Adolf Glassbrenner
Zwei Prosaskizzen
Adolf Glassbrenner

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Der Gensd'armen-Markt

Für die Redacteure französischer Journale, welche bei ihren Nachrichten aus Deutschland so oft in Irrthümer gerathen, halte ich die Erklärung nothwendig, daß auf dem Gensd'armen-Markte in Berlin keine Gensd'armen verkauft werden, sondern daß dieser Name oder Titel, wie mancher andere in unserer Residenz, ein begriffsloser ist. Selbst der Titel: Markt ist nur Mittwochs und Sonnabends gerechtfertigt; an diesen Tagen kommen die Bauern aus den umliegenden Dörfern, und bieten diejenigen Waaren feil, welche sie der Natur, nach Hegel: dem Anderssein der Idee entlockt haben. In den übrigen Tagen der Woche bekränzen die Neue Kirche, welche von hohem Alter ist, nur Fischfässer und Obstbuden in deren Mitte die bekannten Improvisatricen, die abstract denkenden Höckerinnen sitzen.

Dieser Neuen Kirche, welche auch die Deutsche genannt wird, steht die Französische gegenüber, und zwischen beiden das imposante Schauspielhaus, auf welchem das Flügelpferd den Roßbach schlägt, oder wie der Deutsche sagen würde: der Hippogryph die Hippokrene. Ob hier nach vielen Jahren vielleicht zwei Schauspielhäuser und in ihrer Mitte eine Kirche stehen werden,habe ich nicht zu muthmaßen; ich habe nur ein Bild zu malen: der Gensd'armen-Markt in Berlin, und in diesem Bilde ein Bildchen mit rosen-roten Wangen und frischer, morgendlicher Laune.

Den Platz, auf welchem die drei bezeichneten Gebäude stehen, umkränzen eine Anzahl großer und schöner Häuser, von geraden, lebhaften Straßen durchschnitten. Die meisten Equipagen jagen von den Linden herunter, die Charlottenstraße entlang, hurtig bei der französischen Kirche, dem Schauspielhause und der deutschen Kirche vorüber; die Peitschen knallen, die Rosse wiehern, die Herren aber im leichten, eleganten Wagen schauen durch die Lorgnette jenen schönen graziösen Tänzerinnen oder den reizenden Schauspielerinnen nach, welche, zur Probe eilend, dort in die kleine Hinterthür schlüpfen.

Droschken, deren Pferde und Kutscher, wie im Schlafe, mit dem Kopfe nicken, kreuzen sich; bunte Spaziergänger wandeln in die freundlichste Straße Berlins, die Jägerstraße hinein, schauen die neuausgestellten Werke vor den Buch- und Kupferstichhandlungen an, grüßen sich, zeigen ihre neuen Kleider, und wandeln wieder zurück über den Gensd'armen-Markt nach den Linden.

Hier, an der rechten Seite der breiten, freundlichen Jägerstraße steht die, namentlich durch ihren jetzigen Präsidenten Rother, so berühmt gewordene Seehandlung; ein großartiger Tempel Merkurs, mit seinen breiten Fenstern heiter hinüberblickend nach dem gegenüberstehenden Tempel der Fortuna, dessen Eingang ein kleiner Porticus bildet. Wie viel Glückliche hat diese Lotterie schon gemacht; wie viel Juden sind schon glühenden Antlitzes aus diesem Hause gelaufen zu ihren Kunden, ihnen zu melden, daß ihre Nummer so eben mit großen Gewinnen herausgekommen! O, ihr beiden Waisenknaben, die ihr mit verbundenen Augen in die Räder des Schicksals greift, ziehet die Nummer 79471 und hinter ihr den Gewinn von 150,000 Thalern! Ich will euch Vater sein, ihr holden Knaben, der liebevollste, gütigste Vater; ich will euch alle Morgen drüben zu Stehely führen, und euch Kuchen naschen und Zeitungen lesen lassen, so viel ihr wollt; aber ihr müßt auch hübsch gehorsam sein, und das Loos Nummer 79471 zum großen, schönen Loose machen!

