Friedrich Gerstäcker
Java
Friedrich Gerstäcker

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12. Die blaue Flagge.

Wer schon je im West-Monsoon in Batavia gewesen, wird sicherlich wissen, was es heißt, wenn die Leute dort sagen, »die blaue Flagge weht heute.«

Das feste Land, auf dem Batavia liegt, hat hier nämlich kein hohes Ufer, sondern dacht langsam und Zoll für Zoll, in einer weiten Schlammbank, in See aus. Der Kali besaar mündet darin, und bildet dadurch einen Kanal, durch den man mit den auf der Außenrhede liegenden Schiffen eine Verbindung unterhalten konnte. Auf dem seichten Grund steht aber meist, besonders im West-Monsoon, eine schwere Dünung, d. h. die Wellen brechen sich stark über dem Grund weg, der ihnen Widerstand bietet, und man hat deßhalb von Corallenblöcken eine Art Damm weit in die See hinausgebaut, die aus- und einfahrenden Boote, so viel das möglicher Weise ging, gegen den starken Wellenschlag zu schützen.

Sobald sich die Boote auch erst einmal im Schutz dieser Mauer befinden, sind sie vollkommen sicher, gerade am Eingang aber brechen sich, bei heftigem Wind, die Wellen am stärksten, und die Gefahr ist hier um so größer, da sie noch seewärts gegen einen andern steinernen Damm, der ziemlich hoch aus dem Wasser steht, andrängen. In solchem Falle wird unten vom »Ausguck« und vom Wachtschiff aus ebenfalls eine blaue Flagge aufgezogen, alle fremden Boote zu warnen, während dieser Zeit die Einfahrt zu versuchen. Prauen, die alle unter Oberaufsicht der Regierung stehen, dürfen in dieser Zeit nicht auslaufen. Sehr wenig Boote wagen deßhalb auch, unter solchen Umständen die Passage, und diese sind dann mit dem Fahrwasser und dem ganzen Charakter der Brandung genau bekannt. Fremde aber müssen nur zu häufig ihren Leichtsinn oder ihre Kühnheit mit dem Leben büßen, und nach einem solchen Fall nehmen sich dann die Leute kurze Zeit ein wenig in Acht, vergessen es aber nur zu bald wieder.

Bei meiner Rückkunft nach Batavia goß es was vom Himmel herunter wollte, und die blaue Flagge wehte – es hat schon die ganze letzte Woche gestürmt, und der Patriot, dasselbe Schiff auf dem ich die Heimreise antreten wollte, der etwa zwei Drittheile der Ladung an Bord hatte, war deßhalb gar nicht im Stande gewesen, mehr als ein oder zwei Prauen voll zu übernehmen. Am 21. und 22. dauerte das Unwetter fort. Mehrere Schiffe waren auf der Rhede angekommen, und die Kapitäne konnten nicht an Land, mehrere Kapitäne hatten hier am Land ihre Schiffe ausclarirt, und konnten nicht an Bord. Ein hiesiger Bürger, dessen Frau nach Holland gehen sollte und die er, am Abend vor dem Sturm, auf das Schiff begleitet hatte, konnte nicht wieder zurück, und als er endlich wieder zurückkonnte, war die Frau, durch die starke Bewegung vielleicht und die Angst, so krank geworden, daß er sie wieder mit an Land nehmen und die ganze Passage für, ich glaube vier oder fünf Personen, einbüßen mußte. Kurz, die blaue Flagge hatte schon eine Masse Unheil angerichtet und am 22. kam leider auch noch ein ernstes Unglück dazu.

Der Kapitän eines vor mehreren Tagen schon auf der Rhede angekommenen englischen Schiffes, hier, wenn ich nicht irre, nur eingelaufen, die Fracht und Produktenverhältnisse kennen zu lernen, und falls es für ihn nicht günstig wäre, weiter zu gehen, war endlich ungeduldig geworden, und da er möglicherweise auch einige Boote aus- und eingehen sah, trotz der blauen Flagge, setzte er ebenfalls sein eigenes Boot aus und beschloß mit seinem Untersteuermann und vier Matrosen die Einfahrt zu versuchen. Eines der Batavia-Boote soll ihn noch unterwegs gewarnt haben, aber er ging seinem Schicksal entgegen. Gerade am ersten Beginn des Damms, wo die Brandung am stärksten steht, brach dem Untersteuermann der Riemen, den er zum Steuern gebrauchte, in der Hand, eine See kam stach gegen die Jolle an und stürzte sie um, und die Mannschaft trieb, hülflos in der stürzenden Wassermasse schwimmend, gegen den Steinwall an. Zwei der Leute wurden von den Matrosen eines deutschen Schiffes gerettet, die übrigen ertranken, und man bekam auch nur die Leiche des Kapitäns, die mit zerschmettertem Kopfe treibend gefunden wurde.

