Salomon Geßner
Der erste Schiffer
Salomon Geßner

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Salomon Gessner

Der erste Schiffer

In zween Gesængen


Erster Gesang.

MAnch Kummer-volles Jahr war schon vorybergegangen, seit jener schreklichen Nacht, da Mylons Hytte auf ihrem kleinen Vorgebyrge durch die wylende Fluth weit von dem vesten Lande getrennt war; zwischen dem vesten Land und ihrer Wohnung hatte das Meer die vereinenden Fluren verschlungen. Auf einsamer Insel stand ihre Wohnung, von jenen Ufern so ferne, daß sie bey sanftester Stille des Himmels und des Meeres das lauteste Bryllen der Herden am blauen Ufer nicht hœrten; von allen Freuden entfernt, die nachbarliche Liebe und gefællige Freundschaft ihnen ehdem gewæhrten. Semira hatte lange schon ihren Geliebten begraben, und in trauriger Einsamkeit lebte sie da mit ihrer Tochter, und keine Gesellschaft versyßte ihre Stunden, es seyen denn die Vœgel des Himmels und ihre kleine Herde.

Melida, ihre Tochter, wuchs, von keinem Jyngling bewundert, in blyhender Schœnheit; bey frohen Spielen und beym Reihen-Tanz wære sie unter den Schœnen immer die Schœnste gewesen; anmuthiger als der junge Pfirsich-Baum, wenn er zum ersten mal mit schœnen Blythen prangt.

Semira, aus zærtlicher Sorge, die Einsamkeit ihrer Tochter nicht mit bitterm Kummer zu quælen, nicht mit Begierden nach Freuden, denen jeder Zugang verwehrt war, verhælt' ihr jede gesellschaftliche Freude, die Freuden, die dort am Ufer auf jeder Flur in jedem Schatten sich umarmen; aber jeden Tag gieng sie hin, bey Mylons Grab eine traurige Stunde zu verweinen. O du bist hin! so klagte tæglich ihr Kummer, du bist hin; ach du, du Trost meines Lebens, du Styze in unserm Elend! Hylf-los von allem verlassen, vom tobenden Meer umschlossen, was fyr ein Schiksal wartet auf uns! Kein freundschaftliches Mitleid lindert unsern Jammer, und jede nachbarliche Hylfe ist uns versagt. O! kœnnt' ich auch dich sterben sehen, Melida, geliebteste Tochter! Ach! so groß ist mein Elend, daß dieß mein sehnlichster Wunsch ist. Kœnnt' ich dich sterben sehn! Sterb' ich, ach! und du in aufblyhender Jugend, bleibst allein zuryk! Schrekliche Aussicht! allein von rauschenden Wellen umschlossen, keine Gesellschaft, als hylfloses Elend und Jammer. Dann kœmmt keine menschliche Stimme vor dein Ohr, nie ertœnt dir die Stimme eines Liebe-vollen Gatten, den dein Lieb-Reiz und deine Tugend beglyken, nie der frohe Mutter-Name der stammelnden Kinder, nie die Stimme der Freude, nur die Stimme deines eigenen Jammers tœnt dir aus den traurigen Schatten und aus den Felsen-Klyften zuryk; lange Quaalen werden deine Jugend verzehren, Trostlos wirst du sterben, die Thrænen der Liebe werden nicht bey deinem Hylf-losen Sterben fliessen, und dein Leichnam wird unbegraben an der brennenden Sonne zerfallen, oder der Raub der Vœgel des Himmels seyn. O verhehlt ihr meine Klagen, ihr Klyfte! Ihr einsamen dunkeln Schatten! euch allein kann ich klagen; verhehlt ihr meinen Jammer, ihr, die in unschuldiger Unwissenheit ihr ganzes Elend nicht kennt. So klagte Semira, und verhehlt ihrer Tochter die Quaalen, die immer an ihrem welkenden Leben nagten.

