedeutenden, und darüber läuft er Gefahr, die tiefliegende Wahrheit zu verlieren, worin eigentlich alles Poetische liegt. Er möchte gern einen wirklichen Fall vollkommen nachahmen, und bedenkt nicht, daß eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit eben darum, weil sie absolut wahr ist, niemals coincidiren kann.

Ich habe diese Tage den Philoktet und die Trachinierinnen gelesen, und die letztern mit besonders großem Wohlgefallen. Wie trefflich ist der ganze Zustand, das Empfinden, die Existenz der Dejanira gefaßt! Wie ganz ist sie die Hausfrau des Herkules, wie individuell, wie nur für diesen einzigen Fall passend ist dieß Gemälde, und doch wie tief menschlich, wie ewig wahr und allgemein. Auch im Philoktet ist alles aus der Lage geschöpft, was sich nur daraus schöpfen ließ, und bei dieser Eigenthümlichkeit des Falles ruht doch alles wieder auf dem ewigen Grund der menschlichen Natur.

Es ist mir aufgefallen, daß die Charaktere des Griechischen Trauerspiels, mehr oder weniger, idealische Masken und keine eigentliche Individuen sind, wie ich sie in Shakespear und auch in Ihren Stücken finde. So ist z. B. Ullysses im Ajax und im Philoktet offenbar nur das Ideal der listigen, über ihre Mittel nie verlegenen, engherzigen Klugheit; so ist Kreon im Oedip und in der Antigone bloß die kalte Königswürde. Man kommt mit solchen Charakteren in der Tragödie offenbar viel besser aus, sie exponiren sich geschwinder, und ihre Züge sind permanenter und fester. Die Wahrheit leidet dadurch nichts, weil sie bloßen logischen Wesen eben so entgegengesetzt sind als bloßen Individuen.

Ich sende Ihnen hier, pour la bonne bouche, ein allerliebstes Fragment aus dem Aristophanes, welches mir Humboldt dagelassen hat. Es ist köstlich, ich wünschte den Rest auch zu haben.

Dieser Tage bin ich mit einem großen prächtigen Pergamentbogen aus Stockholm überrascht worden. Ich glaubte, wie ich das Diplom mit dem großen wächsernen Siegel aufschlug, es müßte wenigstens eine Pension herausspringen, am Ende war's aber bloß ein Diplom der Akademie der Wissenschaften. Indessen freut es immer, wenn man seine Wurzeln weiter ausdehnt und seine Existenz in andere eingreifen sieht.

Ich hoffe bald ein neues Stück Cellini von Ihnen zu erhalten.

Leben Sie recht wohl, mein theurer, mir immer theurer Freund. Mich umgeben noch immer die schönen Geister, die Sie mir hier gelassen haben, und ich hoffe immer vertrauter damit zu werden. Leben Sie recht wohl.

Jena den 4. April 1797.

Sch.


291. An Schiller..

Mir ergeht es gerade umgekehrt. Auf die Sammlung unserer Zustände in Jena bin ich in die lebhafte Zerstreuung vielerlei kleiner Geschäfte gerathen, die mich eine Zeit lang hin und her ziehen werden; indessen werde ich allerlei thun, wozu ich nicht die reinste Stimmung brauche.

Sie haben ganz recht daß in den Gestalten der alten Dichtkunst, wie in der Bildhauerkunst, ein Abstractum erscheint, das seine Höhe nur durch das was man Styl nennt, erreichen kann. Es giebt auch Abstracta durch Manier wie bei den Franzosen. Auf dem Glück der Fabel beruht freilich alles, man ist wegen des Hauptaufwandes sicher, die meisten Leser und Zuschauer nehmen denn doch nichts weiter mit davon, und dem Dichter bleibt doch das ganze Verdienst einer lebendigen Ausführung, die desto stetiger sein kann je besser die Fabel ist. Wir wollen auch deßhalb künftig sorgfältiger als bisher das was zu unternehmen ist, prüfen.

Hier kommt Vieilleville erster Theil, die übrigen kann ich nach und nach schicken.

Grüßen Sie Ihre liebe Frau; ich habe sie leider bei ihrem hiesigen Aufenthalte nicht gesehen.

Zu dem Diplom gratulire ich; dergleichen Erscheinungen sind, als barometrische Anzeigen der öffentlichen Meinung, nicht zu verachten.

Leben Sie recht wohl und schreiben Sie mir öfter, ob ich gleich in der ersten Zeit ein schlechter Correspondent sein werde.

Weimar am 5. April 1797.

G.


292. An Goethe.

Jena den 7. April 1797.

Unter einigen cabbalistischen und astrologischen Werken, die ich mir aus der hiesigen Bibliothek habe geben lassen, habe ich auch einen Dialogen über die Liebe, aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt, gefunden, das mich nicht nur sehr belustigt, sondern auch in meinen astrologischen Kenntnissen viel weiter gefördert hat. Die Vermischung der chemischen, mythologischen und astronomischen Dinge ist hier recht ins Große getrieben und liegt wirklich zum poetischen Gebrauche da. Einige verwundersam sinnreiche Vergleichungen der Planeten mit menschlichen Gliedmaßen lasse ich Ihnen herausschreiben. Man hat von dieser barocken Vorstellungsart keinen Begriff, bis man die Leute selbst hört. Indessen bin ich nicht ohne Hoffnung diesem astrologischen Stoff eine poetische Dignität zu geben.

Ueber die letzthin berührte Materie von Behandlung der Charaktere freue ich mich, wenn wir wieder zusammen kommen, meine Begriffe mit Ihrer Hülfe noch recht ins Klare zu bringen. Die Sache ruht auf dem innersten Grunde der Kunst, und sicherlich können die Wahrnehmungen, welche man von den bildenden Künsten hernimmt, auch in der Poesie viel aufklären. Auch bei Shakespear ist es mir heute, wie ich den Julius Cäsar mit Schlegeln durchging, recht merkwürdig gewesen, wie er das gemeine Volk mit einer so ungemeinen Großheit behandelt. Hier, bei der Darstellung des Volkscharakters, zwang ihn schon der Stoff, mehr ein poetisches Abstractum als Individuen im Auge zu haben, und darum finde ich ihn hier den Griechen äußerst nah. Wenn man einen zu ängstlichen Begriff von Nachahmung des Wirklichen zu einer solchen Scene mitbringt, so muß einen die Masse und Menge mit ihrer Bedeutungslosigkeit nicht wenig embarrassiren; aber mit einem kühnen Griff nimmt Shakespear ein paar Figuren, ich möchte sagen, nur ein paar Stimmen aus der Masse heraus, läßt sie für das ganze Volk gelten, und sie gelten das wirklich; so glücklich hat er gewählt.

Es geschähe den Poeten und Künstlern schon dadurch ein großer Dienst, wenn man nur erst ins Klare gebracht hätte, was die Kunst von der Wirklichkeit wegnehmen oder fallen lassen muß. Das Terrain würde lichter und reiner, das Kleine und Unbedeutende verschwände und für das Große würde Platz. Schon in der Behandlung der Geschichte ist dieser Punkt von der größten Wichtigkeit, und ich weiß, wie viel der unbestimmte Begriff darüber mir schon zu schaffen gemacht hat.

Vom Cellini sehne ich mich bald was zu bekommen, wo möglich für das Aprilstück noch, wozu ich es freilich zwischen heut und Mittwoch Abend in Händen haben müßte.

Leben Sie recht wohl. Die Frau grüßt aufs beste. Ich habe heute einen großen Posttag, sonst würde mehreres schreiben.

Sch.


293. An Schiller.

Herr von Humboldt, der erst morgen früh abgeht, läßt Sie schönstens grüßen und ersucht Sie beiliegenden Brief sogleich bestellen zu lassen.

Wir haben über die letzten Gesänge ein genaues prosodisches Gericht gehalten und sie so viel als möglich war gereinigt. Die ersten sind nun bald ins reine geschrieben und nehmen sich, mit ihren doppelten Inschriften, gar artig aus. Ich hoffe sie die nächste Woche abzusenden.

Auch sollen Sie vor Mittwoch noch ein Stück Cellini zu zwölf geschriebnen Bogen erhalten. Es bleiben alsdann etwa noch sechs für den Schluß.

Uebrigens geht es etwas bunt zu und ich werde in den nächsten vierzehn Tagen zu wenigem kommen.

Die astrologischen Verbindungen, die Sie mir mittheilen, sind wunderlich genug; ich verlange zu sehen was Sie für einen Gebrauch von diesem Material machen werden.

Ich wünsche die Materie, die uns beide so sehr interessirt, bald weiter mit Ihnen durchzusprechen. Diejenigen Vortheile, deren ich mich in meinem letzten Gedicht bediente, habe ich alle von der bildenden Kunst gelernt. Denn bei einem gleichzeitigen, sinnlich vor Augen stehenden Werke ist das überflüssige weit auffallender, als bei einem das in der Succession vor den Augen des Geistes vorbeigeht. Auf dem Theater würde man große Vortheile davon spüren. So fiel mir neulich auf daß man auf unserm Theater, wenn man an Gruppen denkt, immer nur sentimentale oder pathetische hervorbringt, da doch noch hundert andere denkbar sind. So erschienen mir diese Tage einige Scenen im Aristophanes völlig wie antike Basreliefe und sind gewiß auch in diesem Sinne vorgestellt worden. Es kommt im Ganzen und im Einzelnen alles darauf an: daß alles von einander abgesondert, daß kein Moment dem andern gleich sei; so wie bei den Charakteren daß sie zwar bedeutend von einander abstehen, aber doch immer unter Ein Geschlecht gehören.

Leben Sie recht wohl und arbeiten Sie fleißig; sobald ich ein wenig Luft habe, denke ich an den Almanach.

Weimar den 8. April 1797.

G.


294. An Goethe.

Jena den 11. April 1797.

Ich sage Ihnen nur zwei Worte zum Gruß. Unser kleiner Ernst hat das Blatternfieber sehr stark, und uns heute mit öftern epileptischen Krämpfen sehr erschreckt; wir erwarten eine sehr unruhige Nacht und ich bin nicht ohne Furcht.

Vielleicht kann ich morgen mit erleichtertem Herzen mehr schreiben. Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt Sie aufs beste. Den Cellini bitte ja zu schicken.

Sch.


295. An Schiller.

Möge doch der kleine Ernst bald die gefährliche Krise überstehen und Sie wieder beruhigen!

Hier folgt Cellini, der nun bald mit einer kleinen Sendung völlig seinen Abschied nehmen wird. Ich bin, indem ich den patriarchalischen Ueberresten nachspürte, in das alte Testament gerathen und habe mich aufs neue nicht genug über die Confusion und die Widersprüche der fünf Bücher Mosis verwundern können, die denn freilich wie bekannt aus hunderterlei schriftlichen und mündlichen Traditionen zusammengestellt sein mögen. Ueber den Zug der Kinder Israel durch die Wüsten habe ich einige artige Bemerkungen gemacht, und es ist der verwegne Gedanke in mir aufgestanden: ob nicht die große Zeit welche sie darin zugebracht haben sollen, erst eine spätere Erfindung sei? Ich will gelegentlich, in einem kleinen Aufsatze, mittheilen was mich auf diesen Gedanken gebracht hat.

Leben Sie recht wohl und grüßen Humboldts mit Ueberreichung beiliegender Berlinischen Monatschrift, und geben mir bald von sich und den Ihrigen gute Nachricht.

Weimar am 12. April 1797.

G.


296. An Goethe.

Ernstchen befindet sich wieder besser und scheint die Gefahr überstanden zu haben. Die Blattern sind heraus, die Krämpfe haben sich auch verloren. Die schlimmsten Zufälle hat der Zahntrieb gemacht, denn ein Zahn kam gleich mit dem ersten Fieber heraus und ein zweiter ist eben im Ausbrechen. Sie werden mir wohl glauben, daß ich in diesen Tagen, anfangs bei der Gefahr und jetzt, da es besser geht, bei dem Schreien des lieben Kindes nicht viel habe thun können. In den Garten kann ich auch nicht eher, als bis es mit dem Kinde wieder in Ordnung ist.

Ihre Entdeckungen in den fünf Büchern Mosis belustigen mich sehr. Schreiben Sie ja Ihre Gedanken auf, Sie möchten des Weges so bald nicht wieder kommen. So viel ich mich erinnere haben Sie schon vor etlichen und zwanzig Jahren mit dem neuen Testament Krieg gehabt. Ich muß gestehen, daß ich in allem was historisch ist, den Unglauben zu jenen Urkunden gleich so entschieden mitbringe, daß mir Ihre Zweifel an einem einzelnen Factum noch sehr raisonnabel vorkommen. Mir ist die Bibel nur wahr, wo sie naiv ist; in allem andern, was mit einem eigentlichen Bewußtsein geschrieben ist, fürchte ich einen Zweck und einen späteren Ursprung.

Haben Sie schon von einer mechanischen Nachbildung von Malereien etwas gesehen? Mir ist ein solches Werk kürzlich aus Duisburg zugeschickt worden, eine Clio, nicht gar halb Lebensgröße, steingrau mit Oelfarbe auf hellblauem Grunde. Das Stück macht einen überaus gefälligen Effect und zu Zimmerdecorationen würde eine solche Sammlung sehr taugen. Wenn das Stück mir geschenkt sein sollte, was nicht ausdrücklich in dem Briefe steht, so wäre ich ganz wohl damit zufrieden. Ich kann mir aber von der Verfertigung keinen rechten Begriff machen.

Den Cellini erhielt ich vorgestern nicht frühe genug, um ihn vor dem Absenden noch ganz durchlesen zu können, nur bis zur Hälfte bin ich gekommen; habe mich aber wieder recht daran ergötzt, besonders über die Wallfahrt, die er in seiner Freude über das gelungene und besungene Werk anstellt.

Humboldt sagt mir von einem Chor aus Ihrem Prometheus, den er mitgebracht habe, hat mir ihn aber noch nicht geschickt. Er hat wieder einen Anfall von seinem kalten Fieber, das er vor zwei Jahren gehabt; auch das zweite Kind hat das kalte Fieber, so daß jetzt von der Humboldtischen Familie alles, bis auf das Mädchen, krank ist. Und doch spricht man noch immer von nahen großen Reisen.

Leben Sie recht wohl und machen Sie sich bald von Ihren zerstreuenden Geschäften frei.

Jena den 14. April 1797.

Sch.


297. An Schiller.

Schon durch Humboldt habe ich vernommen, daß Ihr Ernst wieder außer Gefahr sei und mich im stillen darüber gefreut; nun wünsche ich Ihnen herzlich zu dessen Genesung Glück.

Das Oratorium ist gestern recht gut aufgeführt worden und ich habe manche Betrachtung über historische Kunst machen können. Es ist recht schade daß wir dergleichen Erfahrungen nicht gemeinschaftlich erleben, denn wir würden uns doch viel geschwinder in dem Einen, was noth ist bestärken.

Montags gehen die vier Ersten Musen ab, indeß ich mich mit den fünf letztern fleißig beschäftige, und nun besonders die prosodischen Bemerkungen Freund Humboldts benutze.

Zugleich habe ich noch immer die Kinder Israel in der Wüste begleitet, und kann bei Ihren Grundsätzen hoffen, daß dereinst mein Versuch über Moses Gnade vor Ihren Augen finden soll. Meine kritisch-historisch-poetische Arbeit geht davon aus: daß die vorhandenen Bücher sich selbst widersprechen und sich selbst verrathen, und der ganze Spaß den ich mir mache, läuft dahinaus, das menschlich wahrscheinliche von dem absichtlichen und blos imaginirten zu sondern und doch für meine Meinung überall Belege aufzufinden. Alle Hypothesen dieser Art bestechen blos durch das Natürliche des Gedankens und durch die Mannigfaltigkeit der Phänomene auf die er sich gründet. Es ist mir recht wohl, wieder einmal etwas auf kurze Zeit zu haben bei dem ich mit Interesse, im eigentlichen Sinne, spielen kann. Die Poesie, wie wir sie seit einiger Zeit treiben, ist eine gar zu ernsthafte Beschäftigung. Leben Sie recht wohl und erfreuen sich der schönen Jahrszeit.

Weimar den 15. April 1797.

G.


298. An Goethe.

Jena den 18. April 1797.

Ich echappire so eben aus der bleiernen Gegenwart des Herrn Bouterwek, der mir einige Stunden lang schwer aufgelegen hat. Ich erwartete zum wenigsten einen kurzweiligen Gecken in ihm zu finden, statt dessen aber wars der seichteste lamentabelste Tropf, der mir lange vorgekommen ist. Er war auch in Weimar, sagte mir aber, daß er Sie nicht gesehen, welches mir sehr begreiflich war. Es ist schrecklich, diese Herren in der Nähe zu sehen, die bei dem Publikum doch auch was gelten, und ihre frühzeitige Impotenz und Nullität unter einer Kennermiene zu verstecken suchen.

Da ist unser Woltmann, dem nichts recht ist, was andre schreiben, dem's kein Mensch zu Danke machen kann. Jetzt habe ich seine Menschengeschichte, die eben heraus ist, durchblättert. Nein, das ist ein Greuel von einem Geschichtbuch, eine solche Impudenz und Niaiserie zugleich und Tollheit können Sie sich nicht denken. Das Buch macht Fronte gegen Philosophie und Geschichte zugleich, und es ist schwer zu sagen, welcher von beiden es am meisten widerspricht. Ich gäbe aber wirklich etwas drum, wenn dieses Buch nicht geschrieben wäre, denn wenn es einem unrechten in die Hände fällt, so haben wir alle den Spott davon.

In meinen Arbeiten bin ich noch immer nicht viel vorwärts gekommen, die Unruhe bei mir, da wir einander auch nicht ausweichen können, zerstreute mich zu sehr. Indessen geht die Suppuration bei dem Kleinen gut von statten und ohne alle Zufälle, obgleich er sehr viele Blattern hat. Den Garten hoffe ich in vier Tagen beziehen zu können, und dann wird mein erstes Geschäft sein, ehe ich weiter fortfahre, die poetische Fabel meines Wallensteins mit völliger Ausführlichkeit niederzuschreiben. Nur auf diese Art kann ich mich versichern, daß sie ein stetiges Ganzes ist, daß alles durchgängig bestimmt ist. So lang ich sie bloß im Kopfe herumtrage, muß ich fürchten, daß Lücken übrig bleiben! die ordentliche Erzählung zwingt zur Rechenschaft. Diese detaillirte Erzählung lege ich Ihnen alsdann vor, so können wir darüber communiciren.

Zur Absendung der vier ersten Musen wünsche ich Glück. Es ist in der That merkwürdig, wie rasch die Natur dieses Werk geboren, und wie sorgfältig und bedächtlich die Kunst es ausgebildet hat.

Leben Sie recht wohl in diesen heitern Tagen. Wie freue ich mich, ins künftige jeden schönen Sonnenblick auch gleich im Freien genießen zu können. Vor einigen Tagen wagte ich mich zu Fuß und durch einen ziemlich großen Umweg in meinen Garten.

Meine Frau grüßt Sie aufs beste.

Sch.


299. An Schiller.

Ich erfreue mich besonders daß Sie von der Sorge wegen des Kindes befreit sind, und hoffe daß seine Genesung so fortschreiten wird. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau aufs beste.

Herrn Bouterwek habe ich nicht gesehen und bin nicht übel zufrieden daß diese Herren mich vermeiden.

Ich studire jetzt in großer Eile das alte Testament und Homer, lese zugleich Eichhorns Einleitung ins erste und Wolfs Prolegomena zu dem letzten. Es gehen mir dabei die wunderbarsten Lichter auf, worüber wir künftig gar manches werden zu sprechen haben.

Schreiben Sie ja sobald als möglich Ihr Schema zum Wallenstein und theilen Sie mir's mit. Bei meinen jetzigen Studien wird mir eine solche Ueberlegung sehr interessant und auch für Sie zum Nutzen sein.

Einen Gedanken über das epische Gedicht will ich doch gleich mittheilen. Da es in der größten Ruhe und Behaglichkeit angehört werden soll, so macht der Verstand vielleicht mehr als an andere Dichtarten seine Forderungen, und mich wunderte dießmal bei Durchlesung der Odyssee gerade diese Verstandesforderungen so vollständig befriedigt zu sehen. Betrachtet man nun genau was von den Bemühungen der alten Grammatiker und Kritiker, so wie von ihrem Talent und Charakter erzählt wird, so sieht man deutlich daß es Verstandsmenschen waren, die nicht eher ruhten bis jene große Darstellungen mit ihrer Vorstellungsart überein kamen. Und so sind wir, wie denn auch Wolf sich zu zeigen bemüht, unsern gegenwärtigen Homer den Alexandrinern schuldig, das denn freilich diesen Gedichten ein ganz anderes Ansehen giebt.

Noch eine specielle Bemerkung. Einige Verse im Homer die für völlig falsch und ganz neu ausgegeben werden, sind von der Art wie ich einige selbst in mein Gedicht, nachdem es fertig war, eingeschoben habe um das Ganze klarer und faßlicher zu machen und künftige Ereignisse bei Zeiten vorzubereiten. Ich bin sehr neugierig was ich an meinem Gedicht, wenn ich mit meinen jetzigen Studien durch bin, zu mehren oder zu mindern werde geneigt sein; indessen mag die erste Recension in die Welt gehen.

Eine Haupteigenschaft des epischen Gedichts ist daß es immer vor und zurück geht, daher sind alle retardirende Motive episch. Es dürfen aber keine eigentliche Hindernisse sein, welche eigentlich ins Drama gehören.

Sollte dieses Erforderniß des Retardirens, welches durch die beiden Homerischen Gedichte überschwenglich erfüllt wird, und welches auch in dem Plan des meinigen lag, wirklich wesentlich und nicht zu erlassen sein, so würden alle Plane, die gerade hin nach dem Ende zu schreiten, völlig zu verwerfen oder als eine subordinirte historische Gattung anzusehen sein. Der Plan meines zweiten Gedichts hat diesen Fehler, wenn es einer ist, und ich werde mich hüten, bis wir hierüber ganz im klaren sind, auch nur einen Vers davon niederzuschreiben. Mir scheint die Idee außerordentlich fruchtbar. Wenn sie richtig ist, muß sie uns viel weiter bringen und ich will ihr gern alles aufopfern.

Mit dem Drama scheint mir's umgekehrt zu sein; doch hievon nächstens mehr. Leben Sie recht wohl,

Weimar am 19. April 1797.

G.


300. An Goethe.

Ich wollte Ihnen über Ihren letzten Brief, der mir sehr vieles zu denken gegeben, manches schreiben, aber ein Geschäft, das mir diesen Abend unvermuthet wegnimmt, hindert mich daran. Also nur ein paar Worte für heute.

Es wird mir aus allem, was Sie sagen, immer klarer, daß die Selbstständigkeit seiner Theile einen Hauptcharakter des epischen Gedichtes ausmacht. Die bloße, aus dem Innersten herausgeholte Wahrheit ist der Zweck des epischen Dichters: er schildert uns bloß das ruhige Dasein und Wirken der Dinge nach ihren Naturen; sein Zweck liegt schon in jedem Punkt seiner Bewegung; darum eilen wir nicht ungeduldig zu einem Ziele, sondern verweilen uns mit Liebe bei jedem Schritte. Er erhält uns die höchste Freiheit des Gemüths, und da er uns in einen so großen Vortheil setzt, so macht er dadurch sich selbst das Geschäft desto schwerer: denn wir machen nun alle Anforderungen an ihn, die in der Integrität und in der allseitigen vereinigten Thätigkeit unserer Kräfte gegründet sind. Ganz im Gegentheil raubt uns der tragische Dichter unsre Gemüthsfreiheit, und indem er unsre Thätigkeit nach einer einzigen Seite lichtet und concentrirt, so vereinfacht er sich sein Geschäft um vieles, und setzt sich in Vortheil, indem er uns in Nachtheil setzt.

Ihre Idee von dem retardirenden Gange des epischen Gedichts leuchtet mir ganz ein. Doch begreife ich noch nicht ganz, nach dem was ich von Ihrer neuen Epopöe weiß, daß jene Eigenschaft bei dieser fehlen soll.

Ihre weitern Resultate, besonders für das Drama erwarte ich mit großer Begierde. Unterdessen werde ich dem Gesagten reiflicher nachdenken.

Leben Sie recht wohl. Mein kleiner Patient hält sich noch immer recht brav, trotz des schlimmen Wetters. Meine Frau grüßt herzlich.

Jena den 21. April 1797.

Sch.


301. An Schiller.

Ich danke Ihnen für Ihre fortgesetzten Betrachtungen über das epische Gedicht, ich hoffe, Sie werden bald nach Ihrer Art, in einer schönen Folge, die Natur und Wesen desselben entwickeln, hier indessen einige meiner Vermuthungen.

Ich suchte das Gesetz der Retardation unter ein Höheres unterzuordnen, und da scheint es unter dem zu stehen, welches gebietet: daß man von einem guten Gedicht den Ausgang wissen könne, ja wissen müsse und daß eigentlich das Wie blos das Interesse machen dürfe. Dadurch erhält die Neugierde gar keinen Antheil an einem solchen Werke und sein Zweck kann, wie Sie sagen, in jedem Punkte seiner Bewegung liegen.

Die Odyssee ist in ihren kleinsten Theilen beinah retardirend, dafür wird aber auch vielleicht funfzigmal versichert und betheuert daß die Sache einen glücklichen Ausgang haben werde. So viele den Ausgang anticipirende Vorbedeutungen und Weissagungen stellen, wie mich dünkt das Gleichgewicht gegen die ewige Retardation wieder her. In meinem Hermann bringt die Eigenschaft des Plans den besondern Reiz hervor daß alles ausgemacht und fertig scheint und durch die retrograde Bewegung gleichsam wieder ein neues Gedicht angeht.

So hat auch das epische Gedicht den großen Vortheil daß seine Exposition, sie mag noch so lang sein, den Dichter gar nicht genirt, ja daß er sie in die Mitte des Werks bringen kann, wie in der Odyssee sehr künstlich geschehen ist. Denn auch diese retrograde Bewegung ist wohlthätig; aber eben deßhalb dünkt mich macht die Exposition dem Dramatiker viel zu schaffen, weil man von ihm ein ewiges Fortschreiten fordert und ich würde das den besten dramatischen Stoff nennen wo die Exposition schon ein Theil der Entwicklung ist.

Daß ich aber nunmehr dahin zurückkehre wo ich angefangen habe, so wollte ich Ihnen folgendes zur Prüfung unterwerfen:

Mein neuer Plan hat keinen einzigen retardirenden Moment, es schreitet alles von Anfang bis zu Ende in einer graden Reihe fort; allein er hat die Eigenschaft daß große Anstalten gemacht werden, daß man viele Kräfte mit Verstand und Klugheit in Bewegung setzt, daß aber die Entwicklung auf eine Weise geschieht, die den Anstalten ganz entgegen ist und auf einem ganz unerwarteten jedoch natürlichen Wege. Nun fragt sich ob sich ein solcher Plan auch für einen epischen ausgeben könne, da er unter dem allgemeinen Gesetz begriffen ist: daß das eigentliche Wie und nicht das Was das Interesse macht, oder ob man ein solches Gedicht nicht zu einer subordinirten Classe historischer Gedichte rechnen müsse. Sehen Sie nun mein Werther, wie sich etwa diese zerstreute und flüchtige Gedanken besser ausarbeiten und verknüpfen lassen. Ich habe jetzt keine interessantere Betrachtung als über die Eigenschaften der Stoffe in wiefern sie diese oder jene Behandlung fordern. Ich habe mich darinnen so oft in meinem Leben vergriffen, daß ich endlich einmal ins Klare kommen möchteum wenigstens künftig von diesem Irrthum nicht mehr zu leiden. Zu mehrerer Deutlichkeit schicke ich nächstens meinen neuen Plan.

Noch über einige Punkte Ihrer vorigen Briefe.

Woltmanns Menschengeschichte ist freilich ein seltsames Werk. Der Vorbericht liegt ganz außer meinem Gesichtskreise; das ägyptische Wesen kann ich nicht beurtheilen, aber wie er bei Behandlung der Israelitischen Geschichte das alte Testament so wie es liegt, ohne die mindeste Kritik, als eine reine Quelle der Begebenheiten annehmen konnte, ist mir unbegreiflich. Die ganze Arbeit ist auf Sand gebaut, und ein wahres Wunderwerk, wenn man bedenkt daß Eichhorns Einleitung schon zehn Jahre alt ist und die Herderischen Arbeiten schon viel länger wirken. Von den unbilligen Widersachern dieser alten Schriften will ich gar nicht einmal reden.

Die Duisburger Fabrik, von der ich auch ein Musterbild erhalten habe, ist ein curioses Unternehmen das durch unsere Freunde im Modejournal verdient gelobt zu werden. Es ist ein Kunstgriff diese Arbeiten für mechanisch auszugeben, den die Engländer auch schon einmal mit ihrer Polygraphischen Gesellschaft versucht haben. Es ist eigentlich nichts mechanisches daran, als daß alles was dazu gehört mit der größten Reinlichkeit und in Menge durch einige mechanische Hülfsmittelgemacht wird, und so gehört freilich eine große Anstalt dazu; aber die Figuren sind nichts desto weniger gemalt. Anstatt daß sonst Ein Mensch alles thut, so concurriren hier viele. Das Wachstuch des Grundes wird erst mit großer Sorgfalt bereitet und alsdann die Figur, wahrscheinlich von Blech ausgeschnitten, draufgelegt; nun streicht man den Raum umher sorgfältig mit einer andern Farbe über, und nun werden subalterne Künstler angestellt um die Figur auszumalen, das denn auch in großen Partien geschieht, bis zuletzt der Geschickteste die Contoure rectificirt und das Ganze vollendet. Sie haben artige Kunstgriffe um den Pinsel zu verbergen und machen allerlei Spässe, damit man glauben solle das Werk könne gedruckt sein. Langer, ein Inspector von der Düsseldorfer Galerie, ein guter und geschickter Mann, ist dabei interessirt und sie mögen immer auch in ihrer Art dem Publico das Geld abnehmen. Nur weiß ich nicht recht wie die Sachen gebraucht werden sollen; sie sind nicht gut genug um in Rahmen aufgehängt zu werden, und dergleichen schon fertige Bilder in die Wände einzupassen hat große Schwierigkeiten. Zu Thürstücken möchte es noch am ersten gehen. Zu loben ist daran die wahrhaft englische Accuratesse. Man muß das weitere abwarten.

Ich wünsche daß Sie bald in Ihren Garten ziehen und von allen Seiten beruhigt sein mögen.

Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau aufs beste, so wie auch Humboldt dem ich eine baldige Wiederherstellung wünsche.

Weimar den 22. April 1797.

G.


302. An Goethe.

Jena den 25. April 1797.

Daß die Forderung des Retardirens aus einem höhern epischen Gesetze folgt, dem auch noch wohl auf einem andern Wege Genüge geschehen kann, scheint mir außer Zweifel zu sein. Auch glaube ich, es giebt zweierlei Arten zu retardiren, die eine liegt in der Art des Wegs, die andre in der Art des Gehens, und diese däucht mir kann auch bei dem geradesten Weg und folglich auch bei einem Plan, wie der Ihrige ist, sehr gut statt finden.

Indessen möchte ich jenes höhere epische Gesetz doch nicht ganz so aussprechen, wie Sie gethan haben. In der Formel: daß eigentlich nur das Wie und nicht das Was in Betrachtung komme &c., dünkt es mir viel zu allgemein und auf alle pragmatische Dichtungsarten ohne Unterschied anwendbar zu sein. Wenn ich meinen Gedanken darüber kurz heraussagen soll, so ist er dieser. Beide der Epiker und der Dramatiker stellen uns eine Handlung dar, nur daß diese bei dem Letztern der Zweck, bei Ersterem bloßes Mittel zu einem absoluten ästhetischen Zwecke ist. Aus diesem Grundsatz kann ich mir vollständig erklären, warum der tragische Dichter rascher und directer fortschreiten muß, warum der epische bei einem zögernden Gange seine Rechnung besser findet. Es folgt auch, wie mir däucht, daraus, daß der epische sich solcher Stoffe wohl thut zu enthalten, die den Affect sei es der Neugierde oder der Theilnahme schon für sich selbst stark erregen, wobei also die Handlung zu sehr als Zweck interessirt, um sich in den Grenzen eines bloßen Mittels zu halten. Ich gestehe, daß ich dieses letztere bei Ihrem neuen Gedicht einigermaßen fürchte, obgleich ich Ihrer poetischen Uebermacht über den Stoff das Mögliche zutrauen darf.

Die Art wie Sie Ihre Handlung entwickeln wollen, scheint mir mehr der Komödie als dem Epos eigen zu sein. Wenigstens werden Sie viel zu thun haben, ihr das überraschende, Verwunderung erregende zu nehmen, weil dieses nicht so recht episch ist.

Ich erwarte Ihren Plan mit großer Begierde. Etwas bedenklich kommt es mir vor, daß es Humboldten damit auf dieselbe Art ergangen ist wie mir, ungeachtet wir vorher nicht darüber communicirt haben. Er meint nämlich, daß es dem Plan an individueller epischer Handlung fehle. Wie Sie mir zuerst davon sprachen, so wartete auch ich immer auf die eigentliche Handlung; alles was Sie mir erzählten schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer solchen Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu sein, und wie ich nun glaubte, daß diese Handlung angehen sollte, waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, daß die Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr verläßt und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehen zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist, der weit mehr unter sich als in sich faßt.

Uebrigens mag es mit der epischen Qualität Ihres neuen Gedichts bewandt sein, wie es will, so wird es gegen Ihren Hermann gehalten immer eine andere Gattung sein, und wäre also der Hermann ein reiner Ausdruck der epischen Gattung und nicht bloß einer epischen Species, so würde daraus folgen, daß das neue Gedicht um soviel weniger episch wäre. Aber das wollten Sie ja eben wissen, ob der Hermann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle, und wir stehen also wieder bei der Frage.

Ich würde Ihr neues Gedicht geradezu ein komisch-episches nennen, wenn nämlich von dem gemeinen eingeschränkten und empirischen Begriff der Komödie und des komischen Heldengedichts ganz abstrahirt wird. Ihr neues Gedicht, kommt mir vor, verhält sich ungefähr ebenso zu der Komödie, wie der Hermann zu dem Trauerspiel: mit dem Unterschied nämlich, daß dieser es mehr durch seinen Stoff thut, jenes mehr durch die Behandlung.

Aber ich will erst Ihren Plan erwarten, um mehr darüber zu sagen.

Was sagen Sie zu der Regenspurger Friedensnachricht? Wissen Sie etwas bestimmtes, so theilen Sie es uns ja mit. Leben Sie bestens wohl.

Sch.

Was Sie den besten dramatischen Stoff nennen (wo nämlich die Exposition schon ein Theil der Entwicklung ist) das ist z. B. in den Zwillingen des Shakespear geleistet. Ein ähnliches Beispiel von der Tragödie ist mir nicht bekannt, obgleich der Oedipus rex sich diesem Ideal ganz erstaunlich nähert. Aber ich kann mir solche dramatische Stoffe recht wohl denken, wo die Exposition gleich auch Fortschritt der Handlung ist. Gleich der Macbeth gehört darunter, ich kann auch die Räuber nennen.

Dem Epiker möchte ich eine Exposition gar nicht einmal zugeben; wenigstens nicht in dem Sinne, wie die des Dramatikers ist. Da er uns nicht so auf das Ende zutreibt, wie dieser, so rücken Anfang und Ende in ihrer Dignität und Bedeutung weit näher an einander, und nicht, weil sie zu etwas führt, sondern weil sie selber etwas ist, muß die Exposition uns interessiren. Ich glaube, daß man dem dramatischen Dichter hierin weit mehr nachsehen muß; eben weil er seinen Zweck in die Folge und an das Ende setzt, so darf man ihm erlauben, den Anfang mehr als Mittel zu behandeln. Er steht unter der Kategorie der Causalität, der Epiker unter der Substantialität; dort kann und darf etwas als Ursache von was anderm dasein, hier muß alles sich selbst um seiner selbst willen geltend machen.

Ich danke Ihnen sehr für die Nachricht, die Sie mir von dem Duisburger Unternehmen gegeben haben; die ganze Erscheinung war mir so räthselhaft. Wenn es sonst thunlich wäre, so würde es mich sehr reizen, ein Zimmer mit solchen Figuren zu dekoriren.

Morgen endlich hoffe ich meinen Garten zu beziehen. Der Kleine hat sich wieder ganz erholt, und die Krankheit, scheint es, hat seine Gesundheit noch mehr befestigt.

Humboldt ist heute fort; ich sehe ihn mehrere Jahre nicht wieder, und überhaupt läßt sich nicht erwarten, daß wir einander noch einmal so wieder sehen, wie wir uns jetzt verlassen. Das ist also wieder ein Verhältniß das als beschlossen zu betrachten ist und nicht mehr wieder kommen kann; denn zwei Jahre, so ungleich verlebt, werden gar viel an uns und also auch zwischen uns verändern.

303. An Schiller.

Mit dem Frieden hat es seine Richtigkeit. Eben als die Franzosen wieder in Frankfurt einrückten und noch mit den Oesterreichern im Handgemenge waren, kam ein Courier, der die Friedensnachricht brachte; die Feindseligkeiten wurden sogleich eingestellt und die beiderseitigen Generale speisten mit dem Bürgermeister, im rothen Hause. Die Frankfurter haben doch also für ihr Geld und ihr Leiden einen Theater-Coup erlebt, dergleichen wohl nicht viel in der Geschichte vorkommen, und wir hätten denn auch diese wichtige Epoche erlebt. Wir wollen sehen was den Einzelnen und dem Ganzen durch diese Veränderung zuwächst.

Mit dem was Sie in Ihrem heutigen Briefe über Drama und Epos sagen bin ich sehr einverstanden; so wie ich immer gewohnt bin daß Sie mir meine Träume erzählen und auslegen. Ich kann nun nichts weiter hinzufügen, sondern ich muß Ihnen meinen Plan schicken, oder selbst bringen. Es werden dabei sehr feine Punkte zur Sprache kommen, von denen ich jetzt im allgemeinen nichts erwähnen mag. Wird der Stoff nicht für rein episch erkannt, ob er gleich in mehr als Einem Sinne bedeutend und interessant ist, so muß sich darthun lassen in welcher andern Form er eigentlich behandelt werden müßte. Leben Sie recht wohl, genießen Sie Ihres Gartens und der Wiedergenesung Ihres Kleinen.

Mit Humboldt habe ich die Zeit sehr angenehm und nützlich zugebracht; meine naturhistorischen Arbeiten sind durch seine Gegenwart wieder aus ihrem Winterschlafe geweckt worden, wenn sie nur nicht bald wieder in einen Frühlingsschlaf verfallen!

Weimar am 26. April 1797.

G.

Ich kann mich doch nicht enthalten noch eine Frage über unsere dramatisch-epische Angelegenheit zu thun. Was sagen Sie zu folgenden Sätzen:

Im Trauerspiel kann und soll das Schicksal, oder welches einerlei ist, die entschiedne Natur des Menschen, die ihn blind da oder dorthin führt, walten und herrschen; sie muß ihn niemals zu seinem Zweck, sondern immer von seinem Zweck abführen, der Held darf seines Verstandes nicht mächtig sein, der Verstand darf gar nicht in die Tragödie entriren als bei Nebenpersonen zur Desavantage des Haupthelden u. s. w.

Im Epos ist es gerade umgekehrt: bloß der Verstand, wie in der Odyssee, oder eine zweckmäßige Leidenschaft, wie in der Ilias, sind epische Agentien. Der Zug der Argonauten als ein Abenteuer ist nicht episch.


304. An Schiller.

Gestern, als ich der Fabel meines neuen Gedichtes nachdachte, um sie für Sie aufzusetzen, ergriff mich aufs neue eine ganz besondere Liebe zu diesem Werke welche nach allem was indeß zwischen uns verhandelt worden ist, ein gutes Vorurtheil für dasselbe giebt. Da ich nun weiß daß ich nie etwas fertig mache, wenn ich den Plan zur Arbeit nur irgend vertraut, oder jemanden offenbart habe, so will ich lieber mit dieser Mittheilung noch zurückhalten; wir wollen uns im allgemeinen über die Materie besprechen, und ich kann nach den Resultaten im Stillen meinen Gegenstand prüfen. Sollte ich dabei noch Muth und Lust behalten, so würde ich es ausarbeiten und fertig gäbe es immer mehr Stoff zum Nachdenken, als in der Anlage; sollte ich daran verzweifeln so ist es immer noch Zeit auch nur mit der Idee hervorzutreten.

