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Herr Hobelmann.


I

»Bitte, Herr Conducteur, ein Coupé, wo nicht geraucht wird!«

»Nicht geraucht? – ja wohl – wohin?«

»Yvenburg!«

Der Conducteur öffnete eins der nächsten Coupés des dicht mit, von der Leipziger Messe kommenden, Fremden besetzten Zuges, und der junge Mann, der sich ein Nicht-Rauchcoupé erbeten hatte, lächelte still vor sich hin, als er nur noch einen einzigen Passagier in dem innern Raum entdeckte. Die in der Mitte befestigte Lampe verbreitete allerdings blos einen düstern Schein im Wagen, so daß sich sein Gesicht nicht deutlich erkennen ließ; das ist aber unterwegs auch nicht nöthig, denn es kommt bei unserer jetzigen Eisenbahnfahrt in der That wenig darauf an, mit wem man die kurze Zeit der Reise beisammen ist. Lernt man sich doch selten oder nie näher kennen, als eben nöthig bleibt »Guten Morgen« zu sagen.

Der junge Fremde schien übrigens kein Neuling unterwegs. In kurzer Zeit hatte er sein weniges Gepäck zweckmäßig untergebracht und einen buntfarbigen wollenen Ueberwurf, der ein ausländisches Gepräge trug, zusammenrollend und unter den rechten Ellbogen schiebend, lehnte er sich behaglich in seine Ecke zurück und sah still und schweigend vor sich nieder, bis der Conducteur die Billete coupirt und den Wagen wieder geschlossen hatte. Dann aber sich zu seinem eben so schweigsamen Reisegefährten wendend, sagte er:

»Wir sitzen hier in einem Coupé, wo nicht geraucht wird, nicht wahr?«

»Allerdings!« lautete die lakonische Antwort.

»Aber es ist Ihnen doch vielleicht einerlei, wenn ich mir eine Cigarre anzünde?« fuhr der Fremde fort.

»Einerlei? nein,« erwiderte der Mitbesitzer des Nicht-Rauchcoupés – »einerlei ist es mir gar nicht, denn wenn Sie rauchen, rauch' ich mit.«

»Das soll ein Wort sein!« lachte der junge Fremde, indem er aus der Brusttasche eine äußerst fein aus Stroh geflochtene Cigarrentasche nahm und seinem Nachbar hinüberreichte – »bitte, versuchen Sie einmal meine Havanas. Daß sie ächt sind, garantire ich Ihnen.«

»Man kann es in den anderen Coupés gar nicht aushalten,« sagte der Erste, indem er mit dankender Verbeugung eine Cigarre nahm – »sie sind gedrängt voll von polnischen Juden.«

»Aus dem nämlichen Grunde habe ich mir ein Nicht-Rauchcoupé erbeten. Wenn wir nur keine Dame hereinbekommen!« sagte der zuletzt Eingetroffene.

»Das ist in der Nacht kaum zu fürchten; es gehen zu viel Züge bei Tage, und nach der Messe reisen Damen gewiß nicht in der Nacht, wenn sie nicht nothgedrungen müssen. – Die Cigarre ist übrigens vortrefflich.«

»Schmeckt sie Ihnen?«

»Ausgezeichnet – ich habe noch keine bessere geraucht.«

»Sie wohnen in Yvenburg?«

»Ich gedenke dort zu wohnen. Ich komme von Würzburg, wo ich eine Zeit lang prakticirt, und will mich jetzt in Yvenburg als Arzt niederlassen.«

»Als Arzt? – vortrefflich. Da wünsche ich Ihnen oder vielmehr Ihren Patienten Glück.«

»Wir können es zu beiden Theilen gebrauchen,« lachte Jener, und die beiden jungen Leute lehnten sich schweigend in ihre Ecken zurück, um von jetzt an ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. An den verschiedenen Stationen, an denen angehalten wurde, ließ man sie auch ungestört. Unterwegs stiegen nur noch wenig Passagiere ein, und die wenigen wünschten auf der Fahrt Alle ihre Cigarre zu rauchen, belästigten sie also nicht.

Der Tag dämmerte gerade, als sie sich dem Ziel ihrer Fahrt näherten.

»Haben Sie schon ein Logis, Herr Doctor?« frug der Fremde, während er sein Reisegepäck zusammenlegte, um es beim Aussteigen gleich bei der Hand zu haben.

»Ich? – ja. Ein Privatlogis, das ich beziehen werde. Und Sie?«

»Ich will einen Onkel von mir überraschen, den ich seit neun Jahren nicht gesehen habe. Ich komme allerdings noch ein wenig früh, und der alte Herr wird im ersten Augenblick von der Störung nicht angenehm überrascht sein. Aber das schadet nichts; die Freude ist nachher desto größer.«

»Sie waren längere Jahre verreist, wie mir scheint.«

»Ich komme direct aus Havana.«

»Daher also die vortrefflichen Cigarren.«

»Von denen ich Sie bitte, sich noch eine anzuzünden.«

»Aber ich beraube Sie.«

»Nicht im Mindesten – ah, da sind wir!«

Der Zug hielt; die beiden jungen Leute stiegen aus, grüßten einander, und der Havanese fuhr gleich darauf in einer Droschke über die Brücke in die Stadt hinein, während ihm der neue Doctor langsamer und seinen Umständen mehr entsprechend zu Fuß folgte.

Die Maschine schnaufte und pustete und blies den weißen Qualm aus, wie erhitzt vom raschen Lauf und frische Kräfte jetzt zum neuen sammelnd. Während sich dann die lebendige Menschenlast, die sie eben erst hergeschafft, nach allen Richtungen hin zerstreute, drehte es sich um, das kochende, glühende Ungeheuer, faßte mit den eisernen Zangen den nächsten schwerbeladenen Zug und schnaubte keuchend wieder hinaus, scheinbar mitten in's blanke Feld hinein, anderen Städten, anderen Ländern zu – rastlos, ruhelos mit der unermüdlichen eisernen Brust.


II.

Es war noch früh, denn bei den schon wieder ziemlich kurzen Tagen fanden sich die Stadtbewohner Morgens nicht so rasch aus ihren Betten. Nur die Mädchen gingen nach Brod oder Milch, um das Frühstück für die Herrschaft herbeizuschaffen, und hier und da rasselte ein mit ausgeschlachtetem Fleisch behangener Wagen die Straße herauf, seine Ladung den nächsten Hallen zuzuführen. Unser junger Fremder wußte aber doch, trotz seiner langen Abwesenheit von dem Vaterland, ziemlich Bescheid in der innern Stadt – wenn er sich auch in den Vorstädten schwieriger zurecht gefunden hätte. Er bezeichnete wenigstens dem Droschkenkutscher genau die Straße und das Hotel, in das er wollte, ließ dort sein Gepäck abladen und schritt dann selber, ohne weitere Erkundigungen einzuziehen, quer über den nächsten Platz hinüber, eine Strecke an der Häuserreihe hin und dann in ein Eckhaus hinein, in dem er in flüchtigen Sätzen die Stufen hinauf bis in die erste Etage sprang.

Die Vorsaalthür dort war aber versperrt, und unschlüssig blieb er davor stehen, denn er scheute sich jedenfalls, zu klingeln. Da hörte er drinnen Schritte, irgend Jemand legte die kleine Kette zurück, die den Eingang sicherte, und gleich darauf öffnete sich die Thür selber, aus der ein Dienstmädchen, den Frühstückskorb am Arm, gerade heraustreten wollte.

»Guten Morgen, mein schönes Kind!« sagte der junge Mann.

»Herr Jesus, haben Sie mich erschreckt!« fuhr das Mädchen zurück und schien nicht übel Lust zu haben, ihren Weg ganz aufzugeben. Damit war aber dem Fremden nicht gedient, und ihren Arm ergreifend, sagte er lachend:

»Fürchten Sie sich nicht; ich thue Ihnen nichts – ich will nur zum alten Herrn. Schläft er noch?«

»Der alte Herr – ei gewiß!« erwiderte das Mädchen, das jetzt schon selber überzeugt war, daß ihr von dem gar stattlich aussehenden fremden Herrn keine Gefahr drohe – »es ist ja knapp sechs Uhr.«

»Und wann steht er auf?«

»Ja, das soll ich wissen! Um acht Uhr hat er das Frühstück bestellt.«

»Acht Uhr, so lange kann ich nicht warten. Ich werde ihn wecken.«

»Das geht nicht – das hat er streng verboten.«

»Nur nicht ängstlich,« lachte der Fremde – »ich nehm's auf mich. Es ist mein Onkel.«

»Ihr Herr Onkel – ja wenn's das ist. Na warten Sie, ich will Ihnen nur den Weg zeigen.«

»Danke bestens – den kenn' ich schon selber,« bemerkte der Fremde.

»Den Weg kennen Sie,« sagte das Mädchen erstaunt; ehe sie ihn aber daran verhindern konnte, war er, in dem behaglichen Gefühl, seine Ueberraschung völlig geglückt zu sehen, an ihr vorübergesprungen und verschwand gleich darauf in der nächsten Thür, die, wie er sich noch recht gut aus alter Zeit erinnerte, in das Schlafzimmer seines Onkels führte.

Die Thür öffnete er aber nur ganz leise und schaute erst vorsichtig hinein. Dort stand das Bett noch auf der nämlichen Stelle, wo es vor zehn Jahren gestanden hatte, als er von seinem damals kranken Oheim Abschied nahm. Der alte Herr ging nicht gern von seiner gewohnten Lebensweise ab – und jetzt – was er für ein Gesicht machen würde, wenn er in dem unwillkommenen Störenfried seinen leiblichen, tausend Meilen von da entfernt geglaubten Neffen erkannte.

Und wie hatte sich der junge Mann auf das Wiedersehen gefreut! Du lieber Gott, wenn wir uns weit entfernt von der Heimath unter kaltherzigen, gleichgültigen, fremden Menschen so lange, lange Jahre umhergetrieben haben, was war da unser einziger Trost, der einzige Lichtblick unseres oft so trüben Lebens, als der Gedanke gerade an solch ein Wiedersehen? Wie unzählige Male haben wir uns da den ersten Anblick der heimischen Küste, das erste Betreten vaterländischen Bodens ausgemalt; sind im Geist wieder und wieder durch die lieben alten, uns ach! so wohl bekannten Straßen geschritten – haben an die Thür geklopft und gehorcht, und endlich fest und innig die theuren Gestalten an unser Herz geschlossen, nach denen sich das wunderliche Ding so heiß und lange vergebens gesehnt. – Und immer, immer war das nur ein Traum; immer wieder mußten wir allein und freundlos draußen erwachen, bis der scharfe Kiel sich endlich der geliebten Küste entgegenwendet und die vollgeblähten Segel uns ihr näher und näher bringen. – Und jetzt haben wir sie erreicht – jetzt springen wir an's Land und fühlen vor Lust und Seligkeit den Boden kaum unter den Füßen, und jetzt – aber das kann nicht beschrieben, das muß erlebt, wirklich erlebt werden, um eine Idee zu haben von dem wonnigen Gefühl, das in diesem Augenblick all' unsere Nerven durchzuckt. Wie läßt sich etwas mit Worten schildern, das selbst der Augenzeuge nicht verstehen würde, wenn er's nicht selber schon einmal mit durchgemacht.

Unser junger Freund aber verstand es zu würdigen und geizte mit diesen kostbaren Minuten, die er Jahre lang ersehnt hatte. Lange stand er deshalb und schaute nach dem Bett seines Onkels hinüber, hinter besten Vorhängen der alte Herr laut und regelmäßig athmete, ahnungslos, welche liebe Unterbrechung seinem Schlaf bevorstand. Endlich schlich er auf den Zehen näher – leise und vorsichtig, bis dicht zum Bett, dessen Gardinen er öffnete. – Aber die dunkeln, noch niedergelassenen Rouleaux schlossen das Licht aus; er konnte die Züge des Schlafenden nicht erkennen, und wie jetzt das Mädchen draußen, das indessen neugierig geworden war, der Wiedererkennungsscene beizuwohnen, leise den Kopf zu Thür hereinsteckte, flüsterte er:

»Onkel!«

Der Alte antwortete nicht; er schlief zu fest, um durch solchen sanften Anruf irgendwie gestört zu werden.

»Onkel!« – rief er lauter.

Noch immer kein Erfolg.

»Onkel – lieber, bester Onkel!« wiederholte der junge Fremde und schüttelte diesmal, um seinen Worten Nachdruck zu geben, die Schulter des Schlafenden.

»Ha! – ja! – wer ist da?« rief da der Schlafende, erschreckt und erst halb wach in seinem Bett emporfahrend.

»Onkel!«

»Zum Teufel auch! Herr, was wollen Sie? – wer sind Sie? – Diebe!«

»Aber lieber, guter Onkel!«

»Der Henker ist Ihr Onkel, zu dem gehen Sie, heh! Hülfe! Hülfe!« schrie der alte Herr und griff dabei unwillkürlich nach seiner Uhr und seinem Portemonnaie, die neben seinem Bett auf dem Waschtisch lagen.

»Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel,« sagte jetzt auch das Mädchen, das bestürzt in das Zimmer trat, »was soll denn das eigentlich heißen?«

»Aber lieber, herzigster Onkel,« beharrte der junge Fremde, »so wachen Sie doch nur ordentlich auf. Ich bin es ja, – Ihr Neffe Franz, der eben geraden Wegs aus Amerika zurückkommt.«

»Und was geht das mich an?« polterte der alte Herr zurück, jetzt in etwas beruhigt, da er Uhr und Geldtasche gerettet in Händen hielt und noch eine dritte Person im Zimmer wußte. »Was wollen Sie von mir? Wie kommen Sie überhaupt mitten in der Nacht hierher, und wer hat Sie eingelassen?«

»Ja, bester Herr Hobelmann,« mischte sich jetzt das Mädchen in die Unterhaltung – »der fremde Herr sagte, Sie wären sein Onkel, und da dachte ich –«

» Hobelmann?« rief aber Franz, erschreckt aufhorchend, »Hobelmann? – ja alle Wetter, wohnt denn hier nicht der Regierungsrath Kettenbrock

»Kettenbrock? – weiß ich nicht – geht mich auch nichts an,« knurrte der Alte, der nun wohl sah, daß die ganze Sache auf einen gefahrlosen Irrthum hinauslaufe. »Warum um's Himmels willen erkundigen Sie sich denn nicht erst, wenn Sie bei nachtschlafender Zeit einem fremden Menschen wie eine Bombe in's Zimmer fallen?«

»Ja, da bitte ich tausendmal um Entschuldigung,« versetzte der junge Mann kleinlaut und selbst etwas erschreckt. Denn plötzlich schoß ihm der Gedanke durch's Hirn, daß sein lieber alter Onkel am Ende gar gestorben sein könne und nun fremde Menschen das Haus inne hätten, in dem er seine Jugendzeit verlebt. »Aber Sie können mir dann wohl sagen –« rief er jetzt aus.

» Gar nichts kann ich Ihnen sagen,« unterbrach ihn jedoch ungeduldig und barsch der Alte – »lassen Sie mich zufrieden. Ich will schlafen. Zum Henker auch, gehen Sie zum Nachtwächter und erkundigen Sie sich dort nach dem, was Sie erfahren wollen.«

Und damit auf das Entschiedenste dem Fremden den Rücken kehrend, schob Herr Hobelmann vorsichtiger Weise Uhr und Geldtasche unter sein Kopfkissen, und schnitt so jeder noch möglichen Unterhaltung den Faden ab. Aus dem Alten war nichts herauszubringen, das sah der junge Mann wohl ein, und kopfschüttelnd wandte er sich mit einem trockenen »Guten Morgen«, der aber nicht einmal erwidert wurde, der Thür zu, an der ihn das Mädchen schon erwartete.

»Nun ja, jetzt werd' ich's kriegen, wenn der alte Brummbär nachher wieder aufwacht,« sagte diese, indem sie dem Eindringling die Vorsaalthür öffnete. »Wer stürmt denn aber auch den Leuten so mir nichts dir nichts in's Zimmer und an's Bett, ohne auch nur erst einmal zu fragen, wer da wohnt?«

»Sagen Sie mir nur um Gottes willen, liebes Kind,« bat sie aber der junge Fremde, »was mit dem Regierungsrath Kettenbrock vorgefallen ist, daß er dies Haus, in dem er so lange Jahre gelebt, verlassen hat?

»Vorgefallen? ich dächte gar!« versetzte das Mädchen – »nichts ist vorgefallen; er ist frisch und gesund und befindet sich wohl, das weiß ich gewiß, weil meine Schwester dort dient. Dies Haus hat er nur vor etwa acht Wochen verkauft, weil sich ihm rechts neben dem Garten ein Kupferschmied und links ein Blechschmied hingesetzt hatten und er das Geklopfe nicht mehr aushalten konnte. Er wohnt jetzt am Obstmarkt Nummer 47.«

»Gott sei Dank, da ist mir ein Stein vom Herzen!« – sagte der junge Fremde, mit einem aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer.

»Ja, Sie haben gut reden,« schmollte das Mädchen, »aber ich bekomme nachher das Aufgebot, wenn der alte Brummbär aufsteht.«

»Da, nehmen Sie das indessen darauf,« lachte der Fremde, indem er ihr ein Geldstück in die Hand drückte.

»Danke schön,« sagte das Mädchen, mit einem eben so zufriedenen als erstaunten Blick über solche Freigebigkeit nach dem blanken Thaler niederschielend – »jetzt mag er schimpfen, so lange er Lust hat.«

»Und wer ist der alte Brummbär da drinnen eigentlich?«

»Was weiß ich?« plauderte das Mädchen, die kleine Stumpfnase rümpfend, denn sie hatte jetzt entschieden Partei für den jungen, freigebigen Fremden genommen. »Unsere Herrschaft hat das Haus gekauft, und er ist, glaub' ich, der Advocat, den sie daheim in Schlesien hatten, und der ihnen hier Auskunft wegen einer Klage oder sonst 'was geben soll. Gestern Abend mit dem Nachtzug kam er erst an, und ich weiß nur, daß er Hobelmann heißt.«

»Schönen Dank, mein Kind, für die Auskunft. Also der Regierungsrath Kettenbrock wohnt jetzt am Obstmarkt?«

»Nummer 47 – Sie können gar nicht fehlen – eine Treppe hoch. Und Sie sind der Neffe vom Herrn Regierungsrath? Na, das wird eine Freude sein!«

»Hoffentlich größer, als sie mir Herr Hobelmann gezeigt hat,« bestätigte Franz Kettenbrock, nickte dem hübschen Mädchen zu und sprang die Treppe hinunter, um, jetzt auf einer sicherem Basis als vorher, seinen Verwandten aufzusuchen.


III.