Melida spielte indeß in reizender Unschuld mit jungen Læmmern; sie brauchten keinen Hyter, da sie das rauschende Meer in ihre kleine Flur umschloß; oder sie wœlbte Geruch-reiche Schatten zu Lauben; sie war die Schyzerin der Pflanzen, denn jeder leidenden Blume und jedem Gestræuche half sie zu gesundem Wachsthum empor; und eine Quelle leitete sie umher, und ließ von Steinen sie rieseln, oder in kleinen Teichen sie sammeln. Rings um die Insel her hatte sie eine gedoppelte Reihe fruchtbarer Bæume gepflanzt, in deren jungen Schatten sie einsam, schœn wie Venus auf der Insel Paphos, dahergieng. Auch hatte sie eine Hœle in einem Felsen am Ufer sich ausgeschmykt; denn die Einsamkeit ist Phantasien-reich; was die spielenden Wellen von Muscheln ihr ans Ufer brachten, das trug sie in ihre Hœle, und befestigt es an ihren Wænden, mannigfaltig nach Gestalt und Farben geordnet. Die grœsseste von allen empfieng ein vom Gewœlbe in hellen Tropfen fallendes Wasser mit angenehmem plætschern; und vor dem Eingang flatterten Jesmin-Stauden empor.

Unter so unschuldigen Geschæften flossen ihre Stunden dahin, und sie fyhlt' es nicht, daß sie einsam war; sechszehn jugendliche Jahre waren so vorybergegangen, aber izt fieng sie es an zu fyhlen, daß sie einsam war. Staunend und Muthlos gieng oder sasse sie oft in ihrem Schatten, und redete so mit sich selbst: Wofyr haben wol die Gœtter uns hieher gesezt, so einsam? Unglyklicher als alle andern Geschœpfe, wofyr sind wir da gewesen, und wofyr sind wir noch da? O ich fyhl es; woher sonst dieser Unmuth, als fehlte mir etwas, das zu meinem Wesen gehœrte; etwas, das ich nicht nennen kann; ja ich fyhl es, daß ich zu dieser Einsamkeit nicht geschaffen bin; es muß etwas besonders mit uns vorgegangen seyn, das meine Mutter mir verhehlt. Ich seh es; immer schwebt ein trauriges Geheimniß vor ihrer Stirne, und wenn ich nachforsche, dann zittern Thrænen in ihren Augen, die sie mit Myhe zurykhælt. Ich soll mich auf die Weisheit der regierenden Gœtter verlassen, so sagt sie, und geruhig unser Schiksal von ihren Hænden erwarten. Ich will nicht forschen; in stiller Ehrfurcht will ich mein Schiksal von ihren Hænden erwarten, so dunkel auch die Geheimniß-reiche Aussicht ist.

Oft sah sie tief nachdenkend yber das weite Meer hin. O ihr unabsehbaren Fluren! Sagt mir, ô! sagt mir. Ist dieser kleine Punct diese Insel, die ihr umgebet? denn wie klein ist sie in euern unabsehbaren Flæchen! Ist sie das einzige Land? Sind nicht etwa meinem Auge zu ferne andre Ufer, die ihr bespylet? Ach! Meine Mutter læugnet mirs, aber ihr schweigender Kummer giebt mir Verdacht. Gewiß! gewiß! das ist nicht das einzige Land in eurer ungeheuern Flæche; denn was ist jenes dort, das wie ein niedres Gewœlk unbeweglich in einer langen Reihe yber euerm æussersten Rand sich hinzieht? Vielleicht triegt mich die Einbildung; aber mir deuchte schon bey tiefer Stille fern hertœnende Stimmen zu hœren. Was kann es anders seyn? wiewol es so klein zu seyn scheint; das macht die tiefe Entfernung; ich weiß es, ô ich weiß es! scheinen doch die fernen Wellen auch klein; scheint nicht unsre Hytte auch viel kleiner, wenn ich vom æussersten Ende der Insel sie sehe? Und ist es Land, wie dieses hier mit Fluren und fruchtbaren Bæumen, so werden auch Geschœpfe seyn, zu deren Genuß sie da sind. Aber vielleicht sinds andre Geschœpfe, als die sind, die wir hier haben; vielleicht auch keine Geschœpfe, wie ich bin; keine, die mir zur Gesellschaft besser dienen kœnnten, als meine Schafe hier; aber wenns wære: ach! zwar macht der Gedanke mir bange, wenn jenes ein Land wære, von Geschœpfen wie ich bin bewohnet, und es wæren ihrer viele, wie auch viele Vœgel und viele Schafe auf unsrer Insel sind, und sie kœnnten mit einander sich freuen, wie die mannigfaltigen Vœgel sich freuen, oder wie meine Schafe in gesellschaftlicher Einigkeit sich freuen; ô glykliche, glykliche Geschœpfe! Verlaß mich, verlaß mich, zureizender Gedanke! Ausschweifende Gedanken, wo fyhret ihr mich hin, mich unglyklich zu machen? O ihr Wellen! Wenn ihr an jenes Ufer euch wælzet, dann lispelt den glyklichen Bewohnern, daß ein unglykliches Mædchen am Gestade jener Insel weint. Verlaßt mich, ausschweifende Gedanken, ihr macht mich nur trostlos.