Haben Sie Schlegels Abhandlung über das epische Gedicht, im 11ten Stück Deutschlands, vom vorigen Jahr, gesehen? Lesen Sie es ja! Es ist sonderbar, wie er, als ein guter Kopf, auf dem rechten Wege ist und sich ihn doch gleich wieder selbst verrennt. Weil das epische Gedicht nicht die dramatische Einheit haben kann, weil man eine solche absolute Einheit in der Ilias und Odyssee nicht gerade nachweisen kann, vielmehr nach der neuern Idee sie noch für zerstückelter angiebt als sie sind; so soll das epische Gedicht keine Einheit haben, noch fordern, das heißt, nach meiner Vorstellung: es soll aufhören ein Gedicht zu sein. Und das sollen reine Begriffe sein, denen doch selbst die Erfahrung, wenn man genau aufmerkt, widerspricht. Denn die Ilias und Odyssee, und wenn sie durch die Hände von tausend Dichtern und Redacteurs gegangen wären, zeigen die gewaltsame Tendenz der poetischen und kritischen Natur nach Einheit. Und am Ende ist diese neue Schlegel'sche Ausführung doch nur zu Gunsten der Wölfischen Meinung, die eines solchen Beistandes gar nicht einmal bedarf. Denn daraus daß jene großen Gedichte erst nach und nach entstanden sind, und zu keiner vollständigen und vollkommenen Einheit haben gebracht werden können (obgleich beide vielleicht weit vollkommner organisirt sind als man denkt), folgt noch nicht: daß ein solches Gedicht auf keine Weise vollständig, vollkommen und Eins werden könne noch solle.

Ich habe indessen über unsere bisherigen Verhandlungen einen kleinen Aufsatz aus Ihren Briefen gemacht; arbeiten Sie doch die Sache weiter aus, sie ist uns beiden in theoretischer und praktischer Hinsicht jetzt die wichtigste.

Ich habe die Dichtkunst des Aristoteles wieder mit dem größten Vergnügen durchgelesen; es ist eine schöne Sache um den Verstand in seiner höchsten Erscheinung. Es ist sehr merkwürdig wie sich Aristoteles bloß an die Erfahrung hält und dadurch, wenn man will, ein wenig zu materiell wird, dafür aber auch meistens desto solider auftritt. So war es mir auch sehr erquickend zu lesen mit welcher Liberalität er die Dichter gegen Grübler und Krittler in Schutz nimmt, immer nur aufs wesentliche dringt und in allem andern so lax ist, daß ich mich an mehr als Einer Stelle verwundert habe. Dafür ist aber auch seine ganze Ansicht der Dichtkunst und der besonders von ihm begünstigten Theile so belebend, daß ich ihn nächstens wieder vornehmen werde, besonders wegen einiger bedeutenden Stellen, die nicht ganz klar sind und deren Sinn ich wohl erforschen möchte. Freilich über das epische Gedicht findet man gar keinen Aufschluß in dem Sinne wie wir ihn wünschen.

Hier schicke ich die zwei letzten Verse eines Gedichts die empfindsame Gärtnerin. Es sollte ein Pendant zu den Musen und Grazien in der Mark geben; vielleicht wird es nicht so gut, eben weil es ein Pendant ist.

Ich erhole mich in diesen Stunden erst wieder von der Zerstreuung des vergangenen Monats, bringe verschiedene Geschäftssachen in Ordnung und bei Seite, damit mir der Mai frei werde. Wenn es mir möglich wird so besuche ich Sie. Leben Sie indessen recht wohl.

Weimar den 28. April 1797.

G.


305. An Goethe.

Eben als ich mich den Abend hinsetzte um Ihre beiden lieben Briefe zu beantworten, stört mich der Besuch des Rudolstädter Fürsten, der wegen der Inoculation seiner Kinder hier ist, und wie ich von diesem befreit bin, erhalte ich eine Humboldtische Visite. Es ist Nachts um 10 Uhr und ich kann Ihnen bloß einen freundlichen Gruß schicken. Sonntag Abends ein Mehreres.

Leben Sie recht wohl.

Jena den 28. April 1797.

Sch.


306. An Goethe.

Jena den 2. Mai 1797.

Ich begrüße Sie aus meinem Garten, in den ich heute eingezogen bin. Eine schöne Landschaft umgiebt mich, die Sonne geht freundlich unter und die Nachtigallen schlagen. Alles um mich herum erheitert mich und mein erster Abend auf dem eigenen Grund und Boden ist von der fröhlichsten Vorbedeutung.

Dieß ist aber auch alles, was ich Ihnen heute schreiben kann, denn über den Arrangements ist mir der Kopf ganz wüste geworden. Morgen hoffe ich endlich mit rechter Lust wieder an die Arbeit zu gehen und dabei zu beharren.

Wenn Sie mir den Text vom Don Juan auf einige Tage schicken wollten, würden Sie mir einen Gefallen erweisen. Ich habe die Idee, eine Ballade draus zu machen, und da ich das Mährchen nur vom Hörensagen kenne, so möchte ich doch wissen, wie es behandelt ist.

Leben Sie recht wohl. Herzlich freue ich mich drauf, bald wieder eine Zeit lang mit Ihnen zu verleben.

Sch.


307. An Schiller.

Gestern habe ich angefangen an meinem Moses zu dictiren. Güssefeld verlangt für eine Karte in klein Folio zu zeichnen vier Louisd'or und will den Stich derselben für etwa zwei Carolin in Nürnberg besorgen. Glauben Sie daß der Spaß die Auslage werth sei, so will ich gleich Anstalt machen, es gehen doch immer ein paar Monate hin bis die Karte fertig wird. Mein Aufsatz kann recht artig werden, um so mehr als in der neuern Zeit die Theologen selbst die Bibelchronologie öffentlich verdächtig machen und überall eingeschobene Jahre zu Ausgleichung gewisser Cyklen vermuthen.

Hier schicke ich den Aristoteles, wünsche viel Freude daran und sage für heute nichts weiter.

Weimar den 3. Mai 1797.

G.

Auch schicke ich den zweiten Theil des Vieilleville und den verlangten Don Juan. Der Gedanke, eine Romanze aus diesem zu machen, ist sehr glücklich. Die allgemein bekannte Fabel, durch eine poetische Behandlung, wie sie Ihnen zu Gebote steht, in ein neues Licht gestellt wird guten Effect thun.

Ich wünsche Glück zur neuen Wohnung und werde eilen Sie sobald als möglich darin zu besuchen.

G.


308. An Goethe.

Ich bin mit dem Aristoteles sehr zufrieden, und nicht bloß mit ihm, auch mit mir selbst; es begegnet einem nicht oft, daß man nach Lesung eines solchen nüchternen Kopfs und kalten Gesetzgebers den innern Frieden nicht verliert. Der Aristoteles ist ein wahrer Höllenrichter für alle, die entweder an der äußern Form sklavisch hängen, oder die über alle Form sich hinwegsetzen. Jene muß er durch seine Liberalität und seinen Geist in beständige Widersprüche stürzen: denn es ist sichtbar, wie viel mehr ihm um das Wesen als um alle äußere Form zu thun ist; und diesen muß die Strenge fürchterlich sein, womit er aus der Natur des Gedichts, und des Trauerspiels insbesondere, seine unverrückbare Form ableitet. Jetzt begreife ich erst den schlechten Zustand in den er die französischen Ausleger und Poeten und Kritiker versetzt hat: auch haben sie sich immer vor ihm gefürchtet, wie die Jungen vor dem Stecken. Shakespear, so viel er gegen ihn wirklich sündigt, würde weit besser mit ihm ausgekommen sein, als die ganze französische Tragödie.

Indessen bin ich sehr froh, daß ich ihn nicht früher gelesen: ich hätte mich um ein großes Vergnügen und um alle Vortheile gebracht, die er mir jetzt leistet. Man muß über die Grundbegriffe schon recht klar sein, wenn man ihn mit Nutzen lesen will; kennt man die Sache die er abhandelt nicht schon vorläufig gut, so muß es gefährlich sein, bei ihm Rath zu holen.

Ganz kann er aber sicherlich nie verstanden oder gewürdigt werden. Seine ganze Ansicht des Trauerspiels beruht auf empirischen Gründen: er hat eine Masse vorgestellter Tragödien vor Augen, die wir nicht mehr vor Augen haben; aus dieser Erfahrung heraus raisonnirt er, uns fehlt größtentheils die ganze Basis seines Urtheils. Nirgends beinahe geht er von dem Begriff, immer nur von dem Factum der Kunst und des Dichters und der Repräsentation aus; und wenn seine Urtheile, dem Hauptwesen nach, ächte Kunstgesetze sind, so haben wir dieses dem glücklichen Zufall zu danken, daß es damals Kunstwerke gab, die durch das Factum eine Idee realisirten, oder ihre Gattung in einem individuellen Falle vorstellig machten.

Wenn man eine Philosophie über die Dichtkunst, so wie sie jetzt einem neuern Aesthetiker mit Recht zugemuthet werden kann, bei ihm sucht, so wird man nicht nur getäuscht werden, sondern man wird auch über seine rhapsodistische Manier und über die seltsame Durcheinanderwerfung der allgemeinen und der allerparticularsten Regeln, der logischen, prosodischen, rhetorischen und poetischen Sätze &c. lachen müssen, wie z. B. wenn er bis zu den Vocalen und Konsonanten zurückgeht. Denkt man sich aber, daß er eine individuelle Tragödie vor sich hatte, und sich um alle Momente befragte die an ihr in Betrachtung kamen, so erklärt sich alles leicht, und man ist sehr zufrieden, daß man bei dieser Gelegenheit alle Elemente, aus welchen ein Dichterwerk zusammengesetzt wird, recapitulirt.

Ich wundere mich gar nicht darüber, daß er der Tragödie den Vorzug vor dem epischen Gedicht giebt: denn so wie er es meint, obgleich er sich nicht ganz unzweideutig ausdrückt, wird der eigentliche und objective poetische Werth der Epopöe nicht beeinträchtigt. Als Urtheiler und Aesthetiker muß er von derjenigen Kunstgattung am meisten satisfacirt sein, welche in einer bleibenden Form ruht und über welche ein Urtheil kann abgeschlossen werden. Nun ist dieß offenbar der Fall bei dem Trauerspiel, so wie er es in Mustern vor sich hatte, indem das einfachere und bestimmtere Geschäft des dramatischen Dichters sich weit leichter begreifen und andeuten läßt, und eine vollkommenere Technik dem Verstande weist, eben des kürzern Stadiums und der geringeren Breite wegen. Ueberdem sieht man deutlich, daß seine Vorliebe für die Tragödie von einer klareren Einsicht in dieselbe herrührt, daß er von der Epopöe eigentlich nur die generisch-poetischen Gesetze kennt, die sie mit der Tragödie gemein hat, und nicht die specifischen, wodurch sie sich ihr entgegensetzt; deßwegen konnte er auch sagen, daß die Epopöe in der Tragödie enthalten sei, und daß einer, der diese zu beurtheilen wisse, auch über jene absprechen könne: denn das allgemein pragmatisch-poetische der Epopöe ist freilich in der Tragödie enthalten.

Es sind viele scheinbare Widersprüche in dieser Abhandlung, die ihr aber in meinen Augen nur einen höhern Werth geben; denn sie bestätigen mir, daß das Ganze nur aus einzelnen Apperçus besteht und daß keine theoretische vorgefaßte Begriffe dabei im Spiele sind; manches mag freilich auch dem Uebersetzer zuzuschreiben sein.

Ich freue mich, wenn Sie hier sind, diese Schrift mit Ihnen mehr im einzelnen durchzusprechen.

Daß er bei der Tragödie das Hauptgewicht in die Verknüpfung der Begebenheiten legt, heißt recht den Nagel auf den Kopf getroffen.

Wie er die Poesie und die Geschichte mit einander vergleicht und jener eine größere Wahrheit als dieser zugesteht, das hat mich auch sehr von einem solchen Verstandesmenschen erfreut.

Es ist auch sehr artig wie er bemerkt, bei Gelegenheit dessen was er von den Meinungen sagt, daß die Alten ihre Personen mit mehr Politik, die Neuern mit mehr Rhetorik haben sprechen lassen.

Es ist gleichfalls recht gescheid, was er zum Vortheil wahrer historischer Namen bei dramatischen Personen sagt.

Daß er den Euripides so sehr begünstigte, wie man ihm sonst schuld giebt, habe ich ganz und gar nicht gefunden. Ueberhaupt finde ich, nachdem ich diese Poetik nun selbst gelesen, wie ungeheuer man ihn misverstanden hat.

Ich lege Ihnen hier einen Brief von Voß bei, der eben an mich in Einschluß gekommen ist. Er sendet mir auch eine hexametrische Uebersetzung von Ovids Phaethon, für die Horen, die mir bei meiner großen Detresse sehr gelegen kommt. Er selbst wird auf seiner Reise Weimar und Jena nicht besuchen.

Was die Karte zum Moses betrifft, so wollen wir, wenn es Ihnen recht ist, den Lenzischen Aufsatz, den ich in das fünfte Horenstück einrücken lasse, dazu bestimmen, daß die Ausgabe für jene Karte davon bestritten wird. Ich habe Cotta versprochen, daß ihn kein Bogen mehr als vier Louisdors kosten solle; sonst hätte er die Horen nicht gut fortsetzen können. Auf diese Art aber macht es sich sehr gut. Sorgen Sie nur, daß wir den Moses und auch das Kupfer bald können abdrucken lassen.

Gehört der Aristoteles Ihnen selbst? Wenn das nicht ist, so will ich ihn mir gleich kommen lassen, denn ich möchte mich nicht gern sobald davon trennen.

Hier neue Horen. Auch folgt der Don Juan mit Dank zurück. Ich glaube wohl, das Sujet wird sich ganz gut zu einer Ballade qualificiren.

Leben Sie recht wohl. Ich habe mich an die neue Lebensart schon ganz gewöhnt und bringe, in Wind und Regen, manche Stunde mit Spazierengehen im Garten zu, und befinde mich sehr wohl dabei.

Jena den 5. Mai 1797.

Sch.


309. An Schiller.

Ich bin sehr erfreut daß wir grade zur rechten Stunde den Aristoteles aufgeschlagen haben. Ein Buch wird doch immer erst gefunden, wenn es verstanden wird. Ich erinnere mich recht gut daß ich vor dreißig Jahren diese Uebersetzung gelesen und doch auch von dem Sinne des Werks gar nichts begriffen habe. Ich hoffe mich bald mit Ihnen darüber weiter zu unterhalten. Das Exemplar ist nicht mein.

Voß hat mir einen sehr artigen Brief geschrieben und kündigt mir seine Arbeiten über die alte Geographie an, auf die ich sehr verlange.

Sowohl der Brief als das Couvert versprechen ein paar Homerische Karten, die ich aber nicht finde; vielleicht kommen sie mit den Ovidischen Verwandlungen.

In diesen Tagen, da ich mich seiner Homerischen Uebersetzung wieder viel bediente, habe ich den großen Werth derselben wieder aufs neue bewundern und verehren müssen. Es ist mir eine Tournüre eingefallen wie man ihm, auf eine liberale Art, könnte Gerechtigkeit widerfahren lassen, wobei es nicht ohne Aergerniß seiner saalbaderischen Widersacher abgehen sollte. Wir sprechen mündlich hierüber.

Daß wir den Ertrag von Lenzens Mumie auf die Karte von Palästina anwenden wollen, ist mir ganz recht. Doch will ich noch einen Augenblick inne halten, bis ich sehe ob auch mein Moses wirklich fertig wird. Bisher hatte ich mich von der Idee Italiens fast ganz los gemacht, jetzt, da die Hoffnung wieder lebendig wird, so sehe ich wie nöthig es ist meine Collectaneen wieder vorzunehmen, zu ordnen und zu schematisiren.

Den 15ten dieses denke ich wieder bei Ihnen zu sein und eine Zeit lang zu bleiben; heute bin ich von einer zerstreuten Woche noch ganz verstimmt. Leben Sie recht wohl und erfreuen sich der freien Luft und der Einsamkeit.

Weimar am 6. Mai 1797.

G.


310. An Goethe.

Jena den 10. Mai 1797.

Ich wurde gestern verhindert, Ihnen ein Wort zu sagen und hole es heute nach.

Auch mir hat Voß von Welttafeln geschrieben, die er Ihnen schicke; ich habe aber keine erhalten. Die Uebersetzung aus Ovid, die er mitgeschickt, ist sehr vortrefflich, mit der Bestimmtheit und auch mit der Leichtigkeit des Meisters.

Schade nur, daß er sich durch die elenden Streitigkeiten abhalten läßt, hieher zu kommen. Daß er lieber bei seinem Reichardt in Gibichenstein liegt, als zu uns kommt, kann ich ihm doch kaum vergeben.

Ich bin neugierig, auf welche Art Sie seine Uebersetzungsweise vertheidigen wollen, da hier der schlimme Fall ist, daß gerade das Vortreffliche daran studirt werden muß, und das Anstößige gleich auffällt.

Es sollte mir leid thun, wenn Sie Ihren Moses zurücklegten. Freilich ist es eine sonderbare Collision, in die er mit den italienischen Dingen kommt, aber nach dem, was Sie mir schon davon sagten, hätten Sie däucht mir wenig mehr zu thun, als ihn zu dictiren.

Ich freue mich auf Ihre Ankunft. Hier im freien werden wir noch einmal so gut unsre Angelegenheiten durchsprechen können. Leben Sie recht wohl. Alles grüßt Sie aufs beste.

Sch.


311. An Schiller.

Noch etwa acht Tage habe ich hier zu thun, indem sich bis dahin manches entscheiden muß. Ich wünsche sehr wieder einige Zeit bei Ihnen zuzubringen, besonders bin ich jetzt leider wieder in einem Zustande von Unentschiedenheit in welchem ich nichts rechtes thun kann und mag.

Von Humboldt habe ich einen weitläufigen und freundschaftlichen Brief, mit einigen guten Anmerkungen über die ersten Gesänge, die er in Berlin nochmals gelesen hat. Auf den Montag schicke ich abermals viere fort und komme nach Jena um den letzten zu endigen. Auch mir kommt der Friede zu statten und mein Gedicht gewinnt dadurch eine reinere Einheit.

Ich wünsche Sie in Ihrem Garten recht vergnügt und thätig zu finden. Leben Sie recht wohl; ich kann in meiner heutigen Zerstreuung von dem vielen was ich zu sagen habe, nichts zu Papiere bringen.

Weimar am 13. Mai 1797.

G.


312. An Goethe.

Es ist recht schön, daß Sie Ihr Gedicht, das hier angefangen wurde auch hier vollenden. Die Judenstadt darf sich was darauf einbilden. Ich freue mich schon im voraus, nicht auf das Gedicht allein, auch auf die schöne Stimmung, in welche die Dichtung und die Vollendung Sie versetzen wird.

Dadurch, daß Sie eine Woche später kommen, entgehen Sie einem großen Schmutz in meinem Hause, denn ich habe mich doch entschließen müssen, die Gartenseite des Hauses zu unterschwellen, welches heute angefangen worden. Bis jetzt hat mir eigentlich bloß die Neuheit dieser Existenz den Aufenthalt im Garten reizend machen können, denn entweder war das Wetter nicht freundlich oder das Bauwesen raubte mir die Ruhe. Es bekommt mir aber übrigens sehr wohl hier, und an die Arbeit gewöhn' ich mich auch wieder.

Haben Sie nun die Schlegelische Kritik von Schlossern gelesen? Sie ist zwar in ihrem Grundbegriff nicht unwahr, aber man sieht ihr doch die böse Absicht und die Partei viel zu stark an. Es wird doch zu arg mit diesem Herrn Friedlich Schlegel. So hat er kürzlich dem Alexander Humboldt erzählt, daß er die Agnes, im Journal Deutschland, recensirt habe und zwar sehr hart. Jetzt aber da er höre sie sei nicht von Ihnen, so bedaure er, daß er sie so streng behandelt habe. Der Laffe meinte also, er müsse dafür sorgen, daß Ihr Geschmack sich nicht verschlimmere. Und diese Unverschämtheit kann er mit einer solchen Unwissenheit und Oberflächlichkeit paaren, daß er die Agnes wirklich für Ihr Werk hielt.

Das Geschwätz über die Xenien dauert noch immer fort; ich finde immer noch einen neuen Büchertitel, worin ein Aufsatz oder so was gegen die Xenien angekündigt wird. Neulich fand ich in einem Journal: Annalen der leidenden Menschheit einen Aufsatz gegen die Xenien.

Den Schluß des Cellini bitte nicht zu vergessen, und vielleicht fällt Ihnen beim Kramen in Ihren Papieren noch irgend etwas für die Horen oder für den Almanach in die Hände.

Leben Sie recht wohl. Meine Frau empfiehlt sich aufs beste.

Jena den 16. Mai 1797.

Sch.


313. An Schiller.

Es thut mir leid daß Sie vom nahen Bauwesen so viel dulden! Es ist ein böses Leiden und dabei ein reizender Zeitverderb, in seiner Nähe arbeitende Handwerker zu haben. Ich wünsche daß auch diese Ereignisse Sie nicht allzusehr zerstreuen mögen.

Ich suche so viel als möglich aufzuräumen, um mir ein paar ganz freie Wochen zu verdienen, und wo möglich die Stimmung zum Schluß meines Gedichts zu finden. Von der übrigen lieben deutschen Literatur habe ich rein Abschied genommen. Fast bei allen Urtheilen waltet nur der gute oder der böse Wille gegen die Person, und die Fratze des Parteigeists ist mir mehr zuwider als irgend eine andere Carricatur.

Seitdem die Hoffnung das gelobte, obgleich jetzt sehr mißhandelte, Land zu sehen bei mir wieder aufgelebt, bin ich mit aller Welt Freund und mehr als jemals überzeugt: daß man im theoretischen und praktischen, und besonders in unserm Falle im wissenschaftlichen und dichterischen immer mehr mit sich selbst eins zu werden und eins zu bleiben suchen müsse. Uebrigens mag alles gehen wie es kann.

Lassen Sie uns, so lange wir beisammen bleiben, auch unsere Zweiheit immer mehr in Einklang bringen, damit selbst eine längere Entfernung unserm Verhältniß nichts anhaben könne.

Den Schluß des Cellini will ich in Jena gleich zum Anfange vornehmen; vielleicht findet sich auch sonst noch etwas und vielleicht wird Moses durch die Unterhaltung wieder lebendig. Leben Sie recht wohl, grüßen Ihre liebe Frau und genießen der freien Luft, die Ihnen doch früh oder spät gute Stimmung gewähren wird.

Weimar am 17. Mai 1797.

G.


314. An Schiller.

Ich fange nun schon an mich dergestalt an mein einsames Schloß- und Bibliothekwesen zu gewöhnen, daß ich mich kaum herausreißen kann und meine Tage neben den Büttnerischen Laren, zwar unbemerkt, aber doch nicht ungenutzt vorbeistreichen. Um 7 Uhr geh' ich ins Concert und dann zu Loder, ich werde also Sie und den freundlichen Himmel heute nicht sehen. Das Wetter verspricht gute Dauer, denn das Barometer ist gestiegen.

Ueber die Einleitung unseres Blumenmädchens hab' ich auch gedacht. Der Sache ist, glaub' ich, durch einen doppelten Titel und ein doppeltes Titelblatt geholfen, wo auf dem äußern, sonst der Schmutztitel genannt, die Stelle des Plinius dem Leser gleich entgegen kommt. Ich lasse in diesem Sinne gegenwärtig eine Abschrift für Sie machen.

Hierbei erhalten Sie zugleich noch ein kleines Gedicht, mit dem Wunsch daß es Ihnen wohl und vergnüglich sein möge. Mir geht es übrigens so gut daß die Vernunft des Petrarchs alle Ursache hätte mir einen großen Sermon zu halten.

Jena den 23. Mai 1797.

G.


315. An Goethe

Jena den 23. Mai 1797.

Dank Ihnen für Ihr liebes Billet und das Gedicht. Dieß ist so musterhaft schön und rund und vollendet, daß ich recht dabei gefühlt habe, wie auch ein kleines Ganze, eine einfache Idee durch die vollkommene Darstellung einem den Genuß des höchsten geben kann. Auch bis auf die kleinsten Forderungen des Metrums ist es vollendet. Uebrigens belustigte es mich, diesem kleinen Stücke die Geistes-Atmosphäre anzumerken, in der Sie gerade leben mochten, denn es ist ordentlich recht sentimentalisch schön!

Ich wünsche Ihnen eine recht gute Nacht zu einem lustigen Abend, und möchte die schöne Muse, die bei Tage und wachend Sie begleitet, sich gefallen lassen, Ihnen Nachts in der nämlichen, aber körperlichen Schönheit sich zuzugesellen,

Sch.


316. An Schiller.

Hier schicke ich eine Copie der Quittung und lege auch die Berechnung bei die ich mir aber zurück erbitte. Können Sie mir sagen wie viel ich erhalte, so wird es mir angenehm sein.

Die beiden handfesten Bursche Moses und Cellini haben sich heute zusammen eingestellt; wenn man sie neben einander sieht, so haben sie eine wundersame Aehnlichkeit. Sie werden doch gestehen, daß dieß eine Parallele ist, die selbst Plutarchen nicht eingefallen wäre. Leben Sie recht wohl bei diesem leidlichern Tage.

Jena den 27. Mai 1797.

G.


317. An Goethe.

[Jena den 27. Mai 1797.]

Der heutige Tag ist recht hübsch, sein Gemüth zu sammeln, und ladet zur Arbeit ein. Moses so wie Sie ihn genommen ist dem Cellini wirklich gar nicht so unähnlich, aber man wird die Parallele greulich finden.

Hier die Rechnung. Das Geld will ich Ihnen lieber selbst geben, die Summe ist zu groß.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


318. An Schiller.

Ich sende hiermit Ihren reellen Theaterbeutel mit Dank zurück: es hat wohl selten ein dramatischer Schriftsteller einen solchen ausgespendet.

Ich habe auch nunmehr die Rechnung ajustiren lassen, die Ihrige in Copia beigefügt und das Ganze unterschrieben, wodurch denn also das Jahr saldirt wäre. Nur wünschte ich die Escherische Quittung oder eine beglaubte Abschrift derselben wegen der gezahlten 200 Stück Laubthaler zu haben, weil ich sie bei meiner Meyerischen Rechnung bedarf.

Gerning scheint Ernst zu machen: er meldet daß er Pfingsten nach Italien gehen will.

Böttiger wird morgen ankommen und einige Tage bleiben: es wird nun von Ihnen abhängen wann er Ihren Grund und Boden einmal betreten darf.

Heute werde ich nicht das Vergnügen haben Sie zu sehen; bei Tage wage ich mich nicht vor die Thüre und Abends bin ich zu einigen Feierlichkeiten geladen.

Der Eindruck von dem wiederholten Lesen des Prologs ist mir sehr gut und gehörig geblieben, allein der Aufwand wäre für ein einziges Drama zu groß. Da Sie einmal durch einen sonderbaren Zusammenfluß von Umständen diese Zeitepoche historisch und dichterisch bearbeitet haben, so liegt Ihnen individuell in der Hand wornach man sich im allgemeinen so weit umsieht: ein eigner Cyclus, in den Sie, wenn Sie Lust haben, auch Privatgegenstände hineinwerfen und sich für Ihre ganze dichterische Laufbahn alle Exposition ersparen können.

Sie äußerten neulich schon eine solche Idee und sie dringt sich mir jetzt erst recht auf.

Sie erhalten zugleich ein Gedicht das sich auch an einen gewissen Kreis anschließt. Leben Sie recht wohl und erfreuen sich des Abends der schön zu werden verspricht.

Jena am 28. Mai 1797.

G.


319. An Schiller.

Hierbei Urania. Möchten uns doch die neune, die uns bisher beigestanden haben, bald noch zum epischen Schweife verhelfen.

Meine Schriften, artig geheftet, liegen nunmehr für Boie da; ich will einen Brief dazu schreiben und sie, wohlgepackt, fortschicken. Sie haben wohl die Güte mir die Adresse anzuzeigen.

Ich lege auch die Zeichnung für die Decke des Musenalmanachs bei; die Absicht ist freilich daß das Kupfer auf bunt Papier gedruckt und die Lichter mit Gold gehöht werden sollten. Es ist zu wünschen daß ein geschickter Kupferstecher mit Beurtheilung bei der Arbeit verfahre, damit sie auch ohne jene Aufhöhung guten Effect thue.

Ich bitte mir den Gesang, sobald Sie ihn gelesen haben, wieder zurückzuschicken, indem ich ihn gleich abzusenden denke. Leben Sie recht wohl und lassen den heutigen schönen Tag fruchtbar sein.

Den 3. Juni 1797.

G.


320. An Schiller.

Hier schicke ich den Schlegel'schen Aufsatz, er scheint mir im Ganzen gut gedacht und gut geschrieben, einige Stellen habe ich angezeichnet, die mit wenigem verbessert werden könnten; Sie thun ja wohl das Gleiche und wenn ich den Aufsatz diesen Abend mit nach Hause nehmen kann, so berichtige ich alles morgen mit ihm, so daß Sie Montag den hungrigen Stunden dieses Frühstück nebst einem Bissen Cellini vorsetzen können. Leben Sie recht wohl und lassen Ihren Taucher je eher je lieber ersaufen. Es ist nicht übel, da ich meine Paare in das Feuer und aus dem Feuer bringe, daß Ihr Held sich das entgegengesetzte Element aussucht.

Jena den 10. Juni 1797.

G.


321. An Schiller.

Dem Herren in der Wüste bracht'
Der Satan einen Stein,
Und sagte: Herr, durch deine Macht,
Laß es ein Brötchen sein!

Von vielen Steinen sendet dir
Der Freund ein Musterstück,
Ideen giebst du bald dafür
Ihm tausendfach zurück.

Jena am 13. Juni 1797.

G.


322. An Schiller.

Ich schicke das Restchen Cellini und das Blumenmädchen und erbitte mir dagegen die Dame des belles cousines, zu der ich unbekannter Weise eine besondere Neigung hege. Sodann auch den Almanach der die Würde der Frauen enthält, zu einem schwer zu errathenden Zwecke.

Das Barometer steht noch immer tief und nöthigt uns zu häuslicher, innerlicher Behaglichkeit. Ich komme diesen Nachmittag nur ein wenig, weil ich diesen Abend leider das helle Nachtmahl nicht mit einnehmen kann.

Jena den 13. Juni 1797.

G.


323. An Schiller.

Ich werde Sie leider heute nicht sehen: der Regen und die Nothwendigkeit heute Abend in dem Clubb einigermaßen angezogen zu sein, hindern mich an meiner gewöhnlichen Wallfahrt.

Ich schicke den veränderten Schlegel'schen Aufsatz, zu beliebigem Gebrauche, und wünsche daß der Taucher möge glücklich absolvirt sein.

Ich habe mich heute früh an Amlet des Saxo Grammaticus gemacht; es ist leider die Erzählung, ohne daß sie stark durchs Läuterfeuer geht, nicht zu brauchen; kann man aber Herr darüber werden, so wird es immer artig und wegen der Vergleichung merkwürdig.

Das Barometer will noch immer nicht weiter steigen und der Himmel scheint ohne dasselbe, aus eigner Macht und Gewalt, kein gut Wetter machen zu wollen. Leben Sie recht wohl.

Jena den 14. Juni 1797.

G.


324. An Schiller

Leider muß ich mit meiner mineralogischen Gabe zugleich anzeigen daß ich abgerufen werde und heute Abend wegreise; ich komme auf alle Fälle noch einen Augenblick und bitte durch Ueberbringer um die beiden Fischbücher.

Jena den 16. Juni 1797.

G.


325. An Goethe

Jena den 18. Juni 1797.

Seit Ihrer Entfernung habe ich schon einen Vorschmack der großen Einsamkeit, in die mich Ihre völlige Abreise versetzen wird. Glücklicherweise ist mir das Wetter jetzt günstig und ich kann viel im Freien leben. Unterdessen beschäftigte mich der Vieilleville, denn die Stunden drängen sehr; doch habe ich auch etwas weniges poetisirt: ein kleines Nachstück zum Taucher, wozu ich durch eine Anekdote in S. Foix Essay sur Paris aufgemuntert wurde.

Ich sehe einer poetischen Thätigkeit jetzt mit rechter Lust entgegen und hoffe in den zwei nächsten Monaten auch etwas zu Stande zu bringen.

Die Entscheidung, ob Sie weiter gehen werden als nach der Schweiz, ist auch mir wichtig und ich erwarte sie mit Ungeduld. Je mehr Verhältnissen ich jetzt abgestorben bin, einen desto größern Einfluß haben die wenigen auf meinen Zustand, und den entscheidendsten hat Ihre lebendige Gegenwart. Die letzten vier Wochen haben wieder Vieles in mir bauen und gründen helfen. Sie gewöhnen mir immer mehr die Tendenz ab (die in allem praktischen, besonders poetischen eine Unart ist), vom allgemeinen zum individuellen zu gehen, und führen mich umgekehrt von einzelnen Fällen zu großen Gesetzen fort. Der Punkt ist immer klein und eng, von dem Sie auszugehen pflegen, aber er führt mich ins Weite und macht mir dadurch, in meiner Natur, wohl, anstatt daß ich auf dem andern Weg, dem ich, mir selbst überlassen, so gerne folge, immer vom weiten ins enge komme, und das unangenehme Gefühl habe, mich am Ende ärmer zu sehen als am Anfang.

Von Humboldt habe ich noch immer keine Nachricht, er scheint noch nicht in Dresden angekommen zu sein, weil mir auch Körner nichts von ihm zu schreiben wußte. Jener Herr von Senf, den Ihnen Körner angemeldet, wird nicht in unsre Gegend kommen; er hat kürzlich eine Verhinderung erhalten.

Heute Abend ging meine Frau mit Wolzogen, der hier war, auf etliche Tage nach Weimar. Mich läßt der Vieilleville diese Woche nicht vom Platz.

Vergessen Sie doch nicht, mir den Chor aus Prometheus zu schicken.

Leben Sie recht wohl. Ich sehne mich bald wieder von Ihnen zu hören.

Jena, 18. Juni 97.

Schiller.


326. An Schiller.

Bei dem heutigen Regenwetter mag es auf Ihrer Burg sehr einsam aussehen, doch ist eine weite Aussicht, wo Erde und Himmel so vielerlei Ansichten geben, mehr werth als man glaubt, wenn man sie täglich genießt. Ich wünsche bei dieser äußern Einschränkung guten Fortgang der Geschäfte.

Der Handschuh ist ein sehr glücklicher Gegenstand und die Ausführung gut gerathen; wir wollen ja dergleichen Gegenstände die uns auffallen künftig gleich benutzen. Hier ist die ganz reine That, ohne Zweck oder vielmehr im umgekehrten Zweck, was so sonderbar wohlgefällt.

Ich habe diese Tage mancherlei angegriffen und nichts gethan. Die Geschichte der Peterskirche habe ich besser und vollständiger schematisirt und sowohl diese Arbeit als der Moses und andere werden schon nach und nach reif werden. Ich muß die jetzige Zeit, die nur ein zerstreutes Interesse bei der Ungewißheit, in der ich schwebe, hervorbringt, so gut als es gehen will, benutzen, bis ich wieder auf eine Einheit hingeführt werde.

Den Chor aus Prometheus finde ich nicht, auch kann ich mich nicht erinnern daß ich ihn von Humboldt wieder erhalten habe, deswegen ich auch glaubte das Gedicht sei schon in Ihren Händen. Auf alle Fälle hat ihn Frau von Humboldt abgeschrieben und er wird also leicht von Dresden zu erhalten sein.

Vorgestern habe ich Wieland besucht, der in einem sehr artigen, geräumigen und wohnhaft eingerichteten Hause, in der traurigsten Gegend von der Welt, lebt; der Weg dahin ist noch dazu meistentheils sehr schlimm. Ein Glück ist's daß jedem nur sein eigner Zustand zu behagen braucht; ich wünsche daß dem guten Alten der seinige nie verleiden möge! Das Schlimmste ist wirklich, nach meiner Vorstellung, daß bei Regenwetter und kurzen Tagen an gar keine Communication mit andern Menschen zu denken ist.

Mein Zustand, der zwischen Nähe und Ferne, zwischen einer großen und kleinen Expedition sich hin und wieder wiegt, hat in dem Augenblicke wenig erfreuliches, und ich werde mich noch einige Wochen so hinhalten müssen. Bring' ich den guten Meyer auf Michael wieder zurück, so soll unser Winterleben eine gute Wendung nehmen. Wir haben in den letzten vier Wochen theoretisch und praktisch wirklich wieder schöne Fortschritte gethan, und wenn meine Natur die Wirkung hat die Ihrige ins begrenzte zu ziehen, so habe ich durch Sie den Vortheil daß ich auch wohl manchmal über meine Grenzen hinaus gezogen werde, wenigstens daß ich nicht so lange mich auf einem so engen Fleck herumtreibe. Kommt der alte Meister noch dazu, der die Reichthümer einer fremden Kunst mit zum besten giebt, so soll es wohl an guten Wirkungen nicht fehlen. Ich lege den Handschuh wieder bei, der zum Taucher wirklich ein artiges Nach- und Gegenstück macht, und durch sein eignes Verdienst das Verdienst jener Dichtung um so mehr erhöht. Leben Sie recht wohl und lassen Sie bald von sich hören.

Weimar den 21. Juni 1797.

G.


327. An Schiller.

Da es höchst nöthig ist daß ich mir, in meinem jetzigen unruhigen Zustande, etwas zu thun gebe, so habe ich mich entschlossen an meinen Faust zu gehen und ihn, wo nicht zu vollenden, doch wenigstens um ein gutes Theil weiter zu bringen, indem ich das was gedruckt ist, wieder auflöse und, mit dem was schon fertig oder erfunden ist, in große Massen disponire, und so die Ausführung des Plans, der eigentlich nur eine Idee ist, näher vorbereite. Nun habe ich eben diese Idee und deren Darstellung wieder vorgenommen und bin mit mir selbst ziemlich einig. Nun wünschte ich aber daß Sie die Güte hätten die Sache einmal, in schlafloser Nacht, durchzudenken, mir die Forderungen, die Sie an das Ganze machen würden, vorzulegen und so mir meine eignen Träume, als ein wahrer Prophet, zu erzählen und zu deuten.

Da die verschiednen Theile dieses Gedichts, in Absicht auf die Stimmung, verschieden behandelt werden können, wenn sie sich nur dem Geist und Ton des Ganzen subordiniren, da übrigens die ganze Arbeit subjectiv ist: so kann ich in einzelnen Momenten daran arbeiten und so bin ich auch jetzt etwas zu leisten im Stande.

Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst- und Nebelweg gebracht, und die Umstände rathen mir, in mehr als in Einem Sinne, eine Zeit lang darauf herum zu irren.

Das interessante meines neuen epischen Plans geht vielleicht auch in einem solchen Reim- und Strophendunst in die Luft; wir wollen es noch ein wenig cohobiren lassen. Für heute leben Sie recht wohl! Karl war gestern in meinem Garten, ohngeachtet des übeln Wetters, recht vergnügt. Ich hätte gern Ihre liebe Frau, wenn sie hier geblieben wäre, mit den Ihrigen heute Abend bei mir gesehen. Wenn Sie sich nur auch einmal wieder entschließen könnten die Jenaische Chaussee zu messen. Freilich wünschte ich Ihnen bessere Tage zu so einer Expedition.

Weimar den 22. Juni 1797.

G.


328. An Goethe.

Jena den 23. Juni 1797.