Die Geschichte des Ostens auf diesem wunderherrlichen Platze ist noch nicht zu Ende. Das Nebenhaus der Lotterie hat keine Niete gezogen; in ihm wohnt Signore Maestro Gasparo Spontini, der Schöpfer der Vestalin, des Cortez und der Olympia, dreier musikalischer Werke voll glühender Begeisterung, unsterblicher Klänge und unbefleckter Schönheit. Welche Figur erblicke ich hier an diesem Gebäude? Ein Weib ist es, dessen Kopf und Busen reizend geformt, dessen Füße krumm und dick sind; Olympia ist es, in welcher Oper sich Spontini's großartiges Talent zum letzten Male entfaltete, und, weil der geniale Sänger schon durch starre Massen die Schönheit erdrückte, auf immer entschwand. Dort tritt er an's Fenster, der Signore; sein braunes italienisches Gesicht wirft einen festen, aber finstern Blick hinüber nach dem Hippogryphen; er thürmt seine schwarzen Haare doch auf und läßt langsam die Hand herabsinken. An derselben Stelle, aus welcher keine Melodien mehr fließen wollen, trägt er einen Orden. Und daneben wohnt Raupach. Neben dem Tyrannen des Opernhauses, der Tyrann des Schauspielhauses. Hier in diesem freundlichen Gebäude wurde die ungeheure Masse Mittelmäßigkeit fabricirt, mit welcher die Berliner sich füttern lassen müssen, sie mögen wollen oder nicht; hier zieht Nachts Melpomene mit den Gespenstern der Hohenstaufen vorüber, und macht dem Vater mit seinen eigenen Kindern böse Träume. Daß diese unvergeßlichen Fürsten, diese ritterlichen Hohenstaufen keinen bessern Dichter als Raupach gefunden, rechtfertigt dessen eigene Worte:

Ich wußt' es wohl, so mußte es verlaufen:
Das Glück war niemals mit den Hohenstaufen.

Und im Norden des Gensd'armen-Marktes wohnt auch ein Mann, der eine Geschichte hat; vor dem sich aber das Glück niemals versperrte: der Geheime Ober-Medizinalrath, Präsident Rust, der bekannte Contagionist, dem tausend und abermal tausend Erfahrungen keinen Gegenbeweis liefern konnten, daß die asiatische Furie, die Cholera, ansteckend sei . Consequenz ist Mannestugend, sagt ein altes, sehr altes Sprichwort.

Merkwürdiger noch als dieses Haus ist jenes eben so schöne an der Ecke, in welchem die Weinhandlung von Lutter befindlich. Hier saßen einst zwei dämonische Gestalten, zwei Genies an einem Tische, tranken vom Blute der Trauben, klingelten mit den Gläsern und ließen sich so lange leben, bis sie starben. Der Tod kam und drückte das kleine satyrische Auge E.T.A. Hoffmann's zu und das große, schwarze und glühende Auge Ludwig Devrients. Und als er den Letzteren holte, riß der geniale Mime noch einmal das glühende Auge auf, starrte hinauf zum Bilde seines dämonischen Freundes, griff krampfhaft mit seinen steifen Fingern in das Bette und rief: »Du bist doch kein Klassiker gewesen, Hoffman!« Dann holte er den letzten Athemzug und nahm seine herrlichen Werke mit in das geheimnißvolle Grab.

Hier, im cultivirten Westen, wenige Schritte vom Schauspielhause, ist Stehely's Conditorei, der Mittelpunkt aller berlinischen Politik und Schöngeisterei, ein Mikrokosmus der Gegenwart. Der Indifferentismus leckt hier seine Baisers, der Liberalismus trinkt Kaffee, der Servilismus Wein, der Conservatismus Zuckerwasser, die Zerrissenheit nascht Pfannenkuchen, die Oberflächlichkeit Alles zusammen. Im Ganzen wird mehr Kuchen verdaut, als Gegenwart.

Heute ist Sonnabend. Schon früh Morgens um sechs Uhr kommen die Bauern von Schöneberg, Tempelhof, Pankow, Wilmersdorf, Lichtenberg, Steglitz, u.s.w., bringen auf großen Wagen die berühmten Teltower Rüben und andere Gemüse für Menschen und Pferde; die Hökerinnen putzen ihre Aepfel und Birnen und Kirschen, die Fleischer ihre Gewichte und Wagen; die Gärtnerinnen setzen sich inmitten ihrer duftenden Blumen und Blüthen nieder; die Fische zappeln in den breiten Fässern, der Markt-Commissair geht mit gewichtigen Schritten auf und ab.

Für den Menschenfreund wird die Scene interessanter als je. Die schönen Berlinerinnen, die reizenden jungen Hausfrauen kommen mit ihren üppigen Dienstmädchen und wandeln hin und her, kaufend und handelnd und plaudernd. Noch sind die Gesichter so morgendlich frisch wie die bethauten Blumen jener Gärtnerin, so ahnungsvoll, so unternehmend; wenn irgend ein Leichtsinn zu hoffen, so ist jetzt die beste Zeit zum Angriff. Hier, zwischen grünen Bohnen und Kartoffeln, Rüben und Hammelfleisch, wo die junge Frau nur an den Mittag, an den hungrigen Gemahl vom Büreau denkt, wo sie nur mit Bäuerinnen und Hökerinnen zu thun hat, hier ist der feine Mann mit dem halben Backenbarte eine Erscheinung, eine wichtige, wenn er den großen Hut zieht, eine gefährliche, wenn er näher tritt, in die frischen Thauäuglein guckt und die weiche Hand küßt.