Es soll ein junger Mann gewesen seyn, der seine Braut zu Hause gelassen, sich bei seiner Rückkehr mit ihr trauen lassen wollte und jetzt, in der Blüthe seiner Jahre, ein einsames Grab in einem fremden Welttheil fand – und das wegen weniger Stunden Ungeduld. – Am nächsten Morgen war die blaue Flagge verschwunden und die Ein- und Ausfahrt vollkommen sicher – die See hatte ihre Opfer.

Von den übrigen Leichen fand man keine wieder, es gibt dort an der Küste eine Unzahl von Alligatoren oder Krokodilen, und die erklären derartige Körper meist für gute Beute. Die Leiche des jungen Engländers wurde von allen in Batavia anwesenden Kapitänen der verschiedensten Nation zu Grabe begleitet – ein trauriger Trost.

Das Wetter war jetzt wieder ruhiger geworden, und es ließ sich hoffen, daß wir kurze Zeit stille See behalten würden, das Schiff war dann auch bald geladen und ich freute mich wie ein Kind auf die Heimfahrt. Der Kapitän des Patriot war gleich den ersten Morgen, wo er nur möglicher Weise vom Lande abkommen konnte, an Bord gefahren – als er aber den Nachmittag wieder zurückkam, brachte er die Nachricht mit, daß sein Schiff in dem Unwetter leck geworden; es machte jetzt, bei ruhigem Wetter und zwei Drittel geladen, etwa einen Zoll Wasser in der Stunde, und er durfte nicht wagen, unter den Umständen seine volle Ladung einzunehmen, und mit dem Schiff in See zu gehen. – Das war ein Donnerschlag für mich und alle meine Hoffnungen einer baldigen Abreise.

Jetzt begannen die Verhandlungen und Berathungen, was zu thun und was zu lassen. Zuerst wußte man noch nicht einmal, ob der Leck auch überhaupt bedeutend, und vielleicht ganz oben sey, dann war das Ganze wieder mit einer Kleinigkeit ausgebessert. Aber wie das finden? – Das einzige Mögliche blieb, nicht durch die Sundastraße, sondern zuerst nach Surabaya an der Nordküste Javas zu gehn, dort theilweise, oder wenn es nöthig sey ganz zu löschen und auszubessern, und auch dann in diesem Hafen den Rest der Fracht einzunehmen.

Nun schien die Sache für mich auch noch gar nicht so schlimm zu seyn, denn ich versäumte allerdings einige Wochen, bekam aber auch dadurch den Osttheil von Java zu sehen und, was mehr war, Gelegenheit, die in Deutschland unter dem Namen Therese so rühmlichst bekannte Schriftstellerin, jetzige Frau von Lützow, die leider wenige Monate später auf einer kleinen Reise in Java erkrankte und starb, kennen zu lernen. Herr von Lützow war Kommandant der Ostdivision von Java und Frau von Lützow hatte mich schon vor mehreren Wochen auf das Freundlichste eingeladen, das so schön gelegene Surabaya zu besuchen. Wie gern ich der Einladung gefolgt wäre, kann man denken; Herr von Schierbrand sowohl wie Herr Bürger, ein alter Kolonist der Insel, und beide Freunde des Lützow'schen Hauses, hatten mir schon früher nicht genug von der Liebenswürdigkeit des Herrn und der Frau von Lützow erzählen können, und so schien sich das, was ich im Anfang für so fatal gehalten, auf einmal sogar günstig für mich gestalten zu wollen.

Aber auch die Freude sollte mir nicht werden, denn plötzlich tauchte in Batavia eine Agentschaft der Bremer Assecurranzcompagnie auf, von der man früher gar nichts gewußt, und erklärte das lecke Schiff unter diesen Umständen nicht mit der Ladung, die es inne hatte, nach Surabaya gehen lassen zu können, weil dadurch, wenn der Leck in unruhiger See schlimmer würde, die Ladung zu Schaden kommen würde. Das Schiff sollte hier erst soviel als möglich untersucht, und falls das kein Resultat ergäbe, gelöscht und nachher in Ballast nach Surabaya geschickt werden. Hier also erst untersuchen, dann vielleicht löschen, wieder Ballast einnehmen, nach Surabaya gehen, Ballast auswerfen, repariren, Ballast wieder ein, hierher zurück, wieder Ballast aus – wobei das Schiff jedesmal unter Segel und nach einer entfernter liegenden Insel hin muß und dann aufs Neue laden, darüber konnten viele Monate und mußte der gute Monsoon vergehen, also daran war gar nicht zu denken.

