Friedrich Gerstäcker
Verhängnisse
Friedrich Gerstäcker

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7. Vor Anker.

Der nächste Morgen brach an, und der alte Koch hatte in der Tat recht gehabt. Halb am Wind segelten sie der Küste entgegen, die sich schon vor ihnen, mit ihren nur spärlich bewachsenen Hängen, deutlich vom Horizont abzeichnete – und näher und näher kamen sie hinan. Schon konnten sie die lichten Häuser am Land erkennen, die Schiffe, die zusammengedrängt im Hafen lagen, die einzelnen kleinen Boote, die herüber und hinüberschossen. Jetzt schallten die Kommandoworte, die einzelnen Segel zu beschlagen, die schon gelöst im Winde flatterten, die junge Mannschaft mußte nach oben, um das auszuführen – jetzt rollte plötzlich der Anker in die Tiefe, und wie ein Messerstich traf der Laut Georges Herz, denn er war sich bewußt, daß ihn das Schiff nur tot, nie aber lebend wieder aus der Bai hinausgeführt hätte.

Noch von oben aus sah er, wie das Boot des ersten Harpuniers niedergelassen wurde, aber keiner der Matrosen, nur der Zimmermann und drei der Bootsteurer durften die Ruder führen – der Kapitän saß selber am Steuer und mit den regelmäßigen Schlägen glitt das scharfgebaute Boot bald der Hafenstadt entgegen.

George schnürte es fast die Kehle zusammen, als er sich so fast in Arms-Bereich von Rettung sah, und das Herz schlug ihm fieberhaft, als er sich die Möglichkeit dachte, doch vielleicht die Erlaubnis zu bekommen, einen amerikanischen Konsul an Land aufzusuchen. Er wollte den dritten Harpunier darum bitten, denn dieser war in der letzten Zeit immer freundlich mit ihm gewesen und befürwortete es sicher. Noch stand er unschlüssig, was zu tun, an Deck, als der Koch an ihn herantrat und leise sagte:

»Höre, mein Junge, du willst gerade einen dummen Streich machen, wie?«

»Ich? nein,« sagte George verlegen. »Nur den Harpunier Mr. Holk wollte ich fragen, ob er –«

»Mich nicht vielleicht an Land ließe, wie?«

»Etwas Ähnliches – nur um den amerikanischen Konsul –«

»Ob ich's mir nicht gedacht habe,« nickte der Koch – »und wenn der nur erst eine Ahnung davon bekommt, läßt er dich die Zeit, die wir hier liegen, so ruhig in Eisen setzen wie nur was. Glaubst du, daß die einem von uns auch nur die Länge einer Planke trauen? – Dir aber besonders nicht, denn sie wissen, daß man dich wider deinen Willen an Bord gebracht, und haben die Geschichte jetzt nur für den Augenblick vergessen.«

Und wenn der Koch recht hatte? – Lange genug schon trieb der sich auf derartigen Fahrzeugen herum, um ihre Eigentümlichkeiten zu kennen, und George durfte sich einer solchen Gefahr nicht aussetzen. Wer wußte denn wohl, wann und wo sie nun das erste Mal wieder Land erreichen würden, und daß er hier im stillen Meer gar keine Hoffnung mehr hegen dürfe, ein Schiff in See zu treffen und darauf seine Rettung zu versuchen, davon hatte er sich jetzt selber überzeugt. Hier also hieß es mit äußerster Vorsicht handeln und besonders die richtige Zeit abwarten, ehe er irgend etwas Entscheidendes unternahm.

»Hallo Boys!« rief jetzt der erste Harpunier die auf Deck befindlichen Leute an – »wollte euch nur eine Warnung geben: daß sich nämlich keiner von euch etwa beikommen läßt, hier in der See zu baden. In der Bai gibt's heidenmäßig viel Haifische, und als ich das letzte Mal hier war, wurden uns zwei von den Leuten fortgeholt. Nehmt euch deshalb in acht.« Damit drehte er sich um und ging auf das Quarterdeck zurück, und die Seeleute sahen sich untereinander an und lachten, denn sie wußten gut genug, was eigentlich mit der Warnung gemeint war: nämlich die Leute abzuschrecken, einen Fluchtversuch durch Schwimmen zu wagen. Trotzdem erreichte sie aber doch im ganzen ihren Zweck, denn der Matrose, so tollkühn er auch in jeder andern Hinsicht sein mag, fürchtet nichts auf der Welt mehr als den Hai und haßt ihn dementsprechend.