Mit der Ueberraschung in seines Onkels Hause hatte sich aber der junge Havanese, wenn er fest darauf gerechnet, doch geirrt, denn der alte Herr befand sich keineswegs so unvorbereitet auf ihn, wie er vermuthete. Franz Kettenbrock's Geschäftsfreund in Hamburg nämlich, den er dort aufgesucht, war ein abgesagter Feind jeder Ueberraschung, da, nach einer mündlichen Ueberlieferung seiner Großmutter, vor uralten Zeiten in seiner eigenen Familie einmal eine solche Ueberraschung sehr böse und nachtheilige Folgen gehabt haben sollte. Sowie er deshalb erfuhr, daß der junge leichtsinnige Mensch seinem Onkel nur eben so in's Haus hineinfallen wollte, wodurch er das größte Unglück anrichten konnte, ging er, nach vergeblichen desfallsigen Vorstellungen, einfach auf das Telegraphenamt und setzte den alten Herrn Kettenbrock von der glücklichen Landung seines Neffen und der Stunde seines Eintreffens zu Yvenburg, mit beabsichtigter Ueberraschung, pflichtschuldigst in Kenntniß. Der Onkel war dadurch vollkommen im Stand, sich auf jede freudige Ueberraschung genügend vorzubereiten.

Allerdings blieb ihm keine lange Zeit zu großen Empfangsfeierlichkeiten; die waren aber auch nicht nöthig. Ein paar Kränze und Guirlanden bekam man früh genug, ehe der Zug eintraf, auf dem Markt, und der Onkel trieb an dem Morgen selber, was er eigentlich gar nicht nöthig gehabt hätte – seine beiden bei ihm lebenden Nichten aus den Federn. Sie sollten jedenfalls fertig angezogen sein und den Kaffee bereit halten, wenn »der Schlingel von Neffe« heimlich angeschlichen käme und wunder glaubte, wie gescheidt er es angefangen habe, seinen Onkel zu überlisten.

In dem einen Kranz, der gerade in der Mitte prangen sollte, war auch ein strohblumengeflochtenes. lesbares »Willkommen« angebracht, und die beiden jungen Mädchen freuten sich jetzt ganz besonders auf das erstaunte Gesicht, das der Vetter aus Havana machen würde, wenn er sich hier so verrathen sah. Es wäre ja auch jetzt fatal gewesen, wenn er sie Morgens ganz früh und noch im vollen Negligé überrumpelt hätte.

So schlug es sechs Uhr – der Zug war jedenfalls angekommen, und mit einer Droschke konnte der Vetter recht gut in zehn, höchstens fünfzehn Minuten vor ihrer Thür sein. – Es schlug aber ein Viertel – jetzt aus der nächsten, und dann auf allen anderen Uhren der Stadt, und er kam immer noch nicht. – Wenn er heute ganz ausgeblieben wäre – oder erst mit dem nächsten Zug um elf Uhr eintraf! Der alte Regierungsrath wurde förmlich nervös vor Spannung, denn er liebte den transatlantischen Neffen wie einen eigenen Sohn – trotz mancher tollen Streiche, die er schon verübt, – und die beiden jungen Mädchen horchten abwechselnd an der Vorsaalthür, ja Rieke, das Hausmädchen, war sogar unten auf die Treppe postirt worden, um von dort aus gleich zu melden, wenn sich der Erwartete etwa blicken lasse. –

Unser anderer junger Freund, der Arzt aus Würzburg, hatte indessen seinen Gepäckschein einem der numerirten Kofferträger übergeben und ging, mit seiner leichten Reisetasche in der Hand, langsam und seinen Gedanken nachhängend in die Stadt hinein. Vor allen Dingen mußte er das ihm schon ausgemachte Quartier aufsuchen und dann, wenn sein Koffer eintraf, sich für die nothwendigen und eben nicht angenehmen Visiten in die geeignete Verfassung setzen.

Haus und Straße wußte er allerdings, wo sein Logis bestellt worden: Obstmarkt Nr. 47, zweite Etage – auf dem Zettel war aber die 7 so undeutlich, daß es eben so gut eine 2 sein konnte. Uebrigens ließ sich das leicht ertragen; auch wußten seine neuen Wirthsleute, daß er heute Morgen eintraf, und erwarteten ihn gewiß.

Das neue, ungewohnte Leben der fremden Stadt interessirte ihn dabei, und er schritt langsam die vorher erfragte Straße nieder, bis er den sogenannten Obstmarkt erreichte, das bezeichnete Haus fand und, als er eintrat, auf dem ersten Treppenabsatz ein Mädchen stehen sah. Dieses wollte er nach den Bewohnern fragen, um sich zu überzeugen, ob er auch am rechten Ort wäre. Das Mädchen stand ihm aber keine Rede, denn kaum hatte sie ihn erblickt, als sie auch umdrehte und spornstreichs die Treppe hinauflief. Oben angelangt, war es ihm auch, als ob er sie die Worte rufen hörte: – »Eben kommt er – er ist schon im Hause«, und still vor sich hinlächelnd, sagte er:

»Da bin ich also doch an der rechten Stelle und meine Wirthsleute scheinen mich richtig erwartet zu haben. Jetzt freu' ich mich nur auf eine Tasse recht heißen Kaffees.«

Er stieg langsam die Treppe hinauf und sah sich gleich darauf den aufgehangenen Guirlanden und Kränzen mit dem eingeflochtenen »Willkommen« gegenüber. – Aber das war in der ersten Etage und galt ihm nicht. Nur einen Augenblick blieb er lächelnd stehen, denn es schien ihm fast, als ob er hinter der angelehnten Vorsaalthür ein leises Kichern und Flüstern hörte, dann aber wandte er sich wieder, um eine Etage höher zu steigen.

Da wurde plötzlich und rasch die Thür aufgerissen, die lachende Stimme eines alten Herrn rief:

»Haltet ihn – haltet ihn fest, den Ausreißer!« und ein paar junge allerliebste Mädchen sprangen aus der Thür gerade auf ihn zu, warfen ihm, ehe er vor Erstaunen wußte wie ihm geschah, eine lange grüne Guirlande über die Schultern und zogen den sich wenig oder gar nicht dagegen Sträubenden unter lautem Jubel in den Vorsaal hinein.

»Haben wir ihn?« schrie der alte Herr – »haben wir ihn erwischt, den Land- und Meerstreicher? Uns überraschen wollte er erst, und dann – wie er merkte, daß es mißglückt war, vorbeischleichen, als ob ihn die ganze Geschichte gar nichts anginge, heh? – Kam uns aber gerade recht, der Musjö; wie, Ihr Mädchen? – Junge – alter Seelensjunge, wie geht's?«

Und damit zog er den jungen Mann ohne Weiteres an seine Brust und küßte ihn ab nach Herzenslust.

»Aber, bester Herr!« stotterte dieser jetzt ernstlich verlegen. Ein Mißverständniß lag der ganzen Sache jedenfalls zu Grunde, und er wünschte das sobald als möglich aufzuklären.

»Was – Herr!« rief aber der Alte – »will sich wohl gar jetzt noch herauslügen? – Flausen! Flausen! Damit ist's nichts – und Ihr, Blitzmädel, steht jetzt da, als ob Ihr nicht Drei zählen könntet? Ist das ein Empfang für einen Vetter, auf den Ihr Euch so lange gefreut habt, heh? – und wollt Ihr ihm gleich um den Hals fallen und einen oder ein Dutzend derbe Küsse geben?«

»Willkommen, Franz!« rief da die Jüngste, die sich zuerst ein Herz faßte, sprang dem jungen Mann entgegen und drückte die rosigen Lippen fest auf seinen ihr sehr bereitwillig dargebotenen Mund. Und dann kam auch die zweite mit eben so süßem Willkommen, und der junge Arzt sagte lachend:

»Und wenn ich mir das auch wie ein Dieb in der Nacht stehle, mag da ein Anderer widerstehen und mir der herzliche Empfang in diesem Hause Glück bedeuten. Jetzt aber, mein bester –«

»Trinken wir vor allen Dingen Kaffee und rauchen wir eine vernünftige Cigarre oder Pfeife dazu,« unterbrach ihn wieder der Regierungsrath, der heute fest entschlossen schien, seinen vermeintlichen Neffen gar nicht zu Worte kommen zu lassen. »Allons, Mädels, voraus – hier, Rieke, nimm einmal die Tasche und den Shawl, und dann soll er erzählen – erzählen von heute Morgen bis spät in die Nacht hinein, bis wir Alles aus ihm heraushaben, was wir wissen wollen.« Dabei hatte er den jungen Mann unter den Arm gefaßt und zog ihn in das schon festlich mit Blumen geschmückte Zimmer.

»Wenn Sie mir aber nur vorher gestatten wollten, Ihnen mit wenigen Worten eine Erklärung zu geben,« machte noch einmal der also Gepreßte den Versuch, das Mißverständniß aufzuhellen.

»Keine Erklärung vor dem Kaffee,« parirte aber der hartnäckige Regierungsrath auch diesen letzten Angriff, und im nächsten Moment fand sich der Arzt dem alten Herrn gegenüber, an jeder Seite eine seiner reizenden, wenn auch aufgezwungenen Cousinen, vor der qualmenden, vortrefflich duftenden Kaffeekanne, vor allen Dingen die höchst wichtige Frage zu beantworten, ob er viel Sahne und wie viel Zucker er wünsche. – Da steckte das Dienstmädchen, die Rieke, den Kopf wieder in die Thür herein und meldete, daß draußen ein Fremder sei, ein junger Herr, der den Herrn Regierungsrath zu sprechen wünsche.

»Jetzt?« rief dieser – »geht nicht – soll wiederkommen. In einer Stunde, oder den Nachmittag, oder am liebsten morgen früh. Heute kann ich unmöglich.« Das Mädchen verschwand wieder, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück und richtete aus:

»Er kann nicht warten, sagt er, und müßte Sie gleich sprechen.«

»Er soll zum Teufel gehen!« fuhr der sonst so gutmüthige Regierungsrath jetzt gereizt und ärgerlich empor – »von »Müssen« kann gar keine Rede sein; ich muß gar nichts, und heute Morgen am allerwenigsten.«

»Das ist nun das zweite Mal heute Morgen,« sagte da eine lachende Stimme in der Thür »daß mich ein »möglicher« Onkel zum Teufel wünscht, und es müßte nur sein, daß ich wirklich zum zweiten Mal an den falschen gekommen wäre. Onkel Kettenbrock? –«

»Onkel?« sagte der alte Herr, überrascht von seinem Stuhl aufspringend und erst den Eindringling und dann seinen früher vermutheten Neffen ganz erstaunt betrachtend.

»Ja, mein lieber Herr,« sagte der Arzt, der bis über die Ohren roth geworden war, »wenn Sie mich nur einen Augenblick hätten zu Worte kommen lassen, so würden Sie schon lange erfahren haben, daß Sie sich in mir geirrt.«

»Ja, wer zum Wetter ist denn jetzt eigentlich der Neffe?« rief ganz verdutzt der Regierungsrath.

»Vielleicht entscheidet da der Name,« lachte der Letztgekommene, » ich heiße Franz Kettenbrock.«

»Franz Kettenbrock?«

»Und ich Karl Helmerdick,« sagte der Doctor.

»Mein Reisegefährte aus dem Nicht-Rauchcoupé.«

»Der allerdings bedauert,« sagte der junge Doctor, »einen so lieben Willkommen auf fremdem Revier und unverdienter Weise erhalten zu haben.«

Die Reihe zu erröthen war jetzt an den jungen Damen. Der Regierungsrath aber, mit dem richtigen Neffen vor sich, übersah in dem Augenblick alles Andere, und die Arme ausbreitend, rief er:

»Junge – bist Du es denn wirklich – freilich, das Gesicht giebt's ja – wo ich auch nur vorher die Augen gehabt habe! – Herzensjunge – und doch überrascht!«

»Lieber, bester Onkel!« rief Franz Kettenbrock, an seine Brust fliegend und den alten Mann fest an sein Herz drückend. Dann richtete er sich wieder auf. »Und das sind meine beiden Basen?« jubelte er, während ihm die hellen Thränen in den Augen standen. »Fränzchen – Adele – tausend noch einmal, was für große Mädchen sind die Knirpse geworden!« Im Nu hatte er sie beim Kopf und herzte sie nach der Art.

»Aber ist das auch gewiß der Rechte?« rief da Fränzchen, ihn noch mit schelmischem Lachen abwehrend, »nach den heutigen Erfahrungen –«

»Wie ich merke, hat mir mein Nachbar aus dem Nicht-Rauchcoupé schon das Beste oben abgeschöpft,« sprach Franz – »aber halt! laßt ihn nicht fort – wir sind noch nicht fertig mit einander.«

Der junge Arzt, der wohl fühlte, daß er hier eine eben nicht beneidenswerthe Rolle spielte, hatte sich in der That leise nach der Thür gedrückt, um mit der Freude des Wiedersehens seinen Rückweg zu decken. »Mein bester Herr Nachbar,« sagte er, »es thut mir allerdings leid, das Alles nur unter dem Namen eines Andern erhalten zu haben; aber ich bin wirklich unschuldig.«

»Den Herrn trifft keine Schuld,« nahm auch Fränzchen jetzt seine Partei. »Wir Beide haben ihn förmlich eingefangen, und Onkel hat ihn gar nicht zu Worte kommen lassen, denn wir waren fest überzeugt, daß er der Rechte sein mußte. Hat also hier Jemand um Entschuldigung zu bitten, so sind jedenfalls wir es, die wir Sie so hinterlistig auf der Treppe überfielen.«

»Na, auf die Art läßt er sich, glaub' ich, jeden Morgen überfallen,« lachte der junge Kettenbrock – »aber ohne Kaffee dürfen wir ihn keineswegs entlassen. Sie haben ihn einmal hereingeschafft, Onkel.«

Der Regierungsrath hatte indessen den jungen fremden Mann mit einem wohlwollend prüfenden Blick gemessen. Derselbe sah so anständig aus, und sein Gesicht hatte dabei etwas so Offenes, Ehrliches, daß er ihm überdies in der Freude des Augenblicks die Hand entgegenstreckte und ausrief: »Nun, Herr – wie war eigentlich Ihr Name?«

»Doctor Karl Helmerdick.«

»Also, Herr Doctor, wenn Sie auch nicht mein Neffe sind, hätten Sie es doch recht gut sein können, und da Sie unserthalben wahrscheinlich Ihr Frühstück versäumt haben, so machen Sie uns eine Freude, wenn Sie das unsrige mit uns theilen, um so mehr, da die beiden Herren auch schon bekannt mit einander sind –«

»Wir waren Coupé-Nachbarn,« sagte Franz Kettenbrock, »und ich hätte wahrlich nicht geargwohnt, daß mir mein Reisegefährte beinahe den Onkel abspenstig machen sollte. Das Komische bei der Sache ist jedoch, daß ich heute Morgen schon in Eurer alten Wohnung einem wildfremden Menschen in's Zimmer und an's Bett gefallen bin.«

»Im alten Logis?«

»Natürlich; ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie das Haus je verlassen würden.«

»Und der Fremde?« lachte der Onkel mit dem ganzen Gesicht.

»War wüthend, daß ich ihn im Schlafe störte und ihn im Dunkeln ganz zärtlich meinen lieben, besten Onkel nannte.«

»Das ist eine himmlische Verwechselung!« riefen die jungen Mädchen. »Wer die Scene mit hätte erleben können!«

»Als ob Ihr es mir hier um ein Haar besser gemacht hättet! Draußen steht »Willkommen« an der Thür, und drinnen bin ich eben so gut zum Teufel gewünscht worden, wie drüben bei dem alten Brummbär. Das war heute ein eigenthümlicher Empfang.«

Fränzchen lachte dennoch wie vorher. »Etwas Komischeres kann man sich kaum denken.«

»So? – nun wartet, ob ich nicht mit Euch quitt werde,« bemerkte Franz. »Für den Empfang muß ich meine Revanche haben.«

»Und auf welche Art, Herr Vetter?« fragte schelmisch Adele.

»Das weiß ich noch nicht,« rief der Havanese, »aber die Mittel werden sich finden lassen.«

»Dann will ich Dir gleich Gelegenheit dazu geben,« lächelte der Onkel. »Auf morgen Abend habe ich zur Feier Deiner Ankunft einen kleinen Ball arrangirt und alle Deine alten Schulkameraden dazu eingeladen, – da kannst Du die Mädchen gleich zur Strafe sitzen lassen.«

»Daß ich ein Narr wäre!« erwiderte Franz, – »aber aufrichtig gesagt, liegt mir an einem solchen Fest verwünscht wenig. Ich hatte mich darauf gefreut, daß wir gemüthlich zusammenbleiben sollten. Bei so viel fremden Menschen –«

»Dann mußt Du mir das Opfer bringen,« sagte der Onkel. »Uebrigens triffst Du ja auch fast nur Bekannte dort.«

»Ihnen zu Gefallen Alles, lieber Onkel,« rief Franz. »Darf ich aber dann wohl einmal die Liste der Eingeladenen sehen oder vielleicht noch eine oder die andere Einladung selber machen?«

»Du bist der König des Festes und hast das volle Recht, einzuführen, wen Du willst,« sagte der Onkel.

»Vortrefflich!« rief Franz. »Dann beginne ich gleich hier mit meinem Nachbar. Mein zeitweiliger Repräsentant will sich nämlich als Arzt in Yvenburg etabliren, und der kleine Ball dient ihm dann vielleicht zur Einführung in die Gesellschaft. Sie nehmen die Einladung doch an?«

»Wenn die Damen keinen Groll mehr auf mich haben,« sagte der junge Arzt mit einem bittenden Blick, vorzüglich auf Fränzchen.

»Herzlich willkommen sollen Sie uns sein!« rief der alte Herr, – »und wo ist Ihr Absteigequartier?«

»Wenn ich die Nummer recht gelesen habe, hier im Hause selbst,« lautete die Antwort, »vorausgesetzt, daß der Registrator Ehrlich sein Logis hier hat.«

»In der Etage über uns. Dann sind wir ja überdies Hausgenossen und müssen gute Nachbarschaft halten. Und nun, Kinder, werft Euch in Euren Staat, denn die Frau Muhmen werden im Handumdrehen da sein, um den neu eingetroffenen Vetter in Beschlag zu nehmen.«

»Die Frau Muhmen?« rief Franz erschreckt.