Oft fragte sie ihre Mutter; aber sag mir: Warum bleiben wir zwey immer nur zwey, da alle Geschœpfe sich mehren? Um die Pflanzen her wachsen junge Pflanzen von gleicher Art; jæhrlich mehret sich unsre Herde; wie freudig hypfen die jungen Læmmer, und freuen sich ihres Daseyns! Und die mannigfaltigen Vœgel; Ich sah es, und weinte! Dort in der dunkelsten Laube saß ich, und bemerkte viele Tage alles. Zween Vœgel hatten ein reinliches Nest sich gebaut, dann spielten sie mit sysser Freundlichkeit auf nahen Aesten. O wie sie sich liebten! Bald darauf sah ich Eyergen in dem Neste, die das Eine mit sorgfæltiger Wache mit seinen Flygeln dekte, indeß der andre auf nahen Aesten ihm zur Kurzweile sang. Alle Tage bemerkt' ichs von der Laube. Bald sah ich unbefiederte kleine Vœgel, wo die Eyer sonst waren, indeß daß die grœssern mit neuer Freude sie umflatterten, und Speise in ihren Schnæbeln den noch unbehylflichen brachten, die mit zwitschernder Freude sie empfiengen; nach und nach befiederten sie sich, und schwangen die noch schwachen Flygel; aber izt huben sie sich aus ihrem kleinen Nest auf den nahen Ast, die grœssern flogen ihnen vor, als wollten sie ihnen Muth geben, das gleiche zu wagen. O meine Mutter, wie lieblich war das zu sehen! Sie schwangen oft die Flygel, als wollten sie es wagen; und furchtsam wagten sie es nicht. Da wagt es der Kyhnste, und sang vor Freude yber die gelungene Sache, und schien seinen furchtsamern Gespielen zu rufen; sie wagten es auch, und izt flatterten sie umher, und sangen mit allgemeiner Freude. Ach was wunderliche Gedanken da bey mir entstuhnden! Warum sind wir allein, denen diese Freude versagt ist?

Semira war bang, die ihrem Geheimniß so gefæhrlichen Fragen zu beantworten. Ich weiß selbst von allem dem nichts, sprach sie; was willst du durch unnyzes Nachforschen dir Muthmassungen, leere Einbildungen erfinden, die Wynsche in dir erweken, die doch nur Træume sind, und dennoch deine unschuldige Ruhe stœren? Was willst du den Gœttern mit fyrwizigen Nachforschungen zuvorkommen, die allein wissen, was mit uns vorgehen soll, und unser Schiksal fryh oder spæter nach ihrem weisen Willen lenken werden?