Indessen gingen die Arbeiten an Bord ruhig ihren Gang, und während der Böttcher noch mit den letztgefüllten Fässern zu tun hatte, um diese ordentlich nachzusehen und die Reifen etwas mehr anzutreiben, mußten die übrigen Leute das Deck reinigen, um das Schiff nur etwas wieder instand zu setzen, denn wirklich sauber bringt man einen Walfischfänger doch nie im Leben. George entging es dabei nicht, daß der vierte Harpunier und Bill, der eine zurückgebliebene Bootsteurer, die übrigen noch unter den Krahnen hängenden Boote nicht allein doppelt befestigten, sondern auch die Riemen und Harpunen herausnahmen, die aus dem über Deck befindlichen Gestell, auf dem noch einige Reserveboote lagen, festgeschnürt wurden.

Es war keinem Zweifel unterworfen, daß das alles nur deshalb geschah, um irgend jemanden an Bord zu verhindern, ein zweites Boot auf das Wasser hinabzulassen und Mißbrauch damit zu treiben; also man fürchtete doch, daß einzelne der Mannschaft einen Fluchtversuch, besonders in der Nacht, machen könnten. Als diese endlich einbrach und der Kapitän mit seinem Boot noch nicht wieder zurück war, überließ der erste Harpunier, der jetzt den Oberbefehl an Bord hatte, auch nicht etwa die Wacht den gewöhnlichen Matrosen, sondern die Harpuniere mit den Bootssteurern, Bootsmann und Böttcher, wechselten selber darin ab, und zwar so, daß sich einer von ihnen auf der Back, der andere aber auf dem Quarterdeck hielt und dadurch seinen Teil des Decks vollkommen gut übersehen konnte. Es wäre nicht möglich gewesen, unbemerkt ein Boot niederzubringen.

George hatte die erste Wacht an Deck, und obgleich ihm Mr. Holk gesagt, daß er seinen Brief richtig besorgt habe, so erfüllte ihn jetzt doch nur der eine Gedanke: Flucht. Über sechs Monate waren vergangen, seit man ihn in so nichtswürdiger Weise seiner Heimat entführt hatte, und ließ er diese Gelegenheit unbenutzt vorüber, die letzte vielleicht, wo er noch den amerikanischen Kontinent gewinnen konnte, wer wußte dann, ob nicht weitere Jahre zwischen jetzt und seiner Rettung lagen.

Vom Land funkelten schon die Lichter herüber und so nahe lagen sie doch, daß sie sogar die von dorther tönende Musik vernehmen konnten, die aus den zahllosen Tanzlokalen des kleinen phrynischen Hafenplatzes erschallte. – Aber was jetzt? George hatte die in der Bai herüber und hinüber kreuzenden Boote beobachtet, ob er vielleicht bei einem oder dem anderen Aufnahme finden könne, – aber sie kamen nie dem Fahrzeug auch nur mehr als in Rufs Nähe, und daß ihm da von den Offizieren keine Zeit gelassen wurde, mit ihnen auch nur wenige Worte zu wechseln, wußte er gut genug.

Verzweifelnd starrte er hinüber nach dem Land – so nah und doch so unerreichbar, und wieder und wieder drängte es ihn, sich in die Flut hinabzustürzen und trotz allen Haifischen Rettung in einer so verzweifelten Flucht zu suchen.

Während er so, in seine trüben Gedanken vertieft, an den Bulwarks lehnte und hinab in die Tiefe starrte, fühlte er, wie jemand dicht neben ihm Platz nahm, und als er den Kopf dorthin drehte, bemerkte er den Koch, der seine Arbeit beendet und sich ihm zugesellt hatte.