Ihr Entschluß an den Faust zu gehen ist mir in der That überraschend, besonders jetzt, da Sie sich zu einer Reise nach Italien gürten. Aber ich hab' es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu messen, und bin also im Voraus überzeugt, daß Ihr Genius sich vollkommen gut aus der Sache ziehen wird.

Ihre Aufforderung an mich, Ihnen meine Erwartungen und Desideria mitzutheilen, ist nicht leicht zu erfüllen; aber so viel ich kann, will ich Ihren Faden aufzufinden suchen, und wenn auch das nicht geht, so will ich mir einbilden, als ob ich die Fragmente von Faust zufällig fände und solche auszuführen hätte. So viel bemerke ich hier nur, daß der Faust, das Stück nämlich, bei aller seiner dichterischen Individualität die Forderung an eine symbolische Bedeutsamkeit nicht ganz von sich weisen kann, wie auch wahrscheinlich Ihre eigene Idee ist. Die Duplicität der menschlichen Natur und das verunglückte Bestreben das Göttliche und das Physische im Menschen zu vereinigen, verliert man nicht aus den Augen; und weil die Fabel ins Grelle und Formlose geht und gehen muß, so will man nicht bei dem Gegenstand stille stehen, sondern von ihm zu Ideen geleitet werden. Kurz, die Anforderungen an den Faust sind zugleich philosophisch und poetisch, und Sie mögen sich wenden wie Sie wollen, so wird Ihnen die Natur des Gegenstandes eine philosophische Behandlung auflegen, und die Einbildungskraft wird sich zum Dienst einer Vernunftidee bequemen müssen.

Aber ich sage Ihnen damit schwerlich etwas neues, denn Sie haben diese Forderung in dem, was bereits da ist, schon in hohem Grade zu befriedigen angefangen.

Wenn Sie jetzt wirklich an den Faust gehen, so zweifle ich auch nicht mehr an seiner völligen Ausführung, welches mich sehr erfreut.

Meine Frau, die mir Ihren Brief bringt, und eben von ihrer kleinen Reise mit dem Herrn Karl zurückkommt, verhindert mich heute mehr zu schreiben. Montag denke ich Ihnen eine neue Ballade zu senden; es ist jetzt eine ergiebige Zeit zur Darstellung von Ideen. Leben Sie recht wohl.

Sch.


329. An Schiller.

Dank für Ihre ersten Worte über den wieder auflebenden Faust. Wir werden wohl in der Ansicht dieses Werkes nicht variiren, doch giebt's gleich einen ganz andern Muth zur Arbeit, wenn man seine Gedanken und Vorsätze auch von außen bezeichnet sieht, und Ihre Theilnahme ist in mehr als Einem Sinne fruchtbar.

Daß ich jetzt dieses Werk angegriffen habe ist eigentlich eine Klugheitssache: denn da ich bei Meyers Gesundheitsumständen noch immer erwarten muß einen nordischen Winter zuzubringen, so mag ich, durch Unmuth über fehlgeschlagene Hoffnung, weder mir noch meinen Freunden lästig sein und bereite mir einen Rückzug in diese Symbol-, Ideen- und Nebelwelt mit Lust und Liebe vor.

Ich werde nur vorerst die großen erfundenen und halb bearbeiteten Massen zu enden und mit dem was gedruckt ist zusammen zu stellen suchen, und das so lange treiben bis sich der Kreis selbst erschöpft.

Leben Sie recht wohl; fahren Sie fort mir etwas über Gegenstand und Behandlung zu sagen und schicken Sie mir die Ballade ja.

Weimar den 24. Juni 1797.

G.


330. An Goethe.

Jena den 26. Juni 1797.

Wenn ich Sie neulich recht verstanden habe, so haben Sie die Idee, Ihr neues episches Gedicht, die Jagd, in Reimen und Strophen zu behandeln. Ich vergaß neulich, ein Wort darüber zu sagen, aber diese Idee leuchtet mir ein, und ich glaube sogar, daß dieß die Bedingung sein wird, unter welcher allein dieses neue Gedicht neben Ihrem Hermann bestehen kann. Außerdem, daß selbst der Gedanke des Gedichts zur modernen Dichtkunst geeignet ist und also auch die beliebte Strophenform begünstigt, so schließt die neue metrische Form schon die Concurrenz und Vergleichung aus; sie giebt dem Leser eben sowohl als dem Dichter eine ganz andere Stimmung, es ist ein Concert auf einem ganz andern Instrument. Zugleich participirt es alsdann von gewissen Rechten des romantischen Gedichts, ohne daß es eigentlich eines wäre; es darf sich wo nicht des Wunderbaren, doch des Seltsamen und Ueberraschenden mehr bedienen, und die Löwen- und Tigergeschichte, die mir immer außerordentlich vorkam, erweckt dann gar kein Befremden mehr. Auch ist von den Fürstlichen Personen und Jägern nur ein leichter Schritt zu den Ritterfiguren, und überhaupt knüpft sich der vornehme Stand, mit dem Sie es in diesem Gedicht zu thun haben, an etwas Nordisches und Feudalisches an. Die griechische Welt, an die der Hexameter unausbleiblich erinnert, nimmt diesen Stoff daher weniger an, und die mittlere und neue Welt, also auch die moderne Poesie, kann ihn mit Recht reclamiren.

Den Faust habe ich nun wieder gelesen und mir schwindelt ordentlich vor der Auflösung. Dieß ist indeß sehr natürlich, denn die Sache beruht auf einer Anschauung und so lang man die nicht hat, muß ein selbst nicht so reicher Stoff den Verstand in Verlegenheit setzen. Was mich daran ängstigt ist, daß mir der Faust seiner Anlage nach auch eine Totalität der Materie nach zu erfordern scheint, wenn am Ende die Idee ausgeführt erscheinen soll, und für eine so hoch aufquellende Masse finde ich keinen poetischen Reif, der sie zusammenhält. Nun, Sie werden sich schon zu helfen wissen.

Zum Beispiel: es gehörte sich meines Bedünkens, daß der Faust in das handelnde Leben geführt würde, und welches Stück Sie auch aus dieser Masse erwählen, so scheint es mir immer durch seine Natur eine zu große Umständlichkeit und Breite zu erfordern.

In Rücksicht auf die Behandlung finde ich die große Schwierigkeit, zwischen dem Spaß und dem Ernst glücklich durchzukommen; Verstand und Vernunft scheinen mir in diesem Stoff auf Tod und Leben miteinander zu ringen. Bei der jetzigen fragmentarischen Gestalt des Fausts fühlt man dieses sehr, aber man verweist die Erwartung auf das entwickelte Ganze. Der Teufel behält durch seinen Realism vor dem Verstand, und der Faust vor dem Herzen Recht. Zuweilen aber scheinen sie ihre Rollen zu tauschen und der Teufel nimmt die Vernunft gegen den Faust in Schutz.

Eine Schwierigkeit finde ich auch darin, daß der Teufel durch seinen Charakter, der realistisch ist, seine Existenz, die idealistisch ist, aufhebt. Die Vernunft nur kann ihn glauben, und der Verstand nur kann ihn so, wie er da ist, gelten lassen und begreifen.

Ich bin überhaupt sehr erwartend, wie die Volksfabel sich dem philosophischen Theil des Ganzen anschmiegen wird.

Hier sende ich meine Ballade. Es ist ein Gegenstück zu Ihren Kranichen. Schreiben Sie mir doch, wie es ums Barometer steht! ich wünschte zu wissen, ob wir endlich dauerhaftes Wetter hoffen können. Leben Sie recht wohl.

Sch.


331. An Schiller.

Der Ring des Polykrates ist sehr gut dargestellt. Der königliche Freund, vor dessen, wie vor des Zuhörers, Augen alles geschieht und der Schluß, der die Erfüllung in Suspenso läßt, alles ist sehr gut. Ich wünsche daß mir mein Gegenstück eben so gerathen möge! Ihre Bemerkungen zu Faust waren mir sehr erfreulich. Sie treffen, wie es natürlich war, mit meinen Vorsätzen und Planen recht gut zusammen, nur daß ich mir's bei dieser barbarischen Composition bequemer mache und die höchsten Forderungen mehr zu berühren als zu erfüllen denke. So werden wohl Verstand und Vernunft, wie zwei Klopffechter, sich grimmig herumschlagen, um Abends zusammen freundschaftlich auszuruhen. Ich werde sorgen daß die Theile anmuthig und unterhaltend sind und etwas denken lassen; bei dem Ganzen, das immer ein Fragment bleiben wird, mag mir die neue Theorie des epischen Gedichts zu statten kommen.

Das Barometer ist in steter Bewegung; wir können uns in dieser Jahrszeit keine beständige Witterung versprechen. Man empfindet diese Unbequemlichkeit nicht eher als bis man Anforderungen an eine reine Existenz in freier Luft macht; der Herbst ist immer unsere beste Zeit.

Leben Sie recht wohl und fahren Sie fleißig fort Ihren Almanach auszustatten. Da ich durch meinen Faust bei dem Reimwesen gehalten werde, so werde ich gewiß auch noch einiges liefern. Es scheint mir jetzt auch ausgemacht daß meine Tiger und Löwen in diese Form gehören: ich fürchte nur fast daß das eigentliche Interessante des Sujets sich zuletzt gar in eine Ballade auflösen möchte. Wir wollen abwarten an welches Ufer der Genius das Schifflein treibt.

Den Ring schicke ich Mittwochs mit den Botenweibern.

Weimar am 27. Juni 1797.

G.


332. An Goethe.

Jena den 27. Juni 1797.

Ich lege hier zwei Gedichte bei, die gestern für den Almanach eingeschickt worden sind. Sehen Sie sie doch an, und sagen mir in ein paar Worten, wie Ihnen die Arbeit vorkommt, und was Sie sich von dem Verfasser versprechen. Ueber Producte in dieser Manier habe ich kein reines Urtheil, und ich wünschte gerade in diesem Fall recht klar zu sehen, weil mein Rath und Wink auf den Verfasser Einfluß haben wird.

Leben Sie recht wohl. Es ist hier unfreundlich und regnet, auch hat der heutige Tag nicht viel geboren.

Sch.


333. An Schiller.

Denen beiden mir überschickten Gedichten, die hier zurückkommen, bin ich nicht ganz ungünstig und sie werden im Publico gewiß Freunde finden. Freilich ist die Afrikanische Wüste und der Nordpol weder durch sinnliches noch durch inneres Anschauen gemalt, vielmehr sind sie beide durch Negationen dargestellt, da sie denn nicht, wie die Absicht doch ist, mit dem heiteren deutsch-lieblichen Bilde genugsam contrastiren. So sieht auch das andere Gedicht mehr naturhistorisch als poetisch aus, und erinnert einen an die Gemälde wo sich die Thiere alle um Adam im Paradiese versammeln. Beide Gedichte drücken ein sanftes, in Genügsamkeit sich auflösendes Streben aus. Der Dichter hat einen heitern Blick über die Natur, mit der er doch nur durch Ueberlieferung bekannt zu sein scheint. Einige lebhafte Bilder überraschen, ob ich gleich den quellenden Wald, als negirendes Bild gegen die Wüste, nicht gern stehen sehe. In einzelnen Ausdrücken wie im Versmaß wäre noch hie und da einiges zu thun.

Ehe man mehreres von dem Verfasser gesehen hätte, daß man wüßte ob er noch andere Moyens und Talent in andern Versarten hat, wüßte ich nicht was ihm zu rathen wäre. Ich möchte sagen in beiden Gedichten sind gute Ingredienzien zu einem Dichter, die aber allein keinen Dichter machen. Vielleicht thäte er am besten, wenn er einmal ein ganz einfaches Idyllisches Factum wählte und es darstellte, so könnte man eher sehen wie es ihm mit der Menschenmalerei gelänge, worauf doch am Ende alles ankommt. Ich sollte denken der Aether würde nicht übel im Almanach und der Wanderer gelegentlich ganz gut in den Horen stehen.

Der Ring, den ich hier wieder zurückschicke, hält sich bei wiederholtem Lesen sehr gut, er wird vielmehr besser, wie es jedes Gedicht von Werth thun muß, indem es uns in die Stimmung nöthigt die wir beim ersten Hören und Lesen nicht gleich mitbringen.

Leben Sie wohl bei diesem regnerischen, nicht allein den Gartenbewohnern sondern auch der Heuernte feindseligen Wetter.

Weimar den 28. Juni 1797.

G.

Für die Schwämme danke schönstens.


334. An Goethe.

Jena den 30. Juni 1797.

Es freut mich, daß Sie meinem Freunde und Schutzbefohlenen nicht ganz ungünstig sind. Das Tadelnswürdige an seiner Arbeit ist mir sehr lebhaft aufgefallen, aber ich wußte nicht recht, ob das Gute auch Stich halten würde, das ich darin zu bemerken glaubte. Aufrichtig, ich fand in diesen Gedichten viel von meiner eigenen sonstigen Gestalt, und es ist nicht das erstemal, daß mich der Verfasser an mich mahnte. Er hat eine heftige Subjectivität, und verbindet damit einen gewissen philosophischen Geist und Tiefsinn. Sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen so gar schwer beizukommen ist. Indessen finde ich in diesen neuern Stücken doch den Anfang einer gewissen Verbesserung, wenn ich sie gegen seine vormaligen Arbeiten halte; denn kurz, es ist Hölderlin, den Sie vor etlichen Jahren bei mir gesehen haben. Ich würde ihn nicht aufgeben, wenn ich nur eine Möglichkeit wüßte, ihn aus seiner eignen Gesellschaft zu bringen, und einem wohlthätigen und fortdauernden Einfluß von außen zu öffnen. Er lebt jetzt als Hofmeister in einem Kaufmannshause zu Frankfurt, und ist also in Sachen des Geschmacks und der Poesie bloß auf sich selber eingeschränkt und wird in dieser Lage immer mehr in sich selbst hineingetrieben.

Für die Horen hat mir unsere Dichterin Mereau jetzt ein sehr angenehmes Geschenk gemacht, und das mich wirklich überraschte. Es ist der Anfang eines Romans in Briefen, die mit weit mehr Klarheit, Leichtigkeit und Simplicität geschrieben sind, als ich je von ihr erwartet hätte. Sie fängt darin an, sich von Fehlern frei zu machen, die ich an ihr für ganz unheilbar hielt, und wenn sie auf diesem guten Wege weiter fortgeht, so erleben wir noch was an ihr. Ich muß mich doch wirklich drüber wundern, wie unsere Weiber jetzt, auf bloß dilettantischem Wege, eine gewisse Schreibgeschicklichkeit sich zu verschaffen wissen, die der Kunst nahe kommt.

Kennen Sie etwa einen gewissen Ahlwardt, Rector in Anklam, durch Übersetzungen des Kallimachos? Er hat sich zu den Horen angeboten und beruft sich auf Voß, der ihn an mich gewiesen. Er übersetzt aus alten und neuen Sprachen, und auch im Merkur 1795 soll mehreres aus Euripides, Ovid und auch aus Camoens von ihm stehen. Wenn Sie Böttiger sehen, so seien Sie doch so gütig, ihn nach diesem Subject zu fragen, und uns jene Merkur-Stücke durch ihn zu verschaffen. Er bietet mir Hero und Leander und einige Uebersetzungen aus dem Englischen an, und es wäre mir lieb wenn ich ihn brauchen könnte.

Ich wünschte daß die zwei leidlich heitern Tage, die wir wieder genossen haben, bei Ihnen fruchtbarer gewesen sein möchten als bei mir. Meine Krämpfe regten sich seit einigen Tagen wieder stärker, und ließen mich nicht schlafen. Ich wollte an den Faust denken, aber der Teufel in Natura wollte den poetischen nicht aufkommen lassen.

Leben Sie recht wohl.

Sch.

Ich habe einige Reminiscenzen aus einer Reise durch Nordamerika von Thomas Carver, und mir ist, als wenn sich diese Völkernatur in einem Lied artig darstellen ließe. Dazu müßte ich aber jenen Carver noch einmal ansehen. Ich hatte ihn von Knebeln, der aber wie ich höre fort ist. Vielleicht hat ihn Voigt, der mit Reisebeschreibungen reichlich versehen ist, und mir ihn wohl auf einen Botentag leiht.


335. An Schiller.

Ich will Ihnen nur auch gestehen daß mir etwas von Ihrer Art und Weise aus den Gedichten entgegensprach, eine ähnliche Richtung ist wohl nicht zu verkennen; allein sie haben weder die Fülle, noch die Stärke, noch die Tiefe Ihrer Arbeiten. Indessen recommandirt diese Gedichte, wie ich schon gesagt habe, eine gewisse Lieblichkeit, Innigkeit und Mäßigkeit und der Verfasser verdient wohl, besonders da Sie frühere Verhältnisse zu ihm haben, daß Sie das mögliche thun um ihn zu lenken und zu leiten.

Unsere Frauen sollen gelobt werden, wenn sie so fortfahren, durch Betrachtung und Uebung sich auszubilden. Am Ende haben die neuern Künstler sämmtlich keinen andern Weg. Keine Theorie giebt's, wenigstens keine allgemein verständliche, keine entschiedne Muster sind da, welche ganze Genres repräsentirten, und so muß denn jeder durch Theilnahme und Anähnlichung und viele Uebung sein armes Subject ausbilden.

Hofrath Hirt ist hier; er ist mir auf manche Weise eine fremde Erscheinung. Die Monumente der alten und neuen Kunst des herrlichen Landes, die er noch unverrückt verließ, sind ihm sehr lebhaft gegenwärtig und er weiß, als ein Mann von Verstande, eine vollständige Empirie recht gut zu ordnen und zu schätzen, wie er z. B. in der Baukunst, die eigentlich sein Fach ist, recht gut urtheilt. Die bekannte Idee der gleichsam symbolischen Uebertragung der vollendeten Holzbau-Construction auf den Bau mit Steinen, weiß er sehr gut durchzuführen und die Zweckmäßigkeit der Theile sowohl zum Gebrauch als zur Schönheit herzuleiten. In den übrigen Künsten hat er auch eine ausgebreitete Erfahrung; aber freilich bei eigentlich ästhetischen Urtheilen steht er noch auf dem Puncte wo wir ihn ehemals verließen, und in Absicht auf antiquarische Kenntnisse kann er neben Böttiger nicht bestehen, weil er weder die Breite noch die Gewandtheit hat. Im Ganzen ist mir seine Gegenwart sehr angenehm, weil sein Streben zugleich lebhaft und behaglich und ernsthaft ist ohne lästig zu sein. Er hat zu seinen architektonischen Demonstrationen sehr viel Blätter zeichnen lassen, wo das Gute und Fehlerhafte recht verständig neben einander gestellt ist.

Nach dem neuen Mitarbeiter so wie nach Carver will ich mich erkundigen.

Hier liegt ein Blatt wegen der andern Bücher bei das ich zu unterzeichnen und die paar andern mir zurückzuschicken bitte.

Meinen Faust habe ich, in Absicht auf Schema und Uebersicht, in der Geschwindigkeit recht vorgeschoben, doch hat die deutliche Baukunst die Luftphantome bald wieder verscheucht. Es käme jetzt nur auf einen ruhigen Monat an, so sollte das Werk zu männiglicher Verwunderung und Entsetzen, wie eine große Schwammfamilie aus der Erde wachsen. Sollte aus meiner Reise nichts werden, so habe ich auf diese Possen mein einziges Vertrauen gesetzt. Ich lasse jetzt das Gedruckte wieder abschreiben und zwar in seine Theile getrennt, da denn das neue desto besser mit dem alten zusammen wachsen kann.

Von Meyer habe ich die Zeit nichts wieder gehört. Von meinem Gedichte sind sieben Bogen angekommen, welche fünf Gesänge und die Hälfte des sechsten enthalten. Leben Sie recht wohl und gedenken Sie mein.

Weimar den 1. Juli 1797.

G.


336. An Goethe.

Jena den 4. Juli 1797.

Hirt hat mich in diesen drei Tagen recht interessant beschäftigt und mir manches zurückgelassen, worüber ich noch lange zu denken haben werde. Seine Urtheile, wenn sie auch etwas befangen sind, ruhen auf einer vielfältigen und fortgesetzten Anschauung, und sprechen in wenig Worten fruchtbare Resultate einer lebendigen Beobachtung und eines gründlichen Studiums aus. Mir däucht, daß er in der Hauptsache mit Ihnen und Meyern ziemlich einig ist, wenigstens kann man lange mit ihm über das tiefste und innerste sprechen, ohne auf eine Dissonanz zu stoßen oder sich unverständlich zu sein. Ich hätte gewünscht, der dritte Mann zu sein, wenn Sie sich mit ihm über diese Gegenstände unterhalten, weil ich ein Gespräch über bildende Kunst aus eignem Mittel nicht lange unterhalten, wohl aber mit Nutzen zuhören kann.

Gegen Michel Ange ist er sehr eingenommen, und mir däucht, daß er ihn viel zu tief herabsetzt, wenn er ihm bloß einen Zeitwerth zugesteht. Indessen habe ich auch bei dem harten Urtheil über Michel Ange sein Raisonnement sehr verständig gefunden, und zweifle bloß an der richtigen Angabe des Factums worauf er es gründet.

Uebrigens weiß ich noch nicht recht, was ich von Hirten eigentlich denken soll und ob er bei einer längern Bekanntschaft die Probe halten würde. Vielleicht ist ihm manches nicht eigen, wodurch er jetzt in der That imponirt, wenigstens scheint mir die Wärme und Lebhaftigkeit, mit der er manches darzustellen wußte, nicht so eigentlich in seiner Natur zu liegen.

Lassen Sie sich doch von ihm etwas vom Maler Müller erzählen, wenn es noch nicht geschehen ist. Es ist kurzweilig genug, wie der Aufsatz in den Horen gegen Fernow entstanden ist.

Ich wünsche morgen von Ihnen zu hören daß der Faust vorgerückt ist. Mir hat Hirts Anwesenheit in diesen Tagen eine kleine Zerstreuung gemacht, nur der Einfall mit dem Nordamerikanischen Lied ist ausgeführt worden; ich lege das Liedchen bei, das der Veränderung wegen mit passiren mag.

Hier folgt der Bücherzettel, nebst einem Brief von Humboldt. Die Bücher werden Sie durch meinen Schwager erhalten, dem ich heut ein Paket sende.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


337. An Schiller.

Faust ist die Zeit zurückgelegt worden; die nordischen Phantome sind durch die südlichen Reminiscenzen auf einige Zeit zurückgedrängt worden; doch habe ich das Ganze als Schema und Uebersicht sehr umständlich durchgeführt.

Es ist mir sehr lieb daß Sie unsern alten römischen Freund haben persönlich kennen lernen, Sie werden ihn und seine Arbeiten künftig besser verstehen. Man sieht auch bei ihm was bei einem verständigen Menschen eine reiche, beinahe vollständige, Empirie für Gutes hervorbringt. Darin urtheilen Sie über ihn ganz recht: daß seine logischen Operationen sehr gut von statten gehen, wenn die Prämissen richtig sind; er kommt aber oft in den Fall daß er, wo nicht falsche, doch beschränkte und einseitige Prämissen als allgemeine voraussetzt, da es denn mit dem Schließen nur eine Zeit lang gut geht. So entspringt seine Abneigung gegen Michel Angelo auch aus einer fixen unhaltbaren Idee; so hat er in dem Aufsatz über Laokoon, den ich hier beilege, gar vielfach recht und doch fällt er im Ganzen zu kurz, da er nicht einsieht daß Lessings, Winkelmanns und seine, ja noch mehrere Enunciationen zusammen, erst die Kunst begrenzen. Indessen ist es recht gut, wie er aufs charakteristische und pathetische auch in den bildenden Künsten dringt.

Ich habe bei dieser Gelegenheit mich eines Aufsatzes erinnert, den ich vor mehrern Jahren schrieb, und habe, da ich ihn nicht finden konnte, das Material, dessen ich noch wohl eingedenk bin, nach meiner (und ich darf wohl sagen, unserer) jetzigen Ueberzeugung zusammengestellt. Vielleicht kann ich es Sonnabend überschicken. Der Hirtische Aufsatz ist eine gute Vorbereitung dazu, da er die neueste Veranlassung gegeben hat. Vielleicht giebt dieses, besonders wenn Meyer mit seinen Schätzen zurückkommt, Anlaß zu mehrerem, so wie ich doch auch gelegentlich wieder an die Peterskirche gehen werde, weil auch diese Abhandlung als Base von so manchem andern betrachtet werden kann.

Das Todtenlied, das hier zurückkommt, hat seinen ächten realistisch-humoristischen Charakter, der wilden Naturen, in solchen Fällen, so wohl ansteht. Es ist ein großes Verdienst der Poesie uns auch in diese Stimmungen zu versetzen, so wie es verdienstlich ist den Kreis der poetischen Gegenstände immer zu erweitern. Leben Sie recht wohl, grüßen Ihre liebe Frau und gebrauchen und genießen der Zeit so viel und so gut als möglich ist.

Von Meyer habe ich noch nichts vernommen.

Weimar am 5. Juli 1797.

G.

Wollten Sie mir doch eine Abschrift der Wallensteiner schicken? Ich habe sie unsrer Herzogin versprochen, die sich schon mehrmal mit Interesse nach Ihrer Arbeit erkundigt hat.


338. An Goethe.

Jena den 7. Juli 1797.

Es wäre, däucht mir, jetzt gerade der rechte Moment, daß die griechischen Kunstwerke von Seiten des Charakteristischen beleuchtet und durchgegangen würden: denn allgemein herrscht noch immer der Winkelmannische und Lessingische Begriff und unsre allerneuesten Aesthetiker, sowohl über Poesie als Plastik, lassen sich's recht sauer werden, das Schöne der Griechen von allem Charakteristischen zu befreien und dieses zum Merkzeichen des Modernen zu machen. Mir däucht, daß die neuern Analytiker durch ihre Bemühungen, den Begriff des Schönen abzusondern und in einer gewissen Reinheit aufzustellen, ihn beinah ausgehöhlt und in einen leeren Schall verwandelt haben, daß man in der Entgegensetzung des Schönen gegen das Richtige und Treffende viel zu weit gegangen ist, und eine Absonderung, die bloß der Philosoph macht und die bloß von einer Seite statthaft ist, viel zu grob genommen hat.

Viele, finde ich, fehlen wieder auf eine andere Art, daß sie den Begriff der Schönheit viel zu sehr auf den Inhalt der Kunstwerke als auf die Behandlung beziehen, und so müssen sie freilich verlegen sein, wenn sie den vaticanischen Apoll und ähnliche, durch ihren Inhalt schon schöne Gestalten, mit dem Laokoon, mit einem Faun oder andern peinlichen oder ignobeln Repräsentationen unter Einer Idee von Schönheit begreifen sollen.

Es ist, wie Sie wissen, mit der Poesie derselbe Fall. Wie hat man sich von jeher gequält und quält sich noch, die derbe oft niedrige und häßliche Natur im Homer und in den Tragikern bei den Begriffen durchzudringen, die man sich von dem Griechischen Schönen gebildet hat. Möchte es doch einmal einer wagen, den Begriff und selbst das Wort Schönheit, an welches einmal alle jene falsche Begriffe unzertrennlich geknüpft sind, aus dem Umlauf zu bringen und, wie billig, die Wahrheit in ihrem vollständigsten Sinn an seine Stelle zu setzen.

Den Hirtischen Aufsatz hätte ich recht gern in den Horen. Sie und Meyer würden dann, wenn der Weg einmal offen ist, den Faden um so bequemer aufnehmen können und das Publicum auch schon mehr vorbereitet finden. Auch ich fände meine Rechnung dabei, wenn diese Materie über das Charakteristische und Leidenschaftliche in den griechischen Kunstwerken recht zur Sprache käme, denn ich sehe voraus daß mich die Untersuchungen über das Griechische Trauerspiel, die ich mir vorbehalten habe, auf den nämlichen Punkt führen werden. Ihren Aufsatz erwarte ich mit Begierde.

Ich habe jetzt überlegt, daß der musikalische Theil des Almanachs vor allen Dingen fertig sein muß, weil der Componist sonst nicht fertig wird. Deßwegen bin ich jetzt an mein Glockengießerlied gegangen und studire seit gestern in Krünitz Encyklopädie, wo ich sehr viel profitire. Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen, es wird mir aber mehrere Wochen kosten, weil ich so vielerlei verschiedene Stimmungen dazu brauche und eine große Masse zu verarbeiten ist. Ich hätte auch nicht übel Lust, wenn Sie mir dazu rathen, noch vier oder fünf kleine Nadowessische Lieder nachfolgen zu lassen, um diese Natur, in die ich einmal hineingegangen, durch mehrere Zustände durchzuführen.

Aus meiner projectirten Reise nach Weimar hat diese Woche nichts werden wollen, doch denke ich sie in der nächsten auszuführen. Der Prolog ist jetzt noch auf Reisen; sobald er zurückkommt, schicke ich oder bringe ich ihn selbst.

Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt Sie schönstens.

Sch.


339. An Schiller.

Ich versäume nicht Ihnen sogleich das Briefchen zu schicken das ich so eben von Meyer erhalte. Es war mein sehnlichster und ich darf wohl sagen, in diesem Augenblick einziger Wunsch: ihn wieder in der Schweiz zu wissen, wo er sich das vorigemal so schön erholt hat, und sich diesmal gewiß auch wieder erholen wird.

Ich bereite mich nun zu meiner Abreise vor, damit ich nach der Ankunft des Herzogs gleich hinweggehen kann. Es wäre in hundert Betrachtungen sehr schön und gut, wenn Sie auf einige Tage herüber kommen könnten; ich würde Sie zwar auf alle Fälle noch einmal besuchen, aber das könnte doch nur auf einige Stunden sein und wir hätten denn doch noch manches zu bereden. Morgen früh ein mehreres. Leben Sie recht wohl.

Weimar den 7. Juli 1797.

G.


340. An Schiller.

Der Hirtische Aufsatz hat das große Verdienst daß er das charakteristische so lebhaft einschärft, und bei seiner Erscheinung die Sache mit Gewalt zur Sprache bringen muß. Ich will ihn für die Horen zu erhalten suchen. Hier kommt auch der meinige, den ich Ihnen im Ganzen und im Einzelnen als einen flüchtigen Aufsatz zur Nachsicht empfehle. Ich verlange zu hören wie Sie mit der Methode und dem Sinne zufrieden sind, so wie ich Meyers Urtheile über die eigentliche Darstellung des Kunstwerks begierig zu hören bin. Man könnte über die vornehmsten Statuen des Alterthums und andere Kunstwerke diese Abhandlung ausbreiten und ich bin mit Ihnen überzeugt, daß man dem der im Felde der Tragödie arbeitet, sehr erwünscht entgegen kommen würde.

Da unser Freund Meyer wieder auf nordischen Grund und Boden gerettet ist, so seh' ich manches Gute voraus. Heute sage ich nicht mehr. Leben Sie recht wohl und bringen Sie die Glocke glücklich zu Stande, so wie ich auch noch zu einigen nadowessischen Liedern rathe. Wenn es möglich ist so kommen Sie doch nächste Woche; es wäre doch auch hübsch wenn Sie mit Hirt in ein näheres Verhältniß kämen und von ihm selbst seine architektonischen Deductionen hören könnten.

Weimar den 8. Juli 1797.

G.


341. An Goethe.

Jena den 10. Juli 1797.

Sie haben mit wenig Worten und in einer kunstlosen Einkleidung herrliche Dinge in diesem Aufsatz ausgesprochen, und eine wirklich bewundernswürdige Klarheit über die schwere Materie verbreitet. In der That, der Aufsatz ist ein Muster, wie man Kunstwerke ansehen und beurtheilen soll; er ist aber auch ein Muster, wie man Grundsätze anwenden soll. In Rücksicht auf beides habe ich sehr viel draus gelernt.

Mündlich mehr darüber, denn ich denke ihn morgen selbst mitzubringen, wo ich, wenn nichts dazwischen kommt, nach drei Uhr bei Ihnen sein werde. Im Fall ich nicht wohl bei Ihnen logiren könnte, bitte ich mir's am Thor durch ein Zettelchen wissen zu lassen, daß ich bei meinem Schwager anfahre. Meine Frau kommt mit und wir denken bis Donnerstag zu bleiben.

Meyers glückliche Ankunft in seiner Vaterstadt und die schnelle Verbesserung seiner Gesundheit haben mich herzlich gefreut. Auch die Gewißheit, für diesen Herbst und Winter wenigstens nicht so gar weit von Ihnen getrennt zu sein, ist mir sehr tröstlich.

Leben Sie recht wohl.

Sch.

Humboldt ersucht Sie, ihm seinen Aeschylus, den er nothwendig brauche, bald möglichst nach Dresden zu schicken.


342. An Schiller.

Sie hätten mir zum Abschiede nichts Erfreulicheres und Heilsameres geben können als Ihren Aufenthalt der letzten acht Tage. Ich glaube mich nicht zu täuschen wenn ich dießmal unser Zusammensein wieder für sehr fruchtbar halte; es hat sich so manches für die Gegenwart entwickelt und für die Zukunft vorbereitet, daß ich mit mehr Zufriedenheit abreise, indem ich unterweges recht thätig zu sein hoffe und bei meiner Rückkunft Ihrer Theilnehmung wieder entgegen sehe. Wenn wir so fortfahren verschiedene Arbeiten gleichzeitig durchzuführen, und, indem wir die größeren sachte fortleiten, uns durch kleinere immer aufmuntern und unterhalten, so kann noch manches zu Stande kommen.

Hier ist der Polykrates zurück; ich wünsche daß die Kraniche mir bald nachziehen mögen. Auf den Sonnabend erfahren Sie das Nähere von meiner Abreise. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau. An Schlegel habe ich heute geschrieben.

Weimar den 19. Juli 1797.

G.


343. An Goethe.

Jena den 21. Juli 1797.

Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne daß etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das Viele was Sie mir geben, Sie und Ihren innern Reichthum in Bewegung setzen kann. Ein solches auf wechselseitige Perfectibilität gebautes Verhältniß muß immer frisch und lebendig bleiben, und gerade desto mehr an Mannigfaltigkeit gewinnen, je harmonischer es wird und je mehr die Entgegensetzung sich verliert, welche bei so vielen andern allein die Einförmigkeit verhindert. Ich darf hoffen, daß wir uns nach und nach in allem verstehen werden, wovon sich Rechenschaft geben läßt, und in demjenigen, was seiner Natur nach nicht begriffen werden kann, werden wir uns durch die Empfindung nahe bleiben.

Die schönste und die fruchtbarste Art, wie ich unsre wechselseitige Mittheilungen benutze und mir zu eigen mache, ist immer diese, daß ich sie unmittelbar auf die gegenwärtige Beschäftigung anwende, und gleich productiv gebrauche. Und wie Sie in der Einleitung zum Laokoon sagen, daß in einem einzelnen Kunstwerk die Kunst ganz liege, so glaube ich muß man alles Allgemeine in der Kunst wieder in den besondersten Fall verwandeln, wenn die Realität der Idee sich bewähren soll. Und so, hoffe ich, soll mein Wallenstein und was ich künftig von Bedeutung hervorbringen mag, das ganze System desjenigen, was bei unserm Commercio in meine Natur hat übergehen können, in Concreto zeigen und enthalten.

Das Verlangen nach dieser Arbeit regt sich wieder stark in mir, denn es ist hier schon ein bestimmteres Object, was den Kräften ihre Thätigkeit anweist, und jeder Schritt ist hier schon bedeutender, statt daß ich bei neuen rohen Stoffen so oft leer greifen muß. Ich werde jetzt die Lieder zum Almanach zuerst fertig zu bringen suchen, weil mich die Componisten so sehr mahnen, dann mein Glück an den Kranichen versuchen und mit dem September zu der Tragödie zurückkehren.

Die Nachrichten von Ihnen werden in die einfache Existenz, auf die ich jetzt eingeschränkt bin, einen fruchtbaren Wechsel bringen, und außer dem neuen was sie mir zuführen, auch das alte, was unter uns verhandelt worden, wieder in mir lebendig machen.

Und so leben Sie wohl und denken meiner bei unserm Freunde so wie Sie uns immer gegenwärtig sein werden. Meine Frau sagt Ihnen ein herzliches Lebewohl.

Sch.

Den Chor aus Prometheus bitte nicht zu vergessen.


344. Schiller an H. Meyer, nach Stäfa.

Jena den 21. Juli 1797.

Herzlich heißen wir Sie willkommen auf deutschem Boden, lieber Freund. Die Sorge um Sie hat uns oft beunruhigt, und innig freuen wir uns Ihrer zurückkehrenden Gesundheit.

Schämen muß ich mich, daß die erste Zeile von mir Sie schon wieder auf dem Rückweg zu uns antrifft, aber wie viel ich Ihnen auch mündlich zu sagen gehabt hätte, so fand sich doch nichts, was ich über die Berge hätte schicken mögen. Was wir trieben und wie es um uns stand, das erfuhren Sie von unserm Freund, und der wird Ihnen auch gesagt haben, wie sehr Sie uns gegenwärtig waren. Von ihm habe ich mit herzlichem Antheil vernommen, was Sie betrifft, wie trefflich Sie Ihre Zeit benutzten und welche Schätze Sie für uns alle sammelten.

Auch wir waren indeß nicht unthätig wie Sie wissen, und am wenigsten unser Freund, der sich in diesen letzten Jahren wirklich selbst übertroffen hat. Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, daß es der Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab' es entstehen sehen und mich fast eben so sehr über die Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einärntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt. Doch Sie haben ihn jetzt selbst, und können sich von allem dem mit eignen Augen überzeugen. Sie werden mir aber auch darin beipflichten, daß er auf dem Gipfel, wo er jetzt steht, mehr darauf denken muß, die schöne Form die er sich gegeben hat, zur Darstellung zu bringen als nach neuem Stoffe auszugehen, kurz daß er jetzt ganz der poetischen Praktik leben muß. Wenn es einmal einer unter Tausenden, die darnach streben, dahin gebracht hat, ein schönes vollendetes Ganzes aus sich zu machen, der kann meines Erachtens nichts besseres thun, als dafür jede mögliche Art des Ausdrucks zu suchen; denn wie weit er auch noch kommt, er kann doch nichts Höheres geben. – Ich gestehe daher, daß mir alles, was er bei einem längern Aufenthalt in Italien für gewisse Zwecke auch gewinnen möchte, für seinen höchsten und nächsten Zweck doch immer verloren scheinen würde. Also bewegen Sie ihn auch schon deßwegen, lieber Freund, recht bald zurückzukommen, und das, was er zu Hause hat, nicht zu weit zu suchen.

Ich habe die angenehme Hoffnung, vielleicht Sie beide diesen Winter wieder in der Nähe zu wissen, und so das alte schöne Leben der Mittheilung wieder fortzusetzen. Meine Gesundheit hat sich zwar nicht viel gebessert, doch auch nicht verschlimmert, und das ist ein gutes Zeichen; der Muth und die Lust sind geblieben, und der Uebergang von der Speculation zur Production hat mich erfrischt und verjüngt.

Auch Ihre Schülerin habe ich unterdessen kennen lernen und an ihrem Talent und angenehmen Wesen mich sehr erfreut. Sie denkt Ihrer mit lebhaftem Antheil und ich hoffe das poetische Talent, das sich seither so schön bei ihr entwickelt hat, soll dem andern nicht geschadet haben.

Leben Sie wohl, mein werther Freund; ich sehe den nähern Nachrichten, die mir G. von Ihnen geben wird, mit Verlangen entgegen. Meine Frau grüßt Sie herzlich; die Familie hat sich unterdessen vermehrt, wie Sie vielleicht wissen, und Karln werden Sie recht gut und brav geartet finden.

Sch.


345. An Schiller.

Heute sage ich nichts als meinen besten Dank für Ihren beiderseitigen Abschiedsgruß und für die überschickten Horen.

Je länger ich hier bleibe je mehr Kleinigkeiten giebt's zu thun, und die Zeit vergeht ohne daß ich etwas empfange noch hervorbringe, und ich muß mich nun in Acht nehmen daß ich nicht ungeduldig werde.

Rath Schlegel verläßt mich eben; es schien blos, daß sein Wunsch Ihnen wieder näher zu werden, ihn diesmal hieher geführt habe.

