Salomon Geßner
Daphnis
Salomon Geßner

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Daphnis.

Zweytes Buch.

IZt nahm Daphnis die Ziege, und trieb sie in den Nachen, und fuhr vom Ufer; aber seine Gedanken folgten der Phillis, staunend sah er nicht, wie styrmisch der Fluß vorbey rauschte; schon war er in der Mitte, da schlug er ihn wider ein Felsenstyk, daß ihm sein Ruder zerbrach, und fyhrt' ihn auf beschæumtem Ryken schnell weg, und die Ziege sprang aus dem Nachen, und schwamm ans Ufer. Wie das zarte Lamm zittert, wenn es von der Lœwin, mit starken Zæhnen, den Jungen zugetragen wird, die hungrig aus der Hœle ihr entgegen bryllen; so zitterte Daphnis, keinen Augenblik sicher, wenn ihn der Fluß wider einen Felsen schlægt, wo tobende Wellen bryllen. Aber der Fluß schlug ihn wider keinen Felsen, und fyhrt' ihn auf seinem Ryken, bis Daphnis in finsterer Nacht kein Ufer mehr sah. Oft sah er das Lampen-Licht in einer Hytte am Ufer, dann rief er ængstlich die Leute zur Hylf, aber umsonst, der Fluß fyhrt' ihn zu schnell vorbey; izt sah er ein grosses Licht, dem er sich immer næherte, und izt sah er, daß das Licht auf dem Fluß in einem Nache war; er rief Hylfe, und der Nache fuhr ihm entgegen, und hielt den seinen auf.

Zween Mænner, die in dem Fluß fischeten, und, um die Fische blind und tumm zu machen, mit ihrem Feuer sie blendeten, nahmen ihn freundlich in ihren Nachen, und fyhrten ihn ans Ufer und in die nahe Hytte, deren Wænde mit træufelnden Nezen behangen waren. Daphnis fand da einen ehrwyrdigen Greisen, in ungewohnter Kleidung; wahrhaftig, flysterten die Fischer sich leise zu, heute sind wir glyklich; schon zween Gæste haben die Gœtter uns zugefyhrt, schon zwey mal haben sie uns die Freude zugefyhrt, Nothleidenden zu helfen. Izt gieng der eine von ihnen, von den gefangenen Fischen fyr die Gæste zu zurichten, und der andre brachte Brod und Most und Frychte. Der freundliche Alte nœthigte den Daphnis, und den gutthætigen Fischer, sich bey ihm zu sezen, und Daphnis mußte erzehlen, wie ihn der Fluß weggeraubt habe; und Daphnis erzehlte seinen Schreken, und wie er umsonst Hylfe gerufen, und wie er sich gefreut habe, den Nache mit dem Feuer zu sehen. Unter freundlichen Gespræchen, (denn wie kann es anders, als freundlich seyn, wenn Nothleidende zusammenkommen, wo sie Schuz finden, beym redlichen Zusammenkommen, der den Gœttern dankt, daß sie diese ihm zugefyhrt haben,) unter freundlichen Gespræchen sassen sie da, bis der andre Fischer læchelnd eine Schyssel voll gekocheter Fische herbrachte, und sie auf die Tafel stellte, er sezte sich auch zu ihnen; beyde baten die Gæste zu essen. Vater! sagte der eine zu dem Greis, deine Kleidung ist kœstlich und fremd, und deine Sprache ist nicht wie unsre Sprache; dein Unglyk muß dich weit hergefyhrt haben. Izt seufzete der Greis, und konnte noch nicht antworten. Ach! hub er izt an; Freund! mein Unglyk hat mich so weit nicht hergefyhrt; ich bin aus der Stadt Croton, und saß da in dem Rath meiner Vaterstadt, und ach! die Hæupter daselbst, die die Gœtter, und die Tugend, und die Gerechtigkeit lieben sollten, welzen sich in Wollust, verderben die Sitten des Volks, und opfern die Gerechtigkeit und die Tugend ihrem Eigennuz und ihren Lastern auf; das blinde Volk siehts nicht, betrogen betet es diejenigen an, die sein Wol untergraben; ich sah es, und verfochte die Tugend und die Gerechtigkeit; da haßten mich alle. Verleumdungen, die sie unter das Volk streuten, machten sie sicher, die Redlichkeit zu verfolgen; und da verwiesen sie mich aus meiner Vaterstadt. Gerechte Gœtter! wenn ihr ein Unglyk yber sie verhængt habet, ach! So laßt euern Zorn, und rufet das Unglyk zuryk, das ihren Mauern sich nahet!

So seufzte der Greis, und sank in ein trauriges Stillschweigen; voll zærtlichen Mitleidens schwiegen die andern auch, und entsezten sich zu hœren, daß ein Ort wære, wo Tugend und Frœmmigkeit unsicher ist; denn dem Tugendhaften ist es schmerzlich zu vernehmen, daß die Welt lasterhaft ist. Die Fischer huben an, den Greisen zu trœsten, und mit frohen Gespræchen und Geschichten ihn aufzumuntern, bis der matte Schlaf sie zur Ruhe foderte.

Nicht ohne Unruhe gieng beym Daphnis die Nacht voryber; er dachte zu seinem Vater zuryk, und fyhlte seinen Kummer, und an seine Phillis, wie bang ihr seyn werde, wenn es unmœglich wære, den folgenden Mittag bey ihr zu seyn. So bald es Morgen-Roth ist, sprach er, will ich an dem Fluß hinauf gehn.

Kaum beschien die Morgen-Sonne das bemoßte Dach, so waren alle schon wieder versammelt. Der Greis nahm seinen Stab, und umarmte die zween Mænner; die Gœtter werden eure Gutthætigkeit belohnen, sprach er, mit Thrænen im Aug, und Daphnis kyßte sie auch, und gieng mit dem Greis den Fluß hinauf. Er begleitete ihn sorgfæltig mit langsamen Schritten, der Greis ward myde, und Daphnis bat ihn, den Arm auf seine Schultet zu lehnen; der Mittag kam, und er sah umher, dem Greis einen schattichten Ort zu finden; izt fyhrt' er ihn unter ein Dach von Ulm-Bæumen, und verließ ihn da, Frychte zu seiner Erfrischung zu suchen, und so bald sie sich erfrischet hatten, verfolgten sie ihren Weg wieder, und da der Abend einbrach, da wies er ihm von ferne seine Hytte, in der Amyntas voll banger Sorgen einsam bey der dystern Lampe saß, aber der zærtliche Vater stand schnell voll Freude auf, als Daphnis und der Greis in die Hytte traten. Er fiel seinem Sohn um den Hals: sey mir willkommen, mein Sohn! sprach er, ô wie war mir die Nacht traurig, und der Tag! Dann gryßt' er freundlich den Greis, ihm die Hand drykend; und izt fieng Daphnis an zu erzehlen, wie ihn der Fluß weggenommen, und wie ihn die Fischer gerettet, und die Geschichte von dem Greis, und wie er ihn sorgfæltig den Fluß hinauf gefyhrt habe. Und der Vater hœrt' ihn voll Freude, solche Proben des Mitleidens und der Tugend in seinem Sohn zu finden.

