Friedrich Gerstäcker
Verhängnisse
Friedrich Gerstäcker

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4. In See.

An dem Abend brachte man dem Gefangenen, um den sich sonst aber niemand bekümmerte, sein Essen hinunter in den Raum, doch er verweigerte alles, und als er dem Zimmermann, der zu ihm kam, sein Leid klagen und ihn auffordern wollte, ihm zu helfen, sagte der mürrische Gesell:

»Wenn du einen guten Rat von mir annehmen willst, mein Bursch, dann hältst du dich ganz ruhig und machst keine Dummheiten. Ändern kannst du nichts an der Sache, so viel solltest du vernünftigerweise einsehen, denn wir sind schon aus Sicht vom Land, und daß der Alte nicht wegen dir noch einmal umdreht, wo uns jetzt ein kleiner Sturm nach Süden hinunterjagt, darfst du dir wohl denken. Wir brauchten jetzt auch wenigstens acht Tage, um gegen den Wind wieder aufzukreuzen. – Haben wir aber einen guten Fang, so sind wir in drei Jahren wieder zurück, und mit einer Tasche voll Geld kannst du dir dann in Neuyork eine Güte tun. Jetzt ist's nichts, und wenn du dich einmal für ein Schiff anwerben läßt, mußt du auch deine Zeit aushalten.«

»Aber ich habe mich nicht anwerben lassen!« rief George erregt aus.

»Wenn der Mensch eine Flasche zu viel im Kopfe hat, weiß er nie mehr am andern Morgen, was er am Abend vorher getan – alte Geschichte,« brummte der Zimmermann und stieg dann wieder, ohne sich um den Gefangenen weiter zu kümmern, an Deck hinauf.

George verbrachte eine furchtbare Nacht in dem dumpfigen, dunkeln und öden Raum. Das nur mit Ballast beladene Schiff schaukelte und schlingerte dabei furchtbar und die Seekrankheit milderte endlich wenigstens seine geistigen Leiden, indem sie ihn dieselben – wenn auch nur für kurze Zeit – in dem schauerlichen Zustand der Gegenwart vergessen ließ.

Und der nächste Morgen brach an – sein Hochzeitstag mit der Perle Neuyorks, um die ihn Tausende beneidet hatten – und er? – er drückte sein Gesicht in die gefesselten Hände und schluchzte laut. Aber was half es ihm – draußen an Bord plätscherten und peitschten die Wellen an, die ihn weiter fort von der Geliebten führten, und in den Händen erbarmungsloser Menschen, durfte er diesen ja nicht einmal sein Leid klagen, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, auch noch von ihnen verspottet zu werden.

Heute kam der Böttcher zu ihm, der auch die Luke offen und die Sonnenstrahlen zu ihm hereinließ. Er brachte ihm einen Becher Kaffee und Zwieback und blieb, während er ihn kopfschüttelnd betrachtete, neben ihm stehen.

»Du siehst gut aus, Mate,« nickte er dazu, »hol' mich der Teufel, wenn du nicht den übrigen Leuten als abschreckendes Beispiel dienen könntest. Aber raff dich ein bißchen zusammen, der erste Harpunier wird gleich herunterkommen und dir die Eisen abnehmen, denn mit dem Faulenzen hier unten geht's nicht länger.«

George starrte ihn an. Das war der nämliche Seemann, den er gestern oder vorgestern abend – er hatte seine ganze Zeitrechnung verloren – in der Matrosenkneipe an Land gesehen.

»Waren wir nicht neulich den Abend beisammen?«

»Nun gewiß, Mate,« lachte der Mann, »wo ihr beide, du und dein Kamerad, mit dem alten Gauner, dem Schlafbaas, in den Anker kamt. Müßt verdammt grün sein, daß ihr euch mit dem eingelassen habt, denn das ist der größte Halunke, der je in einem Peajackett herumgelaufen. Jetzt ist aber nichts mehr zu machen, denn wir sind einmal unterwegs und außerdem ein bißchen knapp an Mannschaft, und da ließe der Alte keinen mehr los, selbst wenn er es noch möglich machen könnte. Aber auch das ginge nicht einmal mehr, denn an Land können wir hier nirgends, und mit der See, die jetzt draußen steht, kommt uns kein anderes Fahrzeug in wenigstens eine Meile Nähe.«

»Aber weiß Euer Kapitän, welcher Gefahr er sich aussetzt, wenn er mich mit in See nimmt? – ich bin –«

