Friedrich Gerstäcker
Californien
Friedrich Gerstäcker

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4. Rückmarsch und Sacramento City.

Am 18. November, einem ziemlich freundlichen Sonntag Morgen, brachen wir, mit allem möglichen Wasch-, Koch- und Eßgeräth beladen auf; an demselben Abend trafen wir einen Händler, der uns unsere Schaufeln, Spitzhacken, Aexte, Becken etc, wie Alles, was wir noch entbehren konnten, zu einem allerdings ziemlich geringen Preis, aber doch gegen baares Geld abkaufte, und wir kamen dadurch nicht allein wieder zu Kasse, sondern wurden auch bedeutend an Last erleichtert.

Die Nacht aber sollten wir noch einmal aus Herzensgrund die Freuden des Berglebens genießen. Um 10 Uhr etwa fing es an zu regnen, und goß die ganze Nacht hindurch: wir wurden bis auf die Haut naß. Am nächsten Morgen mußten wir im vollem Regen aufstehen und unser einfaches Frühstück kochen, im vollen Regen unsere nassen, schweren, schmutzigen Decken zusammenrollen und aufladen, und sechs Meilen waren wir etwa marschirt, ehe es nur etwas nachließ.

Die Nacht lagerten wir, dießmal jedoch trocken, in der Nähe von Longs Store; d. h. was wir damals trocken nannten, wo selbst der Platz, auf dem wir unser Nachtlager aufzuschlagen gezwungen waren, wenig mehr als etwas festeren zähen Schlamm bot und immer noch genug Regen fiel, unsere Decken zu durchnässen, wenn wir auch wenigstens verhältnißmäßig trocken darunter lagen. Ein wirkliches Obdach fanden wir aber erst die nächste Nacht in einer Art Lehmhütte, dicht am Ufer des Feather-River, bei einem dort wohnenden Deutschen, Karl Röther, der schon mehrere Jahre, ich glaube, er war mit den Freiwilligen von Nordamerika herübergekommen, in Californien lebte, und sich in der letzten Zeit ein ziemlich bedeutendes Vermögen erworben hatte, dennoch aber in einer so erbärmlichen Lehmhütte wohnte, wie der ärmste Spanier. Er war übrigens noch Junggeselle und das mag ihn entschuldigen.

Den Abend zehrten wir an etwas Schiffszwieback und Salzfleisch, das uns Herr Röther zu einem Dollar per Pfund abließ – aber aus den Bergen heraus kam uns der Preis ordentlich billig vor, denn man gewöhnt sich ja an Alles.

In dieser Nacht erfreuten wir uns wieder einmal Luxus, den wir in langer langer Zeit nicht gekannt: der Leser mag sich aber nicht etwa täuschen, es war weder Confect noch Champagner, noch ein weiches Lager, oder eine warme behagliche Kleidung – wir hörten nur, während wir auf dem Boden in unsere Decken gehüllt ausgestreckt lagen, den Regen in Strömen auf das Dach schlagen, und befanden uns selber, etwas Durchtropfen abgerechnet, vollkommen trocken. O es war dieß ein seliges Gefühl, aber wir sollten am andern Tage schwer dafür büßen.

Ziemlich früh am Morgen brachen wir auf – es war uns gesagt worden, daß wir ein jetzt durch den Regen wahrscheinlich angeschwelltes Wasser kreuzen müßten, und das je eher je lieber thun sollten, ehe es zu reißend und hoch würde. Nach etwa einer Stunde Marsch erreichten wir das bezeichnete, suchten aber vergebens einen gefällten Baumstamm, auf dem man uns versichert hatte, daß wir würden trockenen Fußes hinübergehen können. In der Mitte lag allerdings, von einer Insel des gewaltig gestiegenen Wassers zur andern, eine Eiche hinüber, selbst dorthin aber zu gelangen, mußten wir bis unter den Gürtel durch die kalte Fluth waten, und es regnete dabei fortwährend.

Mit Mühe kletterten wir dann, schwer beladen, wie wir waren, über den umgestürzten Baum, und glaubten nun das Schlimmste überstanden; das Schlimmste wartete aber noch auf uns, und die tiefste Slew wälzte sich noch reißend und tief zwischen uns und dem gegenüberliegenden höheren Lande hin. Dort trafen wir übrigens auch noch einige Amerikaner, die ebenfalls den ersten Theil des Wassers überwunden hatten, und jetzt mit uns rathlos am Ufer standen.

Hier blieb nichts anderes übrig als ein Floß zu bauen, und auf meinen Vorschlag deßhalb schleppten und zogen wir, in Ermanglung tüchtiger Bäume, alte angeschwemmte Stämme herbei, banden sie mit dünnen Seilen, die wir aus allen Taschen zusammensuchten, an einander, und versuchten dann unsere sämmtlichen Sachen darauf zu packen.

Die Arbeit war schauerlich – in dem kalten Wasser stundenlang bis an den Gürtel zu stehen, während uns der Regen auch noch in Strömen über die Schultern floß, war kein Spaß und die Gebrüder Meyer und Kunitz standen denn auch vor Frost klappernd dabei, und sahen unserer Floßarbeit zu. Der junge Matrose aber, der besonders mit thätig dabei gewesen, klagte schon den ganzen Morgen über Kopfschmerzen und sah etwas bleich und angegriffen aus; wir nahmen jedoch keine besondere Notiz davon, denn unser Zustand entschuldigte allerdings ein leichtes Unwohlseyn – die stärkste Natur hätte davon erschüttert werden können.

Als übrigens die Gebrüder Meyer und Kunitz unser gebrechliches Fahrzeug sahen, erklärten sie, lieber den Rückweg antreten, und irgendwo über Feather-River setzen zu wollen, als hier ihr Leben zu wagen, und nur unsern ernsten Erklärungen, dann ohne sie unsern Marsch fortzusetzen, gelang es, sie wenigstens zu einem Versuch da zu behalten. Wir Alle hatten nichts dagegen eine andere Route einzuschlagen, dann mußten wir aber erst gesehen haben daß es hier wirklich unmöglich war, durchzukommen, und das eben wollten wir jetzt untersuchen.

Mit dem Floß durften wir aber vor allen Dingen nur erst einmal hoffen unser Gepäck hinüberzuschaffen, das banden wir also, so gut wir konnten, darauf fest, ich schlang dann eine dünne Fischschnur – das einzige zu diesem Zweck verwendbare – um den vordersten Stamm und watete in die stürmische Fluth. Weit durfte ich aber nicht gehen; kaum fühlte ich das Wasser unter meinen Armen, wobei ich in die wirkliche Strömung kam, so riß mir diese auch mit wilder Gewalt die Füße unter dem Körper fort und ich mußte schwimmen. Das Floß indeß, von den Andern hinter mir hergestoßen, konnte sich nicht ebenso rasch gegen die Strömung andrehen – das dünne Seil war nicht stark genug es zu lenken und riß. Während sich aber das Ende desselben mir beim Austreten um die Füße schlang und diese fast an ihrer freien Bewegung hinderte, faßte mich die Fluth und nahm mich unwiderstehlich mit sich fort.