Aber, so antwortete Melida, die Gœtter wollen mirs verzeihen! wozu wird man in so myssiger Einsamkeit verleitet! Aber den Wunsch kann ich doch nicht unterdryken, daß unser Geschlecht sich auch, wie andre, vermehren mœchten; wie das geschehen kann, das kann ich nicht ausforschen; das muß ich den Gœttern yberlassen. Die Pflanzen entstehen aus dem Saamen, gewisse Thiere gehen aus den Eyern hervor, andre so, andre anderst. Ich hab es alles bemerkt; was hab ich auch sonst zu thun? O wenn ich einmal so kleine Menschen fænde, die auf die oder irgend eine andre Art entstanden oder ausgebrytet wæren! Gœtter! Wie wollt' ich sie pflegen! Wie wollt' ich sie lieben! Aber nun ich will diese Phantasien alle mit dem Wind wegjagen; die Gœtter werden fyr mein Bestes sorgen. Aber eins noch, liebste Mutter! die Frage muß ich thun, und dann keine mehr: Ich weiß noch, daß ich nicht immer war, wie ich izt bin; daß ich nach und nach zu dieser Grœsse wuchs, wie die Pflanzen und wie andre Geschœpfe; ich weiß noch, daß ich nicht viel hœher war als ein Nelkenstok; also muß ich vorher noch kleiner gewesen seyn, als ich mich erinnern kann; also muß ich ein mal angefangen haben zu seyn, wie die Pflanzen und wie die Vœgel und andre Geschœpfe anfangen zu seyn; sag mir, du must vor mir da gewesen seyn; sag mir, wie und wo hast du zuerst mich gefunden, und was ist mit mir vorgegangen? Wenn du mir das sagst, so kann ich vielleicht Mittel finden, ihnen leichter auf sie Spuhr zu gehn, oder wol gar – Ach ich weiß selbst nicht recht was, aber du kœnntest mir alles sagen – so verfolgte sie die unruhige Mutter mit tausend Fragen. Du machest mich bœse, sprach sie, mein Kind, mit deinem wunderlichen Geschwæze; wie du entstanden bist, kann ich nicht sagen. Da ich allein, ganz allein war, hab ich die Gœtter um Gesellschaft gebetten, und da fand ich dich an einem schœnen Morgen ganz klein unter den Rosenstauden vor der Hytte; aber noch ein mal, fyrwiziges Kind, du wirst mit deinem unnyzen Geschwæze mich bœse machen; pflege du unserer Blumen, spiele mit deinen jungen Læmmern, und erzœrne die Gœtter nicht, mit deinem Fyrwiz und mich mit Fragen, die ich nicht beantworten kann. Seit dem du diesen wunderlichen Phantasien dich ergiebst, bist du nicht mehr erfindsam, deine Stunden angenehm durchzubringen; nur erfindsam, dich und mich zu plagen, læssest du deine Hœle unvollendet, und deine Pflanzen ungepflegt.

So lebte Semira mit ihrer Tochter einsam, und voll Unruh und Kummer; aber die Gœtter hœrten ihr Flehen, und beschlossen, ihren Kummer mit Freude zu belohnen. Im Rath der Gœtter nahms Amor auf sich. Wer unter den Gœttern kann besser ein junges Mædchen beglyken?

Auf dem vesten Lande der Insel gegen yber wohnte ein Jyngling, herrlich gebildet; man hætt' ihn fyr einen der Gœtter gehalten, wenn er auf blumigter Flur oder im Schatten des Hayns wandelte. Oft hat ihm sein Vater erzehlt, wie vor Jahren ein grosser Schreken weit herum im Land war. Du siehest jenen Flek dort im Meer, so sprach er und wies mit der Hand gegen der Insel; er sah sie aus seiner Hytte, die nicht fern vom Ufer stand; ein langer Strich Landes gieng einst wie ein ausgestrekter Arm weit in das Meer hinaus. Am æussersten Ende. wohnte ein redliches Paar, Semira und Mylon. Herrliche Fluren zogen von unserm Ufer sich bis zu ihrer Hytte, und zahlreiche Herden weideten an beyden Ufern des lang gestrekten Landes. Ihr grœssester Segen und ihre Freude war ein damals unmyndiges Kind, ein Wunder von Schœnheit und Anmuth. Weither kamen die Weiber des Landes, die Schœnheit des Kindes zu sehen, kleine Geschenk ihm zu bringen und die glykliche Mutter zu segnen; aber mir schauert noch, wenn ich des Schrekens gedenke. In einer Mitternacht wekte ein fyrchterliches Krachen, wie tausend Donnerschlæge, die ganze Gegend vom Schlafe; die ganze Gegend erbebte, das Meer tobete und stieg mit schreklichem Getœse yber sein Ufer, die Stimmen des Schrekens und des Jammers tœnten weit umher durch den næchtlichen Himmel. Bey finstrer Nacht konnte keiner die Ursache des Jammers entdeken. Bebend und voll Entsezen fand man sich auf dem Feld, in banger Erwartung; aber die Dæmmerung kam, da sahn wir die schrekliche Verwystung im Meere; die Fluren zwischen dem Land und jener Insel waren in das tobende Meer versunken; erst da die Morgen-Sonne ins stillere Meer schien, entdekten wir jene Insel; und einer von uns, dem die Gœtter ein schærferes Auge gegeben, glaubte, bey hellen Tagen Mylons Hytte und um sie her Bæume zu sehen. Vielleicht lebt er noch mit seinem Weib; vielleicht ist Melida (so hieß das schœne Kind) in trauriger Einsamkeit das schœnste Mædchen, das je ein Sterblicher sah.