Die blaue Flagge hatte mir da einen bösen Strich durch die Rechnung gemacht – aber wer weiß, vielleicht auch einen großen Gefallen gethan, wohl gar das Leben gerettet. Hätten wir vollkommen ruhiges Wetter behalten und das Schiff fertig laden können, so daß wir damit in See gegangen wären, so mußte der Leck jedenfalls beim ersten stürmischen Wetter aufgehen, und in offener See wäre es mit einem schweren Schiff, wie nichts wahrscheinlicher ist, schlimmer geworden. Der Patriot sollte überhaupt, wie ich jetzt von mehreren andern Capitänen hörte, schon ein ganz altes Schiff und mehrmals ausgebessert seyn, und man fürchtete sogar, daß es Java gar nicht wieder würde verlassen können – es ist aber doch späterhin noch in See gegangen.

Da saß ich –meine Sachen gepackt, meine Briefe geschrieben und an demselben Morgen erst ein anderes deutsches Schiff, der Herder, nach Bremen zu in See gegangen – es war zum Verzweifeln.

Zufällig ging ich an dem Morgen und halb wie im Traume, denn die Sache arbeitete mir natürlich im Kopf herum, zu einem Bekannten in der Nachbarschaft und finde dort zu meinem Erstaunen wen anders, als den Capitän des Herder, der, ärgerlich genug, in der Stadt herumschlenderte und auf sein Wasser wartete, das ihm die Regierungsbote noch immer nicht, obgleich schon lange bestellt, an Bord geschickt hatten.

Die Regierung hat hier nämlich eine großartige Destilliranstalt errichtet, woraus sämmtliche Schiffe mit gutem und frischem Wasser versehen werden. Die Capitäne sind aber ebenfalls wiederum gezwungen dort ihr Wasser zu nehmen, sie mögen nun in Eile seyn wie sie wollen, denn sie dürfen allerdings mit ihren eigenen Booten und eigenen Leuten in den Fluß schicken, sich dort Wasser selber zu holen, aber keine Javanen, die sämmtlich in diesem Fall unter der Regierung stehen, dazu nehmen. Die eigenen Leute können nun natürlich nicht in der Hitze zu solcher Arbeit verwendet werden, das weiß die Regierung recht gut, also muß das Schiff warten bis die Reihe an es kommt. Das Flußwasser ist übrigens auch schlecht, der kleine Fluß ist wenigstens der Ableiter alles Unflathes der ganzen Stadt und sieht nichts weniger als appetitlich aus.

Hier nun war mir aber auch geholfen; in zehn Minuten hatte ich mit dem Capitän abgeschlossen, heute war Sonntag, am nächsten Morgen konnte ich meinen Paß ausnehmen und an Bord gehen, und den Dienstag mit dem Landwind lichteten wir, wenn bis dahin das Wasser eingetroffen war, die Anker. So sauer sie einem hier übrigens das Leben machen, wenn man einen Paß ins Innere haben will, so leicht bekommt man ihn zur Abreise; – mit dem größten Vergnügen – die Leute waren die Zuvorkommenheit selber, selbst Herr von Leeuwen – versteht sich, nicht das mindeste Hinderniß, in fünf Minuten war die ganze Sache abgemacht, und ich hatte meinen königlich sächsischen Paß – was es doch für ein Schutz und eine Beruhigung ist, ein solches Papier bei sich zu führen – wieder in der Tasche, und zwar dießmal sorgfältig mit dem Wappen Batavias versehen, das sich ein kleiner Halbmalaye die größte Mühe gegeben, ihm mit Hülfe eines großen Stempels und einer etwas zu trockenen Druckerschwärze, die nichts mehr hergeben wollte und ihm vielen Schweiß kostete, einzuimpfen.

Als ich wieder nach Cramat hinausfuhr, sah ich eine Masse von Eingeborenen an dem Ufer des kleinen Flusses versammelt, die alle mit anscheinend großer Scheu in das Wasser blickten.