Nur mit äußerster Anstrengung gelang es mir das andere Ufer zu erreichen, und als ich dort ans Land sprang und mich umschaute, sah ich, wie der junge Matrose und Hühne das Floß, das noch dazu im tiefen Wasser so weit gesunken war Alles zu durchnässen, gefaßt hatten und wieder zu sich ans Land zogen, unsere Sachen wären sonst total verloren gewesen. Ihnen zu helfen und auch wieder zu meinen Kleidern zu kommen, lief ich etwa dreihundert Schritte an dem kleinen Fluß hinauf, der reißenden Strömung den Uebergang abzuzwingen, sprang dort wieder hinein und schwamm zurück.

Mit Mühe und Noth retteten wir jetzt unsere Sachen, wenn auch völlig durchweicht, auf festen Erdboden– denn trockener war nirgends zu finden, und sahen die Amerikaner schon in förmlicher Flucht begriffen, den die Slew stieg rasch und das Wasser war, wie wir jetzt mit Schrecken bemerkten, in der letzten halben Stunde schon wieder über sechs Zoll gewachsen, während die schäumende Fluth verrieth, wie sie noch immer nicht ihre höchste Höhe erreicht habe.

Allein oder selbst mit Hühne und dem Matrosen wäre mir nur wenig Angst gewesen, wir drei hätten unsere paar Sachen mit Schwimmen ans andere Ufer gebracht, und durchnäßt war doch Alles, aber was sollte aus den drei Andern werden? – wir durften nicht länger säumen, denn die nächste Viertelstunde schnitt uns vielleicht für sie den Rückweg ab, und deßhalb unseren nassen und jetzt fabelhaft schweren Plunder zusammenpackend, eilten wir, so schnell wir konnten zu dem umgestürzten Baum zurück. Mir selber flogen, durch das lange kalte Bad, die Glieder wie im Fieberfrost, und ich glitt auch, mit den schweren Sachen, die ich trug, einmal schon halb vom Baum herunter, raffte mich aber wieder empor, und erreichte mit den Uebrigen den gegenüberliegenden schmalen Streifen Land.

Die erste Slew war jetzt noch zu passiren, die wir im Anfang leicht durchwatet hatten, das Wasser zeigte sich aber indessen so angeschwollen, daß es uns fast mit fortriß. Der Mensch gewöhnt sich an Alles, wir fingen an gleichgültig gegen derartige Uebelstände zu werden, bissen die Zähne fest auf einander, und kamen glücklich wieder auf's feste Land.

Den Abend mußten wir noch einmal wieder zu Charles Röther zurück – unsere einzige Nahrung ein Stückchen Speck und ein Schiffszwieback, und mit elf anderen Fremden kauerten wir dort um ein kaum glimmendes Feuer, denn es fehlte total an Brennholz, und versuchten umsonst, nur wenigstens unsere Kleider zu trocknen.

Am nächsten Morgen in den nassen Sachen weiter, und jetzt zwar, da der Uebergang über die Slew unmöglich war, über den Feather-River hinüber, wo ein spekulirender Yankee eben mit einem Provisionsboot heraufgekommen war und 2 Dollars per Mann Ueberfahrt verlangte. Das Fährgeld, das er in kaum 10 Minuten verdienen konnte, war enorm, wir sahen uns aber gezwungen es ihm zu zahlen, und für uns sechs mußten wir ihm 12 Dollars geben, um an die andere Seite des allerdings ungemein angeschwollenen und jetzt ziemlich breiten Flusses, an dessen anderem Ufer der Weg bedeutend besser seyn sollte, zu kommen.

Hier zeigten sich aber schon die Folgen unserer Anstrengungen und Strapazen; der junge Matrose war weit kränker geworden, bekam geschwollene Füße und klagte über Schwäche im Körper und Fieber; wir andern waren alle ebenfalls mehr oder weniger angegriffen. Trotzdem mußte ich den armen Teufel, als er gegen Mittag gar nicht recht mehr fortkonnte, seines Gepäckes entledigen und ihn führen. So rückten wir doch wenigstens langsam vorwärts.

Freitag, den 23. November, erreichten wir Sutters Farm – den ersten wirklichen angebauten und landwirthschaftlich aussehenden Ort, der mir bis dahin in ganz Californien vorgekommen. Wir fanden dort einen zweckmäßig ummauerten, mit Wirtschaftsgebäuden reichlich versehenen Raum und ordentliches Ackergeräth, und überhaupt herrschte in dem ganzen Wesen eine gewisse europäische Reinlichkeit, die mir ungemein wohl that. Gern hätte ich Capitän Sutter, für den ich von einem Jugendfreund eine Kiste mit Büchern von Deutschland gebracht, selbst gesprochen, wußte aber daß er sich nur selten hier aufhielt, und durfte kaum hoffen ihn zu finden, desto größer war meine Freude, als ich von einem dort arbeitenden Deutschen hörte, er sey gerade zufällig anwesend, werde aber denselben Nachmittag schon wieder fortreiten. Allerdings sah ich schauerlich aus, nach der vorgestrigen Wasserpartie kaum getrocknet, dabei vom Staub des letzten Marsches bedeckt, selbst die Kleider hie und da zerrissen – doch was that's, die Leute sind hier auch gewohnt, Menschen aus den Minen, wenn auch vielleicht nicht in schlimmerem, doch in ähnlichem Zustand zurückkehren zu sehen, und Capitän Sutter empfing mich ebenfalls auf das freundlichste. Leider konnte ich seine Gesellschaft nur sehr kurze Zeit genießen, denn wir mußten mit unserm Kranken so rasch als möglich vorwärts, daß er uns nicht etwa schlimmer würde und ganz liegen blieb, wo wir ihn in der That hätten tragen müssen. Da ich des Capitäns gastfreie Einladung also nicht annehmen konnte, belud er uns förmlich mit Provisionen für den Weitermarsch, und sagte mir, daß er bald selber nach San Francisco kommen werde, wo ich ihn wieder aufsuchen möge.

Unter der Zeit war aber auch ein Zweiter von uns, der jüngere Meyer, krank oder vielmehr in Sutters Hofe selber ohnmächtig geworden, doch erholte er sich bald wieder, und wir brachen etwa um zwei Uhr Nachmittags, Schritt für Schritt mit dem Kranken weiterrückend, auf. Glücklicherweise wurden wir aber gerade an unserem Nachtquartier, das wir etwa 150 Schritt vom Fluß, an einem warmen und gut mit Holz versehenen Plätzchen aufgeschlagen, von einem Karren überholt, der einem Deutschen gehörte und leer bis zu dem kleinen Städtchen Vernon hinunter fuhr. Dort setzten wir den armen Teufel von Matrosen auf und rückten so rascher unserem Ziel entgegen, als es sonst möglich gewesen wäre.