Diese Geschichte machte grossen Eindruk auf das Gemythe des Jynglings; seither gieng er oft ans Ufer des Meeres, und staunte dem Schiksal der Bewohner jener Insel nach. Einsmals yberschlich ihn ein sanfter Schlaf beym Geræusche der Wellen; da flog Amor zu ihm, sezt' an seiner Seite sich, kyhlt ihn mit sanften Flygeln, daß die Mittags-Hiz ihn nicht weke, und gab ihm den Traum, daß ihn deuchte, wie er das Ufer jener Insel sæhe; kleine Liebes-Gœtter flatterten da in heiligen Schatten, mit traurigen Gebehrden; oder sie trauerten auf wankenden Aesten des Gestræuches, oder auf Blumen; tief aus dem Schatten hervor kam mit langsamem Schritt und tiefstaunend ein Mædchen mit jedem Lieb-Reiz geschmykt. Schlank gebogen gieng sie in nachlæssiger Schœnheit einher; ihre weissen Haare zerflossen zum theil auf ihren Schultern, wie Milch auf glænzend weissem Marmor zerfließt; zum theil waren sie in einem Knotten mit einem Myrthen-Schoß auf ihrem Kopf nachlæssig befestigt; eine reizende Blæsse war in ihrem schœnen Gesicht, wie Rosen, die vor einem jugendlichen Busen verwelken, und feurige Sehnsucht schmachtete in ihren grossen blauen Augen. So gieng sie einher, und achtete der sanften Winde nicht, die mit ihr spielten, und der schœnsten Blumen nicht, die schmeichelnd um ihre Fysse sich schmiegten, und mit den lieblichsten Gerychen ihre Aufmerksamkeit reizten; nicht der syssesten Frychte, die in mannigfaltigem Glanz von beyden Seiten an wiegenden Aesten ihr winkten. So gieng sie ans Ufer des Meeres, sah traurig yber die blaue Entfernung nach dem andern Ufer hin, hub ihre weissen Arme empor, und schien um Hylfe zu flehen. Da deucht ihn, wie er yber das Meer hinschwebte, und schnell zu ihrer Hylf eilte. Amor empfieng ihn am schattichten Ufer, und fyhrt ihm die Schœne in seine zitternden Arme; freudig flatterten die Liebes-Gœtter umher in muthwilligen Spielen, umwanden sie mit Blumen-Krænzen, und umdyfteten sie mit Blumen-Gerychen von ihren sanft-wehenden Flygeln. Dem Schlafenden pochte das Herz, seine Wangen glyheten, und seine Arme umschlangen die weichende Luft; und da erwacht er, lange lag er noch in betæubender Entzykung. Gœtter! (so rief er mit bebenden Lippen) Wo bin ich? Wie? sie ist weg; sie ist aus meinen Armen geflohen. Ach! Hier lig ich am Ufer, – dort, fern ist die Insel! Ein Traum, ach ein Traum hat mich fyr immer betrogen, fyr immer, ich fyhl es, mich unglyklich gemacht!