»Bah,« unterbrach ihn lachend der Böttcher – »und wenn du der Präsident selber wärst, Kamerad – was du aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bist, denn dazu siehst du zu jung aus, – so kann kein Gesetz der Welt unserem Alten etwas dafür anhaben. Er hat dich von dem Schlafbaas übernommen, und hätte der faul Spiel gemacht, so könntest du den vielleicht, wenn du einmal zurückkommst, vorkriegen. Dem Alten dürfen sie aber nichts anhaben, denn von wem sollen wir unsere Leute nehmen, als von den Schlafbaasen? Die sorgen dafür, und mancher Kapitän dürfte wochenlang noch mit voller Ladung im Hafen liegen, wenn ihm die nicht die Mannschaft an Bord brächten. Weshalb läßt du dich mit solchen Halunken ein? Geschieht dir ganz recht, wenn du Lehrgeld zahlen mußt. Das nächste Mal komm selber an Bord und sieh dir vorher dein Schiff an.«

»Aber wir haben uns nicht mit ihm eingelassen,« rief George – »wir sind gar keine Matrosen und trafen ihn nur zufällig auf der Straße.«

Der Böttcher lachte: »Dann wußt' er recht gut, daß man auf einem Walfischfänger alles brauchen kann, was vorkommt – Schuster und Schneider und was in der Welt herumläuft. Wer nur etwas versteht, findet auch hier seine Beschäftigung und kann sich nützlich machen.«

»Aber ich habe gar nichts gelernt, was ich hier gebrauchen könnte,« rief George in heller Verzweiflung – »nichts als Jura studiert – ich war Advokat und bin dann später erst in meines Vaters Geschäft getreten.«

Der Böttcher sah ihn förmlich verblüfft an und pfiff durch die Zähne – dann aber brach er in ein schallendes Gelächter aus und rief: »Einen Advokaten gefangen? – einen Landhai – das ist kostbar – na, wenn das die Mannschaft erfährt, dann darfst du dich aber auf einen Spaß all around gefaßt machen – einen Landhai an Bord! Was zum Hellen Teufel hat dich denn aber da in eine Matrosenjacke gebracht, mein Junge? Na, das ist kostbar, und da weiß ich freilich nicht, was sie mit dir anfangen sollten.«

George biß sich auf die Lippen, aber er fühlte auch, daß hier jedes Gegenreden nutzlos sein würde, und nur wie sich der Böttcher wandte, um wieder nach oben zu steigen, fiel ihm Tom ein und was aus dem geworden.

»He, Freund,« rief er ihn noch einmal an – »Ihr wißt doch, daß wir gestern abend unserer zwei waren. Könnt Ihr mir sagen, ob sich mein Kamerad ebenfalls an Bord befindet oder was aus ihm geworden?«

Der Böttcher blieb stehen und schüttelte mit dem Kopf:

»Der andere hatte so helle, flachsige Haare, wie?«

»Gewiß – ist er mit uns an Bord?«

Der Seemann schüttelte noch einmal. »Nein,« sagte er – »ist auch nicht wahrscheinlich, denn wenn ihr beiden wirklich abgefangen seid, wie mir jetzt beinahe scheinen will, und er hat halbwegs ein paar verschiedene Schiffe für euch gehabt, so ließ er euch in dem Fall auch nicht zusammen. Möglicherweise ist dein Kamerad jetzt nach Ostindien unterwegs. Der Roja Brooks segelte etwa eine Viertelstunde vor uns aus und wir hatten ihn morgens um neun Uhr, am ersten Tage, noch in Sicht. Die Leute vom Brooks waren ja auch an dem Abend mit im Anker.«

George seufzte tief und schwer auf. So war er denn ganz allein und verlassen – verloren, und nicht einmal Nachricht konnte er nach Hause senden, um seine Eltern, um seine Braut – seine Jenny zu beruhigen. Und was mußte diese von ihm denken, wie sich um ihn abhärmen und grämen, wenn sie erst nicht mehr anders konnte, als ihn tot zu glauben. – Und das alles nur eines leichtsinnigen, jugendlichen Streiches wegen. – Oh, hatte er denn deshalb so furchtbare, entsetzliche Strafe verdient? –