»Nun, George,« sagte der Mann nach einer kleinen Pause, in der er den Blick ebenfalls auf die Lichter der nicht fernen kleinen Hafenstadt geheftet hatte, »wie wär's, wenn wir jetzt da drüben mit dem lustigen Volk herumtollten? – Verdammt langweiliges Leben an Bord? wie?«

»Mir ist nicht wie herumtollen, Doktor,« sagte der junge Mann finster; »das Herz möchte mir brechen, wenn ich die Stelle vor mir sehe, von der aus ich zu meiner Familie zurückkehren könnte, und jetzt hier gezwungen bin, ein Gefangener zu bleiben, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte – es ist zu furchtbar!«

»Aber wir haben bis jetzt eine gute Reise gehabt und tüchtig gefangen.«

»Das Hundertfache meines Anteils,« rief George heftig, »würde ich gern dem Schiff bezahlen, wenn ich frei wäre – frei wie das Boot, das dort hinüberschießt.«

»Das Hundertfache, George?« sagte kopfschüttelnd der Koch – »das wäre viel Geld, und es möchte einem armen Matrosen schwer werden, das so auf einem Brett auszuzahlen.«

»Und wie wenig wäre es doch für die Qual, die ich jetzt leide,« seufzte der junge Mann, »wie freudig würde es mein Vater zahlen!«

»Hm – kannst du schwimmen?« fragte der Koch nach einer Weile.

»Schwimmen? – gewiß!« rief George, ihn erstaunt ansehend – »aber die Haifische hier im Meer –«

Der Koch sagte eine ganze Weile gar nichts und sah nur still und schweigend vor sich nieder, endlich flüsterte er: »George, du bist ein braver Junge, und gewissermaßen der einzige auf dem ganzen verbrannten Schiff, der teil an mir genommen hat. Eigentlich bin ich ein Esel, wenn ich dir einen guten Rat gebe, denn nachher sitze ich mit der andern Bande wieder allein; aber ich kann's doch nicht übers Herz bringen. – Hol's der Teufel, mach, daß du fortkommst, denn ich glaube, wir gehen morgen früh wieder in See.«

»Wieder in See?« rief George erschreckt.

»Ahem!« nickte der Koch. »Zuerst glaubt' ich, der Kapitän würde hier ein bißchen Havarie machen, wie es hundert andere tun, und dann ein paar Wochen oder doch wenigstens acht Tage dableiben, aber die Anzeichen sind nicht danach – die Boote bleiben fest – wir ankern hier fast weiter als nötig ist in der Bai, und die Papiere hat der Alte ebenfalls nicht mit an Land genommen. Möglich, daß wir morgen noch eine Partie Öl verladen und ein paar LichterLichter – kleine Fahrzeuge, die Fracht aus größeren Schiffen an Land nehmen. füllen, aber das geht rasch, und dann gibt's außerdem keine Zeit mehr, an irgend etwas anderes zu denken. Heute abend aber ist noch Frieden und – wenn du meinem Rat folgst, so machst du, daß du fortkommst.«

»Aber die Haifische – sind deren wirklich so viel?«

»Bah – Unsinn,« brummte der Koch – »Haifische gibt's, ja; aber überall sind sie auch nicht. Wer Glück hat, den fressen sie nicht, und in der Bai hier sind sie außerdem verwünscht rar – das war nur Geschwätz von dem Harpunier.«

»Und Ihr glaubt, daß wir morgen segeln?«

»Ich glaub's fest.«

»Aber wie will ich fort? Der Böttcher sitzt vorn auf der Back, und bei dem geringsten Alarm, den er gibt, haben sie ein Boot hinter mir her. Wie leicht können sie die Schnüre durchschneiden.«

»Das würde ihnen allerdings verwünscht wenig Zeit nehmen,« lachte der Koch; »aber wenn man's klug anfängt, kann man sie trotzdem leimen. Wenn ich fort wollte, ich käme fort.«

»Also haltet Ihr es für möglich?«

»Gewiß, aber Courage gehört dazu –«

Georges Augen blitzten. »Und wann glaubt Ihr, daß ich fort soll?«

»Warte noch eine halbe Stunde,« sagte der Koch vorsichtig, indem er nach der See hinuntersah – »wir haben jetzt staut WasserStaut Wasser – die Zwischenzeit zwischen Ebbe und Flut, wo die See stillsteht und keine Strömung zeigt., in einer halben Stunde hat aber die Flut wieder voll eingesetzt und dann schwimmt sich's so viel leichter.«

»Und der Böttcher?«

»Dem werd' ich indessen Arbeit geben – er hat jetzt die Schlüssel zur Vorratskammer und ich werde notwendig was brauchen. Paß auf, sobald ich mit ihm in den Raum hinuntersteige, dann geh vorn an die Gallion, laß dich vorsichtig hinunter, damit das Wasser nicht plätschert und mach, daß du von dem Schiffe fort und in den Schatten der Brigg da drüben kommst.«