Wollten Sie mir Ihren Taucher, Polykrates und Handschuh wohl nochmals abschreiben lassen, meine Abschriften habe ich an Meyer geschickt; vielleicht fänden sich aber doch unterwegs einige gute Christen- oder Heidenseelen, denen man so etwas vorlesen möchte. Ehe ich weggehe schreibe ich auf alle Fälle noch.

Weimar am 22. Juli 1797.

G.


346. An Goethe.

Jena den 23. Juli 1797.

Das Warten, bei schon geschnürtem Bündel, ist ein höchst fataler Zustand, von dem ich Sie recht bald erlöst wünsche. Es ist gut, daß Sie gerade jetzt kleinere Beschäftigungen und Spiele vor sich sehen, wozu eine unterbrochene und halbe Stimmung allenfalls hinreicht.

Humboldt schreibt mir, daß seine Frau wieder das Fieber habe. Das wird eine schöne Reise werden, denn sie müssen jetzt schon in Dresden über die Zeit liegen bleiben. Ich sage Ihnen das zum Troste, wie jener Jude zum Shylock: Andre Leute haben auch Unglück.

Die drei Stücke, die mir Humboldt eben zurückschickt, lege ich hier bei. An dem nadowessischen Liede findet Humboldt ein Grauen, und was er dagegen vorbringt ist bloß von der Rohheit des Stoffs hergenommen. Es ist doch sonderbar, daß man in poetischen Dingen und bei einer großen Annäherung auf Einer Seite doch wieder in so directen Oppositionen sein kann.

Den Zauberlehrling habe ich an meinen Stuttgarter Componisten geschickt; mir däucht daß er sich vortrefflich zu einer heitern Melodie qualificirt, da er in unaufhörlicher leidenschaftlicher Bewegung ist.

Leben Sie recht wohl. Ich schreibe übermorgen noch, wenn sich indeß nichts ereignet.

Sch.

An Böttigern schicke ich heut die Klopstockiana und hab' auch ein paar Zeilen dazu geschrieben.


347. An Goethe.

Die Nachricht von Ihrem Uebelbefinden hat mich heute früh nach einer schlaflos zugebrachten Nacht sehr unangenehm empfangen; ich hoffe dieser Brief findet Sie schon in der Besserung, wozu vielleicht die Ankunft des Herzogs das ihrige beiträgt. Doch werden Sie unter diesen Umständen erst eine festere Gesundheit abwarten müssen.

Ich sende Ihnen hier zu Ihrer Recreation ein ganz neues Opus zu, welches die deutsche Industrie auf eine ganz neue Weise documentirt. Solch eine Erscheinung der Nullität, Absurdität und Frechheit ist doch wirklich nur in den neuesten Zeiten unsrer Literatur möglich, wo der schnelle Wechsel von Ideen und Formen das Mein und Dein nicht mehr zu bestimmen Zeit läßt. Ich habe unter anderm ganze halbe Seiten lange Stellen aus meinen ästhetischen Abhandlungen, ohne Citation, hier abgedruckt gefunden, und mich nicht wenig verwundert, meine ipsissima verba mir aus dem königlichen Munde entgegen schallen zu hören.

Dafür hat sich aber auch in diesen Tagen ein neuer Poet gemeldet, der endlich einmal etwas besseres verspricht. Er sitzt zu Friedberg bei Frankfurt, heißt Schmidt und wie ich aus seinem ganzen Habitus schließe, muß er recht in der wilden Einsamkeit und vielleicht in einer niedern Condition leben. Aus einigen Proben die ich beilege werden Sie sehen, daß an dem Menschen etwas ist, und daß aus einer rauhen harten Sprache ächte tiefe Empfindung und ein gewisser Schwung des Geistes herausblickt. Wenn dieser Halbwilde seine Sprache und den Vers recht in der Gewalt haben und sich eine äußre Anmuth zu einem innern Gehalte verschafft haben wird, so hoffe ich für die künftigen Almanache eine Acquisition an ihm zu machen. Wenn er Ihnen auch gefällt, so wäre die Frage, ob Sie ihm nicht, so wie unserm Hauptmann v. Steigentesch, in Frankfurt etwas ans Herz legen könnten.

Ich breche für heute ab, denn die Feder fällt mir vor Müdigkeit fast aus den Händen. Lassen Sie uns ja morgen erfahren, wie es um Sie steht; meine Frau läßt Ihnen auch von Herzen gute Besserung wünschen. Leben Sie recht wohl.

Jena, 25. Juli 1797.

Sch.


348. An Schiller.

Herzlichen Dank für den Antheil an meinem Befinden! Die Folgen einer Erkältung hatten mich vier und zwanzig Stunden sehr übel geplagt, nun bin ich aber völlig wieder hergestellt und hoffe noch zu Ende dieser Woche zu reisen. Hier kommt der abermals ermordete, oder vielmehr in Fäulniß übergegangene Gustav der Dritte; es ist so recht eigentlich eine Bettelsuppe, wie sie das deutsche Publikum liebt. Diese Art Schriften sind an die Stelle der Gespräche im Reiche der Todten getreten, die auf unsere Wahrheit liebende Nation immer großen Eindruck gemacht haben.

Der neue Dichter ist recht brav und es wäre mir angenehm ihn kennen zu lernen. Sie verbessern vielleicht noch hie und da eine Kleinigkeit, nur um der Klarheit willen; seine Einsamkeit und Enge sieht man ihm freilich an.

Der Herzog ist gestern angekommen und sieht recht wohl aus; auch ist die berühmte Mariane Meyer hier; es ist schade daß sie nicht einige Tage früher kam, ich hätte doch gewünscht daß Sie dieses sonderbare Wesen hätten kennen lernen. Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Da ich Gedichte von der Hand Ihres Schreibers sah, glaubte ich schon die Kraniche fliegen zu sehen. Ich bin so außer Stimmung daß ich heute sogar meine Prosa bald schließen muß.

Weimar am 26. Juli 1797.

G.


349. An Goethe.

Jena den 28. Juli 1797.

In der Ungewißheit, ob dieser Brief Sie noch in Weimar findet, schreibe ich Ihnen nur ein paar Worte zum Abschied; es freut uns herzlich Sie sobald wieder hergestellt und endlich im Besitz Ihres Wunsches zu sehen. Möge nun auch die Reise einen guten Fortgang haben und Ihnen, wenn es an interressanten Bekanntschaften ja fehlte, durch die Musen verkürzt werden. Vielleicht fliegt aus Ihrem Reiseschiff eine schöne poetische Taube aus, wo nicht gar die Kraniche ihren Flug von Süden nach Norden nehmen. Diese ruhen noch immer bei mir ganz und ich vermeide selbst, daran zu denken, um einiges andre voraus zu schicken. Auch machen mir jetzt die Gedichte der Freunde und Freundinnen, die Ausgabe der Agnes von Lilien und die Ausrüstung der Horen viele und gar nicht erfreuliche Diversionen.

Schlegeln habe ich einige Anmerkungen über seinen Prometheus gemacht, worüber er sich in der Antwort die ich beilege weitläuftig, aber nicht sehr befriedigend erklärt hat. Indessen ich habe das meinige gethan, und zu helfen war überhaupt nicht.

Ich habe meinem neuen Friedberger Poeten Schmidt und auch Hölderlin von Ihrer nahen Ankunft in Frankfurt Nachricht gegeben; es kommt nun darauf an, ob die Leutchen sich Muth fassen werden, vor Sie zu kommen. Es wäre mir sehr lieb und auch Ihnen würden diese poetischen Gestalten in dem prosaischen Frankfurt vielleicht nicht unwillkommen sein. Sie werden dort auch wohl den kaiserlichen Hauptmann v. Steigentesch finden und sehen was an ihm ist. Noch einmal empfangen Sie unsern Segen zur Reise, und leben Sie recht wohl!

Sch.


350. An Schiller.

Morgen werde ich denn endlich im Ernste hier abgehen, gerade abermals vier Wochen später als ich mir vorgenommen hatte. Bei der Schwierigkeit loszukommen sollte von rechtswegen meine Reise recht bedeutend werden; ich fürchte aber daß sie den übrigen menschlichen Dingen gleichen wird. Von Frankfurt hören Sie bald wenigstens einige Worte.

Unsere Balladen-Versuche habe ich in diesen Tagen vorgelesen und guten Effect davon gesehen. Bei Ihrem Handschuh hat man den Zweifel erregt ob man sagen könne ein Thier lecke sich die Zunge; ich habe wirklich darauf nicht bestimmt zu antworten gewußt.

Schlegels Aufsatz kommt hier zurück; es ist freilich mit den Gedichten wie mit den Handlungen: man ist übel dran, wenn man sie erst rechtfertigen soll.

Leben Sie recht wohl. Sie sagten neulich daß zur Poesie nur die Poesie Stimmung gäbe, und da das sehr wahr ist, so sieht man wie viel Zeit der Dichter verliert wenn er sich mit der Welt abgiebt, besonders wenn es ihm an Stoff nicht fehlt. Es graut mir schon vor der empirischen Weltbreite, doch wollen wir das Beste hoffen, und wenn wir wieder zusammen kommen uns in manchen Erzählungen und Betrachtungen wieder erholen. Leben Sie recht wohl mit Ihrer lieben Frau und den Ihrigen.

Weimar am 29. Juli 1797.

G.

Da Boie noch nichts hat von sich hören lassen, so schicke ich den Postschein wenigstens als Zeugniß meines guten Willens und allenfalls zu irgend einem Gebrauch wenn das Paket sollte verloren sein. Sie haben ja wohl Gelegenheit sich bei Boie darnach zu erkundigen.


351. An Goethe.

Jena den 7. August 1797.

Wir sind recht verlangend zu erfahren, theurer Freund, wie Ihre Reise abgelaufen ist. Die drückende Hitze am Tage und die fast unaufhörlichen Gewitter des Nachts haben uns viel Sorge um Sie gemacht, denn es war hier kaum zum Aushalten, und ich habe mich seitdem noch nicht erholt, so heftig hat es meine Nerven angegriffen.

Ich kann Ihnen darum auch heute wenig sagen, denn ich fange kaum an, mich von starken Fieberbewegungen frei zu fühlen, die ich schon seit acht Tagen spüre, und fürchtete wirklich schon in eine ernstliche Krankheit zu fallen.

Zelter schickte mir dieser Tage die Melodien zu Ihrer Bajadere und zum Lied an Mignon. Das letztere gefällt mir besonders. Die Melodie zur Ballade paßt freilich nicht gleich gut zu allen Strophen, aber bei einigen wie bei der drittletzten macht sich der Chor: »wir tragen die Jugend &c.« sehr gut. Ich lege die Melodien bei, wenn Sie in Frankfurt ein paar schöne Stimmen fänden, die sie Ihnen vortragen können.

Herder hat mir nun auch unsre Balladen, die ich ihm communicirt hatte, zurückgeschickt; was für Eindruck sie aber gemacht haben, kann ich aus seinem Briefe nicht erfahren. Dagegen erfahre ich daraus, daß ich in dem Taucher bloß einen gewissen Nicolaus Pesce, der dieselbe Geschichte entweder erzählt oder besungen haben muß, veredelnd umgearbeitet habe. Kennen Sie etwa diesen Nicolaus Pesce, mit dem ich da so unvermuthet in Concurrenz gesetzt werde? Uebrigens haben wir von Herdern wirklich nichts für den dießjährigen Almanach zu hoffen; er klagt über seine Armuth, versichert aber, daß er anderer Reichthum nur desto mehr schätze.

Ich habe in diesen Tagen Diderot sur la peinture wieder vorgehabt, um mich in der belebenden Gesellschaft dieses Geistes wieder zu stärken. Mir kommt vor, daß es Diderot ergeht wie vielen andern, die das Wahre mit ihrer Empfindung treffen, aber es durch das Raisonnement manchmal wieder verlieren. Er sieht mir bei ästhetischen Werken noch viel zu sehr auf fremde und moralische Zwecke, er sucht diese nicht genug in dem Gegenstande und in seiner Darstellung. Immer muß ihm das schöne Kunstwerk zu etwas anderm dienen. Und da das wahrhaftig Schöne und Vollkommene in der Kunst den Menschen nothwendig verbessert, so sucht er diesen Effect der Kunst in ihrem Inhalt und in einem bestimmten Resultat für den Verstand, oder für die moralische Empfindung. Ich glaube es ist einer von den Vortheilen unserer neueren Philosophie, daß wir eine reine Formel haben, um die subjective Wirkung des Ästhetischen auszusprechen, ohne seinen Charakter zu zerstören.

Leben Sie recht wohl. Erfreuen Sie uns bald mit guten Nachrichten. Von meiner Frau die herzlichsten Grüße, die Kleinen sind wohl auf; neues kann ich aus meinem kleinen Kreise nichts melden.

Sch.


352. An Schiller.

Ohne den mindesten Anstoß bin ich vergnügt und gesund nach Frankfurt gelangt und überlege in einer ruhigen und heitern Wohnung nun erst, was es heiße in meinen Jahren in die Welt zu gehen. In früherer Zeit imponiren und verwirren uns die Gegenstände mehr, weil wir sie nicht beurtheilen noch zusammenfassen können, aber wir werden doch mit ihnen leichter fertig, weil wir nur aufnehmen was in unserm Wege liegt und rechts und links wenig achten. Später kennen wir die Dinge mehr, es interessirt uns deren eine größere Anzahl und wir würden uns gar übel befinden, wenn uns nicht Gemüthsruhe und Methode in diesen Fällen zu Hülfe käme. Ich will nun alles was mir in diesen acht Tagen vorgekommen ist so gut als möglich zurechtstellen, an Frankfurt selbst als einer vielumfassenden Stadt meine Schemata probiren und mich dann zu meiner weitern Reise vorbereiten.

Sehr merkwürdig ist mir aufgefallen wie es eigentlich mit dem Publico einer großen Stadt beschaffen ist. Es lebt in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren, und das was wir Stimmung nennen, läßt sich weder hervorbringen noch mittheilen. Alle Vergnügungen, selbst das Theater, sollen nur zerstreuen und die große Neigung des lesenden Publicums zu Journalen und Romanen entsteht eben daher, weil jene immer und diese meist Zerstreuung in die Zerstreuung bringen.

Ich glaube sogar eine Art von Scheu gegen poetische Productionen, oder wenigstens in so fern sie poetisch sind, bemerkt zu haben, die mir aus eben diesen Ursachen ganz natürlich vorkommt. Die Poesie verlangt, ja sie gebietet Sammlung, sie isolirt den Menschen wider seinen Willen, sie drängt sich wiederholt auf und ist in der breiten Welt (um nicht zu sagen in der großen) so unbequem wie eine treue Liebhaberin.

Ich gewöhne mich nun alles wie mir die Gegenstände vorkommen und was ich über sie denke aufzuschreiben, ohne die genauste Beobachtung und das reifste Urtheil von mir zu fordern, oder auch an einen künftigen Gebrauch zu denken. Wenn man den Weg einmal ganz zurückgelegt hat, so kann man mit besserer Uebersicht das vorräthige immer wieder als Stoff gebrauchen.

Das Theater habe ich einigemal besucht und zu dessen Beurtheilung mir auch einen methodischen Entwurf gemacht. Indem ich ihn nun nach und nach auszufüllen suche so ist mir erst recht aufgefallen: daß man eigentlich nur von fremden Ländern, wo man mit niemand in Verhältniß steht, eine leidliche Reisebeschreibung schreiben könnte. Ueber den Ort, wo man gewöhnlich sich aufhält, wird niemand wagen etwas zu schreiben, es müßte denn von bloßer Aufzählung der vorhandenen Gegenstände die Rede sein; eben so geht es mit allem was uns noch einigermaßen nah ist, man fühlt erst daß es eine Impietät wäre, wenn man auch sein gerechtestes, mäßigstes Urtheil über die Dinge öffentlich aussprechen wollte. Diese Betrachtungen führen auf artige Resultate und zeigen mir den Weg, der zu gehen ist. So vergleiche ich z. B. jetzt das hiesige Theater mit dem Weimarischen; habe ich noch das Stuttgarter gesehen, so läßt sich vielleicht über die drei etwas allgemeines sagen das bedeutend ist und das sich auch allenfalls öffentlich produciren läßt.

Leben Sie recht wohl und halten Sie sich ja gesund und vergnügt in Ihrem Gartenhause. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau. Wenn ich nur einmal wieder ins Jenaische Schloß gelangen kann, soll mich sobald niemand heraustreiben. Es ist nur gut, daß ich zum Musenalmanach das meinige schon beigetragen habe, denn auf der Reise kann ich so wenig hoffen einem Gedichte als dem Phönix zu begegnen. Nochmals das schönste Lebewohl.

Frankfurt am Main den 9. August 1797.

G.

Schmidt von Friedberg ist bei mir gewesen; es war keine unangenehme aber auch keine wohlthätige Erscheinung, Im ganzen ein hübscher junger Mensch, ein kleiner Kopf auf mäßigen Schultern, treffliche Schenkel und Füße, knapp, reinlich, anständig nach hiesiger Art gekleidet. Die Gesichtszüge klein und eng beisammen, kleine, schwarze Augen, schwarze Haare nahe am Kopf sanscülottisch abgeschnitten. Aber um die Stirne schmiedete ihm ein ehernes Band der Vater der Götter. Mit dem Munde machte er wunderliche Verzerrungen als wenn er dem, was er sagte noch einen gewissen eigenthümlichen Ausdruck geben wollte. Er ist der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der ihn zum Prediger bestimmte, dadurch ist der Mensch ganz aus seinem Wege gerückt worden. Ich glaube daß er, zu einem beschränkten Handel und Lebenswandel angeführt, recht gut gewesen wäre, da er Energie und eine gewisse Innigkeit zu haben scheint; unter einer Nationalgarde sähe ich ihn am allerliebsten. Die Folge mag es zeigen, aber ich fürchte es ist nicht viel Freude an ihm zu erleben. Voraus also gesetzt daß es kein gedrückter Mensch ist, sondern einer der, nach seiner Aussage, seiner Gestalt, seiner Kleidung in mäßigem Wohlbehagen lebt, so ist es ein böses Zeichen daß sich keine Spur von Streben, Liberalität, Liebe, Zutrauen an ihm offenbart. Er stellte sich mir in dem philisterhaften Egoismus eines Exstudenten dar. Dabei aber auch keine Spur von Rohheit, nichts schiefes in seinem Betragen außer der Mundverzerrung.

Ich nahm zur Base meiner Behandlung daß Sie ihn an mich schicken, und setzte also in diesem Sinne vieles voraus, aber es hat doch auch gar nichts allgemeines noch besonderes angeklungen, auch nichts über Reinhold und Fichte, die er doch beide gehört hat. Ueberhaupt konnte ich nichts bedeutendes von ihm herauslocken als daß er, seit einem Jahre, gewisse besondere Ansichten der Welt gewonnen habe, wodurch er sich zur Poesie geneigt fühle (das denn ganz gut sein möchte), daß er aber auch überzeugt sei, nur in einer gewissen Verbindung der Philosophie und Poesie bestehe die wahre Bildung. Wogegen ich nichts zu sagen habe, wenn ich es nur nicht von einem jungen Menschen hören müßte. Uebrigens ging er weg wie er gekommen war, ehe doch auch nur irgend ein Gespräch sich eingeleitet hatte, und war mir für diesen kurzen Moment bedeutend genug. Der zurückgezognen Art nach erinnerte er mich an Hölderlin, ob er gleich größer und besser gebildet ist; sobald ich diesen gesehen habe, werde ich mit einer nähern Parallele aufwarten. Da auf meinem Lebensgange besonders in früheren Zeiten mir mehrere Naturen dieser Art begegnet sind und ich erfahren habe wo es eigentlich mit ihnen hinausgeht, so will ich noch ein allgemeines Wort hinzufügen: Menschen, die aus dem Kaufmannsstamm zur Literatur und besonders zur Poesie übergehen, haben und behalten eine eigne Tournüre. Es läßt sich an einigen ein gewisser Ernst und Innigkeit bemerken, ein gewisses Haften und Festhalten, bei andern ein lebhaftes thätiges Bemühen; allein sie scheinen mir keiner Erhebung fähig, so wenig als des Begriffs, worauf es eigentlich ankommt. Vielleicht thue ich dieser Kaste unrecht und es sind viele aus andern Stämmen, denen es nicht besser geht. Denken Sie einmal Ihre Erfahrung durch, es finden sich wahrscheinlich auch Ausnahmen.

353. An Schiller.

[Frankfurt, 13. August.]

Es pflegt meist so zu gehen daß man für diejenigen die in Bewegung sind besorgt ist, und es sollte öfters umgekehrt sein. So sagt mir Ihr lieber Brief, vom 7ten, daß Sie sich nicht zum besten befunden haben, indeß ich von der Witterung wenig oder gar nicht litt. Die Gewitter kühlten, Nachts und Morgens, die Atmosphäre aus, wir fuhren sehr früh, die heißesten Stunden des Tages fütterten wir, und wenn dennauch einige Stunden des Wegs bei warmer Tagszeit zurückgelegt wurden, so ist doch meist auf den Höhen und in den Thälern wo Bäche fließen, ein Luftzug. Genug ich bin mit geringer Unbequemlichkeit nach Frankfurt gekommen.Hier möchte ich nun mich an ein großes Stadtleben wieder gewöhnen, mich gewöhnen nicht nur zu reisen sondern auch auf der Reise zu leben; wenn mir nur dieses vom Schicksal nicht ganz versagt ist, denn ich fühle recht gut daß meine Natur nur nach Sammlung und Stimmung strebt, und an allem keinen Genuß hat was diese hindert. Hätte ich nicht an meinem Hermann und Dorothea ein Beispiel daß die modernen Gegenstände, in einem gewissen Sinne genommen, sich zum epischen bequemten, so möchte ich von aller dieser empirischen Breite nichts mehr wissen. Auf dem Theater, so wie ich auch wieder hier sehe, wäre in dem gegenwärtigen Augenblick manches zu thun, aber man müßte es leicht nehmen und in der Gozzischen Manier tractiren; doch es istin keinem Sinne der Mühe werth.

Meyer hat unsere Balladen sehr gut aufgenommen. Ich habe nun, weil ich von Weimar aus nach Stäfa wöchentlich Briefe an ihn schrieb, schon mehrere Briefe von ihm hier erhalten; es ist eine reine und treufortschreitende Natur, unschätzbar in jedem Sinne. Ich will nur eilen ihn wieder persönlich habhaft zu werden und ihn dann nicht wieder von mir lassen.

Den Alten auf dem Topfberge bedaure ich herzlich, daß er verdammt ist durch, Gott weiß, welche wunderliche Gemüthsart, sich und andern auf eigenem Felde den Weg zu verkümmern. Da gefallen mir die Frankfurter Bankiers, Handelsleute, Agioteurs, Krämer, Juden, Spieler und Unternehmer tausendmal besser, die doch wenigstens selbst was vor sich bringen, wenn sie auch andern ein Bein stellen. – Der Nikolaus Pesce ist, so viel ich mich erinnere, der Held des Mährchens das Sie behandelt haben, ein Taucher von Handwerk. Wenn aber unser alter Freund bei einer solchen Bearbeitung sich noch der Chronik erinnern kann die das Geschichtchen erzählt, wie soll man's dem übrigen Publico verdenken wenn es sich bei Romanen erkundigt: ob das denn alles fein wahr sei? Eben so ein merkwürdiges Beispiel giebt Diderot, der bei einem so hohen Genie, bei so tiefem Gefühl und klarem Verstand, doch nicht auf den Punkt kommen konnte zu sehen: daß die Cultur durch Kunst ihren eignen Gang gehen muß, daß sie keiner andern subordinirt sein kann, daß sie sich an alle übrige so bequem anschließt u. s. w., was doch so leicht zu begreifen wäre, weil das Factum so klar am Tage liegt.

Aeußerst fratzenhaft erscheint der arme Kosegarten, der, nachdem er nun zeitlebens gesungen und gezwitschert hat, wie ihm von der lieben Natur die Kehle gebildet und der Schnabel gewachsen war, seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderungen selbst auszurecken bemüht ist, und seine Bettlerjacke auf der Erde nachschleift, um zu versichern, daß er doch auch ohngefähr so einen Königsmantel in der Garderobe führe. Ich werde das Exhibitum sogleich an Meyern absenden. Indessen sind diese Menschen, die sich noch denken können daß das Nichts unserer Kunst alles sei, noch besser dran als wir andern, die wir doch mehr oder weniger überzeugt sind, daß das Alles unserer Kunst nichts ist.

Für einen Reisenden geziemt sich ein skeptischer Realism. Was noch idealistisch an mir ist, wird in einem Schatullchen, wohlverschlossen, mitgeführt wie jenes undenische Pygmäenweibchen; Sie werden also von dieser Seite Geduld mit mir haben. Wahrscheinlich werde ich Ihnen jenes Reisegeschichtchen auf der Reise zusammenschreiben können. Uebrigens will ich erst ein paar Monate abwarten. Denn obgleich in der Empirie fast alles einzeln unangenehm auf mich wirkt, so thut doch das Ganze sehr wohl, wenn man endlich zum Bewußtsein seiner eignen Besonnenheit kommt. Leben Sie recht wohl und interpretiren Sie sich, da Sie mich kennen, meine oft wunderlichen Worte: denn es wäre mir unmöglich mich selbst zu rectificiren und diese rhapsodischen Grillen in einen Zusammenhang und Bestand zu bringen.

Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau und halten Sie unsere Agnes und Amalie ja recht werth. Man weiß nicht eher was man an solchen Naturen hat als bis man sich in der breiten Welt nach ähnlichen umsieht. Sie, mein Freund, haben die Gabe auch lehrend wirksam zu sein, die mir ganz versagt ist; diese beiden Schülerinnen werden gewiß noch manches Gute hervorbringen, wenn sie nur ihre Apperçus mittheilen und in Absicht auf Disposition des Ganzen etwas mehr von den Grundforderungen der Kunst einsehen lernen.

Frankfurt den 14. Aug. 1797.

Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabei vorzüglich die Freude gehabt einen Theil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Decorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bei der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der ächten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im hohem Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Dasein ausdrücken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum aufs Anmuthige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmuthige Erscheinung sein. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig sein, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Decorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableaus machen; der Decorateur muß noch einen Schritt weiter thun als der Landschaftsmaler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfniß zu modificiren weiß. Die Decorationen zu Palmira geben Beispiele woraus man die Lehre der Theatermalerei abstrahiren könnte; es sind sechs Decorationen die auf einander in zwei Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt; sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man steht ihnen an daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt; selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bei und alle seine Constructionen gründen sich auf den Begriff dessen was im wirklichen gefordert wird. Seine Zierrathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und vertheilt. Diesen steht man die große Stuccaturschule an, die sich in Mailand befindet und die manaus den Kupferstichwerken des Albertollikannkennen lernen. Alle Proportionen gehen ins schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls; aber die übermäßige Länge und gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Nothwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert. Das Colorit ist untadelhaft und die Art zu malen äußerst frei und bestimmt. Alle die perspectivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Directionspuncten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werken. Die Theile sind völlig deutlich und klar ohne hart zu sein, und das ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht; nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.

Und so leben Sie wohl und lassen mich bald von sich hören. Ich bin oft auf Ihrer stillen Höhe bei Ihnen und wenn's recht regnet erinnere ich mich des Rauschens der Leutra und ihrer Gossen.

Nicht eher will ich wieder kommen als bis ich wenigstens eine Sattheit der Empirie empfinde, da wir an eine Totalität nicht denken dürfen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles.

G.


354. An Schiller.

Frankfurt 16. Aug. 1797.

Ich bin auf einen Gedanken gekommen, den ich Ihnen, weil er für meine übrige Reise bedeutend werden kann, sogleich mittheilen will, um Ihre Meinung zu vernehmen in wie fern er richtig sein möchte? und in wie fern ich wohl thue mich seiner Leitung zu überlassen? Ich habe indem ich meinen ruhigen und kalten Weg des Beobachtens, ja des bloßen Sehens ging, sehr bald bemerkt daß die Rechenschaft, die ich mir von gewissen Gegenständen gab, eine Art von Sentimentalität hatte, die mir dergestalt auffiel daß ich dem Grunde nachzudenken sogleich gereizt wurde, und ich habe folgendes gefunden: Das was ich im allgemeinen sehe und erfahre schließt sich recht gut an alles übrige an, was mir sonst bekannt ist, und ist mir nicht unangenehm, weil es in der ganzen Masse meiner Kenntnisse mitzählt und das Capital vermehren hilft. Dagegen wüßte ich noch nichts was mir auf der ganzen Reise nur irgend eine Art von Empfindung gegeben hätte, sondern ich bin heute so ruhig und unbewegt als ich es jemals, bei den gewöhnlichsten Umständen und Vorfällen gewesen. Woher denn also diese scheinbare Sentimentalität, die mir um so auffallender ist, weil ich seit langer Zeit in meinem Wesen gar keine Spur, außer der poetischen Stimmung, empfunden habe. Möchte nicht also hier selbst poetische Stimmung sein, bei einem Gegenstande der nicht ganz poetisch ist, wodurch ein gewisser Mittelzustand hervorgebracht wird?

Ich habe daher die Gegenstände, die einen solchen Effect hervorbringen, genau betrachtet und zu meiner Verwunderung bemerkt daß sie eigentlich symbolisch sind, das heißt, wie ich kaum zu sagen brauche: es sind eminente Fälle, die, in einer charakteristischen Mannigfaltigkeit, als Repräsentanten von vielen andern dastehen, eine gewisse Totalität in sich schließen, eine gewisse Reihe fordern, ähnliches und fremdes in meinem Geiste aufregen und so von außen wie von innen an eine gewisse Einheit und Allheit Anspruch machen. Sie sind also, was ein glückliches Sujet dem Dichter ist, glückliche Gegenstände für den Menschen, und weil man, indem man sie mit sich selbst recapitulirt, ihnen keine poetische Form geben kann, so muß man ihnen doch eine ideale geben, eine menschliche im höheren Sinn, das man auch mit einem so sehr mißbrauchten Ausdruck sentimental nannte. Und Sie werden also wohl nicht lachen, sondern nur lächeln, wenn ich Ihnen hiermit zu meiner eignen Verwunderung darlege, daß ich, wenn ich irgend von meinen Reisen etwas für Freunde oder fürs Publicum aufzeichnen soll, wahrscheinlich noch in Gefahr komme empfindsame Reisen zu schreiben. Doch ich würde, wie Sie mich wohl kennen, kein Wort auch das verrufenste nicht fürchten, wenn die Behandlung mich rechtfertigen, ja wenn ich so glücklich sein könnte einem verrufenen Namen seine Würde wieder zu geben.

Ich berufe mich auf das, was Sie selbst so schön entwickelt haben, auf das was zwischen uns Sprachgebrauch ist und fahre fort: Wann ist eine sentimentale Erscheinung (die wir nicht verachten dürfen wenn sie auch noch so lästig ist) unerträglich? Ich antworte: wenn das Ideale unmittelbar mit dem Gemeinen verbunden wird. Es kann dies nur durch eine leere, gehalt- und formlose Manier geschehen, denn beide werden dadurch vernichtet, die Idee und der Gegenstand; jene, die nur bedeutend sein und sich nur mit dem bedeutenden beschäftigen kann, und dieser, der recht wacker brav und gut sein kann ohne bedeutend zu sein.

Bis jetzt habe ich nur zwei solcher Gegenstände gefunden: den Platz auf dem ich wohne, der in Absicht seiner Lage und alles dessen was darauf vorgeht in einem jeden Momente symbolisch ist, und den Raum meines großväterlichen Hauses, Hofes und Gartens, der aus dem beschränktesten, patriarchalischen Zustande, in welchem ein alter Schultheiß von Frankfurt lebte, durch klug unternehmende Menschen zum nützlichsten Waaren- und Marktplatz verändert wurde. Die Anstalt ging durch sonderbare Zufälle bei dem Bombardement zu Grunde und ist jetzt, größtentheils als Schutthaufen, noch immer das doppelte dessen werth was vor eilf Jahren von den gegenwärtigen Besitzern an die Meinigen bezahlt worden. In so fern sich nun denken läßt daß das Ganze wieder von einem neuen Unternehmer gekauft und hergestellt werde, so sehen Sie leicht daß es, in mehr als Einem Sinne, als Symbol vieler tausend andern Fälle, in dieser gewerbreichen Stadt, besonders vor meinem Anschauen, dastehen muß.

Bei diesem Falle kommt denn freilich eine liebevolle Erinnrung dazu; wenn man aber, durch diese Fälle aufmerksam gemacht, künftig bei weitern Fortschritten der Reise nicht sowohl aufs merkwürdige sondern aufs bedeutende seine Aufmerksamkeit richtete, so müßte man für sich und andere doch zuletzt eine schöne Ernte gewinnen. Ich will es erst noch hier versuchen was ich symbolisches bemerken kann, besonders aber an fremden Orten, die ich zum erstenmal sehe, mich üben. Gelänge das, so müßte man, ohne die Erfahrung in die Breite verfolgen zu wollen, doch, wenn man auf jedem Platz, in jedem Moment, so weit es einem vergönnt wäre, in die Tiefe ginge, noch immer genug Beute aus bekannten Ländern und Gegenden davon tragen.

Sagen Sie mir Ihre Gedanken hierüber in guter Stunde, damit ich erweitert, befestigt, bestärkt und erfreut werde. Die Sache ist wichtig, denn sie hebt den Widerspruch, der zwischen meiner Natur und der unmittelbaren Erfahrung lag, den in früherer Zeit ich niemals lösen konnte, sogleich auf, und glücklich. Denn ich gestehe Ihnen, daß ich lieber gerad nach Hause zurückgekehrt wäre, um, aus meinem Innersten, Phantome jeder Art hervorzuarbeiten, als daß ich mich noch einmal, wie sonst (da mir das Aufzählen eines Einzelnen nun einmal nicht gegeben ist) mit der millionfachen Hydra der Empirie herumgeschlagen hätte: denn wer bei ihr nicht Lust oder Vortheil zu suchen hat der mag sich bei Zeiten zurückziehen.

So viel für heute, ob ich gleich noch ein verwandtes wichtiges Capitel abzuhandeln hätte, das ich nächstens vornehmen und mir auch Ihre Gedanken darüber erbitten werde. Leben Sie recht wohl, grüßen die Ihrigen und lassen von meinen Briefen, außer den Nächsten, niemand nichts wissen noch erfahren.

Frankfurt den 17. August 1797.

G.


355. An Goethe.

Jena den 17. August 1797.

Die Vorstellung, welche Sie mir von Frankfurt und großen Städten überhaupt geben, ist nicht tröstlich, weder für den Poeten, noch für den Philosophen, aber ihre Wahrheit leuchtet ein, und da es einmal ein festgesetzter Punkt ist, daß man nur für sich selber philosophirt und dichtet, so ist auch nichts dagegen zu sagen; im Gegentheil, es bestärkt einen auf dem eingeschlagenen guten Weg, und schneidet jede Versuchung ab, die Poesie zu etwas äußerm zu gebrauchen.

So viel ist auch mir bei meinen wenigen Erfahrungen klar geworden, daß man den Leuten, im ganzen genommen, durch die Poesie nicht wohl, hingegen recht übel machen kann, und mir däucht, wo das eine nicht zu erreichen ist, da muß man das andere einschlagen. Man muß sie incommodiren, ihnen ihre Behaglichkeit verderben, sie in Unruhe und in Erstaunen setzen. Eins von beiden, entweder als ein Genius oder als ein Gespenst muß die Poesie ihnen gegenüber stehen. Dadurch allein lernen sie an die Existenz einer Poesie glauben und bekommen Respect vor den Poeten. Ich habe auch diesen Respect nirgends größer gefunden als bei dieser Menschenklasse, obgleich auch nirgends so unfruchtbar und ohne Neigung. Etwas ist in allen, was für den Poeten spricht, und Sie mögen ein noch so ungläubiger Realist sein, so müssen Sie mir doch zugeben, daß dieses X der Same des Idealismus ist, und daß dieser allein noch verhindert, daß das wirkliche Leben mit seiner gemeinen Empirie nicht alle Empfänglichkeit für das poetische zerstört. Freilich ist es wahr, daß die eigentliche schöne und ästhetische Stimmung dadurch noch lange nicht befördert wird, daß sie vielmehr gar oft dadurch verhindert wird, so wie die Freiheit durch die moralischen Tendenzen; aber es ist schon viel gewonnen, daß ein Ausgang aus der Empirie geöffnet ist.

Mit meinem Protégé, Herrn Schmidt, habe ich freilich wenig Ehre aufgehoben, wie ich sehe, aber ich will so lange das Beste hoffen, bis ich nicht mehr kann. Ich bin einmal in dem verzweifelten Fall, daß mir daran liegen muß, ob andere Leute etwas taugen, und ob etwas aus ihnen werden kann; daher werde ich diese Hölderlin und Schmidt so spät als möglich aufgeben.

Herr Schmidt, so wie er jetzt ist, ist freilich nur die entgegengesetzte Carricatur von der Frankfurter empirischen Welt, und so wie diese nicht Zeit hat, in sich hineinzugehen, so kann dieser und seines gleichen gar nicht aus sich selbst herausgehen. Hier möchte ich sagen, sehen wir Empfindung genug, aber keinen Gegenstand dazu; dort den nackten leeren Gegenstand ohne Empfindung. Und so sind überall nur die Materialien zum Menschen da, wie der Poet ihn braucht, aber sie sind zerstreut und haben sich nicht ergriffen.

Ich möchte wissen, ob diese Schmidt, diese Richter, diese Hölderlins absolut und unter allen Umständen so subjectivisch, so überspannt, so einseitig geblieben wären, ob es an etwas primitivem liegt, oder ob nur der Mangel einer ästhetischen Nahrung und Einwirkung von außen und die Opposition der empirischen Welt in der sie leben gegen ihren idealischen Hang diese unglückliche Wirkung hervorgebracht hat. Ich bin sehr geneigt das letztere zu glauben, und wenn gleich ein mächtiges und glückliches Naturell über alles siegt, so däucht mir doch, daß manches brave Talent auf diese Art verloren geht.

Es ist gewiß eine sehr wahre Bemerkung, die Sie machen, daß ein gewisser Ernst und eine Innigkeit, aber keine Freiheit, Ruhe und Klarheit bei denen, die aus einem gewissen Stande zu der Poesie &c. kommen, angetroffen wird. Ernst und Innigkeit sind die natürliche und notwendige Folge, wenn eine Neigung und Beschäftigung Widerspruch findet, wenn man isolirt und auf sich selbst reducirt ist, und der Kaufmannssohn, der Gedichte macht, muß schon einer größern Innigkeit fähig sein, wenn er überall nur auf so was verfallen soll. Aber eben so natürlich ist es, daß er sich mehr zu der moralischen als ästhetischen Seite wendet, weil er mit leidenschaftlicher Heftigkeit fühlt, weil er in sich hineingetrieben wird, und weil ihn die Gegenstände eher zurückstoßen als festhalten, er also nie zu einer klaren und ruhigen Ansicht davon gelangen kann.

Umgekehrt finde ich, als Beleg Ihrer Bemerkung, daß diejenigen welche aus einem liberalen Stande zur Poesie kommen eine gewiße Freiheit, Klarheit und Leichtigkeit, aber wenig Ernst und Innigkeit zeigen. Bei den ersten sticht das Charakteristische fast bis zur Carricatur, und immer mit einer gewissen Einseitigkeit und Härte hervor; bei diesen ist Charakterlosigkeit, Flachheit und fast Seichtigkeit zu fürchten. Der Form nach, möchte ich sagen, sind diese dem ästhetischen näher, jene hingegen dem Gehalte nach. – Bei einer Vergleichung unsrer Jenaischen und Weimarischen Dichterinnen bin ich auf diese Bemerkung gerathen. Unsre Freundin Mereau hat in der That eine gewisse Innigkeit und zuweilen selbst eine Würde des Empfindens, und eine gewisse Tiefe kann ich ihr auch nicht absprechen. Sie hat sich bloß in einer einsamen Existenz und in einem Widerspruch mit der Welt gebildet. Hingegen Amelie Imhof ist zur Poesie nicht durch das Herz, sondern nur durch die Phantasie gekommen, und wird auch ihr Lebenlang nur damit spielen. Weil aber, nach meinem Begriff, das Aesthetische Ernst und Spiel zugleich ist, wobei der Ernst im Gehalte und das Spiel in der Form gegründet ist, so muß die Mereau das poetische immer der Form nach, die Imhof es immer dem Gehalt nach verfehlen. Mit meiner Schwägerin hat es eine eigne Bewandtniß, diese hat das Gute von beiden, aber eine zu große Willkür der Phantasie entfernt sie von dem eigentlichen Punkt, worauf es ankommt.