Liebster Freund. sagt izt Amyntas zu dem Greis, was mir die Gœtter beschehrt haben, diene zu deiner Erfrischung und Bequemlichkeit, und meine Hytte sey dein Dach. Mit diesen Worten fyhrt' er ihn vor einen Stuhl mit weichem Fell bedekt, und stellte seinen Stab an die Seite, und bat ihn, sich auszuruhen, und sezte sich neben ihn hin.

Ach! welche Seligkeit ist es, sprach der Greis voll Erstaunen und Freude, welche Seligkeit unter Tugendhaften zu wohnen! Gutthætiger Freund! bey euch find ich sie, die liebenswerthe Tugend, die ich in meiner Vaterstadt umsonst gesucht habe. Lieber Freund, antwortete des Daphnis Vater, rechne es nicht zur grossen Tugend, Nothleidenden zu helfen; ein Unmensch, der solches nicht thut! warum beschyzen die Gœtter meine Hytte? und warum segnen sie meine Bæume? Etwa, daß ich allein bequem in meiner Hytte wohne, da sie doch fyr viele Plaz und Schatten hat? Etwa, daß ich allein von dem Ueberfluß der Frychte esse, welche die Aeste meiner Bæume zur Erde biegen? so sagten die Greisen, indeß daß Daphnis mit Milch und Brod und Frychten die Tafel bestellt hatte.

Bald giengen sie alle den erquikenden Schlaf zu geniessen; Daphnis træumte von seiner Phillis, bis ihn das fryhe Morgen-Lied der Flœten aufwekte, das die Hirten bliesen, die ihre Herden auf die Fluren fyhrten. Traurig, daß es noch nicht Mittag war, nahm er kaum seine Flœte, und gieng mit seiner kleinen Herde auch auf die Wiesen; aber er lagerte sich fern von den andern Schæfern an einen Bach, der unter einem einsamen Dach von Weiden-Aesten durchfloß. Da saß er von Sehnsucht gepeinigt, und seine Herde weidete um ihn her; bald blies er ein zærtliches Lied, dann seufzt' er, und sah ungedultig nach der Sonne; bald spielt' er mit den Schafen, die ihm nahe kamen, und streichelte sie, oder er lokte sie, Kræuter aus seiner Hand zu essen; und dann flœtet' er wieder, und sah dann seufzend wieder nach der Sonne, voll Ungeduld, daß sie noch nicht mitten am Himmel war.

Aristus (so hieß der Greis aus Croton) war indeß auch aus der Hytte gegangen, die Gegend zu besehen; er bestieg einen nahe gelegenen Hygel, und sah da eine ausgebreitete Gegend im Morgen-Licht, strauchichte Hygel, ferne blaue Berge, weite ebene Felder und Wiesen voll fruchttragender Bæume, und zerstreute Wælder von geraden Tannen und schlanken Eichen und Fichten. Fernher rauschte der Fluß, zwischen Feldern und Hygeln und Hainen, und Felsen-Wænden mit majestætischem Getœse; nahe Bæche lispelten durch das Gras, oder rauschten in kleinen Fællen sanft in das Getœse, und ein Heer von schwærmenden Vœgeln sang froh auf bethauten Aesten oder hoch in Glanz-voller Luft ein manigfaltiges Gesang, untermischet von den Flœten der Hirten und dem Gesange der Mædchen, die gesellschaftlich auf fernen und nahen Hygeln oder ebenen Wiesen die Herden weideten. Erstaunt mit unstetem Blik irrte der Greis, bald in weiter Entfernung, bald in Kræutern und Blumen, die duftend vor seinen Fyssen lachten; voll von frohem Entzyken schwoll ihm die Brust.

Welche Seligkeit! hub er izt an, welche Strœme von Wollust! Ach! kaum faßt sie mein wallendes Herz! Ach Natur! Natur! wie schœn bist du! wie schœn in unschuldiger Schœnheit, wo dich die Kunst unzufriedner Menschen nicht verunstaltet! Wie glyklich ist der Hirt, wie glyklich der Weise, der dem grossen Pœbel unbekannt, in lachenden Gefilden jede Wollust genießt, die die bescheidene Natur fodert und giebt, und unbemerkt grœssere Thaten thut, als der Eroberer und der angegaffete Fyrst! O sey mir gegryßt, stilles Thal! Seyt mir gegryßt, fruchtbare Hygel! und ihr, ihr rieselnde Bæche! ihr Fluren! und ihr, ihr Haine! festliche Tempel des stillen Entzykens und der ernsten Betrachtung! seyd mir gegryßt! Wie lieblich lachet ihr mir im Morgen-Licht entgegen! Sysse Freude und Unschuld lachen mir von allen Hygeln, von allen Fluren zu; Ruhe und Zufriedenheit bewohnen die stillen Hytten, ruhen auf den Hygeln oder an schlængelnden Bæchen, und schlummern im sanften Schatten Frucht-tragender Haine. Wie wenig misset ihr, ihr Hirten! wie nahe seyd ihr dem Glyk! Ihr, die ihr unselig die Einfalt der Natur verliesset, ein manigfaltigeres Glyk zu suchen, ihr Thoren! die ihr die Sitten der lachenden Unschuld Grobheit, und das wenige Bedyrfniß, das die Natur aus reichen Quellen stillt, veræchtliche Armuth nennet, baut immer Gewebe von Glyk, die jeder Wind euch zerreißt! Ihr geht durch Labyrinthe zum Glyk; ewig myhsam, ewig unzufrieden irret ihr da; ihr glaubt, die oberste Stuffe des Glyks erstiegen zu haben, ihr taumelt in seinem schmeichelnden Arm, und træumt; ihr erwachet, træumend betæubte euch das læchelnde Gesicht der Harpye, wie im Gœtter-Glanz, ihr saht nicht die schwarzen ledernen Flygel, von denen sie euch izt Ekel und Entsezen zuwehet, und den garstigen Ryken. Ihr, die ihr Lænder beherscht, die ihr mit ybermythigem Blik die Gegend von den Thyrmen der Palæste. durchwandert, und stolz denkt, dieß alles ist mein, dieß myhsame Gewimmel von Bewohnern ist fyr mich, ihren Herren, vor dem sie beben: Wem quillt die sysse Lust aus der stillen Gegend, aus den Frucht-vollen Feldern, aus der ganzen schœnen Natur? Wem rauschen die Quellen Vergnygen? Wen erquikt mehr der Schatte der Bæume? Wen wærmet die Sonne entzykter? Euch, ihr Herrscher! oder den armen Hirten, der im Gras ruht, von seiner Herde umirret? Er ruht da, und athmet Entzyken; zufrieden, unwissend daß er arm ist; und wær er Herr der ganzen Gegend, bræchte sie dem Zufriednen dann mehr Vergnygen? Die schœne Natur ist ihm eine ewige Quelle von reinem Vergnygen; kein Stolz, keine Herrschsucht, kein Ehrgeiz macht ihn mit seinem Glyk unzufrieden; das ruhige Gemyth und das redliche Herz streun immer Vergnygen vor ihm her, wie du Morgen-Sonne vor dir her die betaute Gegend mit Glanz yberstreust. Zyrnet nicht, ihr Gœtter! daß ich mich unglyklich glaubte und weinte, da ich Croton verließ, gegen den væterlichen Mauern noch einmal zuryk weinte; ihr habt mich durch einen dunkeln sumpfichten Weg in selige Gefilde gefyhrt. O ihr Bæche! An euern Ufern will ich izt ruhn; ihr Bæume! empfængt mich in kyhlende Schatten; ihr Hytten! stehet offen einem Fremdling, der sein graues Alter syss dahin leben wird, bey euern Bewohnern, die beneidenswerther als Kœnige sind.. Quillt immer, ihr Strœme der Wollust! ich trag euch ein lachendes Herz, ein heitres, ein unbeflektes Gemyth trag ich euch entgegen; heiter wie der Himmel, wenn keine Wolken ihn tryben, still wie ein glatter See, den die kleinsten Wellen kaum befalten, in dem die ganze Gegend sich mahlt. Ja ihr sanfte Bæche! ihr stille Hygel! bey euch will ich izt mein Leben voll sanften Entzykens, voll Dank gegen die Gœtter yberdenken; froh sollen es meine Gedanken durchwandeln, glykselig, da sie vor keinem Laster zurykbeben myssen. Mein Leben soll hier verfliessen, wie ein stiller Bach, sanft soll es verwelken, wie die Rose verwelkt; sie steht da, die welkende Rose, und haucht die lezten Geryche; ein sanfter Zephir fæhrt schmeichelnd yber sie hin, die welken Blætter fallen, und die Rose ist nicht mehr.