Der Böttcher war wieder nach oben gestiegen, um seine Nachricht unter die Mannschaft zu bringen, daß sie einen Landhai – wie die Matrosen stets die Advokaten nennen – gefangen hätten, was er als ein günstiges Zeichen für ihre Jagd nahm. Indessen aber kam der erste Harpunier mit einem der Bootssteurer herab und sagte, vor George stehen bleibend:

»Höre, mein Bursche, der Böttcher hat mir eben erzählt, daß du gar kein Seemann und wahrscheinlich aus Versehen hier an Bord gekommen bist – du bist aber einmal an Bord, wie die Sachen stehen, und da wir notwendig Leute brauchen, läßt dich der Alte auch nicht wieder fort – was jetzt nicht einmal anginge, wenn er selber wollte. Sei also vernünftig, oder wir müssen dich vernünftig machen, und das ist für beide Teile unangenehm. Ich will dir jetzt die Eisen abnehmen und du magst ruhig an deine Arbeit gehen; – machst du aber wieder Dummheiten, so hast du dir die Folgen selber zuzuschreiben. Möchtet Ihr ihm nicht vorher einmal die Taschen visitieren, Bill, ob er Waffen bei sich trägt?«

»Wir haben das schon gestern getan,« sagte der Bootssteurer – »er hat gar nichts darin.«

»Und wie der Mensch aussieht! – wo hat er denn seine Sachen? Wie heißt du, mein Mann?«

»George Halay,« sagte George düster.

»Das George genügt zu einem Handgriff,« lachte der Harpunier, »denn Mr. Halay wirst du hier an Bord nicht genannt – hast du deine Kiste mit an Bord?«

»Ich habe gar nichts,« lautete die Antwort – »Geld hatte ich bei mir, aber ich weiß nicht einmal, ob sie mir selbst das gelassen haben.«

»Geld? – wieviel?«

»Etwa fünfzig Dollar.«

»Fünfzig Dollar?« rief der Harpunier erstaunt aus – »dann bist du auch wahrhaftig kein Seemann, denn mit so viel Geld geht kein Matrose wieder in See – aber macht ihm die Eisen los, Bill, und sorgt dann dafür, daß er sich wäscht und frische Kleider und Hemden bekommt. Ich will's dem Kapitän sagen, daß er sie herausgibt, und holt sie nachher bei dem ab. Hat er so viel Geld, so kann er sie gleich bezahlen, oder sie werden ihm auch später abgeschrieben. – So wie er da ist, können wir ihn gar nicht ins Logis»Logis« wird der Aufenthalt der Matrosen im sogenannten Forecastle genannt. hinunterlassen.«

Der Bootssteurer hatte ihm schon die Eisen abgenommen und George vermochte anfangs kaum seine Arme zu bewegen; – jetzt war sein erster Griff nach der Tasche, in der er das Geld gehabt – fort – auch ebenso seine Uhr, und ohne Hilfe und Mittel war er in die Welt hinausgeworfen.

Der Harpunier lachte. »Hast du wirklich geglaubt, du hättest es noch, wo dich ein Schlafbaas betrunken an Bord gebracht? – es ist nicht gut denkbar und kommt auch wohl nicht vor. Aber nun wasch dich vor allen Dingen und mach dich sauber, und dann wasch auch deine Kleider aus und hänge sie auf – Bill hier wird dir das andere Zeug bringen. Bis du deine Sachen wieder sauber hast, sollst du von jeder anderen Arbeit befreit sein, denn so können wir dich nicht gebrauchen – kannst du rudern?«

»Das kann ich allerdings,« sagte George düster. »Ich habe selber ein Boot in der Bai zu Wett- und Segelfahrten.«

»Oho, desto besser, so bist du doch zu was gut, und das andere wollen wir dir dann schon beibringen.«

»Und welches ist der erste Hafen, an dem wir landen?« fragte George.

»Ja, du lieber Gott,« lachte der Harpunier – »das kann noch lange dauern – wahrscheinlich auf irgend einer Insel in der Südsee.«

»Aber es wird doch vorher eine Möglichkeit vorhanden sein, um wenigstens einen Brief an Land oder auf ein fremdes Schiff zu bringen?«

