Stefan George
Das jahr der Seele
Stefan George

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Erinnerungen an einige Abende innerer Geselligkeit

Blumen

In märzentagen streuten wir die samen
Wann unser herz noch einmal heftig litt
An wehen die vom toten jahre kamen
Am letzten kampf den eis und sonne stritt.

An schlanken Stäbchen wollten wir sie ziehen
Wir suchten ihnen reinen wasserquell ·
Wir wussten dass sie unterm licht gediehen
Und unter blicken liebevoll und hell.

Mit frohem fleisse wurden sie begossen ·
Wir schauten zu den wolken forschend bang
Zusammen auf und harrten unverdrossen
Ob sich ein blatt entrollt ein trieb entsprang.

Wir haben in dem garten sie gepflückt
Und an den nachbarlichen weingeländen ·
Wir wandelten vom glanz der nacht entzückt
Und trugen sie in unsren kinderhänden.

Rückkehr

Ich fahre heim auf reichem kahne ·
Das ziel erwacht Im abendrot ·
Vom maste weht die weisse fahne
Wir übereilen manches boot.

Die alten ufer und gebäude
Die alten glocken neu mir sind ·
Mit der verheissung neuer freude
Bereden mich die winde lind.

Da taucht aus grünen wogenkämmen
Ein wort · ein rosenes gesicht:
Du wohntest lang bei fremden stämmen
Doch unsre liebe starb dir nicht.

Du fuhrest aus im morgengrauen
Und als ob einen tag nur fern
Begrüssen dich die wellenfrauen
Die ufer und der erste Stern.

Entführung

Zieh mit mir geliebtes kind
In die wälder ferner kunde
Und behalt als angebind
Nur mein lied in deinem munde.

Baden wir im sanften blau
Der mit duft umhüllten grenzen :
Werden unsre leiber glänzen
Klarer scheinen als der tau.

In der luft sich silbern fein
Fäden uns zu schleiern spinnen ·
Auf dem rasen bleichen linnen
Zart wie schnee und sternenschein.

Unter bäumen um den see
Schweben wir vereint uns freuend ·
Sachte singend · blumen streuend ·
Weisse nelken weissen klee.

Reifefreuden

Ein stolzes beben und ein reiches schallen
Durch später erde schwere fülle strich . .
Die kurzen worte waren kaum gefallen
Als tiefer rührung ruhe uns beschlich.

Sie sanken hin wo sich am fruchtgeländer
Der purpurschein im gelben schmelz verlor ·
Sie stiegen auf zum schmuck der hügelränder
Wo für die dunkle lust die traube gor.

Ich wagte dir nicht · du nicht mir zu nahen
Als schräger strahl um unsre häupter schoss ·
Noch gar mit rede störend zu bejahen
Was jezt uns band · was jedes stumm genoss

Und was in uns bei jenes tages rüste
Auf zu den veilchenfarbnen wolken klomm :
Was mehr als unsre träume und gelüste
An diesem gluten-abend zart erglomm.

Weisser Gesang

Dass ich für sie den weissen traum ersänne . .
Mir schien im schloss das herbe strahlen tränken
Und blasse blütenbäume nur umschränken
Dass er mit zweier kinder frühtag ränne :

Ein jedes einen schlanken strauss umschlänge
Hell-flitternd wie von leichtgeregter espe
Daraus als wimpel eine silber-trespe
Hoch über ihre schwachen Stirnen schwänge

Und beide langsam kämen nach dem weiher
Auf breitem marmelstiege manchmal wankend
Bis bei dem flügelschlag der nahen reiher
Der arme sanfte bürde heftig schwankend

Duft-nebel wirbelte von kühlen narden
Mit denen die Vereinten höherem raume
Entgegenschwebend immer lichter warden -
Bald eines mit dem reinen äther-flaume.


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