Adolf Glaßbrenner
Die Insel Marzipan
Adolf Glaßbrenner

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                Kinder, setzt Euch um mich her;
Ich bin Muhme Rählen;
Eine allerliebste Mär'
Will ich Euch erzählen:
Von weit unten in der Welt,
Von der Kinder-Insel,
Wem das Märchen nicht gefällt,
Ist ein dummer Pinsel.

Hört nun zu! Im Ozean
Liegt die stille, kleine,
Runde Insel Marzipan,
Die ich eben meine.
Wald und Blumen seht Ihr dort,
Süße Frucht nicht minder,
Und, merkt auf, im ganzen Ort
Leben nichts als Kinder!

Denkt Euch nur: der Wald, der Teich,
Schwäne, Schafe, Rinder,
Hütt' und Hof, das ganze Reich:
Wer besitzt es? Kinder!
Hühner-, Enten-, Tauben-Brut,
Kirschen, Mandeln, Feigen:
Alles ist der Kinder Gut,
Alles ist ihr Eigen!

Wer springt auf der Wiese froh?
Wer singt in den Stuben?
Wer jagt durch den Wald halloh?
Lauter kleine Buben!
Wer schmückt sich mit Blum' und Kranz
In dem schmucken Städtchen?
Wer jauchzt da bei Spiel und Tanz?
Lauter kleine Mädchen!

Wen seht Ihr da hämmern, hau'n,
Ackern, fischen, graben,
Hobeln, schmieden, Hüttchen bau'n?
Lauter lust'ge Knaben!
Wen seht Ihr da waschen, näh'n,
Spinnen, weben, zwirnen,
Kochen, buttern, pflanzen, mäh'n?
Lauter munt're Dirnen!

Schon am frühen Morgen kühl,
Mit dem weißen Mützchen,
Steht der Müller vor der Mühl':
's ist das weiße Fritzchen!
Spricht mit Kamrad Raphael
Und mit Karl, die packen,
Und den grauen Eseln Mehl
Für die Stadt aufsacken.

Gravitätisch kommt daher
Philippchen, der Richter
Und der kleine Magnus, er,
Der berühmte Dichter!
Mit dem langen Pinsel, o!
Malt Herr Zacharias
Seine beiden Brüder To-
bias und Matthias.

Was im blanken See dort fischt
Richard und Silvester,
Wird des Mittags aufgetischt
Von der Schwester Esther.
Dicht daneben baden sich
Emil und Menander
Adam, Rudolf, Roderich,
Ernst und Alexander.

Jenny backt und Rustika
Kuchen mit Rebekken;
Manch Rosinchen sieht man da
Schön-Rosinchen stecken
In den Mund – doch Ursula
Untersagt's der Kecken:
»Abends mit Veronika
Soll's uns besser schmecken!«

Doktor Hans, zehn Jahre alt,
Mit dem goldnen Stöckchen,
Rund und fleischig von Gestalt,
Geht im roten Röckchen,
Achtend nicht des Stadttumult's,
Ernst hin zu Sibyllen,
Fühlt der Kranken an den Puls
Und verschreibt ihr Pillen.

Auf den Hof zum Füttern geht,
Putt! Putt! Putt! Hortense;
Wie sie alle kommen, seht!
Hühner, Enten, Gänse!
Dicht am Berg, auf grünem Sitz
Strickt die Hirtin Evchen;
Neben ihr bewacht der Spitz
All die weißen Schäfchen.

Hört Ihr wohl, wie sich beim Heu'n
Drüben auf der Wiese
Ihres schönen Lebens freun
Wolfgang und Luise?
Wie: Juchheideldideldei!
Albrecht singt und Clara,
Als den Kaffee nun herbei
Bringt die kleine Sara?

Stephanchen, der Fuhrmann, knallt:
»Heda, eingestiegen!«
In dem nahen Buchenwald
Ist heut groß Vergnügen.
Jubelnd springt Herr Theodor
In die kleine Chaise;
Dann noch Gregor, Feodor,
Tony und Therese.

Brr! hier kommen hinterher
Betty noch und Bärbe;
Von Geschirr und Gläsern schwer
Bringen sie zwei Körbe,
Und auch Fläschchen für den Durst,
Und den Landpartie-Sack
Voll von Butter, Schinken, Wurst,
Kuchen, Brot und Zwieback.

Hei! Musik, Musik ist hier!
David bläst die Flöte,
Die Posaune Kasimir,
Und der Paul Trompete.
Konrad trommelt rumm di rumm!
Trarara! bläst Linchen;
Kaspar streicht den Baß dumm, dumm!
Und die Geige Minchen.

Julius, Gottlieb, Stanislaus,
Kleine Zimmerleute,
Stehen auf dem Bretterhaus,
Das sie krönen heute.
Unten tanzt Emanuel,
Hops! mit Clementinchen,
Und der flinke Gabriel,
Hops! mit Seraphinchen.

Rai- und Ed- und Sigismund
Tanzen mit Mariechen;
Rosa, Flora, Thekla und
Otto mit Sophiechen,
Franz und Oskar; Martin, Jobst
Mit Clotildchen, Annchen,
Und der lange Hiob hopst
Mit dem lieben Hannchen!

Auch Sebastian, Saul und Paul,
Agnes und Constanze,
Victor, Hugo sind nicht faul
Bei dem lust'gen Tanze.
Selbst der dicke Kilian bleibt
Hier nicht angewurzelt;
Felix, der zu toll es treibt,
Wär' bald hingepurzelt!

Laura tanzt mit Eberhard,
Max mit Rosamunden,
Und der steife Eduard
Tanzt mit Kunigunden,
Julie wild mit Romeo,
Heinrich, sanft und duse
Mit Gertrud, und ebenso
Michel mit der Suse.

August hat Babett' umhalst,
Arthur nimmt Amalien;
Valentin, der Gärtner, walzt
Lustig mit Rosalien,
Abraham mit Helena,
Joseph mit Dianen,
Pius mit Olympia,
Moses mit Christianen.

Faustus tanzt mit Gretchen hold,
Wilhelm mit Lenoren,
Salome mit Leopold,
Niklas mit Auroren!
Ei, wie springt das Lottchen, ei!
Gustav, Adolf, Jettchen,
Daniel und Adele, hei!
Und das nette Nettchen!

Ist das nicht ein schönes Reich,
Dieses Reich der Jugend?
Ist es nicht dem Himmel gleich:
Lauter Lust und Tugend?
Doch genug heut! Morgen mehr!
Hat es Euch gefallen?
Ja? Na schön! Mich schläfert sehr.
Gute Nacht Euch allen!


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