»Nun, die Commerzienräthin Brummer und die Steuerräthin Fischbach. – Ich will Dir nur wünschen, daß Du die beiden erst glücklich überstanden hast. Die Frau Commerzienräthin wird wohl gleich damit anfangen, Dir ihre Subscriptionsliste auf den neuen Missionsverein vorzulegen – eine Actiengesellschaft mit Anwartschaft auf den Himmel, zahlbar mit Actien zu zwei und ein halb und fünf Thaler, um schwarze oder chinesische oder birmanesische Seelen zu retten.«

»Gott steh uns bei!« rief Franz erschreckt; »dort mache ich keine Visite.«

»Das hast Du auch nicht nöthig,« lachte der Onkel, »die kommt zu Dir und bringt Dir eine permanente Einladung zu ihren Kaffeegesellschaften mit. Also, lieber Herr Doctor, morgen Abend sieben Uhr – pünktlich.«

»Ich weiß wahrlich nicht, womit ich diese Güte verdient habe.«

»Ein halber Verwandter sind Sie nun doch geworden,« sagte Franz, »und als Hausgenosse gehören Sie nach havanesischen Gesetzen ohnedies zur Familie. Sie wollen jetzt Ihr Quartier aufsuchen?«

»Meine neuen Wirthsleute werden mich wahrscheinlich schon längst erwarten,« lächelte der junge Mann, »wenn auch freilich nicht mit einem so lieben Willkommen. Also auf Wiedersehen, und nehmen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank dafür, daß Sie dem Fremden, der auf so wunderliche Art bei Ihnen eingeführt wurde, den Irrthum nicht haben entgelten lassen. Ich werde Ihnen Ihre Freundlichkeit nie vergessen.« Die Männer schüttelten sich die Hand, der falsche Vetter neigte sich ehrfurchtsvoll gegen die Damen, die ihn immer noch mit einem schüchternen Erröthen entließen, und der Regierungsrath führte dann den Neffen in das für ihn bestimmte Zimmer, damit er es sich dort erst bequem mache, während er dem Onkel in kurzen Umrissen erstlich von seiner Reise und dann von seinen jetzigen Plänen und Verhältnissen erzählen mußte.


IV.

Des Regierungsraths Warnung war indeß keineswegs übertrieben gewesen und der junge Havanese kaum im Stand, die an dem Tage auf ihn einstürmenden Besuche abzuwehren. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht seiner Rückkehr unter all' seinen früheren Bekannten verbreitet, und besonders der weibliche Theil derselben schien ganz über alle Maßen neugierig, den Mann zu sehen, der sich jetzt neun volle Jahre bei den »Cigarren-Indianern« herumgetrieben hatte. Einige derselben kamen auch wirklich in der felsenfesten Ueberzeugung, einen dunkelbraunen, über und über tätowirten, halbwilden Menschen zu finden, und sahen sich grausam enttäuscht, als sich der Havanese auch in gar nichts von den übrigen europäischen jungen Leuten seines Alters unterschied, als vielleicht in der um einen Schatten dunkleren Hautfarbe seines Gesichts. Von Tätowirung war keine Spur an ihm zu sehen. Franz Kettenbrock fühlte sich aber in diesem Treiben nicht behaglich und parirte auf das Geschickteste drei verschiedene Einladungen zu drei verschiedenen Kaffeegesellschaften – hatte er ja doch auch in den ersten Tagen die Ausrede, sich ganz seinem Onkel widmen zu wollen.

Auf den nächsten Tag fiel aber der Ball, und da seine Cousinen außerordentlich beschäftigt waren, die nöthigen Anordnungen dazu zu treffen, ja der Regierungsrath selber alle Hände voll zu thun hatte, und dabei so viel kochen und braten ließ, daß er mit seinem Neffen im Wirthshause essen mußte, so ging dieser den Nachmittag allen weiteren Begegnungen am besten dadurch aus dem Wege, daß er aus dem Thor dem nächsten Dorfe zuwanderte, um dort den Nachmittag Kaffee zu trinken und dann noch ein paar Stunden die benachbarte freundliche und heimische Gegend zu durchstreifen. Hochauf athmete er, als er, vom lichten warmen Sonnenschein beglänzt, die lieben Hügel und Thäler, den blitzenden Strom wieder erschaute, und an der nächsten Höhe angekommen, warf er sich in's Gras und blickte mit leuchtenden Augen auf das wunderliche Schauspiel, das sich vor ihm ausbreitete.

Wie hatte er sich auf diesen Augenblick gefreut! wie oft sich in Gedanken schon die bunten Matten, die dunkeln Wälder ausgemalt, die jetzt in Wirklichkeit wieder vor ihm lagen! Jedes Dorf kannte er auch noch beim Namen, und wußte wie er dort und da gespielt, an Sonn- und Feiertagen mit den Spielkameraden in die Berge gegangen war, und leider auch an dem und jenem Ort die Obstbäume sorgloser Nachbarn geplündert hatte. Oh welch' eine liebe Zeit war das gewesen, und auch wieder, welch' trübe schwere Jahre lagen dazwischen! Sein Vater war erst gestorben, dann seine Mutter, und wie ihm die Heimath mehr und mehr verödete, wenn auch der Onkel den Knaben wie sein eigen Kind erzog, wachte die Sehnsucht in ihm auf nach jenem fernen, geheimnißvollen Land: Amerika. Zum Kaufmann von Jugend auf erzogen, trat er dort mit seinem achtzehnten Jahre selbständig in ein Geschäft und vermehrte, mündig geworden, durch glückliche Speculationen sein Vermögen bald sehr bedeutend. Aber die Heimath konnte ihm das schöne fremde Land doch nicht ersetzen; hierher trieb es ihn mit unwiderstehlicher Kraft zurück, und wenn er auch gerade nicht die Absicht hatte, sein Leben in Deutschland zu beschließen, wollte er doch sein Vaterland wenigstens noch einmal wiedersehen – die Gräber seiner Eltern besuchen. Dies hatte er auch schon mit Tagesanbruch gethan, sich an dem theuren Platz recht herzlich ausgeweint und war dadurch recht weich, recht wehmüthig gestimmt worden.

Um so greller und unangenehmer berührte ihn dafür dies Drängen und Treiben der gesellschaftlichen Welt, die ihn aus den Armen seiner Familie heraus mit aller Gewalt in ihre Kreise ziehen wollte. Wie schal und nichtig kam ihm das Alles vor, und wie hatte er sich besonders über die Frau Steuerräthin geärgert, die seinethalben heute ein kleines Diner unter ganz intimen Freundinnen nur einfach zu dem Zweck arrangirt hatte, den »Havanesen« noch warm vom Schiffe fort an ihrem Tische zu sehen und sich seine Abenteuer aus erster Hand erzählen zu lassen. Vom Grabe der Eltern in die langweilige Gesellschaft – sein ganzes Herz empörte sich gegen den Gedanken, und wie er sich der Einladung selber geschickt zu entziehen gewußt hatte, so hätte er auch lieber dem Onkel den ganzen Ball heute noch ausgeredet, wenn es nur nicht zu spät dazu gewesen wäre.

Unter solchen Gefühlen schweifte sein Auge jetzt über die freundliche, sonnenbeschienene Landschaft hin, als seine Aufmerksamkeit auf seine unmittelbare Nähe, und zwar durch einen eigenen Zwischenfall geleitet wurde.

Etwa fünfzehn Schritt unterhalb von da, wo er auf dem Rasen lag, lief ein schmaler Fußpfad nach dem nächsten Dorf vorbei, und eine alte Frau, mit einem anscheinend schweren Korb auf dem Rücken, war dort in die Knie gesunken und konnte, ohne Hülfe, nicht wieder auf. Dicht hinter ihr her kam ein ältlicher, breitschultriger Herr, anständig angezogen und eine Brille tragend, denselben Pfad. Die alte Frau hatte die Schritte gehört, und den Kopf nach ihm umwendend, sagte sie:

»Ach, liebes Herrchen, wären Sie wohl so gütig, mir ein kleines Bischen heben zu helfen? Ich bin ausgerutscht und kann nicht wieder in die Höh' kommen; der Korb ist gar zu schwer.«

Der breitschultrige Herr war bei ihr stehen geblieben, aber – er hatte lichte Glacéhandschuhe über die dicken Finger gezogen und mochte sich die wahrscheinlich nicht schmutzig machen.

»Ladet nicht mehr auf, wie Ihr tragen könnt,« brummte er deshalb finster vor sich hin, rückte sich die Brille, bog eben genug aus, die Frau nicht zu berühren, und – ging vorbei.

»Ach Du mein liebes Herrgottchen,« klagte die arme Frau, »was giebt's doch für hartherzige Menschen in der Welt!« Sie brauchte jedoch nicht mehr zu sagen, denn Franz, über das Betragen des Burschen auf's Aeußerste entrüstet, war schon unten bei ihr, half ihr mit ihrem Korb wieder in die Höh' und sagte freundlich:

»Seid nicht böse, Mütterchen, unser Herrgott hat allerlei Kostgänger, und gute und böse, arme und reiche Menschen gemacht; von solchen, wie der da vorn, giebt's aber, dem Himmel sei Dank, nicht viel – Doch Ihr tragt schwer, habt Ihr noch weit damit zu gehen?«

»Nein, mein gutes Herrchen – nur bis zu den nächsten Häusern drüben. Sonst hab' ich schon mehr getragen – Wenn man aber erst einmal die Fünfundsechzig hinter sich hat, da wollen die Beine doch nicht mehr so recht fort. Aber, wie Gott will, und wenn's Zeit ist, wird er mich schon rufen.«

»Adieu, Alte,« sagte Franz und drückte ihr dabei etwas in die Hand.

»Oh Jemine!« rief die Alte erstaunt aus – »so viel Geld hab' ich ja wer weiß wie lange nicht beisammen gehabt. Ach, der Herrgott vergelt's tausend- und tausendmal, und lasse Sie –«

Franz hörte nicht die Hälfte von allen den Segenswünschen, die sie auf ihn herabflehte, denn er eilte, so rasch er konnte, dem Dorfe zu, wohin ihm schon der breitschultrige Herr vorangeschritten war. Diesen erreichte er auch gerade noch, als er eben rechts in eine Gartenpforte bog, und Franz sah kaum, daß dort aufgestellte Tische und Stühle einen Wirthshausgarten verkündeten, als er ohne Weiteres ihm zu folgen beschloß, um sich den hartherzigen Menschen wenigstens einmal in der Nähe zu betrachten. Gab es dann die Gelegenheit, so ließ sich ihm auch vielleicht sagen, was er von ihm und seinem Betragen hielt.

Der Breitschultrige hatte sich eine Portion Kaffee bestellt und setzte sich behaglich an einen kleinen runden Tisch, der einen weitästigen Birnbaum umschloß. Franz Kettenbrock ging an ihm vorüber und schleuderte ihm einen verächtlichen Blick zu; der dicke Herr bemerkte das aber gar nicht und sagte nur zu einem der eilfertig herbeispringenden Kellner:

»Habe schon bestellt.«

Franz Kettenbrock blieb überrascht stehen und sah sich nach dem Breitschultrigen um. Die Stimme mußte er jedenfalls schon gehört haben – und war denn das nicht – das Gesicht hatte er freilich gestern Morgen nicht erkennen können – aber war denn das nicht etwa sein falscher Onkel aus dem alten Logis? – Der breitschultrige Herr nahm noch immer keine Notiz von ihm; Franz aber, jetzt fest entschlossen, sich Gewißheit zu verschaffen, bestellte ebenfalls eine Portion Kaffee, zündete sich eine frische Cigarre an und setzte sich ohne weitere Umstände an den nämlichen Tisch, an dem Jener saß. Der Kaffee wurde gebracht; die Beiden schenkten sich schweigend ein und saßen eine ganze Weile einander gegenüber, ohne auch nur ein Wort mitsammen zu wechseln. Das hielt aber unser ungeduldiger Havanese nicht lange aus; ein Anknüpfungspunkt war auch bald gefunden; er ließ seine Cigarre ausgehen und bat seinen Nachbar um Feuer, und damit war ein Gespräch angeknüpft.

»Sehr schöne Gegend hier,« sagte der Breitschultrige.

»Sehr schön – Sie sind fremd hier?«

»Vorgestern Nacht angekommen.«

»Und wohnen vielleicht in einer nicht so hübschen Umgebung?

»In Schlesien,« lautete die Antwort, und Kettenbrock zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, daß er seinen »verkehrten Onkel« vor sich habe. Nur hinsichtlich des Namens mußte er sich noch Gewißheit verschaffen.

»Ja, dann glaub' ich, daß Ihnen die hiesige Gegend gefällt. – Sie sind Geschäftsmann, nicht wahr?«

»Advocat,« sagte der Fremde – »treibe aber auch allerdings ein kleines Geschäft dabei,« setzte er mit einem breiten, häßlichen Lächeln hinzu.

»Lieber Gott,« meinte Kettenbrock – »das Geschäft ist ja doch die allgemeine Axe, um die sich die ganze Welt dreht, und nur wer sich einen guten Platz daran zu sichern weiß, das heißt der, der richtig speculirt, darf hoffen, in der Welt zu reussiren.«

»Ganz meine Meinung,« nickte beifällig der Fremde, und über seine Züge stahl sich sogar bei der Bemerkung ein Schein von Wohlwollen.

»Ihre Geschäfte haben Sie also auch nach Yvenburg geführt, nicht wahr, mein Herr – wie war doch gleich Ihr werther Name?«

»Hobelmann.«

»Ach ja, Herr Hobelmann,« sagte jetzt Kettenbrock, vollkommen sicher.

»Geschäfte allerdings,« erwiderte der Breitschultrige – »ein Proceß wenigstens. – Was ist Ihr Geschäft, wenn man fragen darf?«

»Ich bin Arzt,« erwiderte auf gut Glück der junge Kettenbrock.

»Arzt? hm! – Gutes Geschäft hier?«

»Nur mittelmäßig – die Gegend ist unverschämt gesund.«

»Hm,« sagte Herr Hobelmann, »hätte ich Sie früher gekannt, hätten wir vielleicht ein Geschäft zusammen machen können. Jetzt ist es vorbei.«

»Wir Beide?«

»Ja. – In der Proceßsache, die ich hier für einen Clienten von mir führte – ich habe ihm eben die Schlußacten gebracht – handelte es sich darum, ein Gutachten von einem hiesigen Arzt über den Geisteszustand eines Dritten zu bekommen.«

»In der That?« sagte Franz, und ein eigener toller Gedanke fuhr ihm wie der Blitz durch die Seele – »da interessiren Sie sich auch vielleicht für Geisteskranke?«

»Ich? – Damals lebhaft. Ueberhaupt ist ein Mensch, der nicht vollkommen bei Verstand ist, immer ein interessanter Gegenstand, da man nie bestimmen kann, inwieweit er für seine Thaten zurechnungsfähig blieb.«

»Sie sind noch ganz fremd hier in der Stadt?«

»Vollkommen – kenne nur die Familie, bei der ich wohne. Warum?«

»Es war nur so ein Gedanke von mir,« sagte Kettenbrock. »Ich bin nämlich in einem hiesigen Institut für Geisteskranke angestellt, mit denen wir heut Abend einen eigenthümlichen Versuch machen wollen.«

»So? – Welchen, wenn man fragen darf?«

»Unser Obermedicinalrath hat einen Ball für die Verrückten arrangirt, auf dem sie sich vollkommen frei und unbelästigt bewegen sollen!«

»Die Tollen? – Alle Teufel, das muß sich merkwürdig ausnehmen. Aber es wäre wohl nicht möglich, Zutritt zu erlangen?«

»Nicht leicht – es ist verboten, Fremde dort hinzubringen.«

»Hm – das ist schade – sehr schade!« sagte Herr Hobelmann. »Aber – ließe sich das nicht vielleicht auf die eine oder die andere Weise machen? – Es sollte Ihr Nachtheil nicht sein.«

»Mit Geld, meinen Sie?« sagte Franz, durch diese Gemeinheit nur noch mehr in seinem Vorsätze bestärkt. »Nein, damit ist nichts anzufangen. Aber – der Oberarzt ist mein Onkel, und ich könnte vielleicht die Verantwortlichkeit auf mich nehmen, wenn Sie mir versprechen wollten, gegen keinen Menschen eine Silbe darüber zu äußern. Sie brächten mich in dem Falle in die größte Verlegenheit.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« rief Herr Hobelmann rasch und erfreut, »und würde Ihnen noch außerdem zu größtem Dank verpflichtet sein, Herr – wie ist gleich Ihr Name?«

»Franz – Doctor Franz.«

»Sehr schön, Herr Doctor. Sagen Sie mir übrigens – Gefahr ist doch nicht dabei?«

»Nicht die geringste,« beruhigte ihn Franz. »Die Leute stehen unter der unmittelbaren Aufsicht ihrer Wächter, die den Abend sämmtlich als Bediente oder Ballgäste verkleidet sind. Wir Aerzte verlassen sie außerdem keinen Augenblick, und falls ja bei Einem oder dem Andern die Tobsucht ausbrechen sollte, so ist kräftige Hülfe im Momente bei der Hand. Sie können sich wohl denken, daß jede nöthige Vorsichtsmaßregel für solchen Fall getroffen ist. Uebrigens sind wir auch der Leute ziemlich sicher, und nach unserer Methode hoffen wir eben von einem zeitweiligen Eingehen auf ihre fixen Ideen die heilsamsten Folgen. Es versteht sich trotzdem von selbst, daß man zu einem solchen Ball nur die harmlosesten Geisteskranken zuläßt. Wer sie nicht kennt, würde keinen Augenblick auf den Gedanken kommen, daß er sich unter lauter Verrückten befindet.«

»Vortrefflich. Heut Abend ist der Ball, sagen Sie?«

»Heut Abend – ich will Sie abholen. Wo find' ich Sie?«

»Ich wohne in der Kreuzgasse, an der Ecke der Neuen Straße, die Nummer weiß ich nicht, beim Geheimrath von Pottlitz.«

»Sehr gut, – ich werde um halb zehn Uhr mit einer Droschke an der Ecke warten. Aber Sie vergessen Ihr Versprechen nicht? Sie schweigen und halten sich bereit?«

»Kein Mensch erfährt eine Silbe,« betheuerte Herr Hobelmann, »geht auch Niemand etwas an, wo ich meinen Abend zubringe. Bin vollkommen mein eigener Herr.«

»Also auf Wiedersehen um halb zehn Uhr. Ich muß jetzt in die Stadt zurück, um noch einige Anstalten zu treffen. Empfehle mich Ihnen, Herr Hobelmann.«

»Empfehle mich Ihnen gehorsamst, Herr Doctor,« sagte Herr Hobelmann, von seinem Stuhl aufstehend und sich vor dem jungen Mann verbeugend – »war mir ungemein angenehm, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen.«

»Ja, das hast Du mir schon gestern Morgen versichert,« lachte Franz stillvergnügt, als er wieder den schmalen Pfad zur Stadt zurückschritt. »Aber, warte nur, Kamerad, den Empfang gestern im heimathlichen Hause und Deine Hartherzigkeit gegen die arme Frau heute tränk' ich Dir jedenfalls ein, und – hahaha – vielleicht kriegen die Frau Steuerräthin und die Frau Commerzienräthin auch ihren Theil ab von dem Spaße. Jedenfalls ist es der tollste Einfall, den ich in meinem Leben gehabt, und der Onkel wird mir am Ende böse darüber. Aber, bah! Zuletzt muß er doch darüber lachen. Und Herr Hobelmann – hahaha – wenn's nur erst Abend wäre!«


V.

