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Humoresken.

I. Lämmchen.

»Lieber Ernst!

Dank für Deinen Brief aus Paris. Das muß ja eine ganz großartige Veranstaltung sein, diese Ausstellung! Deine ausführlichen Berichte über die ganzen kaufmännischen Teile derselben, haben uns höchlichst interessiert. Nach reiflicher Überlegung haben wir nun beschlossen, unserem Erich eine Reise nach Paris in bar auf den Geburtstagstisch zu legen. Er kann dort entschieden viel lernen und neue Beziehungen anknüpfen. Nebenbei soll er sich flott amüsieren! Die Tante und ich freuen uns, daß Du zur Zeit gerade am Platze bist! Nimm Dich unseres Einzigen ein bischen an und suche ihm etwas Schneid beizubringen. Er ist von Charakter zu still und sanft und durch den ewigen Umgang mit Damen nicht flott genug. Der Junge ist noch nie allein gereist, sei ihm also in der Fremde ein wenig zur Seite!

Mißverstehe uns beileibe nicht, lieber Neffe! – Unser Erich soll in Paris und unter Deiner Schule nicht etwa ein Wüstling werden. Um des Himmelswillen, meine Frau wäre unglücklich, denn sie hat schon ein nettes, passendes Bräutchen für ihn warmgestellt. Und diese besagte, junge Dame, wie ihre Familie sind sehr gesittet! – Wir überlassen ihn und seine Führung dort Deinem Takte! Wenn Du uns für unsern ›Duckmäuser‹ nach ein paar Wochen einen ›flotten Burschen‹ heimsendest, so sei unseres Dankes gewiß. Was Du an unserm Jungen thust, bleibt Dir unvergessen von Deinen Verwandten Adolf und Laura.

Erich trifft übermorgen: Sonnabend Abend um dreiviertel sieben Uhr d. Abends aus dem Nordbahnhofe ein und wäre Dir sehr dankbar, wenn Du ihn abholtest und irgendwo vorher ein Zimmerchen besorgt hättest. Mit herzlichen Grüßen von Tante Laura und den Cousinen schließe auch ich und verbleibe

Dein treuer Onkel
Adolf Kramer.«

»Na, das kann nett werden! Ich danke!« seufzte der junge Mann, der dies Schreiben empfangen hatte und warf es ärgerlich auf den Tisch.

»Was ist denn los, Kurt, warum stöhnst Du so?« fragte sein Freund Willi und richtete sich aus der bequemen Stellung auf, die er auf dem Divan genommen hatte. – Neugierig betrachtete er den andern, der, wie ein gefesselter Löwe im Käfig, im Zimmer auf- und abraste. »Die Leute sind wahnsinnig,– – – schicken ihr verpimpeltes Mustersöhnchen her, damit er in Paris flott wird. Erich, der nicht muckst, wenn die Frau Mama: piep – sagt! Der nie über die Stränge schlägt und bleich wird, wenn ein vernünftiger Mensch längst verlernt hat, rot zu werden! Und ich muß Kindermädchen spielen!? So ein Pech! ›Lämmchen‹ haben sie meinen Vetter schon in der Schule genannt. Was will der Mann hier in diesem Sodom und Gomorrha? Der soll in seinem Nest ein Täubchen heiraten und eine fromme – – –«

»Willst du nicht das Lämmchen hüten? Lämmchen ist so fromm und gut?« höhnte Willi lachend, dann schlug er sich vergnügt aufs Knie. – »Weißte, Kurt, die Sache ist sogar interessant. Ich denke mir die Erziehung eines Paulus zum Saulus tausendmal netter als umgekehrt! Wir nehmen das ›Musterkind aus Tugendstadt‹ in Empfang und schleifen es à travers Paris. Wir zeigen ihm die Sünde in ihrer verlockendsten Gestalt, daß sich seine wolligen Lämmchenlocken sträuben, verschaffen ihm ein nettes Abenteuer nach dem andern. Dann, wenn aus dem weißen Lämmchen ein schwarzer Wolf geworden ist, schicken wir ihn seinen Eltern und seiner Zukünftigen wieder zu. Laß sie dann sehen, wie sie mit ihm fertig werden! Warum laden sie uns das Bürschchen auf?«

Kurt Tronert hatte aufmerksam gelauscht und dann überlegt: »Ich glaube nur nicht, daß aus Erich viel zu machen ist. Sonst hast du recht; die Aufgabe ist ziemlich verlockend! Denke bloß an, der Junge war nur zwei- oder dreimal unter elterlichem Schutz in Berlin und hat vom Großstadtleben keine blasse Ahnung. Jahraus jahrein sitzt er mit Vatern in dem elenden Nest im Fabrikkontor und kommt sich schon wie ein Schlemmer vor, wenn er bei den Markten in der Umgegend einer Pulle deutschen Sekt den Hals bricht oder eine kleine Kellnerin abküßt!« –

»Desto besser!« jubelte Willi Bernd. »Denk doch, wie interessant es ist, einem solchen vorsintflutlichen Knopp Paris zu zeigen. Dem gehen ja die Augen über vor Entsetzen. Kann er französisch?«

»Na ob, die Gouvernante lebt noch im Hause, eine alte Genfer Schreckschraube. Die Kinder meines Onkels sprechen französisch wie ihre Muttersprache – – – besser als ich!«

»Schade, da kann man ihm nicht soviel vorschwindeln! – – – Na, es wird sich auch so schon arrangieren lassen. Wir beide als Bärenführer und Lämmchentöter, das wird zum Kegeln! Wir müssen uns nur nie widersprechen und hübsch in die Hände arbeiten, und dann vor allem Programm machen!«

»Wie denkst du dir denn die Geschichte? Menschenkind, mit dir geht deine Phantasie wieder mal durch! Überhaupt haben wir doch nebenbei einen Beruf in Paris!«

»Ach Unsinn! Wir machen uns so oft als möglich frei. Ich schwänze die Akademie und du dein Büreau, das ist höchst einfach! Dann muß doch Kramer die Ausstellung und die Museen besuchen, nicht wahr? Siehst du, da lassen wir ihn eben allein hin und nehmen ihn erst abends in Beschlag! Nur Mut, die Sache macht sich! Holdrio–ao–au!«

Der übermütige Bernd tanzte schon in der Vorfreude seiner beabsichtigten Streiche auf dem Sofa hin und her. Er steckte schließlich den etwas verstimmten Freund mit seinem ausgelassenen Wesen an. Beide machten Pläne und verwarfen sie, lachten schon im Voraus über neue Projekte und entwarfen endlich einen regelrechten Feldzugsplan. – »So!« – meinte Willi befriedigt. »Wenn der Kerl nun einen Tropfen Männerblut in den Adern hat, dann muß er anbeißen. Na, warte man, Tante Laura, wenn dein Einziger erst Blut geleckt hat, dann werdet ihr an Stelle eines Lämmchens einen netten Werwolf in euern Schafsstall bekommen! Wehe, wenn er losgelassen!« – –

Am Sonnabend standen die beiden Verschworenen auf dem Nordbahnhofe an der Barriere, die den Bahnsteig von der Halle trennte. Wegen der Überfüllung der Züge ließ man, außer den Gepäckträgern, keinen Menschen mehr passieren. – Verschmitzt blickten die Freunde ausspähend in den herannahenden Strom von Reisenden. Aber so sehr sie auch die Hälse reckten, der Erwartete war noch immer nicht zu erblicken. Schon glaubten sie, daß er gar nicht mehr kommen würde! Da endlich! Ganz hinten tauchte er auf: »Da, das ist Kramer!« sagte Kurt. »Aber zum Teufel, der ist ja wie ein Gepäckwagen beladen, und wer sind denn die beiden Damen? Der wird doch nicht etwa meine beiden Cousinen anschleppen – – – heiliger Bimbam! – – – Nein, sie sind es nicht; aber kleinstädtisch sehen sie auch aus. Die ganze Provinz liegt auf ihnen. Hoffentlich hat er keine Verpflichtungen gegen sie!« –

»Er sieht sehr anständig aus. Wer weiß, wie du wieder übertrieben hast,« entgegnete Bernd verstimmt. – Ehe er noch weitersprechen konnte, waren die drei angekommen. Der junge Herr Fabrikbesitzer Kramer nahm die Begrüßung seines Vetters etwas verlegen entgegen. Er war so beladen, daß er ihm nicht einmal die Hand reichen konnte und auch die Vorstellung Willi Bernds nur mit einer Verbeugung zu erwidern vermochte.

»Entschuldige mich eine Minute, lieber Kurt,« stotterte er hervor, »ich habe diesen beiden jungen Damen, welche ich im Zuge kennen lernte, meine Begleitung bis zur Droschke versprochen. Sie sind zum erstenmal in Paris und sehr ängstlich!« – – »Oho, Herr Kramer, Sie täuschen sich aber entschieden in mir. Ich war schon dreimal allein in Berlin und bin eine sehr selbständige Natur. Nur Mariechen, meine jüngste Schwester, ist etwas furchtsam! Und dann dieser Mangel an Gepäckträgern. Ohne Ihre Liebenswürdigkeit säßen wir mit unserm vielen Handgepäck noch im Zuge«, widersprach die eine Dame, die nicht mehr ganz jung war. »Sie werden erwartet, bitte, geben Sie nur die Sachen her und überlassen Sie uns unserm Schicksale!« – – »Im Gegenteil!« versicherte er eifrig und betrachtete das – etwas furchtsame, blondblasse Mariechen wohlwollend. Auch die andern Herren boten jetzt ihre Dienste an. Kramer stellte seine Schützlinge als zwei Fräulein Thoremann aus Stendal vor. –

Tronert und Bernd nahmen ihnen noch ihre Handtaschen und Schirmhülsen fort, suchten eine Droschke und gaben dem Kutscher die Adresse der Pension an, in welcher die beiden Mädchen sich eine Unterkunft gesichert hatten. Sie schieden als gute Freunde, denn die Damen bedankten sich zahllose Male. Ihr Reisegefährte aber notierte sich noch hastig ihre Wohnung auf und versprach, sich noch im Laufe der nächsten Tage nach ihrem Befinden erkundigen zu wollen. – Der Wagen rollte fort. Kaum war er außer Sehweite, so verließ den guten Erich seine stolze Sicherheit. Er schien auch über die plötzliche Freiheit seiner Arme erstaunt, denn er ließ sie schlaff herabhängen und blickte den Cousin etwas unsicher an.

»Sage mal, Mensch, hast du denn kein Gepäck und nichts mitgebracht?« fragte Kurt erstaunt den Angekommenen. »Ich; aber natürlich!« rief dieser betroffen. »Himmel, in der Aufregung mit den Damen habe ich meine eigenen Sachen im Coupé gelassen, und dann mein Koffer – – – ich muß ja noch zur Zollrevision!« »Du ahnst es nicht!« stieß Willi lachend hervor. »Nun, ich werde die Geschichte schon deichseln!« – – Er packte einen Gepäckträger, der gerade herumstand, versprach ihm ein nettes Trinkgeld, und mit der Hilfe dieses gewandten Menschen saßen sie denn auch wirklich ein halbes Stündchen später in einer Droschke und rollten ihrem Hôtel garni zu, in dem sie selbst wohnten und auch für den Erwarteten ein Zimmer belegt hatten.

Mit vielsagendem Lächeln saß Willi Bernd auf dem strapontin (aufgeklappter Rücksitz) und bewahrte eine große ›Reisedecke – einen Freßkober – eine Plaidhülle mit eingeschnürten Schirmen und eine Handtasche‹ vor dem Hinausgeworfenwerden. Obendrein hatte der Rosselenker noch einen sehr anständigen Koffer neben sich, so daß »Lämmchen« ebenso gut hätte eine Nordlandsentdeckungsreise antreten können. »Aber Mutter meinte: in Paris sei das Klima so wechselnd; und da sei es besser, mit der Equipierung auf alles vorbereitet zu sein!« entschuldigte er sich, als er die erstaunten Gesichter der beiden Freunde sah.

Kurt als Erklärer zeigte dem ganz benommenen Verwandten einzelne Gebäude und Straßen und machte ihn auf das brandende Leben, den Riesenverkehr ringsum, aufmerksam. Wie die Bogensehnen schnellten die Gedanken des Neueingetroffenen aber immer wieder auf seine Fahrtgefährtinnen zurück. Er bedauerte sie, daß sie allein durch den Trubel in der wildfremden Stadt fahren mußten, und erkundigte sich ängstlich nach der Sicherheit der Pariser Droschkenkutscher. Dann erzählte er von ihren Absichten hier, rühmte ihre bescheidene Zurückhaltung und Liebenswürdigkeit, bis Tronert ihn ärgerlich unterbrach.

»Nun hör' aber endlich von den beiden kleinstädtischen Gänschen auf, lieber Erich, und sieh dir Paris an!« rief er. »Man könnte fast glauben, du hättest dich in sie verknallt, und das war doch nicht der Zweck deiner Fahrt!« – Kramer verstummte förmlich erschreckt, zwang sich zur Aufmerksamkeit und sah sich staunend um. – Im Hotel ließen sie ihm nicht viel Zeit, um seine Toilette in Ordnung zu bringen. Beide hatten mit dem Diner auf ihn gewartet und drängten den abgespannten Mann zur Eile. Ehe er noch zur Besinnung kam, saßen sie mit ihm oben auf einer Imperiale der Pferdebahn, schleppten ihn dann in einen Omnibus und fuhren zur Ausstellung.

Als Kramer am nächsten Morgen aufwachte, dauerte es eine ganze Zeit, ehe er mit seinen Eindrücken ins Reine kam. Vorerst wußte er nur, daß er sich nachts um zwei Uhr tödlich erschöpft auf sein Bett geworfen. Die Strapazen der langen Reise, das wahnsinnige Treiben von Paris, die illuminierten Gebäude und der Eiffelturm auf dem Champ de Mars, das alles kreiste kunterbunt in seinem Kopfe. Jetzt fiel ihm ein, daß sie erst in dem zierlichen Schweizerhaus vor dem Palais Lumineux gespeist und tüchtig getrunken hatten. Die kleinen Kellnerinnen in ihrer Landestracht, mit ihrem deutschen Kauderwelsch, hatten sich um den hölzernen Tisch gedrängt. Die beiden anderen hatten sich mit ihnen geneckt, er auch? Ja, ihm war so vergnügt zu Mute gewesen, als ob er nach Burgdorf zum Jahrmarkte gefahren sei. Ringsherum deutsche Laute und all der Ulk wie dort! Und doch war er in Paris! – – – – Himmel, war er müde! Nachher in dem Café der Rauch und der Absinth! Ja, das war doch großstädtisches Leben und Treiben! Sein Kopf brummte. Er entschloß sich nur mit größter Aufbietung aller Energie zum Aufstehen. Erschreckt betrachtete er sich im Spiegel.

Himmel! Ob das niedliche blonde Mariechen Thoremann und ihre resolute Schwester auch so aussahen wie alter Käse? – Die kleine Bernerin, die Gusti von gestern, war sehr nett mit dem schwarzen Spitzenhäubchen auf den blonden Haaren, aber – – – – – so goldig blond wie die von der kleinen Stendalerin waren sie doch nicht. Und diese wurde immer rot, wenn er mit ihr sprach, und lächelte mit ihren kleinen Mausezähnchen so kindlich verlegen. Dabei war sie so selig über die Pariser Reise, die ihnen die Großeltern gespendet. – – – – Die Gusti wurde nicht mehr rot, dennoch hatte der Vetter schon etwas sehr gewürzte Witzchen mit ihr gemacht. Dazu hätte ›er‹ nie die Courage gehabt! Woran lag das nur?

»Sage 'mal, Erich, willst du den schönen Sonntag verschlafen?« rief Kurt an der Thür. »Wir sind heute frei und können uns dir widmen, darum allons! Time is money!« – – Wieder ging es fort nach der Ausstellung, wo die drei Herren umherbummelten und bis gegen Mittag blieben. Dann aber schreckte sie der Riesenandrang des Pariser Pöbels doch ein wenig, und sie kehrten in die Stadt zurück. »Was machen wir jetzt?« fragte der schon wieder müde Gewordene etwas unruhig. »Einen Stadtbummel, nachdem wir, dem Sonntag zu Ehren, beim Palais Royal im › Diner National‹ dejeuniert haben. Dann fahren wir ein bischen auf der Seine spazieren, und am Abend sind wir im Quartier Montmartre. Da werden Sie Pariser Leben kennen lernen. Und wenn Sie flott sind, können Sie noch heute eine nette Bekanntschaft machen. Um halb sieben Uhr abends essen wir unser Diner in der Passage Jouffroy und denken dort ein paar nette Bekannte von früher her aufzugabeln. Es wird ein forscher Abend, an dem Sie beweisen sollen, daß Sie kein Kleinstädter und kein Duckmäuser sind!«

»Ja, Erich, bei meinem Freund bist du in der hohen Schule. Er ist ein furchtbarer Don Juan und redet sich ein, daß nur Berliner Schneidigkeit haben. Wir seien misepetrige Provinzratten, behauptet et. Nicht wahr, das lassen wir uns von so einem großschnäuzigen Residenzler nicht nachsagen? Wir werden ihm das Gegenteil beweisen!« – – »Ich denke doch!« antwortete Kramer, sich aufreckend. »Kein Mann läßt sich nachsagen, daß er ein Duckmäuser ist!« – – »Siehst Du, Dicker!« rief Kurt Tronert lachend und blickte seinen Verbündeten an. »Da hast Du es! Schon in mir hattest Du die Provinz unterschätzt und mußtest pater peccavi sagen. Schau' nur Erich genau an, er ist ein schneidiger Bursche und macht absolut keine lächerliche Figur!« – »Das habe ich auch garnicht behauptet!« stritt Bernd. »Äußerlich repräsentiert Ihr wie wir. Aber Ihr habt keine Traute. Dein Vetter in Ehren; aber ich bin doch überzeugt, daß er nicht wagen würde, solch chicke kleine Pariser Ratte anzusprechen und sich wie ihr einen vergnügten Abend zu machen! Nehmen Sie es nicht übel, Herr Kramer, Sie machen jedoch einen furchtbar tugendhaften Eindruck und scheinen ein frommes ›Lämmchen‹ zu sein?«

Der Schelm gebrauchte dies Wort mit vollster Absicht, machte aber beim Aussprechen ein sehr harmloses Gesicht. Erich zuckte getroffen zusammen. Dieser alte Spitznamen verwundete ihn tief. Mißtrauisch blickte er seinen Verwandten an. Dieser aber sah ebenso unbefangen aus und schaute gespannt einer schönen Französin nach, die graziös vorbeiwippte. Nein, augenscheinlich hatte Kurt nicht geklatscht, und der Berliner war nur zufällig auf diesen verhaßten Ausdruck geraten. – »Oho.« entgegnete er und zog sich reckend die Weste gerade, »Sie scheinen doch kein guter Menschenkenner zu sein! Ich kann mein Stückchen vollführen so gut wie nur einer! Sie müssen nur nicht vergessen, daß ich noch ein wenig reisemüde war, lieber Bernd, darum konnte ich auch gestern nicht so gut mithalten. Heute wird das schon anders werden, obschon der Pariser Wirrwarr mir nach der Ruhe daheim doch ein wenig auf die Nerven fällt! – – Verkennen Sie mich nicht! Ich bin auch kein Unmensch oder Kostverächter, und wenn ich nur will, kann ich auch mein – – – – –«

»Entschuldigen Sie, Herr Kramer, aber ich bin ein sehr ungläubiger Thomas. Ich habe einen scharfen Blick für Lebemänner und Familienhelden. Ich hielt Sie für einen solchen! Aber nicht wahr, ich kann mich ja täuschen? Heute auf dem Montmartre werden Sie mir ja das Gegenteil beweisen. Ich lasse mich gern überzeugen!« entgegnete Willi stichelnd.

Todmüde von ihren Kreuz- und Quergängen durch die schöne Stadt, waren die drei Herren endlich in dem Restaurant gelandet, in dem sie ihr Diner verzehren wollten. Schon unterwegs hatte Kramer sich auf seine Don Juanrolle eingeübt und den Bramarbas ausgespielt. Er hatte vorübergehende Damen kritisiert oder abfällig mit wenigen Worten abgethan. Oder er hatte zum geheimen Vergnügen der beiden andern mit dem weiblichen Geschlechte, gleichviel welchen Standes, kokettiert. Jetzt hielt er in dem ziemlich vollen, großen Saale Umschau. Bernds Wesen und richtige Beurteilung seiner Person kränkte ihn doch. Er beschloß, sich vor diesem unverschämten Berliner keine Blöße zu geben und sich nicht imponieren zu lassen. So that er denn, als ob ihm nichts neu sei, und er den berühmten Pariser Chick in seinem Heimatstädtchen aus dem ff studiert habe. – Auch jetzt schaute er mit geheimem Bangen, äußerlich ziemlich kühn um sich.