Izt gieng er œfter ans Ufer, als vorher; in tiefen Gedanken, und seufzend gieng oder saß er izt am Meer-Sand, und sah yber die spielenden Wellen nach der Insel hin. Besonders des Nachts beym Schimmer des Mondes, wenn tiefe Stille yber die ganze Gegend war, und das Meer nur lispelte, dann stand er am æussersten Rande des Ufers, und horcht, ob er keine Tœne von der Insel her vernæhme; oft glaubt er, Klagen zu hœren, oder die Tœne einer lieblichen Stimme: Dann wie oft triegt die erhizte Einbildungs-Kraft die Wynsche derer, die lieben! Oft rief er, und ihn deuchte, als hœrt' er Antwort aus tiefer Entfernung. Oder zuweilen glaubt er, Licht oder den Schimmer eines Feuers von der Insel zu sehn, wenn hinter ihr ein Stern am Rande des Himmels stand. Vielleicht, (so sagt er) vielleicht sizt sie dort einsam bey der næchtlichen Flamme des Herdes, und staunt yber ihr verlassenes Schiksal, und verseufzt umsonst bey næchtlicher Stille ihre jugendlichen Tage. O ihr Winde! Hætt' ich eure Flygel, ihr Winde! Eilet, flieget jenem Ufer zu, und sagt ihr, daß ich Elender hier am Ufer verschmachte.

Aber wie, (so sagt er sich oft) wo ist meine Vernunft hin, ich Elender! was lieb ich? Einen Traum, einen eiteln Traum! Hier schlief ich, und meine Einbildungs-Kraft schuf ein Bild vor meine Stirne, zwar schœner, weit schœner, als alles, was ich bisher sah; ich erwachte; aber, Gœtter! es verschwand nicht wie ein Traum; tief unauslœschlich sizt es in meiner Einbildungs-Kraft, und herrschet yber meine ganze Seele; und doch ein Traum, ein Schatten, der vielleicht nirgend in der Welt seine Wirklichkeit hat; den lieb ich, der verfolgt mich bey allen meinen Geschæften; wo ich gehe, wandelt er an meiner Seite, nehret in meinem Herz ein bestændiges Feuer und diese phantastische Qualen, und reißt mich gewaltsam an dieses Ufer hin. O schæme dich, suche deine Vernunft wieder, und sey wieder, was du vor warest, ruhig und zufrieden, und fleissig und erfindsam in deiner Arbeit. Geh, lache deiner yberwundenen Thorheit. Verlasse dies Ufer, und danke den Gœttern, daß du noch nicht das Gespœtte der ganzen Gegend bist.

Aber umsonst bekæmpft er die wunderbare Liebe; umsonst war sein Entschluß, das Ufer zu meiden. Bey dem angenehmsten Geschæfte schwebte das Bild immer vor seiner Stirne; immer war es, als schleppt' eine unsichtbare Gottheit ihn ans Ufer. O ihr Gœtter! (so rief er dann) soll diese Liebe ewig umsonst mich quælen, und ein Schatten-Bild meine jugendlichen Tage mit Hoffnung-loser Pein erfyllen? Aber das ist kein Traum, wie die schwermende Phantasie sonst giebt; zu dieser Idee von Schœnheit hat meine Einbildungs-Kraft sich nie erhoben, die so weit jede Schœnheit ybertrifft, die bisher mein Auge gesehen. Das kann auch die blosse Phantasie im Traum nicht; gewiß, ein Gott gab mir den Traum. Aber warum, was muß die geheime Absicht seyn? Das kann ich nicht ausfinden. Lebt die Schœne Gestalt wyrklich dort auf der Insel, warum ließ er mir im Traum sie sehn, warum will er, daß ich in Liebe gegen sie verschmachte; warum verlæßt er mich ohne Hoffnung, ohne Beystand, ohne mir die Mittel zu zeigen, an jenes Ufer zu kommen? Da es unmœglich ist, jenes zu entfernte Ufer mit Schwimmen zu erreichen, was fyr Rath, was fyr Erfindung kann mir helfen; zwar die Gœtter gaben dem Menschen hohe kyhne Gedanken und Erfindung-reichen Wiz, und yberlassens ihm, seine edlen Kræfte zu seinem Besten zu yben; aber, Gœtter! welch menschlicher Wiz kann mich lehren, auf den Wellen des Meeres zu wandeln, oder wie die Meer-Ente gefahrlos durch die Fluten zu schwimmen?