Der Abend kam, und in den Salons des Regierungsraths Kettenbrock, der ein ziemlich großes Haus machte und brillant eingerichtet war, sammelten sich nach und nach die Gäste, bei deren Empfang Franz Kettenbrock natürlich nicht fehlen durfte. Im Anfang machte ihm das auch Freude, denn er knüpfte da manche alte Bekanntschaft wieder an, und schon lang' vergessene Namen und Gesichter tauchten auf's Neue vor ihm auf und weckten schlummernde Erinnerungen zu neuem Leben. Als aber die Frau Steuerräthin ihre Tochter und die Frau Commerzienräthin ihre beiden Nichten mitbrachten, und dann noch außerdem ein paar alte adelige Fräulein hereinrauschten, den armen jungen Mann in ihre Mitte nahmen und ihn mit ihren faden, alltäglichen Phrasen todt zu quälen suchten, da erwachte ein Gefühl der Empörung in Franz.

Ihm zu Ehren ward die kleine Festlichkeit gegeben, und er als Hauptperson wollte und brauchte sich nicht langweilen zu lassen. Im Anfang hatte er allerdings leichte Gewissensbisse über seinen tollen Plan gehabt, und wie sein alter Onkel so vergnügt und glücklich in den hell erleuchteten Räumen umherschritt und ihm einmal über das andere, wo das nur irgend unbemerkt geschehen konnte, in seiner Freude die Hand drückte, da beschloß er schon, das Ganze ungethan und den alten egoistischen Hobelmann ruhig sitzen zu lassen. Aergerte diesen das nicht erfüllte Versprechen, so geschah ihm das gerade recht. Aber Stunde um Stunde verging, und den äußersten Belebungsversuchen des alten Regierungsrathes zum Trotz zog sich die Gesellschaft immer wieder in einzelne steife Gruppen zurück, die nur dann und wann darauf ausgingen, den Havanesen abzufangen und sich anzueignen. Franz hatte auch volle Arbeit, ihnen geschickt auszuweichen oder, wenn wirklich einmal gefaßt, den gelegten Schlingen zu entgehen, mit denen ihn besonders die beiden »Muhmen« verfolgten. Eben war er solcher Art ganz verbittert der Frau Commerzienräthin entschlüpft und stand in einem kleinen Nebenzimmer in tiefen Gedanken, als ihm plötzlich der Onkel seinen Arm unterschob und sagte:

»Das weiß doch der Henker, in unsere Gesellschaften, wir mögen's anstellen wie wir wollen, ist nun einmal kein Leben zu bringen, und wie ich sehe, ennuyirst Du Dich ebenfalls schmählich.«

»Aber, lieber Onkel, – wie können Sie glauben –«

»Papperlapapp, ich bin nicht blind. Das langweilige Volk, anstatt Dich mit zu unterhalten, wartet darauf, daß Du ihnen irgend etwas Außergewöhnliches – etwas Havanesisches zum Besten geben sollst, und da stehen sie und thun den Mund nicht auf, außer wenn sie Dich ausfragen oder heimlich untereinander flüstern und ihre Nebenmenschen lästern. Das Gescheidteste wird sein, ich lasse anfangen zu tanzen, damit nur etwas Bewegung in sie kommt.«

Franz sah schlau vor sich nieder.

»Und wenn ich nun mit etwas Havanesischem zwischen sie führe?«

»Das wär' recht,« rief der Onkel – »irgend etwas, um Wechsel, um Bewegung in die Sache zu bringen.«

»Aber Sie werden vielleicht böse, Onkel?«

»Ich? wahrhaftig nicht. Wo willst Du denn hin?«

»Nicht fort – ich bin im Augenblick wieder da. Wie viel Uhr haben wir jetzt?«

»Es wird gleich halb zehn Uhr sein.«

»Schön, lieber Onkel. So lassen Sie den Ball nur beginnen.«

»Aber den Tanz wirst Du doch eröffnen?«

»Gewiß, wenn Sie es wünschen. Bis Sie in Ordnung sind, bin ich wieder da. Ich will nur mein Schuhwerk wechseln, denn ich blieb vorhin mit der linken Sohle an einer Schwelle hängen und habe sie mir abgesprengt.«

»Bleib mir nicht zu lange aus. So wie Steuerraths Euphrosine die Gnadenarie und etwa noch »Die schönsten Augen« zu Ende gesungen hat, geb' ich der Tanzmusik das Zeichen.«

Der junge Havanese benutzte den nächsten Moment, um die Thür zu erreichen, und einige ihm nachgeschleuderte Blicke aus schönen Augen nicht achtend, stürzte er hinaus, warf seinen Paletot über und war wenige Sekunden später auf der Straße.

»Wie viel Uhr haben wir, Kutscher?« rief er einer der unten haltenden Droschken entgegen.

»Gerade schlägt's halb zehn Uhr.«

»Ecke der Kreuzgasse und Neuen Straße! Dort wird ein Herr zu mir einsteigen, dann drehst Du augenblicklich um und fährst hierher zurück – aber nicht an die Front des Hauses. Weißt Du, wo der Garten an der Promenade ausmündet?«

»Von dem Hause hier? – gewiß – es brennt gerade eine Laterne an der Pforte dort.«

»Dorthin fährst Du, aber nicht den nächsten Weg. Fahr aus dem Emmer-Thor hinaus und das Stück über die Promenade bis an die Gartenthür – verstanden?«

»Sehr wohl.«

»Hier ist Dein Fahrgeld für beide Touren und laß Dein Pferd ein wenig austraben.«

Der Kutscher, sehr zufrieden mit dem ihm gegebenen Gelde, zog seinem Gaul ein paar tüchtige Peitschenhiebe über und ließ die alte Droschke über das holprige Straßenpflaster rasseln. Es dauerte auch nicht lange, so befanden sie sich an der bezeichneten Ecke, und kaum hielt dort die Droschke, als Herr Hobelmann auch schon, in seinen Mantel gehüllt, erschien.

»Sie sind außerordentlich pünktlich,« sagte er sehr freundlich.

»In unserer Anstalt muß Alles nach der Minute gehen,« erwiderte Franz. – Der Kutscher hatte die erhaltene Weisung wohl gemerkt. Er fuhr hinaus auf die Promenade.

»Ihre Anstalt liegt außerhalb der Stadt?« sagte Herr Hobelmann.

»Nein,« lautete die Antwort, »nur frisch und luftig am entgegengesetzten Ende derselben.«

»Sie haben doch meinethalben keine Schwierigkeiten gehabt?«

»Nicht im Mindesten – das heißt bis jetzt noch nicht. Lassen Sie sich nur nicht das Geringste merken, daß Sie eine Ahnung davon haben, wo Sie sich befinden. Die Leute wollen natürlich nicht, wie Sie sich wohl denken können, für Verrückte angesehen werden. Mit den verschiedenen Persönlichkeiten und ihren Eigenthümlichkeiten werde ich Sie unter der Hand bekannt machen. Sie sind doch Ihres Versprechens eingedenk gewesen und haben zu Hause nichts erwähnt?«

»Sie können sich auf meine Discretion verlassen. Aber wenn mich der Oberarzt bemerkt?«

»Ich habe Ihnen schon gesagt,« erwiderte Franz, »daß derselbe mein Onkel ist, und dem muß ich Sie natürlich gleich vorstellen, sobald wir eingetreten. Er hat das Fest arrangirt und sämmtliche Irrsinnige sind von ihm nach aller Form der Etikette eingeladen worden. Jeder betrachtet sich deshalb vollkommen in seinem Recht, und da die Anstalt ziemlich kostspielig ist und nur Geisteskranke aus den höheren, wenigstens bemittelten Ständen aufnimmt, so dürfen Sie sich auch auf glänzende Toiletten gefaßt machen.«

»Ich bin auf's Aeußerste gespannt,« versicherte Herr Hobelmann.

»Und da sind wir schon,« sagte Franz, während er vorn an das Droschkenfenster klopfte. »Bitte, folgen Sie mir so rasch Sie können, denn ich habe mich schon eigentlich etwas über meine Zeit aufgehalten.« Die Droschke hielt, und Franz Kettenbrock, der seinem Begleiter so wenig als möglich Zeit zum Umschauen gönnen wollte, sprang behend aus dem Wagen und in die Gartenthür. Herr Hobelmann folgte ihm eben so flink, und bald betraten sie das innere Haus und erstiegen die mit Teppichen belegte Treppe.

»Das sieht ja hier ganz vornehm aus,« flüsterte Herr Hobelmann – »und alle die harrenden Diener da?«

»Sind theils Wächter, theils nur für den Abend von dem Magistrat entlehnte Polizeidiener, die sich hier aufhalten, um einer möglichen Unordnung vorzubeugen,« erwiderte Franz. »Natürlich würden sie die Kranken, wollten sie in ihrer gewöhnlichen Uniform erscheinen, gleich von vornherein mißtrauisch machen. In dieser Livrée dagegen vermuthet keiner, was in ihnen steckt.«

»Vortrefflich,« sagte Herr Hobelmann. »Eigentlich sogar ein Bild unserer ganzen bürgerlichen Verhältnisse. Die Polizei spielt ihre Maskerade ausgezeichnet.«

»Finden Sie?« lachte Franz, – »doch da sind wir bei den Irren. Jetzt nehmen Sie sich zusammen.«

»Thun Sie mir nur den Gefallen und lassen Sie mich nicht allein.«

»Haben Sie keine Angst, jedenfalls verlasse ich Sie nicht, bevor ich Sie einigen der Herren und Damen vorgestellt habe. Da drüben der alte Herr, das ist der Oberarzt, zu dem werde ich Sie vor allen Dingen führen.«

»Und wie titulirt man den Herrn?«

»Herr Rath – ah, er hat uns schon gesehen! Er ist allerdings Obermedicinalrath, aber man nennt ihn hier in der Anstalt nur einfach Herr Rath.«

»Franz, wo steckst Du denn?« sagte der Regierungsrath, der in diesem Augenblick den zurückkehrenden Neffen erspäht hatte und rasch auf ihn zukam. »Die ganze Gesellschaft ist schon in Verzweiflung.«

»Lieber Onkel,« sagte der junge Mann, »ich habe das Vergnügen, Ihnen hier Herrn Hobelmann vorzustellen. Er ist fremd in der Stadt, und ich möchte Sie ersuchen –«

»Sehr angenehm, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen,« sagte der alte Herr.

»Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, daß ich wage –«

»Keine Entschuldigungen; von meinem Neffen eingeführt, sind Sie mir herzlich willkommen. Tanzen Sie?«

»Es ist allerdings schon einige Zeit her, daß ich mich diesem Vergnügen hingegeben habe.«

»Bitte, dann geniren Sie sich ja nicht,« sagte der freundliche Wirth. »Jeder ist hier sein eigener Herr, und da drinnen kommt wohl eine Partie Whist oder L'Hombre zu Stande, an der Sie mit Bequemlichkeit Theil nehmen können.« Der Onkel eilte geschäftig davon und Franz flüsterte seinem Opfer zu:

»Sie müssen jedenfalls tanzen; ich werde Sie schon einigen unserer »ruhigsten« Damen vorstellen.«

»Aber ich habe wahrhaftig lange nicht getanzt.«

»Gut. Dann nehmen Sie zum Anfang keine von den jüngsten, und erst einmal wieder in Gang, kommen Sie bald in den Wirbel hinein. Sehen Sie, da haben wir gleich eine unserer älteren Schönen.«

»Die Dame mit den gelben Rosen?«

»Das ist eine ungarische Gräfin,« sagte Franz, »die aber vollkommen geläufig Deutsch spricht. Sie hat die fixe Idee, daß ein deutscher Steuerrath sie aus ihrem Schlosse an der Theiß entführt und geheirathet habe.«

»Gerade ein Steuerrath? Das ist merkwürdig!« sagte Herr Hobelmann.

»Ich werde Sie gleich vorstellen.«

»Und die beiden jungen Damen dort?«

»Von denen nachher. Seien Sie nur um Gottes willen voller Aufmerksamkeit gegen die unglückliche Gräfin.«

»Und wer ist die alte Dame drüben mit dem Papier in der Hand?«

»Das ist die Königin von Birma.«

»Wer?«

»Die Königin von Birma,« wiederholte Franz ruhig und mit vorsichtig gedämpfter Stimme, denn die genannte Dame rauschte eben an ihnen vorüber und schien Jemanden zu suchen. Franz, der wohl ahnte, daß sie ihn aufzufinden wünsche, hatte sich durch die breite Gestalt des Herrn Hobelmann vollständig und glücklich gedeckt.

»Aber Sie meinen doch nicht im Ernst?« sagte der erstaunte Advocat.

»Gott bewahre!« lächelte der junge Mann. »Sie war früher an einen Commerzienrath in Berlin verheirathet und schnappte gerade zu der Zeit über, als der birmanische Gesandte durch Berlin nach London reiste. Jetzt bildet sie sich ein, er sei nur dorthin gekommen, um sie an den Hof des Großherrn zu holen. Ueber den Zustand der dortigen Seelen aber innigst betrübt, läuft sie nun fortwährend mit einer Liste herum, Beiträge zur Bekehrung der Heidenkinder in Birma zu sammeln – doch da kommt die Gräfin-Steuerräthin auf uns zu. Jetzt nehmen Sie sich zusammen.«

»Aber, bester Franz, wo haben Sie die Zeit daher gesteckt?« sagte in diesem Augenblick die Steuerräthin, die, vollkommen ahnungslos über die ihr zugetheilte Würde, zu den beiden Männern trat. »Wie eine Stecknadel haben wir Sie überall gesucht und der Tanz soll beginnen.«

»Erlauben Sie mir nur erst, hochgeehrte Frau,« sagte Franz, »Ihnen einen Tänzer zuzuführen, der darauf brennt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Graf Hobelmann aus Pest.«

Die Frau Steuerräthin knixte fast bis auf den Boden hinunter und Herr Hobelmann sah seinen Begleiter mit einem etwas dummen Blicke an. Dieser aber flüsterte der Dame mit den gelben Rosen zu: »Halten Sie ihn fest, Steuerräthin, ich glaube fast, Sie haben da eine ganz brillante Eroberung gemacht,« und verschwand im nächsten Augenblick von ihrer Seite, seine Cousine Adele zu dem ersten, eben beginnenden Tanz zu führen.

Hier traf er auch schon das zweite Paar, seinen sehr glücklich lächelnden Reisegefährten mit Base Fränzchen am Arm.

Der junge Doctor schien in einem wahren Meer von Wonne zu schwimmen; er ging gar nicht, er schwebte ordentlich, und sein Antlitz strahlte von Vergnügen.

»Bester Kettenbrock,« rief er, des Havanesen Hand ergreifend, »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen für diesen Abend bin – wie glücklich ich mich fühle –«

»Ist auch gar nicht nöthig,« lachte Kettenbrock. »Ihr Gesicht verräth das schon ohnedies. Aber Cousine Fränzchen scheint mir niedergeschlagen?«

»Ich?« sagte das junge Mädchen erstaunt, und ihr offenes Gesicht überflog ein leichtes Roth. »Du bist ein arger Spötter, Vetter Franz; aber im Nu wird Dir die Frau Commerzienräthin über den Hals kommen. Siehst Du, wie sie dort mit ihrem Subscriptionsbogen durch den Saal streicht?«

»Wie ein Habicht über ein Ackerfeld,« lachte Franz, »und wehe den armen Opfern, auf die er niederfährt.«

»Aber sie bringt sie nicht um –«

»Nein, sie zapft ihnen nur das Blut ab, um jene Klasse von Menschen mit dem Erbeuteten zu füttern, die in einem schwarzen Frack und weißer Halsbinde das passende Futteral für ihre unsterbliche Seele gefunden zu haben glauben.«

»Pfui, Franz,« rief die Cousine, »schäme Dich!«

»Etwa weil ich glaube, daß die Neger und Indianer keine wollenen Strümpfe brauchen?« gab der junge Mann zurück. »Aber wahrhaftig, sie hat es auf mich gemünzt,« und ohne weiter ein Wort zu sagen, verließ er die Gruppe und ergriff Adelens Hand, den Tanz zu beginnen, dessen Tacte eben lustig vom Orchester herabschmetterten.

»Lieber Franz,« sagte die rücksichtslos einschreitende Commerzienräthin, »in glücklichen Momenten des Lebens ist das Herz am mildthätigsten, am weichsten gestimmt –«

»Hat aber auch die wenigste Zeit,« unterbrach sie der junge Mann und setzte sich mit seiner Dame in Bewegung. »Platz, oder der ganze Zug geht über Sie hin!«

»Aber nur einen Moment –«

Es half ihr nichts. Die Paare flogen an ihr vorüber.

Nur einer der Tänzer theilte das allgemeine Vergnügen so wenig, daß er sich lieber davon zurückgezogen hätte, wenn er dazu den Muth besessen, und das war Herr Hobelmann. Die überselige Frau Steuerräthin als wahnsinnige Gräfin im Arm, keuchte er mit triefender Stirn durch den Saal. Die Gräfin schien gar keine Lunge zu haben, und wenn er inne halten wollte, traf ihn ein so merkwürdiger Blick aus ihren Augen, daß er immer wieder auf's Neue die Zähne zusammenbiß und vorwärts arbeitete. Er durfte ja die Unglückliche nicht reizen. Endlich aber konnte er nicht mehr; seine Kräfte ließen nach, sein Kopf schwindelte, der ganze Saal drehte sich mit ihm im Kreis, und mit immer ängstlicheren Verbeugungen, die er seiner Tänzerin machte, taumelte er zu einem nahen Sitz, auf den er athemlos niedersank.

»Bravo! Bravo! vortrefflich!« flüsterte ihm Franz zu, »Sie tanzen ja mit einer Leidenschaft, mein guter Graf, daß Sie die jüngeren Leute ordentlich beschämen.«

»Graf!« flüsterte da Etwas zur Seite, und als Franz den Kopf wandte, entdeckte er die Frau Commerzienräthin, die mit dem unerbittlichen weißen Bogen in der einen und einem schwarzen Bleistift in der andern Hand neben ihm stand, – »bitte, lieber Franz, stellen Sie mich dem Grafen vor.«

»Mit dem größten Vergnügen,« willigte in seinem Uebermuth der junge Havanese ein. »Meine Gnädigste, ich habe hier die Freude, Sie mit einem unserer leidenschaftlichsten und besten Tänzer, dem Grafen Hobelmann bekannt zu machen. Herr Graf, sehen Sie in dieser Dame die Mutter aller unchristlichen Waisen, die Königin und Wohlthäterin von Birma wie von verschiedenen anderen heidnischen Länderstrichen.«

»Sie Schmeichler,« lächelte verschämt unter ihrer Schminke erröthend die Commerzienräthin. »Herr Graf, ich freue mich außerordentlich, diese ehrenvolle Bekanntschaft zu machen, und entschuldigen Sie nur, wenn ich gleich bei Ihnen mit einer Bitte erscheine und so gewissermaßen mit der Thür in's Haus falle.«

Sie trat dabei dicht auf Hobelmann zu, und dieser, in der Scheu, der Königin von Birma zu nahe zu kommen, erhob sich rasch von seinem Sessel, mit dem er beinahe umgefallen wäre.