An einem nicht entfernten Tische saß ein Herr mit zwei Damen. Beide noch jung, beide sehr nett und mit gewisser Auffälligkeit kostümiert. – Gerade erhob sich der Begleiter, sprach mit dem Kellner und verschwand. – – »Sehen Sie nur die da, lieber Bernd,« sagte Erich leise, »das sind niedliche Käfer. Sicher zwei kleine Ballettratten! Solch blonde Pariserinnen fallen doch sofort ins Auge. Wie sie hierher schielen, denen komme ich einen Schluck!« – Er erhob sein Weinglas und trank den Gegenübersitzenden zu. Sie sahen ihn erst ein wenig betroffen an, dann flüsterten sie sich etwas ins Ohr und lächelten. »So ist's recht, nur weiter! Sie sind ein Hauptkerl!« ermunterte Willi. – – »Ei ei, Jungeken, ich erkenne dich gar nicht wieder, du bist ja hier ein ganz anderer Mensch. Sieh mal einer an, was aus Kindern werden kann!« lobte Kurt. – – – Erich hatte etwas Herzklopfen und fühlte sich gar nicht recht wohl in seiner Haut. Aber die Anerkennung stachelte ihn auf. »Oho, das ist doch nix! Fortsetzung folgt ja erst!« meinte er und sagte auf französisch halblaut zu den Damen: »Auf Ihre Gesundheit, meine Schönen!«

Diesmal wandte ihm die eine energisch den Rücken zu. Die andere wurde sehr rot. »Ich habe nie eine schönere Aussicht gehabt!« fuhr er in seinem wirklich einwandsfreim Französisch fort. »Wie das gut thut, einen vorzüglichen Tropfen im Glase und ein reizendes Gesicht vor sich zu haben!« – – Ihm klopfte das Herz. Nummer Zwei wandte sich noch mehr erglühend von ihm ab. Der Herr kehrte zurück und setzte sich wieder an den Tisch. Sie schienen ihm seine Apostrophe haarklein zu beichten. Er bekam nämlich einen sehr roten Kopf und wurde ärgerlich. »Ach was,« rief er ziemlich deutlich, »Heuer versteht hier jeder Trottel deutsch! Und wenn sich so a lausiger Pariser Kommis einbild't, er kann uns haranguieren, alsdann muß man 'm 's Gegenteil beweisen!« – – Und siehe, der dicke Mann erhob sich sehr energisch und trat zu den drei jungen Leuten:

» Messieurs, soviel von Deitsch werden's verstehen, als ich Ihnen zu sagen hab'. Wir seien aus Wean und's gefreut uns, daß Sie an den Gesichterln von meiner Frau Schwägerin und meiner Gattin a Gefallen haben; aber Ihre französischen Adressen verbitten wir uns ganz energisch! Compris, oui?« – – Sein Ton war sehr drohend geworden. Er blickte alle drei strafend und wütend der Reihe nach an und begab sich auf seinen Platz zurück. – – Kramer saß totenbleich wie versteinert da, während sich die Freunde unter dem Tisch vergnügt kniffen. Es war gut, daß der Kellner gerade den zweiten Gang brachte und somit der Verlegenheit ein Ende machte. Bernd begann über das Essen zu plaudern, und die Mahlzeit verlief noch ganz behaglich, denn Erich ermannte sich auch allgemach. – Von dem Restaurant stiegen sie in das Café vor der Passage hinunter und nahmen an einem der kleinen Marmortische auf dem Boulevard ihren Kaffee. »Nun ist Ihnen wohl der Appetit zu weiteren Abenteuern vergangen?«

»Mir, oho!?« – – »Na, Du siehst so bedrippst aus!« – – »Ich, was Du nicht immer hast!« erwiderte Lämmchen gereizt. »Ich stehe ja erst am Anfang meiner Heldenthaten, oder glaubst Du, daß der Wiener mich in Grund und Boden vernichtet hat?« gegenfragte er heftig. – – »Wenn ich Ihnen raten darf, Herr Kramer, dann sprechen Sie hier nicht so schnell fremde Damen an. Das hat man ja gar nicht nötig, denn die Halbwelt wartet darauf nicht, sondern kommt Ihnen so entgegen, daß Sie wirklich bloß Ja und Amen zu sagen brauchen! Natürlich nachher in der Dunkelheit und in den Cabarets oder Balllokalen wählen Sie nach Geschmack, und lassen Sie sich nicht von alten Wracks ausbeuten!« – – »Danke Ihnen, Herr Bernd! Sie sind sehr freundlich!« sagte der Beratene und blickte auf die geschminkten, parfümduftenden Gestalten, die unmittelbar vor ihm vorbeiwandelten und ihn mit herausfordernden Augen maßen. Halb staunend, halb entsetzt blickte er auf das Treiben des Boulevards, auf die zahllosen Wagen und die unverhohlenen Frechheiten ringsum.

Zwei kleine Personen in Radfahrkostümen hatten ihn schon eine ganze Weile beobachtet. Jetzt blieben sie dicht vor ihm stehen, die eine ergriff seine Tasse und trank den Rest seines Getränkes, während die andere ihm einen Schlag auf die Schulter gab und um einen › boc‹ (Glas Bier) bat. – Mit einem leichten Schrei fuhr Erich empor. – »Empörend!« sagte er unwillkürlich und sah die Gefährten an, die amüsiert auf sein ferneres Verhalten zu lauern schienen. ›Nur sich keine Blöße geben‹ – dachte er und ermannte sich: »Macht, daß Ihr fortkommt oder – – – –« begann er drohend, und in seinem Ton zitterte eine solche Empörung, daß sie sich mit heftigen Schimpfworten trennten. »Das hat man doch nicht nötig!« meinte er kaltblütig. »Da müssen denn doch andere kommen! Aber schauen Sie nur dies Unwesen hinter uns. Und das in vollem Tageslicht, während der Gendarm daneben steht! Das geht denn doch zu weit!« – – Die Freunde stimmten ihm bei und erzählten ihm wahre Räubergeschichten aus ihrer Praxis. – Die Zeit verstrich schnell. Unsere drei machten Programm, um ihren Montmartre-Bummel endlich zu beginnen. Kramer sehnte sich nach seinem Bette und Ruhe, aber er wollte es nicht eingestehen. Schon jetzt schien es ihm, als habe er genug von diesem lärmenden, wüsten Paris.

Er biß sich auf die Lippen, um diese Meinung nicht laut werden zu lassen. Zerstreut horchte er auf das Gespräch seiner Begleiter. Sie hatten ein paar bekannte Mädchen, die in einem Magazin auf dem Boulevard de Sewastopol konditionierten, in dies Café bestellt und warteten jetzt auf ihr Erscheinen. – Es dunkelte bereits stark, als die Ersehnten sich endlich einstellten. Estelle Duriez und Ivonne Chalant waren zwei echte Pariserinnen. Nicht groß, in der Taille furchtbar eingeschnürt, verrieten sie in ihrem Anzug den unglaublichen Chick ihrer Vaterstadt. Nur Kenneraugen errieten an der Qualität ihrer Stoffe und Spitzenbesätze, an den etwas knittrigen Bandschleifen, daß diese Eleganz sehr billig war und aus den Dufayelschen Magazinen stammte. Die Haare waren bei beiden rotgefärbt, die frechen kleinen Fratzen stark bemalt und gepudert. Und doch wirkten die maskengleichen Gesichter, die unnatürlichen Figürchen sehr pikant! Kramer verglich sie nicht unrichtig mit ein paar Bachstelzen, wenngleich ihn dies Genre nicht sehr entzückte.

Estelle und Ivonne setzten sich zu den Herren und bestellten sich Eis und Liqueur. Während sie zierlich ihre Portionen auslöffelten, wanderten die Augen unablässig hin und her. Sie kokettierten mit der gesamten Herrenwelt und hatten dennoch Zeit, auch mit Erich Freundschaft zu schließen. Schon nach zehn Minuten duzten sie ihn und verlangten von ihm, dem ›reichen Deutschen‹, daß er ihnen heute einen vergnügten Abend machen müsse. Gespart dürfe nichts werden!

Unwillkürlich hatte er seine Hand schützend auf die Stelle gelegt, unter der er seine Reisekasse in einem Portefeuille verborgen hatte. Die vorsorgliche Mutter hatte ihm nämlich ganz innen in der Weste eine geheime Tasche eingenäht. Aber die beiden Mädchen gaben nicht nach, Kurt und sein Freund musterten ihn scharf, und besonders Ivonnes Bemerkung: »Die Leute aus der Provinz verstehen nicht zu leben!« reizte ihn. Er versprach, sie und eine dritte Freundin, auf die sie warteten, nach Moulin-Rouge zu führen und dort Champagner zum Besten zu geben. – Innerlich hatte er nur den einen Wunsch: ›Ach, wäre ich erst zehn Tage älter und daheim!‹

Endlich gesellte sich Marion Gastelet zu ihnen. Sie glich ihren Kolleginnen aufs Haar, nur daß sie rabenschwarze Haare hatte. Nach einer Weile brach man auf, und da Kramer Paris kennen lernen sollte, begann die Wanderung durch die berühmten Pariser Cabarets. Erst besuchte man das des ›Himmels‹, begab sich alsdann in die ›Hölle‹. Dort bedienten einen Geistliche und Engel, hier zu Teufeln verkleidete Kellner. – Erich glaubte sich unter Wahnsinnigen zu befinden, besonders da die drei Mädels immer toller und ausgelassener wurden. Auch Kurt und Willi wurden von ihnen angesteckt. Sie tobten und ulkten mit Bedienenden und Gästen, johlten und sangen. Nur er wurde, von der allgemeinen Verrücktheit ringsum abgestoßen, immer ernster. Die Nacht fiel ihm ein, die er mit den jungen Deutschen im Coupé verbracht hatte. Alle anderen schliefen in ihren unbequemen Stellungen längst. Nur er plauderte noch leise mit der älteren Schwester. Da plötzlich war Mariechens Köpfchen schlaftrunken gegen seine Schulter getaumelt und blieb dort liegen. Der feine Duft der blonden Haare, die rührende Unschuld der kleinen Schläferin, die sich immer schwerer an ihn lehnte, hatte ihn ordentlich ergriffen. Unbeweglich verharrte er bis gegen Morgen. Alle Mitreisenden erwachten, auch seine Nachbarin fuhr auf und wurde entsetzlich verlegen, als sie ihre unbewußte Stellung von der Nacht wahrnahm. Das war doch ein richtiges Mädchen! Das imponierte ihm! Aber diese drei nach Moschus duftenden Weiber mit ihren gemalten Gesichtern widerten ihn an.

Dennoch wagte er nicht, diesen Ekel laut werden zu lassen oder sich auszuschließen. Er mußte es dulden, daß zwei ihn unterfaßten und sich von ihnen und den andern über den Boulevard nach der andern Straßenseite, im Tanzschritt schleifend und gröhlend, ziehen lassen. › Cabaret du Néant‹ stand da angeschrieben. – Sie traten in ein grünbeleuchtetes Gewölbe, dessen Kronleuchter von Skelettknochen gebildet waren. Die Kellner in Leichenträgertracht servierten die mit Gift oder Krankheitsnamen bezeichneten Getränke an Särgen. Und nun mußte er mit in die Grabgewölbe, wo der Verwesungsprozeß der Toten durch Spiegelungen gezeigt wurde. Die Witze zwischen den erklärenden Mönchen und dem Publikum, dieser Spott und diese Gemeinheit, mit der hier die Erhabenheit des Todes in den Kot gezogen wurde, erhöhten seinen geheimen Ingrimm.

Am Ende war er froh, als sie vor der originellen Mühle standen, die rot angemalt war und mit den bunten Glühlämpchen als Randdekoration der vier Flügel ein reizendes Bild darbot. – Fröhliche Tanzweisen erschollen von der hohen Galerie in den Saal herab, der sich nach dem schattigen, illuminierten Garten öffnete. Rings herum saßen Gruppen um die Tische auf der Estrade. Unten wurde getanzt. Meist waren es alte, wenig hübsche Weiber, die da den berüchtigten Cancan, zur Quadrille geordnet, zeigten. Dichte Mengen von Fremden umgaben den freien Raum für die Tanzenden, den Municipalgarden nur mühsam offen hielten. Andere Paare flanierten durch das Lokal, saßen auf den Bänken rings um die hölzerne Balustrade. – Ein Sprachgewirr aller Nationen war zu vernehmen, und außer den anwesenden Tänzerinnen sprachen wohl wenige französisch.

Marion, Estelle und Ivonne drehten sich mit ihren Begleitern im Kreise, jauchzend und lachend. Selbst Kramer wurde jetzt durch Musik und Wein belebter und kam in Stimmung.

Sehr spät in der Nacht, schon graute der Morgen, kamen sie heim. Und das Gefühl, das unsern Parisfahrer beim hellen Tageslicht beschlich, war ein furchtbarer Kater. Das graue Elend packte ihn stark. Mißstimmung über die widerliche Tanzerei, über die Kneiperei danach im Restaurant, über die verjubelten hundertzwanzig Francs kämpfte mit ihm in einer wachsenden Wut gegen den Vetter und seinen Freund.

Müde schlich er heute in der Ausstellung umher. Um sieben Uhr hatte er sich mit den beiden andern verabredet. Und er verspürte große Lust, als er bereits um drei Uhr in sein Zimmer zu einem Nachmittagsschläfchen zurückkehrte, ihnen durch den Concierge einfach sein Nichterscheinen verkündigen zu lassen. Schließlich konnte er doch allein in die Oper gehen! – Mit diesem Entschluß schlief er ein und wachte erst auf, als Tronert und Bernd ihn aus seinem dumpfen Schlafe emporrüttelten. Nun zerstoben alle Vorsätze in ein Nichts. Er konnte doch unmöglich zurückbleiben und sich auslachen lassen. Das Lob, welches Willi Bernd ihm für die Heldenthaten des vergangenen Abends spendete, berührte ihn sonderbar. Halb that es ihm wohl, und halb verletzte es ihn.

So mußte er denn noch einmal mithalten. Die drei Mädels und sie hörten erst in einer Kellerkneipe in der Nähe der Sorbonne den Coupletsänger Marcel Legay. Dann tanzten sie in dem Etablissement von Bullier und gingen schließlich in das schlimmste an Gemeinheit, in das Café d'Harcourt. – Als Erich diesmal heimkam, war er fast verzweifelt. Was sollte er nur thun, um sich frei zu machen? Wie diesem Sumpf entgehen?

Die berühmte Venus von Milo! Er wußte nicht, warum er am andern Vormittag plötzlich eine so brennende Sehnsucht nach schönen Kunstwerken, nach den Schätzen des Louvre-Museum empfand! Aber sie war da, und so mied er heute die Ausstellung und fuhr in der Droschke vor dem Louvre vor. – Langsam folgte er seinem Plan und sah in der Ferne bereits den weißen Marmorleib der Göttin sich von dem roten Sammetvorhange abheben. Kramer beschleunigte seine Schritte und trat in das Eckkabinett, welches die ›Milo‹ barg, ein. – Auf einer der zerschlissenen, roten Sammetbänke saßen zwei Damen. – Flüchtig musterte er sie, da ein kleiner, halblauter Schrei – – – Leni und Mariechen Thoremann standen ihm überrascht und freudestrahlend gegenüber. – Eine innige Freude erfüllte ihn bei ihrer warmen, herzlichen Begrüßung.

»Mein Gott, wie sehen Sie aus, Herr Kramer, Sie sind doch nicht krank?« rief die Ältere besorgt, – Erich fühlte eine brennende Scham in sich aufsteigen. Er hatte sein schlaffes, überwachtes, scheußliches Gesicht schon mit eigenem Ingrimm im Spiegel bemerkt. Was hätte seine Mutter wohl zu ihrem hübschen, frischen Sohne gesagt, wenn sie ihn so gesehen hätte? Wahrscheinlich hätten auch ihre Augen mit dem gleichen mitleidigen Interesse auf ihn geblickt, wie die beiden blauen Sterne von Fräulein Mariechen. – So stotterte er denn etwas von Migräne und schlechten Nächten in dem trubulösen Hôtel. Dabei betrachtete er angstvoll das erglühende, junge Mädchen, er wollte sein Urteil aus ihren Zügen ergründen. –

Fräulein Leni, die entschlossene, stand daneben und betrachtete die beiden Leutchen. Plötzlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, und ein kluges Nachsinnen flammte in ihren Augen. Der nette Bursche stammte aus reichen, guten Verhältnissen allem Anscheine nach. Er wäre als Schwiegersohn nicht zu verachten? Und die in größter Bescheidenheit lebenden Eltern würden über die Versorgung ihrer Fünften, des unselbständigen, weichherzigen Mariechen, nicht böse sein! Schließlich kann doch ein pensionierter Offizier keine Mitgiften geben – – –

»Warum ziehen Sie nicht zu uns in die Pension, Herr Kramer, es sind doch so viele Zimmer leer, und die Wirte sind so nett?« fragte sie klug. »Ja, bei uns ist ein sehr stilles Haus. Die Herren wohnen alle im zweiten Stock, da ist es ganz ruhig, und Sie würden nicht gestört werden!« meinte die jüngere erwartungsvoll. – »Aber das ist ja eine großartige Idee!« rief er selig, »das werde ich sicher thun! Das kann mir mein Vetter nicht übelnehmen! Wenn man den ganzen Tag durch Paris quert, braucht man Ruhe!«

Erich und die beiden Mädchen wanderten stundenlang durch die Museen. Sie erbauten sich an der Kunst, an ihren eigenen Gesprächen und an den Plänen, die sie schon für die nächsten Tage entwarfen. »Gott sei Dank, daß wir einen männlichen Schutz zur Seite haben!« rief Mariechen. »Ich habe mich trotz Lenis Mut doch immer recht gefürchtet. In diesem gräßlichen Paris kann man nie wissen!« –

Ach, »dem männlichen Schutz« thaten diese Worte so wohl. Er richtete sich hoch auf und fühlte sich. – Diese beiden, kleinen Wesen konnte er in der That beschirmen. Vor ihnen brauchte er nicht die unsympathische Rolle eines Lebemannes aufrecht erhalten. Er brachte sie nach Schluß der Sammlungen in die Pension, mietete sich sofort ein Zimmer und machte alles mit der Vorsteherin ab. – Vorsichtigerweise nahm er gleich den Concierge (Portier) in einer Droschke mit in sein Hotel garni und schickte ihn mit seinen Sachen zurück. – Dann erwartete er Tronert und Bernd, speiste mit ihnen in aller Ruhe und erklärte ihnen seinen Entschluß.

Die beiden sahen sich starr an und brachen dann in ein Gelächter aus, das kaum einzudämmen war. Erich blieb unbewegt. Er trennte sich des Abends von ihnen, noch ehe die drei Pariserinnen zum Stelldichein kamen. – Vom nächsten Morgen ab durchquerte er mit Leni und Marie Thoremann die Ausstellung und Paris. Abends war er mit ihnen in den Theatern oder daheim im Salon der Pension. Alle drei waren heiter und vergnügt. – – – Was kommen mußte, kam, dank der gütigen Nachhilfe der klugen Leni, auch schnell genug.

Draußen auf dem Père Lachaise-Friedhof vor dem Monument von Abälard und Heloise trennte sich die ältere Schwester unter einem geschickt ersonnenen Vorwand von der anderen. Und dort geschah es!

Herr Adolf Kramer las höchlichst überrascht seiner halbohnmächtigen Gattin den zehn Seiten langen Brief des fernen Sohnes vor: »Siehst Du, Laura, das imponiert mir!« sagte er alsdann, »diese Festigkeit und dieses rasche Zugreifen zeugt doch davon, daß das Alleinsein in der Fremde den Charakter des Jungen gefestigt hat. Er ist kein Waschlappen mehr! Wenn es auch nur ein armes Mädchen ist, – – – schließlich ist der Vater Oberst und die Mutter eine Adlige – – und hübsch ist sie auch, wie er schreibt. – –« »Und Brinkmanns und Lina? Was mache ich da nur? Ich bin ja auf ewig blamiert!« stöhnte Frau Kramer. – Er beruhigte sie mühsam, stolz, daß sich in seinem Sohne endlich die männliche Festigkeit geregt hatte. »Sei froh, daß er Dir kein Pariser Ladenmädel anbringt. Wo er doch allabendlich mit Kurt gewüstet hat, konntest Du auch darauf gefaßt sein!« meinte er noch obendrein, ohne seine Frau zu schonen. »Das fehlte noch, das hätte ich nie geduldet!« jammerte sie, »hätte ich ihn nur nie nach Paris gelassen! Wie stehe ich nun da?« – – »Was mag er nur alles gesehen haben, na, der Junge muß erzählen. Wie er verächtlich über die Pariser Laster schreibt! Wie eine Zitrone quetsche ich ihn aus! Kann mir ja denken, daß ihn gerade nach all dem wüsten Klimbim ein echtes deutsches Mädchen angezogen hat!«

So philosophierten die beiden Eheleute den ganzen Tag hindurch. Und am Abend erzählte der stolze Vater am Stammtisch zwar noch nichts – – – von der Verlobung seines Einzigen. Die war vorläufig noch ein Geheimnis! Aber er rühmte die Heldenthaten seines Erichs, die unglaublichen Studien des Pariser Nachttreibens, des dortigen Sumpflebens, die der junge Mann auf das Eingehendste gemacht hatte. – Die Phantasie der Kleinstädter erhitzte sich. Sie nahmen feierlich den Spottnamen ›Lämmchen‹ zurück und redeten sich allgemach in eine scheue, geheimnisvolle, beinah verehrende Bewunderung des Fernen hinein. Alle brannten auf den Abend, da Kramer junior wieder unter ihnen weilen und seine Abenteuer erzählen konnte. Und der stolze Vater schürte dies neue Renommée seines Sohnes durch halbe Anspielungen noch mehr. Er selbst vergaß schließlich die Überraschung über Erichs unerwartete Verlobung. Bei der zweiten Flasche Mosel glaubte er selbst an Lämmchens Verwegenheit!