Ich sagte Ihnen doch einmal, daß ich Kosegarten in einem Briefe meine Meinung gesagt habe, und auf seine Antwort begierig sei. Er hat mir nun geschrieben, und sehr dankbar für meine Aufrichtigkeit. Aber wie wenig ihm zu helfen ist, sehe ich daraus, daß er mir in demselben Briefe das Anzeigeblatt seiner Gedichte beilegt, welches nur ein Verrückter geschrieben haben kann. Gewissen Menschen ist nicht zu helfen, und dem da besonders hat Gott ein ehern Band um die Stirne geschmiedet.

Endlich erhalten Sie den Ibykus. Möchten Sie damit zufrieden sein. Ich gestehe, daß ich bei näherer Besichtigung des Stoffes mehr Schwierigkeiten fand als ich anfangs erwartete, indessen däucht mir, daß ich sie größtentheils überwunden habe. Die zwei Hauptpunkte worauf es ankam schienen mir erstlich eine Continuität in die Erzählung zu bringen, welche die rohe Fabel nicht hatte, und zweitens die Stimmung für den Effect zu erzeugen. Die letzte Hand habe ich noch nicht daran legen können, da ich erst gestern Abend fertig geworden, und es liegt mir zuviel daran, daß Sie die Ballade bald lesen, um von Ihren Erinnerungen noch Gebrauch machen zu können. Das angenehmste wäre mir, zu hören, daß ich in wesentlichen Punkten Ihnen begegnete.

Hier auch zwei Aushängebogen vom Almanach. Ich werde meinen nächsten Brief an Sie unmittelbar an Cotta einschließen, da ich Sie gegen den Schluß des Monats nicht mehr in Frankfurt vermuthe.

Mit meiner Gesundheit geht es seit acht Tagen wieder besser und im Hause steht es auch gut. Meine Frau grüßt Sie herzlich. Von Humboldts habe ich seit ihrer Abreise aus Dresden noch nichts vernommen. Aus dem Gotterischen Nachlaß erhalte ich seine Oper: die Geisterinsel, die nach Shakespeares Sturm bearbeitet ist; ich habe den ersten Act gelesen, der eben sehr kraftlos ist und eine dünne Speise. Indessen danke ich dem Himmel, daß ich einige Bogen in den Horen auszufüllen habe und zwar durch einen so classischen Schriftsteller, der das Genie- und Xenien-Wesen vor seinem Tode so bitter beklagt hat – Und so zwingen wir denn Gottern, der lebend nichts mit den Horen zu thun haben wollte, noch todt darin zu spuken.

Leben Sie recht wohl, lassen Sie bald wieder von sich hören.

Schiller.

356. An Schiller.

Frankfurt den 22. August 1797.

Ihr reiches und schönes Paketchen hat mich noch zur rechten Zeit erreicht. In einigen Tagen gedenke ich wegzugehen und kann Ihnen über diese Sendung noch von hier aus einige Worte sagen.

Der Almanach nimmt sich schon recht stattlich aus, besonders wenn man weiß was noch zurück ist. Die erzählenden Gedichte geben ihm einen eignen Charakter.

Die Kraniche des Ibykus finde ich sehr gut gerathen; der Uebergang zum Theater ist sehr schön, und das Chor der Eumeniden am rechten Platze. Da diese Wendung einmal erfunden ist, so kann nun die ganze Fabel nicht ohne dieselbe bestehen, und ich würde, wenn ich an meine Bearbeitung noch denken möchte, dieses Chor gleichfalls aufnehmen müssen.

Nun auch einige Bemerkungen: 1) der Kraniche sollten, als Zugvögel, ein ganzer Schwarm sein, die sowohl über den Ibykus als über das Theater wegfliegen; sie kommen als Naturphänomen und stellen sich so neben die Sonne und andere regelmäßige Erscheinungen. Auch wird das Wunderbare dadurch weggenommen, indem es nicht eben dieselben zu sein brauchen; es ist vielleicht nur eine Abtheilung des großen wandernden Heeres und das Zufällige macht eigentlich, wie mich dünkt, das Ahnungsvolle und Sonderbare in der Geschichte. 2) Dann würde ich nach dem 14. Verse, wo die Erinnyen sich zurückgezogen haben, noch einen Vers einrücken, um die Gemüthsstimmung des Volkes in welche der Inhalt des Chors sie versetzt darzustellen, und von den ernsten Betrachtungen der Guten zu der gleichgültigen Zerstreuung der Ruchlosen übergehen, und dann den Mörder zwar dumm, roh und laut, aber doch nur dem Kreise der Nachbarn vernehmlich, seine gaffende Bemerkung ausrufen lassen. Daraus entständen zwischen ihm und den nächsten Zuschauern Händel, dadurch würde das Volk aufmerksam u. s. w. Auf diesem Weg, so wie durch den Zug der Kraniche würde alles ganz ins Natürliche gespielt und nach meiner Empfindung die Wirkung erhöht, da jetzt der 15. Vers zu laut und bedeutend anfängt und man fast etwas anders erwartet. Wenn Sie hie und da an den Reim noch einige Sorgfalt wenden, so wird das übrige leicht gethan sein, und ich wünsche Ihnen auch zu dieser wohlgerathnen Arbeit Glück.

Ueber den eigentlichen Zustand eines aufmerksamen Reisenden habe ich eigne Erfahrungen gemacht und eingesehen worin sehr oft der Fehler der Reisebeschreibungen liegt. Man mag sich stellen wie man will so sieht man auf der Reise die Sache nur von Einer Seite und übereilt sich im Urtheil; dagegen sieht man aber auch die Sache von dieser Seite lebhaft und das Urtheil ist in gewissem Sinne richtig. Ich habe mir daher Acten gemacht, worin ich alle Arten von öffentlichen Papieren die mir eben jetzt begegnen, Zeitungen, Wochenblätter, Predigtauszüge, Verordnungen, Komödienzettel, Preiscourante einheften lasse und sodann auch sowohl das, was ich sehe und bemerke, als auch mein augenblickliches Urtheil einhefte; ich spreche sodann von diesen Dingen in Gesellschaft und bringe meine Meinung vor, da ich denn bald sehe in wie fern ich gut unterrichtet bin, und in wie fern mein Urtheil mit dem Urtheil wohl unterrichteter Menschen übereintrifft. Ich nehme sodann die neue Erfahrung und Belehrung auch wieder zu den Acten, und so giebt es Materialien, die mir künftig als Geschichte des äußern und innern interessant genug bleiben müssen. Wenn ich bei meinen Vorkenntnissen und meiner Geistesgeübtheit Lust behalte, dieses Handwerk eine Weile fortzusetzen, so kann ich eine große Masse zusammenbringen.

Ein paar poetische Stoffe bin ich schon gewahr worden, die ich in einem feinen Herzen aufbewahren werde, und dann kann man niemals im ersten Augenblicke wissen was sich aus der rohen Erfahrung in der Folgezeit noch als wahrer Gehalt aussondert.

Bei allem dem leugne ich nicht daß mich mehrmals eine Sehnsucht nach dem Saalgrunde wieder anwandelt, und würde ich heute dahin versetzt, so würde ich gleich, ohne irgend einen Rückblick, etwa meinen Faust oder sonst ein poetisches Werk anfangen können.

An Wallenstein denken Sie wohl gegenwärtig, da der Almanach besorgt sein will, wenig oder nicht? Lassen Sie mich doch davon, wenn Sie weiter vorwärts rücken, auch etwas vernehmen.

Das hiesige Theater ist in einem gewissen Sinne nicht übel, aber viel zu schwach besetzt; es hat freilich vor einem Jahre einen gar zu harten Stoß erlitten; ich wüßte wirklich nicht was für ein Stück von Werth und Würde man jetzt hier leidlich geben könnte.

Frankfurt den 23. August 1797.

Zu dem was ich gestern über die Ballade gesagt muß ich noch heute etwas zu mehrerer Deutlichkeit hinzufügen. Ich wünschte, da Ihnen die Mitte so sehr gelungen, daß Sie auch noch an die Exposition einige Verse wendeten, da das Gedicht ohnehin nicht lang ist. Meo voto würden die Kraniche schon von dem wandernden Ibykus erblickt; sich, als Reisenden, verglich' er mit den reisenden Vögeln, sich, als Gast, mit den Gästen, zöge daraus eine gute Vorbedeutung, und rief' alsdann unter den Händen der Mörder die schon bekannten Kraniche, seine Reisegefährten, als Zeugen an. Ja, wenn man es vortheilhaft fände, so könnte er diese Züge schon bei der Schiffahrt gesehen haben. Sie sehen was ich gestern schon sagte, daß es mir darum zu thun ist aus diesen Kranichen ein langes und breites Phänomen zu machen, welches sich wieder mit dem langen verstrickenden Faden der Eumeniden, nach meiner Vorstellung, gut verbinden würde. Was den Schluß betrifft habe ich gestern schon meine Meinung gesagt. Uebrigens hatte ich in meiner Anlage nichts weiter was Sie in Ihrem Gedicht brauchen können.

Gestern ist auch Hölderlin bei mir gewesen; er sieht etwas gedrückt und kränklich aus, aber er ist wirklich liebenswürdig und mit Bescheidenheit, ja mit Aengstlichkeit offen. Er ging auf verschiedene Materien auf eine Weise ein die Ihre Schule verrieth, manche Hauptideen hatte er sich recht gut zu eigen gemacht, so daß er manches auch wieder leicht aufnehmen konnte. Ich habe ihm besonders gerathen kleine Gedichte zu machen und sich zu jedem einen menschlich interessanten Gegenstand zu wählen. Er schien noch einige Neigung zu den mittlern Zeiten zu haben in der ich ihn nicht bestärken konnte. Hauptmann Steigentesch werde ich wohl nicht sehen; er geht hier ab und zu, meine Anfrage hat ihn einigemal verfehlt und ein Billet, das ich das letztemal für ihn zurückließ, findet er vielleicht erst nach meiner Abreise. Grüßen Sie Ihre liebe Frau und unsere dichterische Freundinnen. Ich habe immer noch gehofft Ihnen noch etwas zum Musenalmanach zu schicken; vielleicht ist die schwäbische Luft ergiebiger. Eigentlich gehe ich von hieraus erst in die Fremde und erwarte um desto sehnlicher einen Brief von Ihnen bei Cotta.

G.

Frankfurt den 24. August 1797.

Ich will Ihnen doch noch von einer Arbeit sagen die ich angefangen habe und die wohl für die Horen sein wird. Ich habe gegen zweihundert französische satyrische Kupfer vor mir; ich habe sie gleich schematisirt und finde sie gerichtet:

  1. Gegen Fremde.
    1. England.
    2. Den Papst
    3. Oesterreich
  2. Gegen Einheimische.
    1. Das alte Schreckensreich.
    2. Modefratzen.
      1. In ihrer Uebertriebenheit dargestellt.
      2. In Verhältnissen unter einander.
      3. In Verhältnissen zu veralteten Fratzen.
      4. In Finanz- oder andern politischen Verhältnissen.
    3. Gegen Künstlerfeinde.

Ich fange an sie nun einzeln zu beschreiben und es geht recht gut; denn da sie meist dem Gedanken etwas sagen, witzig, symbolisch, allegorisch sind, so stellen sie sich der Imagination oft eben so gut und noch besser dar als dem Auge, und wenn man eine so große Masse übersehen kann, so lassen sich über französischen Geist und Kunst, im allgemeinen, recht artige Bemerkungen machen und das Einzelne, wenn man auch nicht lichtenbergisiren kann noch will, läßt sich doch immer heiter und munter genug stellen, daß man es gerne lesen wird. In der Schweiz finde ich gewiß noch mehr und vielleicht auch die frühern. Es würde daraus ein ganz artiger Aufsatz entstehen, durch welchen das Octoberstück einen ziemlichen Beitrag erhalten könnte. Im Merkur und Modejournal und anderswo sind schon einige angeführt, die ich nun ins ganze mit hereinnehme. Ich hoffe daß sich von dieser oder ähnlicher Art noch manches auf der Reise finden wird und daß ich vom October an wieder mit tüchtigen Beiträgen werde dienen können. Denn eigentlich muß man sich's nur vornehmen, so geht es auch. Der gegenwärtige Almanach macht mir doppelt Freude, weil wir ihn doch eigentlich durch Willen und Vorsatz zu Stande gebracht. Wenn Sie Ihre dichterischen Freunde und Freundinnen nur immerfort aufmuntern und in Bewegung erhalten, so dürfen wir uns künftiges Frühjahr nur wieder vier Wochen zusammensetzen und der nächste ist auch wieder fertig.

Leben Sie recht wohl und schreiben mir oft und viel. Mein Koffer ist nach Stuttgart fort und wenn das Wetter, das diese letzte Zeit regnicht, kalt und trüb war, sich wie es scheint, wieder aufheitert, so lasse ich gleich anspannen. Durch die Bergstraße möchte ich freilich an einem recht heitern Tag.

G.


357. An Goethe.

Jena den 30. August 1797.

Ich glaubte mich auf dem Wege der Besserung als ich Ihnen das letztemal schrieb, aber seit acht Tagen leide ich an einem Katarrhalfieber und einem hartnäckigen Husten, der in meinem ganzen Hause grassirt. Das Fieber läßt mich heute zwar in Ruhe, aber der Husten plagt mich noch sehr und der Kopf ist mir ganz zerbrochen. Nur dieses, mein theurer Freund, wollte ich Ihnen zur Entschuldigung meines Stillschweigens melden.

Wir erwarten mit Sehnsucht Nachricht von Ihnen, und wünschten zu wissen, wo wir Sie jetzt zu suchen haben. Neue Aushängebogen erhalten Sie hiebei.

Ihren lieben Brief, den ich am 20. erhielt, muß ich versparen zu beantworten, bis mein Kopf wieder frei ist.

Auch auf der Reise muß ich Sie plagen, theurer Freund. Denken Sie doch zuweilen an die Horen, ob nicht die Reise selbst etwas dazu liefern kann. Das Bedürfniß ist groß, und jetzt um so mehr, da ich selbst zu jeder Einhülfe untauglich bin. Bei solchen Störungen werde ich Mühe haben, Stimmung und Zeit für meine Glocke zu finden, die noch lange nicht gegossen ist.

Leben Sie heiter und gesund und fahren Sie fort, mich auch aus der Ferne zu beleben. Wir und alles was zu uns gehört denken Ihrer mit dem herzlichsten Antheil. Meine Frau grüßt tausendmal. Leben Sie wohl.

Sch.

Vor einigen Augenblicken trifft Ihr letzter Brief ein zu unsrer unerwarteten großen Freude. Herzlich Dank für das, was Sie mir über den Ibykus sagen, und was ich von Ihren Winken befolgen kann, geschieht gewiß. Es ist mir bei dieser Gelegenheit wieder recht fühlbar, was eine lebendige Erkenntniß und Erfahrung auch beim Erfinden so viel thut. Mir sind die Kraniche nur aus wenigen Gleichnissen zu denen sie Gelegenheit gaben, bekannt und dieser Mangel einer lebendigen Anschauung machte mich hier den schönen Gebrauch übersehen, der sich von diesem Naturphänomen machen läßt. Ich werde suchen, diesen Kranichen, die doch einmal die Schicksalshelden sind, eine größere Breite und Wichtigkeit zu geben. Wie ich den Uebergang zu dem Ausrufe des Mörders anders machen soll, ist mir sogleich nicht klar, obgleich ich fühle, daß hier etwas zu thun ist. Doch bei der ersten guten Stimmung wird sich's vielleicht finden.

Noch einmal Dank für Ihren Brief. Erlaubt es mir mein Zustand so schreibe ich übermorgen gewiß.

Leben Sie recht wohl.

S.


358. An Schiller.

Stuttgart den 30. August 1797.

Nachdem ich Sie heute Nacht, als den Heiligen aller, am schlaflosen Zustande leidenden, Menschenkinder, öfters um Ihren Beistand angerufen, und mich auch wirklich durch Ihr Beispiel gestärkt gefühlt habe, eines der schlimmsten Wanzenabenteuer im Bauche des römischen Kaisers zu überstehen, so ist es nunmehr meinem Gelübde gemäß Ihnen sogleich eine Nachricht von meinen Zuständen zu ertheilen.

Den 25sten ging ich von Frankfurt ab, und hatte eine angenehme Fahrt bei bedecktem Himmel bis Heidelberg, wo ich bei völlig heiterm Sonnenschein die Gegend fast den ganzen andern Tag mit Entzücken betrachtete.

Den 27sten fuhr ich sehr früh ab, ruhte die heiße Zeit in Sinsheim und kam noch bald genug nach Heilbronn. Diese Stadt mit ihrer Umgebung interessirte mich sehr; ich blieb den 28sten daselbst und fuhr den 29sten früh aus, daß ich schon um 9 Uhr in Ludwigsburg war, Abends um 5 Uhr erst wieder wegfuhr und mit Sonnenuntergang nach Stuttgart kam, das in seinem Kreise von Bergen sehr ernsthaft in der Abenddämmerung dalag.

Heute früh recognoscirte ich allein die Stadt; ihre Anlage, so wie besonders die Alleen gefielen mir sehr wohl. An Herrn Rapp fand ich einen sehr gefälligen Mann und schätzbaren Kunstliebhaber; er hat zur Landschaftscomposition ein recht hübsches Talent, gute Kenntniß und Uebung. Wir gingen gleich zu Professor Dannecker bei dem ich einen Hektor der den Paris schilt, ein etwas über Lebensgröße in Gips ausgeführtes Modell fand, so wie auch eine ruhende, nackte, weibliche Figur im Charakter der sehnsuchtsvollen Sappho, in Gips fertig und in Marmor angefangen; ferner eine kleine traurend sitzende Figur zu einem Zimmer-Monument. Ich sah ferner bei ihm das Gipsmodell eines Kopfes vom gegenwärtigen Herzog, der besonders in Marmor sehr gut gelungen sein soll, sowie auch seine eigne Büste, die ohne Uebertreibung geistreich und lebhaft ist. Was mich aber besonders frappirte, war der Originalausguß von Ihrer Büste, der eine solche Wahrheit und Ausführlichkeit hat, daß er wirklich Erstaunen erregt. Der Ausguß, den Sie besitzen, läßt diese Arbeit wirklich nicht ahnen. Der Marmor ist darnach angelegt und wenn die Ausführung so geräth, so giebt es ein sehr bedeutendes Bild. Ich sah noch kleine Modelle bei ihm, recht artig gedacht und angegeben; nur leidet er daran, woran wir modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstands. Diese Materie, die wir bisher so oft und zuletzt wieder bei Gelegenheit der Abhandlung über den Laokoon besprochen haben, erscheint mir immer in ihrer höhern Wichtigkeit. Wann werden wir armen Künstler dieser letzten Zeiten uns zu diesem Hauptbegriff erheben können!

Auch sah ich bei ihm eine Vase aus grau gestreiftem Alabaster, von Isopi, von dem uns Wolzogen so viel erzählte. Es geht aber über alle Beschreibung und niemand kann sich ohne Anschauung einen Begriff von dieser Vollkommenheit der Arbeit machen. Der Stein, was seine Farbe betrifft, ist nicht günstig, aber seiner Materie nach desto mehr. Da er sich leichter behandeln läßt als der Marmor, so werden hier Dinge möglich, wozu sich der Marmor nicht darbieten würde. Wenn Cellini, wie sich glauben läßt, seine Blätter und Zierrathen in Gold und Silber so gedacht und vollendet hat, so kann man ihm nicht übel nehmen, wenn er selbst mit Entzücken von seiner Arbeit spricht.

Man fängt an den Theil des Schlosses der unter Herzog Karl, eben als er geendigt war, abbrannte, wieder auszubauen und man ist eben mit den Gesimsen und Decken beschäftigt. Isopi modellirt die Theile, die alsdann von andern Stuccatoren ausgegossen und eingesetzt werden. Seine Verzierungen sind sehr geistreich und geschmackvoll; er hat eine besondere Liebhaberei zu Vögeln, die er sehr gut modellirt und mit andern Zierrathen angenehm zusammenstellt. Die Composition des Ganzen hat etwas originelles und leichtes.

In Professor Scheffauers Werkstatt (ihn selbst traf ich nicht an) fand ich eine schlafende Venus mit einem Amor, der sie aufdeckt, von weißem Marmor, wohlgearbeitet und gelegt; nur wollte der Arm, den sie rückwärts unter den Kopf gebracht hatte, gerade an der Stelle der Hauptansicht keine gute Wirkung thun. Einige Basreliefs antiken Inhalts, ferner die Modelle zu dem Monument, welches die Gemahlin des jetzigen Herzogs, auf die, durch Gebete des Volks und der Familie, wieder erlangte Genesung des Fürsten aufrichten läßt. Der Obelisk steht schon auf dem Schloßplatze, mit den Gipsmodellen geziert.

In Abwesenheit des Professor Hetsch ließ uns seine Gattin seinen Arbeitssaal sehen. Sein Familienbild in ganzen, lebensgroßen Figuren hat viel Verdienst, besonders ist seine eigne höchst wahr und natürlich. Es ist in Rom gemalt. Seine Portraite sind sehr gut und lebhaft und sollen sehr ähnlich sein. Er hat ein historisches Bild vor, aus der Messiade, da Maria sich mit Porcia, der Frau des Pilatus, von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält und sie davon überzeugt. Was sagen Sie zu dieser Wahl überhaupt? Und was kann ein schönes Gesicht ausdrücken das die Entzückung des Himmels vorausfühlen soll? Ueberdies hat er zu dem Kopf der Porcia zwei Studien nach der Natur gemacht, das eine nach einer Römerin, einer geist- und gefühlvollen, herrlichen Brünette, und das andre nach einer blonden guten weichen Deutschen. Der Ausdruck von beiden Gesichtern ist, wie sich's versteht, nichts weniger als überirdisch, und wenn so ein Bild auch gemacht werden könnte, so dürften keine individuellen Züge darin erscheinen. Indeß mochte man den Kopf der Römerin immer vor Augen haben. Es hat mich so ein erzdeutscher Einfall ganz verdrießlich gemacht. Daß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte.

Professor Müllern fand ich an dem Graffischen Portrait, das Graff selbst gemalt hat. Der Kopf ist ganz fürtrefflich, das künstlerische Auge hat den höchsten Glanz; nur will mir die Stellung, da er über einen Stuhlrücken sich herüberlehnet, nicht gefallen, um so weniger da dieser Rücken durchbrochen ist und das Bild also unten durchlöchert erscheint. Das Kupfer ist übrigens auf dem Wege gleichfalls fürtrefflich zu werden. Sodann ist er an Auch einem Tod eines Generals beschäftigt, und zwar eines americanischen, eines jungen Mannes, der bei Bunkershill blieb. Das Gemälde ist von einem Americaner Trumbul und hat Vorzüge des Künstlers und Fehler des Liebhabers. Die Vorzüge sind: sehr charakteristische und vortrefflich tockirte Portraitgesichter; die Fehler: Disproportionen der Körper unter einander und ihrer Theile. Componirt ist es, verhältnißmäßig zum Gegenstande, recht gut und, für ein Bild auf dem so viel rothe Uniformen erscheinen müssen, ganz verständig gefärbt; doch macht es im ersten Anblick eine grelle Wirkung, bis man sich mit ihm wegen seiner Verdienste versöhnt. Das Kupfer thut im ganzen sehr gut und ist in seinen Theilen fürtrefflich gestochen. Ich sah auch das bewundernswürdige Kupfer des letzten Königs in Frankreich, in einem fürtrefflichen Abdruck aufgestellt.

Gegen Abend besuchten wir Herrn Consistorialrath Ruoff, welcher eine treffliche Sammlung von Zeichnungen und Kupfern besitzt, wovon ein Theil zur Freude und Bequemlichkeit der Liebhaber unter Glas aufgehängt ist. Sodann gingen wir in Herrn Rapps Garten und ich hatte abermals das Vergnügen mich an den verständigen und wohlgefühlten Urtheilen dieses Mannes über manche Gegenstände der Kunst, so wie über Danneckers Lebhaftigkeit zu erfreuen.

Den 31. August 1797.

Hier haben Sie ohngefähr den Inhalt meines gestrigen Tages, den ich, wie Sie sehen, recht gut zugebracht habe. Uebrigens wären noch manche Bemerkungen zu machen. Besonders traurig für die Baukunst war die Betrachtung: was Herzog Karl, bei seinem Streben nach einer gewissen Größe hätte hinstellen können, wenn ihm der wahre Sinn dieser Kunst aufgegangen und er so glücklich gewesen wäre tüchtige Künstler zu seinen Anlagen zu finden. Allein man sieht wohl, er hatte nur eine gewisse vornehme Prachtrichtung, ohne Geschmack, und in seiner frühern Zeit war die Baukunst in Frankreich, woher er seine Muster nahm, selbst verfallen. Ich bin gegenwärtig voll Verlangen Hohenheim zu sehen.

Nach allem diesem, das ich niedergeschrieben habe, als wenn Ihnen nicht selbst schon ein großer Theil bekannt wäre, muß ich Ihnen sagen: daß ich unterweges auf ein poetisches Genre gefallen bin, in welchem wir künftig mehr machen müssen, und das vielleicht dem folgenden Almanach gut thun wird. Es sind Gespräche in Liedern. Wir haben in einer gewissen ältern deutschen Zeit recht artige Sachen von dieser Art und es läßt sich in dieser Form manches sagen, man muß nur erst hineinkommen und dieser Art ihr eigenthümliches abgewinnen. Ich habe so ein Gespräch zwischen einem Knaben, der in eine Müllerin verliebt ist, und dem Mühlbach angefangen und hoffe es bald zu überschicken. Das poetisch-tropisch-allegorische wird durch diese Wendung lebendig, und besonders auf der Reise, wo einen so viel Gegenstände ansprechen, ist es ein recht gutes Genre.

Auch bei dieser Gelegenheit ist merkwürdig zu betrachten was für Gegenstände sich zu dieser besondern Behandlungsart bequemen. Ich kann Ihnen nicht sagen, um meine obigen Klaglieder zu wiederholen, wie sehr mich jetzt, besonders um der Bildhauer willen, die Mißgriffe im Gegenstand beunruhigen: denn diese Künstler büßen offenbar den Fehler und den Unbegriff der Zeit am schwersten. Sobald ich mit Meyern zusammenkomme und seine Ueberlegungen, die er mir angekündigt hat, nutzen kann, so will ich gleich mich daran machen und wenigstens die Hauptmomente zusammenschreiben. Denken Sie doch auch indeß immer weiter über die poetischen Formen und Stoffe nach.

Ueber das theatralisch-komische habe ich auch verschiednemal zu denken Gelegenheit gehabt; das Resultat ist: daß man es nur in einer großen, mehr oder weniger rohen Menschenmasse gewahr werden kann, und daß wir leider ein Kapital dieser Art, womit wir poetisch wuchern könnten, bei uns gar nicht finden.

Uebrigens hat man vom Kriege hier viel gelitten und leidet immerfort. Wenn die Franzosen dem Lande fünf Millionen abnehmen, so sollen die Kaiserlichen nun schon an sechzehn Millionen verzehrt haben. Dagegen erstaunt man denn freilich, als Fremder, über die ungeheure Fruchtbarkeit dieses Landes und begreift die Möglichkeit solche Lasten zu tragen.

Ihrer und der Ihrigen erinnert man sich mit viel Liebe und Freude, ja ich darf wohl sagen, mit Enthusiasmus. Und somit sei Ihnen heute ein Lebewohl gesagt. Cotta hat mich freundlich eingeladen bei ihm zu logiren; ich habe es mit Dank angenommen, da ich bisher, besonders bei dem heißen Wetter, in den Wirthshäusern mehr als auf dem Wege gelitten habe.

Den 4. September.

Dieser Brief mag nun endlich abgehen, hoffentlich finde ich einen von Ihnen bei Cotta in Tübingen, wohin ich nun bald zu gelangen gedenke. Hier ist es mir sehr wohl ergangen und ich habe in der Gesellschaft, in welche mich Ihr kleines Blatt eingeführt, mich recht sehr wohl befunden: man hat mich auf alle Weise zu unterhalten, mir alles zu zeigen gesucht und mir mehrere Bekanntschaften gemacht. Wenn Meyer hier wäre, könnte ich mich wohl entschließen noch länger zu bleiben. Es ist natürlich daß ich in der Masse von Kunst und Wissenschaft nun erst manches gewahr werde, das ich noch wohl zu meinem Vortheil gebrauchen könnte; denn es ist wirklich merkwürdig, was für ein Streben unter den Menschen lebt. Was mich aber besonders erfreut und eigentlich mir einen längern Aufenthalt angenehm macht, ist daß ich in der kurzen Zeit mit denen Personen, die ich öfter gesehen habe, durch Mittheilung der Ideen, wirklich weiter komme, so daß der Umgang für beide Theile fruchtbar ist. Ueber einige Hauptpunkte habe ich mich mit Dannecker wirklich verständigt und in einige andre scheint Rapp zu entriren, der eine gar behagliche, heitere und liberale Existenz hat. Noch sind zwar seine Grundsätze die Grundsätze eines Liebhabers, die, wie bekannt, eine ganz eigne, der soliden Kunst nicht eben sehr günstige Tournüre haben; doch fühlt er natürlich und lebhaft und faßt die Motive eines Kunsturtheiles bald, wenn es auch von dem seinigen abweicht. Ich denke übermorgen von hier wegzugehen und hoffe in Tübingen einen Brief von Ihnen zu finden.

Außerdem, daß ich das was mir begegnet so ziemlich fleißig zu den Acten nehme, habe ich verschiednes, das durch Gespräch und Umstände bei mir rege wurde, aufgesetzt, wodurch nach und nach kleine Abhandlungen entstehen, die sich vielleicht zuletzt an einander schließen werden.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie alles und fahren Sie fort mir von Zeit zu Zeit unter Cottas Einschlag zu schreiben, der von meinem Aufenthalt immer unterrichtet sein wird.

G.


359. An Goethe.

Jena den 7. September 1797.

erh. Stäfa den 23. Sept.

Endlich fange ich an, mich wieder zu fühlen und meine Stimmung wieder zu finden. Nach Abgang meines letzten Briefs an Sie hatte sich mein Uebel noch verschlimmert, ich habe mich lange nicht so schlimm befunden, bis endlich ein Vomitiv die Sachen wieder in Ordnung brachte. Fast alle meine Beschäftigungen stockten indessen und die wenigen leidlichen Augenblicke, die ich hatte, nahm der Almanach in Anspruch. Solch eine Beschäftigung hat durch ihren ununterbrochenen und unerbittlich gleichen Rhythmus etwas wohlthätiges, da sie die Willkür aufhebt und sich streng, wie die Tagszeit, meldet. Man nimmt sich zusammen, weil es sein muß, und bei bestimmten Forderungen, die man an sich macht, geschieht die Sache auch nicht schlechter. Wir sind mit dem Druck des Almanachs jetzt bald im reinen, und wenn die Beiwerke, Decke, Titelkupfer und Musik, keinen Aufenthalt machen, kann das Werkchen vor Michaelis noch versendet werden.

Mit dem Ibycus habe ich nach Ihrem Rath wesentliche Veränderungen vorgenommen, die Exposition ist nicht mehr so dürftig, der Held der Ballade interessirt mehr, die Kraniche füllen die Einbildungskraft auch mehr, und bemächtigen sich der Aufmerksamkeit genug, um bei ihrer letzten Erscheinung, durch das vorhergehende, nicht in Vergessenheit gebracht zu sein.

Was aber Ihre Erinnerung in Rücksicht auf die Entwicklung betrifft, so war es mir unmöglich, hierin ganz Ihren Wunsch zu erfüllen – Lasse ich den Ausruf des Mörders nur von den nächsten Zuschauern gehört werden, und unter diesen eine Bewegung entstehen, die sich dem Ganzen, nebst ihrer Veranlassung, erst mittheilt, so bürde ich mir ein Detail auf, das mich hier, bei so ungeduldig forteilender Erwartung, gar zu sehr embarrassirt, die Masse schwächt, die Aufmerksamkeit vertheilt u. s. w. Meine Ausführung soll aber nicht ins Wunderbare gehen, auch schon bei dem ersten Concept fiel mir das nicht ein, nur hatte ich es zu unbestimmt gelassen. Der bloße natürliche Zufall muß die Katastrophe erklären. Dieser Zufall führt den Kranichzug über dem Theater hin, der Mörder ist unter den Zuschauern, das Stück hat ihn zwar nicht eigentlich gerührt und zerknirrscht, das ist meine Meinung nicht, aber es hat ihn an seine That und also auch an das, was dabei vorgekommen, erinnert, sein Gemüth ist davon frappirt, die Erscheinung der Kraniche muß also in diesem Augenblick ihn überraschen, er ist ein roher dummer Kerl, über den der momentane Eindruck alle Gewalt hat. Der laute Ausruf ist unter diesen Umständen natürlich.

Da ich ihn oben sitzend annehme, wo das gemeine Volk seinen Platz hat, so kann er erstlich die Kraniche früher sehen, eh sie über der Mitte des Theaters schweben; dadurch gewinn' ich, daß der Ausruf der wirklichen Erscheinung der Kraniche vorhergehen kann, worauf hier viel ankommt, und daß also die wirkliche Erscheinung derselben bedeutender wird. Ich gewinne zweitens, daß er, wenn er oben ruft, besser gehört werden kann. Denn nun ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß ihn das ganze Haus schreien hört, wenn gleich nicht alle seine Worte verstehen.

Dem Eindruck selbst, den seine Exclamation macht, habe ich noch eine Strophe gewidmet, aber die wirkliche Entdeckung der That, als Folge jenes Schreies, wollte ich mit Fleiß nicht umständlicher darstellen: denn sobald nur der Weg zu Auffindung des Mörders geöffnet ist (und das leistet der Ausruf, nebst dem darauf folgenden verlegenen Schrecken), so ist die Ballade aus; das andere ist nichts mehr für den Poeten.

Ich habe die Ballade, in ihrer nun veränderten Gestalt, an Böttiger gesendet, um von ihm zu erfahren, ob sich nichts darin mit altgriechischen Gebräuchen im Widerspruch befindet. Sobald ich sie zurückerhalte, lege ich die letzte Hand daran und eile dann damit in Druck. In meinem nächsten Briefe hoffe ich sie Ihnen nebst dem ganzen Rest des Almanachs abgedruckt zu senden. Auch Schlegel hat noch eine Romanze geschickt, worin Arions Geschichte mit dem Delphin behandelt ist. Der Gedanke wäre recht gut, aber die Ausführung däucht mir kalt, trocken und ohne Interesse zu sein. Er wollte auch die Sacontala als Ballade bearbeiten; ein sonderbares Unternehmen für ihn, wovor ihn sein guter Engel bewahren wolle.

Ihren vorletzten Brief vom 16. August erhielt ich viel später, da Böttiger, der ihn zu besorgen hatte, abwesend war. Das sentimentale Phänomen in Ihnen befremdet mich gar nicht, und mir dünkt, Sie selbst haben es sich hinlänglich erklärt. Es ist ein Bedürfniß poetischer Naturen, wenn man nicht überhaupt menschlicher Gemüther sagen will, so wenig leeres als möglich um sich zu leiden, so viel Welt, als nur immer angeht, sich durch die Empfindung anzueignen, die Tiefe aller Erscheinungen zu suchen, und überall ein Ganzes der Menschheit zu fordern. Ist der Gegenstand als Individuum leer und mithin in poetischer Hinsicht gehaltlos, so wird sich das Ideenvermögen daran versuchen und ihn von seiner symbolischen Seite fassen, und so eine Sprache für die Menschheit daraus machen. Immer aber ist das Sentimentale (in gutem Sinn) ein Effect des poetischen Strebens, welches, sei es aus Gründen die in dem Gegenstand, oder solchen, die in dem Gemüth liegen, nicht ganz erfüllt wird. Eine solche poetische Forderung, ohne eine reine poetische Stimmung und ohne einen poetischen Gegenstand, scheint Ihr Fall gewesen zu sein, und was Sie mithin an sich erfuhren, ist nichts als die allgemeine Geschichte der sentimentalischen Empfindungsweise und bestätiget alles das, was wir darüber mit einander festgesetzt haben.

Nur eins muß ich dabei noch erinnern. Sie drücken sich so aus, als wenn es hier sehr auf den Gegenstand ankäme; was ich nicht zugeben kann. Freilich der Gegenstand muß etwas bedeuten, so wie der poetische etwas sein muß; aber zuletzt kommt es auf das Gemüth an, ob ihm ein Gegenstand etwas bedeuten soll, und so däucht mir das Leere und Gehaltreiche mehr im Subject als im Object zu liegen. Das Gemüth ist es, welches hier die Grenze steckt, und das Gemeine oder Geistreiche kann ich auch hier wie überall nur in der Behandlung, nicht in der Wahl des Stoffes finden. Was Ihnen die zwei angeführten Plätze gewesen sind, würde Ihnen unter andern Umständen, bei einer mehr aufgeschlossenen poetischen Stimmung, jede Straße, Brücke, jedes Schiff, ein Pflug oder irgend ein anderes mechanisches Werkzeug vielleicht geleistet haben.

Entfernen Sie aber ja diese sentimentalen Eindrücke nicht, und geben Sie denselben einen Ausdruck so oft Sie können. Nichts, außer dem poetischen, reinigt das Gemüth so sehr von dem Leeren und Gemeinen, als diese Ansicht der Gegenstände, eine Welt wird dadurch in das einzelne gelegt, und die flachen Erscheinungen gewinnen dadurch eine unendliche Tiefe. Ist es auch nicht poetisch, so ist es, wie Sie selbst es ausdrücken, menschlich: und das menschliche ist immer der Anfang des poetischen, das nur der Gipfel davon ist.

 

Heute, als den 8ten, erhalte ich einen Brief von Cotta der mir sagt, daß Sie seit dem 30sten in Stuttgart wären. Ich kann Sie mir nicht in Stuttgart denken, ohne gleichfalls in eine sentimentale Stimmung zu gerathen. Was hätte ich vor sechzehn Jahren darum gegeben, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen, und wie wunderbar wird mir's, wenn ich die Zustände und Stimmungen, welche dieses Local mir zurückruft, mit unserm gegenwärtigen Verhältnis zusammendenke.

Ich bin sehr erwartend, wie lang Sie in dortigen Gegenden zu verweilen Neigung und Veranlassung gefunden. Hoffentlich fand Sie mein Brief vom 30sten noch dort; der gegenwärtige aber trifft Sie wahrscheinlich erst in Zürich und bei unserm Freund, den ich herzlich grüße.

Schreiben Sie mir doch in Ihrem nächsten Briefe, wie es mit den für Sie bestimmten Exemplarien des Almanachs soll gehalten werden, wohin und an wen ich sie zu schicken habe.

Herzlich freue ich mich, daß Sie auch an die Horen gedacht haben und mich auf den October etwas dafür hoffen lassen. Bei den Anstalten, die Sie machten sich der Erfahrungsmasse um Sie herum zu bemächtigen, muß Ihnen ein unerschöpflicher Stoff zufließen.

Es war mir sehr angenehm, daß Hölderlin sich Ihnen noch präsentirt hat; er schrieb mir nichts davon, daß er's thun wollte und muß sich also auf einmal ein Herz gefaßt haben. Hier ist auch wieder ein poetisches Genie, von Schlegels Art und Weise. Sie werden ihn im Almanach finden. Er hat Schlegels Pygmalion nachgeahmt und in demselben Geschmack einen symbolischen Phaethon geliefert. Das Product ist närrisch genug, aber die Versification und einzelne gute Gedanken geben ihm doch einiges Verdienst.