»Sie ist vollkommen unschädlich,« raunte ihm Franz zu, und die Dame, der die erschreckte Bewegung nicht entgehen konnte, sagte lächelnd:

»Fürchten Sie sich nicht, Herr Graf, es soll Ihnen nichts geschehen, nur Ihre Mildthätigkeit möchte ich in Anspruch nehmen, und zwar für die armen Heidenkinder in Birma, über deren Elend Sie mir wohl erlauben, Ihnen zugleich einige kleine Broschüren zu überreichen.«

»Majestät sind zu gnädig!« stammelte der also Ueberraschte. Die Commerzienräthin aber, mit einem lächelnden Blick auf Franz den Titel acceptirend, hielt ihm das Papier vor und sagte bittend:

»Unterschreiben Sie, Herr Graf; bedenken Sie, daß Sie mit ein paar hier so heilvoll angelegten Louisd'oren unendlichen Segen wirken. Und wenn Sie auch nur eine Seele damit retten, so hätte sich das Capital ja tausendfach, millionenfach verzinst.«

»Was soll ich denn thun?« wendete sich der geängstigte Hobelmann an den sich dicht zu ihm haltenden Franz.

»Unterschreiben Sie,« rieth dieser leise, »sie wird sonst böse. Derartigen Leuten muß man scheinbar den Willen thun –«

»Aber wie viel?«

»Das bleibt sich ja gleich – unter zehn Louisd'or können Sie aber auf keinen Fall zeichnen. Wenn die Summe nur auf dem Papier steht, so ist die Dame vollkommen zufrieden.«

»Nun, nicht wahr, Sie sind so freundlich?« drängte noch einmal die Commerzienräthin.

»Wenn Sie befehlen, von Herzen gern!« sagte Herr Hobelmann, nahm den ihm gereichten Bleistift, und im nächsten Augenblick stand sein Autograph: G. Hobelmann mit der anscheinend unschuldigen Bemerkung: »zehn Louisd'or« auf dem Papier und vor den entzückten Blicken der Heidenbeschützerin. Im Ueberfließen ihres Dankes ergriff sie seine Hand.

»Großmüthiger, freigebiger Mann,« rief sie, »dafür ermöglichen Sie vielleicht den Eintritt einer ganzen Familie in den Himmel, Nur um Ihre werthe Adresse dürfte ich wohl noch bitten.«

»Die werde ich schon ausfüllen,« mischte sich aber Franz Kettenbrock in das Gespräch und wehrte dadurch die Frau Commerzienräthin endlich ab. Brannte ihr doch auch schon der Boden unter den Füßen, auf neue Opfer zu stoßen und die unterschriebenen zehn Louisd'or im Triumph durch den Salon zu tragen. Herr Hobelmann aber, höchst erfreut, so billig davongekommen zu sein, machte ihr eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, wie er es dem Rang einer Königin von Birma für angemessen hielt, und gewann sich dadurch ihr Herz vollkommen. Die Frau Steuerräthin dagegen rümpfte die Nase und war jetzt im Innern mehr als je davon überzeugt – wenn es dazu überhaupt noch irgend eines Beweises bedurft hätte –, daß die Commerzienräthin eine höchst durchtriebene und intriguante Person sei, vor der man sich entsetzlich in Acht nehmen müsse.

»Nun, wie gefällt Ihnen die Gesellschaft?« fragte Franz, als er sich mit Herrn Hobelmann einen Augenblick allein sah.

»Vortrefflich, mein junger Freund, ganz vortrefflich!« erwiderte der dicke Advokat, sich dabei den Schweiß von der Stirn trocknend; »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, mich hier eingeführt zu haben. So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Die Königin von Birma zum Beispiel ist göttlich – ein wahres Charakterbild, einzig in ihrer Art! Aber sagen Sie mir einmal, wer ist denn der Herr, der so finster zwischen den verschiedenen Gruppen herumgeht? Den mit der Brille mein' ich und dem großen Schnurrbart. Er hat etwas Militärisches.«

»Das ist unser Hauptkrankenwärter,« erwiderte Franz leise, denn der erwähnte Herr ging eben unfern von ihnen vorbei und warf dem Herrn Hobelmann einen scharfen, nicht besonders freundlichen Blick zu. »Hier in der Gesellschaft wird er zwar Herr Hauptmann titulirt, und die Kranken lassen ihn für ihres Gleichen gelten, außerdem hat er sie aber tüchtig unter der Fuchtel, und sie fürchten ihn, wenn er einmal ärgerlich wird und zwischen sie fährt. Doch da kommen noch ein paar unserer interessantesten Irrsinnigen, eine noch eben nicht bejahrte Dame in dem permanenten Alter der Zwanziger, ein Fräulein von Bomershausen, die, wenn ich nicht Irre, ein Drama geschrieben hat und vor der Aufführung aus Furcht vor dem Mißlingen desselben wahnsinnig geworden ist, und ein anderes gnädiges Fräulein von Losenbrett, ebenfalls eine Schriftstellerin, die wunderbarer Weise in ein französisches Attentat verwickelt zu sein glaubt und in jedem Fremden einen Spion fürchtet. In ihren lichten Augenblicken macht sie Gedichte, in ihrem ärgsten Paroxysmus aber liest sie dieselben vor.«

»Sie scheinen es ebenfalls auf uns abzusehen,« sagte Herr Hobelmann.

»Im schlimmsten Fall fordern wir Beide zum Tanz auf,« beruhigte ihn Franz; »die Musik wird im Augenblick wieder beginnen.«

»Ich bin aber schon so müde, daß ich kaum noch auf den Füßen stehen kann,« versicherte Herr Hobelmann.

»Das schadet nichts,« entgegnete Franz. »Sie tanzen sich wieder munter. Ich empfehle Ihnen Fräulein von Losenbrett.«

»Die Dame mit den entsetzlich langen Locken?«

»Bst – dieselbe – nicht so laut. Derartige Irrsinnige haben ein wunderbar scharfes Gehör und sind außerordentlich mißtrauisch.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als Fräulein von Losenbrett, von der man schon seit fünfzehn Jahren behauptete, daß sie eine höchst interessante Blondine sei, an ihn heranglitt, seinen Arm berührte und leise sagte:

»Lieber Kettenbrock, wer ist denn der dicke fremde Herr, den Sie uns da gebracht haben?«

»Ein Graf Mann, mein gnädiges Fräulein,« antwortete Franz. »Nach seinem Erbgut Hobelmann genannt.«

»Aber den Namen kenne ich gar nicht.«

»Er ist aus dem fernen Ostpreußen und erst heute bei uns eingetroffen. Erlauben Sie, daß ich ihn vorstelle?«

»Gleich – erst noch eine Frage. Ich – ich habe zu Ihrer Rückkehr ein kleines Gedicht – eigentlich nur ein Epigramm, gemacht – denn Sie werden mir zugestehen, daß Sie keine Lyrik verdienen.«

»Mein gnädiges Fräulein –«

»Still – ich möchte es Ihnen vorlesen – am liebsten Ihnen allein – in Begleitung einer Freundin natürlich – aber – wenn Sie Ihren Freund mitbringen wollen, habe ich nichts dagegen.«

»Jetzt, meine Gnädige? – Der Tanz wird im Augenblick wieder beginnen und ich bin engagirt.«

»In der nächsten Pause denn, unmittelbar nach dem Tanz. Drüben im kleinen Erker.«

»Indessen,« sagte jetzt Franz, und zwar wieder mit lauter Stimme, »erlauben Sie mir wohl, Ihnen meinen Freund, den Grafen Hobelmann, vorzustellen, – Fräulein Emma von Losenbrett – eine unserer gefeiertsten Dichterinnen.«

Die Dame verneigte sich erröthend, und Hobelmann wollte sich ebenfalls mit einer tiefen und etwas steifen Verbeugung loskaufen. So billig sollte er aber nicht davonkommen, denn der boshafte Franz fuhr fort: »Er hat mich vorhin schon ersucht, Sie, meine Gnädige, in seinem Namen um diesen Tanz zu bitten.«

Die Antwort war eine stumme, aber gestattende. Auch blieb nicht viel Zeit zu längerer Conversation, denn in demselben Augenblick begann die Musik auf's Neue, und Hobelmann war gleich darauf genöthigt, nach dem Tact eines rasend schnellen Galopps den Saal hinab- und wieder heraufzuwirbeln.

Erschöpft und mit pochenden Adern machte er eben mit seiner Tänzerin eine kurze Pause, als ihn Jemand leicht auf die Schulter klopfte. Wie er sich rasch danach umdrehte, stand der Regierungsrath hinter ihm und sagte, lächelnd mit dem Finger drohend:

»Ei, ei, mein Bester – Sie thun, als wenn Sie nicht mehr tanzen könnten, und ich laufe mir die Beine ab, Ihnen einen Platz an einem Whist- oder Bostontisch zu verschaffen, indessen Sie wie ein Zephyr durch den Saal hüpfen.«

»Bester Herr Obermedicinalrath!«

»Schon gut,« lachte der alte Herr, – »kommt auf den Titel nicht an, und ist mir eine herzinnige Freude, Sie und Alle so aufgeräumt, so froh zu sehen. Wenn Sie nur –«

Herr Hobelmann hörte nichts weiter. Fräulein von Losenbrett hatte genug geruht, und sehr erfreut, einen Tänzer gefunden zu haben, schleppte sie den vollständig erhitzten Advokaten unerbittlich wieder hinein in das wogende Meer der Wirbelnden.

»So!« sagte Herr Hobelmann, erschöpft nach Luft schnappend, als er endlich von seiner Dame frei geworden und todtmatt auf einen Stuhl geflüchtet war, während Franz Kettenbrock, der seinen Gast nicht aus den Augen ließ, wieder zu ihm trat, »so, das glaub' ich! Für sich suchen Sie sich die hübschesten Mädchen aus, und mir hängen Sie die alten auf, damit sie mich durch ihre Tanzwuth ruiniren.«

»Aber Fräulein von Losenbrett –«

»Daß die verrückt ist, will ich selber unterschreiben,« stöhnte der durchaus Fertige, »denn was mir die für Unsinn in den paar Minuten vorgeschwatzt hat, das geht auf kein Buch groß Royalpapier. Ich sagte nur immer Ja, um sie nicht zu reizen.«

»So kommen Sie jetzt mit in jenen Erker, daß wir uns ein wenig ausruhen,« sagte Franz – »auch stehen dort Erfrischungen. Bleiben wir hier, so werden wir doch gleich wieder zum Tanzen abgefaßt.«

»Wohin?« rief Hobelmann erfreut. »Nur nicht wieder tanzen, sonst bin ich morgen früh ein todter Mann.«

Er erschrak aber ordentlich, als ihnen am Eingang des kleinen Erkers anstatt einer Erfrischung die unvermeidliche Emma von Losenbrett, diesmal mit einem Heft Manuscript in der Hand, entgegentrat, und wollte sich rasch aus der Schlinge ziehen. Franz hielt aber sein Opfer fest, und die Dame sagte lächelnd:

»Das ist hübsch von Ihnen, daß Sie Wort halten. Jetzt nehmen Sie hier Platz, Louise wird uns Gesellschaft leisten. Ich habe mich unendlich auf diesen Augenblick gefreut.«

»Mich entschuldigen Sie vielleicht,« sagte Herr Hobelmann.

Franz aber warf ihm einen warnenden Blick zu, der ihn in den Erker hineintrieb. Als einmal der Vorhang hinter ihm gefallen war, gab es kein Entrinnen. Hobelmann sowohl wie Franz kamen nicht eher von der Vorlesung los, als bis sie von der Commerzienräthin in ihrem Versteck aufgestöbert wurden.

»Zur Belohnung für Ihre Geduld gegen eine unserer gefährlichsten Kranken,« tröstete Franz den Advocaten, der keine einzige vernünftige Stelle in allen den Versen des Fräuleins gefunden haben wollte, »zur Belohnung dafür werde ich Sie jetzt mit ein paar ganz harmlosen jungen Geschöpfen bekannt machen, die, vollkommen vernünftig in jeder andern Hinsicht, nur ein paar unbedeutende fixe Ideen haben.«

»Mit Einer von diesen haben Sie vorhin getanzt?«

»Allerdings – und dort kommt die Andere. Die ist Ihnen doch hübsch und jung genug?«

»Ein allerliebstes Mädchen.«

»Schön – wenn Sie sich bei ihr in Gunst setzen wollen, so bitten Sie nur um eine Prise.«

»Sie schnupft?«

»Leidenschaftlich.«

»Aber das ist doch nicht ihre Krankheit?«

»Nein – das arme Geschöpf, das kaum siebzehn Jahre zählen kann, bildet sich ein, daß es seit zehn Jahren verheirathet sei – an einen Mann, der nach Amerika gegangen sei und von dort in der nächsten Woche zurückkehren werde.«

»Das ist sehr traurig,« sagte Herr Hobelmann.

»Sie ist übrigens vollständig zurechnungsfähig, sobald man sie in diesem Wahn läßt,« fuhr Franz Kettenbrock fort, »verfällt aber in die gefährlichsten Ausbrüche, sobald man ihr nur im Geringsten widerspricht.«

»Dann wäre es mir am liebsten, Sie ließen mich ihr aus dem Weg gehen,« meinte Herr Hobelmann.

»Sie haben nicht das Geringste zu besorgen,« beruhigte ihn aber Franz; »so wie Sie sich nur angelegentlich nach dem Befinden ihres Gemahls erkundigen – von seinem Wohlsein mit ihr sprechen – ist sie überaus glücklich. – Fränzchen!« wandte er sich in diesem Augenblick an die herantretende Dame. »Hier habe ich das Vergnügen, Dir den Herrn Grafen Hobelmann vorzustellen, der Dich durch mich um den nächsten Walzer ersuchen läßt.«

Hobelmann zupfte seinen Peiniger heimlich am Rock, denn er konnte vor Mattigkeit kaum noch die Füße vom Boden heben; aber es half ihm nichts, Base Fränzchen, in ihrer Gutmüthigkeit, neigte sich freundlich gegen ihn, und die einfallende Musik erlaubte kein weiteres Sträuben.

»Onkel hat uns schon mitgetheilt,« sagte sie mit ihrer liebenswürdigen Freundlichkeit, während Franz etwas auf die Seite trat, »daß uns der Vetter einen werthen Besuch in Ihnen mitgebracht.«

»Wie jammerschade um das liebe Wesen,« dachte Hobelmann. »Sie sind sehr gütig, gnädige Frau,« erwiderte er laut. »Haben Sie kürzlich Nachricht von Ihrem Herrn Gemahl erhalten?«

Fränzchen sah ihn erstaunt an, aber eben folgten sie dem ihnen zunächst vorantanzenden Paare. Sie begnügte sich daher, mit einem tiefen Erröthen zu fragen:

»Meinem Gemahl?«

»Ich weiß, daß er lange in Amerika ist,« keuchte Herr Hobelmann. »Und jetzt auf dem Rückwege zu Ihnen.«

»Für wie alt halten Sie mich?« lächelte ihn da Fränzchen so schelmisch an, daß Herr Hobelmann seine Geistesgegenwart vollends verlor und verlegen stammelte:

»Sie entschuldigen, gnädige Frau – aber – ich – ich weiß wirklich nicht. Sie – scheinen sich ausgezeichnet conservirt zu haben.«

Fränzchen sah ihn erstaunt an – aber ein plötzlicher Gedanke zuckte ihr durch den Sinn, und ihr Auge suchte den Vetter Franz. Dieser unterhielt sich aber gerade auf das Angelegentlichste mit einer andern jungen Dame seiner Bekanntschaft und trat mit ihr ebenfalls zum Tanze an. Auf das Paar, zu welchem Hobelmann gehörte, schien er gar nicht weiter zu achten.

Bei der ersten Pause, die er machte, hatte Fränzchen den Havanesen eingeholt. »Was für einen Menschen hast Du uns denn da zugeführt?«

»Ich?« erwiderte Franz gelassen, »meinst Du den Grafen?«

»Entweder ist er verrückt, oder ich – sehe aus wie eine Matrone von vierzig Jahren!« rief das Mädchen und wurde gluthroth bei den Worten.

»Matrone von vierzig Jahren, mein schönes Bäschen, ist ein Unding und existirt gar nicht auf der Welt,« lachte Franz als Antwort. »Ueberhaupt giebt es keine Damen in den vierziger Jahren, ausgenommen in den niederen Ständen; höchstens Damen von zweiunddreißig bis vierunddreißig Jahren, und dann ganz alte, ehrwürdige Matronen hoch in den Fünfzigen.«

»Du bist boshaft, Vetter,« sagte Fränzchen und warf einen scheuen Blick nach ihrem Tänzer hinüber, der eine kurze Strecke von ihnen entfernt stand und sich mit der Hoffnung schmeichelte, daß ihn seine Tänzerin verlassen habe und nicht wiederkehren würde.

»Aber er tanzt vortrefflich, nicht wahr?« sagte Franz.

»Wie ein Mehlsack. Zweimal hat er mich schon auf die Füße getreten,« sagte Fränzchen. »Wenn ich den Walzer mit ihm aushalte, ist das nur ein Opfer, das ich Deinem Ehrentage bringe.«

»Aber, bestes Bäschen – ich muß jetzt fort – nachher ein Weiteres.«

In der Ecke des Saales stand der Hauptmann Stimbeck mit dem alten Regierungsrath Kettenbrock zusammen.

»Sagen Sie mir einmal, Regierungsrath, was ist denn das für ein wunderlicher Kauz, den uns Ihr Neffe heut Abend mitgebracht hat?«

»Ja, ich kenne ihn selber nicht recht, ein Herr Hobelmaus, oder Hobelmann, glaub' ich –«

»Herr Hobelmann?« brummte der Hauptmann, »die alte Steuerräthin schwärmt ja von einem liebenswürdigen Grafen, mit dem sie getanzt haben will.«

»Ein Graf?« sagte der Regierungsrath. »Dann müßte ich das in der Eile des Vorstellens überhört haben.«

»Und was für ein confiscirtes Gesicht der Kerl hat!« fuhr der Hauptmann fort, indem er dem Tanzenden mit den Augen folgte, »und wie er die kurzen Beine schleppt. Wenn das ein Graf ist, fress' ich ihn bei lebendigem Leibe« – und verächtlich die Lippen emporwerfend, drehte sich der Hauptmann ab und ging mit diesem kannibalischen Vorsatz nach der andern Seite des Saales hinüber.