Um so größer war die Enttäuschung am folgenden Tage. Der Postbote händigte ihm im Kontor der Fabrik einen Brief aus Paris ein, und dieser enthielt nachstehende Zeilen:

»Ein Lämmchen wird auf keinen Fall –
Zum wüsten Wolf gewandelt,
Und hätte es im tollsten Stall –
Mit Lastern nur gehandelt! – – –
Den Sohn, den Du uns hergesandt,
Paris flott zu studieren,
Erhältst ihn wieder »unverbrannt«
Und brauchst Dich nicht genieren! – –
Zwei Abende haben wir versucht
Paris ihm ganz zu zeigen,
Alsdann ist er in wilder Flucht
Entschlüpft aus unserm Reigen. –
Der Reiz von Estelle, Ivonne, Marion,
Prallte ab an seiner Tugend,
Er tauschte ganz einfach die Pension
Und kniete vor Deutschlands Jugend!
Kein Mensch hat je ihn mehr geschaut –
An irgend einer tollen Stätte – – –
Wenn er sich genügend und rein erbaut,
Stieg er schon um elf Uhr ins Bette! –
Drei kleine Lämmchen, weiß wie Schnee,
Ergehen sich auf hiesigem Pflaster,
Und vielleicht ein Brautpaar, noch in spe,
Kehrt heim aus der Stadt der Laster! –
Und bleibt Dein Sohn stets lauter wie ›Guld‹,
Voller Tugend, wie er von Dir sich entfernt.
So schieb', oh Onkelchen, niemals die Schuld
Auf Tronert, den Neffen, und Willi Bernd!«

Begierig hatte Herr Kramer die poetische Auslassung seines übermütigen Neffen gelesen. Als er zum Schlusse gekommen war, warf er das Schreiben auf den Tisch und ein verdrießliches: »Donnerwetter!« entfuhr ihm.

 

II. »Aus dem Tagebuch einer Hochzeitsreisenden!«

Könnte ich nur allen Bräuten einen Wink geben! Ich mache es jetzt doch praktisch durch, und durch Erfahrung wird man klug! Schrecklich! Gräßlich! – Tante Olga hatte ganz recht, als sie Arthur von einer Hochzeitsreise nach Paris abredete. Aber meine Eltern? Natürlich, sie waren von dem Plan gleich begeistert. Na ja, es klingt ja auch nach 'was, wenn man sagen kann: »meine Tochter, die Frau Braun, Sie wissen doch, die ›große‹ Firma von Braun und Blau am ›Großen Markte‹, ist auf der Hochzeitsreise nach Paris, Brüssel und Ostende.

Vater meinte: »Das stärke den Kredit,« und Mama behauptete: »Müllers und Schneiders platzten vor Neid. Besonders die Ella, die so auf ihn reflektiert hätte, würde gelb und grün. Und Lene Bordek wäre nur nach Berlin gefahren. Und Liese Fink sogar nur nach Friedrichroda!« – Ach, wenn die wüßten, wie ich sie beneide. Die Glücklichen! Sie saßen in einem schönen Hotel in der freien Natur und konnten sich nach Herzenslust ausplaudern und abküssen und erholen. Denn so ein Brautstand mit all den Besorgungsrennereien und solche Hochzeit mit Trauung in der Kirche greift furchtbar an. Na und dann! – – – – Die Leiden in dem überfüllten Zuge, wo wir für unser teures Geld nur noch im letzten Augenblicke zwei Plätze im Raucherabteil bekamen! Arthur spielte gleich mit zwei fremden Herren Skat und gab mir Zeitungen und einen Roman. Dann streichelte er mir die Wangen und meinte: »Zärtlich sein können wir jetzt nicht, sonst merken sie gleich, daß wir auf der Hochzeitsreise sind, und dann geht die Neckerei los, und du liebst doch solche Witze nicht, Frauchen?«

Dann warf er mir einen süßen Blick zu. Mir wurde ganz warm dabei. Nun war er ja mein Mann, der einzige Mops! – Aber jetzt könnte ich mich totheulen. Ach, ich bin ja so maßlos unglücklich und schreibe ganz verwirrt. Dabei will ich doch, wie Trude und Jenny, der Reihe nach meine Erlebnisse erzählen und mir so eine schöne Erinnerung für meine Kinder schaffen. Denen lese ich dann alles vor, und sie sollen wissen, wie ihre Mutter im Jahre 1900 geheiratet hat und in Paris zur Weltausstellung war. Schöne Erinnerung? Ich danke, damit ist es nun nichts! Grauenvoll! Halbtot bin ich von dem Gehetze und Gesehe! Noch nicht einmal habe ich mich mit Arthur aussprechen können. Immer müssen wir das Tagesprogramm innehalten, sonst werden wir mit dem ekelhaften Lasternest, dem Paris, nicht fertig! Immer hat er geschäftliche Wege zu machen, seitdem er Bekannte aus Berlin hier getroffen hat! – Wenn Arthur wirklich noch die Absicht hätte, nach Brüssel und Ostende zu reisen, so entfliehe ich und fahre zu den Eltern heim! Und dann lasse ich mich scheiden, ganz bestimmt scheiden!

Doch ich will ja der Reihe nach erzählen. Er ist gerade mit dem Verein Berliner Kaufleute bei einer Führung im Industrie-Palast! Ja, ja, der teilte Hohn! Vorher, als Bräutigam, da fressen uns die Männer vor lauter Liebe beinah auf. Da vergessen sie ihr Geschäft und ihre Zeitung. Kaum haben sie uns sicher, da kommt erst ihr Beruf und ihre Politik und ihr Gott weiß was alles! – Wie war der Arthur früher rein wild vor Liebe! Jetzt aber sagt er: »Nun habe ich Dich doch für immer, Frauchen, wozu soll ich mich denn beständig abstrampeln? Paris ist ohnehin anstrengend genug!« – Ich hasse dies Paris! Überall schleppt er mich auch bei Nacht hin, wo ich schon bei Tage so müde bin. Wenn ich dann nicht über die verrenkten Beine von den Cancantänzerinnen entzückt thue, dann heißt es: »Frauchen, Du bist ein rechtes Provinzgänschen!« Und wenn ich all die Couplets oder die ferkligen Witze nicht verstehe: »Wozu warst Du eigentlich in Lausanne in Pension?« Als ich neulich in irgend einem der ekelhaften Kasinos da über eine Gemeinheit weinte, da war er außer sich: »Spiel' Dich nicht so auf, Marie, ich hasse Prüderie! Du hättest einen Landpastor heiraten und mit ihm nach Hohenschöneweide reisen sollen, aber nicht hierher. Paris ist für Dich zu schade!« – – Das mir? – – Im Tannhäuser in der Oper und bei der Sarah Bernhardt ist er dreimal eingeschlafen und hat laut geschnarcht. Und in die Museen soll ich allein gehen. Da langweilt er sich tot und behauptet, er kenne sie auswendig: »Mal hängt der bunte Kaff links und ständen die weißen Puppen rechts, und mal wäre es umgekehrt. So 'ne Zicken sind für frisch entlassene Pensionsbackfische oder Bücherwürmer!« – ›Kaff‹ sollen die Gemälde und ›weiße Puppen‹ die Skulpturen sein! Pfui!

Ich hatte es mir so himmlisch ausgemalt, mit ihm vor den Kunstwerken zu träumen. Der Barbar! Vor der Venus von Milo meinte er lachend: »Nee, Frauchen, ich kann mir nicht helfen; aber Du kleine Dicke gefällst mir doch immer noch besser, als das armlose, kalte Vergnügen da!« – War das nun ein Kompliment für mich oder nicht? Wenn er doch nicht ewig solche anrüchigen Witze machen würde! – Alle Bilder taxiert er nach dem Preise, und in der Apollo-Galerie war er ärgerlich, daß so viele Werte nutzlos herumständen. »Wenn die Pinke dafür in meinem Arnheim wäre, so hätte das wenigstens noch einen Zweck. Nur roulierende Gelder könnten der Welt helfen; aber nicht die verklecksten Schwarten oder die Edelsteine unter Glas!«

Ob Heinrich von Entebuch, meine erste Liebe, auch so prosaisch denken würde? Ich bin sicher: nein! Er hatte schöne, blonde Locken und so träumerische Blauaugen. Arthur dagegen ist schwarz! – Aber warum war er früher so gut zu mir und that, als ob er mich, wer weiß wie, verstände? – Ja ja, das Leben birgt nichts als Enttäuschungen!

Doch ich muß mich ermannen. Einer muß mein Leid erfahren! So sei du es, mein verschwiegenes Buch! – (Ein süßes Geschenk von Evi.) Sie sollte wissen, daß es mir derart geht, und daß Arthurs Liebe nur ein Rausch war! Und was malt man sich von dem »Paradies der Ehe« aus? Es ist gar nicht so paradiesisch, besonders hier in Paris. Da lenkt alles den Mann von der Frau ab! – – – Horch, da kommt er schon. Sicher hat er wieder mit den andern Scheusälern Wein gezecht und schwitzt wie ein Bär! – Flieh Poesie! Das Leben ist nackter Genuß und keine Dichtung! Diese Empfänge hier allenthalben verderben die Männer in Grund und Boden. Wenn er mich wieder »Dicke« nennt, dann ist es aus!

Zweite Eintragung.

Natürlich rief er mich »Dicke«. Schändlich, er war in bester Weinlaune. Als ich brummen wollte, hat er soviel angegeben und geulkt, daß ich lachen mußte. Wenn ich aber erst lache, dann ist der Zorn verraucht. – Wenigstens hat er mich einmal wieder ordentlich geküßt! Wenn er mich nur nicht dabei Manon genannt und so nach Opoponax gerochen hätte!?

In Paris wird man eifersüchtig und kommt nur auf dumme Gedanken. Aber nein! Mein Mann ist, dem Himmel sei Dank, feuerfest! Er vergöttert mich! Und er hat es mir ›selbst‹ gesagt, das Parfüm hätte Herr Schnurer aus Berlin von seiner Flamme aus dem Bon Marché. Schnurer soll ein großer Lebemann sein. Er hat Arthur sogar wieder zu heute Abend eingeladen. Aber nein, mein Mann wird sich hüten. Für Orgien ist er nicht! Er geht, wenn ich schlafe, zu Herrn Lange, unserm Agenten hier, um die Rechnungen durchzusehen und ist spätestens um zwölf Uhr im Hotel. – Schade, daß ich wie ein Murmeltier schlafe und nicht zu erwecken bin, sonst könnte ich ihm noch gute Nacht wünschen.

Aber ich muß jetzt der Reihe nach weiter erzählen, liebes Buch! – Also wir saßen im Zug. Die Herren spielten Skat und zogen sich ihre Röcke aus, so glühend heiß war es! Uff! Eine Dame wurde vom Zigarrenrauch seekrank. Eine andere schlief. – Draußen in dem engen Gang herrschte ein schrecklicher Zugwind. Nebenbei war ein furchtbares Gelaufe und Gedränge. Die Kellner aus dem Speisewagen waren gar nicht zu erlangen und hatten mit den Passagieren der ersten Klasse zu thun. – Wenn neue Reisende auf den Zwischenstationen einstiegen, war wütendes Geschimpfe und riesiger Radau mit den Beamten, die Platz schaffen sollten. – Mir war sehr öde zu Mute. Das war nun der erste Tag meiner Ehe. Dazu saß ich in meinem nagelneuen Reisekostüm da, schwitzend und verlassen. Mein Gatte kümmerte sich kaum um mich. Ab und zu nickte er mir zu; aber nur zerstreut, denn er verlor und schalt über sein Pech.

Wie schön wäre es gewesen, wenn wir beide allein im Stadtwalde im Schatten der Bäume, am rauschenden Bache als jungvereintes Liebespaar gewandert wären! Aber so? das ist vernichtend für die Leidenschaft!

Ein dicker Herr setzte sich mir gegenüber auf einen freigewordenen Platz. Er qualmte wie ein Fabrikschlot und fluchte in einem fort auf die Hitze, die Eisenbahnverwaltung und die elenden Harmonikazüge. Dann malte er mir die Schrecken eines Zusammenstoßes oder eines Feuers aus. Er hat recht. Die D-Züge taugen wirklich nichts! Aus den kleinen Abteilen, den ›Käfigen‹ kann man nicht heraus, dieser lange ›Darm‹, der Korridor, ist viel zu eng und sofort barrikadiert. Das bewies er mir auch schon in Hannover. Die Aussteigenden konnten nicht heraus. Die Gepäckträger und Einsteigenden nicht herein. Es gab ein entsetzliches Tohuwabohu oder wie es heißt, und dauerte viel länger als sonst! – Wenn sie schon einen Gang anlegen müssen, so sollten sie doch jedem Coupé wie bei den früheren Wagen noch einen Extra-Ausgang nach dem Bahnsteig geben, dann wäre allem Unglück vorgebeugt!

Der Dicke malte so lebhaft, und ich war so überzeugt, daß ich bei jedem Schuckeln des Zuges, und er schuckelte ununterbrochen, rein wild wurde vor Angst. Als wir, mein Mann und ich, schließlich durch den rasenden, wackelnden Zug zum Speisewagen mußten, war mir schon hundeelend zu Mute. Nun machte Arthur noch einen riesigen Krach mit dem Kellner, der uns nach zwei Stunden kaltes Essen brachte. Da war es aus! Vor Nervosität und Enttäuschung bekam ich einen Weinkrampf. – Im französischen Zuge aber, den wir in Köln bestiegen, war es so voll, daß ich ganz vorn im Frauencompartiment und Arthur nur im Nichtraucherwagen am Ende des Zuges Platz bekamen. – Ich weinte mich in den Schlaf und kam erst im Compiègne, früh morgens, kurz vor Paris zum schrecklichen Bewußtsein, daß ich schon die zweite Nacht meiner Ehe von meinem Gatten getrennt verbracht hatte. Hoffentlich ist das kein Omen!

Auf dem Nordbahnhofe war ein rasendes Getriebe und erst nach langem Harren ein Gepäckträger zu erlangen. Ich war böse auf Arthur, der so sehr vergnügt gestimmt war. Er hatte sich von Liège an mit einer kleinen Pariser Dame vorzüglich unterhalten und schien mich nicht vermißt zu haben. Ich war innerlich nur froh, daß auch in seinem Abteil jeder Platz besetzt gewesen war. – Dann fuhren wir in einer Droschke ins Grand Hôtel, wo im dritten Stock ein Zimmer reserviert war. Wir nahmen jeder ein Bad und legten uns dann noch nieder, um bis zum Dejeuner zu schlafen. – Als Arthur mich weckte, gab er mir ein paar schöne Rosen, die ich anstecken sollte. Das hatte nun wieder zur Folge, daß man in uns sofort die Hochzeitsreisenden erkannte. Und der Weg bis zum Speisesaal war ein Spießrutenlaufen! Um uns, kurz in dem ganzen Hause, schienen nur Deutsche zu sein. Da hörte ich so manche Bemerkung! Pfui! – – – Ein solch' Scheusal sagte ganz laut: »Wieder eine Hunderttausendmark-Partie! Die scheinen hier Wette zu wohnen!« – – Ein anderer lachte: »Man soll das Grand Hôtel doch ›Hôtel zum Storchnest‹ umtaufen!« – – Und ein dritter meinte: »Hochzeitsreisen nach Paris müßten als Gesellschaftsreisen gemacht werden: Die Herren für sich und die Damen für sich! Das sei für die Männerwelt entschieden amüsanter!«

Arthur lachte noch über diesen herzlosen Vorschlag. Ich warf dem Menschen aber einen vernichtenden Blick zu, so daß er verstummte. So schlecht ist die Welt!

Gott, Paris ist ja sehr schön, und die Ausstellung auch! Aber was hat man voneinander, wenn man beständig auf den Beinen ist. Neulich auf dem Eiffelturm benutzte ich gerade eine leere Bank und eine Minute Alleinsein. Wir sehen auf Paris herunter, und gerührt von soviel Schönheit gebe ich meinem Manne einen Kuß. – Kommen gerade drei Beefsteaks aus England um die Ecke herum, sehen uns verächtlich an, und die eine Hopfenstange sagt laut und entrüstet in ihrem Kau – – – derwelsch: »Es ist shoking, wie diese Deutschen immer ihre Gefühle zeigen. Eine unnoble Nation!« – Ach war ich fuchtig; aber Arthur tröstete mich und lachte: »Die lange Miß ist nur neidisch auf Deinen hübschen Mann, und weil keiner Lust hat, sie auf ihr langzahniges, englisches Pferdegebiß zu küssen!«

Die ersten Tage in Paris gingen noch. Da waren wir immer in den hochfeinen Restaurants, wo die stolzen Kellner mit den fürstlichen Handbewegungen bedienen. Man sollte auf der Hochzeitsreise, wenn man schon in diese scheußliche Stadt reist, nur da speisen, wo Männer aufwarten. Denn sonst ist man in beständiger Gefahr! – – – Im Grand Restaurant, im Schweizerdorf und im Châlet Suisse sind so niedliche Mädchen in ihren Landestrachten. Da wurde Arthur aber ausgelassen; so habe ich ihn noch nie gesehen! Er hat nur mit den Kellnerinnen gescherzt und getollt, ich war vergessen!

Von dem Moment an steigerte sich mein Leid. Unglücklicherweise trafen wir neben dem Schweizerhäuschen Bekannte meines Mannes, mit denen wir zusammenblieben. – Achje! – Sie zogen mich auf und schalten ihn aus, daß er mir Paris noch gar nicht gezeigt habe. Wenn ich den Montmartre und das Quartier Latin vom Seinebabel noch nicht kenne, dann sei ich keine Frau, sondern ein Schulmädel aus Klein-Trensen. – Offengesagt war ich ja selbst ein bischen neugierig auf all den Klimbim. So zog ich denn mit den drei Herren und meinem Arthur als einzige Dame mit. Jedoch entweder verstand ich die Sachen nicht oder sie waren wirklich ebenso dumm wie gemein! – Ich fand es scheußlich, und sie lachten mich und meinen Mann aus. »Wo er, der feschste Don Juan der Welt, denn solch naives Kind aufgefangen habe?« fragten sie ihn, »und sie hätten gar nicht gedacht, daß es um die Wende des Jahrhunderts noch solche Babies unter den Frauen gäbe!«

Das mußte ich stillschweigend hinnehmen. Ich konnte ihnen doch nicht eingestehen, was Arthur nicht einmal weiß: daß ich nämlich mit Heinrich im Mondenschein bei der Linde einen Kuß getauscht habe und sogar mit meinen eigenen Lippen nachgedrückt. Also nicht nur geben lassen! Hin ist hin! – – Ich sitze hier im Hotel als Frau Braun! Seit jene Teufel in unsere Ehe eingedrungen sind, ist – er – verändert und auch viel unterwegs. Er behauptet, daß ihm diese Reise geschäftlich von ungeheurem Nutzen wäre! Darum müßte er die Herren warm halten und viel mit ihnen zusammen sein, denn beim Glase Wein schließt man die vorteilhaftesten Geschäfte ab! – – Ich beiße die Zähne zusammen und schweige bitter: Ich kenne die Pflichten einer vernünftigen Frau! Arthur liebt mich und hat mir vor dem Altar Treue geschworen. Und der Herr Superintendent hat mir zu meinem prächtigen Gatten gratuliert!

Mein Süßer, ich liebe dich trotz aller Qualen, die du mir bereitest! Trotz dieser scheußlichen Hochzeitshetzreise in das Radaubabel an der Seine. Liebe ist Verzeihung! – – – Eigentlich bin ich doch sehr edel!

Dritte Eintragung.

Es war entsetzlich!

Wirklich! Wir hatten unsere erste Ehestandsscene. Mein Mann ist ein Unwürdiger. Mit dieser Erkenntnis ist es aus. Wo man verachtet, liebt man nicht mehr! Ich bedaure meinen Irrtum und meine Eltern. Was werden sie sagen, wenn ihre älteste Tochter schon nach zweiwöchentlicher Ehe zu ihnen zurückkehrt? Dieser Scheidungsprozeß wird unsere ganze Stadt in Aufruhr versetzen. Aber die Sympathieen werden auf meiner Seite sein. Wo ist es dagewesen seit Erschaffung der Welt, daß ein Gatte schon nach vierzehn Tagen seine Frau betrogen hat und eine andere geküßt? Ich Unglückliche!

Ich habe die Tapferkeitsprobe bestanden, denn ich bin kein Baby mehr. Hochaufgerichtet habe ich gestern in diesem Hotelzimmer ihm meine Meinung gesagt und ihm tief indigniert buchstäblich meine Handschuhe vor seine koketten gelben Lederschuhe geworfen. Wie kann ein ernster Mann überhaupt Lederschuhe tragen, die solche unverschämte hellgelbe Farbe haben: »Oho, mein Lieber, du bist ein Elender, und wenn du denkst, ich lasse mich betrügen, so bist du aber schief gewickelt. Ich hasse und verachte dich!« – – Garnicht bestürzt war der Freche. Erst hat er faule Ausreden gemacht, etwas von Dunkelheit und verzeihlichem Versehen gemurmelt. Dann hat er den rasenden Roland gespielt und getobt. Das war überschrieenes Schuldbewußtsein! Er ist eben noch kein ausgefeimter Verbrecher. Zuletzt wollte er mich in die Arme nehmen und küssen und mit Witzen abspeisen!