Den Abend lagerten wir wieder an der andern Seite des Flusses und bekamen, ein prachtvolles Ständchen der kleinen Wölfe oder Cayotas, die sich irgendwo an der steilen Uferbank, etwa eine halbe englische Meile von unserem Lager entfernt, im Heulen übten. Es war ein wirklicher Heidenlärm, und mit hohen und tiefen Stimmen, die manchmal in ein förmliches Gellen und Pfeifen ausarteten, trieben sie's fast die halbe Nacht hindurch.

Diese Cayotas sind durch dieß Heulen lästig genug, es soll aber noch kein Fall vorgekommen seyn daß sie Menschen, selbst wenn in der größten Anzahl beisammen, angefallen hätten.

Bis zur eben verlassenen Seite des Flusses war aber nur der Wagen gegangen, der unsern Kranken geführt, und lag auch nur noch von da bis zu dem Städtchen Vernon am Feather-River eine sehr kurze Strecke Weges, so hatte ich doch große Mühe, den jungen Burschen mit seinen geschwollenen Füßen dort hinunter zu bringen.

Gegen Mittag erreichten wir endlich den Platz, und hier stellte sich die Unmöglichkeit heraus, daß er noch weiter marschiren konnte. Wir benutzten deßhalb mit Freuden die Gelegenheit eines Bootes, wo er die kurze Strecke für 5 Dollar Passage nach Sacramento City hinunterfahren konnte. Der ältere Meyer wurde uns hier ebenfalls so hinfällig, daß er erklärte, nicht mehr weiter zu können, und auch er nahm Passage, so daß wir nun noch zum Rückmarsch vier gesunde Personen waren, die rasch von der Stelle rücken konnten.

Ein charakteristischer Zwischenfall passirte hier mit dem jüngeren Meyer und dem Karrenführer, der uns den Kranken bis gestern Abend gefahren hatte und heute ebenfalls nach Vernon gekommen war. Der Mann brauchte eine der gewöhnlichen Blechpfannen zum Goldwaschen und konnte sie dort nur um etwa 4 oder 5 Dollar das Stück bekommen, wir aber führten noch eine der unseren bei uns, aus der wir bis dahin gemeinschaftlich gegessen hatten, und die wir von jetzt an natürlich nicht mehr brauchten, die er aber zu kaufen wünschte.

Der Mann hatte für den Transport des Kranken nichts als einige Provisionen genommen (die dort oben freilich ziemlichen Werth hatten), und ich schlug vor ihm die Pfanne, die uns gemeinschaftlich gehörte, entweder zu schenken oder doch höchstens zum Kostenpreis San Franciscos – 2 Dollar – zu überlassen. Dagegen protestirten Meyers aber aus allen Kräften und der jüngere Meyer wollte die Pfanne unter keiner Bedingung billiger als 3½ Dollar hergeben. Müde endlich darüber zu debattiren, sagten wir ihm er solle die Sache abmachen, und ich hoffte dabei, der alte Kärrner würde so gescheidt seyn und nicht mehr als 2 Dollar geben. Als wir abmarschirten blieb Meyer zurück, den Handel in Ordnung zu bringen, und holte uns etwa eine Viertelstunde vor der Stadt ziemlich mürrisch wieder ein. Hühne und ich lachten – er konnte keineswegs mit seinem gemachten Geschäft zufrieden seyn – und auf Hühnes Frage, ob er denn seine 3 ½ Dollar bekommen hätte, erwiederte er mürrisch: Drei einen halben Dollar? – ja wohl hat er ja gesagt und die Pfanne genommen, nachher hat er mir aber anderthalb Dollar für das Fahren vom Kranken angerechnet, und da sind immer nur zwei Dollar geblieben. Hätt' ich ihm fünf und einen halben angerechnet, hätt' er drei einen halben für den Kranken gerechnet – das ist eine Calculation.

Mit diesen zwei Dollaren blieben uns in gemeinschaftlicher Kasse noch fünf Dollar, wovon wir, da wir bei Vernon hatten aufs neue den Fluß kreuzen müssen, genöthigt wurden noch zwei für Ueberfahrt bei Sacramento auszugeben. Mit drei Dollar also erreichten wir die Stadt, hatten aber bis dahin fortwährend guten Muth, denn dort hofften wir leicht Arbeit zu bekommen und ein geregelteres Leben führen zu können. Es ist kein Spaß, so fortwährend in den nassen Decken die kalten Nächte hindurch zu liegen, und dann auch nicht einmal etwas ordentliches zu haben, dem Körper an Speise und Trank zu bieten.

Am nächsten Tag, Montag den 26. November, erreichten wir endlich unser nächstes Ziel, Sacramento – welch ein verschiedenes Bild bot aber die Stadt jetzt gegen die Zeit dar, wo wir zum letzten Male hier gewesen. Damals herrschte das regste, lebendigste Treiben; aus einer Menge von dort liegenden Schoonern wurde ausgeladen; Wägen und Karren überholten und begegneten sich – die Leute selbst auf der Straße liefen und drängten aneinander vorbei, wechselten in übergroßer Geschäftigkeit rasch einige Worte miteinander, und eilten dann so schnell sie konnten ihren verschiedenen Zielen zu. Wo sich ein müßiger Mensch sehen ließ, wurde er von zehn Personen gefragt ob er Arbeit verlange und welches Geschäft er treibe. Jeder mit dem man sprach, hatte eine eigene Spekulation im Kopf, und suchte Hülfe an Geld- oder Menschenkräften, sie ins Werk zu setzen.

Und jetzt? Welch ein trauriger Unterschied – am Landungsplatz lag allerdings noch dieselbe Anzahl von Fahrzeugen vielleicht wie damals, aber niemand schien an Bord zu seyn, oder wenn sich ja ein lebendiges Wesen darauf regte, so war es der Koch, der lässig in der Cambuse seine monotone Arbeit verrichtete, oder der Capitän des Schooners, der schläfrig den Kopf aus der Luke steckte, nach dem Wetter sah und dann in seine Cajüte wieder untertauchte. Kein Wagen, kein Karren ließ sich am Landungsplatz sehen, und die Menschen, die dort auf- und abschlenderten, schienen wirklich kaum zu wissen wie sie den lieben langen Tag todtschlagen sollten. Nur wenn, was ungemein selten und die Woche kaum zweimal geschah, ein neuer Schooner mit Provisionen ankam, dann eilten wohl immer, wie in alter Zeit, zehn oder zwanzig Menschen rasch an Bord – sie warteten kaum bis die Planken ausgeschoben waren, aber – sie kehrten bald darauf, weit langsamer als sie gegangen, zurück; es gab keine Arbeit an Bord für sie, denn der Kapitän hatte schon unterwegs seinen wenigen Passagieren versprechen müssen, ihnen die Arbeit des Ausladens in Sacramento City zukommen zu lassen, überall waren Auktionen, und Waaren wurden zu wirklichen Spottpreisen verkauft. Besonders sah ich einmal einem Verkauf von Waffen mit zu, wo recht gute Terzerole, das Paar zu 1 ½ Dollar, losgeschlagen wurden. Büchsen, und zwar recht gut aussehende amerikanische Rifles, waren nichts Seltenes zu 3 und 4 Dollar das Stück. Die Aussichten für uns, die wir unter den jetzigen Umständen jedenfalls Arbeit suchen mußten, schienen ungemein schlecht.