Dort suchte Franz eben einen Zwist zwischen Herrn Hobelmann und dem jungen Doctor Helmerdiek zu schlichten. Denn der Arzt hatte sich an's Ohr Hobelmann's gedrängt und flüsterte dem Advocaten zu: »Herr, Sie sind ein unverschämter Mensch, wenn Sie sich mit Damen solche Scherze erlauben können. Wenn Sie Ehrgefühl im Leibe haben, so stehen Sie mir Rede.«

Franz deutete dem Advocaten an, daß er es mit einem schwer Kranken zu thun habe, und faßte den gereizten Doctor ohne Weiteres unter den Arm, um ihn mit Gewalt in ein benachbartes Cabinet zu ziehen.

»Was fällt Ihnen denn ein, lieber Kamerad,« sagte er hier, »mit dem alten Herrn da Streit anzufangen? Was hatten Sie mit ihm?«

»Ich? gar nichts,« sagte Helmerdiek, etwas verlegen, »aber er – verlangte von Ihrer Cousine, Fräulein Franziska –«

»Nun? – was denn?« und der junge Kettenbrock horchte gespannt auf.

»Es ist zu unsinnig,« rief Helmerdiek, »und man könnte wahrhaftig darüber lachen, wenn es die junge Dame nicht gar zu sehr in Verlegenheit gebracht hätte.«

»Aber was um Gottes willen verlangte er denn nur?«

»– Eine Prise.«

»Aber bester Helmerdiek, das ist ja viel zu komisch, um sich darüber zu ärgern.«

»Ich sage Ihnen, Kettenbrock, das ist ein ganz grober, ungeschliffener Mensch. Sehen Sie nur, jetzt hat er da drüben auch schon Streit mit der Steuerräthin bekommen.«

Franz antwortete nicht, denn er gewahrte mit einem Blick, daß seine Gegenwart an der bezeichneten Stelle dringend nöthig sei. Ohne einen Moment Zeit zu verlieren, eilte er auf den wieder in irgend eine Klemme gerathenen Hobelmann zu, nahm ihn, während ihm die Frau Steuerräthin entrüstet und verächtlich den Rücken wandte, unter den Arm und führte ihn ein wenig aus dem Weg.

»Aber was um Gottes willen haben Sie denn nun schon wieder angefangen?« sagte er dabei leise; »ich hatte Sie doch so dringend gewarnt, mit den Leuten vorsichtig umzugehen.«

»Diesmal war ich allerdings schuld,« sagte Herr Hobelmann etwas bestürzt. »Ich glaube wenigstens, ich habe ein Versehen begangen. Jene ungarische Gräfin kam auf mich zu, von der Sie mir sagten, daß sie mit einem Steuerrath durchgegangen sei. In Gedanken verwechsele ich aber den Steuerrath mit dem Grafen, und um doch etwas zu sagen, machte ich einige Andeutungen auf die Liebschaft mit einem Grafen, was sie entsetzlich übel zu nehmen schien. Sie kamen gerade zur rechten Zeit dazu.«

»Aber, bester Herr Hobelmann,« sagte Franz, der mit aller Gewalt an sich halten mußte, sein Lachen zu verbeißen, »das hätte sehr unglücklich ablaufen können.«

»Allerdings,« antwortete der Advocat und warf einen verstohlenen Blick über seine Schulter. – »Vorhin nahm mir auch schon eins der männlichen Individuen etwas übel – derartige Leute sind ja entsetzlich reizbar. Sie kamen zum Glück dazwischen. Aber wer war der junge, ganz elegant gekleidete Mann? Und was ist er?«

»Der? Das ist, wie ich Ihnen schon andeutete, einer unserer unbändigsten Kranken, wenn er einmal losbricht,« erwiderte Franz, während Herr Hobelmann auf Helmerdiek zeigte. »Sie werden auch bemerken, daß sich zwei der sogenannten Bedienten stets in seiner Nähe befinden. Halten Sie sich lieber entfernt von ihm.«

»Er sieht mich noch fortwährend finster an,« sagte Herr Hobelmann, den das beunruhigte.

»Es fällt gar nicht so selten vor,« meinte Kettenbrock, »daß ein solcher Patient gegen irgend ein ihm aufstoßendes fremdes Gesicht plötzlich einen Widerwillen zeigt, und geschieht das, so müssen wir solche, ihren kranken Geist erregende Elemente allerdings sogleich entfernen. Im vorigen Jahr stürzte sich ein ähnlicher Kranker trotz aller Aufsicht auf einen Fremden, der ihm nicht das Mindeste zu Leid gethan, und ehe wir zu Hülfe springen konnten, hatte er ihm die Halsader durchgebissen.«

»Es ist entsetzlich!« sagte Herr Hobelmann und fing an, sich nicht mehr recht geheuer zu fühlen.

»Franz – auf ein Wort,« zürnte in diesem Augenblick die Frau Steuerräthin, die gerade wieder vorüberrauschte – »ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen.«

»Ich stehe im Moment zu Diensten,« versetzte der junge Mann.

»Wissen Sie was, mein bester Doctor,« bemerkte Herr Hobelmann – »ich denke, ich werde mich jetzt lieber wieder entfernen. Ich habe Ihre Zeit eigentlich schon zu lange in Anspruch genommen, und es wird spät.«

»Mein bester Herr Hobelmann, es war mir eine große Freude, Ihnen gefällig gewesen zu sein, aber – wenn Sie nicht länger bleiben wollen – das Souper muß übrigens gleich beginnen.«

»Ich danke Ihnen sehr. Apropos – Sie entschuldigen jedenfalls die Frage – ist hier – ist hier vielleicht irgend Jemand von den Leuten, dem man ein Trinkgeld –«

»Das ist nicht nöthig,« sagte Franz, dessen muthwilliger Blick gerade auf den unfern der Thür stehenden Hauptmann fiel, »wenn Sie aber Jemandem eine Kleinigkeit geben wollen, so ist das der Krankenwärter dort, der da drüben an der Thür steht.«

»Ah, der Mann mit dem großen Schnurrbart?«

»Derselbe.«

»Ich bin Ihnen verbunden. Wie aber werde ich mich jetzt am besten nach Hause finden? Droschken sind doch jetzt nicht mehr zu finden.«

»Nein, aber ich habe dafür gesorgt. Der Diener dort in der Scharlachweste wird Sie begleiten, damit Sie nicht irre gehen.«

»Ah, nur bis auf den Markt, dann finde ich meinen Weg schon allein.«

»So wie Sie in die Ihnen bekannte Gegend kommen, können Sie ihn zurückschicken.«

»Und Ihrem Herrn Onkel, dem Herrn Obermedicinalrath, bitte ich mich bestens zu empfehlen. Er wird jetzt beschäftigt sein, und ich möchte ihn nicht stören.«

»Ich werde es übernehmen, mein werther Herr Hobelmann. Bitte, gehen Sie nach dieser Seite herüber; da drüben kommt der junge Kranke wieder, der, wie es scheint, die Idiosynkrasie wider Sie hat, und ich möchte daher nicht gern, daß Sie ihm begegneten.«

»Wünsche einen recht angenehmen Abend,« sagte Herr Hobelmann rasch, der Anordnung auf das Bereitwilligste Folge leistend, und von dem Bedienten – dem Kutscher des Regierungsrathes, den Franz schon vorher genau instruirt hatte – begleitet, arbeitete sich der Advocat, sehr zum Erstaunen der Gäste, äußerst rücksichtslos auf den Hauptmann zu. Er war ja im Begriff fortzugehen und dicht an der Treppe, was brauchte er also mit den »Verrückten«, für die er doch die ganze Gesellschaft hielt, noch viel Umstände zu machen.

Mit einigem Erstaunen sah ihn Hauptmann von Stimbeck so gerade auf sich zukommen. Sollte der Fremde etwa eine oder die andere der Bemerkungen gehört haben, die er vorher ziemlich laut über ihn gemacht? – Was thut's denn? Er mochte ihn zur Rede stellen, desto besser – an kurzer, derber Antwort sollt' es nicht fehlen. Herr Hobelmann kam näher. Jetzt war er nur noch zwei Schritt entfernt – er bog weder rechts noch links aus – jetzt noch einen – der Hauptmann maß ihn trotzig mit den Augen – jetzt streckte er den Arm aus, und Hauptmann von Stimbeck fühlte, wie ihm etwas Papiernes in die Hand gedrückt wurde. – War das die Karte seines vermeintlichen Gegners? – und das »confiscirte Gesicht« nickte dazu so gnädig. Im nächsten Augenblick war Hobelmann durch die Thür verschwunden, während Stimbeck seine Hand gegen eine der nächsten Lampen öffnete.

»Tod und Teufel!« knirschte er dabei zwischen den zusammengebissenen Zähnen – »ob mir der Schuft nicht einen Kassenschein in die Hand gedrückt, als ob ich ein Bedienter wäre –« und in aufloderndem Jähzorn wollte er dem unglücklichen Manne nach. Hier aber vertrat ihm Franz den Weg, und seine Hand ergreifend, bat er dringend:

»Ich ersuche Sie um Gottes willen, lieber Hauptmann, machen Sie hier keine Scene. Der alte Herr war so fidel und hat so viel getanzt, daß ihm der starke Wein, den er gleich darauf getrunken, wohl ein wenig in den Kopf gestiegen ist. Ich wies ihn an den Bedienten, der hinter Ihnen stand, um seinen Ueberzieher von dem zu fordern, und wahrscheinlich hat er gar nicht mehr gesehen, wen er vor sich hatte, und war nur froh, daß er die Thür erreichte.«

»Ich werde es ihm streichen,« brummte der Hauptmann in den Bart hinein. »Wo wohnt der Mensch?«

»Ich sage Ihnen später seine Adresse. Lassen Sie ihn wenigstens erst ausschlafen. Außerdem hat Sie mein Onkel schon überall gesucht – Sie sollen einen Hochheimer Ausbruch mit ihm probiren.«

»Alle Wetter, da steh' ich zu Diensten! Aber ich kann das Geld doch nicht behalten? Wenn ich dem Tölpel seinen Thalerschein nur gleich in's Gesicht geworfen hätte.«

»Der Hochheimer Ausbruch wartet. Geben Sie das Geld dem ersten besten Diener, dem Sie begegnen.«

»Nein – verdammt,« sagte der Hauptmann, indem er es in die Westentasche steckte, »daß der Bursche am Ende noch glaubte, ich hätte es behalten? Das soll er mit gehörigem Protest zurückbekommen. Wie sind Sie nur an das Ungethüm gerathen, Kettenbrock? So viel ich weiß, haben Sie ihn uns doch heut Abend zugeführt.«

»Später erzähle ich Ihnen einmal die ganze Geschichte, mein bester Hauptmann – jetzt wartet der Onkel und mit ihm der Wein, und die vertragen alle beide keine Versäumniß.«


VI.

Franz Kettenbrock, wie er mit dem wenigstens für jetzt beruhigten Hauptmann durch den Saal schritt, konnte es aber nicht entgehen, daß unter den bis dahin so steifen und förmlichen Gästen ein ganz reges Leben herrsche. Kaum war der Tanz beendet, als sich überall kleine Gruppen sammelten, und die Frau Steuerräthin, der junge Helmerdieck, wie die beiden Fräulein von Losenbrett und Bomershausen fuhren dazwischen hin und her und theilten den verschiedenen Parteien ihre Entrüstung über den Fremden mit, über den sie fest entschlossen waren, von Franz Kettenbrock genügende Auskunft zu verlangen. Die jungen Leute dagegen, die heimlich ihre herzinnige Freude an dem Zorn der älteren Damen hatten, standen ebenfalls in kleinen Trupps kichernd beisammen, und jedenfalls war das Eis gebrochen, das sonst derartige Gesellschaften mit seiner kalten, glatten Fläche überzieht.

Hobelmann, ein so ungeselliger Bursche er an und für sich auch sein mochte, hatte, wenn auch ganz unfreiwillig, die Laune der Anwesenden erweckt, und der alte Regierungsrath, bis dahin ohne die geringste Ahnung von der Ursache dieser freudigen Veränderung, traf mit einem innig vergnügten Gesicht, an der Thür des kleinen Cabinets, mit Franz und dem Hauptmann zusammen, schüttelte Beiden die Hände und versicherte ihnen, er wisse sich der Zeit nicht zu erinnern, wo er eine so lebendig bewegte Gesellschaft bei einander gesehen habe.

»Es geht auch heute in der That ungewöhnlich munter her,« sagte der Hauptmann, »ich weiß selber nicht, wann ich's so gesehen hätte. Die jungen Damen kichern und lachen da mit einander, daß es eine wahre Lust ist.«

»Was sie nur haben, die lieben Dinger,« schmunzelte der Regierungsrath – »und Adele kenne ich heute gar nicht wieder, sie ist ganz ausgelassen, während Fränzchen ihre sonstige stille Rolle übernommen hat.«

»Das arme Fränzchen haben sie mir geneckt,« meinte der Hauptmann, »und daran ist Niemand weiter schuld, wie jener vertracte, ungeschickte Bursche, den uns der Franz heute über den Hals gebracht.«

»Der Fremde?« rief der Regierungsrath erstaunt; »apropos, Junge, wo ist denn Dein Freund? Ich habe Dir doch gesagt, Du solltest ihn mit zum Weine bringen.«

»Er läßt sich entschuldigen, bester Onkel,« erwiderte Kettenbrock. »Er kann das lange Aufbleiben nicht leiden und ist heimgegangen.«

»Heim? – um elf Uhr schon? wäre nicht übel – und nicht einmal einen Imbiß angenommen. Doch es ist seine eigene Schuld und kein Mensch kann etwas dafür. Jetzt, Kinder, sollt Ihr aber noch vor der Tafel ein Gläschen Hauptwein kosten.«

»Soll ich unseren jungen Doctor nicht dazu holen?« unterbrach ihn Franz.

»Den Helmerdiek?« sagte der Regierungsrath und warf seinem Neffen einen eigenthümlichen Blick zu, »ich fürchte beinahe, der hat schon zu viel Feuer im Kopf und der Hochheimer verdreht ihn mir ganz. Aber meinetwegen hol' ihn. Es scheint mir ein ordentlicher Mann zu sein, und ich mag ihn bis jetzt ganz wohl leiden.« Der alte Herr war vortreffliches Humors, und der kostbare Rheinwein diente nicht dazu, seine Laune herabzustimmen. Auch das bald servirte Souper wurde heiter belebt. Hobelmann aber, danach zu urtheilen, wie man von ihm sprach, war gerade zur rechten Zeit verschwunden. Am ärgsten wüthete die Steuerräthin gegen den Grafen Hobelmann, und nur die Königin von Birma, durch die unterschriebenen zehn Louisd'or geblendet, nahm einigermaßen seine Partei.

Aber selbst Herrn Hobelmann vergaß man, als nach der Tafel die Tische bei Seite geschoben wurden und die lockenden Töne der Instrumente das junge Volk zu neuem Tanze riefen.

Die Frau Commerzienräthin allein behielt den »Grafen« auch nach aufgehobener Tafel noch im Gedächtniß, und in der natürlichen Sorge, die gezeichnete Summe baar in ihre Kasse »für die armen Heidenkinder« zu bekommen, bat sie den jungen Kettenbrock um die versprochene Adresse. Franz suchte ihr anfangs auszuweichen, aber sie ließ nicht nach, und um die Sache nicht weiter zu treiben und etwa gar an die Oeffentlichkeit zu bringen, was ihm seines Onkels wegen fatal gewesen wäre, gab er ihr endlich einen andern Stadttheil mit irgend einer beliebigen Hausnummer an. Dadurch glaubte er sich vollkommen dagegen gesichert, daß sie den Grafen Hobelmann etwa auffände, und setzte sie ihn später selber über die nicht erfüllte Verbindlichkeit zur Rede, so ließ sich wohl ein Ausweg finden, den Grafen vorläufig zu entschuldigen und die Sache hinauszuschieben. Franz Kettenbrock kannte jedoch, in Allem was ihre »milde und heilige Stiftung« betraf, die Hartnäckigkeit der Frau Commerzienräthin noch nicht.

Herr Hobelmann war indessen von dem ihm beigegebenen Diener durch den Garten aus dem Haus und auf einem kleinen Umweg bis zum Markt geführt worden, wo sich der würdige Mann bald orientirte, seinem Führer ein kleines Trinkgeld gab und, sehr zufrieden mit der Benutzung seines Abends, eben der eigenen Wohnung zugehen wollte. Der Bursche hatte sich aber auf eigene Hand das Vergnügen gemacht, ihn wieder nach vorn, genau vor das Haus zu führen, das er vor einer Viertelstunde etwa durch die Hinterthür verlassen, und die hell erleuchteten Fenster wie die Musik fielen Herrn Hobelmann auf.

»Wer wohnt da, wo die Musik ist?« frug er den Bedienten.

»Der Herr Regierungsrath Kettenbrock, zu dienen.«

»Hm – Kettenbrock? – Kettenbrock? – hat auch Ball?« – sagte Herr Hobelmann, dem der Name auffiel.

»Sein Neffe ist nach langer Abwesenheit zurückgekommen, und da wird ein kleines Familienfest gefeiert.«

»So? – hm – na gute Nacht,« und mit den Worten kehrte sich Herr Hobelmann ab und schlenderte der Richtung zu, in der er jetzt sein eigenes Quartier wußte. Der Bediente aber blieb noch kurze Zeit vor der hell erleuchteten Etage des Regierungsraths stehen, und erst als der Fremde um die nächste Ecke verschwunden war, nahm er seinen Schlüssel aus der Tasche, öffnete still vor sich hinlachend die Thür und tauchte ebenfalls in das Innere des Hauses ein.

Herr Hobelmann, mit keiner Ahnung übrigens, welchen Zwecken er den Abend gedient haben könnte, schlief die Nacht ganz ausgezeichnet, und erwachte am nächsten Morgen etwas später als sonst für seine Geschäfte. Um neun Uhr brütete er aber doch schon wieder über einem tüchtigen Stoß Acten, und ging erst im Laufe des Nachmittags aus, um eine Stunde lang frische Luft zu schöpfen.

Um Yvenburg ringelte sich eine sehr hübsch arrangirte und gut unterhaltene Promenade, die Vorstädte von der eigentlichen Stadt trennend und den in ihre hohen Häuser eingeengten Städtern Luft, Licht und Schatten gewährend. Schmale Wege zogen sich, hier in einander laufend, dort wieder nach verschiedenen Richtungen auszweigend, neben einander hin und wurden an schönen Abenden von den Bewohnern Yvenburgs auf das Lebhafteste frequentirt.

Hobelmann hatte übrigens andere Dinge im Kopf, als sich viel um die ihm fremden Bewohner von Yvenburg zu bekümmern. Deshalb, die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf etwas gesenkt, war er schon eine ganze Weile achtlos dahingeschritten, als er plötzlich mit einer ihm gerade entgegenkommenden Dame fast zusammenrannte. Wie er aber den Kopf hob, sah er sich Auge in Auge mit der Frau Steuerräthin, die ihn kaum erkannte, als sie ihm einen majestätischen Blick der Verachtung zuschleuderte und dann vorüberrauschte.