Der Harpunier zuckte mit den Achseln. »Wer kann's sagen – möglich ist's schon – aber nicht wahrscheinlich – es müßte denn sein, daß wir die Falklands-Inseln anliefen – und was hülfe dir das? gar nichts. Wenn du meinem Rate folgst, Kamerad, – und du kannst dich darauf verlassen, daß ich Bescheid weiß, denn ich treibe mich seit 36 Jahren auf See herum, – so nimmst du die Sache wie ein Mann – ›You are in for it‹, wie wir sagen – du sitzest einmal drin, und willst du nur ein leidliches Leben mit der übrigen Mannschaft führen, so laß sie nicht merken, daß du – wenn du vielleicht früher was Besseres gewohnt warst – dich in ihrer Gesellschaft nicht behaglich fühlst. Du könntest dich sonst auf ein Hundeleben gefaßt machen. Und jetzt wasch und reinige dich – du siehst aus, daß man dich nicht mit einem Blubberhaken anfassen möchte.«

Damit überließ er den Unglücklichen sich selber, und noch einmal stiegen die Bilder der Heimat vor ihm auf. – »Dort in Neuyork jetzt – sein Hochzeitstag – alle Gäste geladen und seine Eltern in Sorge, sein Lieb in Tränen und Verzweiflung, und hier? –« Er barg das Antlitz erschüttert in den Händen, aber – ein Gefühl in seinem Innern sagte ihm auch dabei, daß er sich dem nicht länger hingeben dürfe. Der Harpunier hatte recht: er mußte sein Schicksal wie ein Mann ertragen – so lange wenigstens, als er eine Änderung unmöglich sah. Trat das ein, gut, dann konnte er handeln, aber jetzt hätte er mit törichten Klagen seine Lage nur verschlimmert, und – er fühlte die Kraft in sich, auch dem Furchtbarsten trotzig die Stirn zu bieten.

Ohne auch nur einen Moment länger in nutzloser Schwachheit zu verbrüten, stieg er an Deck hinauf und fand jetzt, wie er nun in das Sonnenlicht hinein kam, daß er entsetzlich zugerichtet sein mußte. Nur was er selber von sich sehen konnte, ekelte ihn an, und er verdachte es den Leuten nicht, daß sie ihm scheu und ohne Gruß, ja mit offenbarem Ekel auswichen. Freilich stand er zugleich auch ziemlich ratlos da und wußte nicht gleich, wohin er sich wenden sollte; der Böttcher aber nahm sich hier seiner an, holte ihm einen Eimer voll Seewasser herauf und gab ihm ein Stück sogenannte »Seeseife«, die das Salzwasser annimmt, denn mit frischem Wasser wurde natürlich auf einem Schiff, das eine so lange Reise vor sich hatte, außerordentlich gespart und kein Tropfen durfte davon durch Waschen vergeudet werden.

Der Bootsteurer Bill brachte ihm außerdem frische Kleider und Wäsche, denn die Kapitäne der Walfischfänger nehmen von diesen einen großen Vorrat auf See mit und verkaufen ihn dann unterwegs zu bestimmten Preisen, die aber für sie auch einen bedeutenden Nutzen abwerfen, an die Matrosen. Nach Beendigung der Fahrt wird ihnen der Betrag der erhaltenen Waren dann von ihrem Anteil an dem gewonnenen Öl abgezogen, und es geschieht dabei gar nicht etwa so selten, daß die armen Teufel nach einer sehr langen Reise ebensoviel dem Kapitän für bezogene Kleider und Schuhe schuldig sind, als sie von dem Schiff für ihren Anteil gut, also die ganze Reise umsonst gemacht haben.

Auch Zeit ließ man ihm, seine alten Kleider und seine Wäsche zu reinigen, wobei er sich freilich anfangs noch ein wenig ungeschickt anstellte. Ein Glück für ihn nur, daß er seine Seekrankheit mit dem ersten Anfall überwunden hatte, sein Los wäre sonst ein noch viel elenderes gewesen, denn Rücksicht wird darin an Bord auf einen neuen Matrosen nie genommen.

George hatte, als er das Deck betrat, einen Blick über den Horizont geworfen, und der genügte vollkommen, um ihm zu zeigen, daß jeder Widerstand doch unnütz und vergeblich gewesen wäre. Überall lag unbegrenzt das weite Meer – kein Land, kein Segel mehr in Sicht, und wenn der Wind auch nicht mehr so heftig blies, so wehte doch noch eine ganz frische Brise und mit voll ausgeblähter Leinwand verfolgte das Fahrzeug seine Bahn.