Leben Sie recht wohl und fahren Sie fort wie bisher mich Ihrem Geiste folgen zu lassen. Herzliche Grüße von meiner Frau. Ihr Kleiner höre ich ist ganz wieder hergestellt.

Sch.


360. An Schiller.

[Tübingen 14. September 1797.]

Ihr Brief vom 30. August, den ich bei meiner Ankunft in Tübingen erhalten, verspricht mir daß ein zweiter bald nachkommen solle, der aber bis jetzt ausgeblieben ist; wenn nur nicht das Uebel, von dem Sie mir schreiben, die Ursache von dieser Verspätung ist.

Ich freue mich daß Sie das was ich über den Ibykus geschrieben, nutzen mögen; es war die Idee worauf ich eigentlich meine Ausführung bauen wollte; verbunden mit Ihrer übrigen glücklichen Behandlung, kann dadurch das Ganze Vollständigkeit und Rundung erlangen. Wenn Sie nur noch für diesen Almanach mit der Glocke zu Stande kommen! denn dieses Gedicht wird eins der vornehmsten und besonderen Zierden desselben sein.

Seit dem 4. September an dem ich meinen letzten Brief abschickte, ist es mir durchaus recht gut gegangen. Ich blieb in Stuttgart noch drei Tage, in denen ich noch manche Personen kennen lernte, und manches Interessante beobachtete. Als ich bemerken konnte, daß mein Verhältniß zu Rapp und Dannecker im Wachsen war und beide manchen Grundsatz, an dem mir theoretisch so viel gelegen ist, aufzufassen nicht abgeneigt waren, auch von ihrer Seite sie mir manches Angenehme, Gute und Brauchbare mittheilten, so entschloß ich mich ihnen den Hermann vorzulesen, das ich denn auch in einem Abend vollbrachte. Ich hatte alle Ursache mich des Effects zu erfreuen, den er hervorbrachte, und es sind uns allen diese Stunden fruchtbar geworden.

Nun bin ich seit dem 7ten in Tübingen, dessen Umgebungen ich die ersten Tage, bei schönem Wetter, mit Vergnügen betrachtete und nun eine traurige Regenzeit, durch geselligen Umgang, um ihren Einfluß betrüge. Bei Herrn Cotta habe ich ein heiteres Zimmer, und, zwischen der alten Kirche und dem akademischen Gebäude, einen freundlichen, obgleich schmalen Ausblick ins Neckarthal. Indessen bereite ich mich zur Abreise und meinen nächsten Brief erhalten Sie von Stäfa. Meyer ist sehr wohl und erwartet mich mit Verlangen. Es läßt sich gar nicht berechnen was beiden unsere Zusammenkunft sein und werden kann.

Je näher ich Herrn Cotta kennen lerne, desto besser gefällt er mir. Für einen Mann von strebender Denkart und unternehmender Handelsweise, hat er so viel mäßiges, sanftes und gefaßtes, so viel Klarheit und Beharrlichkeit, daß er mir eine seltne Erscheinung ist. Ich habe mehrere von den hiesigen Professoren kennen lernen, in ihren Fächern, Denkungsart und Lebensweise sehr schätzbare Männer, die sich alle in ihrer Lage gut zu befinden scheinen, ohne daß sie gerade einer bewegten akademischen Circulation nöthig hätten. Die großen Stiftungen scheinen den großen Gebäuden gleich, in die sie eingeschlossen sind; sie stehen wie ruhige Kolossen auf sich selbst gegründet und bringen keine lebhafte Thätigkeit hervor, die sie zu ihrer Erhaltung nicht bedürfen.

Sonderbar hat mich hier eine kleine Schrift von Kant überrascht, die Sie gewiß auch kennen werden! Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie. Ein sehr schätzbares Product seiner bekannten Denkart, das so wie alles was von ihm kommt die herrlichsten Stellen enthält, aber auch in Composition und Styl Kantischer als Kantisch. Mir macht es großes Vergnügen daß ihn die vornehmen Philosophen und die Prediger des Vorurtheils so ärgern konnten, daß er sich mit aller Gewalt gegen sie stemmt. Indessen thut er doch, wie mir scheint, Schlossern unrecht, daß er ihn einer Unredlichkeit, wenigstens indirect beschuldigen will. Wenn Schlosser fehlt, so ist es wohl darin daß er seiner innern Ueberzeugung eine Realität nach außen zuschreibt und kraft seines Charakters und seiner Denkweise zuschreiben muß; und wer ist in Theorie und Praxis ganz frei von dieser Anmaßung! – Zum Schlusse lasse ich Ihnen noch einen kleinen Scherz abschreiben; machen Sie aber noch keinen Gebrauch davon. Es folgen auf diese Introduction noch drei Lieder in deutscher, französischer und spanischer Art, die zusammen einen kleinen Roman ausmachen.

Der Edelknabe und die Müllerin.

Nach dem Altenglischen.

Edelknabe.
Wohin? wohin?
Schöne Müllerin!
Wie heißt du?

Müllerin.                Lise.

Edelknabe.
Wohin denn, wohin?
Mit dem Rechen in der Hand?

Müllerin.
Auf des Vaters Land,
Auf des Vaters Wiese!

Edelknabe.
Und gehst so allein?

Müllerin.
Das Heu soll herein,
Das bedeutet der Rechen.
Und im Garten daran
Fangen die Birn' zu reifen an,
Die will ich brechen.

Edelknabe.
Ist nicht eine stille Laube dabei?

Müllerin.
Sogar ihrer zwei,
An beiden Ecken.

Edelknabe.
Ich komme dir nach,
Und am heißen Mittag
Wollen wir uns drein verstecken.
Nicht wahr? im grünen vertraulichen Haus –

Müllerin.
Das gäbe Geschichten.

Edelknabe.
Ruhst du in meinen Armen aus?

Müllerin.
Mit nichten!
Denn wer die artige Müllerin küßt
Auf der Stelle verrathen ist.
Euer schönes dunkles Kleid
Thät' mir leid
So weiß zu färben.
Gleich und gleich! so allein ist's recht!
Ich liebe mir den Müllerknecht,
An dem ist nichts zu verderben.

*

Ich muß nicht vergessen zu dem glücklichen Fortschritt des Almanachs und zu Ritter Toggenburg zu gratuliren.

G.


361. An Goethe.

Jena den 14. September 1797.

Zu meiner Freude erfahre ich aus Ihrem Stuttgarter Briefe, daß Sie sich auf meinem vaterländischen Boden gefallen, und daß die Personen, die ich Ihnen empfahl, mich nicht zum Lügner gemacht haben. Ich zweifle nicht, daß diese sieben Tage, die Sie selbst mit Vergnügen und Nutzen dort zugebracht, für Dannecker und Rapp Epoche machen und sehr gute Folgen haben werden; der erste besonders ist höchst bildungsfähig, und ihm mangelte es bis jetzt nur an einer glücklichen Pflege von außen, die seinem reichen Naturell die gehörige Richtung gegeben hätte. Ich kann mir seine Fehlgriffe in der Kunst, da er diese sonst so ernstlich zu packen wußte und in einigen Hauptpunkten so entscheidend auf das wahre Wesen losgeht, nur aus einem gewissen Ueberfluß erklären; mir däucht daß seine poetische Imagination sich mit der artistischen, woran es ihm gar nicht mangelt, nur confundire.

Ueberhaupt frage ich Sie bei dieser Gelegenheit ob die Neigung so vieler talentvoller Künstler neuerer Zeiten zum Poetisiren in der Kunst nicht daraus zu erklären ist, daß in einer Zeit wie die unsrige es keinen Durchgang zum Ästhetischen giebt als durch das Poetische, und daß folglich alle auf Geist Anspruch machende Künstler, eben deßwegen weil sie nur durch ein poetisches Empfinden geweckt worden sind, auch in der bildenden Darstellung nur eine poetische Imagination zeigen. Das Uebel wäre so groß nicht, wenn nicht unglücklicherweise der poetische Geist in unsern Zeiten, auf eine, der Kunstbildung so ungünstige Art, specificirt wäre. Aber da auch schon die Poesie so sehr von ihrem Gattungsbegriff abgewichen ist (durch den sie allein mit den nachahmenden Künsten in Berührung steht), so ist sie freilich keine gute Führerin zur Kunst, und sie kann höchstens negativ (durch Erhebung über die gemeine Natur), aber keineswegs positiv und activ (durch Bestimmung des Objects) auf den Künstler einen Einfluß äußern.

Auch diese Verirrung der bildenden Künstler neuerer Zeit erklärt sich mir hinreichend aus unsern Ideen über realistische und idealistische Dichtung, und liefert einen neuen Beleg für die Wahrheit derselben. Ich denke mir die Sache so.

Zweierlei gehört zum Poeten und Künstler: daß er sich über das Wirkliche erhebt und daß er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt. Wo beides verbunden ist, da ist ästhetische Kunst. Aber in einer ungünstigen, formlosen Natur verläßt er mit dem Wirklichen nur zu leicht auch das Sinnliche und wird idealistisch und, wenn sein Verstand schwach ist, gar phantastisch; oder will er und muß er, durch seine Natur genöthigt, in der Sinnlichkeit bleiben, so bleibt er gern auch bei dem Wirklichen stehen und wird, in beschränkter Bedeutung des Worts, realistisch, und wenn es ihm ganz an Phantasie fehlt, knechtisch und gemein. In beiden Fällen also ist er nicht ästhetisch.

Die Reduction empirischer Formen auf ästhetische ist die schwierige Operation, und hier wird gewöhnlich entweder der Körper oder der Geist, die Wahrheit oder die Freiheit fehlen. Die alten Muster, sowohl im Poetischen als im Plastischen, scheinen mir vorzüglich den Nutzen zu leisten, daß sie eine empirische Natur die bereits auf eine ästhetische reducirt ist, aufstellen, und daß sie, nach einem tiefen Studium, über das Geschäft jener Reduction selbst Winke geben können.

Aus Verzweiflung, die empirische Natur womit er umgeben ist nicht auf eine ästhetische reduciren zu können, verläßt der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber ganz, und sucht bei der Imagination Hülfe gegen die Empirie, gegen die Wirklichkeit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt fehlt, der aus den Tiefen des Gegenstandes geschöpft werden muß.

Den 15. September 1797.

Es wäre vortrefflich, wenn Sie mit Meyern Ihre Gedanken über die Wahl der Stoffe für poetische und bildende Darstellung entwickelten. Diese Materie communicirt mit dem Innersten der Kunst, und würde zugleich durch ihre unmittelbare und leichte Anwendung auf wirkliche Kunstwerke sehr pragmatisch und ansprechend sein. Ich für mein Theil werde darüber auch meine Begriffe deutlich zu machen suchen.

Vor der Hand scheint mir, daß man mit großem Vortheil von dem Begriff der absoluten Bestimmtheit des Gegenstandes ausgehen könnte. Es würde sich nämlich zeigen, daß alle, durch eine ungeschickte Wahl des Gegenstandes, verunglückte Kunstwerke an einer solchen Unbestimmtheit und daraus folgender Willkürlichkeit leiden.

So scheint mir der Begriff dessen, was man einen prägnanten Moment nennt, sich vollkommen durch seine Qualification zu einer durchgängig bestimmten Darstellung zu erklären. Ich weiß in der poetischen Gattung keinen treffendern Fall als Ihren Hermann. Hier würde sich vielleicht durch eine Art Induction zeigen lassen, daß bei jeder andern Wahl der Handlung etwas hätte unbestimmt bleiben müssen.

Verbindet man mit diesem Satz nun den andern, daß die Bestimmung des Gegenstandes jedesmal durch die Mittel geschehen muß, welche einer Kunstgattung eigen sind, daß sie innerhalb der besondern Grenzen einer jeden Kunstspecies absolvirt werden muß, so hätte man, däucht mir, ein hinlängliches Criterium, um in der Wahl der Gegenstände nicht irre geleitet zu werden.

Aber freilich, wenn dieß auch seine Richtigkeit hätte, ist die Anwendung des Satzes schwer und möchte überall mehr Sache des Gefühls und des Ahnungsvermögens bleiben, als des deutlichen Bewußtseins.

Ich bin sehr neugierig auf das neue poetische Genre, woraus Sie mir bald etwas senden wollen. Der reiche Wechsel Ihrer Phantasie erstaunt und entzückt mich, und wenn ich Ihnen auch nicht folgen kann, so ist es schon ein Genuß und Gewinn für mich, Ihnen nachzusehen. Von diesem neuen Genre erwarte ich mir etwas sehr anmuthiges, und begreife schon im Voraus, wie geschickt es dazu sein muß, ein poetisches Leben und einen geistreichen Schwung in die gemeinsten Gegenstände zu bringen.

Von unserm Freund Humboldt habe ich heute Briefe bekommen. Es gefällt ihm in Wien gar nicht mehr, die italienische Reise hat er auch so gut als aufgegeben, ist aber beinah entschlossen nach Paris zu gehen, welches er aber wahrscheinlich, nach den neuesten Ereignissen dort, nicht zur Ausführung bringen wird. Er wird Ihnen, wie er schreibt, in diesen Tagen von sich Nachricht geben.

Ich habe immer noch viel von meinem Husten zu leiden, bin aber viel freier von meinem alten Uebel, wobei indeß meine Stimmung und meine Thätigkeit nicht viel gewinnt; denn das neue Uebel greift mir den Kopf weit mehr an als das malum domesticum, die Krämpfe zu thun pflegen. Indeß hoffe ich in acht oder zehn Tagen der Schererei des Almanachs los zu sein und wieder ernstlich an den Wallenstein gehen zu können. Das Lied von der Glocke habe ich bei meinem übeln Befinden nicht vornehmen können noch mögen. Indessen fanden sich doch noch allerlei Kleinigkeiten für den Almanach, die eine Mannigfaltigkeit in meine Beiträge bringen und meinen Antheil an demselben ziemlich beträchtlich machen.

Mit meinen Kranichen ist Böttiger sehr zufrieden gewesen, und Zeit und Lokal, worüber ich ihn consultirte, hat er sehr befriedigend dargestellt gefunden. Er gestand bei dieser Gelegenheit, daß er nie recht begriffen habe, wie sich aus dem Ibycus etwas machen ließe. Dieses Geständniß hat mich sehr belustigt, da es seinen Mann so schön charakterisirt.

Sie werden von Cotta den I und K Bogen des Almanachs erhalten haben; vielleicht kann ich heute noch einen schicken. Der Almanach wird stärker als der vom vorigen Jahr, ohne daß ich in der Auswahl hätte laxer sein müssen.

In meinem Hause geht es gut, und wir haben Karls Geburtstag gestern mit vieler Freude gefeiert. Heute hatten wir Vent aus Weimar bei uns, der mir sehr wohl gefällt; sonst hat sich meine Gesellschaft um keine neue Figur vermehrt. Meine Frau denkt Ihrer mit herzlichem Antheil, auch mein Schwager und Schwägerin empfehlen sich Ihnen aufs beste.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Meyern und denken Sie meiner in Ihrem Kreise. Ihre Briefe sind für uns reichbeladne Schiffe, und machen jetzt eine meiner besten Freuden aus. Leben Sie wohl.

Schiller.

Sehen Sie doch das Blatt an, worein ich packe.


362. An Goethe

Jena den 22. September 1797.

Ihr Brief nebst seinem Anhang hat uns wieder große Freude gemacht. Das Lied ist voll heiterer Laune und Natur. Mir däucht, daß diese Gattung dem Poeten schon dadurch sehr günstig sein müsse, daß sie ihn aller belästigenden Beiwerke, dergleichen die Einleitungen, Uebergänge, Beschreibungen &c. sind, überhebt und ihm erlaubt, immer nur das Geistreiche und Bedeutende an seinem Gegenstand mit leichter Hand oben wegzuschöpfen.

Hier wäre also schon wieder der Ansatz zu einer neuen Sammlung, der Anfang einer »unendlichen« Reihe: denn dieses Gedicht hat, wie jede gute Poesie, ein ganzes Geschlecht in sich, durch die Stimmung die es gibt und durch die Form die es aufstellt.

Ich wäre sehr begierig gewesen, den Eindruck, den Ihr Hermann auf meine Stuttgarter Freunde gemacht, zu beobachten. An einer gewissen Innigkeit des Empfangens hat es sicher nicht gefehlt, aber so wenige Menschen können das Nackende der menschlichen Natur ohne Störung genießen. Indessen zweifle ich gar nicht, daß Ihr Hermann schlechterdings über alle diese Subjectivitäten triumphiren wird, und dieses durch die schönste Eigenschaft bei einem poetischen Werk, nämlich durch sein Ganzes, durch die reine Klarheit seiner Form und durch den völlig erschöpften Kreis menschlicher Gefühle.

Mein letzter Brief hat Ihnen schon gemeldet, daß ich die Glocke liegen lassen mußte. Ich gestehe daß mir dieses, da es einmal so sein mußte, nicht so ganz unlieb ist. Denn indem ich diesen Gegenstand noch ein Jahr mit mir herumtrage und warm halte, muß das Gedicht, welches wirklich keine kleine Aufgabe ist, erst seine wahre Reife erhalten. Auch ist dieses einmal das Balladenjahr, und das nächste hat schon ziemlich den Anschein das Liederjahr zu werden, zu welcher Classe auch die Glocke gehört.

Indessen habe ich die letzten acht Tage doch für den Almanach nicht verloren. Der Zufall führte mir noch ein recht artiges Thema zu einer Ballade zu, die auch größtentheils fertig ist und den Almanach, wie ich glaube, nicht unwürdig beschließt. Sie besteht aus 24 achtzeiligen Strophen, und ist überschrieben: Der Gang nach dem Eisenhammer, woraus Sie sehen daß ich auch das Feuerelement mir vindicirt habe, nachdem ich Wasser und Luft bereist habe. Der nächste Posttag liefert es Ihnen, nebst dem ganzen Almanach, gedruckt.

Ich wünsche nun sehr, daß die Kraniche in der Gestalt, worin Sie sie jetzt lesen, Ihnen Genüge thun mögen. Gewonnen haben sie ganz unstreitig durch die Idee, die Sie mir zu der Exposition gegeben. Auch denke ich hatte die neue Strophe, die ich den Furien noch gewidmet, zur genauen Bezeichnung derselben anfänglich noch gefehlt.

Kants kleinen Tractat habe ich auch gelesen, und obgleich der Inhalt nichts eigentlich neues liefert, mich über seine trefflichen Einfälle gefreut. Es ist in diesem alten Herrn noch etwas so wahrhaft jugendliches, das man beinah ästhetisch nennen möchte, wenn einen nicht die greuliche Form, die man einen philosophischen Canzleistil nennen möchte, in Verlegenheit setzte. Mit Schlossern kann es sich zwar so verhalten, wie Sie meinen, indessen hat seine Stellung gegen die kritischen Philosophen so etwas bedenkliches, daß der Charakter kaum aus dem Spiele bleiben kann. Auch kann man, däucht mir, bei allen Streitigkeiten, wo der Supernaturalism von denkenden Köpfen gegen die Vernunft vertheidigt wird, in die Ehrlichkeit ein Mistrauen setzen: die Erfahrung ist gar zu alt und es läßt sich überdem auch gar wohl begreifen.

Wir genießen jetzt hier sehr schöne Herbsttage; bei Ihnen mag wohl noch ein Rest von Sommer zu spüren sein. In meinem Garten werden schon große Anstalten gemacht, ihn für die künftigen Jahre recht zu verbessern. Uebrigens hatten wir keine schlechte Obstärnte, wobei Karl uns nicht wenig Spaß machte.

Wir zweifeln, bei dem zweifelhaften Ansehen des Kriegs und Friedens, noch immer an der nahen Ausführung Ihrer italienischen Reise, und geben zuweilen der Hoffnung Raum, daß wir Sie früher als wir erwarten durften, wieder bei uns sehen könnten.

Leben Sie recht wohl und Meyern sagen Sie die freundschaftlichsten Grüße von uns. Herzlich wünschen wir Ihnen Glück zu Ihrer Wiedervereinigung. Meine Frau grüßt Sie aufs beste.

Sch.


363. An Schiller.

Stäfa den 25. September 1797.

Ihren erfreulichen Brief vom 7ten September habe ich vorgestern hier erhalten; da er länger ausblieb als ich hoffte, so mußte ich befürchten daß Ihr Uebel sich vermehrt habe, wie ich denn nun auch aus Ihrem Briefe leider erfahre. Möchten Sie doch in Ihrer Stille einer so guten Gesundheit genießen, als ich bei meiner Bewegung! Ein Blatt das beiliegt, sagt Ihnen wie es mir seit Tübingen ergangen ist. Meyer, den ich nun zu unserer wechselseitigen Freude wiedergefunden habe, befindet sich so wohl als jemals und wir haben schon was ehrliches zusammen durchgeschwätzt. Er kommt mit trefflichen Kunstschätzen und mit Schätzen einer sehr genauen Beobachtung wieder zurück. Wir wollen nun überlegen in was für Formen wir einen Theil brauchen und zu welchen Absichten wir den andern aufheben wollen.

Nun soll es in einigen Tagen nach dem Vierwaldstädter See gehen. Die großen Naturscenen, die ihn umgeben, muß ich mir, da wir so nahe sind, wieder zum Anschauen bringen; denn die Rubrik dieser ungeheuern Felsen darf mir unter meinen Reise-Capiteln nicht fehlen. Ich habe schon ein paar tüchtige Actenfascikel gesammelt, in die alles, was ich erfahren habe, oder was mir sonst vorgekommen ist, sich eingeschrieben oder eingeheftet befindet, bis jetzt noch der bunteste Stoff von der Welt, aus dem ich auch nicht einmal, wie ich früher hoffte, etwas für die Horen herausheben könnte.

Ich hoffe diese Reisesammlung noch um vieles zu vermehren und kann mich dabei an so mancherlei Gegenständen prüfen. Man genießt doch zuletzt, wenn man fühlt, daß man so manches subsumiren kann, die Früchte der großen und anfangs unfruchtbar scheinenden Arbeiten, mit denen man sich in seinem Leben geplagt hat.

Da Italien, durch seine frühern Unruhen, und Frankreich durch seine neusten, den Fremden mehr oder weniger versperrt ist, so werden wir wohl vom Gipfel der Alpen wieder zurück dem Falle des Wassers folgen und, den Rhein hinab, uns wieder gegen Norden bewegen, ehe die schlimme Witterung einfällt. Wahrscheinlich werden wir diesen Winter am Fuße des Fuchsthurms vergnügt zusammen wohnen, ja, ich vermuthe sogar, daß Humboldt uns Gesellschaft leisten wird. Die sämmtliche Karavane hat, wie mir sein Brief sagt, den ich in Zürich fand, die Reise nach Italien gleichfalls aufgegeben; sie werden sämmtlich nach der Schweiz kommen. Der jüngere hat die Absicht sich in diesem für ihn in mehrern Rücksichten so interessanten Lande umzusehen, und der ältere wird wahrscheinlich eine Reise nach Frankreich, die er projectirt hatte, unter den jetzigen Umständen aufgeben müssen. Sie gehen den 1. October von Wien ab; vielleicht erwarte ich sie noch in diesen Gegenden.

Und nun wende ich mich in Gedanken zu Ihnen und Ihren Arbeiten. Der Almanach hat wirklich ein recht ordentliches Ansehen, nur wird das Publikum den Pfeffer zu den Melonen vermissen. Im allgemeinen wird nichts so sehnlich gewünscht als wieder eine Ladung Xenien und man wird betrübt sein die Bekanntschaft mit diesen Bösewichtern, auf die man so sehr gescholten hat, nicht erneuern zu können. Ich freue mich daß durch meinen Rath der Anfang Ihres Ibykus eine größere Breite und Ausführung gewinnt; wegen des Schlusses werden Sie denn wohl auch Recht behalten. Der Künstler muß selbst am besten wissen in wie fern er sich fremder Vorschläge bedienen kann. Der Phaethon ist gar nicht übel gemacht und das alte Mährchen des ewig unbefriedigten Strebens der edlen Menschheit, nach dem Urquell ihres allerliebsten Daseins, noch so ganz leidlich aufgestutzt. Den Prometheus hat Meyer nicht auslesen können, welches denn doch ein übles Zeichen ist.

Die Exemplare des Almanachs die Sie mir bestimmen, haben Sie die Güte mir aufzuheben; denn wahrscheinlich werden Sie der regierenden Herzogin eins in Ihrem eignen Namen zusenden. Mich verlangt recht dieses Werkchen beisammen zu sehen.

Aus meinen frühern Briefen werden Sie gesehen haben daß es mir in Stuttgart ganz wohl und behaglich war. Ihrer ist viel und von vielen und immer aufs beste gedacht worden. Für uns beide, glaub' ich, war es ein Vortheil, daß wir später und gebildeter zusammentrafen.

Sagen Sie mir doch in dem nächsten Briefe wie Sie sich auf künftigen Winter einzurichten gedenken? ob Ihr Plan auf den Garten, das Griesbachische Haus, oder Weimar gerichtet ist. Ich wünsche Ihnen die behaglichste Stelle, damit Sie nicht bei Ihren andern Uebeln auch noch mit der Witterung zu kämpfen haben.

Wenn Sie mir nach Empfang dieses Briefes sogleich schreiben, so haben Sie die Güte den Brief unmittelbar nach Zürich, mit dem bloßen Beisatz bei Herrn Rittmeister Ott zum Schwert zu adressiren. Ich kann rechnen, daß gegenwärtiges acht Tage läuft, daß eine Antwort ohngefähr eben so lange gehen kann, und ich werde ohngefähr in der Hälfte Octobers von meiner Bergreise in Zürich anlangen.

Für die Nachricht, daß mein Kleiner wieder hergestellt ist, danke ich Ihnen um so mehr als ich keine directe Nachricht schon seit einiger Zeit erhalten habe, und die Briefe aus meinem Hause irgendwo stocken müssen. Diese Sorge allein hat mir manchmal einen trüben Augenblick gemacht, indem sich sonst alles gut und glücklich schickte.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und erfreuen Sie sich der letzten schönen Herbsttage mit den Ihrigen, indeß ich meine Wanderung in die hohen Gebürge anstelle. Meine Correspondenz wird nun eine kleine Pause machen, bis ich wieder hier angelangt bin.

G.

Bald hätte ich vergessen Ihnen zu sagen daß der Vers: es wallet und siedet und brauset und zischt &c. sich bei dem Rheinfall trefflich legitimirt hat; es war mir sehr merkwürdig wie er die Hauptmomente der ungeheuer Erscheinung in sich begreift. Ich habe auf der Stelle das Phänomen in seinen Theilen und im ganzen wie es sich darstellt zu fassen gesucht und die Betrachtungen, die man dabei macht, sowie die Ideen die es erregt abgesondert bemerkt. Sie werden dereinst sehen, wie sich jene wenigen dichterischen Zeilen gleichsam wie ein Faden durch dieses Labyrinth durchschlingen.

So eben erhalte ich die Bogen I. K. des Almanachs durch Cotta und hoffe nun auf meiner Rückkunft aus den Bergen und Seen wieder Briefe von Ihnen zu finden. Leben Sie recht wohl. Meyer wird selbst ein paar Worte schreiben. Ich habe die größte Freude daß er so wohl und heiter ist; möge ich doch auch dasselbe von Ihnen erfahren!

Herrliche Stoffe zu Idyllen und Elegien, und wie die verwandten Dichtarten alle heißen mögen, habe ich schon wieder aufgefunden, auch einiges schon wirklich gemacht, so wie ich überhaupt noch niemals mit solcher Bequemlichkeit die fremden Gegenstände aufgefaßt und zugleich wieder etwas producirt habe. Leben Sie recht wohl und lassen Sie uns theoretisch und praktisch immer so fortfahren.

Stäfa, den 26. September gegen Abend.

Ich hatte meinen Brief eben mit einem kleinen Nachtrag geschlossen, als Graf Burgstall uns besuchte, der mit seiner jungen Frauen, einer Schottländerin, die er nicht lange geheirathet hat, aus England über Frankreich und die Schweiz nach Hause zurückkehrt. Er läßt Ihnen das schönste und beste sagen und nimmt einen recht wahren Antheil an dem was Sie sind und thun. Mir hat sein Besuch viel Freude gemacht, da seine frühere Tendenz zur neuern Philosophie, sein Verhältniß zu Kant und Reinhold, seine Neigung zu Ihnen, auch seine frühere Bekanntschaft mit mir gleich eine breite Unterhaltung eröffneten. Er brachte sehr artige Späße aus England und Frankreich mit, war gerade den 18. Fructidor in Paris gewesen und hatte also manche ernste und komische Scene mit erlebt. Er grüßt Sie aufs allerbeste und ich will nur schließen, damit die Briefe mit dem Schiffer, der unsern Postboten macht, noch fortkommen. Haben Sie etwa Gelegenheit Wielanden von Graf Burgstall zu grüßen so thun Sie es doch.

G.

Kurze Nachricht von meiner Reise von Tübingen nach Stäfa.

Den 16ten September fuhr ich von Tübingen, über Hechingen, Balingen und Wellendingen nach Tuttlingen. Die Tagereise ist groß, ich machte sie von 4 Uhr des Morgens bis halb 9 Uhr des Abends. Anfangs giebt es noch fürs Auge angenehme Gegenden, zuletzt aber, wenn man immer höher in der Neckarregion hinaufsteigt, wird das Land kahler und weniger fruchtbar; erst in der Nacht kam ich in das Thal oder die Schlucht, die zur Donau hinunter führt; der Tag war trüb, doch zum Reisen sehr angenehm.

Den 17ten von Tuttlingen auf Schaffhausen. Bei dem schönsten Wetter, fast durchgängig, die interessanteste Gegend. Ich fuhr von Tuttlingen um 7 Uhr, bei starkem Nebel aus, aber auf der Höhe fanden wir bald den reinsten Himmel, und der Nebel lag horizontal im ganzen Donauthal. Indem man die Höhe befährt, welche die Rhein- und Donauregion trennt, hat man eine bedeutende Aussicht, sowohl rück- als seitwärts, indem man das Donauthal bis Donaueschingen und weiter überschaut. Besonders aber ist vorwärts der Anblick herrlich; man sieht den Bodensee und die Graubündner Gebürge in der Ferne, näher Hohentwiel und einige andere charakteristische Basaltfelsen. Man fährt durch waldige Hügel und Thäler bis Engen, von wo sich südwärts eine schöne und fruchtbare Fläche öffnet, darauf kommt man Hohentwiel und die andern Berge, die man erst von Ferne sah, vorbei und gelangt endlich in das wohlgebaute und reinliche Schweizerland. Vor Schaffhausen wird alles zum Garten. Ich kam Abends bei schönem Sonnenschein daselbst an.

Den 18ten widmete ich ganz dem Rheinfall, fuhr früh nach Laufen und stieg von dort hinunter, um sogleich der ungeheuern Ueberraschung zu genießen. Ich beobachtete die gewaltsame Erscheinung, indeß die Gipfel der Berge und Hügel vom Nebel bedeckt waren, mit dem der Staub und Dampf des Falles sich vermischte. Die Sonne kam hervor und verherrlichte das Schauspiel, zeigte einen Theil des Regenbogens und ließ mich das ganze Naturphänomen in seinem vollen Glanze sehen. Ich setzte nach dem Schlößchen Wörth hinüber und betrachtete nun das ganze Bild von vorn und von weitem, dann kehrte ich zurück und fuhr von Laufen nach der Stadt. Abends fuhr ich an dem rechten Ufer wieder hinaus und genoß von allen Seiten bei untergehender Sonne, diese herrliche Erscheinung noch einmal.

Den 19ten fuhr ich, bei sehr schönem Wetter, über Eglisau nach Zürich, die große Kette der Schweizergebürge immer vor mir, durch eine angenehme, abwechselnde und mit Sorgfalt cultivirte Gegend.

Den 20sten einen sehr heitern Vormittag brachte ich auf den Züricher Spaziergängen zu. Nachmittags veränderte sich das Wetter, Professor Meyer kam, und weil es regnete und stürmte, blieben wir die Nacht in Zürich.

Den 21sten fuhren wir zu Schiffe, bei heiterm Wetter, den See hinaufwärts, wurden von Herrn Escher zu Mittag, auf seinem Gute bei Herrliberg, am See, sehr freundlich, bewirthet, und gelangten Abends nach Stäfa.

Den 22sten, einen trüben Tag, brachten wir mit Betrachtung der von Herrn Meyer verfertigten und angeschafften Kunstwerke zu, so wie wir nicht unterließen uns unsere Beobachtungen und Erfahrungen aufs neue mitzutheilen. Abends machten wir noch einen großen Spaziergang den Ort hinaufwärts, welcher von der schönsten und höchsten Cultur einen reizenden und idealen Begriff giebt. Die Gebäude stehen weit auseinander, Weinberge, Felder, Gärten, Obstanlagen breiten sich zwischen ihnen aus und so erstreckt sich der Ort wohl eine Stunde am See hin, und eine halbe bis nach dem Hügel ostwärts, dessen ganze Seite die Cultur auch schon erobert hat. Nun bereiten wir uns zu einer kleinen Reise vor, die wir nach Einsiedel, Schwytz und die Gegenden um den Vierwaldstädter See vorzunehmen gedenken.


364. An Goethe

Jena den 2. October 1797.

Endlich erhalten Sie den Almanach vollendet, bis auf die Musik, welche nachkommt. Ich erwarte in Ihrem nächsten Brief zu erfahren, an wen ich die übrigen Exemplarien, die für Sie bestimmt sind, abgeben soll. Oberons goldne Hochzeit finden Sie nicht in der Sammlung, aus zwei Gründen ließ ich sie weg. Erstlich dachte ich würde es gut sein, wenn wir aus diesem Almanach schlechterdings alle Stacheln wegließen und eine recht fromme Miene machten, und dann wollte ich nicht, daß die goldne Hochzeit, die noch so vielen Stoff zu einer größern Ausführung giebt, mit so wenig Strophen abgethan würde. Wir besitzen in ihr einen Schatz für das nächste Jahr, der sich noch sehr weit ausspinnen läßt.

Von dem Verfasser der Elegien, die Ihnen nicht übel gefallen werden, kann Ihnen wahrscheinlich Meyer selbst mehrere Auskunft geben. Sein Name ist Keller; er ist ein Schweizer, aus Zürich wie ich glaube, und hält sich als Künstler in Rom auf. Mir sind diese Elegien von einem Herrn Horner aus Zürich zugesendet worden. Vielleicht haben Sie letztern indeß schon selbst kennen lernen, er hat auch schon etwas zu den Horen gegeben.

Jetzt, da ich den Almanach hinter mir habe, kann ich mich endlich wieder zu dem Wallenstein wenden. Indem ich die fertig gemachten Scenen wieder ansehe, bin ich im Ganzen zwar wohl mit mir zufrieden, nur glaube ich einige Trockenheit darin zu finden, die ich mir aber ganz wohl erklären und auch wegzuräumen hoffen kann. Sie entstand aus einer gewissen Furcht, in meine ehemalige rhetorische Manier zu fallen, und aus einem zu ängstlichen Bestreben, dem Objecte recht nahe zu bleiben. Nun ist aber das Object schon an sich selbst etwas trocken, und bedarf mehr als irgend eines der poetischen Liberalität; es ist daher hier nöthiger als irgendwo, wenn beide Abwege, das Prosaische und das Rhetorische, gleich sorgfältig vermieden werden sollen, eine recht reine poetische Stimmung zu erwarten.

Ich sehe zwar noch eine ungeheure Arbeit vor mir, aber soviel weiß ich, daß es keine faux frais sein werden; denn das Ganze ist poetisch organisirt und ich darf wohl sagen, der Stoff ist in eine reine tragische Fabel verwandelt. Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles was zur Vollständigkeit derselben gehört, natürlich, ja in gewissem Sinn nothwendig darin liegt, daraus hervorgeht. Es bleibt nichts blindes darin, nach allen Seiten ist es geöffnet. Zugleich gelang es mir, die Handlung gleich vom Anfang in eine solche Präcipitation und Neigung zu bringen, daß sie in stetiger und beschleunigter Bewegung zu ihrem Ende eilt. Da der Hauptcharakter eigentlich retardirend ist, so thun die Umstände eigentlich alles zur Krise und dieß wird, wie ich denke, den tragischen Eindruck sehr erhöhen.

Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vortheile verschaffte. Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen sein möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.

Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so complicirt und von Umständen abhängig waren. Wie begünstigt das nicht den Poeten!

Aber ich fürchte, der Oedipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Species davon; am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Das Orakel hat einen Antheil an der Tragödie, der schlechterdings durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt furchtbar ist.

Ich habe lange nichts von Ihnen gehört, und sehe dem nächsten Brief mit Ungeduld entgegen. Vielleicht erfahre ich daraus auch etwas näheres über Ihre Reise und Ihren künftigen Aufenthalt. Von Humboldts habe ich indessen nichts mehr gehört, doch finde ich es nicht unwahrscheinlich, daß sie sich noch nach der Schweiz wenden werden.

Wie steht es um Ihre Entwicklung antiker Bildhauerwerke, davon der Laokoon der Anfang ist? Ich habe diesen neuerdings wieder mit der höchsten Befriedigung gelesen und kann gar nicht genug sagen, auf wie viele bedeutende fruchtbare Ideen, die Organisation ästhetischer Werke betreffend, er leitet. Hermann und Dorothea rumorieren schon im Stillen; auch Körner schreibt mir daß er das Ganze gelesen, und findet, daß es in Eine Klasse mit dem besten gehöre, was Sie geschrieben. Dank's ihm der T—!

Leben Sie recht wohl, theurer Freund! Meine Frau grüßt Sie aufs beste. Meyern viele Grüße.

Sch.

Die schönen Exemplare des Almanachs sind noch nicht fertig. Einstweilen schick' ich ein gewöhnliches.


365. An Goethe

Jena den 6. October 1797.

Herzlich willkommen war mir Ihr und Meyers Brief, den ich vor wenigen Stunden erhalten. Ich eile ihn, wenn nur mit ein paar Zeilen zu beantworten, um Sie bei Ihrer Rückkehr aus den Gebirgen freundlich zu begrüßen. Wir haben uns recht ungeduldig nach Nachrichten von Ihnen gesehnt, und doppelt erfreulich ist mir also Ihr heutiger Brief, der mir zu Ihrer baldigen Rückkehr Hoffnung macht. Wirklich sähe ich dem herannahenden Winter schon mit einer heimlichen Furcht entgegen, der mir nun so heiter zu werden verspricht. Mit meinem Befinden geht es nun wieder ordentlich, mein kleiner Ernst aber ist sehr hart vom Zahnen angegriffen und macht uns viele Sorge. Wir werden mit dem Abschied der guten Witterung in unsre alte Wohnung in der Stadt ziehen, und es kann sich recht wohl schicken, daß wir eine Zeitlang in Weimar leben. Alles kommt darauf an, daß ich im Wallenstein nur erst recht fest sitze, alsdann schadet mir keine Veränderung der Existenz, die mich sonst, bei meiner Unterwerfung unter die Gewohnheit, so leicht zerstreut.

Es freut mich nicht wenig, daß nach Ihrer Beobachtung meine Beschreibung des Strudels mit dem Phänomen übereinstimmt. Ich habe diese Natur nirgends als etwa bei einer Mühle studiren können, aber weil ich Homers Beschreibung von der Charybde genau studirte, so hat mich dieses vielleicht bei der Natur erhalten. Vielleicht führt Ihre Reise Sie auch an einem Eisenhammer vorbei, und Sie können mir sagen, ob ich dieses kleinere Phänomen richtig dargestellt habe.

Der Almanach ist nun, wie ich hoffe, in Ihren Händen, und Sie werden ihm nun die Nativität stellen können. Es ist mir tröstlich, daß Sie den Phaethon passiren lassen, der mir bei seinem großen Volumen schon bange machte. Unter Schlegels Beiträgen sind die Stanzen über Romeo und Julie recht hübsch, und er hat sich darin, nach meiner Meinung, wirklich selbst übertroffen. Auch die Entführten Götter haben viel Gutes. Meyer findet noch vieles artige von seiner dichterischen Freundin.