Unsern Kranken fanden wir indessen – nicht gerade in besserm Zustand, denn das Zahnfleisch war ihm jetzt auch geschwollen und Anzeichen von Scorbut ließen sich kaum verkennen – in einem deutschen Kost- oder Boardinghaus. Der Wirth schien ihn aber dort nicht gern behalten zu wollen und wir mußten ihn, auch noch zu dem guten Geld das er dafür bekam, ordentlich bitten, den armen Teufel nicht hinauszustoßen. Der Preis für Kost und Wohnung für jeden Tag – und da schlief man noch in seinen eigenen Decken auf der Erde – war 3 ½ Dollars – die Mahlzeit 1 ¼ Dollar im einzelnen, und einfach genug dazu.

Freilich konnte man es ihm auch eben nicht verdenken, denn dieß Wirths- und Gasthaus bestand einzig und allein in einem ziemlich roh aufgerichteten und mit Latten verbundenen Gestell dünner Stangen, das Ganze dann mit gewöhnlichem dünnem Baumwollenzeug übernagelt. Für einen Theil der dort Schlafenden war, ebenfalls von Cattun, einer Art spanischer Wand gemacht und dahinter, schichtenweis wie in einem Zwischendeck, eine Anzahl Cojen aufgeschlagen. Durch einen Cattunvorhang hatte man dann das ganze Zelt in zwei Zimmer getheilt, wenn ich es so nennen kann – vorn stand die bar oder der Schenkstand, hinten war der Speisesaal und außerhalb des Hauptzelts stand noch ein kleineres, das die Küche bildete. Abgeschieden von den übrigen konnte ein Kranker hier gar nicht werden und die Gesunden hatten zuviel mit sich selber zu thun, Theil an einem Andern, Fremden zu nehmen.

Hier in Sacramento theilte sich aber jetzt unsere Gesellschaft – die Aussichten waren zu schlecht, gemeinschaftlich noch etwas thun zu können, und die übrigen fühlten auch gerade kein Bedürfniß für, einen fremden Kranken, der sie weiter nichts anging, mit zu arbeiten. Die beiden Brüder aus Berlin akkordirten deßhalb mit dem Capitän des nach San Francisco abgehenden Dampfschiffes, ihre Passage dort an Ort und Stelle, wo sie Bekannte und Freunde und auch wohl noch Waaren hatten, zu bezahlen. Unser kleiner Apotheker lief in der ganzen Stadt umher und suchte irgend eine Beschäftigung, und Hühne und ich thaten das gleiche, den Kranken sowohl in Kost und Logis zu halten, als auch die wenigen Dollars, die während seines kurzen Aufenthalts dort aufgelaufen waren, zu zahlen. Wir selber hatten dabei ebenfalls ein paarmal am Wirthstisch mitgegessen, um wenigstens einen Tag einmal wieder etwas anderes als Speck und Mehl in den Magen zu bekommen, das kostete aber – unsere Capitalien weit übersteigend – eine Masse Geld, die erst wieder verdient werden wollte.

Doch wie? Umsonst liefen wir von Schooner zu Schooner, erkundigten uns überall, wo nur die Möglichkeit schien, daß Leute Arbeit – welche es auch sey – brauchten, gingen selbst nach dem benachbarten kleinen Städtchen Suttersville hinunter, umsonst.

Nun hatten wir schon in Sacramento gehört, daß eine kurze Strecke den Strom weiter abwärts und gar nicht weit eben von Suttersville entfernt, ein Deutscher oder vielmehr Holländer Namens Schwarz wohne, der eine sehr bedeutende Strecke Land, bis fast Sacramento gegenüber an der anderen Seite des Stromes besitze und auf seinem Grund und Boden sehr viel Holz schlagen lasse. Es wäre sehr wahrscheinlich daß wir dort Arbeit bekommen könnten. Um nichts zu versäumen brachen Hühne und ich auch dorthin auf und wir erreichten den Platz gerade etwa mit Dunkelwerden.

Mr. Swarts, wie er von den Amerikanern genannt wurde, war glücklicher Weise zu Hause; so wurde uns wenigstens, auf unseren Anschrei vom anderen Ufer des Flusses, als Antwort herübergebrüllt, und bald darauf, nachdem sich der Mann drüben erst noch erkundigt hatte wie viel wir wären und ob wir Pferde mit uns führten, stieß ein kleines Canoe vom Lande ab, uns hinüber zu holen.

Nach Allem, was wir in Sacramento City über Mr. Schwarz vorher gehört hatten, mußte das ein steinreicher Mann seyn, denn die Länderstrecke allein die er sein eigen nannte, außer Vieh, Pferden etc. war enorm. Verhielt sich das aber wirklich so, so wußte er es ungemein gut zu verheimlichen oder – das Wahrscheinlichere, konnte seinen Grund und Boden und Alles, was er sein nannte, eben noch nicht zu Gelde machen, denn er lebte und hauste in einer so ärmlichen Hütte, wie ich sie nur je im Lande gefunden, und trank dabei, und wie es schien mit vieler Liebe, einen schauerlichen Fusel, den er in diversen Flaschen um sich herumstehen hatte und uns, gastlich genug, ebenfalls anbot.

Mr. Schwarz war übrigens ein Original, wie ich bis dahin noch wenige getroffen; er sprach nämlich gar keine Sprache, und wie er uns im Anfang anredete und nach Allem frug was uns anging und ihn vielleicht interessiren mochte, stutzte ich wirklich und horchte, um vor allen Dingen zu hören, welchem Welttheil die Sprache angehöre. Erst als sich das Ohr nach und nach daran gewöhnte und die einzelnen Laute zu scheiden begann, fand ich, daß der Mann deutsch sprach, hätte ich aber nicht auch zugleich englisch und etwas holländisch verstanden, ich wäre nie darauf gekommen. Hühne meinte er spräche indianisch.