Nun hatte der Böttcher allerdings das Geheimnis, daß George ein Advokat sei, nicht bei sich behalten können und der übrigen Mannschaft mitgeteilt. Die Leute selber aber, von denen manche schon vielleicht in ähnlicher Weise auf ein Schiff gebracht waren, fühlten doch auch wieder ein gewisses Mitleiden mit jemandem, der so plötzlich und wider seinen Willen auf See geworfen worden. Schon das genügte, wenn sie auch die näheren Umstände dabei nicht einmal kannten, und man ließ ihn deshalb ziemlich still gewähren. Ja man glaubte nicht einmal recht des Böttchers Bericht, denn es schien zu unwahrscheinlich, daß sich ein richtiger »Advokat« habe in einer solchen plumpen Falle fangen lassen.

George übrigens war klug genug, sich in die Umstände zu fügen. Der erste lähmende Schreck, der erste Ausbruch der Verzweiflung war überwunden, und wie er sich stets energisch von Charakter gezeigt, beschloß er auch jetzt die Zähne aufeinander zu beißen und seine Zeit abzuwarten. Für den Augenblick konnte weder er sich helfen, noch ihm ein anderer Mensch; kam aber der günstige Moment, dann wollte er ihn auch benützen und sich entweder in Gutem oder mit Gewalt aus dieser furchtbaren Lage befreien. Es war ja auch nicht denkbar, daß die Gelegenheit so lange auf sich warten ließe.

Und Jenny? – Es schnürte ihm das Herz zusammen, wenn er sich dachte, wie sie sich um ihn sorgen, um ihn grämen und lange Wochen vielleicht auf ihn harren würde. – Und was mußte sie von ihm denken, daß er sie so plötzlich, so geheimnisvoll verlassen – seine arme, arme Jenny! Aber er trug selber die Schuld; weshalb hatte er auf eine Mädchenlaune, eine kleine unschuldige Koketterie mit dem Bräutigam ein solches Gewicht gelegt – war es nicht selber von ihm, dem Mann, der vernünftiger hätte sein sollen, kindisch gewesen? – Und so furchtbar – so unerhört sollte er dafür gestraft werden!

Man ließ ihm übrigens nicht lange Zeit, sich seinen trüben Gedanken hinzugeben.

»George – komm her, mein Bursch, und dreh mir einmal den Schleifstein,« rief ihn der zweite Bootssteurer an, der ein paar alte verrostete Harpunen wieder in stand zu setzen hatte – »na? flink ein bißchen, mein Bursch, das ist doch wenigstens eine Arbeit, die du leicht lernen kannst, und das macht dir die Glieder wieder gelenk.«

Stundenlang stand er – der einzige Sohn des reichen Halay – jetzt an dem schweren Stein und drehte, bis er kaum noch seine Arme regen konnte – dann mußte er lernen Schiemans-Garn drehen, dann Holz und Kohlen für den Koch heraufholen, dann an die Pumpe mit den übrigen, dann helfen die Pardunen straffer anziehen und teeren, und manchen Fluch dabei von den Kameraden hören, wenn ihm der einfachste Knoten ein Geheimnis war. Wie oft warf er dabei den Blick sehnsuchtsvoll über Bord, und als der Abend kam – als er dachte, was ihn heute, um diese Zeit, den vor Tausenden Beglückten erwartet hatte, da war es, als ob ihm das Herz zerspringen müsse vor bitterem Weh, und wie man ihm endlich anzeigte, daß er seine Wacht zur Koje habe und ausruhen dürfe, da warf er sich auf sein enges, dumpfiges Lager, und das Antlitz in seinem Tuch bergend, schluchzte er still und heimlich seinen Schmerz aus.

Wilde Gedanken durchzuckten ihm dabei das Hirn – Gedanken an Selbstmord und Tod. – Wie konnte er leben – leben getrennt von der, an der seine ganze Seele, an der jede Faser seines Herzens hing – aber die Hoffnung! Ohne die Hoffnung würde die Hälfte der Menschheit zu Selbstmördern werden, und die allein hielt ihn aufrecht. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer – wie leicht konnten sie ein anderes Schiff unterwegs treffen, das der Heimat entgegensegelte, oder sie berührten wieder Land, oder kamen auch nur in die Nähe desselben – oder er bekam Gelegenheit, mit einem der Boote zu entfliehen – tausend wirre, oft unmögliche Ideen jagten einander, bis er endlich in einen unruhigen, von wilden Träumen gestörten Schlaf fiel. – Das war seine Hochzeitsnacht: armer George!

 


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