Im ersten Moment und in dem Gefühl, ein bekanntes Gesicht vor sich zu haben, griff Herr Hobelmann nach seinem Hut; im folgenden Augenblick aber, als mit der Erinnerung an gestern Abend die Gestalt der Dame Form und Namen erhielt, erschrak er ordentlich.

Jene ungarische Gräfin, die sich für eine Steuerräthin hielt, auf offener Straße? – Jedenfalls hatte sie also gestern Abend eine unbewachte Gelegenheit wahrgenommen und war entsprungen – in dem Kleiderstaat, den sie auch heute trug, konnte sie recht gut gerade vom Balle kommen – und Herr Hobelmann blieb im ersten Augenblick, vollkommen unschlüssig über das, was er thun solle, stehen und sah ihr nach. Sein Gefühl für bürgerliche Sicherheit und Gerichte ließ ihn aber nicht lange in Zweifel, und die Frau Steuerräthin, die es sich nicht versagen konnte zurückzuschauen, ob der »freche Graf« durch den ihm zugeschleuderten Blick auch wirklich vernichtet sei, bemerkte zu ihrem unbegrenzten Erstaunen, daß er umdrehe und ihr folge. – Wollte er sie anreden? – ha, er sollte nur kommen, – sie fühlte sich gerade in der Stimmung, ihm mit kalten, dürren Worten zu sagen, wie sehr sie ihn geringschätze.

Obgleich sie sehr langsam ging, überholte sie aber der vermeintliche Graf doch nicht, sondern blieb in gleicher Entfernung hinter ihr, und als sie eine an ihr vorbeigehende Dame benutzte, den Kopf zurückzuwenden, sah sie sogar, daß der Unverschämte mit einem gerade dort stehenden Polizeidiener sprach und auf sie deutete.

Der liebe Gott nur weiß, weshalb sie dabei so erschrak, aber sie wurde leichenblaß, und war sie früher langsam gegangen, so verdoppelte sie jetzt ihre Schritte, dem verhaßten Menschen zu entkommen. Der Polizeidiener blieb aber nicht allein hinter ihr, sondern überholte sie sogar, und als er an ihr vorüberging, als ob er irgend ein anderes Ziel verfolge, drehte er sich nach ihr um und sah ihr in's Gesicht – dann ging er wieder langsamer, ließ sie vorbei und hielt sich nur in ihrer Nähe.

Herr Hobelmann dagegen, der jetzt glaubte, seiner Pflicht genügt zu haben, indem er die Polizei auf ein der Gesellschaft gefährliches Individuum aufmerksam gemacht, zugleich aber auch mit der Sache weiter nichts zu thun haben mochte, drehte wieder um, um seinen vorhin begonnenen und durch die Steuerräthin unterbrochenen Weg fortzusetzen. Er hatte die Dame auch in der That schon beinahe vergessen, als er auf eine so eigenthümliche als wirksame Art auf's Neue an sie erinnert wurde.

»Ach, mein lieber Herr Graf,« redete ihn eine ältliche Dame in einem mit großen Blumen besäeten Hut und in größte Toilette gekleidet an, indem sie auf ihn zutrat und, als er an ihr vorbeischlüpfen wollte, seinen Arm berührte, »das ist ja ein sehr glücklicher Zufall, der mich Sie hier finden läßt. Mein Mädchen ist heute Morgen nach dreistündigem Umherlaufen nach der mir von Franz gegebenen Adresse nicht im Stande gewesen, Sie aufzufinden. – Auch auf der Polizei war es nicht möglich, den Herrn Grafen zu erfragen, und ich wollte mir eben noch einmal Ihre richtige Adresse geben lassen.«

»Die Königin von Birma!« dachte Hobelmann erschreckt. »Gleichfalls ausgekniffen? Die beiden Frauenzimmer müssen zusammen davongelaufen sein – das ist wirklich eine schöne Aufsicht in der Anstalt.«

»Sie kennen mich am Ende gar nicht mehr?« lächelte die Frau Commerzienräthin, als sie sein bestürztes Gesicht bemerkte.

»Oh, ja wohl, Majestät,« sagte Herr Hobelmann, noch unschlüssig, ob er die Unglückliche sofort in Person festhalten und um Hülfe rufen, oder sie ebenfalls – wie vorhin die ungarische Gräfin – ungesehen verfolgen und dem ersten ihm begegnenden Polizeidiener anempfehlen solle. Natürlich mußte er nur jetzt noch, so lange sie in Freiheit war, auf ihre vermeintlichen Ideen eingehen. »Ich werde so leicht die Ehre nicht vergessen, bei Ihnen Audienz erhalten zu haben.«

»Ja – um's Himmels willen,« sagte die Frau Commerzienräthin erschreckt, »für wen – für wen halten Sie mich denn?«

»Majestät können, wenn Sie nicht erkannt sein wollen,« sagte Herr Hobelmann, der das Erstaunen ganz falsch verstanden, »auf meine volle Diskretion rechnen.«

»Der Graf ist verrückt geworden; er ist rein übergeschnappt,« dachte die bestürzte Dame und wollte sich schon mit einer Verbeugung zurückziehen – aber die zehn Louisd'or konnte sie doch nicht im Stiche lassen, und mit nur etwas ängstlicher Stimme sagte sie:

»Sie erinnern sich doch, daß Sie gestern Abend so freundlich waren, eine kleine Summe zum Besten der heidnischen Waisen zu unterschreiben?«

»Allerdings,« erwiderte Herr Hobelmann ohne den mindesten Rückhalt, denn ein Widerspruch hätte ihm hier auf der Straße eine heftige Scene bereiten können – »mit dem Wunsche, daß das Geld segensreiche Früchte tragen möge.«

»Er ist doch am Ende nicht verrückt,« sagte sich die Frau Commerzienräthin. »Um Ihre werthe Adresse dürfte ich Sie dann wohl bitten,« fügte sie laut hinzu, »wenn Sie das Geld nicht gerade bei sich haben sollten.«

»Hm,« dachte Herr Hobelmann – »so viel Verstand besitzt sie doch, daß sie das nicht vergessen hat. Geld kann sie aber nicht bekommen, lieber halt' ich sie mit der Adresse hin.«

»Majestät,« sprach er also, »Geld habe ich im Augenblick in der That nicht bei mir, die Adresse steht Ihnen aber mit Freuden zu Befehl, und es wird mir eine Ehre sein, dieselbe von Ihnen einzulösen.«

»Er ist doch verrückt,« dachte die Commerzienräthin – »wenn ich nur erst meine zehn Louisd'or von ihm hätte.« Dabei nahm sie die ihr gereichte Karte, dankte Herrn Hobelmann und suchte so rasch als möglich aus der ihr unheimlich werdenden Nähe des Mannes zu kommen. Kaum war sie aber ein paar Schritte von ihm entfernt, als sie auch einen verstohlenen Blick auf die Karte warf und zu ihrem Erstaunen dort keinen Grafentitel, sondern nur die einfachen Worte las:

 

G. Hobelmann,
Advocat und Notar,

 

und darunter war mit Bleistift geschrieben,

Nr. 17, Ecke der Kreuzgasse und Neuen Straße.

Wie hing das zusammen? Aber es ließ sich auch erklären: das G. vorn bedeutete den Grafen, verschwieg aber den Rang, weil sich derselbe nicht wohl mit der Beschäftigung eines Advocaten vertrug. Was aber hatte ihn so zurückgebracht, daß er sich sein Brod mit einer seinem Rang so wenig entsprechenden Berufsart verdienen mußte? Und war er zurückgekommen, wie konnte er da, ächt gräflich, zehn Louisd'or für einen wohlthätigen Zweck unterschreiben? – Sie warf einen noch immer zweifelhaften Blick über ihre Schulter nach dem räthselhaften Grafen zurück und sah jetzt, daß er stehen geblieben war und ihr nachschaute. Aber wenn er kein Geld bei sich hatte, konnte ihr auch seine Person nichts nützen. Sie besaß ja nun seine richtige Adresse und er war ihr gewiß.

Hobelmann übrigens folgte ihr, wie sie sich abdrehte, gerade so wie der Steuerräthin, um sie ebenfalls sicheren Händen zu überliefern, als er plötzlich durch eine neue Erscheinung zurückgehalten wurde. Aus dem andern Gang nämlich kam eine ganze Gesellschaft lachend und scherzend heraus, und als er einen flüchtigen Blick hinüberwarf, wollte er seinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Vor sich nämlich sah er die beiden hübschen jungen Mädchen von gestern Abend – mit der Einen hatte er selber getanzt – sah er außerdem jenes Fräulein von Losenbrett, die ihnen die entsetzlichen Gedichte vorgelesen, und noch eine andere Dame, auf deren Namen er sich nicht gleich besinnen konnte. Daß sie aber mit in die Anstalt gehöre, hätte er beschwören können, und zum Ueberfluß ging der junge unbändige Mensch, vor dem ihn sein Führer besonders gewarnt hatte, mit ihnen. Dieser Irrsinnige lachte und erzählte und that gar nicht, als ob er jeden Augenblick beim Kragen genommen und wieder zurück unter Schloß und Riegel geschafft werden könne.

Aber war denn das ganze Irrenhaus heute ausgebrochen? Denn daß man solchen Leuten gestattete, frei umher zu gehen und ihre Mitmenschen zu gefährden, ließ sich doch nicht denken. Fast unwillkürlich nahm er auch den Hut vor der Gesellschaft ab, die ihn ebenfalls erkannte, und schritt rasch vorüber. – Die Königin von Birma hatte er ganz vergessen.

»Das ist eine wunderliche Geschichte,« brummte er in sich hinein. »Kein Gefangenwärter, kein Polizeidiener in der Nähe, und hier auf öffentlicher Promenade ein ganzer Trupp von Wahnsinnigen. – Aber was kümmert es eigentlich mich? Wenn sich Die, die es angeht, nicht daran kehren, brauch' ich mir auch keine Sorge weiter deshalb zu machen. Der alte Medicinalrath mag aber eine schöne Nase bekommen, wenn die Sache ruchbar wird.«

In solchen Gedanken und ganz mit den eben gesehenen Leuten beschäftigt, blieb er endlich stehen, als diese an ihm vorbeigegangen waren, und wußte jetzt wirklich nicht, was er thun solle: nach Hause gehen und sich weiter gar nicht um das Geschehene kümmern, oder die Flucht der Wahnsinnigen anzeigen. Gerade aber war er mit sich im Reinen, das erstere zu befolgen, als ein langer breitschultriger Herr mit einem großen Schnurrbart auf ihn zukam und sagte:

»Apropos, mein Herr, Sie treffe ich hier zur guten Stunde.«

»Ich weiß nicht, daß ich das Vergnügen hätte, Ihre werthe Bekanntschaft –« stammelte Herr Hobelmann, von der rauhen Anrede verblüfft.

»Wir waren gestern Abend zusammen in Gesellschaft beim Regierungsrath Kettenbrock,« unterbrach ihn aber der mit dem Schnurrbart, »und dort hatten Sie die Unverschämtheit, mir, als Sie gingen, nachdem Sie fast alle Damen der Gesellschaft beleidigt, einen Thalerschein in die Hand zu drücken. Herr, für wen halten Sie mich?«

Bei diesen Worten nahm der Ergrimmte das sorgfältig aufbewahrte Papier aus der Tasche und hielt es dem bestürzten Herrn Hobelmann unter die Nase.

Herr Hobelmann wollte eben dagegen protestiren, daß er je in einer Gesellschaft bei einem Herrn Kettenbrock gewesen wäre, als er die Persönlichkeit, den langen Mann mit dem großen Schnurrbart, wieder erkannte. Vor der trotzigen Anrede und dem finstern Blick übrigens einen Schritt zurückweichend, sagte er freundlich:

»Sehr verehrter Herr, es ist mir außerordentlich beruhigend, daß ich Sie gerade jetzt, und jener Gesellschaft folgend, treffe. Was übrigens den Kassenschein betrifft, so hatte ich nicht die entfernteste Absicht, Sie zu beleidigen, sondern wollte Ihnen nur, als dem Krankenwärter der Anstalt, ein Trinkgeld geben. Heute scheinen indessen alle Ihre Kranken –«

»Herr, sind Sie verrückt?« unterbrach der Hauptmann den Andern, indem er ganz bleich vor Wuth wurde. »Aber diesen Schimpf sollen Sie mit Ihrem Blute bezahlen. Ich ein Krankenwärter? – Tod und Teufel! Wo ist Ihre Wohnung, Herr?«

»Aber ich begreife Sie nicht –«

»Wo ist Ihre Wohnung, Herr – geben Sie mir Ihre Karte, oder Sie reizen mich, etwas zu thun, das ich später vielleicht bereuen würde,« flüsterte der Hauptmann, und Herr Hobelmann bemerkte zu seinem Schrecken, wie der Fremde vor verhaltener Wuth förmlich blau im Gesicht geworden war. Von einem so entsetzlich aufgeregten Menschen ließ sich das Schlimmste erwarten, und um nicht auf offener Promenade angefallen zu werden, gab er ihm rasch die verlangte Karte. Damit hatte er aber auch jeder Anforderung, die der Beleidigte in diesem Augenblick an ihn stellen konnte, genügt, und der Hauptmann sagte, indem er ihm verächtlich den Rücken wandte:

»Sie werden heut Abend von mir hören, da – nehmen Sie!« – und mit den Worten, indem er dem bestürzten Herrn Hobelmann seine eigene Karte und den Papierthaler in die Hand drückte, schritt er, ohne den verdutzten Advocaten weiter eines Blickes zu würdigen, die Promenade eilig hinab. Herr Hobelmann aber sprach bestürzt vor sich hin:

»Wenn der nicht toller ist, wie irgend einer der seiner Zucht anvertrauten Patienten, so will ich selber dort eingesperrt werden. Jetzt aber habe ich die Geschichte satt, und bis die ganze Bande nicht wieder eingefangen ist, setze ich keinen Fuß mehr vor die Thür.«

Damit bog er seitwärts der Stadt zu und in eine kleine Seitenstraße ein, und eilte so rasch er konnte seiner Wohnung zu.


VII.

Dort angekommen, suchte er aber unverzüglich seinen Wirth, den Geheimrath von Pottlitz, auf, um diesem die Begebnisse des letzten Abends und heutigen Tages zu erzählen und ihn um seinen Rath zu fragen, wie er sich dabei zu verhalten habe. Der alte Herr hörte ihm aufmerksam zu, schüttelte dabei erst langsam, dann jedoch bedenklicher mit dem Kopfe, und sagte endlich, als Herr Hobelmann fertig war und ihn erwartungsvoll ansah:

»Hören Sie, mein guter Herr Hobelmann, das ist eine höchst wunderliche Geschichte, die Sie mir da erzählen. Vor allen Dingen möchte ich Ihnen aber Eins bemerken. Wir haben hier allerdings ein Irrenhaus, eine Privatanstalt, aber eine gute Stunde von der Stadt entfernt und weit außerhalb des Droschkenbezirks. Sind Sie gestern Abend dort gewesen?«

»Gott bewahre,« sagte Herr Hobelmann, »die Anstalt muß in der unmittelbaren Nähe der Stadt liegen, oder vielmehr in der Vorstadt da drüben. Wir sind keine zehn Minuten gefahren, und ich bin den Weg dann in nicht ganz einer Viertelstunde zurückgegangen.«

»Und bei wem sagte Ihr vermeintlicher Krankenwärter, daß sie einander gestern Abend in Gesellschaft begegnet waren?«

»Der faselte von einem Regierungsrath Kettenbork oder Kettenbrock.«

»Und wer hat Sie in jene Anstalt eingeführt?«

»Ein junger Mann, ein gewisser Doctor Franz, ein Neffe des alten Obermedicinalraths. Er nannte ihn auch Onkel.«

»Und die ganze Gesellschaft haben Sie heut Abend auf der Promenade getroffen?«

»Die ganze Gesellschaft allerdings nicht, aber wenigstens sechs oder sieben Personen davon.«

»Soll ich Ihnen jetzt meine Meinung sagen?«

»Ich bitte Sie darum.«

»Gut. Jener Herr Doctor Franz hat sich einen, allerdings ziemlich derben Spaß mit Ihnen erlaubt und Sie in eine ganz vernünftige, gewöhnliche Abendgesellschaft gebracht, unter dem Vorwande, Sie in ein Irrenhaus zu führen.«

»Aber das ist nicht möglich!« rief Herr Hobelmann entrüstet aus. »Die Königin von Birma –«

»Erlauben Sie mir,« unterbrach ihn der alte Geheimrath. »Wir haben hier in der Stadt eine mit Kettenbrocks sehr befreundete und, wenn ich nicht irre, auch verwandte Dame, eine Commerzienräthin Brummer, die in der ganzen Stadt herumläuft und für die Heidenkinder in Birma Collecten sammelt. Ihre ganze Beschreibung paßt auf die Dame ausgezeichnet.«

»Aber das ist ja gar nicht möglich!« rief Herr Hobelmann.

»Ebenso findet sich eine Frau Steuerräthin Fischbach, die dort aus- und eingeht und verwandt mit Kettenbrocks ist.«

»Bei voller Vernunft?«

»Ich möchte Ihnen wenigstens nicht rathen, sie ahnen zu lassen, daß Sie das Gegentheil vermuthen.«

»Aber meine Steuerräthin soll eine ungarische Gräfin sein?«

»Unsinn! Ihr »Doctor Franz« hat Ihnen das mit dem Uebrigen aufgebunden. Wenn Sie am Ende wirklich gestern Abend unter solchen Auspicien bei Kettenbrocks in Gesellschaft gewesen wären, so erführ' es heute die ganze Stadt und Sie würden zum Gespött der Leute.«

»Kettenbrocks – unmöglich!« sagte Herr Hobelmann; »wie wir auf den Markt kamen, sah ich eine erleuchtete Etage und hörte Musik und frug den Diener, der mich geführt hatte, wer da wohne, und der sagte mir, wie ich mich jetzt recht genau entsinne, daß ein Ball bei Kettenbrocks sei.«

»Dann begreif' ich nicht, wo Sie gewesen sein können,« erwiderte kopfschüttelnd der Geheimrath. »So viel aber ist sicher, in einer Irrenanstalt waren Sie nicht, sondern bei ganz vernünftigen Leuten. Auch wer Sie zur Zielscheibe seines Witzes gemacht haben kann, ist mir ein Räthsel, denn so viel ich weiß, kennen Sie ja noch keine Seele in der Stadt.«

»Es ist ein Bedienter draußen, der den Herrn Hobelmann zu sprechen wünscht!« meldete in diesem Augenblick das Dienstmädchen, das den Kopf zur Thür hereinsteckte.