Izt saß er oft tief-staunend am Ufer, mit arbeitendem Verstande dacht er lange umsonst einer Erfindung nach; denn damals war die Kunst, auf Schiffen sich den Fluten zu vertrauen, noch nicht erfunden; was sollten sie auf fernen Kysten? da an jedem Ort, wo Gras fyr ihre Herden wuchs, Bæume mit gesunden Frychten standen, und eine klare Quelle rauschete, sie ihren ganzen Reichthum fanden, und Ueberfluß fyr jedes ihrer Bedyrfnisse. Lange dacht er nach, fand und verwarf lange; einmal sah er traurig ins Meer hin, da sah er fernher dem Ufer nach etwas, das die Wellen ihm næher trieben; Freude und Hoffnung styrzten plœzlich in sein scharf bemerkendes Auge; immer kams næher, und da sah er den dichten Stamm eines umgeworffenen Baumes daherschwimmen, von Alter ausgehœlt, und ein schychternes Caninchen, von irgend einem Feind am Ufer verfolgt, hatte mit Schwimmen sich auf den Stamme gerettet; da saß es sicher im ausgehœlten Baum; ein laubigter Ast bog sich yber ihm hin, und dekt es mit seinem Schatten, und ein sanfter Wind trieb den Stamm neben dem Jyngling ans Ufer. Ihm ahnte sein Glyk, trunken vor Freude hypft er am Ufer. Dann staunt er wieder, das dunkle Bild zu entwikeln, das wie ein zweifelhafter næchtlicher Schatte in seiner Einbildung saß, bald sich verlohr, bald wieder entstand. Izt schleppt er den Stamm aufs trukene Meersand, um Morgens bey fryher Dæmmerung ein Werk zu versuchen, das so unreif noch in seinen Gedanken lag. Hoffnung und Zweifel und Schlaflosigkeit waren bis zur Dæmmerung seine Gefehrten; aber izt eilt er mit schlechtem Werkzeug versehen, denn damals bedurfte die glyklichere Einfalt nicht vieles. So eilt er ans Ufer. Hab ich doch oft gesehen, (so sagt er) daß vom Ufer gewehetes Laub, in sich gewœlbt, sanft yber dem Wasser schwimmt; erst kyrzlich sah ichs im Teich bey unsrer Hytte, und Schmetterlinge, die yber dem Teich flatterten, sezten sich hier und dort auf ein Blatt, und nezten die zarten Fysse nicht; nun will ichs versuchen; schon hat die Natur die Hælfte der Arbeit gethan; den Stamm will ich so weit hœlen, daß ich gemæchlich drinn size; so sprach er und hub freudig seine Arbeit an. O du, (so rief er) Wer du auch bist, milde Gottheit! die den unvergeßlichen Traum vor meine Stirne gebracht hat, hœre, ô hœre mein Flehen, laß meine Arbeit mir gelingen.

Oft sah er von seiner Arbeit ruhend nach der Insel, und sprach: O du! Schœnste unter den Sterblichen! Was ist schwierig genug, das die Liebe nicht mœglich macht? Welche Gefahr ist zu groß, daß die Liebe sie nicht besiege? O was fyr sysse Hoffnungen schweben um mein Haupt! Wie kannst du, komm ich nun bald an dein Ufer, wie kannst du deine Liebe mir versagen, mir, dessen Liebe dem Abgrund des Meeres trozt? Hat je die Liebe was kyhners gewagt?