Ich sende heute den ersten Transport des Almanachs nach Leipzig und bin nicht wenig neugierig nach dem Absatz – Es mag wohl wahr sein, daß uns die wenigsten Leser die Enthaltung von Xenialischen Dingen danken: denn wer auch selbst getroffen war, freute sich doch auch, daß des Nachbars Haus brannte.

Ich muß schließen, denn die Postzeit ist da. Bemerken Sie doch in Ihrem nächsten Briefe, ob ich fortfahren kann, die Briefe über Tübingen durch Cotta gehen zu lassen. Herzlich begrüßen wir Sie und Meyern, dem ich für seinen lieben Brief schönstens danke, wie auch meine Frau. Leben Sie recht wohl.

Sch.


366. An Schiller.

Stäfa am 14. October 1797.

An einem sehr regnichten Morgen bleibe ich, werther Freund, in meinem Bette liegen, um mich mit Ihnen zu unterhalten und Ihnen Nachricht von unserm Zustande zu geben, damit Sie, wie bisher, uns mit Ihrem Geiste begleiten, und uns von Zeit zu Zeit mit Ihren Briefen erfreuen mögen.

Kaum hatte ich mich in Zürich mit dem guten Meyer zusammen gefunden, kaum waren wir zusammen hier angelangt, kaum hatte ich mich an seinen mitgebrachten Arbeiten, an der angenehmen Gegend und ihrer Cultur erfreut, als die nahen Gebirge mir eine gewisse Unruhe gaben, und das schöne Wetter den Wunsch unterhielt mich ihnen zu nähern, ja sie zu besteigen. Der Instinct, der mich dazu trieb, war sehr zusammengesetzt und undeutlich; ich erinnerte mich des Effects den diese Gegenstände vor zwanzig Jahren auf mich gemacht, der Eindruck war im ganzen geblieben, die Theile waren verloschen und ich fühlte ein wundersames Verlangen jene Erfahrungen zu wiederholen und zu rectificiren. Ich war ein anderer Mensch geworden und also mußten mir die Gegenstände auch anders erscheinen. Meyers Wohlbefinden und die Ueberzeugung daß kleine gemeinschaftliche Abenteuer, so wie sie neue Bekanntschaften schneller knüpfen, auch den alten günstig sind, wenn sie nach einigem Zwischenraum wieder erneut werden sollen, entschieden uns völlig, und wir reisten mit dem besten Wetter ab, das uns auch auf das vortheilhafteste elf Tage begleitete. In der Beilage bezeichne ich wenigstens den Weg den wir gemacht haben, ein vollständiges, obgleich aphoristisches Tagebuch theile ich in der Folge mit, indessen wird Ihre liebe Frau, die einen Theil der Gegenden kennt, vielleicht eins und das andere aus der Erinnerung hinzufügen.

Bei unserer Zurückkunft fand ich Ihre beiden lieben Briefe, mit den Beilagen, die sich unmittelbar an die Unterhaltung anschlossen welche wir auf dem Wege sehr eifrig geführt hatten, indem die Materie von den vorzustellenden Gegenständen, von der Behandlung derselben durch die verschiedenen Künste oft von uns, in ruhigen Stunden, vorgenommen worden. Vielleicht zeigt Ihnen eine kleine Abhandlung bald, daß wir völlig Ihrer Meinung sind, am meisten aber wird mich's freuen, wenn Sie Meyers Beschreibungen und Beurtheilungen so vieler Kunstwerke hören und lesen. Man erfährt wieder bei dieser Gelegenheit daß eine vollständige Erfahrung die Theorie in sich enthalten muß. Um desto sichrer sind wir daß wir uns in einer Mitte begegnen, da wir von so vielen Seiten auf die Sache losgehen.

Wenn ich Ihnen nun von meinem Zustande sprechen soll, so kann ich sagen daß ich bisher mit meiner Reise alle Ursache habe zufrieden zu sein. Bei der Leichtigkeit die Gegenstände aufzunehmen, bin ich reich geworden ohne beladen zu sein, der Stoff incommodirt mich nicht, weil ich ihn gleich zu ordnen oder zu verarbeiten weiß, und ich fühle mehr Freiheit als jemals mannigfaltige Formen zu wählen um das Verarbeitete für mich oder andere darzustellen. Von den unfruchtbaren Gipfeln des Gotthardts bis zu den herrlichen Kunstwerken, welche Meyer mitgebracht hat, führt uns ein labyrinthischer Spazierweg durch eine verwickelte Reihe von interessanten Gegenständen, welche dieses sonderbare Land enthält. Sich durchs unmittelbare Anschauen die naturhistorischen, geographischen, ökonomischen und politischen Verhältnisse zu vergegenwärtigen, und sich dann durch eine alte Chronik die vergangnen Zeiten näher zu bringen, auch sonst manchen Aufsatz der arbeitsamen Schweizer zu nutzen, giebt, besonders bei der Umschriebenheit der helvetischen Existenz, eine sehr angenehme Unterhaltung, und die Uebersicht sowohl des Ganzen als die Einsicht ins Einzelne wird besonders dadurch sehr beschleunigt daß Meyer hier zu Hause ist, mit seinem richtigen und scharfen Blick schon so lange die Verhältnisse kennt und sie in einem treuen Gedächtnisse bewahrt. So haben wir in kurzer Zeit mehr zusammengebracht als ich mir vorstellen konnte, und es ist nur Schade, daß wir um einen Monat dem Winter zu nahe sind; noch eine Tour von vier Wochen müßte uns mit diesem sonderbaren Lande sehr weit bekannt machen.

Was werden Sie nun aber sagen wenn ich Ihnen vertraue daß, zwischen allen diesen prosaischen Stoffen, sich auch ein poetischer hervorgethan hat, der mir viel Zutrauen einflößt. Ich bin fast überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabei, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten daß das Mährchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte, anstatt daß man sonst um etwas zu leisten die Geschichte zur Fabel machen muß. Doch darüber künftig mehr. Das beschränkte höchst bedeutende Local, worauf die Begebenheit spielt, habe ich mir wieder recht genau vergegenwärtigt, so wie ich die Charaktere, Sitten und Gebräuche der Menschen in diesen Gegenden, so gut als in der kurzen Zeit möglich beobachtet habe, und es kommt nun auf gut Glück an ob aus diesem Unternehmen etwas werden kann.

Nun aber entsteht eine Frage, die uns doch von Zeit zu Zeit zweifelhaft ist: wo wir uns hinwenden sollen? um sowohl Meyers Collectaneen als meinen eignen alten und neuen Vorrath aufs bequemste und baldigste zu verarbeiten. Leider sind hier am Orte die Quartiere nicht auf den Winter eingerichtet, sonst leugne ich nicht daß ich recht geneigt gewesen wäre hier zu bleiben, da uns denn die völlige Einsamkeit nicht wenig gefördert haben würde. Dazu kommt daß es der geschickteste Platz gewesen wäre um abzuwarten, ob Italien oder Frankreich aufs künftige Frühjahr den Reisenden wieder anlockt oder einläßt. In Zürich selbst kann ich mir keine Existenz denken und wir werden uns wohl nunmehr sachte wieder nach Frankfurt begeben.

Ueberhaupt aber bin ich auf einer Idee zu deren Ausführung mir nur noch ein wenig Gewohnheit mangelt; es würde nämlich nicht schwer werden sich so einzurichten daß man auf der Reise selbst mit Sammlung und Zufriedenheit arbeiten könnte. Denn wenn sie zu gewissen Zeiten zerstreut, so führt sie uns zu andern desto schneller auf uns selbst zurück; der Mangel an äußern Verhältnissen und Verbindungen, ja die lange Weile, ist demjenigen günstig der manches zu verarbeiten hat. Die Reise gleicht einem Spiel; es ist immer Gewinn und Verlust dabei, und meist von der unerwarteten Seite; man empfängt mehr oder weniger als man hofft, man kann ungestraft eine Weile hinschlendern, und dann ist man wieder genöthigt sich einen Augenblick zusammenzunehmen. Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar, sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet.

Ich bin auch jetzt überzeugt daß man recht gut nach Italien gehen könnte, denn alles setzt sich in der Welt nach einem Erdbeben, Brand und Ueberschwemmung so geschwind als möglich in seine alte Lage, und ich würde persönlich die Reise ohne Bedenken unternehmen, wenn mich nicht andere Betrachtungen abhielten. Vielleicht sehen wir uns also sehr bald wieder, und die Hoffnung mit Ihnen das erbeutete zu theilen und zu einer immer größern theoretischen und praktischen Vereinigung zu gelangen, ist eine der schönsten, die mich nach Hause lockt. Wir wollen sehen was wir noch alles unterweges mitnehmen können. So hat Basel wegen der Nähe von Frankreich einen besondern Reiz für mich; auch sind schöne Kunstwerke sowohl ältere als ausgewanderte daselbst befindlich.

Den Schluß des Almanachs hoffe ich noch in Zürich zu erhalten, Cotta ist in seinen Speditionen sehr regelmäßig.

Den Ibykus finde ich sehr gut gerathen und beim Schlusse wüßte ich nun auch nichts mehr zu erinnern. Es verlangt mich nun sehr, das Ganze zu übersehen. Da meine artige Müllerin eine gute Aufnahme gefunden, so schicke ich noch ein Lied das wir ihren Reizen verdanken. Es wird recht gut sein wenn der nächste Almanach reich an Liedern wird, und die Glocke muß nur um desto besser klingen als das Erz länger in Fluß erhalten und von allen Schlacken gereinigt ist.

G.

Stäfa am 17. October 1797.

Noch habe ich nicht Zeit noch Stimmung finden können aus meinem größern Tagebuch einen Auszug zu machen, um Sie von unserer Bergreise näher zu unterrichten; ich sage also hier nur noch kürzlich: daß wir von Richterswyl auf Einsiedeln und von da auf Schwytz und Brunnen gingen; von da fuhren wir auf dem See bis Flüelen, gingen von da nach Altdorf und bestiegen den Gotthardt und kamen wieder zurück. In Flüelen setzten wir uns abermals ein und fuhren bis Beckenrieth, im Kanton Unterwalden, gingen zu Fuß auf Stanz und Stanz-Stade, von da schifften wir über auf Küßnacht, gingen auf Immisee, schifften auf Zug, wanderten auf Horgen und schifften wieder nach Stäfa herüber.

Auf dieser kurzen Reise haben wir die mannigfaltigsten Gegenstände gesehen und die verschiedensten Jahrszeiten angetroffen, wovon künftig ein mehreres.

Ueber die berühmte Materie der Gegenstände der bildenden Kunst ist ein kleiner Aufsatz schematisirt und einigermaßen ausgeführt; Sie werden die Stellen Ihres Briefes als Noten dabei finden. Wir sind jetzt an den Motiven als dem zweiten nach dem gegebenen Sujet: denn nur durch Motive kommt es zur inneren Organisation; alsdann werden wir zur Anordnung übergehen, und so weiter fortfahren. Wir werden uns blos an der bildenden Kunst halten und sind neugierig, wie sie mit der Poesie, die wir Ihnen hiermit nochmals bestens empfohlen haben wollen, zusammentreffen wird.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie die Nächsten. Wenn Sie mir auf diesen Brief ein Wort sagen mögen, so schicken Sie es nur an Cotta. Seit gestern klingen die Nachrichten vom Rhein sehr kriegerisch und am Ende werden wir uns hinten herum durch Schwaben und Franken nach Hause schleichen müssen. Nochmals das beste Lebewohl.

Meyer grüßt schönstens. So eben kommt die Aldobrandinische Hochzeit, die wir lange von Rom erwarten, über Triest, Villach und Constanz an. Nun sind alle unsre Schätze beisammen und wir können nun, auch von dieser Seite beruhigt und erfreut, unsern Weg antreten.

G.

Uri den 1. October 1797.

War doch gestern dein Haupt noch so braun wie die Locke der Lieben,
Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt;
Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel,
Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel ergoß.
Jugend, ach! ist dem Alter so nah, durchs Leben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband.

Der Junggesell und der Mühlbach.

Nach dem Altdeutschen.

Gesell.
Wo willst du klares Bächlein hin,
So munter?
Du eilst, mit frohem leichten Sinn,
Hinunter.
Was suchst du eilig in dem Thal?
So höre doch und sprich einmal!

Bach.
Ich war ein Bächlein, Junggesell;
Sie haben
Mich so gefaßt damit ich schnell,
Im Graben,
Zur Mühle dort hinunter soll,
Und immer bin ich rasch und voll.

Gesell.
Du eilest mit gelaßnem Muth,
Zur Mühle,
Und weißt nicht was ich junges Blut
Hier fühle.
Es blickt die schöne Müllerin
Wohl freundlich manchmal nach dir hin?

Bach.
Sie öffnet früh, beim Morgenlicht,
Den Laden,
Und kommt ihr liebes Angesicht
Zu baden.
Ihr Busen ist so voll und weiß,
Es wird mir gleich zum Dampfen heiß.

Gesell.
Kann sie im Wasser Liebesglut
Entzünden,
Wie soll man Ruh mit Fleisch und Blut
Wohl finden?
Wenn man sie einmal nur gesehn,
Ach immer muß man nach ihr gehn.

Bach.
Dann stürz' ich auf die Räder mich
Mit Brausen,
Und alle Schaufeln drehen sich
Im Sausen.
Seitdem das schöne Mädchen schafft,
Hat auch das Wasser beßre Kraft.

Gesell.
Du Armer, fühlst du nicht den Schmerz
Wie andre?
Sie lacht dich an und sagt im Scherz:
Nun wandre!
Sie hielte dich wohl selbst zurück
Mit einem süßen Liebesblick?

Bach.
Mir wird so schwer, so schwer vom Ort
Zu fließen,
Ich krümme mich nur sachte fort
Durch Wiesen;
Und käm' es erst auf mich nur an,
Der Weg war' bald zurück gethan.

Gesell.
Geselle meiner Liebesqual,
Ich scheide,
Du murmelst mir vielleicht einmal
Zur Freude.
Geh, sag ihr gleich und sag ihr oft,
Was still der Knabe wünscht und hofft.


367. An Goethe.

Jena den 20. October 1797.

Vor einigen Tagen überschickte uns Böttiger zwei schöne Exemplare Ihres Hermanns, womit wir sehr erfreuet wurden. Er ist also nunmehr in der Welt und wir wollen hören, wie sich die Stimme eines Homerischen Rhapsoden in dieser neuen politisch-rhetorischen Welt ausnehmen wird. Ich habe das Gedicht nun wieder mit dem alten ungeschwächten Eindruck und mit neuer Bewegung gelesen; es ist schlechterdings vollkommen in seiner Gattung, es ist pathetisch mächtig und doch reizend in höchstem Grade, kurz es ist schön was man sagen kann.

Auch den Meister habe ich ganz kürzlich wieder gelesen, und es ist mir noch nie so auffallend gewesen, was die äußere Form doch bedeutet. Die Form des Meisters, wie überhaupt jede Romanform, ist schlechterdings nicht poetisch, sie liegt ganz nur im Gebiete des Verstandes, steht unter allen seinen Forderungen und participirt auch von allen seinen Grenzen. Weil es aber ein ächt poetischer Geist ist, der sich dieser Form bediente, und in dieser Form die poetischsten Zustände ausdrückte, so entsteht ein sonderbares Schwanken zwischen einer prosaischen und poetischen Stimmung, für das ich keinen rechten Namen weiß. Ich möchte sagen: es fehlt dem Meister (dem Roman nämlich) an einer gewissen poetischen Kühnheit, weil er, als Roman, es dem Verstande immer recht machen will – und es fehlt ihm wieder an einer eigentlichen Nüchternheit (wofür er doch gewissermaßen die Forderung rege macht), weil er aus einem poetischen Geiste geflossen ist. Buchstabiren Sie das zusammen wie Sie können, ich theile Ihnen bloß meine Empfindung mit.

Da Sie auf einem solchen Punkte stehen, wo Sie das Höchste von sich fordern müssen und objectives mit subjectivem absolut in Eins zerfließen muß, so ist es durchaus nöthig dafür zu sorgen, daß dasjenige was Ihr Geist in Ein Werk legen kann, immer auch die reinste Form ergreife, und nichts davon in einem unreinen Medium verloren gehe. Wer fühlt nicht alles das im Meister, was den Hermann so bezaubernd macht! Jenem fehlt nichts, gar nichts von Ihrem Geiste, er ergreift das Herz mit allen Kräften der Dichtkunst und gewährt einen immer sich erneuenden Genuß, und doch führt mich der Hermann (und zwar bloß durch seine rein poetische Form) in eine göttliche Dichterwelt, da mich der Meister aus der wirklichen Welt nicht ganz herausläßt.

Da ich doch einmal im Kritisiren bin, so will ich noch eine Bemerkung machen, die mir bei dem neuen Lesen sich aufdrang. Es ist offenbar zu viel von der Tragödie im Meister; ich meine das Ahnungsvolle, das Unbegreifliche, das subjectiv Wunderbare, welches zwar mit der poetischen Tiefe und Dunkelheit, aber nicht mit der Klarheit sich verträgt, die im Roman herrschen muß und in diesem auch so vorzüglich herrscht. Es incommodirt, auf diese Grundlosigkeiten zu gerathen, da man überall festen Boden unter sich zu fühlen glaubt, und weil sich sonst alles so schön vor dem Verstand entwirret, auf solche Räthsel zu gerathen. Kurz mir däucht, Sie hätten sich hier eines Mittels bedient, zu dem der Geist des Werks Sie nicht befugte.

Uebrigens kann ich Ihnen nicht genug sagen, wie mich der Meister auch bei diesem neuen Lesen bereichert, belebt, entzückt hat – es fließt mir darin eine Quelle, wo ich für jede Kraft der Seele und für diejenige besonders, welche die vereinigte Wirkung von allen ist, Nahrung schöpfen kann.


368. An Schiller

Zürich den 25. October 1797.

Ehe ich von Zürich abgehe nur einige Worte, denn ich bin sehr zerstreut und werde es wohl noch eine Weile bleiben, denn wir gedenken auf Basel, von da auf Schaffhausen, Tübingen und so weiter zu gehen, wahrscheinlich treffe ich am letzten Orte wieder etwas von Ihnen an. Keinen Musenalmanach, keinen Hermann habe ich noch gesehen, alles das und mehreres wird mir denn wohl in Deutschland begegnen.

Wäre die Jahrszeit nicht so weit, so sähe ich mich wohl noch gern einen Monat in der Schweiz um, um mich von den Verhältnissen im ganzen zu unterrichten. Es ist wunderbar wie alte Verfassungen, die bloß auf sein und erhalten gegründet sind, sich in Zeiten ausnehmen wo alles zum werden und verändern strebt. Ich sage heute weiter nichts als ein herzliches Lebewohl. Von Tübingen hören Sie mehr von mir.


Wir hatten kaum in diesen Tagen unser Schema über die zuläßlichen Gegenstände der bildenden Kunst, mit großem Nachdenken, entworfen, als uns eine ganz besondre Erfahrung in die Quere kam. Ihnen ist die Zudringlichkeit des Sultans gegen Minerven bekannt, wodurch Erichthonius producirt wurde. Haben Sie Gelegenheit, so lesen Sie diese Fabel ja in der ältern Ausgabe des Hederichs nach, und denken dabei: daß Raphael daher Gelegenheit zu einer der angenehmsten Compositionen genommen hat. Was soll denn nun dem glücklichen Genie gerathen oder geboten sein? Leben Sie nochmals recht wohl.

G.


369. An Goethe

Jena den 30. October 1797.

Gottlob, daß ich wieder Nachricht von Ihnen habe! Diese drei Wochen, da Sie in den Gebirgen, abgeschnitten von uns, umherzogen, sind mir lang geworden. Desto mehr erfreute mich Ihr lieber Brief und alles was er enthielt – Die Idee von dem Wilhelm Tell ist sehr glücklich, und genau überlegt könnten Sie, nach dem Meister und nach dem Hermann nur einen solchen, völlig local-charakteristischen Stoff, mit der gehörigen Originalität Ihres Geistes und der Frischheit der Stimmung behandeln. Das Interesse, welches aus einer streng umschriebenen, charakteristischen Localität und einer gewissen historischen Gebundenheit entspringt, ist vielleicht das einzige, was Sie sich durch jene beiden vorhergegangenen Werke nicht weggenommen haben. Diese zwei Werke sind auch dem Stoff nach ästhetisch frei, und so gebunden auch in beiden das Local aussieht und ist, so ist es doch ein rein poetischer Boden und repräsentirt eine ganze Welt. Bei dem Tell wird ein ganz andrer Fall sein: aus der bedeutenden Enge des gegebenen Stoffes wird da alles geistreiche Leben hervorgehen. Es wird darin liegen, daß man durch die Macht des Poeten recht sehr beschränkt und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und beschäftigt wird. Zugleich öffnet sich aus diesem schönen Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschengeschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich aufthut.

Wie sehr wünschte ich, auch dieses Gedichtes wegen, bald wieder mit Ihnen vereinigt zu sein. Sie würden sich vielleicht jetzt eher gewöhnen, mit mir darüber zu sprechen, da die Einheit und Reinheit Ihres Hermanns durch Ihre Mittheilungen an mich, während der Arbeit, so gar nicht gestört worden ist. Und ich gestehe daß ich nichts auf der Welt weiß, wobei ich mehr gelernt hätte, als jene Communicationen, die mich recht ins Innere der Kunst hineinführten.

Das Lied vom Mühlbach ist wieder charmant und hat uns große Freude gemacht. Es ist eine ungemein gefällige Einkleidung, die der Einbildungskraft ein reizendes Spiel verschafft; das Silbenmaß ist auch recht glücklich dazu gewählt. Auch die Distichen sind sehr lieblich.

Humboldt hat endlich einmal, und zwar aus München geschrieben. Er geht jetzt auf Basel los, wo er sich bestimmen wird, ob die Pariser Reise vor sich gehen soll oder nicht. Sie wird er also schwerlich mehr finden, es sei denn daß Sie den Winter noch bei Zürich zubringen werden, wohin er sich wenden wird, wenn er nicht nach Paris geht. Ein großes Salzbergwerk bei Berchtoldsgaden, worin er gewesen, beschreibt er recht artig. Die Baierische Nation scheint ihm sehr zu gefallen, und einen dortigen Kriegsminister Rumford rühmt er sehr wegen seiner schönen und menschenfreundlichen Anstalten.

Wir sind jetzt wieder in der Stadt, wo wir uns sämmtlich wohlauf befinden. Ich arbeite an dem Wallenstein eifrig, wiewohl es sehr langsam geht, weil mir der viele und ungestaltbare Stoff so gar viel zu thun giebt.

Den Almanach haben Sie nun erhalten, so wie auch meinen Brief vom 2ten, 6ten und 20sten October, wie ich hoffe.

Leben Sie recht wohl mit Meyern, den wir herzlich grüßen. Möchte unser guter Genius Sie ja bald wieder zu uns führen. Meine Frau wird Ihnen selbst ein paar Zeilen schreiben. Ich las neulich den Hermann vor einer Gesellschaft von Freunden in Einem Abend vom Anfang bis zum Ende: er rührte uns wieder unbeschreiblich, und mir brachte er noch die Abende, wo Sie ihn uns vorlasen, so lebhaft zurück, daß ich doppelt bewegt war. Noch einmal: leben Sie recht wohl!

Sch.


370. An Schiller.

Tübingen den 30. October 1797.

Wir haben die Tour auf Basel aufgegeben, und sind gerade auf Tübingen gegangen. Die Jahrszeit, Wetter und Weg sind nun nicht mehr einladend, und da wir einmal nicht in der Ferne bleiben wollen, so können wir uns nun nach Hause wenden; welchen Weg wir nehmen ist noch unentschieden.

Den Almanach haben wir erst hier erhalten und uns besonders über den Eisenhammer gefreut. Sie haben kaum etwas mit so glücklichem Humor gemacht und die retardirende Messe ist von dem besten Effect. Auch ist das Geheimniß sehr lobenswürdig.

Es freut mich daß Hermann in Ihren Händen ist und daß er sich hält. Was Sie vom Meister sagen verstehe ich recht gut, es ist alles wahr und noch mehr. Gerade seine Unvollkommenheit hat mir am meisten Mühe gemacht. Eine reine Form hilft und trägt, da eine unreine überall hindert und zerrt. Er mag indessen sein was er ist, es wird mir nicht leicht wieder begegnen daß ich mich im Gegenstand und in der Form vergreife, und wir wollen abwarten was uns der Genius im Herbste des Lebens gönnen mag.

Viel Glück zum Wallenstein! Ich wünsche daß, wenn wir kommen, ein Theil schon sichtbar sein möge. Meyer grüßt bestens. Möchten wir Sie mit den Ihrigen recht gesund finden. Von der Hälfte des Wegs, von Frankfurt oder Nürnberg hören Sie noch einmal von uns.

Humboldt hat von München geschrieben und geht nach Basel. Nochmals Lebewohl und Hoffnung baldigen Wiedersehens.

G.


371. An Schiller

Wir haben zu unserer besondern Freude Knebeln hier angetroffen und werden daher etwas länger als wir gedachten verweilen. Die Stadt bietet mancherlei interessantes an, alte Kunstwerke, mechanische Arbeiten, so wie sich auch über politische Verhältnisse manche Betrachtungen machen lassen. Ich sage Ihnen daher nur ein Wort des Grußes und sende ein Gedicht. Es ist das vierte zu Ehren der schönen Müllerin. Das dritte ist noch nicht fertig: es wird den Titel haben: Verrath und die Geschichte erzählen, da der junge Mann in der Mühle übel empfangen wird. Bald habe ich das Vergnügen Sie wieder zu umarmen, und über hundert Dinge Ihre Gedanken zu erfragen. Meyer grüßt.

Nürnberg den 10. November 1797.

G.

Die ächte poetische Begeisterung des Voßischen Liedes:

»Dicht gedränget Mann und Weib
Pflegen wir mit Punsch den Leib,
Wie den Fuchs die Grube
Wärmet uns die Stube.«

hat mich äußerst erbaut.


372. An Schiller.

Die vier Karolin sende mit Dank zurück und erbitte mir dagegen meine goldene Bürgen. Auch habe ich noch durch den von Cotta mir so bald übermachten Betrag des Almanachs zu danken. Das Sprichwort: Was durch die Flöte gewonnen wird geht durch die Trommel fort, habe ich in besserm Sinne erfüllt, indem ich mir dafür ein Kunstwerk angeschafft, das auch Ihnen Freude machen und unsere gemeinschaftlichen Genüsse und Kenntnisse erhöhen und beleben soll. Meyer hat Ihnen schon etwas von unsern neusten Speculationen eröffnet und sich sehr Ihrer Theilnahme und Einwirkung gefreut. Sobald ich mich von meiner Zerstreuung erholt habe, will ich unsere Thesen aufsetzen, um alsdann darüber conferiren und ein glückliches Ganze ausbilden zu können. Ich bin überzeugt daß wir diesen Winter weit kommen werden.

Ich habe gestern zum erstenmal wieder in Ihrer Loge gesessen und wünsche Sie bald wieder darin einführen zu können. Da ich ganz als Fremder der Vorstellung zusah, so habe ich mich verwundert wie weit unsere Leute wirklich sind! Auf einem gewissen ebnen Wege der Natur und Prosa machen sie ihre Sachen über die Maße gut; aber leider im Momente wo nur eine Tinctur von Poesie eintritt, wie doch bei dem gelindesten pathetischen immer geschieht, sind sie gleich null oder falsch. Wunderlich genug schien es mir daß der Verfasser des Stücks, Ziegler, in eben dem Falle zu sein scheint; er findet recht artige komische Motive, und weil diese immer extemporan wirken, so behandelt er sie meist recht gut. Alle zarte sentimentale und pathetische Situationen aber, welche vorbereitet sein und eine Folge haben wollen, weiß er nicht zu tractiren, wenn er sie auch gefaßt hat; sie überstolpern sich und thun keinen Effect, ob sie gleich nicht unglücklich angelegt sind. Ich verspreche mir von Ihrer Gegenwart recht viel Gutes fürs Theater und für Sie selbst. Ich hoffe bis zu Ihrer Ankunft auch wieder völlig in meiner Lage zu sein.

Für die bisher übersendeten Horen danke zum schönsten und bitte nun auch um einige Exemplare des Almanachs. Beiliegender Brief ist wieder ein ächtes Zeichen bornirter Deutschheit. Die Räthsel-Geschichte ist nun schon mehrere Jahre vorbei und klingt immer noch nach. Welch ein glückliches National-Apperçü war nicht der Reichsanzeiger!

Leben Sie recht wohl. Unsere Schätze werden nun nach und nach ausgepackt und schon sind zur Aufstellung Anstalten gemacht. Bis Sie kommen, wird alles in der schönsten Ordnung sein.

Weimar am 22. November 1797.

G.


373. Goethe

Jena den 22. November 1797.

Noch einmal wünsche ich Glück zur frohen Ankunft. Wie angenehm ist mir's, wieder so leicht und schnell mit Ihnen communiciren zu können. Was Sie an Sachen und an Ideen mitgebracht, verspricht mir einen unterhaltungsreichen unterrichtenden Winter, und doppelt froh bin ich, daß ich einen Theil desselben in Ihrer Nähe zubringen kann. Fürs Theater wollen wir ja etwas zu wirken suchen, wenn auch niemand als wir selbst bei dem Versuche was lernen sollte. Haben Sie Einsiedels Schriftstellerei darüber schon zu Gesicht bekommen? Hier ist doch Ein Mensch wenigstens mehr, der etwas darüber auszusprechen sucht, und in einem gewissen Kreise ein Interesse daran nähren wird.

Hier die Garvischen Briefe, die Ihnen auf eine andre, doch verwandte Art, als der Brief des Räthselmannes, die Deutsche Natur vergegenwärtigen werden.

Das Geld nebst den Almanachen wird das Botenmädchen übermorgen mitnehmen. Hätte ich gewußt, daß Sie das Gold wieder einlösen wollten, so hätte ich es gar nicht angenommen.

Leben Sie recht wohl für heute. Auf den Freitag mehr. Meyern grüße ich.

Sch.


374. An Goethe

Jena den 24. November 1797.

Ich habe noch nie so augenscheinlich mich überzeugt, als bei meinem jetzigen Geschäft, wie genau in der Poesie Stoff und Form, selbst äußere, zusammenhängen. Seitdem ich meine prosaische Sprache in eine poetisch-rhythmische verwandle, befinde ich mich unter einer ganz andern Gerichtsbarkeit als vorher; selbst viele Motive, die in der prosaischen Ausführung recht gut am Platz zu stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen; sie waren bloß gut für den gewöhnlichen Hausverstand, dessen Organ die Prosa zu sein scheint; aber der Vers fordert schlechterdings Beziehungen auf die Einbildungskraft, und so mußte ich auch in mehreren meiner Motive poetischer werden. Man sollte wirklich alles, was sich über das gemeine erheben muß, in Versen, wenigstens anfänglich, concipiren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird.

Bei meinen gegenwärtigen Arbeiten hat sich mir eine Bemerkung angeboten, die Sie vielleicht auch schon gemacht haben. Es scheint, daß ein Theil des poetischen Interesse in dem Antagonism zwischen dem Inhalt und der Darstellung liegt: ist der Inhalt sehr poetisch-bedeutend, so kann eine magre Darstellung und eine bis zum gemeinen gehende Einfalt des Ausdrucks ihm recht wohl anstehen, da im Gegentheil ein unpoetischer gemeiner Inhalt, wie er in einem größern Ganzen oft nöthig wird, durch den belebten und reichen Ausdruck poetische Dignität erhält. Dieß ist auch meines Erachtens der Fall, wo der Schmuck, den Aristoteles fordert, eintreten muß, denn in einem poetischen Werte soll nichts gemeines sein.

Der Rhythmus leistet bei einer dramatischen Production noch dieses große und bedeutende, daß er, indem er alle Charaktere und alle Situationen nach Einem Gesetz behandelt, und sie, trotz ihres innern Unterschiedes, in Einer Form ausführt, er dadurch den Dichter und seinen Leser nöthiget, von allem noch so charakteristisch-verschiedenem etwas allgemeines, rein menschliches zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbegriff, des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter Seinem Gesetze begreift. Er bildet auf diese Weise die Atmosphäre für die poetische Schöpfung, das gröbere bleibt zurück, nur das geistige kann von diesem dünnen Elemente getragen werden.

Sie erhalten hier acht Almanache. Eigentlich waren Ihnen sechs auf Velin zugedacht, aber durch eine Confusion bei der Besorgung geschah es, daß mein Vorrath von schönen Exemplaren alle war, eh ich's wußte. Ich sende dafür zwei Exemplare mehr, und das ist Ihnen vielleicht lieber. Die Herzogin hat eins von mir erhalten, so auch Geh. Rath Voigt, Herder, Böttiger.

Zelter wünscht zu wissen, wie Sie mit seinen Melodien zur Bajadere und dem Lied an Mignon zufrieden sind. Er schreibt, daß unser Almanach ihm eine Wette von sechs Champagnerflaschen gewonnen habe, denn er habe gegen einen andern behauptet: er würde gewiß keine Xenien enthalten.

Leben Sie bestens wohl und sorgen Sie, daß ich bald etwas von Ihren ästhetischen Sätzen zu lesen bekomme. An Meyern viele Grüße.

Sch.


375. An Schiller.

Weimar den 24. November 1797.

Ich schicke die Garvischen Briefe mit Dank zurück, und wünschte der arme alte kranke Mann schölte noch viel ärger auf uns, wenn er dadurch nur für seine übrige Lebenszeit gesund und froh werden könnte. Welch eine Litanei von jammervollen Betrachtungen läßt sich nicht bei diesen Blättern recitiren, womit ich Sie wie billig verschone, weil sich Ihnen das alles schon aufgedrungen hat. Bemerkt man doch bei diesem so guten und wackern Manne keine Spur eines ästhetischen Gefühls! Von einer Seite sind seine Urtheile grob materiell und von der andern tractirt er die Sache als Ceremonienmeister, um ja besonders den subordinirten Talenten ihr Plätzchen anzuweisen. Es ist nur gut daß Sie ihn durch drei Worte wieder versöhnt haben.

Wie natürlich es doch solche Sittenrichter finden, daß ein Autor zeit seines Lebens seine besten Bemühungen verkennen, sich retardiren, necken, hänseln und hudeln lasse, weil das nun einmal so eingeführt ist! Und dabei soll er geduldig, seiner hohen Würde eingedenk, mit übereinander geschlagenen Händen, wie ein ecce Homo dastehen, nur damit Herr Manso und seines gleichen, auch in ihrer Art, für Dichter passiren können.

Doch genug von diesen Armseligkeiten! Lassen Sie uns auf unsern Wegen immer beständig und rascher fortschreiten.

Den 25. November.

Für Brief und Paket, die ich so eben erhalte danke ich schönstens und sage nur noch geschwind, und aus dem Stegreife, daß ich nicht allein Ihrer Meinung bin, sondern noch viel weiter gehe. Alles poetische sollte rhythmisch behandelt werden! das ist meine Ueberzeugung, und daß man nach und nach eine poetische Prosa einfühlen konnte, zeigt nur daß man den Unterschied zwischen Prosa und Poesie gänzlich aus den Augen verlor. Es ist nicht besser als wenn sich jemand in seinem Park einen trockenen See bestellte und der Gartenkünstler diese Aufgabe dadurch aufzulösen suchte daß er einen Sumpf anlegte. Diese Mittelgeschlechter sind nur für Liebhaber und Pfuscher, so wie die Sümpfe für Amphibien. Indessen ist das Uebel in Deutschland so groß geworden daß es kein Mensch mehr sieht, ja, daß sie vielmehr, wie jenes kröpfige Volk, den gesunden Bau des Halses für eine Strafe Gottes halten. Alle dramatische Arbeiten (und vielleicht Lustspiel und Farce zuerst) sollten rhythmisch sein und man würde alsdann eher sehen wer was machen kann. Jetzt aber bleibt dem Theaterdichter fast nichts übrig als sich zu accommodiren, und in diesem Sinne konnte man Ihnen nicht verargen wenn Sie Ihren Wallenstein in Prosa schreiben wollten; sehen Sie ihn aber als ein selbstständiges Werk an, so muß er nothwendig rhythmisch werden.

Auf alle Fälle sind wir genöthigt unser Jahrhundert zu vergessen wenn wir nach unsrer Ueberzeugung arbeiten wollen. Denn so eine Saalbaderei in Principien, wie sie im allgemeinen jetzt gelten, ist wohl noch nicht auf der Welt gewesen, und was die neuere Philosophie gutes stiften wird ist noch erst abzuwarten.

Die Poesie ist doch eigentlich auf die Darstellung des empirisch pathologischen Zustandes des Menschen gegründet, und wer gesteht denn das jetzt wohl unter unsern fürtrefflichen Kennern und sogenannten Poeten? Hat ein Mann wie Garve, der doch auch zeitlebens gedacht haben will, und für eine Art von Philosophen galt, denn nur die geringste Ahnung eines solchen Axioms? Hält er Sie nicht darum nur für einen würdigen Dichter, weil Sie sich den Spaß gemacht haben die Aussprüche der Vernunft mit dichterischem Munde vorzutragen, was wohl zu erlauben, aber nicht zu loben ist. Wie gerne wollte ich diesen prosaischen Naturen erlauben vor den sogenannten unsittlichen Stoffen zurückzuschaudern, wenn sie nur ein Gefühl für das höhere poetisch sittliche, z. B. im Polykrates und Ibykus hätten und davon entzückt würden.

Lassen Sie uns, besonders da Meyer auch einen grimmigen Rigorism aus Italien mitgebracht hat, immer strenger in Grundsätzen und sichrer und behaglicher in der Ausführung werden! Das letzte kann nur geschehen wenn wir während der Arbeit unsere Blicke nur innerhalb des Rahmens fixiren.

Hierbei meine Elegie mit dem Wunsche einer freundlichen Aufnahme.

Zeltern bleiben wir auch sechs Bouteillen Champagner schuldig für die feste gute Meinung die er von uns gehegt hat. Seine Indische Legende ist mir sehr werth. Der Gedanke ist original und wacker; das Lied an Mignon habe ich noch nicht einmal gehört. Die Componisten spielen nur ihre eigne Sachen und die Liebhaber haben auch nur wieder besonders begünstigte Stücke. Auf meinem ganzen Wege habe ich niemand gefunden der sich in etwas fremdes und neues hätte einstudiren mögen.

Lassen Sie mich doch einige Exemplare der Melodien zum Almanach erhalten; sie fehlen bei denen mir übersendeten durchaus.

Möchten Sie doch mit Ihrem Wallenstein recht glücklich sein damit wir Sie desto eher bei uns sehen.

Ein herzliches Lebewohl und Gruß an die Ihrigen.

G.


376. An Schiller

In dem übersendeten Pakete habe ich die Lieder-Melodien zum Almanach, wofür ich bestens danke, gefunden aber keinen Brief, der mir doch zu Ende und in der Mitte der Woche immer so erwünscht kommt. Aber auch ich habe wenig mitzutheilen indem ich in diesen letzten Tagen nur in der Welt gelebt und nichts gedacht oder gethan habe, was für uns beide ein gemeinschaftlich Interesse hätte. Noch sind wir beschäftigt die mitgebrachten Kunstsachen aufzustellen, und ich denke alles wird im besten Stand sein ehe Sie herüberkommen.

Haben Sie doch die Güte das Schauspiel das Prof. Rambach einschickte mir wieder zu senden; es enthält die Verrätherei aus Ueberzeugung.

Ich wünsche sehr zu hören wie Ihr rhythmischer Wallenstein gedeiht. Mir ist es jetzo so zu Muthe, als wenn ich nie ein Gedicht gemacht hätte oder machen würde. Es ist das beste daß die Stimmung dazu unerwartet und ungerufen kommt.

Leben Sie recht wohl und lassen mich bald wieder etwas von sich, Ihren Zuständen und Arbeiten vernehmen.

Weimar den 28. November 1797.

G.


377. An Goethe.

Jena den 28. November 1797.

Mit Ihrer Elegie haben Sie uns wieder große Freude gemacht. Sie gehört so recht zu der rein poetischen Gattung, da sie durch ein so simples Mittel, durch einen spielenden Gebrauch des Gegenstandes das tiefste aufregt und das höchste bedeutet.