So sprach der Greis, voll des seligsten Entzykens, ybersah die Gegend noch einmal mit Augen voll Freuden-Thrænen, und gieng mit langsamen Schritten den Hygel hinunter, und in die Hytte.

Daphnis und sein Vater empfiengen ihn mit offenen Armen, das lændliche Mittagmahl wartete schon; die freundlichen Greisen sezten sich Hand in Hand zur Tafel, und Daphnis sezte sich auch hin; er stillete den Hunger in Eil, und verließ sie in freundschaftlichen Gespræchen, und eilte yber den Fluß, seine Phillis wieder zu sehen. Izt kam er an die Quelle, aber er fand sie nicht, er sah sich um; und welch ein Schreken! Er fand die Namen, die er in die Rinden der Bæume geschnitten hatte, ausgethan. Gœtter! rief er zitternd, soll dieß ein Vorbote eines Unglyks seyn? Ach! wenn nur kein Unglyk meine Phillis bedroht! wenn nur – – ach! Aber wo ist sie? ich fyrchte! ich bebe! Ach, wenn nur unsre Liebe kein Unglyk bedroht! so sagte Daphnis, und stuhnd zitternd da, als Lamon aus dem Gebysche kam; Was wilst du hier, Daphnis! sprach er, wen suchest du? Gewiss die Phillis! O! du wartest umsonst; Phillis liebet dich nicht mehr; du wirst blaß! Die Ungetreue! Nein, sie liebet dich nicht mehr; ich habe sie endlich besiegt; ich hab ihr meine grosse Herde, alle meine Triften hab ich ihr geschenkt, und izt liebet sie mich; ja, ja sie liebet mich, das schœnste Kind! Siehst du die Rinde von den heruntergeschnittenen Namen unter den Bæumen? Phillis und ich, wir waren heut beym Aufgang der Sonne hier, und schnitten sie herunter. Lebe wol, Daphnis, sagte sie, die Namen herunterschneidend, ich will auch deine Spuren auslœschen. Daphnis hatte kaum die Hælfte von der Rede verstanden, er stuhnd betæubt da, seine Knie bebten, ein Angst-Schweiß floß von den Gliedern; er wære gesunken, wenn Lamon nicht unterstyzend ihn an das Ufer gefyhrt hætte. Ich will dich von dem schrœklichen Ort entfernen, Daphnis! sagt er, hier, steig in deinen Nachen, du guter Hirt! die Gœtter haben dir vielleicht ein ander Glyk vorbehalten. Ich habe recht grosses Mitleiden mit dir, du armer Hirt! so sprach er, und gieng zuryk.

Lang stuhnd Daphnis da, sinnlos, wie einer der vom entsezlichsten Traum erwacht, und schauernd noch nicht weiß, daß es nur ein Traum war; sein Herz pochte, und Seufzer drængten sich gewaltsam den bebenden Busen hinauf, izt flossen Bæche von Thrænen von seinen Augen, und izt warf er sich betæubt zur Erde. Sie ist ungetreu, rief er, sie ist ungetreu! Gœtter! und ich werde ewig unglykselig seyn! Sie, die in meinem Arm weinte, als ihr die Mutter von Lamons Liebe sagte, sie ist ungetreu! Grausame! Ach! wær ich die erste Stunde in deinen Armen gestorben! Unseliger Tag, da ich zum ersten mal dich sah! zu meinem ewigen Unglyk dich sah! doch – – nein, nein, nicht zum ewigen Unglyk! nein, die Liebe, die du so grausam belohnest, wird aus meinem Herzen weichen, und dann wird Verachtung an ihrer Stelle seyn, Verachtung gegen ein Mædchen, das den zærtlichsten Jyngling an eine grosse Herde vertauschet! so sagt' er voll Zorn, und glaubte die Liebe leicht zu bekæmpfen; aber Wehmuth und zærtlicher Schmerz besiegten bald den Zorn. Ach! wie glyklich wær ich gewesen, grausame Phillis! wie glykselig wær ich gewesen, glyklicher als alle Menschen, wærst du nicht ungetreu; izt bin ich unglyklich! so unglyklich ist niemand mehr! Alles wird um mich her traurig seyn; das Rieseln der Bæche wird mir nicht mehr gefallen; der Gesang der frohen Vœgel wird meine Trauer mehren; die Hize der Sonne und der kyhle Schatten, beyde werden mir gleichgyltig seyn, und meine Schafe werden ohne Hirten irren, denn er wird fyr sein eigen Leben keine Acht mehr haben. Ich will zurykgehn an die Quelle, wo ich in meinen Arm gedrykt voll Inbrunst dich kyßte, wo du, grausame Phillis, voll Inbrunst mich kyßtest. Ach! ich will hingehn, die lezten Thrænen an dem unseligen Ort zu weinen!