Jawohl, da hat er sich eben getäuscht in mir! Ich habe ihm den Rücken gewandt und bin in den Lesesalon hinuntergeeilt. Noch im Herausgehen hörte ich, wie er forciert lachend etwas von »kleiner Kratzbürste – kindischem Eigensinn und Ordre parieren lernen – zu großem Temperament« sprach. – Oh nein, Herr Braun, Sie können lange warten. Ich habe Energie und etsch: geweint habe ich auch nicht! Nicht eine Thräne, oho! – – Seit gestern sind wir nun böse. Ich staune jetzt selbst über die Fassung, mit der ich noch das Diner in der Ausstellung überstanden habe. – Abends ist er fortgefahren und erst mitten in der Nacht heimgekommen. Ich that, als ob ich schliefe; aber mein Herz muß wie ein Riesenregulator getickt haben. – Heute früh? – – Nicht ein Wort meinerseits!

»Na, Frauchen, willst du artig sein und deinen Gatten wieder in Gnade aufnehmen?« fragte er.

Ich wandte ihm den Rücken zu. Darauf legte er einen Schein von hundert Francs auf den Tisch und meinte kaltblütig: »So bock' Dich gefälligst allein aus. Ich habe keine Lust, mir die schönen Tage in Paris verderben zu lassen. Mach aber keine Dummheiten und reise etwa ab. Ich lasse Dich von der Polizei per Depesche anhalten und einsperren. Das Neue Bürgerliche Gesetzbuch giebt mir dazu das Recht. – – – Verstanden?« – – Damit ging er hinaus und überließ mich meinem Schicksal. Wenn ich nur wüßte, ob es wahr ist, daß unser neues Gesetzbuch uns den Männern so in die Hände giebt? Sonst – – – bah, ich lasse mich nicht kleinkriegen. Er soll sehen wen er vor sich hat. Mama sagte einst zu Tante Olga: »Wie man sich in den ersten Monaten seinen Gatten zieht, so bleibt er!«

Das habe ich mir gemerkt! Den Schein beim Portier gewechselt. Eine Droschke genommen und spazieren gefahren. Dann war ich im Luxembourg-Park und in dem Museum. Wenn ich nur nicht so zerstreut wäre und solches Herzklopfen hätte. Ich habe ordentlich glühende Wangen und glänzende Augen von dem inneren Fieber. Ein reizend hübscher Herr hat mich im Museum verfolgt und angesprochen. Es war sehr interessant. Wenn ich nur nicht so ängstlich wäre! – Er lud mich zu einem Dejeuner ein. Als ich rasch in einer Droschke hierher fuhr, kam er mir in einer zweiten nach. Jetzt sitzt er schon seit mehr als einer Stunde unten im Lichthofe. Er hat mich schon am Fenster entdeckt, als ich hinunterspähte! – Ob er noch da ist?

Er hat mir zugenickt und die Hände bittend zusammengelegt. Wenn er es wagen sollte und herauskommen, dann schreie ich um Hilfe. So frech ist er nicht, dazu sieht er auch zu fein aus! – – – Er sitzt noch da! Es klopfte! Ich habe mich furchtbar erschreckt. Es war ein Hoteldiener mit einem prachtvollen Rosenstrauß. Ich bestritt, daß mir dies Bouquet gelten sollte. Doch der Diener legte es hin und verschwand. Ein Brief lag dabei und darin stand französisch: »Auf Wiedersehen im Luxembourg-Museum. Ich werde dort morgen von zehn bis elf Uhr auf die reizendste aller Deutschen warten.

Ein entzückter Pariser.«

Ein herrliches, echt Pariser Abenteuer! Siehst Du, lieber Arthur, ich bin kein simples Provinzgänschen, sondern die begehrenswerte, reife Frau! Sicher hat er mir die verheiratete Frau angesehen, sonst hätte er doch das nicht gewagt. Mit einem Mädchen sucht man keine Abenteuer! Gut, daß ich verheiratet bin! – – – Ob ich mich scheiden lassen muß? Pikant ist eine geschiedene Frau stets; aber ohne Arthur – – – Ich hasse ihn! Er hat es nicht besser um mich verdient.

Zu dem französischen Fatzke in den Luxembourg gehe ich nicht, pfui! – – – Oder nur, wenn Arthur, der Barbar, mich wieder so reizt und den ganzen Tag fortbleibt! – – Der unten ist auch weg! – – – Schrecklich ist diese Einsamkeit! Wenn ich dich, mein Buch, nicht hätte, würde ich vor lauter Langeweile sterben. Mir ist so weh zu Mute. Das ist aber nicht etwa die Sehnsucht nach meinem Manne. Oh nein! – Ich möchte über meine von ihm gemordete Jugend, meine verpfuschte Ehe heulen. So jung und schon so unglücklich!

Was war eigentlich passiert? Man wird ganz konfus von all dem Grübeln. Jetzt erinnere ich mich aber genau und will die Schmach des Herrn Arthur Braun niederschreiben und festnageln. Dann kann ich es ihm noch bei der silbernen Hochzeit unter die Nase reiben, wie unglücklich er mich gemacht hat! Wurst wieder Wurst! Wenn er mir noch einmal diese schwarze Katze so zufällig trifft, dann brenne ich mit meinem »entzückten Pariser« durch. Oh, man wird ganz entartet in diesem gräßlichen, scheußlichen Paris! Auf solche Gedanken wäre ich früher doch nie, nicht einmal im Traume, geraten. Heinrich von Entebuch, du solltest dein Ideal hier, vom Gatten vernachlässigt, von Versuchungen heimgesucht, sehen. Meine Ehe wird ein Zolascher Roman werden!

Also: wir – er und ich – waren im rechten Flügel des langen Palais, rechts vom Château d'Eau, umhergewandert. Wir staunten über die himmlischen Toiletten-Kioske, welche die Pariser Kleiderkünstler hier aufgebaut hatten. All diese Farben und dieser Flitter, diese glänzenden Stoffe gleichen ja einem Zauberbild aus dem Feenreiche. Arthur machte sich eine Menge Notizen. Plötzlich sehe ich, daß er an eine junge chick und frech aussehende Dame herantritt, die gerade eine Vitrine verschließt. Er plaudert mit ihr, sie lachen zusammen und sehen nach mir hin. Arthur erklärt mir, daß dies Mädchen ihm geschäftlich sehr nützlich sein könne, und daß er von ihr Modellzeichnungen erhalten werde. Sie sei gerade ein paar Stunden frei, darum habe er sie aufgefordert, den Nachmittag mit uns zu verleben.

Mein Stirnrunzeln scheint er nicht sehen zu wollen. Er hat sogar die Kühnheit, mir dies ›Flittchen‹ als » Mademoiselle Eugénie du Castell« vorzustellen. Ich bin stutzig, woher er in dem Moment schon den Vornamen der rothaarigen Person weiß, sage mir aber sofort, daß sie ihm wohl ihr Nationale in aller Eile gegeben hat. Solche Damen bekommen alles fertig! Dann wandern wir umher. Sie macht die Erklärerin und beschäftigt sich mit meinem Manne mehr als mir lieb ist. – Himmel, hat die Blicke geschleudert und ihn angelacht! Im Leben würde ich dies nicht gewagt haben, nie!

Noch einmal steigt in mir ein dumpfer Verdacht auf, denn sie erzählt, sich an mich wendend, daß sie eine so fromme, alte Mutter und eine so chicke jüngere Schwester habe. Ich frage, um nur zu sprechen und nicht beständig stumm daneben zu laufen, wie diese mir höchst schnuppige Schwester heißt und was sie sei. – Da blinzelt die Mademoiselle Eugenie meinem Arthur verständnisinnig zu, lacht und meint: ihre Schwester hieße Manon und sei eine sehr berühmte Konzertsängerin, die auch schon im Wintergarten in Berlin gesungen habe. – Natürlich, also ›eine Tingeltangeleuse, die frech-freche Couplets singt! Und Manon heißt sie.‹ Mein Arthur hat mich neulich ›Manon‹ genannt, als er im ›Jumm‹ war. Ob das einen Zusammenhang hat? Nein, ich kann, darf, will es nicht glauben. – Dazu ist er zu gut und edel. Er hat mich doch aus reinster Liebe geheiratet. Aber die Kußscene nachher? Ach lieber Vater, alle Dämonen des Argwohns zittern in mir!

Doch weiter: Wir verlassen das Ausstellungsgebäude durch eine Seitenpforte und sehen vor uns das große Restaurant zum Château des Mines liegen. Müde und verhungert, wie man in der Pariser Weltausstellung immer ist, beschließen wir, gleich hier zu dinieren. – Schon beim Diner wurden die beiden immer ausgelassener. Ich saß da wie ein – – – ein elendes Nichts! – Unerhört! – – – Dann bummeln wir langsam weiter und kommen zu dem Hause, in welchem die großen französischen Bergwerke in den Kellern ihre Betriebe in naturgetreu nachgeahmten Schachten vorführen. Die Lust packt uns, einmal das Bergwerksleben kennen zu lernen. Wir stiegen also in die langen, dunklen und feuchten Schachte, in denen alles so wundervoll veranschaulicht wird. – Die Hauptgänge und Gruppen sind mit elektrischen Glühlampen erleuchtet. Aber in einzelnen Seitenwegen ist es stockdunkel, nur Kerzen unter Glas erhellen spärlich die schmalen Winkel und Gänge.

Mitgefangen – mitgegangen! – Wir müssen doch alles mitmachen, das ist ja gerade das Famose! Also kriechen wir in einen dieser Winkel bei den Goldgruben-Abteilungen hinein. Ich bücke mich, um das glitzernde Geäder zu erkennen und knie endlich neben einem nachgemachten Bergmann nieder. Da – – – o meine Feder schämt sich, es niederzuschreiben – – – höre ich hinter mir solch Rascheln und Rauschen wie von gedrückten, knisternden Seidenstoffen. Ich wende mich nicht um, in dem Glauben, daß die Kleider der Du Castell sich an den Felsen rieben. – Plötzlich höre ich ein schnelles, schnalzendes Geräusch von Küssen. – O Gott! – Hastig drehe ich mich um und sehe – – – Schmach und Schande – – – Arthur, der die Person im Arme hat und küßt!

Pfui! Ich schnelle empor und stoße einen Schrei unsäglichster Empörung aus. Herr Braun, dieser leichtsinnige, treulose Mann, fährt entsetzt zusammen, stutzt und sagt dann auf deutsch ganz frech: »Nanu? Das kommt von der Dunkelheit! Nein, wie man sich irren kann. Eben wollte ich die Gelegenheit benutzen und Dich ordentlich abknutschen, und nun habe ich die Hopfenstange mit Dir verwechselt!« – – – Dann wiederholt er Ähnliches auf französisch. Die Freche spielt ihm und mir nachträglich die Komödie der Entrüstung vor!

Ich zittere am ganzen Leibe, kann aber keinen Auftritt machen, weil gerade eine Menge Leute den Hauptschacht daherkommt. So verbeiße ich meine Abscheu und Entrüstung. Die Französin verabschiedet sich ziemlich schnell. Wir fahren heim, und hier habe ich losgelegt! Eine wahre Erleichterung nach diesem qualvollsten Tage meines Lebens.

Er soll weiter bestraft werden. Ich nehme jetzt im Speisesaal mein Diner allein ein und lasse mir ein Billet für die Oper besorgen. Wilde Gedanken durchkreuzen mein Hirn, seitdem ich all mein Leid hier in Worte gefaßt habe. – Rache, Rache! Ich will ihm zeigen, daß er sich in mir getäuscht hat, daß ich auf ihn nicht angewiesen bin! Wimmern soll er nach seiner betrogenen Gattin, und das Instrument meiner Rache wirst du sein, du rosenspendender Franzose!

Jetzt rufe ich den Diener und lasse meinem Gatten liebenswürdigst mitteilen, daß ich in die Oper gegangen bin, und daß man mir diese herrlichen Rosen gesandt hat. –

Die Zähmung des Don Juan! Er soll wissen, was ihm fehlt, wenn wir erst geschieden sein werden! –

Vierte Eintragung.

Der Roman ist im Gange. Ich war heute im Luxembourg-Museum. Natürlich war – er da. – Er heißt: Marquis André de Saint Honoré. Der Name ist prachtvoll. Der Mann elegant und schön; aber ein Wortmacher und fade. Wir plauderten zusammen, wir gingen im Park spazieren. Er überschüttete mich mit Komplimenten, flehte um weitere Zusammenkünfte und meinen Namen, den er noch nicht zu wissen behauptete. – Oh, mir ist diese ganze Komödie widerlich. Ich könnte den Kerl ermorden, so hasse ich ihn. Wenn ich seine geschniegelte Fratze ansehe, so fällt mir Arthurs lachendes, männliches Gesicht ein. Ich möchte weinen! – – –

Die Komödie wird fortgesetzt! So eklig sie ist: »André als Rache für Eugénie und Manon!« – – Morgen treffen wir uns vor Heines Grab auf dem Montmartre. O mein Dichter! »Ich sehe die Schlange, die dir am Herzen frißt etc.« – – – Diese schändlich langen Tage! Die Stunden schleichen. In die Ausstellung kann ich doch nicht allein. Und die ewige Kunst im Louvre, die ewigen Spazierfahrten in Droschken, die Leserei im salon de lecture ist auch kein Ersatz für das nicht durch meine Schuld verloren Gegangene. –

Arthur schneidet mich. Er kam gestern, als ich aus der Oper zurückgekehrt, gerade in das Zimmer. Die Botschaft des Kellners hatte augenscheinlich gewirkt. Er musterte erst mich, dann die im Waschkrug stehenden Rosen scharf. Darauf riß er sie aus dem Wasser, warf sie in den Eimer und deckte diesen zu. Wieder musterte er mich drohend. Ich sah ihn kalt und trotzig an, trotzdem mein Herz klopfte. – – Er schüttelte den Kopf und pfiff! –

Pfeif' du nur, Verehrter!

So sitze ich von neuem hier als ungeschiedene Gattin eines Treulosen. Gott sei Dank sieht er sehr bleich aus und scheint sich die Sache etwas zu Herzen gehen zu lassen. Das Stubenmädchen sagte mir, daß mein Mann gestern, während ich in der Oper war, den ganzen Abend daheimgesessen habe und nur gegen zehn Uhr in das Café de la Paix auf eine halbe Stunde gegangen sei.

Das Schlimmste war heute um neun Uhr früh. Er war gerade mit seinem Ankleiden fertig und wollte stumm hinaus, als wieder der Groom einen neuen Rosenstrauß für mich abgab. Er wurde totenblaß, wollte auffahren, schüttelte aber nur den Kopf und verschwand. – Eigentlich thut er mir leid! Er scheint zu leiden? Aber nur festbleiben! Fest! – Jetzt fahre ich wieder in den Sonore, meinen Zufluchtsort, und abends werde ich hier einen Roman von Zola lesen. Ich habe mir einen gekauft. Dann gehe ich in den schönen Park Monceau, ach der Tag nimmt ja kein Ende! – –

Fünfte Eintragung.

Ich bin selbst eine Romanheldin. Heute bekam ich wieder Rosen und Orchideen. Dann Montmartre, wo er mich schon an der Friedhofspforte erwartete. Wir waren stundenlang da oben, und zwischen den Gräbern widerte mich sein Geschwätz noch mehr an. Dann stiegen wir sogar bis zur Kirche des Sacré Coeur hinauf. – Abends fand ich ihn im Theater, in der Komischen Oper, wieder. Ich hatte wohl vormittags meine Absicht, dorthin zu gehen, verraten!

Saint Honoré ist ein gräßlich eitler Patron. Fortwährend erzählt er mir von seinen Triumphen bei Frauen. Mir mißfällt er!

Was wird nun aus Arthur und mir? Es ist ein namenloses Unglück! Er hat den ganzen Tag im Hôtel verbracht, erzählten mir die Leute, welche unsere Stellung zu einander durchschauen. Sie sehen mich stets so sonderbar an, halb belustigt und halb mitleidig.

Ich bin wie ein gejagtes Wild; aber ich kann doch nicht auch noch im Hôtel sitzen, wenn er da unten schon ›rumhockt‹! – Eine herrliche Hochzeitsreise! Ach, da waren ja die Hetztouren und seine ewigen faulen Witze doch noch tausendmal vorzuziehen! Für die Vergangenheit einer noch nicht vierzehntägigen Ehe soll ich nun gelebt haben und weiterleben?

Sechste Eintragung.

Der Marquis und ich waren stundenlang in Sèvres und Saint-Cloud. Er bat und beschwor mich, mir die Hand küssen zu dürfen. Ich blieb unerbittlich, nicht nur aus Treue und Anstand, sondern weil er mir immer gräßlicher wird. Für einen liebevollen Blick von Arthur gäbe ich alle Marquis der Welt hin! – Gott, was hat mein Mann eigentlich gethan? Sicher kannte er die Manon noch von seinen Junggesellen-Fahrten nach Berlin, und die widerwärtige Person hat sich ihm an den Hals geworfen! Und ein Kuß ist doch kein Kapitalverbrechen! Männer sind eben leichter zu verführen! Ich würde den André nicht um die Welt küssen können, pfui nie!

Wenn doch Arthur bloß anfinge! Ich gäbe sofort nach. Er schreibt den ganzen Tag Geschäftsbriefe und sieht so krank aus. Und ich bin auch kaum wiederzuerkennen. Ich bringe kaum einen Bissen herunter, schlafe keine Stunde in der Nacht, und meine Seidenblousen, mein Reisekleid schlottert an mir! Kein Wunder, den ganzen Tag rase ich durch Paris und kenne jetzt bald jeden Winkel in der langweiligen, greulichen Stadt. Wie lange wird das noch dauern? Meine Kräfte sind bald – – – –

Siebente Eintragung.

Ich habe der Dienerschaft verboten, mir die Blumen des Marquis weiter zu überbringen. Ich kann sie nicht mehr ertragen. Heute erwartete er mich in den Buttes Chaumont, doch ließ ich ihn warten.

In dem schauderhaften Versailles habe ich mich umhergetrieben. Dabei Todesangst. So viele Herren sprachen mich an, und zwei Soldaten haben mich im Park verfolgt. Mein Geld ist alle! Ich habe mir den Hundertmarkschein von Papa, der mein »Heckgeld« in der Wirtschaftskasse sein sollte, in einer Bank gewechselt.

Mein Kopf thut mir weh. Ich glaube, wäre ich Arthur gewesen, ich hätte die Modistin auch geküßt. Es ist gar nicht so schlimm! Wahrscheinlich hat sie sich ihm an den Hals geworfen, er war nur zu anständig, es zu offenbaren!

Achte Eintragung.

Ich hasse Paris und die Franzosen und den Marquis! Er verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Ob ich es Arthur gestehe und um seine Hilfe bitte. Nebenbei wird er frech und bietet mir Brillanten an. Ich wagte heute nicht, in einem Restaurant mein Dejeuner zu nehmen, damit er sich nicht zu mir setzen konnte. So lebe ich von Kuchen bis zum Diner unten im Speisesaal. – Arthur, mein geliebter guter Mann!

Eigentlich hast du recht gethan, die Person zu küssen. Ich hätte ebenso gehandelt. – – – Ich mag nicht mehr schreiben! – – – Ich gehe wahrscheinlich in die Seine, so unglücklich bin ich! – – –

Neunte Eintragung.

Arthur hat, während ich in Saint Germain war, zum Arzt gesandt. Er fühlte sich krank. Ich zittere um ihn. Jetzt ist er in die Stadt zu seinem Agenten gefahren, erzählte mir die femme de chambre. Ach du meine Wonne, wärst du erst daheim! Auf meinen Knieen will ich dich um Verzeihung anflehen. Still, es klopft – – – –

Zehnte Eintragung.

Hurra, ich bin die glücklichste Frau der Welt und habe den liebsten, besten Mann, den es giebt! Wir sind versöhnt und lieben uns, wie noch nie zuvor. Jetzt besorgt er die Billete. Morgen wird gereist, fort von diesem abscheulichen Paris nach unserem Deutschland. Acht Tage wollen wir noch in einem stillen Ostseebad in holder Einsamkeit unser wonniges Glück auszukosten versuchen!

Das war eine Scene! O Himmel, so etwas vergißt man nie! Ich saß weinend bei dir, mein liebes Tagebuch, fiebernd vor Angst um meinen süßen Arthur. Da klopft es, und in der Thür steht – – – der Marquis. Ich schreie auf, will ihn entfernen; aber er wankt und weicht nicht und benimmt sich so vornehm, daß ich keinen Grund habe, ihn fortzujagen! – – – Er setzt sich mir gegenüber, verzehrt mich mit seinen scheußlichen schwarzen Augen und bittet mich, mit ihm auf sein Schloß in der Provence zu fliehen!

Als ich empört auffahren will, erklärt er mir seine maßlose Liebe, verlangt, daß ich mich von meinem Gatten, meinem Arthur! – scheiden lassen soll und sein Weib werden. Dabei merke ich doch, daß es ihm mit diesem Vorschlag nicht ernst ist. Dieser Lügner.

Ich erhebe mich aber kalt und sage: »Wenn Sie nicht sofort hinausgehen und auf immer verschwinden, dann rufe ich das Personal zu Hilfe! Ich bin Frau und liebe meinen Gatten von ganzem Herzen! Ich will Sie niemals wiedersehen, Sie sind mir eklig!« Ja, einfach: › dégoutant‹ habe ich ihm gesagt!

Er stürzt zu mir, will mich küssen. Ich weiche zurück, und klitsch, klatsch gebe ich ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen. – Dann plötzlich ist Arthur da, der furchtbar tobt, seinen Stock hebt; aber ehe er noch zum Schlagen kommt, ist er, der feige Kerl, wie ein Blitz verschwunden!