Wie wir den Abend noch ausfanden, war dieß ein eigener, und seinen Verhältnissen vollkommen entsprechender Patois, den sich Mr. Schwarz hier mit der Zeit selber gebildet hatte. Zwischen Amerikanern und Deutschen lebend und meist auch mit ein oder zwei Holländern in seinem Hause, hätte er mit jedem von allen diesen eine besondere Sprache reden müssen, was, das wenigste zu sagen, unbequem war, so aber, da er die drei in eine zusammengegossen brauchte und von jeder etwa gleich viel Worte und diese Worte eben wieder selber ineinander gemischt verwandte, kam er mit allen gleich gut durch. Jeder der drei Nationen fand so viel Wörter in seiner eigenen Muttersprache darin, daß er, wenn er auch noch ein wenig von des Alten Eigenheit dabei lernte, wohl etwa errathen konnte wovon die Rede war.

An demselben Abend war auch noch ein Engländer aus irgend einem Theil der Minen, der mit Schwarz Geschäfte hatte, herunter gekommen und mir machte es besonderes Vergnügen der Unterhaltung der beiden zu lauschen. Schwarz begann mit ihm sein gewöhnliches Kauderwelsch und der Engländer schien ihn, wenigstens in etwas, zu verstehen, mußte sich aber doch wahrscheinlich zu sehr dabei quälen und bat ihn endlich, lieber mit ihm englisch zu sprechen, da er mit dem »dutch» nicht so gut zurecht komme.

Herr Schwarz, der indessen der Flasche immer freundlicher zugesprochen, sah ihn etwas verdutzt an – er hatte eben englisch gesprochen und wußte nicht was der gute Mann von ihm wollte. Im Kopf mochte es sich ihm vielleicht zugleich verwirren, ob das auch überhaupt ein Engländer wäre, es konnte ja eben so gut ein Holländer seyn, und er begann deßhalb an der Seite seines Dialogs, wo diese Sprache die vorstechendsten Farben hatte. So arbeitete sich die Unterhaltung noch einige Zeit fort, dann hielt's der Engländer aber nicht mehr länger aus und bat ihn, mit vollständiger Resignation, nur lieber wieder »dutch« zu sprechen, denn das habe er doch noch am besten verstanden.

An diesem Abend war mit Herrn Schwarz – der übrigens trotz seines Länderbesitzes zu der ungebildetsten Klasse seines Volkes gehörte, nichts mehr anzufangen – er mußte jedenfalls erst ausschlafen und wir selber, Hühne und ich bekamen, als wir darum baten, ein Nachtlager auf den Dielen des Bodens eines neu angefangenen Häuschens angewiesen, wo wir wenigstens trocken lagen – denn es regnete die Nacht wieder aus Leibeskräften – und am nächsten Morgen suchten wir mit Herrn Schwarz – oder vielmehr mit seinem Katzenjammer, denn der erstere war noch nicht zu sprechen, einen Contrakt über Arbeit abzuschließen. Wir fanden aber auch selbst den letzteren – wie übrigens kaum anders zu vermuthen – in so mißlicher Laune, daß mit ihm gar nichts anzufangen war. Er – Herr Schwarz – hatte schon, wie er meinte, eine Masse Holz aufgestapelt stehen und die Boote waren noch gar nicht da, die es nach San Francisco mit hinunternehmen sollten, und dann war baar Geld so rar in diesem Augenblick, daß man es unmöglich für Holz hinausgeben konnte.

Das Resultat blieb: Nein, keine Arbeit – und wir zogen also an demselben Morgen langsam wieder nach Sacramento City hinauf, wo doch, noch eher eine Möglichkeit blieb etwas zu verdienen.

Als wir Suttersville passirt hatten, hörten wir in dem Holz, das die Ufer des Sacramento einschloß, überall Axtschläge und dann und wann eine der alten Eichen, die hier den Hauptbaumwuchs bildeten, schmetternd und dröhnend zu Boden stürzen. Wir hielten uns, um dort womöglich genaue Nachrichten über den Preis des Holzschlagens einzuziehen, links in den Wald, und fanden uns bald mitten zwischen den Baumfällern. Sonderbarer Weise arbeiteten hier aber fast nur lauter Holzschläger »auf eigene Hand« d. h. die Leute schlugen hier von Onkel Sams Eichen nieder was ihnen vorkam und verkauften dann die Klafter an den Ersten Besten, eben für ihre Arbeit. Einzelne von den Holzschlägern selber trieben das Geschäft aber etwas mehr in's Große, und engagirten wieder Andere für eine gewisse Anzahl Klafter, die sie selber für sich schon in Auftrag genommen hatten. Diese zahlten dann aber auch natürlich etwas weniger als man bekommen konnte, wenn man selber das Risico des Verkaufs übernahm.

In der vielleicht anderthalb bis zwei englische Meilen entfernten Stadt war der ziemlich feststehende Preis einer solchen Klafter oder Cord Holz (acht Fuß lang, vier Fuß tief und vier Fuß hoch) fünfzehn Dollars – acht Dollars mußte man aber für das schwere Eichenholz auf Fuhrlohn rechnen und so blieb ungefähr für Arbeitslohn etwa sieben Dollars die Cord – immer noch ein guter Lohn, wenn man bedenkt daß ein nur halbweg guter Arbeiter eine Cord im Tag leicht aufzusetzen im Stande ist. Die Leute aber, die selbst Klaftern im Akkord solcher Art ausgaben, zahlten gewöhnlich nur fünf ein halb und sechs Dollars für die Klafter.

Soviel erfuhren wir übrigens daß wir, wenn einmal ein Klafter stehe, dieselbe auch leicht verkaufen könnten, und es schien uns jetzt selber das Beste damit ohne weiteres anzufangen, und nun auch wieder einmal zu verdienen, wo wir schon so viel verzehrt hatten.

Einen Engländer fanden wir übrigens noch an demselben Tag, der uns zwei oder drei Klafter gleich abnehmen wollte, wenn wir sie nur aufgestellt hätten, und der borgte uns auch zu diesem Zweck eine Axt – eine sehr große Hülfe gleich für den Anfang, da Aexte, besonders Stiele, sehr theuer waren, und wir nicht einen Deut Geld mehr im Vermögen hatten, als was wir eben nothwendig zu unserem täglichen Bedarf gebrauchten. Selbst die zweite Axt zu bekommen, mußte ich meine Büchsflinte in einer Eisenhandlung versetzen, und Donnerstag den 29. Novbr. gingen wir denn endlich rüstig daran.

Die ersten Tage wollte es freilich noch nicht so recht fördern, die Glieder waren noch steif von dem langen beschwerlichen Marsch, und die schlechte Kost hatte gerade auch nicht viel dazu beigetragen sie geschmeidiger und kräftiger zu machen. Hühne selber, so fleißig er sonst arbeitete, hatte noch nie eine Axt gehandhabt und wußte im Anfang gar nicht mit ihr umzugehen – der mußte erst vollständig eingelernt werden, dennoch brachten wir's schon am zweiten Tag dahin daß wir in zwölf Stunden anderthalb Klafter zusammen aufsetzen konnten, und wir fingen jetzt an zu verdienen, anstatt täglich mehr in Schulden zu gerathen.