George faßte krampfhaft des Kochs Hand. – »Wie soll ich Euch danken?«

»Pst –« sagte der Mann, indem er einen scheuen Blick umherwarf – »vorsichtig, mein Junge. – Wenn wir uns wieder einmal in Neuyork treffen, traktierst du, wie?«

»Habt Ihr ein kleines Blatt Papier hier?« sagte George, der seine Hand zurückzog, denn er fühlte, daß der Mann recht hatte und sie kein Zeichen des Verständnisses geben dürften.

»Papier? Lächerlich – wie soll ich zu Papier kommen? – weiter nichts als solches, worin die Flaschen manchmal eingewickelt sind – was willst du damit?«

»Ein paar Worte darauf schreiben.«

»Hm – die Missionsgesellschaft in Neuyork stopft uns immer das Vorcastle voll Gebetbücher – die haben weiße Blätter hinten; genügt so eins?«

»Vollkommen – und einen Bleistift?«

»Ich muß noch einen in meinem Kasten haben – will sehen, daß ich ihn finde – geh derweile in die Kombüse – aber was soll's damit?«

»Holt mir nur den Bleistift – alles andere nachher – und vergeßt das weiße Blatt nicht.«

Der Koch ging und George schlenderte indessen langsam an Deck hin, der Kombüse zu, in welcher er schon manchmal, besonders bei rauhem Wetter, mit dem Koch gesessen hatte. Dieser kam endlich zurück, warf noch einen Blick vorher über Deck und sagte dann, indem er dem jungen Mann das Verlangte reichte: »So, da hast du, was du willst – ich werde jetzt hingehen und den Böttcher beiseite schaffen – die Zeit mußt du aber benutzen, sonst steh' ich dir nachher für nichts.«

»Wartet noch einen Augenblick, Koch,« sagte der junge Mann, indem er das Dargereichte nahm und bei dem düsteren Licht der Küchenlampe ein paar Zeilen auf das Blatt schrieb – »hebt dies Papier gut auf, und wenn Ihr nach Neuyork kommt, so gebt es an die Adresse ab –«

»An wen ist's?«

»An Baring Simms und Komp.«

»An Baring Simms?« rief der Koch im äußersten Erstaunen – »und was hast du an Baring Simms zu schreiben und woher kennst du die?«

»Kümmert Euch nicht um das, sondern sobald Ihr an Land kommt, geht zu dem Haus und gebt den Zettel ab. Legt ihn indessen in Euer Buch zurück, damit er sich nicht verwischt und unleserlich wird, und jetzt goodbye, Koch. Ich hoffe, wir treffen uns noch einmal im Leben und unter besseren Verhältnissen. Ich wag's mit Gott – schafft mir nur den Böttcher vom Leibe.«

»Aber 's ist weit, mein Junge,« sagte warnend der Koch – »die Lichter sehen von hier freilich nah aus, man muß aber eine verdammte Strecke schwimmen, bis man hinkommt.«

»Hat die Flut eingesetzt?«

»Ja.«

»Dann trägt mich die auch hinüber, denn ich schwimme wie ein Fisch und halte es stundenlang aus.«

»Aber in den Kleidern.«

»Meine Jacke nehme ich auf den Rücken und das Seewasser trägt ja vortrefflich. Wenn mir nur kein Hai unterwegs begegnet.«

»Mußt gar nicht daran denken,« brummte der Koch, »und im schlimmsten Fall stopfst du ihm deine Jacke in den Rachen und rennst ihm dein Messer in den Wanst. Nur kaltes Blut behalten, das ist die Hauptsache; die verdammten Haifische sind ja deshalb so gefährlich, weil sie immer kaltes Blut haben. Aber hab keine Angst – du kannst die ganze Nacht hier herumschwimmen und würdest keinen antreffen – der Harpunier hat nur geflunkert, um euch bange zu machen. Und jetzt paß auf, sowie ich mit dem Böttcher nach hinten gehe, ist deine Zeit. Wirf vorn eine von den Klüverfallen über, damit du an die Ankerkette kommst, und an der rutsche langsam ins Wasser hinab, und kommst du glücklich an Land, so laß dich nicht von der Polizei erwischen und halte dich in dem Nest gar nicht auf. Nördlich von hier liegt Concepcion im Land, drin findest du überall deutsche Ansiedelungen, bei denen du dich versteckt halten kannst, bis das Schiff fort ist. – Hast du Geld?«