So klagte Daphnis, und gieng an die Quelle zuryk. Hier ist es, sagt' er, ach! hier ist es, wo so manche selige Stunde in deiner Umarmung verfloß! hier lagest du, Grausame, am Bach, da ich dich das erste mal fand! Und hier! hier! ô Entsezen. hier ligt die Rinde, die deinen Namen trug, von deiner eignen Hand heruntergeschnitten! Aber – – – ach! wenn es nicht wahr wære? Wenn Lamon mich betrogen hætte? Ach entzykender Gedanke! ach! ich fyrchte, ich fyrchte! eine falsche Hofnung! ich war deiner nicht wyrdig, Phillis! Ist Lamon nicht liebenswyrdiger, als ich? Ich war deiner nicht wyrdig! Ach verzeihe, verzeihe, Lamon, daß falsche Hofnung dich ungerechter Weise zum Betrieger machen wollte! Izt rauschte jemand durchs Gebysch, er sah sich um, und sah die Phillis, er bebte, sie ward blaß, und sah ihn seitwerts an; was thust du hier, Daphnis? sagte sie, ich wære nicht hergekommen, wenn ich geglaubt hætte, dich hier zu finden; ich will gehn, ich kann mein Band, das ich hier verlohren habe, ein ander mal suchen. Zyrnst du, Grausame! daß du mich noch einmal sehen must? sagte Daphnis. Izt that sie, als ob sie ihr Band suchte, und gieng gebykt hin und wieder, und Daphnis fieng auch an zu suchen. Es ist das Band von dir, das ich sonst mit dem Kranz in die Haare flocht, sagte Phillis, behalt es immer; wenn du es findest, du kannst es deinem neuen Mædchen geben. Mein Band war dir zu gering, Lamon hat schœnere Bænder, sagte Daphnis, vielleicht ligt es dort unter den heruntergeschnittenen Rinden verborgen. So sagten sie suchend, aber izt konnte Daphnis nicht mehr, der heftigste Schmerz machte ihn stumm, sie schwiegen beyde und suchten. Izt war er der Phillis unvermerkt næher gekommen, da hœrt' er sie seufzen, er sah ihr ins Gesicht, und sah sie weinen. Du weinst, Ungetreue! sagte Daphnis, du weinst! Phillis sah ihn thrænend an, und sah ihn weinen; du weinst, Ungetreuer! sagte sie schluchzend, du weinst! Ja Ungetreuer! weine, ein Mædchen zu sehn, das du unglyklich machst, ewig unglyklich! Izt verbarg Phillis das schœne Gesicht voll Thrænen mit den kleinen Hænden, und schluchzte daß der Busen bebte. Izt sank Daphnis vor ihre Fysse, und nahm ihre Hand, und drykte sie voll Inbrunst an seinen Mund, und nezte sie mit Thrænen. Ach Phillis! sagt' er schluchzend, liebste ungetreue Phillis! du weinst, ô! weine bey meinem Unglyk! Grausamer! sagte Phillis voll Wehmuth, du nennest mich ungetreu, mich, die dich yber alles liebt, und du machst mich unglyklich, Treuloser! und liebst ein ander Mædchen! Izt stuhnd Daphnis auf; ich, rief er, ich ungetreu! Ihr Gœtter! strafet mich, wenn ich ungetreu bin! Und, Phillis – ach! bist du nicht ungetreu? Liebst du den Lamon nicht? – – Tæusche mich nicht, Phillis? Hast du die Rinden nicht von den Bæumen geschnitten? Lamon fand mich heut am Bach, wen suchest du? sagt' er, die Phillis? Armer! sie liebt dich nicht mehr, sie liebet mich; heut hat sie die Rinden von den Bæumen selbst heruntergeschnitten, um auch deine Spuren auszulœschen.

Phillis stuhnd da, ganz erstaunt, izt fiel sie dem Daphnis um den Hals. Wir sind betrogen! rief sie, grausamer Lamon! wir sind betrogen! Gestern, liebster Daphnis, gestern weint' ich hier, als ich umsonst dich erwartete, ich sah mich um, da sah ich die Rinden der Bæume heruntergeschnitten! O wie erschrak ich! Ich stund halb eingesunken da, als Lamon aus dem Gebysche kam. Arme Phillis! sagte der Betrieger, du suchest den Daphnis, du erschrikest, da du hier die Namen heruntergeschnitten findest; du weissest noch nicht, ach! daß ich die schrœkliche Nachricht dir sagen muß! du weissest noch nicht, daß Daphnis dir ungetreu ist, ja, Daphnis ist ungetreu; gestern kam er mit einem andern Mædchen, und schnitte die Namen herunter; ich will dich vergessen, Phillis! sagt' er, ich will dich ewig vergessen; da kyßt er sein Mædchen, und gieng mit ihm zuryk. Ich hœrt' es, und sank zur Erde; da hub mich der Betrieger auf; Arme Phillis! sagt' er, komm! ich will dich in deine Hytte fyhren; krænke dich nicht, der Treulose ist deiner Thrænen nicht werth. Ach Phillis! wenn du mich liebtest, du wyrdest glyklich seyn; meine grosse Herde, meine Triften wæren dein; so sagte der Betrieger, und fyhrte mich in meine Hytte. Ich weinte, Daphnis! ich weinte die Nacht durch; und heute, ach! was hab ich gelitten! Ich will hingehn, sagt' ich, diesen Abend will ich hingehn, an den Bach, wo ich so oft in des Treulosen Armen lag, und weinen; ich gieng hin und fand dich, ich entsezte mich dich zu sehen, und war doch wie entzykt; ich hatte kein Band zu suchen, aber ich wollte bœse thun. Ach! wie schwer war es mir! ich fieng an zu weinen; du weintest auch, liebster Daphnis! ach welch ein Glyk, daß wir uns wieder gefunden!

Der grausame Betrieger! sagte Daphnis, wie glyklich, daß sein Betrug uns nicht længer getæuscht hat! liebste Phillis! Liebster Daphnis! sagten sie, sich auf das zærtlichste umarmend, sich an einander drykend. Ach! sagte Daphnis, verzeihest du mir, daß ich dich ungetreu geglaubt habe? Ach! Daphnis! sagte Phillis, Daphnis! bist du nicht bœse, daß ich dich ungetreu glaubte, daß ich bœse that! Izt antworteten sie sich mit Thrænen, und tausend Kyssen; er kyßte sie voll Inbrunst auf die weisse Stirne, auf die Wangen, auf die Lippen und auf die thrænenden Augen; und sie kyßt' ihm einen Kranz von Kyssen um das ganze schœne Gesicht.

Phillis fragt' izt, warum er den vorigen Tag nicht an die Quelle gekommen wære; und Daphnis erzehlte, wie ihn der Fluß weggenommen; und Phillis zitterte; und dann erzehlt' er von den gutthætigen Fischern. Phillis dankte den Gœttern, und bat sie, die Fischer zu segnen; und izt erzehlt' er von dem Greis, den viele Lasterhafte aus seiner Vater-Stadt gejagt, und wie er ihn den Fluß hinaufgefyhrt habe. Phillis, voll Mitleiden fyr den Greis, und voll Freude, so einen mitleidigen Hirten zu lieben, umarmt' ihn mit Entzykung; sie hætt' ihn izt noch mehr geliebt, als zuvor, wenn es mœglich gewesen wære, ihn mehr zu lieben. Phillis sagt' izt, wie sie der Mutter erzehlt habe, daß sie bey des Daphnis Vater gewesen, und wie die Mutter geweint habe, als sie von Amynten, seinem Vater, hœrte, und wie sie ihr befohlen, ihn in ihre Hytte zu fyhren.