Wer aber waren die Eigenthümer des Landes auf welchem das Holz geschlagen wurde? Niemand wußte das genau, und jeder suchte indeß den möglichsten Nutzen daraus zu ziehen. Allerdings gab es einige Leute in Sacramento die behaupteten ein Recht auf das Land zu haben, und im Holz sogar gedruckte Zettel an die Bäume heften ließen, in denen die Holzschläger vor den Folgen gewarnt und ihnen schwere Ahndung angekündigt wurde; diese Zettel rissen aber die Holzschläger nicht ab, sondern fällten nur einfach die Bäume und ließen dann das Stück an dem sie saßen zum Hohn oben auf ihrer Klafter liegen. Ueberall ließen sich dabei sogenannte »squatters« im Walde nieder, und gedachten nun auch, dem amerikanischen preemption right nach, ein Anrecht auf den Boden selber zu beanspruchen.

Eben diese Squatters waren aber auch zu gleicher Zeit thätig ihre Ansprüche in anderer Art geltend zu machen; nicht allein auf das Holz, sondern selbst auf die Stadt wollten sie diese nämlich ausdehnen, und es galt nun nichts Geringeres als alle früheren »claims« auf Grund und Boden dieses Landes, welche Einzelne haben mochten, null und nichtig zu machen. Zu diesem Zweck wurde eine Versammlung der Squatters gegen die unrechtmäßigen Ansprüche der »Landeigenthümer« ebenfalls durch Anschlagzettel ausgeschrieben, und an dem benannten Abend fanden sich am Ufer des Sacramento, dem City-Hôtel gegenüber, um eine errichtete und mit der amerikanischen Flagge geschmückte Tribüne und ein fabelhaftes wohl zehn Fuß aufloderndes Lagerfeuer, eine Masse Menschen zusammen, die unter Jubel und Hurrahschreien den Beschluß faßten, »die Ansprüche Sutters und anderer »landholders« seyen ungerecht und nichtig, jeder Bürger der Vereinigten Staaten habe als Squatter das Recht sich niederzulassen wo er wolle, und Anspruch auf 160 Acker, und sie wären nicht gesonnen sich hierin auch nur das Mindeste verkümmern zu lassen.« Allerdings traten dagegen einige zu Gunsten der Landeigenthümer auf, und ermahnten die Leute die Gesetze abzuwarten die jetzt in den Vereinigten Staaten berathen und ihre ganze Verhältnisse ordnen würden; die Squatters waren aber in zu großer Mehrzahl da, wollten auf keine Vernunft hören, und führten ihre Beschlüsse – natürlich nur in der Versammlung – endlich durch.

Bei diesen Versammlungen trat wieder recht das Unreife, Unpraktische solcher public excitements die sich auch am Ende stets selber wieder verzehren wenn sie nicht eine rechtliche und vernünftige Basis haben, klar und deutlich vor. Den Leuten fehlte hier wirklich ein vernünftiger Grund ihrer Nachbarn Eigenthum für sich zu beanspruchen – stehlen wollten sie das Ganze auch nicht gern nennen, so kam denn wieder ganz der alte Unsinn amerikanischer Volksreden auf's Tapet, wie man sie, besonders zu Wahlzeiten in den Vereinigten Staaten zum Ekel und Ueberdruß zu hören bekommt. Jungen, kaum der Schule entlaufen traten auf die Tribüne, immer das dritte Wort »the glorious flag« und der dritte Satz »wie ruhmreich ihre Väter für sie gefochten.« Alte Geschichten die es keinem Menschen mehr einfiel ihnen abzustreiten, käuten sie wieder und eine Masse halbtrunkener loafers, die sich am Feuer herumreckelten, und nur höchstens die laut geschrieenen Schlagwörter verstehen konnten, brüllten dann mit hinein in den mehr und mehr durch Aufregung und Whiskey wachsenden Tumult.

»The glorious flag« die Flagge der Vereinigten Staaten, bekam an dem Abend wohl dreißigmal drei und manchmal auch neun hip hip hip, hurrahs – je nach der passenden Gelegenheit und die Leute gaben sich die größte Mühe die Ehrbarkeit der Flagge zu beweisen, um ihre eigenen gewaltthätigen Nichtsnutzigkeiten zu bemänteln.

Diesem tollen Beschluß nach konnten die guten Leute also mit den verschiedenen Ländereien machen was sie wollten. Wie sie an diesem Abend zu Hause gingen, hielt sich jeder von ihnen etwa für einen Millionär, – das tolle geldgierige Volk ärgerte sich schon, hier nicht mehr lauter Indianer gefunden zu haben, denen man ihr Grundeigenthum natürlich vollkommen ungestraft wegnehmen konnte, und hoffte nun durch eine solche Gewaltmaßregel vielleicht dasselbe zu erreichen. Der Beschluß war jedenfalls einmal gefaßt.

Dem zu begegnen hielten die »Landeigenthümer« hiernach ebenfalls in einem der unten am Wasser gelegenen Hotels eine Versammlung, die Squatters aber, mit ihrem ganzen Treiben in Uebereinstimmung und wahrscheinlich zu beweisen daß sie »freie und unabhängige Bürger« wären, drängten sich hier hinein, und wußten sich durch Lärmen und Toben, wenn gegen ihre Ansichten gesprochen wurde, ihr Recht auch hier zu sichern – das heißt die Versammlung zu nöthigen unverrichteter Sache auseinanderzugehen. Es gibt Lumpengesindel in jeder Nation.

Hiemit hatten die Versammlungen of the free and independent citizens aber keineswegs ein Ende; gleich am nächsten Abend kam wieder eine Squatterversammlung, und fast allnächtlich schallte das nur durch donnernde Philippiken unterbrochene »Hurrah« von einigen hundert Menschen durch die stillen Straßen der Stadt.

Mitten dazwischen erschien jedoch ein Anschlag des Capitän Sutter, durch seine Agenten in Sacramento City, Brannan und Compagagnie, worin diese jeden Squatter in Sacramento City vor unbefugter Niederlassung warnten, da Capitän Sutter selber als erster Squatter dort Anspruch auf seine 160 Acker mache, und hiemit erkläre, daß das Land zwischen gewissen bezeichneten Straßen sein Eigenthum sey, und alle die, welche sich darauf unbefugt niederließen, schwere Taxen dafür würden zu bezahlen haben.