»Mich?« sagte Herr Hobelmann erschreckt.

»Ja, ich weiß es nicht,« versetzte das Mädchen – »er frug nach einem Herrn Grafen Hobelmann und zeigte mir die Karte hier.«

»Das ist von der verrückten Gesellschaft,« rief der Advocat bestürzt. »Sie nannten mich dort Graf.«

»Dann lassen Sie den Diener hereinkommen,« sagte der Geheimrath. »Wahrscheinlich erfahren wir jetzt, woran wir mit der ganzen Sache sind.«

Der Bursche trat ein und überreichte dem die Hand danach ausstreckenden Geheimrath ein Papier – die Herrn Hobelmann nur zu gut bekannte Subscriptionsliste vom gestrigen Ball – auf der dessen Autograph unleugbar mit zehn Louisd'or verzeichnet stand.

»Haben Sie das geschrieben?« fragte ihn der Geheimrath.

»Allerdings,« sagte Herr Hobelmann, – »aber –«

»Erlauben Sie einmal,« unterbrach ihn jedoch der Geheimrath – sich dabei an den Diener wendend, der indessen einen Bleistift aus der Tasche genommen hatte, um augenblicklich nach empfangener Zahlung das Dedit-Zeichen an die Liste zu machen – »wo war die Frau Commerzienräthin gestern Abend in Gesellschaft, mein Freund?«

»Beim Regierungsrath Kettenbrock,« sagte der Mann.

»Es war große Gesellschaft dort?«

»Ja – wurde auch getanzt – der junge Herr Franz, der Neffe des alten Herrn, ist vor ein paar Tagen von Amerika zurückgekommen, und da –«

»Franz?« unterbrach ihn rasch Herr Hobelmann – »ein junger Mann mit einem leichten Schnurrbart und etwas brauner Gesichtsfarbe?«

»Gewiß,« sagte der Bediente, der mit bei Kettenbrocks aufgewartet hatte, »Sie kennen ihn ganz gut, Herr Graf – Sie sind ja gestern den ganzen Abend mit ihm im Saal herumgegangen.«

Herr Hobelmann wäre fast auf seinen Stuhl zurückgesunken, von Pottlitz aber sagte:

»Der alte Regierungsrath ist sein Onkel – und dieses Haus gehörte früher ihm. Erst vor einem halben Jahre etwa habe ich es ihm abgekauft und bin hierher gezogen.«

»Und der Neffe ist vor zwei oder drei Tagen Morgens ganz früh eingetroffen?«

»Ja wohl,« sagte der Bediente – »er hatte den alten Herrn überraschen wollen und war erst in ein falsches Haus gekommen. Die Frau Commerzienräthin erzählte die Geschichte.«

»Hm,« sagte Herr Hobelmann, ganz in Gedanken, indem er eine Visitenkarte aus seiner Westentasche nahm und dem Bedienten vorhielt, »können Sie mir dann auch vielleicht sagen, wer der Herr ist, dessen Name darauf steht?«

»Sehr gern,« erwiderte der gesprächige Bursche – »der Herr Hauptmann von Stimbeck – sein Bruder hat eine Schwester des Herrn Regierungsraths geheirathet, und die Herrschaften leben in Berlin.«

»Danke Ihnen,« sagte Herr Hobelmann, indem er die Karte wieder einsteckte und die Subskriptionsliste zusammenfaltete. »Wollen Sie einen Augenblick warten? – ich werde Ihnen ein paar Zeilen für die Frau Commerzienräthin mitgeben.«

»Was wollen Sie thun?« frug der Geheimrath erstaunt.

»Ich bin gleich wieder bei Ihnen,« sagte aber Herr Hobelmann und verließ das Zimmer. Nach einigen Minuten schon kehrte er jedoch mit einem kleinen Brief zurück, den der Bediente aber noch unschlüssig in der Hand behielt, denn er hatte den festen Auftrag bekommen, nicht ohne das unterschriebene Geld zurückzukehren.

»Die Anweisung liegt in dem Briefe,« sagte der Advocat ruhig – »meine schönste Empfehlung an die Frau Commerzienräthin.«

»Sie haben das Geld geschickt?« fragte Herr von Pottlitz, als der Bediente das Zimmer verlassen hatte, um zu seiner Herrin zurückzukehren.

»Ist mir nicht eingefallen,« erwiderte Herr Hobelmann.

»Die Frau Commerzienräthin wird Ihnen kaum Ruhe lassen.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Geheimrath,« nahm jetzt mit fast feierlicher Stimme Herr Hobelmann das Wort. »Unsere Geschäfte sind so weit abgewickelt, daß wir das Uebrige recht gut schriftlich erledigen können.«

»Sie wollen fort?«

»In einer Stunde geht der Schnellzug nach Berlin, und den gedenke ich zu benutzen,« erwiderte auf das Entschiedenste Herr Hobelmann.

»Aber was um Gottes willen –«

»Erlauben Sie mir,« unterbrach ihn Herr Hobelmann, »ich durchschaue die ganze Sache und bin keinesfalls gewillt, der Gesellschaft hier zum Gespött zu dienen. Diesen Herrn Franz Kettenbrock kaufe ich mir vielleicht ein ander Mal, denn er ist derselbe Bursche, der mir aus Versehen neulich Morgens früh in's Zimmer gebrochen –«

»Sie glauben?«

»Ich weiß es gewiß, und der aus Aerger, daß ich ihn so hart abgefertigt, nur diesen Streich gespielt hat. Das aber ganz abgerechnet, daß ich eine höchst unangenehme Rolle dort gespielt, käme ich, bliebe ich hier, nicht allein in die Verlegenheit, die zehn Louisd'or zu bezahlen, sondern könnte mich auch noch zum Ueberfluß mit Herrn Hauptmann von Stimbeck schlagen, der die größte Lust zu haben scheint, mir an den Kragen zu kommen.«

»Aber was in aller Welt haben Sie mit dem gehabt?«

»Nur eine Kleinigkeit, die ich Ihnen aber jetzt nicht mehr auseinandersetzen kann, denn ich muß meinen Koffer packen.«

»Und der Brief an die Frau Commerzienräthin?«

»Enthielt eine Anweisung an Herrn Franz Kettenbrock vom »Grafen Hobelmann«, wie er so freundlich war mich in jener Gesellschaft einzuführen, jene zehn Louisd'or für die heidnischen Unterröcke und Strümpfe auszuzahlen. Ich bin nicht solch ein Esel, mein gutes Geld an derlei Unsinn wegzuwerfen.«

»Er wird sich weigern.«

»Dann mag er es mit der Frau Commerzienräthin ausfechten. Ueberdies war die Sache ein Betrug und ich könnte ihn dafür gerichtlich belangen.«

»Mein bester Herr Hobelmann –«

»Fürchten Sie nicht, daß ich solch ein Thor bin,« sagte aber der Advocat, »Herr Kettenbrock würde die Lacher auf seiner Seite haben. Uebrigens mag er für den Spaß jetzt zehn Louisd'or bezahlen, denn wie ich die Frau Commerzienräthin kennen gelernt habe, glaube ich nicht, daß sie nachgiebt, bis sie das Geld in Händen hat. Ich wollte nur, ich hätte zwanzig unterschrieben.«

Der Geheimrath lachte; Herr Hobelmann war aber in keiner Stimmung, sich einer gleichen Fröhlichkeit hinzugeben, sondern verließ rasch das Zimmer, um sein Gepäck in Ordnung zu bringen, und eine halbe Stunde später – zum unbegrenzten Erstaunen des Dienstmädchens über die so plötzliche Abreise – das Haus. Er war auch nicht um viel Minuten zu früh gegangen, denn gleich nachher kam der Bediente der Frau Commerzienräthin noch einmal, und am spätern Abend erschien ein fremder, militärisch aussehender Herr, der ebenfalls nach Herrn Advocat Hobelmann fragte, aber jetzt, der Anordnung nach, bedeutet werden mußte, daß der Herr – auf unbestimmte Zeit verreist sei.


VIII.

»Hör' einmal, Franz,« sagte der Regierungsrath Kettenbrock am nächsten Tag zu seinem Neffen, als er mit ihm und seinen beiden Nichten bei Tische saß, »was ist denn das für eine Geschichte mit Deinem Grafen Hobelmann oder Herrn Hobelmann? – Ich werde aus dem Allen nicht klug, und die Frau Steuerräthin und Fräulein von Losenbrett, der Hauptmann, Dein Freund der Doctor, und jetzt sogar auch noch die Frau Commerzienräthin laufen mir das Haus ein, um sich theils über den Menschen zu beklagen, theils sich nach ihm zu erkundigen. Die Frau Commerzienräthin war sogar vor einer Stunde hier und wollte von Dir zehn Louisd'or für ihn haben.«

»Wirklich?« lachte Franz.

»Das scheint mir ein sonderbarer Kauz zu sein. Wo hast Du ihn denn eigentlich kennen gelernt?«

»Ich, lieber Onkel? – ich kannte ihn gar nicht.«

»Gar nicht? – Du hast ihn doch bei uns eingeführt.«

Franz lachte. »Und der Doctor hat sich auch über ihn beklagt?«

»Er war wüthend auf ihn, wollte aber nicht recht mit der Sprache heraus. Ich glaube, der Fremde hat Fränzchen mit Etwas beleidigt.«

»Mein Freund aus dem Nicht-Rauchcoupé scheint sich für mein Bäschen zu interessiren, daß er ihre Partei so blindlings nimmt,« bemerkte Franz, während er seiner Cousine einen Seitenblick zuwarf.

Die beiden jungen Mädchen hatten sich, als Herr Hobelmann erwähnt wurde, angesehen und gelacht. Des Vetters Worte trieben aber das Blut blitzesschnell in Fränzchen's Wangen.

»Vetter,« rief sie aus – »ich hätte eigentlich Ursache, auf Dich böse zu sein, daß Du uns den fatalen Fremden in's Haus gebracht.«

»Um von etwas Anderem zu reden, nicht wahr?« lachte Franz; »wenn ich es aber nun gethan hätte, um meine Revanche des Empfanges wegen zu nehmen?«

»Das ist er wahrhaftig im Stande gewesen!« rief Adele rasch. »Jetzt aber möcht' ich nur wissen, Franz, was Du dem Mann für Geschichten von uns weisgemacht hast. Mich hat dieser Hobelmann gedauert; denn er rannte dermaßen gegen Alle, daß er zuletzt Hals über Kopf davonlief.«

»Und dem Hauptmann ein Trinkgeld in die Hand drückte,« lachte Fränzchen. »Aufrichtig jetzt gestanden, Vetter, was es mit dem räthselhaften Gast für eine Bewandtniß hat.«

»Wenn Ihr mir Euer Versprechen gebt, daß Niemand außer Euch ein Sterbenswörtchen davon erfährt.«

»Gewiß – keine Silbe,« beteuerten hastig die beiden Mädchen.

»Hui, wie hitzig, wo es eine pikante Neuigkeit giebt! – aber ich habe noch eine Bedingung zu stellen.«

»Und die ist?«

»Daß Sie mir, lieber Onkel, wie meine beiden schönen Bäschen, was ich auch immer zu berichten hätte, nicht böse werden wollen.«

»Gewiß nicht,« sagten beide jungen Damen, und der alte Herr meinte: »Nun sehe ein Mensch die Vorsichtsmaßregeln! Der Junge muß ein bitterböses Gewissen haben.«

»Das hat er auch, Onkelchen,« sagte Franz, »und nur durch eine vollständige Beichte läßt sich das Alles wieder gut machen. Dazu kommen Sie aber in's Nebenzimmer, wohin, wie ich sehe, der Kaffee schon gebracht ist. Hier draußen könnte Jemand horchen, und der Gefahr möchte ich mich nicht aussetzen.«

Der Regierungsrath schüttelte den Kopf, die beiden jungen Mädchen waren aber schon vorausgesprungen und schenkten den Kaffee ein, und Franz schloß und verriegelte hinter sich die Thür.

Eine Viertelstunde später kam die Frau Steuerräthin und wollte den Herrn Regierungsrath und die Damen sprechen. Der Diener sagte aber, daß sie sich beim Kaffee eingeschlossen und da drinnen entsetzlich gelacht hätten. Das natürlich war kein Grund, sich abweisen zu lassen, und die Frau Steuerräthin, jetzt mehr als je entschlossen zu erfahren, was da so merkwürdig Komisches vorgefallen sei, schickte den Diener hinein, sie anzumelden und zu bestellen, daß sie ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen habe.

Wenige Minuten später wurde die Thür geöffnet, und der Regierungsrath, mit einem dicken rothen Kopf, Thränen noch vom vielen Lachen in den Augen, begrüßte die Frau Steuerräthin mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt.

»Was ist denn vorgefallen?« rief diese aber gleich – »was haben Sie denn Alle? Sie sehen ja so echauffirt aus. Worüber haben Sie denn so entsetzlich gelacht?«

»Oh, der Vetter hat uns ein paar so spaßhafte Anekdoten erzählt!« sagte Fränzchen rasch gefaßt.

»Dann will ich Ihnen auch etwas Komisches erzählen,« rief die Frau Steuerräthin, der ihr Geheimniß auf der Seele brannte. »Wissen Sie etwas Neues?«

»Ist etwas vorgefallen?« riefen die beiden Mädchen schnell.

»Vorgefallen? Ich sollte meinen,« sagte triumphirend die alte Dame, »und es betrifft noch dazu Ihren Freund, Herr Franz, den Grafen, für dessen Bekanntschaft wir Ihnen Alle zweifelsohne sehr dankbar sind.«

»Aber ich begreife gar nicht –«

»Wissen Sie, was er mir gestern Nachmittag angethan hat?«

»Ihnen, beste Frau?« sagte Franz anscheinend mit großer Theilnahme.

»So will ich es Ihnen sagen. Einen Polizeidiener hat er mir nachgeschickt – einen wirklichen Polizeidiener, der mir auf Schritt und Tritt um die ganze Stadt nachgegangen ist, und wie ich endlich mein eigenes Haus betreten habe, ist der unten zu den Leuten hineingegangen und hat sich erkundigt, wer ich wäre, ob ich da wohne und ob ich – denken Sie sich diese Scheußlichkeit – ob es mit mir hier richtig wäre« – und die Frau Steuerräthin deutete dabei in größter Entrüstung auf ihre Stirn.

»Aber das ist ja doch gar nicht möglich!« rief Franz, der kaum seine Fassung bewahren konnte. Der Regierungsrath war aber nicht im Stande, an sich zu halten. Erst wurde sein Gesicht immer röther und dicker und die Augen traten ihm aus dem Kopf, endlich aber litt es ihn nicht länger und er platzte geradeheraus, während die Frau Steuerräthin ärgerlich sagte:

»Ja, Sie haben gut lachen, aber wissen Sie denn, daß wir Alle in großer Gefahr gewesen sind – «

»Gefahr? wie so?« frug Franz, auf die Erklärung gespannt.

»Der Mensch war verrückt!« sagte die Frau Steuerräthin.

»Der Graf Hobelmann?«

»Erstens war es gar kein Graf,« rief die Dame mit Schadenfreude, »sondern ein ganz gewöhnlicher Advocat Hobelmann aus Schlesien – ich habe Alles herausbekommen – und Sie, Herr Franz, ließen sich von einem plumpen Betrüger dupiren. Daß aber auch in seinem Gehirn nicht Alles in Ordnung sei, habe ich ihm den Augenblick angesehen.«

»In der That?« sagte der Regierungsrath und trocknete sich die Thränen aus den Augen; »aber wissen Sie das auch bestimmt, Frau Steuerräthin?«

»Wissen? – gestern Abend noch spät ist er plötzlich von ein paar Leuten – wahrscheinlich den Aufsehern einer Irrenanstalt – abgeholt und auf die Eisenbahn geschafft worden,« sagte mit gemessener Stimme die Dame und sah sich dabei rings im Kreise um, um das Erstaunen über diese Nachricht einzuernten.

»Er ist fort?« rief aber auch Franz Kettenbrock, von dieser Neuigkeit in der That ganz angenehm überrascht.

»Gestern Abend mit dem Schnellzug – eben habe ich es aus ganz sicherer Quelle erfahren – und zwar fortgebracht unter Begleitung.«

»Aber, beste Frau Steuerräthin,« sagte Franz mit vorwurfsvoller Stimme – »wenn der arme Mann mit einem so unseligen Leiden behaftet war, sollten wir doch eigentlich eher Mitleiden mit ihm haben.«

»Mitleiden – wie so?« rief aber die Dame, »und glauben Sie etwa, daß er der Commerzienräthin das unterschriebene Geld gegeben hat? – Gott bewahre; reine Großprahlerei war es – die reine, blanke Großprahlerei!«

»Die armen Heiden in Birma werden sich jetzt ohne wollene Socken behelfen müssen,« sagte der Regierungsrath.

»Das schmerzt mich eigentlich am wenigsten,« meinte die Frau Steuerräthin, indem sie ihren Sonnenschirm wieder aufgriff.

»Sie wollen schon fort?« frug Adele.

»Ich habe noch etwas bei Fräulein von Losenbrett zu besorgen,« erwiderte die Dame, die fest entschlossen war, die Neuigkeit höchsteigen bei allen Betreffenden herumzutragen. Sie ließ sich auch nicht einmal durch das Anerbieten einer Tasse Kaffee halten, und brach gleich darauf auf, ihren Rückmarsch anzutreten. Der Regierungsrath wandte sich aber, als sie fort war, an seinen Neffen und sagte, mit dem Finger drohend:

»Den bist Du diesmal zur rechten Zeit los geworden, mein Junge. Wenn ich Dir aber rathen soll, so mach' Du mich nicht wieder zum Obermedicinalrath, – und wenn es nur der gesundheitschädlichen Folgen wegen wäre.«

»Wenn ich Ihnen nun aber den jungen Doctor Helmerdiek zum Famulus gäbe?« lachte Franz, mit einem Blick auf die erröthende Cousine.

»Den,« sagte der alte Herr mit freundlichem Ernst, »will ich doch lieber noch etwas genauer kennen lernen. Denn diesen Famulus möchten wir nicht wieder so leicht los werden, wie den Herrn Grafen Hobelmann.«

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Jetzt sind acht Jahre seit jener Zeit verflossen, und in der zweiten Etage desselben Hauses mit dem Regierungsrath wohnt der Herr Medicinalrath Helmerdiek und nennt den alten Herrn »Schwiegerpapa«. Franz aber ist ebenfalls nicht, wie es früher seine Absicht war, nach Havana zurückgekehrt, sondern hat das Eckhaus der Kreuzgasse und Neuen Straße an sich gekauft, und zwar mit den beiden Häusern rechts und links, in denen einst der Kupfer- und Blechschmied hämmerte, und seine kleine Frau, Adele, behauptet, daß es sich dort vorzüglich wohnen lasse. – Vom »Grafen Hobelmann« haben sie aber nie wieder ein Wort gehört.


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