Ich falle Arthur um den Hals und flehe ihn um Verzeihung an. Er bittet mich um Vergebung! Wir werden gar nicht fertig mit unsern Beteuerungen! Zuletzt zeige ich ihm als Beweis meiner Unschuld mein Tagebuch. Er lacht, denn er hat mich selbst, soweit es möglich war, verfolgt und sich über »die kühle, spröde Rendezvousdame« amüsiert. Doch nein, dies Wort stimmt nicht; denn auch er war tief, tief unglücklich.

Wir geloben uns beide in jeder Hinsicht Besserung und sind so innig froh, wieder versöhnt zu sein! – Er ist verliebter und zärtlicher als je, schwärmt und träumt mit mir und ist ärgerlich auf sein eigenes Selbst. Ja, ja, ein französischer Laffe hat ihn erst gelehrt, was an seiner kleinen Frau ist.

Ach, ist das Leben schön! In zehn Minuten ist er wieder hier. Und da ist jede Sekunde zu kostbar, um sie zu verschreiben! Dann gehöre ich nur ihm! – – –

Aber wenn eine meiner Bekannten etwa ihre Hochzeitsreise nach Paris und nun noch besonders zur Ausstellung machen wollte – – – ich würde ihr nur aus eigener Erfahrung sagen können: Lieber in das kleinste Nest, wo Ihr Euch allein haben und kennen lernen könnt! Aber nur nicht in dies Seinebabel, wo Ihr beide: Du und Dein Mann! – solchen Versuchungen ausgesetzt seid! – Addio, Paris!

 

III. Möhrke an Stubitz.

Lieber Stubitz!

Sage Kahle in meinem Namen am Stammtisch, daß er ein elender Aufschneider ist! Ich erkläre ihn für einen niederträchtigen Münchhausen; aber auch für weiter nischt! Basta! Und ich verantworte, was ich sage! – Verbreite es meinetwegen auch im Kegelklub!

Kommt der Hallunke da aus Paris zurück und schwindelt uns die Hucke voll von Dingen, die es absolut nicht giebt. Dabei rase ich doch den ganzen Tag herum. Ich werde ihn für das herausgeschmissene Geld verantwortlich machen und ihm meine Olle auf die Bude rücken lassen. Was für Schliche und Ränke hat es gekostet, ehe ich überhaupt wegkam. Und hätte Fritze Müller sie nicht überzeugt, daß wir um unserer Geschäfte willen absolutemang reisen müßten, säße ich heute noch in meiner behaglichen Wohnung in der Yorkstraße! So ein Hallunke! Ich drehe ihm noch den Kopf ab.

Erst eine scheußliche Reise durch wahnsinnige Glut in unserm lebensgefährlichen, schaukelnden noch scheußlicheren D-Zuge. Uff! – Dann eine eisige Klappernacht in dem etwas dreckigen, noch mehr überfüllten, französischen Hôtelkasten. – In Paris nischt wie ein großer Jahrmarkt mit einem Riesengeruder in der Stadt. Nicht einmal die kleinen Kinder sprechen hier deutsch. Und das thun doch bei uns schon 3-4 jährige Steppkes. Alle kauderwelschen sie ein Französisch, von dem ich wieder nich für'n Sechser verstehe. Außer ›Omelette‹ und ›ponschour‹ und ›purzle wu die Treppe runter‹.

Apropos Sechser? Jawoll! Anderes Geld haben sie und was für welches! Vorsündflutliche Kupfermünzen oder dreckige, miekrige Scheine. Tasche voll, Portemonnaie dick und nischt dahinter! – Und begaunern thut einen die Bande, das geht durch Mark und Pfennige! – Wenn Fritze mit seine französische Kenntnisse nich wäre, säße ich hier verraten und verkauft. – Die Soldaten sehen wie aus 'n Renzschen Zirkus die Stallmeister aus. Manche haben an den Helmen lange Pferdeschwänze dranbammeln. Und wenn ich den Rothosen in ihre braunen Visagen sehe, zuckt es mir in meine beiden Pfoten, um – – – – – Was nun die Weiber in dem berühmten Paris anbetrifft, so sage ich man bloß pfui! Entweder sie sind dick wie ein Preismastvieh von Viehhof oder zurechtgeschnürte Klappergerüste! Ich möchte mal sone seidenrauschende Donja abpellen! Du, Stubitz, außer Skelett bliebe nicht viel, alles Wattur, allens! Und die Gesichter? Pah, bei uns steckt viele mehr dahinter! Wasch nur mal hier die rote Schminke, den weißen Fettpuder, die Lippenröte, die schwarzen Striche über und unter den Augen ab, na, und was dann bleibt – – – nich' in die Tüte, nich' photographiert in die Spindenstube! Dann möchte ich wissen, was die Frauensleute hier thun, um so dicke Schnurrbärte und behaarte Warzen zu kriegen?

Mein Gustav risse sich ein Bein noch raus, wenn ich ihm das Mittel mitbrächte. Und mein Ehegespenst, die sich jeden Morgen ihre weißen Haare ausrupft, ist mir weit lieber als die Mädchen hier mit ihren gefärbten Perücken!

Mit der Ausstellung ist es auch nicht weit her. Bei uns in Treptow war's viel schöner! Schon die Rundbahn, wo man doch sitzen konnte! Und unsere Bauten waren alle so schön rot und blau und grün und gelb und lila. Das war doch »neuer Stil«, alles sah so schön aus wie die neuen Tierhäuser im Zoologischen Garten. Und die Musike allein und der Vergnügungspark waren doch 'was; aber hier ist es nur beim Trokadero schön. Ist auch ein verrückter Name? – Sonst nischt wie weiße Kisten mit goldenen Dächern. Das nennt die Welt nun vornehm? Ich danke für Obst! – Und was nun die Völkerstraße sein soll, so stell dir man kein Himmelreich vor. Und daß unser Deutschland in seinem Haus so besonders nobel vertreten wäre, kann man auch nicht grade behaupten. Innen sind wir ja hochsolide und nobel; aber außen: ich sag dir: es giebt schönere Bauten! Unser Marinegebäude ist nich' ohne, und es wird einem ganz flatterig zu Mute, wenn man da die Kaiserworte liest. »Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser!« – Man möchte gleich ein paar fremde Erdteile verschlucken! Eigentlich mache ich mir aus marinierten Hering mehr als aus Marine, wie ich überhaupt mehr für das »Nasse« im Bierglas inkliniere. Erstens kann man reinfallen. Zweitens kann es so leicht 'n Unglück geben und drittens die Seekrankheit. So oft ich mit meiner Familie in Dievenow war, jedesmal habe ich auf 'nen Haff die Fische mit »mein Innerstes« gefüttert! – Da lobe ich mir die Spree. Wir sind doch so oft in Treptow und aufs Wasser; aber noch nie ist 'was passiert!

Die Seine hier ist ja ganz nett; aber die Spree ist mir lieber. Wenn man da so nach der Abtei runter macht und einer – Einem – auf den Kopp von den Brücken 'runterspuckt, dann kann man aufmucken! Aber hier spuckte mir neulich so ein ruppiger Bengel von der Almabrücke auf den Hut. Als ich grade loslegen wollte, zupfte mich Fritze an' Ärmel und meinte: »Halt deine geehrte – – Wir sind in Feindesland und die Franzosen in der Übermacht. Richtig glupschten mich auch schon zwei sone Mannspersonen ganz kiesätig von der Seite an. So aus 'n Augenwinkel raus wie ein Gewisser, wenn er beim Skatkloppen blechen muß! Du weißt schon?«

Skat! Da fällt mir der Stammtisch ein und der Kahle! Dieser Spitzbube, verkloppen möchte ich ihn auch. Weißte noch, was der uns aus Paris vorgemumpitzt hat? So ein Schwindler! – Aber höre! Dieser Kahle hatte uns doch so auf das Ballett aufmerksam gemacht und von den unglaublichen Gebeinen und von halbnackten Tänzerinnen gesprochen, nicht wahr? – Also Fritze und ich suchen uns Wagnern sein Tannhäuser aus. Denn von der Geschichte zwischen Tannhäuser und seiner Flamme im Venusberg kann man doch eigentlich was erwarten? Und im Berliner Opernhaus, wo wir doch Abonnement haben und sie durchaus Pariser Ausstattung haben müssen, dachte ich mir: »Na, Herr von Hochberg soll solch hochanständiger Mann sein. Der wird wohl die langen Ballettröcke vorgeschrieben haben! Schade!« – Da hat es mich immer gejuckt, mal die Sache so richtig in Paris zu sehen, wo sie weniger lexheintzerisch veranlagt sind.

Also Fritze und ich rüsten uns wie die Sternkieker aus und hätten am liebsten das Riesenfernrohr aus der Ausstellung mitgeschleppt. Wir sitzen nun ganz gemütlich da und hoffen das Beste. Mir war ganz mollig zu Mut in der Hoffnung auf die bibbernden Beinchen alle. – Der für das mächtig aufgedonnerte Haus mehr als ruppige Vorhang geht in die Höhe. Mir bubbert das Herz, denn die schöne Venus da vorn ist denn doch was ganz anders als unsere dicke Madame Sucher. Schön sang ja die Sucher, aber sie sah doch immer mehr nach der Venus ihrer Mutter aus mit ihren machtvollen Umfang. Nun geht denn auch endlich das Ballet los. Aber wir denken: uns rührt der Schlag! Ja Kuchen! In der freien Republik haben die kleinen Ballettratten genau so lange Röcke wie bei uns! Nich 'nett Happen war zu sehen vor lauter Anstand!

Na, das hat man doch nich nötig! Also nach'n ersten Akt wir 'raus und in eine Bierstube, wo wir zwei Frankfurter Herrn aufgabelten. Wir riskierten 'n Grand mit Vieren, und da verlief der Abend noch ganz gemütlich. Aber unsere Enttäuschung hatten wir weg.

Morgen mehr. Heute wollen wir die Montmartre-Tour mit den neuen Bekannten machen. Wenn der Kahle uns dann wieder so reingelegt, dann kann er sich wundern, wie ich ihm die Flötentöne beibringen werde!

Es drückt dir deine Freundeskralle
Dein Möhrke.

II. Brief.

Lieber Stubitz!

Kahle ist ein hundsgemeiner Charakter. Er gehört in Kastans Verbrecherkammer, oder wir denken schon, daß er Geheimagent von den Pariser Vergnügungslokälern ist. Wahrscheinlich kriegt er seinen Rabatt für jedes Opfer, das er dorthin lockt. – Fall' Du bloß nich rein und piep auf den Kalmus!

Paris und seine Ausstellung siehste dir einfach mit einem Kinematographen an oder schmeist die paar Groschen fürs Kaiserpanorama. Denn haste genau dasselbe. Darum lohnt die Reise und das Geld nicht! – Und was die Zicken sind, die man hier sich so ausmalt, so glaube mir: Es wird auch hier nur mit Wasser gekocht! – Denselben Klimbim hast Du bei uns in den: ›Amorsälen‹ – ›Ballsälen‹ – ›Jagdsälen‹, bei Café National und bei Keck'n in de Leipziger. – Und bei uns verstehst Du wenigstens den Dialekt, und wenn se keck sind! Aber hier hast Du ja keinen blauen Dunst von den Witzchen, die sie machen!

Und denk Dir nicht etwa, daß die kleinen Mädchen so handgreiflich werden wie bei uns! Keine Ahnung, bei uns sind sie weit kiebiger! – Hier kucken sie Dich an und murmeln immer touschur was von ›boc‹ oder ›Dejeuner‹ und ›Diner‹. Ich habe wohl gewußt, was sie wollten, spendieren sollte man: Aber nee, für französische Futterluken-Füllung habe ich nicht geschuftet.

Wenn sie noch bei ihrem Kankan im Trikot wären, hätte ich was springen lassen. Aber so, nich' in die kalte Lamain! – Höschen mit Spitzen und zwanzig Röckchen mit Spitzen und Seide sind ja sehr nett; aber die sieht man ja bei Gerson und Biester ›Unter'n Linden‹ zur Genüge. Von oben, also vom Hals runter, kann man ja mit ihre ›Offenherzigkeit‹ ganz zufrieden sein. Da bleibt nischt zu wünschen! Aber so?! Bah! – – – Ich möchte man wissen, wo Kahle seine ›Nuditäten‹ hat hoppen sehen? Wir haben sie nirgends gefunden! Und um die angeborene Schüchternheit sind wir doch nicht her! – –

Da waren wir nun in dem berüchtigten ›Moulin Rouge‹ und im ›Casino de Paris‹ und in den ›Folies Bergère‹! Na so'ne skandalöse Zahmigkeit! – Vielleicht liegt die Würze in den Couplets. Da meckern sich ja die Verständnisinnigen halb zu Schanden. Und die Herren trommeln mit ihren Stöcken auf den Boden und rufen ›mang‹. Nu frag ich Dich aber: »Was nützt mir denn mein schöner Garten, wenn andere drein spazieren gehen?« Und was nützt mir der pikante Gesang, wenn ich nicht 'ne Silbe kapiere? Sie sollten doch wenigstens anstandshalber Zettel oder Programme mit Übersetzungen geben!

In all den ›Bumsen‹ sah man auch recht ärmliche Funzeln. Erst in den Champs Elysées stieg man zu der feinen Toilette empor. Na, zum Bleistift, in den ›Folies Marignys‹ waren all die Damen wie Prinzessinnen aufgedonnert. Lebendig kann sich an die auch nur ein junger Bleichröder ranmachen, wenigstens so nach meiner Auffassung von der Sache. Schön sind sie ja, all die Dämchen, die mir ihre Adressen durch ihre Zofen überreichen ließen; aber vornehm sind sie auch! Ich sage Dir, Stubitz, kaum eine, die nich ›Marquise‹ oder ›Gräfin‹, ›Baronin‹ oder ›Fürstin‹ ist!

Von dem Einlassen mit der hohen Aristokratie halte ich aber nix, das führt zu nichts Gutem. Überhaupt und dann schließlich bin ich doch auch nebenbei ein verheirateter Mann! Sprünge mache ich nich mehr!

Nichtsdestotrotziger hätte ich mir doch ganz gern mal wieder ein nettes Frauenbeinchen nahe angesehen, wohingegen man bedeckte doch bei uns zu Hause genügend genießt.

Darum bin ich auf Kahlen so fuchtig. Vonwegen der Enttäuschung und vonwegen seine Schwindelei. Kommst du aus Paris und hast die Landessprache begriffen und erzählst von allen Dollheiten, die Du gehört und verstanden hast? Bong! Laß ich mir gefallen. Meinshalben beschreibe mir die Geschichte auch genau. Aber lüg nich! Erzähle nich, daß in Paris lauter Venussens lebendig über die Straßen gondeln! Sag nich, daß hier allens schön und bei uns belämmert ist. Na, und denn vor allem prahl' nich mit deine Don Juan-Abenteuer, und nach einem anständigen Mitmenschen den Mund wässrig von lauter nackliche Damen, welche hier gang und gäbe wären, wie bei uns die bekleideten! – Das is allens Finte, und daderdrum lohnt die ganze Reise nichts. Und Kahle kann sich freuen!

Wenn einer von unserm Stammtisch aber wieder seitwärtsige Amüsements-Vergnügungsgelüste kriegt, dann schick ich ihn in die Friedrichstraße und in die Balllokäler. Mehr braucht keiner!

Morgen reisen wir nach Berlin und sehen uns bald wieder. Du brauchst aber kein Quaselkopp sein und meiner Ollen von meiner Enttäuschung sagen. Weiber nehmen sowas gleich tragisch. Und was den Stammtisch anbelangt, wo nur Freunde dransitzen, werde ich dem Kerl: dem Kahle schon den Kopf waschen? – – Aber vor fremde Leute, das gestehe ich Dir auch ein, wer' ich mitschwindeln. Denn schließlich: was ist denn sonst der ganze Nimbus von Paris? Doch nur die Schweinerei! Und der Nimbus von uns, die dagewesen? Na doch nur, daß wir mitgeschweinigelt haben!

Adieu, mein alter Stubitz, sei gegrüßt von
Deinem französischen lieben Möhrke.

 

IV. Die Dame von Gerson?!

Goldener Sonnenschein lacht über dem Bois de Boulogne, das in herrlichster Frühlingsfrische, noch nicht verstaubt und grau, vor uns liegt. – Über die wunderbare Avenue des Champs Elysées sausen die stolzesten Karossen, jagen die Automobile, rasen die Räder, eilen die Droschken und hotteln die Omnibusse. Ab und zu fährt eine Mailcoach vorüber, und der Leiter stößt die Luft in die Trompete, was einen dumpfen, durchdringenden Ton verursacht. – Große Kremser mit den Gesellschaftsreisenden, die von Führern gleich herdenweis durch die grandiose Stadt getrieben oder gefahren werden, kommen langsam vorbei. Und die Insassen beäugen Paris durch Ferngläser oder drehen beständig, um nur ja alles in sich aufzunehmen, die Köpfe.

Bei dem großen Arc de Triomphe an der Place de l'Etoile, wo noch Dampfbahnen den Verkehr vergrößern, scheint das Gewirr lebensgefährlich; und doch passieren die Tausende von Fußgängern die Dämme. Die Geschicklichkeit der Pariser Wagenlenker verdient gerade an diesem herrlichen Platze das höchste Lob, denn hier strömen die Leute quer und kreuz aus all den vielen Alleen, welche auf die Triumphpforte zulaufen. – Alle Wagen und Spaziergänger haben ein Ziel: das »Bois.« Dort sind alle Bänke und Stühle besetzt. Dort wogt eine unzählbare, bunte Menschenschar. Dort lagern die Bürger in dem grünen Rasen! – Und dennoch kann der meilenweite Stadtwald immer neue Massen in sich aufnehmen!

Viele Gefährte halten schon vor dem chinesischen Pavillon oder vor dem Restaurant zur Kaskade. Andere und zwar gerade die elegantesten, steuern auf das vornehme Lokal von Erménonville zu. Eine feurige Musik schallt den Eintretenden entgegen. Man sucht einen Platz in der Nähe des Orchesters zu erhalten. Die Musiker in ihren brennend roten Fracks kümmern sich wenig um die unglaubliche Pracht der »großen Welt« ringsum, sondern geigen ihr Stücklein weiter. Und doch entfalten die Damen ihren größten Luxus, ihre bezauberndste Grazie. Hier sieht man den berühmten Pariser Chick! – Hier fliegen feurige Blicke von Tisch zu Tisch.

An einem Tischchen in dem Glaspavillon sitzt eine kleine Gesellschaft deutscher Aristokraten und beobachtet das Leben ringsum. Es ist der Freiherr Arebracht und seine Gemahlin, sein Vetter: der Dragoneroffizier: Graf Schlipenburg und ihr Pariser Freund: der Baron d'Anôtal. – Der letztere macht den Führer durch seine Vaterstadt und bleibt in einem Erklären. Bald grüßt er nach rechts, bald nach links. Brandende Blicke treffen ihn, versteckte Grüße.

Die Freifrau lacht, nimmt einen Schluck ihrer Schokolade und sagt französisch: »Armer Baron, wir sind Ihnen störend, das sehe ich! Wir entziehen den reizenden Pariserinnen einen allgemein beliebten Herrn. Sicher würden Sie siegend von Tisch zu Tisch eilen und viele beglücken können, wenn wir nicht hier wären!?« – d'Anôtal verneigt sich vor ihr: »Ich bin vollbefriedigt, denn ich sitze vor dem Stern der Sterne, vor der schönsten Deutschen, die uns alle Schmerzen des Krieges vergessen macht!«

»Also brauchen Sie doch ein Mittel, um ihn vergessen zu können! Pfui, Baron, wie nachtragend! Wir haben unsere Siege längst vergraben im Vergangenen. Wir wollen uns erobern lassen, das heißt von der Großartigkeit Ihrer Heimat, Ihrer Ausstellung, Ihrer sprichwörtlichen Liebenswürdigkeit!« – Sie lächelt ihm etwas kokett zu, die schöne schlanke Frau. Er beugt sich leicht zu ihr hinüber: »Es wäre ein Pyrrhussieg, Madame, wir beginnen die Schlacht nicht. Wir können nicht mehr erobern, wo wir vom Anfang an die Besiegten sind. Besonders Sie, reizendste aller Frauen, haben den Kampf gewonnen! Senden Sie noch viele Truppen Ihrer Landsmänninnen nach Paris, die Ihnen gleichen, so sind wir auch für die Zukunft verloren. Es giebt keine Gedanken an Elsaß-Lothringen mehr, sondern nur die eine Idee: Behaltet unsere Provinzen, und gebt uns Eure Frauen!« – Glühend betrachtet er die Errötende. – »Ihr Vorschlag löst eine brennende politische Frage, man müßte ihn unserem Kaiser unterbreiten. Wir würden vielleicht nicht ungern die Idee in die That übersetzen! Ich glaube, wir würden gewinnen« – – – »Und Ihre deutschen Adler, Baronin, lassen Sie in die rauhen Felsen fliegen! Der französische Hahn wird sich alle Mühe geben – – –«

»O weh,« unterbricht sie ihn schalkhaft. »Ein Hahn braucht immer einen ganzen Geflügelhof und viele Hühner, um zu seinem Rechte zu kommen. Wir Adlerweibchen sind Alleinherrscherinnen im Horst. Vielleicht verlieren wir bei dem Tausch!« – – »Ich schwöre, daß Sie gewinnen!« ruft er feurig, »denn wenn ein Adlerweib sich zu dem Hahn begiebt, wird er die Hühner vergessen!«

Die beiden plänkeln liebenswürdig weiter. Es ist gut, daß sich der Freiherr beständig mit seinem Vetter unterhält. Die Koketterie seiner jungen, lieblichen Gemahlin mit dem verführerischen Franzosen würde ihn doch etwas beängstigen! – So hat er sein Monocle eingeklemmt, kühn den starken Schnurrbart zum modernen W emporgewirbelt und beaugt die Damenwelt ringsum. Ganz das Abbild des vornehm schneidigen, deutschen Offiziers der höchsten Kreise. – Auch Schlipenburg ist eine elegante, germanische Erscheinung. Beide Herren bemerken mit geheimem Wohlgefallen, daß sie der Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit sind. Ihre gute Laune steigt mit der Schärfe ihrer Kritik über die Französinnen in der Konditorei.