Ich verließ später Sacramento und konnte dem Schluß der Verhandlungen nicht mehr beiwohnen, das ganze gesetzlose Treiben nahm aber noch ein blutiges Ende, denn die gutgesinnten Bürger sahen sich endlich genöthigt, sich unter den Schutz des Gesetzes zu stellen, und der gegen sie ausgesandte Sheriff wurde von einigen der wahnsinnigen Menschen vom Pferde geschossen. Das aber war auch der Todesstoß der ganzen Squatterversammlungen und jene gesetzlosen Haufen wurden von der Zeit an nicht mehr geduldet.

Die Ungewißheit des Landeigenthums hatte indessen für die Holzhauer den Vortheil, daß sich Niemand mehr um sie kümmerte, denn Onkel Sam fand seine Hände in diesem Augenblick viel zu voll, sich mit solchen Kleinigkeiten einzulassen, während jedem Bürger wie Fremden, der nur Bürger zu werden beabsichtigt, das Recht nach amerikanischen Gesetzen nicht abgesprochen werden konnte, einen Platz zu »klären« oder urbar zu machen und das Holz, was ihm dort im Wege stand, wegzufällen– das Holz stand uns dort im Wege.

Während wir aber im Wald Holz schlugen, war es auch nöthig daß wir ein Unterkommen für die Nacht, und Schutz gegen den Regen hatten; ebenfalls schien es wünschenswerth uns das gleich an Ort und Stelle, wo wir arbeiteten, zu verschaffen, damit wir nicht so viele Zeit mit Hin- und Wiedergehen versäumten, als auch beim Selbstankauf von Provisionen billiger leben konnten. Ein Zelt aber waren wir noch nicht im Stande anzukaufen und mußten also auf etwas denken was uns ein Zelt zu ersetzen vermochte, das heißt Schutz gegen Wind und Wetter gewährte.

Hierzu hatten wir ein Muster ganz in der Nähe, denn nicht weit von uns entfernt wohnten noch ein paar Deutsche in einem Parterrelogis, das wir uns zum Vorbild zu nehmen gedachten. Es war dieß nichts mehr und nichts weniger als eine Erd- oder Köhlerhütte, und die Herstellung derselben geschah auf folgende Art.

Wir gruben am etwas abhängigen Ufer des Sacramento nach der Landseite zu, die Erde einige Fuß aus, daß wir hinten in der Hütte ein etwa dritthalb Fuß hohes Kamin behielten, dann stellten wir von rechts und links an eine durch Gabeln gestützte Stange andere Stangen dagegen, belegten diese mit Reisig und deckten das Ganze mit etwa sechs Zoll Erde. Ueber das Kamin setzten wir ein leeres Mehlfaß, dem natürlich oben und unten der Boden genommen war, vor den Eingang hingen wir ein geöltes Leintuch, und hatten, so links und rechts im Innern, unsere Decken auf wildem Thymian ausbreitend, ein herrliches, warmes und trockenes Quartier. Uns aber, die wir jetzt Monate lang gewöhnt gewesen waren in Sturm und Wetter draußen zu liegen, und nicht einmal einen Platz zu haben wo man die dürftige Mahlzeit verzehren oder Nachts sein Haupt hinlegen konnte, ohne daß Regen und Wind auf uns arme geplagte Menschenkindlein herniederpeitschte, schien dieß ärmliche Gestell, das uns in Deutschland für einen Hund zu feucht gewesen wäre, ein wahrer Pallast, und ich weiß mich noch recht gut des Augenblicks zu erinnern, als wir, Hühne und ich, darinnen saßen und die Bohnen nicht weich kochen wollten, und es draußen an zu regnen fing. »Auf den Schreck« – hieß es dann – und die Whiskeyflasche (ein Luxus, den wir uns nur bei feierlichen Gelegenheiten erlaubten) stand oben auf dem kleinen Real, vor dem Mehlfaßschornstein – mußten wir einen nehmen, und wir Beide freuten uns wie Kinder, daß es draußen jetzt wirklich niedergoß, während wir nicht mehr naß zu werden brauchten. Ich weiß nicht, was ich darum gegeben haben würde, wenn es die ganze Nacht so fortgeregnet hätte, und doch lagen so viele arme Menschen draußen im Freien, die kein Schutzdach über sich wußten – aber so egoistisch ist der Mensch.

Die Provisionen holten wir uns jetzt immer gleich in gewissen Quantitäten aus der nicht fernen Stadt und bekamen sie dadurch so viel billiger, daß uns unsere Erhaltung etwa einen Dollar per Tag für den Mann kostete. Dabei lebten wir, nach unseren damaligen Begriffen, wirklich luxuriös – wir hatten, so viel wir brauchten, Schiffszwieback, Kaffee, Speck und Chilenische getrocknete Bohnen, und selbst frisches Fleisch konnten wir wenigstens einmal den Tag an uns wenden – was wollten wir mehr?

Unser Kranker hatte sich indeß durch Ruhe und bessere Kost merklich erholt, dennoch war mir sein Zustand bedenklich, und ich wünschte einen Doktor deßhalb zu Rathe zu ziehen. Die unmäßigen ärztlichen Honorare waren wir aber mit der mühseligen Holzarbeit gar nicht im Stande zu bezahlen, und natürlich suchten wir deßhalb, durch Hülfe unseres früheren Reisegefährten, des Apothekers, einen deutschen Arzt auf. Dieser fand einen gewissen Doktor Irmler – ich glaube gerade von Deutschland gekommen – und nahm den jungen Matrosen eines Morgens mit zu ihm hin; der deutsche Doktor erklärte aber, ohne Bezahlung nichts für ihn thun zu können, wenn der Kranke jedoch, der eigentlich gar nicht so sehr krank sey, mit ihm arbeiten und ihm beim Bau eines aus Weiden zu flechtenden Wohnhauses helfen wolle, so werde er ihm Medicin, die sonst vier Dollars koste, geben. »Uebrigens,« setzte Herr Doktor Irmler hinzu, »muß er mir kommen, denn er geht sonst auf den Kirchhof!« Und das war ein Deutscher.

Ich versuchte jetzt – denn ich hätte den Herrn Doktor Irmler eher beim Teufel gesehen, als daß der Kranke, der so kaum seine Glieder zu brauchen vermochte, bei ihm arbeiten sollte – einen amerikanischen Arzt, einen Doktor White, aufzufinden, und machte mich an einem Sonntag Morgen mit unserem Patienten dorthin auf. Doktor White hatte zugleich das neuerrichtete Hospital in Sacramento City zu versehen, und man machte uns Hoffnung, daß wir den jungen Mann dorthin unterbringen könnten. Der Doktor aber, wahrscheinlich überhaupt sehr in Anspruch genommen, war trotz mehrfachen Versuchen nicht aufzufinden und ich schrieb ihm endlich einen Brief, da unser kleiner Apotheker sowohl als der Kranke kein Englisch sprachen, und trug ihnen auf, am nächsten Morgen den Versuch zu erneuern (da ich der Holzarbeit wegen an Wochentagen nicht in der Stadt seyn konnte). Ob sie damit hingegangen sind weiß ich nicht, der Kranke hatte aber eine merkwürdige Abneigung gegen jeden Arzt, und sträubte sich fortwährend dagegen einen um Rath zu fragen. Auf mein fortwährendes Dringen danach meinte er zuletzt, es sey nutzlos, er fühle sich um Vieles besser, und brauche keinen Arzt mehr.

