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2. Was ist der volle Arbeitsertrag?

Als Arbeiter im Sinne dieser Abhandlung gilt jeder, der vom Ertrag seiner Arbeit lebt. Bauern, Handwerker, Lohnarbeiter, Künstler, Geistliche, Soldaten, Offiziere, Könige sind Arbeiter in unserem Sinne. Einen Gegensatz zu all diesen Arbeitern bilden in unserer Volkswirtschaft einzig und allein die Rentner, denn ihr Einkommen fließt ihnen vollkommen unabhängig von jeder Arbeit zu.

Wir unterscheiden: Arbeits erzeugnis, Arbeits erlös, und Arbeits ertrag. Das Arbeitserzeugnis ist das, was aus der Arbeit hervorgeht. Der Arbeits erlös ist das Geld, das der Verkauf des Arbeitserzeugnisses oder der Lohnvertrag einbringt. Der Arbeits ertrag ist das, was man mit dem Arbeitserlös kaufen und an den Ort des Verbrauchs schaffen kann.

Die Bezeichnungen: Lohn, Honorar, Gehalt anstelle von Arbeitserlös wendet man an, wenn das Arbeitserzeugnis nicht gegenständlicher Natur ist, wie etwa das Straßenkehren, das Dichten, das Regieren. Ist das Arbeitserzeugnis greifbar, wie ein Stuhl, und zugleich Eigentum des Arbeiters, so spricht man nicht mehr von Lohn und Honorar, sondern vom Preis des verkauften Stuhles. Bei all diesen Bezeichnungen handelt es sich immer um dasselbe Ding, um den Gelderlös der verrichteten Arbeit.

Der Unternehmergewinn und der Handelsprofit sind, sofern man die in ihnen meistens enthaltenen Kapitalzinsen oder Grundrenten in Abzug bringt, ebenfalls als Arbeitserlös anzusprechen. Der Direktor einer Bergwerks-Aktiengesellschaft bezieht sein Gehalt ausschließlich für die von ihm geleistete Arbeit. Ist der Direktor gleichzeitig Aktionär, so erhöhen sich seine Einnahmen um den Betrag der Dividenden. Er ist dann Arbeiter und Rentner in einer Person. Meistens besteht das Einkommen der Bauern, Kaufleute und Unternehmer aus Arbeitserlös und Renten (bzw. Zinsen). Ein Bauer, der mit geliehenem Kapital auf gepachtetem Boden arbeitet, lebt ausschließlich vom Ertrag seiner Arbeit. Was nach Zahlung von Pachten und Zinsen vom Arbeitserzeugnis übrig bleibt, ist auf seine Tätigkeit zurückzuführen und unterliegt den allgemeinen Gesetzen, die den Lohn bestimmen.

Zwischen dem Arbeitserzeugnis (oder der Leistung) und dem Arbeitsertrag liegen die verschiedenen Handelsverträge, die wir täglich beim Einkauf der Waren abschließen. Von diesen Verträgen wird der Arbeitsertrag stark beeinflußt. Täglich kommt es vor, daß Leute, die die gleichen Arbeitserzeugnisse zu Markt führen, dennoch ungleich große Arbeitserträge heimbringen. Das liegt daran, daß diese Leute als Arbeiter wohl gleichwertig sind, nicht aber als Händler. Die einen verstehen es besser, ihre Erzeugnisse zu guten Preisen zu verkaufen und beim Einlauf der Bedarfsgegenstände die Spreu von den Körnern zu sondern. Bei den für den Markt verfertigten Waren gehören der Tausch, der Handel und die hierfür nötigen Kenntnisse genau so zum Erfolg der Arbeit (Arbeitsertrag) wie die technischen Kunstgriffe. Der Tausch des Erzeugnisses ist als Schlußhandlung der Arbeit zu betrachten. Insofern ist jeder Arbeiter auch Händler.

Hätten die Gegenstände des Arbeitserzeugnisses und des Arbeitsertrages eine gemeinsame Eigenschaft, mit der sie sich vergleichen und messen ließen, so könnte der Handel, der das Arbeitserzeugnis in Arbeitsertrag verwandeln soll, wegfallen. Sofern man dann nur richtig messen, zählen oder wägen würde, müßte der Arbeitsertrag immer ohne weiteres gleich dem Arbeitserzeugnis sein (abzüglich Zins oder Rente), und den Beweis, daß eine Übervorteilung nicht stattgefunden hat, könnte man unmittelbar an den Gegenständen des Arbeitsertrages liefern. Genau wie man zu Hause auf der Wage nachwägen kann, ob die Wage des Apothekers richtig wiegt oder nicht. Solche gemeinsame Eigenschaft fehlt jedoch den Waren. Stets wird der Tausch durch den Handel bewerkstelligt, niemals durch den Gebrauch irgend eines Maßes. Auch der Gebrauch des Geldes enthebt uns nicht der Notwendigkeit, den Tausch durch den Handel zu vollziehen. Der Ausdruck »Wertmesser«, den man noch manchmal in rückständigen volkswirtschaftlichen Schriften auf das Geld anwendet, ist irreführend. Keine einzige Eigenschaft eines Kanarienvogels, einer Pille, eines Apfels läßt sich mit einem Geldstück messen.