Komm izt mit mir, liebster Daphnis! sagte sie, ihm die Hand drykend. Allerliebste Phillis! sagt' er, ich bin der glykseligste in der ganzen Welt! Ach! wie konnt' ich an deiner Liebe zweifeln? ich bin nicht wyrdig, daß du mich liebest, nein, ich bin – – Izt kyßt' ihn Phillis schnell voll Zærtlichkeit auf die Lippen, daß er seine Vorwyrfe nicht mehr sagen konnte.

Inzwischen giengen sie durchs Gebysche, nach der Phillis Hytte. Kaum waren sie unter dem grynen Vordach, so rief Phillis schon: Liebe Mutter! hier ist mein Daphnis! Sie hypfte izt in die Hytte, Daphnis folgt' ihr, und die alte Mutter gieng ihm voll Freud' entgegen. O Sohn des tugendhaftesten, des besten Freundes! sey willkommen! sagte sie, wie glyklich, daß du meine Tochter gefunden hast! die Gœtter haben euch einander zu lieben bestimmt, die Gœtter werden euch segnen! Daphnis mußte sich neben ihr sezen, und Phillis hatte Feigen, Granatæpfel und Trauben hergebracht, und sezte sich auch neben den Daphnis. Phillis nahm die grœsseste Traube, und legte dem Daphnis die erste Beere auf die Lippen, und die andre aß sie, und so fuhr sie fort, bis die Traube aufgegessen war; die Mutter sah ihnen læchelnd zu, und ordnete indeß, daß in drey Tagen Hymen sie auf ewig verbinden sollte; noch ehe die Weinlese kæme, denn die Blætter waren schon roth und gelb, und die reifen Trauben lachten dem Winter zu. Daphnis kyßte die Phillis; ach! wie werd ich froh seyn, sagt' er, wenn ich das Morgen-Roth des dritten Tages erblike!

Ihr liebsten Kinder! hub izt die Mutter an, indem sie beyden die Hænde drykte, ihr Trost und Freude meines Alters! Welche Seligkeit in den wenigen Jahren, die mir noch vergœnnt sind, welche Seligkeit wird es seyn, euer Glyk zu sehn! Und, wie selig ist es, wenn Tugendhafte mit Tugendhaften sich verbinden! sie finden sich immer liebenswyrdiger, solche Liebe stirbt nimmer. Ach! Kinder! ich muß weinen! (izt stokt' ihr die Rede) ach! ich weiß es, ich weiß, wie selig es ist! in des Tugendhaften geliebtesten Arm, ist auch das Elend nicht bitter. Ach! Palemon! Palemon! Ja, die Gœtter sorgten fyr euch, ihr Kinder! ihr habt euch zur rechten Stunde gefunden; vielleicht hættest du, Kind! aus Liebe zu mir den Lamon erhœrt, und wærest vielleicht unglyklich gewesen, wenn gleich seine Triften vom Schilf des Flusses bis an den Fuß des fernen blauen Berges sich zœgen, und wenn seine Schafe und seine Rinder unzæhlbar sie dekten. Ich will euch was erzehlen: Palemon half einst dem Timetas, dem Rebmann, auf seinem Hygel die wenigen Reben bauen; rings um ein altes Grabmal her, das auf dem Hygel stand, umgruben sie die Erde, und fanden einen Schaz. Siehe, sprach Timetas, was ich niemals wagte zu hoffen, ein grosser Schaz! die Hælfte sey dein, wie haben wir Arme viel Elend! wir arbeiten von der Morgen-Sonne bis zu der Abend-Sonne; und was haben wir dann gewonnen? Schlechte Speisen und myde Glieder. Ich brauche deines Schazes nichts, sprach Palemon, behalt ihn ganz. O! die Armuth sey mir gelobt, wenn es Armuth ist, und die Arbeit; sie hat meine Glieder gehærtet, und die Mittags-Sonne brennet mich nicht. Und du freuest dich nicht, Palemon, yber den gefundenen Schaz, sprach Timetas? Nein, Timetas, ich freue mich nicht yber den gefundenen Schaz, sprach Palemon; hætt' ich allein ihn gefunden, ich hætt' ihn schon wieder tiefer in die Erde gegraben. Was hætt' ich gefunden? Hætt' ich mich etwa dann myssig auf die Wiesen gelagert, fein in den kyhlenden Schatten, und zugesehen, wie mein Nachbar den Aker umpflyget, oder im Schweiß seine Reben baut, oder wie der Hirt sorgfæltig seiner Herde wacht, oder gegæhnt; oder hætt' ich dann mehr gegessen, oder mit mehr Begierde? ô! schæme dich, laß uns den Schaz begraben. Palemon! sprach Timetas, bald begrab ich den Schaz. O! wie froh bin ich, fuhr Palemon fort, wann ich vom gesunden Schlaf mit neuen Kræften erwache, dann singen mir die fryhen Vœgel zur Arbeit, und die Morgen-Sonne gryßt mich mit hellen Strahlen; froh geh ich dann an des Tages Arbeit, und singe, auf dem Feld, wo ich die kleine Herde hyte, oder mein kleines Feld baue, oder wann ich dem Nachbar helfe, sein Feld 4bauen. Dann wyrzt mir die Arbeit die schlechte Speise, und erhælt mich gesund. O! wie froh bin ich dann, wenn ich des Abends myd in die Hytte gehe, wenn das dankbare Weib mich in die Arme empfængt, und meinen Durst zu lœschen, mir einen Krug voll frischen Wassers bringt, oder Most, wenn es zureicht, und meinen Hunger stillet, mit Brod, und Kæse, und Frychten! O! wie froh bin ich dann, und wenn ich das Land hætte von den Clibanischen Gebyrgen bis zu den Sand-Hygeln am Jonischen Meer, ich kœnnte nicht froher seyn! Laß uns den Schaz begraben, sprach Timetas, er taugt uns nichts. Und da begruben sie den Schaz. So erzehlte die Mutter, und sagt' ihnen, daß der Tugendhafte immer reich sey; und freute sich mit ihnen, bis das Abend-Roth anfieng, durch das gryne Vordach zu scheinen.