Dicht neben dem deutschen Kostzelt jenes »Mr. Smith«, wie er sich nannte, hatten drei andere Deutsche, die ebenfalls mit der Reform gekommen waren, ihr kleines Zelt errichtet. Es waren drei junge Leute, alle drei musikalisch und an harte Arbeit eben nicht gewöhnt, so daß sie durch Musik ihren Unterhalt zu erwerben suchten. Hiezu war aber keine andere Gelegenheit, als wenn sie in den »Spielhöllen« spielten. Jene Leute nämlich, welche Spieltische im Hause hielten, fanden es in ihrem Vortheil Musik dabei zu unterhalten, und wo möglich laute tönende Musik, um Neugierige herbei zu locken, die dann durch die aufgehäuften Geldrollen und ein gutes Beispiel leicht bewogen werden konnten, ihr »Glück« einmal zu versuchen und, wenn sie Ausdauer genug hatten, ihre paar Dollar dort zu lassen. In ein solches Haus vermietheten sich die drei; der eine von ihnen spielte wirklich vortrefflich die Flöte, die andern Beiden Guitarre und sie machten sich gegen ein bestimmtes Honorar verbindlich, Morgens, glaub ich, zwei oder drei, und Abends vier Stunden in einem bestimmten Lokal zu musiciren.

Wie sie dabei spielten kam in der That nicht besonders darauf an, wenn sie nur »noise« (Spektakel) nach der Amerikaner eignen Aussage machten und da in manchen Gegenden der Stadt Spielhaus an Spielhaus stand, die Wände aber nur durch dünne Bretter oder Leinwand gebildet wurden und in jedem eine Gesellschaft von Musikern oder Musikanten saß, so läßt sich etwa denken, was für ein Heidenlärm da manchmal aufgeführt wurde.

Gerüchte über vortreffliche Minen, die sich ganz in der Nähe befinden sollten, verleiteten diese jungen Leute übrigens auch einmal, Flöte und Guitarre bei Seite zu legen und es eine Zeitlang mit Spitzhacke und Schaufel zu versuchen. Die letzteren Instrumente schienen ihnen aber weit weniger zugesagt zu haben, denn sie kamen nach sehr kurzer Zeit nach Sacramento zurück und suchten die etwas steif gewordenen Finger wieder gelenk zu spielen.

Mit unserem Kranken hatten wir indessen wieder mehr Sorgen, der Wirth erklärte nämlich, ihn unter keiner Bedingung länger behalten zu können, da er ihm die gesunden Menschen vertreibe, und von denen hätte er mehr Nutzen. Der Kranke durfte natürlich keine Spirituosen trinken, und an denen verdienten die Wirthe das meiste Geld. Ich lief nun in allen übrigen Gasthäusern der Stadt, wobei noch drei deutsche waren, herum, und alle erwiederten mir dasselbe, ein einziges amerikanisches Spielhaus wollte ihm für 21 Dollar die Woche einen Platz auf dem Boden gönnen, dort wurde aber fortwährend ein solcher Heidenlärm mit Trommeln und Trompeten getrieben, daß er es dort keine vier und zwanzig Stunden ausgehalten hätte. Die drei jungen deutschen Musiker, die ihn ja auch kannten, da sie mit demselben Schiff gekommen waren, erboten sich endlich ihn in ihr Zelt zu nehmen, daß er wenigstens ein Obdach hätte, und da dieß dicht bei dem Kostzelt war, akkordirten wir mit der Wirthin, ihn die für ihn passendsten Lebensmittel, besonders gekochtes Obst und derartiges, haben zu lassen. Dort war er also doch wenigstens untergebracht, aber freilich entbehrte er hier in diesem wilden Leben, in dem es kaum ein Gesunder ordentlich aushielt, auch fast aller Bequemlichkeiten, die einem Kranken in seinem Zustand eigentlich gehörten; wir waren aber nicht im Stande, mehr für ihn zu thun und ich hoffte nur jetzt noch, da ich doch selber beabsichtigte bald nach San Francisco hinunter zu gehen, ihm dort einen Platz in einem Spital zu verschaffen, wo er dann bessere Pflege und Wartung, und die Hauptsache, gute Medicin bekommen konnte. In dem Freihospital Sacramentos war keine Stelle mehr offen.

Bis Montag den 10. December hatten Hühne und ich all unsere und des Kranken Schulden getilgt, und da wir diesen, für jetzt wenigstens, untergebracht wußten, beschloß ich, selber nach San Francisco zurückzukehren und dort vor allen Dingen einmal der freundlichen Einladung der beiden von Witzleben zu folgen und nach der Mission Dolores hinaus zu gehen, bis ich sehen würde, was ich selber mit mir anfangen könnte; Hühne und Kunitz begannen von jetzt an aber das Candy-Geschäft in Compagnie, und zogen draußen in unsere Erdhütte, wo sie mitsammen hausten und Kunitz die Fabrikation, Hühne aber den Vertrieb besorgte.

Dienstag Morgen den 11. December fuhr ich mit dem zwischen Sacramento City und San Francisco laufenden Dampfschiff nach dieser Stadt, auf dem neuen und größten Dampfboot, das bis dahin den Sacramento befahren hatte – dem Senator – die Passage war 25 Dollars für eine Fahrt von etwa 16 Stunden, ohne Essen und Schlafstelle, und ich mußte meine letzten Wasserstiefeln verkaufen, diese Passage zu erschwingen. Wasserstiefeln galten damals in Sacramento neu bis zu 3 Unzen, 48 Dollars, das Paar.

Die Reise war, widrigen Windes wegen, der das Boot aufhielt, nicht besonders rasch, und wir kamen, eine ziemliche Weile nach Dunkelwerden, in einer förmlichen Stockfinsterniß auf der Rhede von San Francisco an. Kaum aber hielt unser Anker, als ein förmlicher Sturm losbrach, und mit geringer Unterbrechung die ganze Nacht durch wüthete – es sollen sogar Erdstöße verspürt worden seyn; in der Stadt fielen wenigstens mehrere Häuser ein, und vor der Einfahrt der Bau oder dem sogenannten »goldenen Thor« verunglückten mehrere Schiffe, ich selbst aber habe nichts davon gemerkt; ich schlief, von den aufgeregten Wassern gewiegt, sanft in meine Decken gehüllt, und erwachte erst wieder, als es schon heller Tag und das Wetter ruhiger geworden war. Es regnete aber wieder.


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