Plötzlich neigt sich Arebracht scharf nach links zur Seite und späht in eine entfernte Ecke. Dort sitzt ein Pärchen in angeregter Unterhaltung und stößt alle paar Augenblicke lachend mit den Gläsern an, in denen eine Champagner-Erdbeerbowle perlt. – »Was machst du denn für Turnübungen, lieber Hartwig?« fragt der Graf erstaunt. – – »Wenn mich nicht alles täuscht, so – – – so – – –« – – »Was denn?« – – »So sitzt dort Ehrfried Landenbach, ein alter Kamerad von der Kadettenanstalt, den ich später in der Kriegsschule wieder antraf. Ein Prachtbursche!« – – »Ob das der Landenbach von den Breslauer Kürassieren ist, der mit einer Freiin Polentz verheiratet ist und aus dem Hannöverschen stammt?« – – »Sicherlich, es stimmt! Nur hatte ich den Namen seiner Gattin und überhaupt seine Verheiratung vergessen. Doch woher kennst du ihn? – – »Ich?« meint Schlipenburg. »Ich kenne ihn garnicht; aber seine Frau ist eine richtige Cousine meiner Schwägerin. Sie soll eine reizende, fesche kleine Person sein! Es würde mir Spaß machen, den Landenbach, der sich den kleinen Goldfisch einfing, kennen zu lernen!

»Meine Geschwister wollten die Polentz durchaus für mich reservieren. Aber ehe ich noch meine Unwiderstehlichkeit erproben und nach Schlesien fahren konnte, war die Prätendentin mit dem Rittmeister verlobt. Seither habe ich auch nichts mehr von ihnen allen gehört. Die Meinen erwähnen in ihren Schreiben an mich nur Heiratskandidatinnen. Sie haben mehr Eile als ich, was meine Verheiratung anbetrifft!«

Arebracht erhob sich und ergriff den Cylinderhut. »Entschuldigen Sie mich eine Sekunde,« – meinte er zu den andern gewandt – »ich habe einen alten Freund entdeckt und will ihn begrüßen. Vielleicht gelingt es mir, ihn und seine junge Gattin mit an unseren Tisch zu bringen.« – – Ehe noch jemand ein Wort erwidern konnte, schritt er durch den Mittelgang nach der lauschig seitab liegenden Ecke.

Das Ehepaar schien sehr mit sich beschäftigt. Landenbach schaute erst auf, als der Freiherr dicht vor ihm stand und ihn mit großer Herzlichkeit beim Namen rief. – Eine unangenehme Betroffenheit, vermischt mit einer ganz merklichen Verlegenheit, malte sich auf seinem Gesicht. Er sprang empor und schüttelte dem Jugendfreund die Hand, der seine Freude am Wiedersehen so unverhohlen zeigte. Arebracht hatte sich schon der Dame zugewandt und streckte ihr seine Rechte entgegen, in die sie nur zögernd die ihre legte.

»Wie freue ich mich, meine allergnädigste Frau, endlich die liebenswürdige Gemahlin meines alten Kameraden kennen zu lernen. Ehrfried hat Ihnen sicher schon viel von Hartwig Arebracht – – und unsern gemeinsamen tollen Streichen erzählt? – Dort drüben sitzt meine Frau, mein Vetter Schlipenburg und ein Pariser Freund, den wir aus Nizza kennen. Alle drei würden sich herzlich freuen, wenn Sie beide ganz gemütlich an unsern Tisch kämen. Ich bitte wohl hoffentlich nicht vergebens? – Sehen Sie nur, wie der Brummbär dasteht, meine Gnädigste, und schelten Sie ihn tüchtig aus! – Wir haben uns seit fünf Jahren nicht gesehen, und es giebt so viel zu berichten!«

»Lieber Hartwig, wenn Du gestattest, besuche ich Dich morgen Vormittag im Hotel und mache Deiner Frau Gemahlin meine Aufwartung! Aber jetzt – – – – in der That – – – – freue mich ja unendlich – – – –« sagte Landenbach ganz bänglich und sah den so plötzlich aufgetauchten Freund bittend an. – Jedoch dieser wurde ordentlich ärgerlich: »Hör' mal, alter Junge, Du bist ja merkwürdig steif. Drüben sitzt Thekla mit den Herren, und alle warten auf Dich und Deine liebe Frau Gemahlin oder soll ich meine Leutchen da einfach bitten, hierher zu kommen und die Festung zu stürmen? Du hast die Wahl?«

»Aber Hartwig, lieber, alter Junge, wenn ich Dir nun sage« – – – begann der andere kläglich, stotterte und tauschte einen verzweifelten Blick mit seiner Dame, die auch verlegen und mit glühenden Wangen dasaß und an ihrem Kleide zupfte. – Der Freiherr hatte schon den Rücken gewandt und wollte forteilen. »Und seid Ihr nicht willig, so brauch' ich Gewalt!« – rief er lachend. – Landenbach versuchte ihn festzuhalten; aber er war schon einige Schritte weitergegangen.

»So komm und schweig soviel als möglich. Ich werde für Dich antworten! Wir müssen die Suppe ausessen! – – – Eine verteufelte Geschichte!« – herrschte der Zurückbleibende der sich ratlos Erhebenden zu. Dann gab er dem Kellner eine Weisung und bot seiner Begleiterin den Arm. Rasch ausschreitend langte er fast unmittelbar hinter dem Freunde bei der kleinen Gesellschaft an. Sein Gesicht war während der Vorstellung sehr blaß. Ein nervöses Zucken spielte um Mund und Augen. Jedoch es half nichts, er mußte zwischen dem Grafen und Arebracht Platz nehmen.

»Sie kommen zu mir, Baronin!« – sagte Thekla Anbracht zuvorkommend, – »Wir müssen uns doch kennen lernen. Ich freue mich ja so sehr über den glücklichen Zufall dieser unerwarteten Begegnung!« – Im Innern war sie sehr enttäuscht, daß ihr reizender Flirt mit dem Marquis so jäh unterbrochen wurde. Sie tauschte mit ihm einen Blick des enttäuschten Ärgers aus. – »Sie sind sehr liebenswürdig!« – hauchte die Baronin Landenbach und setzte sich schüchtern auf den Rohrstuhl. – D'Anôtal sprudelte der Neuhinzugekommenen eine ganze Reihe liebenswürdiger Artigkeiten entgegen. Sie schaute ihn aber nur hilflos an und lächelte gezwungen. Thekla musterte ihre Rivalin von der Seite. Das hellmausgraue Reisekleid mit dem warmroten Shlips, die Handschuhe, der runde englische Hut, die große Straußfederboa, alle Sachen waren vom besten und saßen tadellos. Und trotzdem fand sie die Nachbarin nicht ganz auf der Höhe, was Vornehmheit anbelangte. Dem hübschen Gesicht mit der kecken Nase, den brennendroten Lippen war durch Schönheitsmittel leicht nachgeholfen. Die braunen Haare hochblond gefärbt, während die Spitzen der Haare an ihren Ansätzen doch noch die ursprüngliche Farbe verrieten. – Die Freifrau, in ihrem kostbarem Spitzenkleid und dem großen Hut über dem schönen Gesichtchen, war mit ihrer schnellen Musterung sehr zufrieden. – Die Landenbach sah neben ihr doch nur wie eine geschickt gekleidete Konfektioneuse aus. Auch das Parfüm, welches sie ausströmte, war aufdringlich und rief irgend eine Erinnerung in ihr wach. Auf einmal, als sie den Duft einsog, kam ihr die Fremde so bekannt vor. Wenn sie nur herausfinden würde, wo und in welcher Situation sie dieselbe schon einmal gesehen hatte?!

Während sie insgeheim ihre Betrachtungen anstellte, plauderte sie laut mit Landenbach, der sie entzückt und doch gequält anstarrte. Um des Franzosen willen bediente sie sich des Französischen und wandte sich an die Schweigsame mit der Frage: »Wo leben Sie, Baronin, seit Ihr Herr Gemahl nicht mehr aktiv ist?« – – So direkt angesprochen wurde die junge Frau wieder abwechselnd blaß und rot – und schwieg.

Der Rittmeister feuchtete seine trockene Kehle hastig mit einem Schluck Bowle an. Dann gab er sich einen Ruck und sagte mit etwas trockenem Lachen: »Das hilft uns nichts, meine verehrten Herrschaften; aber wir müssen unsere Schmach eingestehen, sonst büßt meine kleine Frau noch all ihre Sünden auf einmal ab. Sie sieht schon ganz elend aus, also beichten wir: Olga war eine sehr schlechte Schülerin und sowohl in der Pension, wie gegen ihre Gouvernanten von rührendem Ungehorsam. Außer ihrer, was die fremden Sprachen anbetrifft, grenzenlosen Faulheit, hat sie in der That ein elendes Gedächtnis. – – – Also kurz und gut: sie kann nicht französisch sprechen, noch verstehen!« – Er atmete erleichtert auf, als er seine Rede vom Stapel gelassen.

Die Anwesenden schienen erst etwas erstaunt. Als sie aber Landenbachs Verlegenheit und die Thränen in den Augen seiner Gattin bemerkten, gingen sie sofort zur deutschen Unterhaltung über. Auf das liebenswürdigste halfen sie den Beiden über die Unannehmlichkeit hinweg. Dies ging um so besser, als der Marquis sich verabschiedete. Er behauptete, Freunde begrüßen zu müssen und verabredete ein Wiedersehen in der Oper, wo er sich in der Loge nach dem ersten Akt einfinden wollte.

»So, nun haben Sie nichts mehr zu befürchten, Baronin!« tröstete Thekla. »Jetzt sind wir unter uns und brauchen uns nur der lieben Muttersprache zu bedienen. Ich kann Ihnen so lebhaft nachfühlen, denn, wie Ihnen mit dem Französischen, ging es mir mit dem Italienischen. Ich habe diese Sprache auch erst nach langem Aufenthalt in Italien gelernt. – Doch nun sagen Sie mir auch, wo Sie so das Jahr hindurch hausen? Sie wissen nicht, wieviel Hartwig von Ihrem Herrn Gemahl spricht, und wie sehr mich alles interessiert?« – – – »Wir leben – – – wir leben – – – « begann Olga – – –

»Wir bewirtschaften Landenbach, unser Stammgut« – fiel er schnell ein. – Es liegt herrlich, wie Hartwig ja weiß! Die Herrschaft wurde Jahrzehnte lang administriert. Dann entdeckten wir große Unterschleife in der Verwaltung. Kurz entschlossen quittierte ich und übernahm selbst die Administration. Im Winter weilen wir aber stets einige Monate in der Stadt, sei es nun in Hannover, Berlin oder München. Wir haben ja überall Verwandte!« – – – »Und warum kommt ihr nicht nach Köln, du schlechter Mensch?« polterte Arebracht. »Wir würden uns doch herrlich amüsieren! Es lebt sich dort ganz ausgezeichnet!« – – – »Wir hatten in der That die Absicht; aber – – – « »Habt ihr denn keine Familie, daß ihr so freizügig als Nomadenvolk die deutschen Hauptstädte heimsuchen könnt?« lachte der Freiherr. »Bis jetzt noch nicht! Im übrigen hing das auch stets von allerlei Nebenumständen ab« sprudelte der Rittmeister heraus. »Meine Frau hat sehr große Anhänglichkeit an ihre Verwandten und will immer mit ihnen zusammen sein!«

»Wenn Sie wüßten, wie viel ich von Ihnen gehört habe, gnädigste Baronin!« sagte Schlipenburg. »Meine Geschwister in Breslau, die Schlipenburgs – Walde, mein ältester Bruder und seine Frau, konnten mir nicht genug von der reizenden Olga Polentz vorschwärmen. Sie müssen ja den halben Tag zusammen verbracht haben, sei es nun zu Pferde oder beim Tennis oder sonst gesellschaftlich?« – – – »Ja, Olga kann mir ebenfalls nicht genug von der Familie Ihres Bruders erzählen!« meinte Landenbach, aber der Graf wandte sich direkt an seine Frau: »Wie lange haben Sie die Meinen eigentlich nicht gesehen, Frau Baronin?«

»Oh, och, schon sehr lange nicht!« entgegnete die Gefragte blutrot und schwer atmend. – – »Aber Olga, Dein Gedächtnis verläßt Dich schon wieder, Du sahst doch die Herrschaften im Januar beim Hofballe!« rief der Rittmeister. »Gewiß, das haben sie mir auch geschrieben! Ich hatte es nur vergessen! Schade, daß ich nicht zu dem Feste kommen konnte. Aber ich hatte mir beim Trainieren meines neuen Rapphengstes den Fuß gebrochen und lag in einer Klinik in Potsdam. Sonst hätte ich schon früher das Vergnügen gehabt!« Er verneigte sich liebenswürdig. – – »Nun sagen Sie, wie gefällt ihnen die Ausstellung?« fragte die Arebracht die Nachbarin und war förmlich froh, als sie endlich von dieser eine Antwort in mehreren Sätzen erhielt.

»Sie sind so begeistert? Wirklich, Baronin? – fuhr sie danach lebhaft fort. – Sehen Sie, da kann ich mich Ihnen absolut nicht anschließen. Der architektonische Gesamteindruck bietet doch aber garnichts Neues! Man hat sich auf die alten vornehmen Formen beschränkt und nicht einmal angestrebt, einen wirklich neuen Stil zu schaffen. Damals in Berlin versuchte man doch wenigstens sein Heil, wenn es auch noch nichts wurde! Haben Sie die Paläste in der Invalidenesplanade schon besucht und die Juwelen gesehen?« – – »Ach gewiß, gnädige Frau, sie sind wundervoll!« – – »Nicht wahr?! Mein Hartwig hat mir einen Brillantring geschenkt, das heißt, ich habe erst tüchtig betteln müssen! Sie haben das nicht nötig, denn der Landenbacher Familienschmuck ist ja weit und breit berühmt!« – »Ich habe ein Armband von – – – ihm bekommen!« antwortete die andere glücksstrahlend.

»Also doch! Sie sind ein braver Mann und ein kleiner Verschwender, lieber Rittmeister!« meinte die Baronin mit dem Finger drohend. »Wir haben uns eine ganze Menge für unser Heim bestellt. Limoges, Fayencen, Tiffany – – können Sie sich für Gallé so sehr begeistern?« – Keine Antwort. ›Aha – dachte die Baronin – die dumme Gans hat ja keine blasse Ahnung von irgend etwas. Die kennt auch außer Französisch eine ganze Menge anderes nicht!‹

Trotz dieser Erkenntnis fuhr sie in ihrer nur für gebildete Menschen berechneten Unterhaltung fort und gab der jungen Frau eine Schlappe nach der andern. Die Ärmste wurde immer befangener und verstummte schließlich ganz. Dann versuchte der Graf noch einmal, sie zu einem angeregteren Plaudern zu bringen, ohne glücklicher zu sein. Eine bedrückte Stimmung lagerte sich nach und nach über der kleinen Runde. Auch Baron Landenbach versank in dumpfes Vorsichhinbrüten, nachdem er zuerst die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht hatte, eine heitere Zuvorkommenheit zu zeigen. Der Freiherr betrachtete ihn mißtrauisch und beaugte dann scharf die Frau des Freundes. Er allein witterte, daß irgend eine merkwürdige Enthüllung nachkommen würde. Er hatte das Paar auf das lustigste lachen und plaudern sehen und konnte sich in ihre Bedrücktheit und Verlegenheit gar nicht hineindenken.

Kurz entschlossen machte er der unbehaglichen Situation ein Ende. Er zog die Uhr heraus und erklärte noch einmal in das Hotel zu müssen, um nach eingelaufenen Briefen zu fragen. Man nannte sich die gegenseitigen Adressen und verabschiedete sich erleichtert. – Landenbachs blieben noch da, während die drei übrigen in der ihnen zur Verfügung gestellten Equipage den Heimweg antraten.

»Nun, Egon, danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie die Freiin Polentz nicht geheiratet haben,« spottete die schöne Freifrau. »Ich habe nur selten eine solche Gans gesehen. Ihr fesches Äußere ließ auf ganz anderes schließen!«

»Ich verstehe meine Verwandten nicht!« entgegnete er. »Mein Bruder sowohl wie meine Schwägerin sind sonst so sehr anspruchsvoll und haben sich in ihrem Lob über diese Olga Polentz nie genug thun können. Dieses ungewandte Benehmen! Diese Unbildung! So bewegt sich doch keine Dame! Auch die ganze Erscheinung hätte ich mehr für eine Berliner große Konfektioneuse – – –« Er hielt ganz erschrocken inne, denn die schöne Thekla stieß einen Schrei aus. »Natürlich, wo hatte ich nur meine Augen? Ich wußte sofort, daß mich die Landenbach an irgend jemand erinnert! Bei Gerson bedient mich, wenn ich meine Wintereinkäufe mache, immer eine so niedliche, freundliche Person. Sie beschwatzt die Käufer derartig, daß sie kaufen müssen, ob sie wollen oder nicht. – Wenn diese Person nicht die Frau deines Freundes und so schüchtern und dumm wäre, würde ich darauf schwören, daß es die Verkäuferin aus Berlin ist!«

Nur einer blieb still, das war der Freiherr. Er dachte an ihre gemeinsame tolle Jugend, witterte Unheil und schwieg sich vorsichtig aus.

Am nächsten Vormittag hatten »Rittmeister Baron Landenbach und Frau« im Kontinentalhôtel ihre Karte abgegeben, auf der ein dick geschriebenes » p. p. c.« ihre Abreise verkündete. Wirklich erhielt Arebracht im Hôtel des Champs Elysées den Bescheid, daß Monsieur et Madame la Baronne über Brüssel in die Heimat zurückgekehrt wären. Graf Schlipenburg sandte sogar folgenden Brief an seine Geschwister in Breslau.

»Meine Lieben!

Zwar könnte ich viel von der Ausstellung und Paris berichten! Doch findet Ihr dies alles weit besser in den Zeitungen. Darum will ich gleich mit der Thür ins Haus fallen und meinen allerhöchsten Zorn über Euch ausgießen. Hartwig und Thekla haben mir gestern Landenbach und seine vieledle Gattin vorgestellt. Ich habe nun endlich Eure berühmte Olga Polentz kennen gelernt und zwar gründlichst. Wie konntet Ihr nur auf die wahnwitzige Idee kommen, daß ich diese hölzerne, ungebildete Tanzbodenschönheit jemals geheiratet hätte? Ich hätte keine Lust gehabt, mich meiner Zukünftigen zu schämen. Ich erkläre Euch aber, daß ihr Gatte, der Rittmeister, sich ihrer außerordentlich geschämt hat! Neben der sprühenden, entzückenden Arebracht war sie aber auch zu deplaciert.

Wir sind so ziemlich durch mit allem Sehenswerten und wollen in einigen Tagen über Berlin nach Wien reisen, um dort einen kleinen Nachbummel zu feiern. Wir sind so ungefähr Sonntag im Palasthotel in Berlin. Beweist, daß Ihr liebenswürdige und unternehmende Menschen seid, und überrascht uns mit Eurem Dortsein!

In diesem Sinne begrüße ich Euch und verbleibe stets

Euer treuer Bruder
Egon.«

Die Episode im Bois de Boulogne war von den Beteiligten längst hintenan gesetzt, denn der Pariser Strudel, die Reise und die Ankunft in Berlin hatte zuviele neue Eindrücke auf sie einstürmen lassen. – Jetzt weilten sie schon vierundzwanzig Stunden in der schönen, deutschen Reichshauptstadt und machten Programm für den Abend. Nach vielem Hinundher beschloß man, sich wieder einmal gründlich auszulachen. Der eifrige Hôteldiener wurde fortgeschickt, um eine Loge im Residenztheater zur »Dame von Maxim« zu besorgen. Er kehrte mit den Billetten zurück, und das Trio begab sich noch vor Aufführung zu Josty am Potsdamerplatz, um dort einige Zeit den interessanten Ausblick zu genießen.

Plötzlich sprang Schlipenburg auf: »Da geht die Baronin Landenbach mit einer anderen Dame. Da, die beiden in den dunklen Kleidern!« – Er zog den Hut und grüßte tief. – Kaum bemerkte die Genannte den Gruß, so blickte sie scharf herüber. Doch schien sie den Grüßenden erst nach einigen Sekunden zu erkennen. Sie wurde blutrot und nahm ganz deutlich, so schnell es möglich war, das Hasenpanier in die Königgrätzerstraße. – An der Ecke wandte sich ihre Begleiterin noch einmal um, nickte ziemlich frech und schüttelte sich vor Lachen.

Verdutzt tauschten Thekla und der Graf ihre gegenseitigen Vermutungen aus. Arebracht schwieg wieder. – Erst als sie in der Loge im Theater saßen und vergnügt dem launigen Vorgange da oben auf der Bühne folgten, wurde er munterer. – Die urkomische Scene, in der der ›Professor‹ die freche ›Crevette‹ als seine Gattin vorstellt, wurde flott heruntergespielt.