Darum müssen wir es aber als eine Unmöglichkeit bezeichnen, mit einem unmittelbaren Vergleich zwischen Arbeitserzeugnis und Arbeitsertrag eine Klage auf Grund des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag rechtlich zu begründen. Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, sofern darunter das Recht des einzelnen auf seinen vollen Arbeitsertrag gemeint ist, müssen wir sogar geradezu als Hirngespinst bezeichnen.

Ganz anders verhalten sich jedoch die Dinge in Bezug auf den gemeinsamen vollen Arbeitsertrag. Dieser verlangt nur, daß die Arbeitserzeugnisse restlos unter die Arbeiter verteilt werden. Es dürfen keine Arbeitserzeugnisse an Rentner für Zinsen und Renten abgegeben werden. Das ist die einzige Bedingung, die die Verwirklichung des Rechtes auf den gemeinsamen, vollen Arbeitsertrag stellt.

Das Recht auf den gemeinsamen, vollen Arbeitsertrag verlangt von uns nicht, daß wir uns noch um den Arbeitsertrag des einzelnen Arbeiters kümmern. Was der eine Arbeiter heute weniger erhält, empfängt der andere mehr. Die Verteilung unter die Arbeiter geschieht nach wie vor nach den Gesetzen des Wettbewerbs, in der Regel so, daß der Wettbewerb um so schärfer, der persönliche Arbeitsertrag um so geringer ist, je leichter und einfacher die Arbeit ist. Diejenigen Arbeiter, die die höchste Umsicht bei der Arbeit brauchen, sind dem Wettbewerb der Massen am wirksamsten entzogen und können darum für ihre Leistungen die höchsten Preise erzielen. Manchmal ersetzt auch einfach körperliche Veranlagung (bei Sängern z. B.) den Scharfsinn bei der Ausschaltung des Massenwettbewerbs. Wohl dem, der bei seinen Leistungen den Wettbewerb der anderen nicht zu fürchten braucht.

Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag kommt allen Einzelarbeitserträgnissen in einem gleichmäßigen, nach Prozenten bestimmten Aufschlag auf die heutigen Arbeitserträgnisse zustatten. Die Arbeitserträge werden vielleicht verdoppelt, aber nicht geebnet. Das Gleichmachen der Arbeitserträgnisse ist Sache der Kommunisten. Hier aber handelt es sich um das Recht auf den vollen, durch den Wettbewerb, den Wettkampf zugemessenen Arbeitsertrag. Zwar werden als Nebenwirkung der Neuerungen, die das Recht auf den gemeinsamen vollen Arbeitsertrag verwirklichen sollen, die heutigen, oft ungeheuren Unterschiede in den Einzelarbeitserträgnissen, namentlich im Handel, auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt werden, doch handelt es sich hier nur um eine Nebenwirkung. Zu dem Rechte, das wir verwirklichen wollen, gehört aber solches Gleichmachen, wie gesagt, nicht. Demnach werden fleißige, tüchtige, umsichtige Arbeiter einen ihrer größeren Arbeitsleistung genau entsprechend größeren Arbeitsertrag heimbringen. Dazu kommt die allgemeine Hebung des Lohnes durch den Fortfall des arbeitlosen Einkommens.

 

Übersicht über das bisher Gesagte:

  1. Das Arbeitserzeugnis, der Arbeitserlös und der Arbeitsertrag sind nicht unmittelbar vergleichbar. Es gibt für diese drei Größen keinen gemeinsamen Maßstab. Die Überführung des einen in den anderen geschieht nicht durch Messen, sondern durch Vertrag, durch Handelsvertrag.
  2. Der Nachweis, ob der Arbeitsertrag des einzelnen Arbeiters voll oder nicht voll ist, läßt sich nicht erbringen.
  3. Der volle Arbeitsertrag läßt sich nur als gemeinsamer (kollektiver) Arbeitsertrag begreifen und nachmessen.
  4. Der volle gemeinsame Arbeitsertrag macht die restlose Ausmerzung allen arbeitlosen Einkommens, also des Kapitalzinses und der Grundrente, zur Bedingung.
  5. Sind Zins und Rente restlos aus der Volkswirtschaft ausgemerzt, so ist erwiesen, daß das Recht auf den vollen Arbeitsertrag verwirklicht, daß der gemeinsame Arbeitsertrag gleich dem gemeinsamen Arbeitserzeugnis ist.
  6. Die Beseitigung des arbeitlosen Einkommens hebt, verdoppelt oder verdreifacht die Einzelarbeitserträgnisse. Ein Gleichmachen findet nicht oder nur teilweise statt. Die Unterschiede im Einzelarbeitserzeugnis kommen im Einzelarbeitsertrag voll zur Geltung.
  7. Dieselben allgemeinen Gesetze des Wettbewerbes, die die verhältnismäßige Höhe des Einzelarbeitsertrages bestimmen, bleiben bestehen. Dem Tüchtigsten der höchste Arbeitsertrag, über den er frei verfügen kann.

Heute erleidet der Arbeitsertrag in Gestalt von Grundrenten und Kapitalzinsen Abzüge. Diese werden natürlich nicht willkürlich bemessen, sondern von den Marktverhältnissen bestimmt. Jeder nimmt so viel, wie ihm die Marktverhältnisse zu nehmen gestatten.

Wie diese Marktverhältnisse zustandekommen, wollen wir jetzt untersuchen. Zunächst in Bezug auf die Grundrente.


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