»Nicht einen Cent,« sagte George bitter. »Sie haben mich um alles geplündert, selbst um meine Uhr, und nur einen kleinen Ring habe ich gerettet.«

Der Koch griff in die Tasche. »Da, George,« sagte er, indem er ihm ein Geldstück hinreichte, »heb mir das auf, bis ich selber nach Neuyork komme, ich versauf's sonst doch vorher. – Wenn ich denn doch noch einmal zu Baring Simms hinschicken muß – denn selber betret' ich das Haus mit keinem Fuß wieder, – so kannst du's dort für mich deponieren.«

»Das ist ein Goldstück, Koch!« rief George, der es in der Hand fühlte.

»Ahem,« nickte dieser – »einer der besten Vögel in der Welt – ein Adler und überall gut für zehn Dollar.«

»Wie soll ich's Euch danken, Koch,« sagte George bewegt, »daß Ihr mir, einem vollkommenen Fremden, so viel Geld anvertraut. –«

»Bah,« sagte der Koch, indem er eine unter der Bank versteckte Flasche vorholte – »was tu' ich jetzt auf dem Walfischfang mit zehn Dollarn – lächerlich – aber hier, George, trink einmal vor deiner Schwimmpartie – das wird dir gut tun und hält dich im Wasser warm.«

»Ich trinke keinen Branntwein mehr, Kamerad.«

»Bah, bei einer solchen Gelegenheit,« drängte aber der Koch, »ist's kein Branntwein mehr, sondern Medizin, und gegen Medizin hast du doch wohl nichts einzuwenden – nimm einen tüchtigen Schluck, du kannst ihn brauchen, hast ihn vielleicht noch nie im Leben so notwendig gehabt wie gerade jetzt – laß das den letzten sein.«

Der Koch hatte recht – die lange Schwimmpartie voraus – die Aufregung, in der er sich befand. Er setzte die Flasche an und tat einen kräftigen Zug, daß der Koch selber »Bravo!« rief – »und nun fort, mein Junge,« drängte er, »geh du jetzt vorn auf die Back und halte dich bereit – das Schiff hat sich schon lange gedreht und es wird niemand auf dich acht geben. God bless you!« und ihm die Hand reichend und die seine derb schüttelnd drängte er George aus der einen Seite der Kombüse nach Starbord zu hinaus, während er selber durch die andere Tür nach Backbord aufs Verdeck trat und dort ohne weiteres den Böttcher aufsuchte. Mit diesem unterhielt er sich eine Weile und der Böttcher fluchte – es war ihm keinenfalls recht, daß er jetzt in seiner Ruhe gestört wurde, aber der Koch ließ nicht locker. Was er verlangte, konnte George allerdings nicht verstehen, aber der Böttcher mußte doch zuletzt seinem Drängen nachgeben und schritt mit ihm der Kajüte zu.

George hatte indessen die Back oder den überdeckten Vorderteil des Fahrzeuges erreicht, auf dem sonst nachts eine regelmäßige Wacht gehalten wurde. Jetzt aber, vor Anker und der eingehenden Flut entgegenreitend, war das natürlich nicht mehr nötig und die Mannschaft trieb sich großenteils, wenn sie nicht schon in ihren Kojen lagen, auf dem inneren Deck umher und blickte sehnsüchtig nach den lange nicht gesehenen Lichtern vom Land hinüber.

Unten am Schiff hin gurgelte die Flut dem Land entgegen. Er konnte deutlich erkennen, wie das funkelnde Seewasser um die Ankerkette spielte – und dort hinunter in Nacht und Dunkelheit sollte er? Wenn ihn ein Krampf erfaßte – wenn ihn einer der gierigen Raubfische traf! »Jenny!« Er hatte keinen weiteren Gedanken, und nur noch einmal den Blick umherwerfend, ob er nicht gerade jetzt beobachtet würde, faßte er das niederhängende, aber an einem der »Nägel« vorher befestigte Fall, glitt daran hinab, erreichte die Ankerkette und sank geräuschlos in die Flut hinein.

 


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