Daphnis mußt' izt gehen; geh, sagte die Mutter, geh, sage deinem Vater, daß ich die glykseligste Mutter bin; und Phillis gieng mit ihm aus der Hytte, und begleitet' ihn bis an das Ufer. Daphnis! sagte sie izt, und umschlang ihn mit ihren zarten Armen: In drey Tagen soll Hymen uns verbinden; wie glyklich werden wir seyn? Was gleichet unserm Glyk, Daphnis? wie wird unser Leben dahinfliessen? Ach Phillis! sagt' er, sie auf das zærtlichste umarmend, es wird seyn wie ein bestændiger Fryhling; ja, sagte sie, wie dieser Bach wird es dahinfliessen, der hier durch Blumen fließt; zwar, mein Liebster! zwar sieht man auch oft eine Distel oder ein Dorn-Gebysch an seinem Ufer, es werden auch trybe Tage den Fryhling unterbrechen; aber, wenn wir tugendhaft sind, in deinem Arm, Geliebtester! werden mir auch die Dornen Rosen tragen, werden auch die tryben Tage wie Sonnen-Schein seyn. Ja, mein Kind! sagte Daphnis, und mein Vater sagt mir oft: Werde nicht ungedultig, wenn du unglyklich wirst; mich besuchte auch das Unglyk, aber wenn es weggieng, wenn das Glyk mich wieder umfieng, denn fyhlt' ichs, daß ich glyklich war. Ja, Daphnis, sagte sie, da wir uns liebten, ohne Hofnung uns zu finden, da waren wir unglyklich; wie fyhlten wir da unser Glyk, als wir uns fanden! da wir uns ungetreu glaubten, da waren wir unglyklich; wie glyklich waren wir da, als wir den Betrug entdekten!

So sprachen sie, und stuhnden izt am Fluß; sie kyßten sich noch, und Daphnis stieg da in den Nachen, und Phillis rief ihm zitternd nach, Sorge zu tragen, daß ihn der Fluß nicht wegnehme; ihr Auge sah ihm bang nach, bis er an dem andern Ufer stuhnd, da rief sie ihm noch freudig zu, und er rief ihr zuryk.

Als Daphnis yber dem Fluß war, da sah er einen Mann vor einer nahen Hytte stehen, er weinte bey dem Mann aus der Hytte; ach! sagte der Mann, ich armer! ach! ich wære nicht unglyklich, wenn es dieses Kind nicht wære, das hier neben mir im Gras spielt. Ach! liebes, unglykliches Kind! Aber nein, du bist nicht unglyklich, du læchelst zufrieden im Gras, froh, und weinest nur, wann du mich weinen siehst; ich sehe dein Læcheln, und weine, Kind! und weine! Ach! fuhr er fort, ich wohnte dort auf dem Berg, diesen Fryhling stuhnden meine Bæume voll Blythen, und die Pflanzen meines Gartens wuchsen schœn empor, da kam ein Regen-Guß, und ein Strohm von gesammeltem Wasser nahm mir meine Hytte und meine Bæume und meinen Gartenweg, und welzte Schlamm und Felsen-Styke hin, wo die Hofnung meiner Erhaltung blyhte.

Daphnis gieng seufzend voryber; gesegnet sey der Mann, sprach er, der Unglyklichen beysteht; die Gœtter sehens und segnen ihn. Aber, Gœtter! warum bin ich arm? ich sah, ach! ich sah den Unglyklichen, und mein Herz wallete auf, voll Mitleiden, voll Wehmuth, daß ich ihm nicht helfen kann! ach! ich fyhls, ich fyhls, wie selig ich seyn wyrde, wenn ich ihm helfen kœnnte! Ach! warum bin ich arm? Gœtter!

So traurig gieng Daphnis in die Hytte zuryk; kaum mocht' er den Greisen erzehlen, daß er in der Phillis Hytte gewesen, und daß ihn in drey Tagen Hymen verbinden werde.

Die Sonne kam wieder, und Aristus stuhnd schon im bethauten Gras vor der Hytte, Daphnis kam auch und sein Vater; und izt bat sie der Greis, mit ihm durch die Wiesen zu gehen; sie folgten ihm, und er fyhrte sie auf einen nahen Hygel, von dem man die ganze Gegend ybersah, und den ringsum Frucht-tragende Bæume in den grynen Schatten nahmen. Fettes, hohes Gras beschattete die kleinen Furchen, in denen man das klare Wasser durch die Wiese aus einem rieselnden Bach leitete, der den Hygel hinunter zwischen Rosinen- und Brombeer-Gestræuch rauschte, und von der einen Seite des Hygels zog sich ein gebauetes Feld weit in die Ebne hinunter, und mitten auf dem Hygel stuhnd eine Hytte und eine Weinkelter, und vor denselben beschattete der aufgeworfenen Rasen eine Laube von Hollunder-Gestræuch.

Izt umarmte Aristus den Amyntas und seinen Sohn. Du mein Freund! und du mein Sohn! sprach er, diese Hytte, und diese Bæume, und dieser Hygel gehœren euch zu, ich ybergebe sie euch; gestern hab ich den Hygel erkauft, und ich will bey euch wohnen, in dieser Hytte, unter diesen Bæumen, an diesen Quellen soll mein Alter verfliessen; und wenn ich sterbe, ihr Freunde! wenn ich, ô Amyntas! in deinen Armen sterbe, dann begrabet mich dort zwischen den zween schattichten Bæumen, wo die blauen Lilien blyhen. Amyntas vermochte vor Entzyken, vor Erstaunen, lang nichts zu sagen. Ach! sagt' er endlich, seinen Freund umarmend, ach Freund! wie grosmythig bist du! Ach! wie froh wird mein graues Alter in deiner Umarmung dahinfliessen! Daphnis! wenn wir dann sterben, Daphnis! dann begrab uns neben einander unter den Lilien; und dann sollen die Bæume bey dir und deinen Kindern Aristus und Amyntas heissen.

Mit traurigem Stillschweigen hœrte der zærtliche Sohn den Befehl, und izt giengen sie zu oberst auf den Hygel in die Laube. Daphnis sah sich um, und entdekte yber dem Fluß seiner Phillis Hytte; er hypfte vor Freude an dem Ort, wo er stand, und rief die Greisen herbey, und wies ihnen voll Entzyken die Wohnung seines Mædchens. Lang sah er aufmerksam hin, ob er nicht etwa seine Phillis unter dem grynen Vordach, oder durch die grynen Ranken am Fenster in der Hytte sehen kœnnte, aber er konnte sie nicht sehen; und izt sang er voll Freude ein Lied, so laut, daß sie es in ihrer Hytte leicht hœren konnte. Dann gieng er, die geraume Hytte zu besehen, die reinlich und bequem war, ungeschmykt; aber die Morgen-Sonne mahlte schwebende Schatten von Aesten und Rosen-Gestræuch, die vor den Fenstern winkten, an die weissen Wænde. O Aristus! rief er entzykt; und hypfte zu ihm hin, und kyßt' ihm die Hand; izt gieng er um die Hytte herum, und fand aller Orten einen Wald von schœnen Bæumen, deren Aeste mit Stæben unterstyzt unter der Last der Frychte gegen das hohe Gras hinuntersanken, und von einem Baum zum andern Bogen von Reben herybergezogen. Ach Phillis! welche Freude hab ich dir zu sagen! Dieß soll unser Wohn-Ort seyn! O gytiger Aristus! rief er, und hypfte noch einmal zuryk, ihm die Hand zu kyssen. Aristus sah die Freude des Vaters und des Sohns, und fyhlte das gœttliche Entzyken, das nur Gott und der Grosmythige fyhlt; welche Seligkeit, das dankende Entzyken derer zu sehen, denen wir Gutes gethan?