»Na, Madamken, wie is et?« ruft jene Hökerin und streckt den Kopf über ihre Früchte hinaus, »schöne Beerblausch, eene immer saftijer wie de andere! Kommen Se näher, Madamken, Borschdorfer wie de Engelskoppe, drei Jroschen de Viertelmetze!«

»Sechs Dreier!« bietet die junge, hübsche Frau, mit welcher ich, hinter der Hökerin stehend, schon seit fünf Minuten coquettire.

»Wat meenen Sie?« antwortet zornglühend die Hökerin. »Sechs Dreier bieten Se mir uf drei Silbergroschen? I Jotte doch, Jotte doch, aus wat vor'n wohlfeilet Land sind Sie denn herjekommen? Jehn Se so, jehn Se, junge Frau, reisen Se nach Borschdorf, da kriejen Se de Holzäppel zu sechs Dreier.«

Das Gesicht der lieblichen Hausfrau war glühend roth geworden; sie wendete sich schnell fort, und schlüpfte so behende durch alle Leute und alle gemüsebeladenen Körbe, daß ich Mühe hatte, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Bei der deutschen Kirche endlich holte ich sie wieder ein. Sie stand vor einer kleinen Bude; ein Schustersprößling überreichte ihr so eben ein Paar sauber gearbeitete Pantöffelchen. An diese Pantöffelchen war eine Geschichte zu knüpfen, das überlegte ich mir augenblicklich, trat näher an die Liebliche, deutete auf den Artikel, welchen sie behandelte, und sagte: »Wer so glücklich wäre, unter ihnen zu stehen!«

Sie antwortete nicht, sondern schlug die Augen nieder und lächelte vor sich hin. »Sie scheinen sich für mich zu interessiren,« sagte sie nach einer Weile.

»Entschuldigen Sie diese Dreistigkeit, gnädige Frau!«

»Sie halten sich wohl immer an den Markttagen hier auf?« bemerkte sie etwas boshaft. »Die Waare aber, welche Sie an sich bringen wollen, scheint mir etwas theuer.«

»Mir sehr theuer!« antwortete ich.

»So müssen Sie Schätze haben!«

»Nur Einen! Ich bezahle mit meinem Herzen!«

»Mit Ihrem Herzen?« wiederholte sie und lächelte.

»Freilich, das ist ein Schatz, von dem Sie täglich die Zinsen erheben können.«

»Soll das Schmeichelei oder Bosheit sein, gnädige Frau?«

»Bosheit!« antwortete sie.

»So thun Sie mir unrecht. Ich kaufe nur ein Mal, aber für ewig!«

»Wenn aber die Waare schon einen Käufer hat?«

»So darf ich wenigstens ihre Schönheit bewundern und den Käufer beneiden!« Bei diesen Worten ergriff ich die Hand der schönen Frau und drückte sie leise.

Die Liebenswürdige schwieg und ließ mir die Hand.

»Und hat der schöne Diamant einen Besitzer?« fragte ich nach einer kurzen Pause.

»Ja!« antwortete sie. »Aber –«

»Aber!« wiederholte ich. »O, in diesem Aber liegt ein Himmel voll süßer Hoffnung!«

»So?« lächelte sie. »Das ist kein Compliment für die Reinheit des Diamanten.«

»Er ist zu groß und zu kostbar für einen Sterblichen! Man sollte ihn theilen und zwei Glückliche machen.«

»Aber,« sagte sie. »Da haben Sie ein Aber, in welchem wahrscheinlich kein Himmel voll süßer Hoffnung liegt. Diamanten können nur durch Diamanten getheilt werden. Sind Sie ein solcher?«

»Madamken, drei Jroschen de Viertelmetze!« rief eine Hökerin, an welche wir vorübergingen.

Die junge Frau lachte, verbeugte sich mit einem tiefen Knicks und war unter der Menge verschwunden, noch ehe ich mich von meinem Aerger über die Intervention jener dummen Obsthändlerin erholt hatte.

»Wenn Sie den janzen Korb nehmen,« rief diese weiter, »so bin ick billijer!«

Ich wußt' es wohl, so mußte es verlaufen:
Das Glück war niemals mit den Hohenstaufen.

 


 


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