Möchten noch viele solche Stimmungen in diesen düstern drückenden Tagen, die auch Ihnen wie ich weiß so fatal sind, Sie erheitern. Ich brauche meine ganze Elasticität um mir gegen den herunterdrückenden Himmel Luft und Raum zu machen.

Ich las in diesen Tagen die Shakespearischen Stücke, die den Krieg der zwei Rosen abhandeln, und bin nun nach Beendigung Richards III. mit einem wahren Erstaunen erfüllt. Es ist dieses letzte Stück eine der erhabensten Tragödien die ich kenne, und ich wüßte in diesem Augenblick nicht ob selbst ein Shakespearisches ihm den Rang streitig machen kann. Die großen Schicksale, angesponnen in den vorhergehenden Stücken sind darin auf eine wahrhaft große Weise geendiget, und nach der erhabensten Idee stellen sie sich neben einander. Daß der Stoff schon alles weichliche, schmelzende, weinerliche ausschließt, kommt dieser hohen Wirkung sehr zu statten; alles ist energisch darin und groß, nichts gemeinmenschliches stört die rein ästhetische Rührung, und es ist gleichsam die reine Form des tragisch furchtbaren was man genießt. Eine hohe Nemesis wandelt durch das Stück, in allen Gestalten, man kommt nicht aus dieser Empfindung heraus von Anfang bis zu Ende. Zu bewundern ist's, wie der Dichter dem unbehülflichen Stoffe immer die poetische Ausbeute abzugewinnen wußte, und wie geschickt er das repräsentirt, was sich nicht präsentiren läßt, ich meine die Kunst Symbole zu gebrauchen, wo die Natur nicht kann dargestellt werden. Kein Shakespearisches Stück hat mich so sehr an die griechische Tragödie erinnert.

Der Mühe wäre es wahrhaftig werth, diese Suite von acht Stücken, mit aller Besonnenheit deren man jetzt fähig ist, für die Bühne zu behandeln. Eine Epoche könnte dadurch eingeleitet werden. Wir müssen darüber wirklich conferiren.

Leben Sie recht wohl mit unserm Freunde Meyer. Mein Wallenstein gewinnt von Tag zu Tag mehr Gestalt und ich bin wohl mit mir zufrieden.

Sch.


378. An Schiller.

Da Sie so viel Gutes von meiner Elegie sagen, so thut es mir um so mehr leid daß sich eine ähnliche Stimmung lange Zeit bei mir nicht eingefunden hat. Jenes Gedicht ist bei meinem Eintritt in die Schweiz gemacht, seit der Zeit aber ist mein thätiges, productives Ich, auf so manche angenehme und unangenehme Weise, beschränkt worden, daß es noch nicht wieder hat zur Fassung kommen können; diese müssen wir denn jetzt wieder in aller Demuth erwarten.

Ich wünsche sehr daß eine Bearbeitung der Shakespearischen Productionen Sie anlocken könnte. Da so viel schon vorgearbeitet ist und man nur zu reinigen, wieder aufs neue genießbar zu machen brauchte, so wäre es ein großer Vortheil. Wenn Sie nur erst einmal durch die Bearbeitung des Wallensteins sich recht in Uebung gesetzt haben so müßte jenes Unternehmen Ihnen nicht schwer fallen.

Leben Sie recht wohl. Die Jahrszeit übt leider ihre Rechte wieder über mich aus, und da ich nichts heiteres für diesmal aus eignen Kräften mittheilen kann, so sende ich eine Gerningische Ode die ihren Effect nicht verfehlen wird.

Weimar am 29. November 1797.

G.


379. An Goethe.

Jena den 1. December 1797.

Zanken Sie nicht, daß das verlangte Lustspiel heute nicht mitkommt; es fiel mir erst spät Abend bei Licht ein es zu suchen, und das habe ich bald eine halbe Stunde ohne Erfolg gethan. Auf den Sonntag werde ich's der fahrenden Post mitgeben.

Es ist mir fast zu arg, wie der Wallenstein mir anschwillt, besonders jetzt, da die Jamben, obgleich sie den Ausdruck verkürzen, eine poetische Gemüthlichkeit unterhalten, die einen ins Breite treibt. Sie werden beurtheilen, ob ich kürzer sein sollte und könnte. Mein erster Act ist so groß, daß ich die drei ersten Acte Ihrer Iphigenia hineinlegen kann, ohne ihn ganz auszufüllen; freilich sind die hintern Acte viel kürzer. Die Exposition verlangt Extensität, so wie die fortschreitende Handlung von selbst auf Intensität leitet. Es kommt mir vor, als ob mich ein gewisser epischer Geist angewandelt habe, der aus der Macht Ihrer unmittelbaren Einwirkungen zu erklären sein mag; doch glaube ich nicht, daß er dem dramatischen schadet, weil er vielleicht das einzige Mittel war, diesem prosaischen Stoff eine poetische Natur zu geben.

Da mein erster Act mehr statistisch oder statisch ist, den Zustand welcher ist darstellt, aber ihn noch nicht eigentlich verändert, so habe ich diesen ruhigen Anfang dazu benutzt, die Welt und das Allgemeine, worauf sich die Handlung bezieht, zu meinem eigentlichen Gegenstand zu machen. So erweitert sich der Geist und das Gemüth des Zuhörers, und der Schwung, in den man dadurch gleich anfangs versetzt wird, soll wie ich hoffe die ganze Handlung in der Höhe erhalten.

Ich habe Meyern neulich gebeten, mir Ihre Zeichnung für den nächsten Almanach zu verschaffen. Wir wollen dieß doch bei Zeiten thun, daß der Stich auch recht mit Muße gemacht werden kann. Auch wünschte ich von ihm eine Nemesis für meinen Wallenstein; es ist eine interessante und bedeutende Verzierung. Meyer wird sich eine ausdenken, die einen tragischen Charakter hat; ich wollte sie als Vignette auf dem Titelblatt selbst haben.

Kann ich nicht bald etwas für die Horen von Ihnen hoffen? In diesen düstern Decembertagen kann man doch nichts besseres thun als Geld verdienen, das man in schöneren ausgiebt. Haben Sie den Moses nicht Lust jetzt zu vollenden oder findet sich vielleicht eine andre, schneller zu fertigende Materie? Ich bin sehr arm und die Stunden wollen doch nicht stille stehen.

Leben Sie recht wohl und erfreuen Sie sich mit Meyern Ihrer erbeuteten Kunstschätze, auf die ich sehr neugierig bin, und die uns zu specificirteren Urtheilen über die Kunst, die mir so sehr Bedürfnis sind, Anlaß geben werden. Meine Frau grüßt aufs beste.

Sch.


380. An Schiller.

Es wird für uns, sowohl praktisch als theoretisch, von der größten Bedeutung sein was es noch für einen Ausgang mit Ihrem Wallenstein nimmt. Sollte Sie der Gegenstand nicht am Ende noch gar nöthigen einen Cyklus von Stücken aufzustellen? Daß der Rhythmus in die Breite lockt ist ganz natürlich, denn jede poetische Stimmung mag sich's und andern gern bequem und behaglich machen. Mich verlangt sehr etwas davon zu hören.

Mit Meyern will ich wegen der Kupfer zum Almanach und Wallenstein sprechen. Zu einem Portrait habe ich kein großes Zutrauen; es gehört so viel dazu um nur was leidliches hervorzubringen und noch besonders in diesem kleinen Format, und die Kupferstecher tractiren alles was zu einem Buche gehört so leicht und lose. Wäre es nicht besser im allgemeinen und symbolischen zu bleiben?

Ich selbst habe seit meiner Rückkunft kaum zur Stimmung gelangen können auch nur einen erträglichen Brief zu dictiren. Die Masse von Gegenständen die ich aufgenommen habe ist sehr groß, und das Interesse am aufschreiben und ausarbeiten ist zuletzt durch den Umgang mit Meyer sehr geschwächt worden. Sobald ich eine Sache einmal durchgesprochen habe, ist sie auf eine ganze Zeit für mich wie abgethan.

Ich muß nur altes und neues was mir in Sinn und Herzen liegt wieder einmal schematisiren; recht gerne schickte ich Ihnen etwas zu den Horen, es wird sich bald zeigen was ich leisten und liefern kann.

Leben Sie recht wohl und erfreuen uns bald mit Ihrer Ankunft und grüßen Sie Ihre liebe Frau recht herzlich.

Weimar am 2. December 1797.

G.


381. An Goethe.

Jena den 5. December 1797.

Nur einen Gruß kann ich Ihnen schreiben an diesem düstern Tage. Das Wetter drückt mich äußerst und macht alle meine Uebel rege, daß selbst die Arbeit mich nicht erfreut.

Nach reiflich angestellten Überlegungen hab' ich gefunden, daß ich besser thue, die zwei ärgsten Wintermonate noch hier zuzubringen. Der Januar und Februar sind gefährliche Monate für mich, weil ich schon zweimal von einer Lungenentzündung darin heimgesucht worden bin; die leichteste Erkältung kann mir in dieser Periode dieses Uebel zuziehen, das ich jetzt nicht mehr wie sonst würde überstehen können. Bei einer solchen Disposition ist eine Veränderung der Gewohnheiten nicht zu wagen, und ans Ausgehen im Winter würde ich doch nicht denken dürfen in Weimar. Da aber das besprochene Logis äußerst eng ist, und die Kinder kaum darin unterzubringen, so wäre keine Existenz für mich. Dazu kommt, daß die nächsten zwei Monate für meine Arbeiten entscheidend sind, und also von außen mich nichts drücken darf.

Einige Monate später werde ich ein Logis, das Ihnen nah ist, aufzutreiben suchen; das Wetter ist dann gelinder, ich kann über die Gasse gehen und alles wird mir leichter werden.

Vielleicht komme ich an einem schönen Decembertage auf einen Besuch hinüber, und nach dem Neujahr werden wir Sie und Meyern, hoffe ich, hier haben können.

Von Zumsteg in Stuttgart habe ich dieser Tage einen Brief erhalten, der mich wirklich freute. Er schreibt darin was ihn von unsern Gedichten im Almanach am meisten erfreut, und er hat wirklich – was wir lange nicht gewohnt sind zu erfahren – das bessere herausgefunden. Auch schreibt er, daß der Almanach in seiner Gegend eine allgemeine Sensation mache.

Leben Sie recht wohl. Ich bin heute nicht im Stande was zu sagen.

Sch.


382. An Schiller.

Wenn Sie überzeugt sind daß ein Winteraufenthalt in Jena Ihrer Gesundheit und Ihren Arbeiten vortheilhafter sei, so macht es mir um so mehr Freude, da ich mich genöthigt sehen werde nach dem neuen Jahr hinüber zu gehen, um nur einigermaßen zur Sammlung und Fassung zu kommen, und wie sonderbar müßte mir Jena erscheinen wenn ich Sie drüben nicht anträfe? Ich freue mich nunmehr auf diesen Aufenthalt, da ich sonst, wenn ich Sie hüben hätte lassen müssen, nur zwiespältig mit mir selbst gewesen wäre.

Halten Sie sich ja zu Ihrem Wallenstein; ich werde wohl zunächst an meinen Faust gehen, theils um diesen Tragelaphen los zu werden, theils um mich zu einer höhern und reinern Stimmung, vielleicht zum Tell, vorzubereiten. Dabei soll gelegentlich an den nächsten Almanach gedacht werden, vielleicht fällt auch etwas für die Horen ab.

Lassen Sie uns ja auf dem eingeschlagnen Wege fortfahren! Es muß uns noch manches gelingen und Meyers Mitarbeit wird uns äußerst fördern. Auch können wir der Theilnahme des Publicums gewiß sein; denn ob man gleich im Ganzen immer darauf schilt, so enthält es doch im Einzelnen sehr gebildete Menschen, welche die redlichen und ernsten Bemühungen eines Schriftstellers zu schätzen wissen. Indessen mag der alte Wieland, laudator temporis acti, in diesen Hefen des achtzehnten Jahrhunderts sich betrüben (siehe das Novemb.-Stück des deutschen Merkurs p. 194); so viel klaren Wein als wir brauchen wird uns die Muse schon einschenken. Die schönen Sachen von Meyer zu sehen wäre wohl eine December-Spazierfahrt werth. Möchte Ihre Gesundheit sie Ihnen doch erlauben!

Weimar am 6. December 1797.

G.


383. An Goethe.

Jena den 8. December 1797.

Ich bin nun mit der Nothwendigkeit, die mich die nächsten Monate hier zurückhält, vollkommen ausgesöhnt, da die Reise nach Weimar nicht einmal der Weg gewesen wäre, mich mit Ihnen öfter zu vereinigen, und so wollen wir denn kommenden Monat das alte Leben mit Segen wieder beginnen, welches durch Meyers Anwesenheit nicht verlieren wird. Es ist wohl nicht übel, daß Sie zwischen Ihr erstes und zweites Epos den Faust einschieben. Sie schwellen dadurch den poetischen Strom, und erregen sich ein ungeduldiges Verlangen nach der neuen reinen Production, welches schon die halbe Stimmung ist. Der Faust, wenn Sie ihn nun durchgearbeitet, läßt Sie auch sicherlich nicht so, wie Sie zu ihm kommen; er übt und schärft irgend eine neue Kraft in Ihnen und so kommen Sie reicher und feuriger zu Ihrem neuen Werke.

An den Wallenstein werde ich mich so sehr halten als ich kann, aber das pathologische Interesse der Natur an einer solchen Dichterarbeit hat viel angreifendes für mich. Glücklicherweise alterirt meine Kränklichkeit nicht meine Stimmung, aber sie macht, daß ein lebhafter Antheil mich schneller erschöpft und in Unordnung bringt. Gewöhnlich muß ich daher Einen Tag der glücklichen Stimmung mit fünf oder sechs Tagen des Drucks und des Leidens büßen. Dieß hält mich erstaunlich auf, wie Sie denken können. Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, den Wallenstein noch in dem nächsten Sommer in Weimar spielen zu sehen, und im nächsten Herbst tief in meinen Malthesern zu sitzen.

Diese beschäftigen mich jetzt zuweilen, wenn ich von der Arbeit ausruhe. Es ist etwas sehr anziehendes für mich in solchen Stoffen, welche sich von selbst isoliren und eine Welt für sich ausmachen. Ich habe diesen Umstand im Wallenstein sehr benutzt, und in den Malthesern wird er mich noch mehr begünstigen. Nicht nur daß dieser Orden wirklich ein Individuum ganz sui generis ist, so ist er es im Moment der dramatischen Handlung noch mehr. Alle Communication mit der übrigen Welt ist durch die Blokade abgeschnitten, er ist bloß auf sich selbst, auf die Sorge für seine Existenz concentrirt, und nur die Eigenschaften, die ihn zu dem Orden machen der er ist, können in diesem Moment seine Erhaltung bewirken.

Dieses Stück wird eben so einfach behandelt werden müssen, als der Wallenstein complicirt ist, und ich freue mich im voraus in dem einfachen Stoff alles zu finden was ich brauche und alles zu brauchen, was ich bedeutendes finde. Ich kann ihn ganz in der griechischen Form und nach des Aristoteles Schema, mit Chören und ohne die Acteneintheilung ausführen und werde es auch thun. Sagen Sie mir doch, woher denn die Acteneintheilung sich schreibt? Im Aristoteles fanden wir nichts davon und bei sehr vielen griechischen Stücken würde sie gar nicht anzuwenden sein.

Körner schreibt mir, daß Geßler wieder in Dresden sei. Seine Italienerin soll er in der Schweiz gelassen haben, um sie dort noch zu formiren. Hoffentlich geht sie ihm unterdessen mit einem andern durch.

Von Humboldt habe ich seit sechs Wochen nichts gehört, und schließe daraus, daß er wirklich nach Paris ist: denn wenn er in der Schweiz ruhig säße, hätte ihn die bloße Langeweile zum Schreiben bringen müssen.

Leben Sie recht wohl und überstehen noch glücklich den Rest dieses Monats. Bei mir ist jetzt alles wohl. Meine Frau grüßt Sie aufs beste. Dem alten Meyer freue ich mich auch etwas von dem Wallenstein zu zeigen.

Sch.


384. An Schiller.

Die Nachricht, daß Sie diesen Winter nicht zu uns kommen würden hat unsere Schauspieler betrübt. Es scheint daß sie sich vorgesetzt hatten sich vor Ihnen Ehre zu machen. Ich habe sie mit der Hoffnung getröstet daß Sie uns aufs Frühjahr wohl besuchen würden. Sehr nöthig thut unserm Theater ein solcher neuer Anstoß, den ich gewissermaßen selbst nicht geben kann. Zwischen dem der zu befehlen hat und dem der einem solchen Institute eine ästhetische Leitung geben soll, ist ein gar zu großer Unterschied. Dieser soll aufs Gemüth wirken und muß also auch Gemüth zeigen, jener muß sich verschließen um die politische und ökonomische Form zusammenzuhalten. Ob es möglich ist freie Wechselwirkung und mechanische Causalität zu verbinden weiß ich nicht; mir wenigstens hat das Kunststück noch nicht gelingen wollen.

Ich kann mir den Zustand Ihres Arbeitens recht gut denken. Ohne ein lebhaftes pathologisches Interesse ist es auch mir niemals gelungen irgend eine tragische Situation zu bearbeiten, und ich habe sie daher lieber vermieden als aufgesucht. Sollte es wohl auch einer von den Vorzügen der Alten gewesen sein, daß das höchste Pathetische auch nur ästhetisches Spiel bei ihnen gewesen wäre, da bei uns die Naturwahrheit mitwirken muß um ein solches Wert hervorzubringen? Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um zu wissen ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte; ich erschrecke aber blos vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte.

Unser guter alter College Schnauß hat sich denn endlich auch davon gemacht. Vielleicht habe ich bei Bibliotheksachen künftig einigen Einfluß. Sagen Sie, ob Sie die Idee vor thunlich halten mit der ich mich schon lange trage: die hiesige, die Büttnerische und Akademische Bibliothek, virtualiter, in Ein Corpus zu vereinigen und über die verschiedenen Fächer, so wie über einen bestimmtern und zweckmäßigern Ankauf Abrede zu nehmen und Verordnungen zu geben. Bei der jetzigen Einrichtung gewinnt niemand nichts; manches Geld wird unnütz ausgegeben, manches Gute stockt, und doch sehe ich Hindernisse genug voraus die sich finden werden, nur damit das rechte nicht auf eine andere Art geschehe als das unzweckmäßige bisher bestanden hat.

Noch habe ich vierzehn Tage zu thun um manches einzuleiten, die neuen Theatercontracte in Ordnung zu bringen und was andere Dinge mehr sind. Dann will ich aber auch gleich zu meiner Tageseinsamkeit des Jenaischen Schlosses und zu unsern Abendgesprächen eilen.

Meyern werde ich wohl nicht mitbringen, denn ich habe die Erfahrung wieder erneuert: daß ich nur in einer absoluten Einsamkeit arbeiten kann, und daß nicht etwa nur das Gespräch, sondern sogar schon die häusliche Gegenwart geliebter und geschätzter Personen meine poetische Quellen gänzlich ableitet. Ich würde jetzt in einer Art von Verzweiflung sein, weil auch jede Spur eines produktiven Interesse bei mir verschwunden ist, wenn ich nicht gewiß wäre es in den ersten acht Tagen in Jena wiederzufinden.

Ich lege einen Band Gedichte bei von einem Menschen, aus dem vielleicht was geworden wäre, wenn er nicht in Nürnberg lebte, und die Dichtart zu finden wüßte zu der er Talent hat. Manches dünkt mich hat ein humoristisches Verdienst, obgleich manches sehr mißlungen ist. Da Sie so gern von jungen Männern etwas hoffen und mancherlei Beiträge nutzen können, so kommt es auf Sie an ob man mit ihm das Verhältniß fortsetzen und ihm einigen Muth machen soll?

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau.

Geßler riskirt viel die Schöne sich selbst zu überlassen. Es verdrießt mich daß wir ihn nicht angetroffen haben. Meyer kennt die Schöne. Uebrigens wandeln noch manche seltsame Kometen an dem Himmel Amors und Hymens herum; was sie deuten und bringen ist noch ungewiß.

Ich lege noch einen kleinen historischen Versuch bei; sagen Sie mir doch Ihre Meinung darüber, und in wie fern man allenfalls eine kleine Sammlung ähnlicher Arbeiten einem Buchhändler empfehlen könnte?

Nochmals ein Lebewohl.

Weimar den 9. December 1797.

G.


385. An Goethe.

Jena den 12. December 1797.

Da ich in diesen Tagen die Liebesscenen im zweiten Act des Wallensteins vor mir habe, so kann ich nicht ohne Herzensbeklemmung an die Schaubühne und an die theatralische Bestimmung des Stückes denken. Denn die Einrichtung des Ganzen erforderte es, daß sich die Liebe nicht sowohl durch Handlung als vielmehr durch ihr ruhiges Bestehen auf sich und ihre Freiheit von allen Zwecken der übrigen Handlung, welche ein unruhiges planvolles Streben nach einem Zwecke ist, entgegensetzt und dadurch einen gewissen menschlichen Kreis vollendet. Aber in dieser Eigenschaft ist sie nicht theatralisch, wenigstens nicht in demjenigen Sinne, der bei unsern Darstellungsmitteln und bei unserm Publicum sich ausführen läßt. Ich muß also, um die poetische Freiheit zu behalten, so lange jeden Gedanken an die Aufführung verbannen.

Sollte es wirklich an dem sein, daß die Tragödie, ihrer pathetischen Gewalt wegen, Ihrer Natur nicht zusagte? In allen Ihren Dichtungen finde ich die ganze tragische Gewalt und Tiefe, wie sie zu einem vollkommenen Trauerspiel hinreichen würde; im Wilhelm Meister liegt, was die Empfindung betrifft, mehr als Eine Tragödie; ich glaube, daß bloß die strenge gerade Linie, nach welcher der tragische Poet fortschreiten muß, Ihrer Natur nicht zusagt, die sich überall mit einer freieren Gemüthlichkeit äußern will. Alsdann glaube ich auch, eine gewisse Berechnung auf den Zuschauer, von der sich der tragische Poet nicht dispensiren kann, der Hinblick auf einen Zweck, den äußern Eindruck, der bei dieser Dichtungsart nicht ganz erlassen wird, genirt Sie, und vielleicht sind Sie gerade nur deßwegen weniger zum Tragödiendichter geeignet, weil Sie so ganz zum Dichter in seiner generischen Bedeutung erschaffen sind. Wenigstens finde ich in Ihnen alle poetischen Eigenschaften des Tragödiendichters im reichlichsten Maß, und wenn Sie wirklich dennoch keine ganz wahre Tragödie sollten schreiben können, so müßte der Grund in den nicht poetischen Erfordernissen liegen.

Haben Sie doch die Güte mir gelegentlich einige Komödienzettel, worauf das sämmtliche Personale der Schauspieler ist, beizulegen.

Ihre Idee wegen Vereinigung der drei Bibliotheken in Einem Ganzen wird gewiß jeder Vernünftige in Jena und Weimar ausgeführt wünschen. Fände man nur alsdann auch ein Subject welches fähig wäre, dem Ganzen vorzustehen und den Plan der Einheit und Vollständigkeit zu verfolgen. Es ist gewiß schon viel Materie da, vieles ist wohl doppelt und dreifach, womit neues kann eingetauscht werden; auch sehe ich nicht, warum man nicht noch einige neue Bäche in den Bibliothekfond leiten könnte.

Ich fürchte der neue Nürnbergische Dichter wird uns nicht viel Trost bringen. Es fehlt ihm wohl nicht ganz am Talent, aber so gar sehr an Form und am Bewußtsein dessen was er will. Indessen, ich habe nur wenig hineingeschaut, vielleicht bin ich just auf das schlimmste gerathen.

Den historischen Aufsatz habe ich noch nicht ganz durchlesen. Ich sende ihn, nebst meinem Urtheil, auf den Freitag.

Einsiedels Schrift über das Theater enthält doch manches gut gedachte. Es ist mir unterhaltend wie diese Art von Dilettanten sich über gewisse Dinge, die aus der Tiefe der Wissenschaft und der Betrachtung nur geschöpft werden können, ausspricht, wie z. B. was er vom Stil und von der Manier sagt u. s. f.

Leben Sie recht wohl. Herzlich freue ich mich auf unsre Abende. Meine Frau ist sehr neugierig auf die Kometen, die an dem Himmel Amors und Hymens herum laufen. Grüßen Sie Meyern.

Sch.


386. An Schiller.

Die neuen Kunstwerke in unserm Hause ziehen uns heute früh einen Damenbesuch zu, deswegen nur so viel in Eile.

Eine Schilderung der Fähigkeiten unseres Theaterpersonals will ich Ihnen ehestens selbst machen, besonders bezüglich auf Ihr Stück dessen Bedürfnisse ich im allgemeinen doch kenne.

Uebrigens fahren Sie nur ohne Sorge fort. Die innere Einheit die der Wallenstein haben wird muß gefühlt werden und Sie haben große Privilegia auf dem Theater. Ein ideales Ganze imponirt den Menschen, wenn sie es auch im einzelnen nicht zu dechiffriren, noch den Werth der einzelnen Theile zu schätzen wissen.

Durch eine sonderbare Veranlassung bin ich aufgefordert über das deutsche Theater im allgemeinen zu denken, und da ich doch manchmal wider Willen im Schauspiel sitzen muß, so suche ich aus dieser Aufopferung einigen Gewinn.

Leben Sie recht wohl, ich freue mich daß die Zeit herannahet die mir ein gesammeltes Dasein und Ihre Nähe bescheren soll.

Weimar am 13. December 1797.

G.


387. An Goethe.

Jena den 15. December 1797.

Unsere Dichterin, Mereau, ist da und so kann ich für heut nur ein paar Worte schreiben.

Mit dem Aufsatze der hier zurückfolgt und mit andern von diesem Schlage wird nicht viel zu machen sein. Er ist gar zu trocken und zu dürftig, und trotz der unnützen Parade mit Citaten und historischer Belesenheit enthält er nicht das geringste bedeutende Neue, was die Begebenheit aufhellen oder auch nur unterhaltender machen könnte. Soll aber bloß etwas damit verdient werden, so wird diese Absicht wohl eher durch Einrückung in Journale wie der Merkur &c. als durch eine eigene Sammlung zu erreichen sein.

Ich habe schon öfters gewünscht, daß unter den vielen schriftstellerischen Emulationen solcher Menschen, die keine andre als compilatorische Arbeit treiben können, auch einer darauf verfallen möchte, in alten Büchern nach poetischen Stoffen auszugehen, und dabei einen gewissen Takt hatte, das Punctum saliens einer, an sich unscheinbaren Geschichte zu entdecken. Mir kommen solche Quellen gar nicht vor, und meine Armuth an solchen Stoffen macht mich wirklich unfruchtbarer im Produciren, als ich's ohne das sein würde. Mir däucht ein gewisser Hyginus, ein Grieche, sammelte einmal eine Anzahl tragischer Fabeln entweder aus oder für den Gebrauch der Poeten. Solch einen Freund könnte ich gut brauchen. Ein Reichthum an Stoffen für möglichen Gebrauch vermehrt wirklich den innern Reichthum, ja er übt eine wichtige Kraft und es ist schon von großem Nutzen, einen Stoff auch nur in Gedanken zu beleben und sich daran zu versuchen.

Die Elisa von der Recke hat mir ein voluminöses Schauspiel von ihrer Erfindung und Ausführung zugeschickt, mit der Plenipotenz zu streichen und zu zerstören. Ich werde sehen, ob ich es für die Horen brauchen kann; der Inhalt ist wie Sie leicht denken können, sehr moralisch und so hoffe ich soll es auch durchschlüpfen. Ich muß auf jede Art für die Horen sorgen. Und daß so moralische Personen sich uns Ketzern und Freigeistern auf Gnade und Ungnade übergeben, besonders nach dem so lauten Xenienunfug, ist immer eine gewisse Satisfaction.

Humboldt hat wieder seit sechs Wochen nichts von sich hören lassen. Ich schließe daraus daß er nun doch nach Paris gegangen ist.

Leben Sie wohl für heute. Meine Frau grüßt aufs beste.

Sch.


388. An Schiller.

Hier überschicke ich den Hygin, und würde zugleich rathen sich die Adagia des Erasmus anzuschaffen, die leicht zu haben sind. Da die alten Sprichwörter meist auf geographischen, historischen, nationellen und individuellen Verhältnissen ruhen, so enthalten sie einen großen Schatz von reellem Stoff. Leider wissen wir aus der Erfahrung daß dem Dichter niemand seine Gegenstände suchen kann, ja daß er sich selbst manchmal vergreift.

Freund Meyer ist fleißig und schreibt seine Gedanken über diese Materie zusammen, es kommen die wunderbarsten Dinge zur Sprache.

Die Horen haben jetzo wie es scheint ihr weibliches Zeitalter: es ist auch gut wenn sie nur dadurch ihr literarisches Leben erhalten.

Ich bin bis jetzt weder zu großem noch zu kleinem nütze und lese nur indessen, um mich im guten zu erhalten, den Herodot und Thucydides, an denen ich zum erstenmal eine ganz reine Freude habe weil ich sie nur ihrer Form und nicht ihres Inhalts wegen lese.

Mein größter Wunsch ist nunmehr bald bei Ihnen zu sein und die Annäherung der Sonne wieder zu empfinden; indessen nutze ich die trüben und bösen Tage so gut als möglich. Leben Sie recht wohl und thun Sie desgleichen.

Weimar am 16. December 1797.

G.


389. An Schiller.

Ich wünsche und hoffe daß gegenwärtiger Brief Sie wieder in leidlichen Gesundheitsumständen finden möge, und danke für das Schreiben Ihrer lieben Frau, die mir durch Mittheilung der energischen märkischen Kunstproducte eine besondere Freude gemacht hat.

Ihr Brief vom zweiten October ist nebst dem Almanach auch wieder zurückgekommen und fehlt also nichts mehr an unserer wechselseitigen Correspondenz.

Oberons goldne Hochzeit haben Sie mit gutem Bedachte weggelassen. Sie ist die Zeit über nur um das doppelte an Versen gewachsen und ich sollte meinen im Faust müßte sie am besten ihren Platz finden.

Seit der Erscheinung der Schlegelschen Recension meines Hermanns habe ich die Gesetze der Epopöe und des Dramas wieder durchgedacht und glaube auf gutem Wege zu sein. Die Schwierigkeit bei diesen theoretischen Bemühungen ist immer: die Dichtarten von allem zufälligen zu befreien. Nächstens erhalten Sie wohl einen kleinen Aufsatz darüber und ich mag daher nichts weiter voraussagen.

Den Verfasser der Elegien im Almanach kennt Meyer recht gut und wird Ihnen dereinst selbst eine Schilderung desselben machen; er ist eigentlich Bildhauer. Nach nichts verlangt mich jetzo mehr als nach Ihrem Wallenstein.

Erholen Sie sich ja bald wieder von Ihrem Uebel. Möchte ich doch schon diese Tage, die sich heiter anlassen, bei Ihnen zubringen können!

Weimar am 20. December 1797.

G.


390. An Goethe.

Jena den 22. December 1797.

Mein böser Anfall von Cholera ist zwar bald und glücklich wieder vorübergegangen, aber geschwächt und verstimmt hat er mich für die ganze Woche, daß ich an etwas poetisches auch nicht denken mag. Auch das böse Wetter kommt dazu, jede Thätigkeit in mir stocken zu machen.

Zu meiner nicht geringen Satisfaction fordert mir Cotta die letzten zweihundert Exemplare des Almanachs pressanter Weise ab, die ich mit Fleiß hier bei mir liegen ließ, um den Leipzigern nicht gleich die Stärke der Auflage zu verrathen, wenn etwa ein Quantum sollte unabgesetzt bleiben. Wie Cotta schreibt, so hat sich der übrige Vorrath, der etwa zweitausend Exemplare stark war, bereits vergriffen; diese zweihundert meint er würden wohl auch bald abgehen, da die Bestellungen noch ziemlich frisch fortdauerten, und es möchte am Ende wohl eine zweite Auflage nöthig werden. Wir könnten in der That keinen glänzendern Triumph über die Neider davon tragen, die das Glück des vormjährigen Almanachs bloß den Anzüglichkeiten in den Xenien zugeschrieben haben. Es erweckte mir auch etwas mehr Vertrauen zu unserm deutschen Publicum, wenn wir sein Interesse, auch ohne Vermittlung irgend einer gemeinen Passion, durch die Gewalt der Poesie zu fesseln gewußt hätten.

Die Schlegelsche Recension Ihres Hermanns kenne ich noch nicht und weiß überhaupt nicht, von welchem Schlegel sie ist. Sie sei aber von welchem sie wolle, so finde ich bei keinem die ganze Competenz dazu, denn es gehört vorzugsweise zu Würdigung dieses Gedichts das was man Gemüth heißt, und dieses fehlt beiden, ob sie sich gleich der Terminologie davon anmaßen.

Ihren, dadurch veranlaßten, Aufsatz erwarte ich mit Verlangen. Oder werden Sie ihn nicht gleich selbst bringen?

Wir wünschten sehr zu wissen, wie bald wir auf Ihre Ankunft rechnen dürfen. Es wird nun bald ein halbes Jahr, daß wir nicht zusammen gelebt haben.

Meyern bitte herzlich zu grüßen. Es thut mir recht leid, daß ich seine Arbeiten so lange nicht sehe.

Leben Sie recht wohl.

Sch.


391. An Schiller.

In der Beilage erhalten Sie meinen Aufsatz, den ich zu beherzigen, anzuwenden, zu modificiren und zu erweitern bitte. Ich habe mich seit einigen Tagen dieser Kriterien beim Lesen der Ilias und des Sophokles bedient, so wie bei einigen epischen und tragischen Gegenständen, die ich in Gedanken zu motiviren versuchte, und sie haben mir sehr brauchbar, ja entscheidend geschienen.

Es ist mir dabei recht aufgefallen, wie es kommt, daß wir Modernen die Genres so sehr zu vermischen geneigt sind, ja daß wir gar nicht einmal im Stande sind sie von einander zu unterscheiden. Es scheint nur daher zu kommen, weil die Künstler, die eigentlich die Kunstwerke innerhalb ihrer reinen Bedingungen hervorbringen sollten, jenem Streben der Zuschauer und Zuhörer, alles völlig wahr zu finden, gefällig nachgeben. Meyer hat bemerkt, daß man alle Arten der bildenden Kunst hat bis zur Malerei hinantreiben wollen, indem diese durch Haltung und Farben die Nachahmung als völlig wahr darstellen kann. So sieht man auch im Gang der Poesie daß alles zum Drama, zur Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen sich hindrängt. So sind die Romane in Briefen völlig dramatisch, man kann deßwegen mit Recht förmliche Dialoge, wie auch Richardson gethan hat, einschalten; erzählende Romane mit Dialogen untermischt würden dagegen zu tadeln sein.

Sie werden hundertmal gehört haben, daß man nach Lesung eines guten Romans gewünscht hat, den Gegenstand auf dem Theater zu sehen, und wie viel schlechte Dramen sind daher entstanden! Eben so wollen die Menschen jede interessante Situation gleich in Kupfer gestochen sehen; damit nur ja ihrer Imagination keine Thätigkeit übrig bleibe, so soll alles sinnlich wahr, vollkommen gegenwärtig, dramatisch sein und das Dramatische selbst soll sich dem wirklich Wahren völlig an die Seite stellen. Diesen eigentlich kindischen, barbarischen, abgeschmackten Tendenzen sollte nun der Künstler aus allen Kräften widerstehen, Kunstwerk von Kunstwerk durch undurchdringliche Zauberkreise sondern, jedes bei seiner Eigenschaft und seinen Eigenheiten erhalten, so wie es die Alten gethan haben und dadurch eben solche Künstler wurden und waren. Aber wer kann sein Schiff von den Wellen sondern, auf denen es schwimmt? Gegen Strom und Wind legt man nur kleine Strecken zurück.

So war z. B. bei den Alten das Basrelief ein nur wenig erhobenes Werk, eine flache geschmackvolle Andeutung eines Gegenstandes auf einer Fläche; allein dabei konnte der Mensch nicht bleiben, es wurde halb erhoben, ganz erhoben, Glieder abgesondert, Figuren abgesondert, Perspective angebracht, Straßen, Wolken, Berge und Landschaften vorgestellt, und weil nun auch dies durch Menschen von Talent geschah, so fand das völlig Unzulässige desto eher Eingang, als man es dadurch gerade dem ungebildeten Menschen um so mehr nach seinem Sinne machte. So kommt unter Meyers Abhandlung die sehr artige, hierher gehörige Geschichte vor, wie man in Florenz die aus Thon gebildeten Figuren erst glasirt, dann einfärbig, endlich mehrfärbig gemalt und emaillirt hat.

Um nun zu meinem Aufsatze zurückzukommen, so habe ich den darin aufgestellten Maßstab an Hermann und Dorothea gehalten und bitte Sie desgleichen zu thun, wobei sich ganz interessante Bemerkungen machen lassen, als z. B.

  1. Daß kein ausschließlich episches Motiv, das heißt kein retrogradirendes, sich darin befinde, sondern daß nur die vier andern, welche das epische Gedicht mit dem Drama gemein hat, darinne gebraucht sind.
  2. Daß es nicht außer sich wirkende, sondern nach innen geführte Menschen darstellt und sich auch dadurch von der Epopöe entfernt und dem Drama nähert.
  3. Daß es sich mit Recht der Gleichnisse enthält, weil bei einem mehr sittlichen Gegenstande das Zubringen von Bildern aus der physischen Natur nur mehr lästig gewesen wäre.
  4. Daß es aus der dritten Welt, ob es gleich nicht auffallend ist, noch immer genug Einfluß empfangen hat, indem das große Weltschicksal theils wirklich, theils durch Personen, symbolisch, eingeflochten ist und von Ahnung, von Zusammenhang einer sichtbaren und unsichtbaren Welt doch auch leise Spuren angegeben sind; welches zusammen nach meiner Ueberzeugung an die Stelle der alten Götterbilder tritt, deren physisch-poetische Gewalt freilich dadurch nicht ersetzt wird.

Schließlich muß ich noch von einer sonderbaren Aufgabe melden, die ich mir in diesen Rücksichten gegeben habe, nämlich zu untersuchen: ob zwischen Hektors Tod und der Abfahrt der Griechen von der Trojanischen Küste, noch ein episches Gedicht inne liege, oder nicht? ich vermuthe fast das letzte und zwar aus folgenden Ursachen:

  1. Weil sich nichts Retrogradirendes findet, sondern alles unaufhaltsam vorwärts schreitet.
  2. Weil alle noch einigermaßen retardirende Vorfälle das Interesse auf mehrere Menschen zerstreuen und, obgleich in einer großen Masse, doch Privatschicksalen ähnlicsh sehn. Der Tod des Achilles scheint mir ein herrlich tragischer Stoff, der Tod des Ajax, die Rückkehr des Philoktet sind uns von den Alten noch übrig geblieben. Polyrena, Hekuba und andere Gegenstände aus dieser Epoche waren auch behandelt. Die Eroberung von Troja selbst ist, als ein Erfüllungsmoment eines großen Schicksals, weder episch noch tragisch und kann bei einer ächten epischen Behandlung nur immer vorwärts oder rückwärts in der Ferne gesehen werden. Virgils rhetorisch-sentimentale Behandlung kann hier nicht in Betracht kommen.

So viel von dem was ich gegenwärtig einsehe, salvo meliori; denn, wenn ich mich nicht irre, so ist diese Materie, wie viele andere, eigentlich theoretisch unaussprechlich; was das Genie geleistet hat sehen wir allenfalls, wer will sagen was es leisten könnte oder sollte.

Nun da die Boten gehen, nur noch ein Lebewohl für Sie und Ihre liebe Frau. Halten Sie sich ja stille bis die böse Zeit vorüber ist. Von unserm Almanach höre ich überall her manches gute; wann ich kommen kann weiß ich noch nicht, die Theaterangelegenheiten halten mich fürcht' ich länger als ich glaubte, so lebhaft auch mein Wunsch ist Sie wiederzusehen. Nochmals ein Lebe wohl.

Weimar den 23. December 1797.

G.



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