Daphnis gieng izt freudig den Hygel hinunter, um seine kleine Herde auf das Feld zu fyhren; und Aristus und Amyntas blieben in frohen Gespræchen an der Morgen-Sonne auf dem Hygel. Als er izt hinter der Herde hergieng, da sagt' er zu sich: Izt hab ich einen Hygel, und die Hytte wird izt leer; und izt ihr Gœtter! ihr habt es erhœrt, da ich seufzte; und izt kann ich dem Unglyklichen helfen, den ich gestern sah; ich will meinen Vater bitten, daß er ihm die Hytte schenke; so sprach er, und kam indeß zu den andern Hirten. Er fieng freudig an, ihnen zu erzehlen, wie der Greis ihm den Hygel gekauft habe, und daß ihn morgen Hymen mit der Phillis verbinden sollte, und bat sie dann alle, an diesem Fest zu erscheinen. Glyk zu! Daphnis! sagten die Hirten alle, du bist deines Glykes wyrdig; wir wollen bey deinem Fest erscheinen, mit frischen Krænzen, und wol gestimmten Flœten, und mit Mædchen. Izt huben sie an zu erzehlen, wie sie sich freuen wollten; sie probierten ihre Flœten, und jeder wæhlete sich schon sein Mædchen. So bald der Mittag kam, gieng Daphnis weg; und die Hirten versprachen ihm alle noch einmal, so bald der Morgen komme, auf seinem Hygel zu seyn.

Daphnis wollte izt in die alte Hytte gehen; aber er fand den Aristus und seinen Vater schon nicht mehr da. Wie sehr erstaunte Daphnis, als der Unglykliche, den er den Abend zuvor gesehen hatte, ihm entgegen gieng. Ach Daphnis! Daphnis! sprach izt der Mann, indem hæufige Thrænen von seinen Augen flossen, wie soll ich euch danken? Wie soll ich das Entzyken, die Dankbarkeit dir sagen? Keine Worte, meine Freuden-Thrænen selbst kœnnen es nicht! Ach ihr Gœtter! wie selig ist der Mann, durch den ihr Gutes thut! Daphnis! dein Vater, ach! er hat mir diese Hytte, und diese Bæume geschenkt. Daphnis ganz entzykt umarmte den Mann: Erzehle, sagt er, erzehle mir die frohe Geschichte: Wie hat dich mein Vater gefunden? Heut, fuhr der Mann fort, las mein Kind Aepfel an deinem Hygel; da kam dein Vater, und nahm es auf seine Schoos, und fragt' es, wer sein Vater wære; Philetas, stammelte das Kind; und wo ist eure Hytte? Da weinte das Kind: Wir haben keine Hytte und keinen Garten, und keine Bæume mehr. Izt fragte Amyntas, wo ich wære; und befahl ihm, mich zu ihm zu fyhren; da hypfte das Kind von seiner Schoos, und lief zu mir, und fyhrte mich zu deinem Vater; ich mußt' ihm mein Unglyk erzehlen; Philetas, sprach er, die Hytte, die dort yber der Wiese steht, und die Bæume, die sie beschatten, sollen deine Hytte und deine Bæume seyn; ich wohne izt hier auf dem Hygel, sey du mein Nachbar und mein Freund. Ach! ich glaubte, die Stimme eines Gottes zu hœren, ich besorgte zu træumen; ich konnt' ihm nicht danken, ich konnte nur weinen. Izt schwieg Philetas, und sah gen Himmel. Inzwischen daß sie so sprachen, hatte das unschuldige Kind die kleinen Arme um des Daphnis Knie gewunden, und læchelte zu ihm herauf, als ob es ihm Dank zulæchelte. Lebe glyklich, Philetas! sprach Daphnis, in deiner Hytte, und deine Bæume seyen gesegnet; und hob indeß das Kind auf seinen Arm, und kyßt' es, indem es læchelnd mit der kleinen Hand in seinen Loken, und auf seinem glatten Kinne spielte.

Daphnis gieng izt auf seinen Hygel, und erzehlte da sein unvermuthet Entzyken, und so bald er konnte, eilt' er yber den Fluß, aber Phillis war noch nicht an der Quelle. Er legte sich unter einer Weide in den Schatten, und die Hize des Mittags und das Rauschen des Bachs schlæferten ihn ein. Plœzlich wekt' ihn eine Hand voll Blumen, die ihm ins Gesicht geflogen war; schnell sah er auf, und sah die Phillis læchelnd vor ihm stehn; er wollt' ihr in die Arme hypfen, und sah izt, daß er vest gebunden war, er suchte sich los zu reissen, aber er konnte nicht, und Phillis lachte, daß ihr der Blumenstrauß vom Busen fiel. Du loses Mædchen! sagte Daphnis, warte, warte, bis ich mich los gebunden habe; warte nur, ich will mich dann ræchen! So sagt er lachend, und umsonst sich hin und her windend; ræche dich nicht, Daphnis! sagte das Mædchen, bis ich dich los gebunden habe; wie willst du dich ræchen? Ich will dich kyssen, sagt' er, so sehr will ich dich kyssen, bis dein ganzes Gesicht wie eine Rose glyhet! Nein, Daphnis! sagte sie, nein, ich binde dich nicht los, bis du mir versprochen hast, mich eine ganze Stunde nicht zu kyssen. Phillis – sagt' er, wie kann ich das versprechen! Aber Phillis band ihn nicht los; ich will dich nicht kyssen, rief er endlich, und da band ihn das Mædchen los. Izt wird er sein Versprechen nicht halten, dachte sie, aber er zwang sich schalkhaft zur Rache, und saß da, und kyßte sie nicht; er hatte wenig Augenblike gesessen, da læchelte sie ihn lystern an, aber er kyßte sie nicht. Daphnis, sagte sie izt, ich glaube die Stunde ist vorbey. Vorbey? sagt' er, du hast lange Weile, noch nicht der vierte Theil der Stunde. Izt læchelte Phillis beschæmt, und wartete wieder. Ach! izt ist sie gewiß vorbey, sagte sie. Du triegest dich, Phillis! sagte Daphnis; noch nicht die Hælfte. O Daphnis! sagt' izt Phillis, du hast dich genug gerochen; ists dir so leicht, mich nicht zu kyssen? Izt schmiegte sie sich in seine Arme, und legt' ihre Wangen auf seine Lippen, und sah ihn schmachtend-læchelnd an. Izt lachte Daphnis, und drykte sie an seine Brust, und regnete Kysse auf ihre Wangen.