Graf Schlipenburg schlug sich vor die Stirn. Freifrau Thekla brach in einen Lachkrampf aus. Beide sahen erst sich, dann Arebracht an, der verwegen schmunzelte. Sie sagten nur: »Landenbach« – – »Natürlich die Dame von Gerson!« – – Und dann kreischten sie von neuem vor Vergnügen. Das Publikum aber blickte erstaunt in die Loge. So, wie die feinen Herrschaften da, hatten sie selten Aristokraten lachen sehen!

Noch spät in der Nacht klopfte der Graf bei seinen Verwandten an und trat nach dem: »Herein« in ihren Salon, wo sie noch beim Thee saßen. »Entschuldigen Sie die späte Störung, Cousinchen, aber ich möchte Ihnen doch den Brief meiner Geschwister noch vorlesen. Er birgt manches Interessante!« – – Nachdem man ihm einen Platz angeboten, begann er seine Lektüre mit deutlichster Pointierung.

»Lieber Egon!

Deiner freundlichen Aufforderung, erst einen Abstecher nach Berlin zu machen, können wir leider nicht Folge leisten. Doch läßt es sich vielleicht ermöglichen, daß wir Dir und den lieben Arebrachts auf einige Tage nach Wien nachkommen. Du kannst wohl ermessen, welche Zugkraft Euer Dortsein auf uns ausübt!

Ihr scheint übrigens in Paris stark gekneipt zu haben, denn nur einer tollen Sekt-Konfusion kann Dein letztes Schreiben entsprungen sein. Aber bei der Ausstellung ist ja alles möglich?! Ein liebenswürdiger Spiritist hat Euch einen Gefallen gethan und Geistergestalten leibhaftig vorgaukeln lassen. Ich meine Landenbachs und besonders unsere herzige Olga!

Die geistvolle, schelmische, kleine Frau ist seit zwei Monaten hier bei ihrer Mutter, um in Breslau ihre Entbindung abzuwarten. Wir sehen sie täglich. Ebenso haben wir täglich die liebeglühenden Briefe ihres verliebten Gatten aus Schloß Landenbach bei Hannover gelesen. Er ist ein so eifriger Gutsherr, daß er seine Herrschaft nicht eher verlassen wollte, ehe er nicht seinen Oberinspektor gründlich eingeschult hatte. Seit Mittwoch weilt er hier in der Stadt und war ganz verblüfft über unsere Idee, daß er in Paris gewesen sein sollte. Es wäre auch parodox, sich diesen zärtlichsten aller Ehemänner ohne seine Olga in dem Seinebabel vorzustellen!«

Schlipenburg pausierte und schaute zu den beiden Zuhörern hin. Alle drei brachen von neuem in einen Lachanfall aus.

»Also benutzen wir als gute Freunde seine uns stillschweigend auferlegte Direktive, und lassen wir seine zärtlich geliebte Olga in dem Glauben an ihren tugendhaften, hartarbeitenden Landwirt!« meinte die Freifrau endlich, sich die Thränen abwischend.

»Selbstverständlich: Diskretion – Ehrensache!« bekräftigte der Graf.

»Und Honny soit, qui mal y pense!« ergänzte Hartwig von Arebracht sehr energisch.

V. Chambres à louer!

Zimmer zu vermieten!

»Wissen Sie schon, Madame Leclerc hat einen Anschlag gemacht? Sie will Zimmer vermieten!« meinte die dicke Frau des Concierge, den Kopf aus ihrer Loge heraussteckend. Die Vorübergehende blieb neugierig stehen: »Ist es möglich? Irren Sie sich auch nicht? Sie hat gestern erst im Bon Marché eine neue Toilette, einen Sammetumhang und für die Kinder neue Kleider gekauft! Ihr Gatte ist ein Beamter mit gutem Einkommen! Wozu hat sie es nötig?«

Die Concierge kam ganz aus ihrer Behausung heraus und trat auf die andere zu: » Eh bien, wenn man Karten spielt, wenn man sich teure Liebhaber hält und seine Kinder über den Stand hinaus erzieht, dann braucht man Geld, viel Geld!« – – – »Oh la, la!« stieß die dicke Brion aus und stemmte die Arme in die Seite. Ihre Augen funkelten vor Wonne an dem Gehörten. Dicht die Köpfe zusammengesteckt, flüsterten sie sich Mördergeschichten in die Ohren, und an den braven Leclercs blieb nicht ein gutes Haar.

Während drunten die edle Hausgenossin ihren Ruf ruinierte und die Portierfrau das Feuer schürte, überwachte die Besprochene oben im dritten Stock ihrer Wohnung die Arbeit ihres Dienstmädchens. Die beiden Räume, welche nach dem Boulevard Montparnasse hinauslagen, waren in Fremdenzimmer verwandelt. Soeben hatten die Handwerker die Behausung verlassen. Madame rieb mit nassem Leder die Möbel ab und polierte mit trockenen Frieslappen die feuchten Stellen. Helene, die Bonne, aber kniete und wachste den Fußboden.

»Sie verstehen, Helene, man hat es wohl nicht nötig, da Monsieur Leclerc eine feste Stellung hat! Und Madame Brutier, meine Mutter, wird sehr böse sein, daß wir Zimmer vermieten. Aber, voyons, das Leben kostet außerordentlich teuer in Paris. Die Ausgaben mit den Kleinen wachsen, und die Wohnung ist in der That ein wenig groß für uns wenige Menschen. Ich werde Ihnen tüchtig helfen, daß Sie nicht allzuviel Arbeit haben, mein Kind, und – – – ich denke doch, es werden nette Trinkgelder für Sie abfallen! Die Fremden, welche zur Ausstellung kommen, sind reich und werden mit den Franks nicht geizen. Überdies schreibe ich noch das Service pro Woche mit zwei bis drei Franken auf, die gehören Ihnen! Selbstverständlich!« – – – Die Hausfrau war zuckersüß mit ihrem Mädchen und that alles, um sie bei guter Laune zu erhalten. Sie wußte, daß zur Zeit ein großer Dienstbotenmangel in der Stadt war, und daß auch Helene, von sehr reizbarem Temperament, ihr jede Stunde den Dienst aufsagen konnte.

Diese trat jetzt mit dem Fuße in die breite Bohnerbürste und begann, die Dielen tüchtig abzubürsten. »Ich denke auch, Madame, daß wir ein gutes Stück Geld verdienen werden. Für nichts wollen wir uns doch nicht unsere Arbeit so vergrößern! Schade, daß dies Haus so alt und klein ist! Noch dazu die Lage des Boulevards auf dem linken Ufer der Seine, wo schon die Wohnungen billiger sind. Und die Entfernung von der Ausstellung!« – – – »Aber, meine Liebe, die gute Luft, die Ruhe, die Nähe des Luxemburgparkes und die guten Verbindungen sind doch sehr verlockend!« – unterbrach die Herrin sie hastig.

»Na, das ist alles nicht so schlimm!« – fuhr Helene ruhig fort, ihre unordentlichen Haarmassen, die ihr beim Bewegen ins Gesicht schlugen, frisch aufdrehend. Dann steckte sie den schmutzigen Rock hoch, unbekümmert um die liederliche Unterkleidung, welche zum Vorschein kam. – »Viel können Sie hier nicht verlangen, Madame! Ich habe vier Jahre in Ausländer-Pensionaten gedient und kenne die Ansprüche der Fremden. Zuerst in Passy, dann auf dem Boulevard de Sebastopol, dann in der Tournonstraße und zuletzt an der Place de la Republique. Mir kann keiner über die Ausländer etwas Neues sagen!« – – » Eh bien, das ist ja ausgezeichnet, Helene!« – rief die Leclerc entzückt. – Da können Sie mir ein wenig Unterricht erteilen! Ich habe noch nie Fremde im Hause gehabt, und die Ratschläge von Madame Alouet scheinen mir auch nicht ganz richtig. Enfin, sie ist die Konkurrentin und fürchtet, daß – – –. Darum kommen Sie nur immer mit herein, wenn Mieter die Zimmer besichtigen wollen. Sehen Sie sich die Leute an und geben Sie mir nachher einen kleinen Wink, es soll Ihr Schade nicht sein!«

Sie sah das Mädchen erwartungsvoll an und ließ sich in einen Sessel sinken. Helene blickte in dem Gemache umher, prüfte alles genau, kratzte sich den Kopf und meinte mit bedenklichem Gesicht: »Nun, Madame, die ganz reichen Amerikaner und Engländer mit den großen Trinkgeldern bekommen wir hier nicht herein. Diese Bande fordert zwar viel, ist mit nichts zufrieden; aber sie zahlt zum mindesten gut. – Die armen aber, die nach Paris kommen, um hier zu studieren? Behüte uns die liebe Madonna! Die verlangen unverschämt viel, kritteln an allem, essen mehr als zehn Franzosen, zahlen wenig und geben kein Trinkgeld!«

»Ach, was Sie sagen!« seufzte Madame. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, denn davon wußte ich durchaus nichts! Also lasse ich weder Engländer noch Amerikaner über meine Schwelle, denn um nichts will ich mich nicht abplagen. Wenn wir doch einen reichen Russen erjagen könnten, Helene?« Sie sah das Mädchen an, als könnte es ihr auf der Stelle einen verschaffen. Jedoch dieses bürstete wieder stürmisch seinen gebohnten Fußboden. »Reiche Russen kommen zu uns nicht, das habe ich Ihnen schon erklärt,« entgegnete sie gleichmütig. »Mit den armen haben wir stets schlimme Erfahrungen gemacht. Bald zahlten sie nicht, bald wurden sie von der Polizei überwacht. Oft haben wir ihre Sachen gepfändet und außer Ungeziefer nichts erhalten! – Nein, alle meine Damen, welche vermieteten, haben Russen, Polen, Rumänen oder andere Leute von là-bas nie gern gesehen. Auch mit den Italienern waren die Erfahrungen keine guten. Sie waren bescheiden, liebenswürdig; aber sehr, sehr arm!«

»Um Gotteswillen, Kind, wenn Sie von allen abraten, dann bleibt ja zuletzt gar kein Mensch mehr übrig!« – – »Oh doch, wir hatten ordentliche Holländer, Dänen und auch Deutsche! Die drei zahlen wenigstens pünktlich, halten die Zimmer, die Möbel und sich sauber und sind nicht unbescheiden. Madame Hervieux haßte die Deutschen, weil sie ihren Gatten im Kriege verloren hatte, aber sie hatte dies Volk am allerliebsten in ihrem Hause!«

Frau Leclerc spielte verzweifelt mit ihren Fingern. Sie war ganz niedergedrückt. »Niemals, niemals, wir sind zu gute Patrioten!« jammerte sie, »Monsieur Leclerc haßt die deutschen Barbaren wie die Teufel. Er würde alle die ermorden, welche bei uns wohnten! Alle Deutschen sind Juden und stecken mit Dreyfus im Bunde, um die Franzosen zu verraten. Sie stahlen die Pendülen und schonen nicht Weib noch Kind! Nein, nein, diese Dämone dürfen nicht in unser liebes Heim. Wir hätten ja keine Ruhe bei Tag oder Nacht, solche Diebe, solche Mörder, die uns durch Verrat besiegt haben, unsere Feldherren gekauft und bestochen – – – unsere Verwandten ermordet! Nie, nie giebt er das zu!« »Wie Sie wollen,« antwortete Helene achselzuckend, »Madame muß wissen, was sie thut. Wenn Sie aber meinen Rat haben wollen, so nehmen Sie zuerst einmal jeden Mieter, der da kommt, und lassen Sie sich Ihre Miete im voraus bezahlen. Sie werden ja bald Ihren Vorteil erkennen lernen! – – Inzwischen aber reden Sie Monsieur gut zu, damit er sich um die Deutschen nicht kümmert und sie hier wohnen läßt. Deutsches Geld ist ebenso gut wie anderes, und Madame Hervieux meinte: Je mehr man dem Feinde abnimmt, je besser ist es. Die Barbaren wissen, daß wir hier sie nicht mögen, und darum nehmen sie sich hier in acht und betragen sich sehr nett! Doch, wie Sie wollen?«

Damit war die erste Lektion erteilt. Madame konnte ihre Rückschlüsse selber ziehen. Sie überlegte sich die Angelegenheit und gewann endlich die Überzeugung: Pecunia non olet, selbst wenn es vom Feinde stammt. So keimte in ihrem guten Herzen ganz allmählich die Blume der Versöhnung mit den armen Deutschen. – Anders war es mit Monsieur, der enragierter Nationalist, Chauvinist und Antidreyfusard war. Schon bei der Idee, daß diese, wie er sie merkwürdigerweise bezeichnete: »diese verfluchten Juden« – »diese Barbaren« in sein gut französisches Haus ziehen konnten, schnaubte er Wut. Es kam zu erbitterten Fehden mit seiner Frau, die er mit dem Worte: »Verräterin des Vaterlandes« zur Ruhe schrie.

Vergebens prangte unten das Schild: Chambres à louer. Vergebens harrten die bereiten Gemächer. Kein Ausländer, geschweige ein anderes lebendes Wesen ließ sich erblicken. Die hochgeschraubten Hoffnungsaktien sanken immer tiefer. Die Fehden nahmen zu. Ehe noch ein Deutscher das Verlangen trug, einzuziehen, wurde er zum Zankapfel unter den Leclercs. Sie klammerte sich an die noch unsichtbaren Barbaren mit einer wilden Hoffnung. Er tobte schon bei ihrer Erwähnung. – Da er nebenbei Karten und Absinth und Frauen mehr liebte, als es ihm in seinen Verhältnissen zukam, wuchsen die Schulden. – Der Hauswirt, die Handwerker und der Bon Marché wollten bezahlt sein. Das Gehalt deckte kaum die Hälfte, also woher nehmen und nicht stehlen?

Beide wurden mürbe von Kampf und Sorgen. So geschah es denn eines Tages, daß der edle Deutschfresser nachgab und seiner ewig bohrenden Gattin zornbebend zurief: »So hole dir dies verfluchte, betrügerische Judenvolk, diese Prussiens, ins Haus. Aber wundere dich nicht, wenn man deinen unglücklichen Gatten aus der Seine zieht! Natürlich, in der Morgue ist ja Platz genug, was kümmert es dich? Du lebst ja weiter mit deinem Freund aus der Boutique nebenan!« – Mit diesem echt französischen Knalleffekt beendete er die Unterhaltung und begab sich in sein Kaffeehaus, wo eine gleichgesinnte Gesellschaft von Weißnelken seiner harrte.

Richtig, Leclercs Nachgiebigkeit zeitigte gute Fruchte. Am nächsten Tage erschienen zwei junge, anständig gekleidete Russen, nahmen die Zimmer auf fünf Tage, bezahlten ihre Miete pränumerando und führten sich sehr nett auf. Sie reisten ab, ohne irgend welche Unannehmlichkeiten hinterlassen zu haben. – Dann wurden die Räume tage- auch wochenlang genommen und bezahlt und wieder frei. – Das Ehepaar atmete auf. Sie nahmen kleine Summen ein und hofften auf große; denn wofür hatte man eine Ausstellung in Paris? Die Regierung hatte die Pflicht, für ihre Unterthanen zu sorgen!

Diese Pflicht versäumte sie jedoch, denn wieder standen eine ganze Weile die Räume leer. Schon ging Madame mit einem versorgten Lächeln über den Hausflur. Wenn dann die Concierge den Kopf aus der Loge steckte, und begierig fragte: »Noch nicht?« – so schüttelte sie nur verneinend das Haupt und erwiderte seufzend: »Noch nicht!« Und die Tröstungen der andern waren für die eingebildete Frau, die immer mehr scheinen wollte, als sie wirklich war, eine Qual. – So saß sie denn oft traurig auf dem nach dem Hof hinausgehenden Fenstertritt und wartete. Ihr Herz hüpfte vor Erregung und Erwartung, als sie einst plötzlich die Klingel anschlagen hörte und Helene mit den drei Kindern zugleich ins Zimmer stürzte und schrie: »Madame – Madame – zwei Deutsche! – Sehr gut gekleidet, schnell, schnell!«

Ein Blick in den Spiegel, ein Zupfen an der Taille, an der Frisur, und Frau Leclerc stürzte nach vorn. Ihre Sehnsucht, ihr Traum ging in Erfüllung: Deutsche, die sauber und bescheiden waren, die pünktlich und viel zahlten, waren da! Und diese zwei würden ihr Glück bringen und andere ihrer Landsleute nach sich ziehen! Mit einem wahren Aberglauben hatte sich die Vermieterin an diesen Gedanken einer Erlösung geklammert. Sie, die früher bei der Erwähnung der Erbfeinde wütend gehöhnt und gehaßt hatte, erwartet jetzt von ihnen das Heil: die Errettung von Schulden und Sorgen! Herrliche Wintertoiletten, neue Möbelstücke und viele Vergnügungen schwebten ihr vor, als sie schnell durch den Korridor eilte.

In dem Vorderzimmer harrten die neuen Mieter ihrer. Bei ihrem Eintritt sprang der eine von dem Tische mit der moosgrünen Sammetdecke, auf dem er gesessen hatte, herab. Der andere erhob sich ziemlich langsam aus seiner Sofaecke. Auch ihre Begrüßung ließ an Höflichkeit entschieden zu wünschen übrig. Natürlich, von den ungebildeten Barbaren konnte man allerdings feine Manieren nicht erwarten! Was that's, wenn sie nur zahlten! »Sprechen Sie deutsch?« fragte der Größere in auswendig gelernter Phrase ziemlich geläufig. » Oh non, Monsieur, oh non« entgegnete sie ganz eingeschüchtert. »Aber das macht nichts, durchaus nichts. Die Herren scheinen ja so vorzüglich meine Sprache zu sprechen!« Dabei dienerte sie liebenswürdig. – – – »Die alte Hexe hat'n Klaps, die wird noch vom Stengel fallen!« meinte der Redner von vorher auf deutsch zum andern und empfing die phlegmatische Antwort: »Laß ihr!« – – –

»Nun, Madame, so müssen Sie eben unsere Fehler ertragen. Wir können französisch nur sehr schlecht von der Schule her!« sagte er in haarsträubendem Französisch. Sie hielt an sich, um nicht zu lächeln, so schwer es ihr wurde. Jedoch die beiden Jünglinge mit ihren blonden Schnurrbärten, in ihren eleganten Anzügen flößten ihr Respekt ein. Obendrein, da sie jenem fürchterlichen Volke angehörten, das nichts wie »Würste« aß. Würste zu jeder Mahlzeit. » Parfaitement, monsieur sprechen sehr gut. Ich verstehe alles!« wiederholte sie knixend.

»Na bon, also Ihre Zimmer gefallen uns gut. Wir wollen beide nehmen. Mein Freund: Graf Pumpmann« – er machte ein? vorstellende Handbewegung. »Ich bin Graf Dachsberg! Bitte, wieviel kosten die beiden Appartements?« – – – Bei dem Grafentitel war Frau Leclerc in einer erneuten Verbeugung fast zur Erde gesunken. Ihr Herz klopfte stürmisch. Sie äugte schnell nach ihrem Dienstmädchen, die den Blick ebenfalls aufleuchtend zurückgab. Aristokratische Titel verfehlen ihren Eindruck auf die verhärtesten Republikanergemüter nicht! – Die Wirkung äußerte sich denn auch sofort in einer anderen Weise. Sie schlug zu ihrem gewöhnlichen Mietspreis noch zehn Francs zu und sprudelte eine wahre Lobeshymne auf ihre Wohnung und die Gegend hervor.

Die beiden Herren schauten sich auch an und lächelten: »Daß du die Nese ins Gesichte behältst!« sagte Pumpmann und: »Wenn De denkst, du hast'n, springt er aus'n Kasten?« vollendete Dachsberg.

Dann wandte er sich der Wirtin zu und meinte langsam und stümpernd: »Also hundert Francs die Woche für jeden, nicht wahr? Dafür geben Sie uns die Zimmer und das erste Frühstück, Madame?« – – » Parfaitement oui Monsieur, das ist garnicht viel! Das ist sehr wenig jetzt, bei der Ausstellung und dem Fremdenandrang!« – – »Na bon; mein Freund, der Graf und ich werden also die Zimmer mieten! Die Miete ist sehr hoch; aber eine so schöne Dame wie Madame, ist eine angenehme Zugabe!«

Die Leclerc verklärte sich: »Und wie lange, Messieurs?« – – »Zwei Wochen. Doch nun, bitte, lassen Sie uns den Koffer bringen. Er steht bei dem Portier!« sagte er majestätisch. Helene raste davon. Ihr Ohr war an das verstümmelte Französisch der Ausländer gewöhnt. Sie verstand auch das Unsinnigste!

»Was druckst denn die Olle da noch so 'rum? Sie scheint sich nicht drücken zu können?« fragte Pumpmann. »Ich werde sie sofort auf den Drapp bringen!« entgegnete sein Freund. »Nun, Madame, Sie wünschen noch etwas, bitte?« – Wieder eine königliche Handbewegung, vor der sie in Demut sich ersterben fühlte.