Oft auch ließ er muthlos von seiner Arbeit ab. Ich Thor, (so redt er zu sich) wie læcherlich ich mich hier bemyhe! Wenn ein Vorybergehender mich fragen wyrde: Freund, was machest du da? Was wyrd er zu der Antwort sagen? Ich hœle mir dies Holz, um mich darein zu sezen, und ins weite Meer darinn zu schwimmen. Wer ist der Elende, der seinen tollen Sohn so sorglos seinen Rasereyen yberlæsst? Das mysst er sagen. So sprach er, und sah unwillig auf sein angefangenes Werk. Aber wie, so sprach er wieder, wenns auch nicht gelingt, so hab ich einige, sonst myssige Stunden verschwendt. Sollt ich fyr meine Liebe das nicht wagen? Gewiß wohnen Leuthe auf der Insel; was mir mein Vater erzehlte, machet mirs wahrscheinlich, und mein Traum, (den hat ein Gott vor meine Stirne gefyhrt) der machet mirs gewiß. Und wenn sie da wohnen, Gœtter! wie hylflos myssen sie seyn, wie verlassen! Oder wenn ihr Vater, wenn ihre Mutter todt wæren, oder wenn sie einst sterben, und sie wær allein auf der Insel, von allem verlassen, und ihre jugendliche Schœnheit myßte in trostloser Einsamkeit vor Gram und Verzweiflung verblyhen: Gœtter! Nein, nicht Liebe, Mitleiden allein myßte hier das kyhneste wagen! So verlohr er oft, und gewann immer wieder seinen Muth.

Wenige Tage waren verflossen, da war der Stamm ausgehœlt, und hatte die unvollkommene Gestalt eines Nachen. Izt schleppt er myhsam ihn dahin, wo das Ufer einen kleinen Theil des Meeres umschloß, und vor der Gefahr der Wellen ihn schyzte, da stieß er das Fahrzeug in die Fluth, sezt' in seine Mitte sich, ließ am Ufer sich treiben, wohin die sanften Wellen ihn fyhrten, und beobachtete das Gute und das Mißlungene an seiner Arbeit; die Wellen fyhrten ihn wieder ans Ufer, da hub er seine Arbeit wieder an, ændert oft, und versucht es oft wieder. Aber so dacht er: Nun ist die Hælfte des Werkes vollendet; aber was fyr Mittel hab ich, die Reise nach meinem Willen zu lenken? so fahr ich nach der Willkuhr des Windes und der Wellen; tollkyhn wær es, wenn ich die Reise in das offene Meer hinaus nach der Insel so wagte. Hundert Gedanken stellten sich seiner Einbildungs-Kraft dar, und hundert verwarf er. Aber (dacht er izt) lenkt doch der Schwan mit breiten fort-stossenden Fyssen seinen Lauf, und alle Vœgel, die in den Fluthen schwimmen; hat ein Thier mich gelehrt, auf dem Stamm eines Baumes zu schwimmen, so kœnnen auch Thiere vielleicht mich hier unterrichten. Wie wenn ich Fysse von Holz mir mache, breit wie die Fysse des Schwans, wo sie in die Fluth sich tauchen, und ich wyrde mit jeder Hand einen auf beyden Seiten des gehœlten Stammes sie regieren. Voll Entzyken yber diesen Gedanken eilt er, bequemes Holz sich zu schneiden, und bald war es in Gestalt zweyer Ruder; da lief er in den Nachen, und probierte lang umsonst; aber jeden Tag beobachtet er die Lenkung der Fysse der schwimmenden Vœgel, und jeden Tag fand er neue Vortheile, sein Fahrzeug zu lenken. Lange schwebt er in dem kleinen Meer-Busen umher; aber kyhner auf seine Kunst sich verlassend schwamm er izt hinaus ins offene Meer, und lenkte seinen Nachen glyklich zuryk, und sprang voll Freude wieder ans Ufer. O sysse Freude! (so rief er) Nun ist mir das Wunder gelungen; kyhn will ich izt mit den ersten Stralen der Sonne auf dem Meer seyn; wofern Morgen die Winde mir gewogen sind, will ich in kleinem Gefæsse von Holz den Fluthen des Meeres mich vertrauen. Kyhn ist mein Unternehmen, aber marternd und tœdtlich meine Liebe; und nur ein Elender wagts nicht, Unglyklichen durch drohende Gefahren hindurch Trost und Hylfe zu bringen. Izt befestigt er seinen Nachen im kleinen Meer-Busen, und gieng (denn die Nacht kam.) in seine Hytte zuryk.

 


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