Ach Phillis! sagt' er, immer durch Kysse unterbrochen, ach Phillis! wie schwer ist mir die Rache geworden? Und wann es meine ganze Herde gegolten hætte, so hætt' ich nicht længer verweilen kœnnen! Aber Phillis! sprach er mit Ernst im Gesicht, ach! was hab ich dir zu sagen? Gœtter! welche Freude! Heute hat mein Vater einem Unglyklichen geholfen; heute, glyklicher Tag! heute sah und vergoß ich Thrænen der Redlichkeit und des Danks. O wie sind sie lieblich die Thrænen, die Tugend und redlicher Dank auf die Wangen giessen! Lieblicher, viel lieblicher als der Thau, der im Fryhling auf Blumen zerrinnt! Aber hœre, meine Geliebte! ich muß dir alles erzehlen. Aristus, der Greis, hat mir einen grossen Hygel gekauft, der Gras trægt, das mir bis an die Hyften reicht, und einen Wald von Frucht-tragenden Bæumen, und eine grosse Hytte darauf, und eine Quelle. O Phillis! Wie unsre Herzen in Dank zerschmolzten! Aristus weinte auch; ô selige Thrænen dessen, der vor Freude weint, weil er Gutes gethan hat! Ein Unglyklicher kam, dem ein Berg-Strohm Hytte und Bæume geraubt hat, da schenkt ihm mein Vater unsre Hytte und Bæume. O der redlichste Mann! Er weinte Freuden-Thrænen in meinen Armen! Phillis schluchzte bey der Erzehlung, und Daphnis kyßte die Thrænen von ihren Wangen, daß nicht eine davon in den Busen entfiel. Wie schœn wird es seyn, Phillis! fuhr er fort, wenn unsre Schafe in dem hohen Gras um den Hygel her sich verlieren? indeß daß ich der Bæume warte, und du des Gartens, oder daß wir uns umarmend im Schatten ligen, und den Gœttern danken. Ach Daphnis! Daphnis! sagte izt Phillis, voll der zærtlichsten Freude ihn an die weisse Brust drykend, ach wie glyklich sind wir! zwar wær ich auch arm glykselig bey dir gewesen, in kleiner sinkender Hytte, im einsamen Wald, da wæren mir die Blumen des Grases, wolriechende Rosen, und die Frychte des wilden Gestræuches, und die Wurzeln der Kræuter sysse Speisen gewesen; aber die Gœtter schenken uns noch Bequemlichkeit und Ueberfluß. Ach wie entzykt mich unser Glyk, weil es auch dein Glyk ist!

Komm, liebe Phillis! sagte Daphnis, indem er sie kyssend von seiner Schoos aufhub; komm, wir wollen dort auf den Hygel gehen, wo die Kyrbise stehn, vielleicht sehen wir da unsern Hygel; und izt giengen sie auf den Hygel. Im Schatten der breiten Kyrbis-Blætter sah Daphnis sich um; izt hypft' er; Phillis! rief er, siehst du dort unsern Hygel, dort, yber meinen Finger hin, der mit den vielen schœnen Bæumen. Ja, Daphnis! ja! rief Phillis, ich seh ihn, und die Quelle; wie sie daherfließt durch das Gras und Gestræuch! Ich seh auch die Hytte, Daphnis! sie ist gros und schœn; wie sich die Bæume yber ihr die Arme bieten! wie man beym Tanz sich die Arme bietet, und dann ein Mædchen oder ein Jyngling unten durchschlypft. Ich seh auch eine Laube, eine lange, gryne Laube vor der Hytte. Ach lieber Daphnis! umarme mich! ô wie glyklich werden wir seyn! ach! ich sehe schon, ich fyhle schon die mytterliche Freude; ich seh' es, wie ich in der Laube size, und mit dem læchelnden Kind auf der Schoos spiele, indeß da die andern um uns her im Grase plapern und mit Blumen spielen, oder unter den jungen Schafen, gleich gros im Grase hypfen. Ach! welche sysse Hofnung! Aber du! wer ist der, geschwind, wer ist der, der aus der Hytte in die Laube geht, mit grauem Haupt? O Phillis! es ist Aristus, sagte Daphnis. Ach Aristus! rief das Mædchen ganz entzykt, du guter Aristus! du Vater!

Liebstes Kind! sagt' izt Daphnis, indem er sich zwischen den Ranken der Kyrbise sezte, und sie auf seine Schoos nahm, liebstes Kind! ach wie glyklich bin ich! du liebest, ach du liebest mich! dieß allein, ja dieß allein macht mich glyklich! Ach was fyr Freude, was fyr Entzyken, fyhl ich, die ganze Zeit, daß ich dich liebe! Wyrdest du mich nicht lieben, ô so wyrden alle Hygel, alle Herden, alles, alles wyrde kein Glyk seyn! Aber in deinem Arm, Kind! in deinem Arm bin ich der Glykseligste! Morgen soll ich vor Amorn schwœren, daß ich dich lieben wolle. Ach Phillis! wenn mein Haupt einst grau ist, wenn mein Herz das lezte mal bebt, dann wird es noch so voll Liebe seyn, wie es izt ist. Ach Daphnis! liebster Daphnis! sagte Phillis, und drykte seufzend ihre Wangen zærtlich an seine Wangen.

Sie sassen izt voll Entzyken da, und kyßten sich und schwiegen. Phillis! hub Daphnis wieder an, alle Hirten und alle Mædchen freuen sich yber unser Glyk; alle, die um unsern Hygel wohnen, haben mir versprochen, an unserm Fest zu erscheinen; und ich werde sie in unsrer Laube bewirthen. Und die Hirten und die Mædchen um unsre Hytte, sagte Phillis, haben mir auch versprochen, an unserm Fest zu erscheinen. So sprachen sie, und freuten sich, so viele Leute zu wissen, die sich als Freunde mit ihnen freuen.

Indeß, daß sie so sprachen, kam der Abend. Daphnis stuhnd auf, um yber den Fluß zu gehen; Hand in Hand giengen sie den Hygel hinunter; ach! sprach Daphnis, wie froh werd ich seyn, wenn es Morgen-Roth ist! O wie werd ich den Tag begryssen! mit welcher Freude! mit welchem Entzyken! so bald es Morgen-Roth ist, Phillis! so bald es Morgen-Roth ist, will ich vor deiner Hytte seyn. Noch eh' es Morgen-Roth ist, sagte Phillis, noch eh' es Morgen-Roth ist, werd ich dir voll Ungeduld durchs Laub am Fenster entgegen sehen; und wenn ich dich kommen sehe, dann wird mir vor Freude das Herz hypfen; ich werde weinen vor Freude, als ob ich dich recht lange nicht gesehen hætte; ich werde dir entgegen rufen, wie die junge Schwalbe, wenn die Mutter mit Speise im Schnabel herfliegt; ja, sagte Daphnis, sie kyssend, ich bringe dir auch Speise auf meinen Lippen, tausend Kysse bring ich dir.

So sprachen sie, bis Daphnis in den Nachen gestiegen war.


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