»Buwaya« sagte mein Kutscher, und ich sprang aus dem Wagen um das Krokodil, das sich hier so weit aus seinem gewöhnlichen Fahrwasser hinauf gewagt hatte, in Augenschein zu nehmen. Es lag auf der andern Seite, trotz der vielen es umgebenden Menschen, mit dem Kopf aus dem Wasser, und schaute mit den kleinen boshaft lauernden Augen ruhig in die Höhe. Keiner machte übrigens auch nur den geringsten Versuch, es zu fangen oder zu beschädigen, denn es herrscht zwischen diesen Krokodilen und den Javanen eine gewisse Art Sympathie, die selten eines das andere angreifen läßt. Sehr häufig kommen Krokodile hier in den Kali besaar herein, und es wimmelt darin fortwährend von Menschen jedes Geschlechts, jedes Alters; Javanen wie Chinesen, Kinder von vier und fünf Jahren schwimmen in der trüben schmutzigen Fluth mit einem unzerstörbaren Gleichmuth herum, und man hat wirklich auch nur selten Beispiele, daß sich die Krokodile einmal ein Stück Menschenfleisch holen. – Es kommt aber doch zuweilen vor.

Die Javanen halten die Thiere für heilig und für Allahs besondere Freunde, und haben darüber eine sehr hübsche wie naive Sage.

Allah liebt diese Thiere zärtlich und hat sie unter seinem besonderen Schutz – er leidet nicht, daß ihnen etwas Uebles zugefügt werde, er verlangt aber auch von ihnen dafür, daß sie sich anständig betragen und seinen andern Kindern, den Menschen, ebenfalls kein Leides thun. So lange sie diesem Gebot gehorsam bleiben, geht die Sache ganz gut, es sind »gute« Krokodile und sie und die Menschen leben in Frieden und Freundschaft mit einander.

Nun gibt es aber auch unter diesen Thieren, ebenso wie unter den Menschen, leichtsinnige Bursche, nichtsnutzige Krokodile, die zu faul sind ihrer täglichen Nahrung nachzugehen, und sich zuletzt einmal verleiten lassen, in einem Anfall von Hunger und Uebermuth einen Menschen anzufallen und zu verzehren. Das ist sehr schlecht, Allah ist aber nicht rachsüchtig, und wenn sie sich nachher wieder bessern, so hat die Sache weiter nichts zu sagen. Wer aber einmal auf verbotenen Wegen gegangen ist, dem schmeckt die gestohlene Frucht süß, und die gewöhnliche Folge davon ist, daß solche, die einmal über die Stränge geschlagen, nicht wieder gut thun wollen. Das Menschenfleisch schmeckt ihnen, sie holen sich einen zweiten und einen dritten und es werden nun vollkommen lüderliche, schlechte Subjekte. Dann wird aber Allah zornig, er sagt sich von ihnen los und gibt sie der Rache der Menschen preis, und diese tödten sie.

Das ist auch Alles in Richtigkeit. Die Javanen halten die Krokodile heilig und tödten keines, selbst wenn es schon einmal einen Menschen geholt haben sollte. Es ist aber mit diesen Thieren wie mit allen fleischfressenden Bestien; sobald sie erst einmal Menschenfleisch gekostet haben, bekommen sie den Geschmack weg und wollen mehr. Ist aber der zweite geholt, dann versammeln sich die Eingeborenen, und da die an der Küste wohnenden auch fast jedes der Thiere kennen, so dauert es gar nicht lange, daß sie es haben und tödten.

Am Strand von Batavia, wo die alte Stadt gestanden hat, soll ein alter Malaye wohnen, der in einem solchen Fall, wo sie beabsichtigen Gericht zu halten, sämmtliche Krokodile zusammenruft und den Schuldigen seinen Richtern überantwortet. Sicher ist, daß sich dort ein alter Eingeborener aufhält, der wahrscheinlich die Thiere häufig füttert und sein bestimmtes Zeichen für sie hat, bei dem sie, wenn sie es hören, ans Ufer kommen.

Die wenigen Besorgungen, die ich noch in Batavia abzumachen hatte, waren jetzt bald beendet, aber die Zeit drängte auch, ich konnte nicht einmal von allen meinen dort gewonnenen, so zahlreichen, und manche unter ihnen recht lieben Freunden Abschied nehmen.

Das Wasser war an Bord und der Capitän eilte, was ich an Sachen hatte, wurde auf einen Karren gepackt und in die Stadt gefahren, Mittags folgte ich selber, um zwei Uhr Nachmittags saß ich mit dem Capitän in seinem schwer mit Früchten, Hühnern, Kartoffeln etc. beladenen Boot, wir stießen ab, und eine halbe Stunde später lag das schöne Java auf nimmer Wiedersehen hinter uns.

Aber den dort gewonnenen Freunden habe ich nicht für immer Ade gesagt, und manche von ihnen hoffe ich wieder im lieben Vaterland zu begrüßen. – Es ist schön, o recht schön in der Fremde draußen, aber die Heimath kann sie uns ja doch nicht ersetzen; nach der strebt das arme Menschenherz immer und immer wieder zurück, und drängt und treibt und hat keine Ruhe da draußen.


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