»Oh, Messieurs!« flüsterte sie stockend und verlegen. »Es ist ein Prinzip! Und mein Mann ist sehr streng. Ich würde es sonst nicht wagen; aber wenn ich bescheiden bitten dürfte: Man zahlt in Paris stets pränumerando.« »Die Zicke is jut, die kann so bleiben!« – – »Nur nobel, sagt Knobel. Bange machen gilt nich!« – in seinem grausigen Französisch erwiderte Dachsberg stirnrunzelnd und achselzuckend: »Ich bedaure, Madame, das thut man bei uns in Deutschland nicht. Wenn Sie uns mißtrauen – – –«

» Mais non, mais non, Monsieur!« jammerte sie sofort. »Bitte, bleiben Sie nur. Es ist nur monsieur Leclerc, der seine Prinzipien hat. Aber bei den Herren Grafen wird er eine Ausnahme machen – – – ohne Zweifel!«

Dachsberg ließ sein Geld in der Tasche klimpern. Dann zog er die Hand gefüllt zurück: »Na, Madame damit Sie beruhigt sind, werden wir jeder zehn Francs anzahlen; aber wir Deutschen haben auch unsere Prinzipien!« – – Die Leclerc raffte die beiden Goldstücke schnell auf und entfernte sich dienernd. Sie stieß dabei gegen den großen, eleganten Koffer, den der Concierge und Helene hereinschleppten. Nachdem auch diese beiden sich entfernt hatten, stürzte der eine auf den andern zu und packte ihn am Arm: »Mensch, biste wahnsinnig, wie kannste der Unke zwanzig Francs in den Rachen schmeißen? Wovon sollen mir denn leben?« – –

»Hab' nur keine Bange nich, lieber Junge! Sieh mal, direkt begaunern wollen wir doch die Leute nich! Und so zwanzig Francs werden die beiden Höhlen, die Wäsche und das Frühstück wohl kosten. Na und mehr gedenke ich nicht zu berappen. Du hast dich mir nun einmal anvertraut, also laß mich handeln. Wir müssen der Gesellschaft im Klub doch beweisen, daß wir mit zweihundert Mark beide nach Paris und zurück kommen. Und ich sage dir: wir gewinnen die Wette. Du wirst es sehen, ich garantiere dafür!« – – »Ja, Paul, du bist ein verteufelter Kerl! So was habe ich noch nicht gesehen. Wie du plötzlich als Zauberkünstler, Coupletsänger und Chefredakteur einer ersten Tageszeitung auftratest, das war unglaublich!« – – »Ach, Quark, garnichts war's als ein bischen Geschicklichkeit. Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Ich habe euch ja stets erklärt: die Menschen sind die geborenen Esel, und derjenige, welcher versteht, ihre angeborene Dämlichkeit richtig zu benutzen, der kommt durch die ganze Welt!« – – »Du beweist es beinah, denn die Unverschämtheit, mit der wir umsonst, resp. mit dem in aller Eile zuverdienten Gelde bis Lüttich kamen, uns sogar schon den Rückweg sicherten, war unglaublich. Na, und wenn das so weiter geht, speisen wir à conto unseres Journales, das auf dem Mond herausgegeben wird, nur noch in den vornehmsten Hôtels für naß!« – – »Na, Max, das sagte ich euch doch, nur freche Traute und auf die Leute eingehen, das imponiert! Ihr glaubtet es ja nie. Darum haben sie mir ja dich als Aufpasser mitgegeben. Nun, stimmt es nicht?« – – »Ja, du bist eben ein Genie. Wie du den Direktor gestern herumbekamst, daß er dir das große Diner mit Wein servieren ließ und mir noch obendrein? Nur damit wir für seine Bude Reklame machen, siehste, das kriegt kein anderer fertig! Und wie die Servierfatzkes sprangen und rannten, ich war starr!«

»Siehst du, Jungeken, und den umsonstigen Eintritt in der Weltausstellung haben wir auch erreicht. Dabei garantiere ich dir, die Sache geht so weiter. Acht bis zehn Tage bleiben wir noch hier, amüsieren uns wie die Götter und rutschen dann nach Berlin. Wenn wir da nicht noch mit einem anständigen Rest ›erster Klasse‹ vorfahren, dann will ich nicht Paul Springer heißen!« – – »Sondern Gras Dachsberg!« rief Max lachend. »Na ob, vorerst zähmen wir die Leclerc. War eine ganz gute Idee, hierher zu gehen, denn es ist sauber und freundlich!« – – »Gestern im Hôtel: Chefredakteur G... L... – – – Du! Ich: Direktor einer Anstalt für Gesellschaftsreisen. – – Heute zwei Grafen. Jungeken, wenn uns bloß nicht die Pariser Polizei zu packen kriegt?« – – »Ih wo, hab man keine Angst. Ich imponiere auch denen. Du siehst doch, daß man uns den Koffer und die Kleidage auch anvertraut hat? Nachher fahre ich mit all den Sachen wieder in das Magazin zurück und erkläre, sie nicht gebrauchen zu können. Dann hole ich den Hundertfrancsschein ab, den wir als Pfand dagelassen haben und fertig ist die Laube!« – – »Unsere Wirtin läßt doch die Sachen nicht wegnehmen. Daran allein kann sie sich ja halten! So dumm wird sie doch nicht sein?« – – »Doch, so dumm ist sie und noch viel dümmer. Warte nur ab!«

Und siehe, Springer-Dachsberg setzte sein Stückchen durch. Anscheinend füllte er den Kleiderschrank in seinem Zimmer mit seinen Anzügen. Dann schloß er ihn ab und steckte den Schlüssel ein. Zuguterletzt ließ Madame Leclerc selbst den Concierge rufen und den großen Koffer nach der unten wartenden Droschke bringen, in der ›Graf Pumpmann‹ schon saß. – Auf die kluge Warnung des mißtrauischen Hausverwalters lachte sie überlegen: »Aber nein, was denken Sie?« sagte sie beleidigt. »Meine Grafen haben mir eine hohe Anzahlung gegeben. Sie haben die Taschen voller Goldstücke und klappern damit. Es sind Aristokraten und Deutsche! Man kann gegen diese Barbaren sagen, was man will; aber ehrlich sind sie!«

Der Concierge zuckte mit den Schultern und schwieg. Wozu sollte er sich in die Angelegenheiten der unbeliebten Familie mischen? – Monsieur Leclerc fluchte und tobte zuerst über die verhaßten deutschen Mieter. Darauf erklärte er, sie nie sehen oder sprechen zu wollen, führte diesen Plan durch und resignierte. Seine Gattin dagegen schwebte vor Wonne in den höheren Regionen. Sie lebte nur noch für »ihre Grafen«. Sie kleidete sich noch auffallender, prahlte mit ihren Einwohnern auf das unerträglichste und verwöhnte sie täglich mehr, indem sie ein immer köstlicheres Frühstück hineinsandte. Die vierhundert Francs, welche sie an ihnen verdiente, erlaubten das schon! –

Die Aristokraten nahmen das ruhig entgegen. Sie lohnten die Freundlichkeit ihrer Wirtin und die plötzliche Sauberkeit der sonst so liederlichen Helene mit ein paar liebenswürdigen Phrasen, mit einem schnellen Streicheln der Wangen. Das war aber auch alles. Im großen und ganzen waren sie wenig zu Hause. Weilten sie jedoch in ihren Zimmern, so hörte man sie lachen und singen! – Madame Leclerc erzählte begeistert von den jungen Leuten, die bei aller Freundlichkeit doch eine so vornehme Zurückhaltung bewahrten. So betrug sich eben wirklich nur der hohe Adel!

» Mes Allemands« oder » mes comtes« wurden ihre Idole, von denen sie sogar vor der Loge der Concierge-Frau stehen bleibend erzählte und schwärmte. Ihr Deutschenhaß hatte sich inzwischen längst in einen Deutschen-Enthusiasmus gewandelt. Sie grämte sich nicht mehr, wenn ihr Gatte noch weniger daheim war als sonst. Sie lachte nur und beschloß, ihm nur die Hälfte ihrer erzielten Mietserträge einzuhändigen. Am Ende hatte sie die große Arbeit, konnte sich daher auch ruhig ihre kleinen Ersparnisse machen? – Besonders da Dachsberg ihr wiederholt erklärte, daß für das erstaunlich niedrig bemessene Geld, welches er und sein Freund zahlen würden, sich noch viele andere Deutsche einfinden sollten! Immer wieder versicherte er, daß er ihr Haus in seinen Kreisen empfehlen würde!

Madame quälte sich bei fernen Versprechungen mit Selbstvorwürfen. Wie war sie dumm gewesen, so wenig zu fordern? Nun, das sollte ihr eine Lehre sein! Die nächsten Mieter sollten weit höhere Forderungen vorfinden. So vergingen zehn Tage. Zwei Cousinen waren bei Leclercs zu Gaste und wurden in die Zimmer geführt, in denen » mes comtes« wohnten. Die Räume sahen merkwürdig unbewohnt aus. Nicht einmal Seife und Zahnbürsten, Kämme und Bartbinden lagen auf den Toiletten. Sogar die kleine Handtasche, welche Graf Dachsberg immer neben dem Schrank stehen hatte, war verschwunden. » Drôle de chose!« meinte die eine: Frau Jeangrand. »Haben diese Aristokraten keine Koffer oder Reisekörbe?« – – » Oh non,« wehrte die Leclerc ab, »sie haben einen kostbaren Koffer aus dem P – – – – –! Ich habe den Firmenstempel selbst gesehen. Aber es war etwas im Innern zerbrochen. Meine Grafen mußten ihn zur Reparatur geben!«

»Nicht einmal waschen können sich diese Deutschen!« konstatierte die andere Besucherin: Frau Periot. »Seht nur, keine Toilettengegenstände, nichts, nichts!« »Nein?« verteidigte die Hausfrau giftig. »Was ihr nicht alles beobachtet. Meine Grafen hatten alles, sogar Nagelfeilen; aber, ihr Armen! Ihr wißt ja nicht, wie ordentlich und sauber diese Deutschen sind! Ich werde es euch beweisen!«

Sie schob alle Schubladen im Waschtisch auf, öffnete den Schuhschrank, in dem sonst die Saffianpantoffeln gestanden. Nichts war da! – Verdutzt suchte sie im andern Zimmer. Wieder das gleiche Resultat! – Ein leichtes Herzklopfen, eine leise Unruhe überkam sie: Die Gegenstände waren doch sonst immer in den Fächern gewesen. »Nun,« sagte sie laut, sich selbst beruhigend, »meine Grafen haben vielleicht alle Sachen in den Kleiderschränken eingeschlossen!« – – »Nein, nein, dieser ist leer. Er klingt ganz hohl, wenn ich klopfe!« schrie die Jeangrand und pochte gegen einen der Schränke. »Hast du keinen Schlüssel, Marie?« – – »Nein, die Herren haben diese Schlüssel bei sich.« – – »Das macht nichts,« tröstete die Periot, »ich habe mein Bund Schlüssel in der Tasche. Da wir den gleichen Schrank haben, wird mein Schlüssel wohl schließen.

Er schloß; aber – – – beide Schränke gähnten die neugierigen Beschauerinnen leer an. Madame Leclerc wurde blaß wie der Tod. Sie rief die Bonne Helene und befragte sie; aber auch diese konnte keine Auskunft geben. Sie stürzte zum Portier hinab, der denn auch die Trosteskunde übermitteln ließ: »Die Deutschen seien mit ihrer Handtasche um zehn Uhr fortgegangen. Sie wollten eine Tour nach Versailles und Fontainebleau machen und vielleicht in einem der Orte übernachten. Sie ließen Madame sehr grüßen. Gegen Abend würde ihr Koffer gebracht, den möchte sie bis zum nächsten Tage aufbewahren. Sie würden ihn holen und ihre Rechnung dabei ordnen!« – – –

Die Gäste erhielten ihre Zweifel aufrecht; aber Frau Leclerc spielte die Triumphierende, Furchtlose. Sie hatte sich zu sehr mit ihren Mietern aufgespielt, um sie jetzt als zweifelhafte Kunden gelten zu lassen. Aber ihr Herz klopfte in banger Unruhe.

»Haben Sie schon das Neueste gehört, Madame Brion?« rief die Concierge und winkte so lange, bis die neugierige Mieterin aus dem vierten Stock bei ihr eintrat. »Bei den gräflichen Leclercs war gestern Abend eine Scene, die furchtbar war. Helene war bei mir unten und hat mir weinend alles erzählt! Er war betrunken als er nach Haus kam und wollte Geld haben. Da mußte sie ihm eingestehen, daß ihre deutschen Grafen schon seit drei Tagen verschwunden waren und nicht wiedergekehrt sind. Die dumme Gans hat nicht gewagt, ihre Einfältigkeit früher zu offenbaren. Nun sind die beiden Betrüger inzwischen längst über der Grenze, und die Polizei kann sie auch nicht mehr finden! Hahaha! Für zwanzig Francs hat sie die deutschen Schelme bei sich wohnen gehabt und ihnen noch Frühstück gegeben!« – – »O la la, ist das wahr?« – – »Sicherlich, haben Sie das Geschrei nicht gehört, Madame Brion?« – sagte die dicke, alte Klatschbase schadenfroh. – »Er hat sie geschlagen und immer gerufen, er wolle dafür sorgen, daß sie auf die Teufelsinsel käme, wo der Dreyfus war! Denn da gehörte sie hin. Sie sei eine Verräterin, die Spione und Verbrecher bei sich aufnehme. Denn das seien die Deutschen alle. Von jetzt aber wäre er Herr im Hause, und er wolle seine Wohnung von diesen ›Juden‹ freihalten. – – – Helene sagt: die Leclerc habe eine ganz blaue Wange und habe immerfort geweint.«

»Das ist recht! Warum ist sie auch so dumm?« – rief die Brion freudestrahlend. »Nun wird sie kein Verlangen mehr nach deutschen Grafen haben, mit denen sie sich über die Maßen gerühmt hat. Die sind längst über der Grenze!«

»Natürlich, die sind längst in Deutschland!«

Und so war es auch! Sie waren in Deutschland, und Paul Springer hatte seine Wette gewonnen! Der Zweck heiligt das Mittel!

VI. Was der Depeschendraht befördert!

I. Politik.

I. Telegramm.

Geheimpolizist A an seinen Vorgesetzten.

»Zweifellos deutscher Kronprinz mit drei Begleitern inkognito Grenze passiert. Bitte um Instruktionen. A

II. Telegramm.

Reporter X an sein Journal.

»Deutscher Kronprinz soll Grenze mit Suite passiert haben. Polizei in Aufregung. Geheimer Empfang durch Gesandten und unsere Polizeichefs an der Bahn. Strengstes Inkognito seitens beider Regierungen gewünscht.«

III. Telegramm.

Herr von B an seinen Freund H auf Walde.

»Habe mit deinem Jungen glücklich Frankreich erreicht. Im Zug beide Arkows getroffen. Sind sehr vergnügt! Grüße.«

IV. Telegramm.

Direktor der Bahnpolizei an A, den Geheimpolizisten.

»Sofort den F F G genau beschreiben, dito Suite.«

V. Telegramm.

Geheimpolizist A an Direktor G.

»Schwarzlockige Haare, dunkle Augen, klein und sehr dick. Begleiter dunklen Bollbart im hellgrauen Reiseanzug. Adjutant a weißen Schnurrbart. Diener oder Kammerherr blonden Backenbart. Alle vier Handgepäck. A.«

VI. Telegramm.

Direktor G an den Minister des Auswärtigen.

»Erbitte Instruktionen. Seine kaiserliche Hoheit F F G mit Gefolge auf dem Wege nach hier. Trifft heute ein. G

VII. Telegramm.

Lüttich. H, der Sohn an seinen Vater auf Walde.

»Auf Onkel Arkows Rat sende Check bitte an Grand Hotel direkt. Finden Unterkunft. Franzel.«

VIII. Telegramm.

Am Zuge auszurufen!

Rittergutsbesitzer H aus Walde an Herrn Franz Heit.

»Kehre sofort um. Mutter erkrankt. Vater.«

IX. Telegramm.

Journalist W an seine Redaktion.

»Allgemeine Enttäuschung. Kronprinz von D. hat Reise unterbrochen. Suite fährt weiter. Gerücht eines Dynamitattentates auf dem Nordbahnhofe. Militäraufgebot Wilhelm II. Rückreise per Telegramm beordert. – Politische Komplikationen in Aussicht. Vor allem Befürwortung in Leitartikeln von Ausweisung aller Anarchisten aus P. – Ausstellung sonst geschädigt.«

X. Telegramm.

Franzel H an den Vater H auf Walde.

»Tour unterbrochen. Warte auf Anschlußzug. Eintreffe morgen.«

XI. Telegramm.

Geheimpolizist A an seinen Vorgesetzten.

»Bitte Sicherheitsmaßregeln alle unterlassen. F F G bereits auf Rückweg. Beweggründe unbekannt.«

XII. Telegramm.

Berichterstatter F in Berlin an seine Zeitung.

»Kaiser von Deutschland hat in Potsdam seinen ältesten Sohn, den Kronprinzen, selbst in sein Regiment eingestellt. Feierlicher Aktus. War selbst dabei. Alles andere positiv erlogen.«

XIII. Telegramm.

Reporter Z aus Paris nach Berlin.

»Hier große Erwartung und Freude. Kaiserl. Hoheit, der Kronprinz, ist inkognito eingetroffen. Am Bahnhof Polizeiaufgebot, wie man sagt. Bitte Drahtantwort, ob Gerüchte wahr.«

XIV. Telegramm.

Berliner Blatt an Reporter Z.

»Kaiserl. Hoheit wohl in Potsdam. Wird sich hüten, zu kommen. Alles Lüge und Quatsch!«

II. Vermischtes.

I. Depesche.

Schulz an Müller in Paris.

»Reisender K, den du kennst, mit 12 000 Mk. Kasse nach dort durchgebrannt. Soll D-Zug benutzen, der 6¾ Uhr Paris eintrifft. Polizei verständigt. Sei am Zuge bei Ankunft. Versuche alles, Kanaille festzuhalten.«

II. Depesche.

Reisender K aus Hamburg an Frl. Schulz. Postlagernd.

»Spuren glücklich abgelenkt. Erwarte dich abends Hamburg Klosterthor. Trauung in Gretna Green. Sei unbesorgt. Stets dein – Fritz.«

III. Depesche.

F aus Paris an die Deutsche Bank in Berlin.

»Sofort an meine Adresse fünftausend Francs auf mein Guthaben anweisen. Bin in Ausstellung von Taschendieb um Portefeuille gebracht.«

IV. Depesche.

Ella an ihre Mama.

»Reise heiß. Seekrank. Ankunft gut erfolgt. Gruß.«

V. Depesche.

Hugo an Meta in Paris.

»Bleibe ruhig noch Woche bei Tante. Alles hier wohl. Angst unnütz. Benutz die schöne Zeit. Hugo.«

VI. Depesche.

Herr und Frau C an die Eltern.

»Reise wunderbar. Coupé allein. Hotel brillant. Paris scheint himmlisch. Tausend Grüße von den überglücklichen Neuvermählten.«

VII. Depesche.

Frau W an ihren Schwiegersohn in Paris.

»Keine weitere Ausrede gestattet. Kehre umgehend heim. Bei Euch glücklich gesunder Sohn eingetroffen. Mutter und Kind wohl. Verlangen nach dir.«

VIII. Depesche.

Elvira an Max in Paris.

»Du warst Sonntag mit blonder Dame in Oper. Sind das die Geschäfte? Verlange deine Heimkehr oder reise sofort zu Anna nach Leipzig, wo Franz aus Thorn zu Gaste. Wie du mir, so ich dir. Drahtanwort bezahlt.«

IX. Depesche.

Max aus Paris an Elvira in Berlin.

»Dame mir unbekannt. Geschäftlich am Kommen verhindert. Rutsche glücklich. Max.«

X. Depesche.

Arbeiter H an seinen Magistrat.

»Gütige Dotation von 300 Mark unmöglich für 14 Tage. Reiche trotz Sparsamkeit nicht. Erbitte aller ergebenst um Zuschuß. Werde sonst mit Auftrag nicht fertig. Leben hier sehr teuer. Unterthänigst H.«

XI. Depesche.

Bürgermeister Y an Arbeiter H in Paris.

»Bewillige auf eigene Verantwortung Höchstzuschuß von Mark 20. Muß reichen. Sparsamer leben. Ist keine Vergnügungstour. Y

XII. Depesche.

Kaufmann G an Disponenten in Düren.

»Waren noch immer nicht hier. Kiosk verhängt. Verliere tausende. Lächerlich. Jetzt Juli.«

XIII. Depesche.

Disponent aus Düren an seinen Chef in Paris.

»Waren seit Mai lagernd Pariser Bahnhof. Eintreffbescheinigung hier. Bitte dort vorgehen.«

XIV. Depesche.

Zorn aus Paris an seine Frau in Thorn.

»Paris Mumpitz. Ausstellung Schwindel. Bleibe dort. Komme spätestens selbst Sonntag.«

XV. Depesche.

Lobhudler an Zorns Bruder in Thorn.

»Paris göttlich. Ausstellung grandios. Rate Auguste sofort kommen. Geschäfte glänzend.«

XVI. Depesche.

Sohn an den Vater.

»Sende sofort zweihundert Mark, sonst verzweifelt.«

XVII. Depesche.

Vater an den Sohn.

»Komme selbst sofort Paris. Mut.«

XVIII. Depesche.

Sohn an den Vater.

»Bleibe dort. Hier ansteckende Krankheiten in Pension. Sende 100 Mark. Brief folgt.«

XIX. Depesche.

Range an Verleger.

»Reise beendet. Buch abgeschlossen. Retourniere morgen. Es lebe Berlin. Gruß Lotte Bach.«

 

Hallberg & Büchting (Inh. L. A. Klepzig), Leipzig.


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