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Die hier gegebenen Beispiele ließen sich leicht auf das Zehnfache vermehren; aber auch diese kleine Auswahl wird in ihrer überwältigenden Überzeugungskraft genügend sein.

Nur Eines könnte der Leser, um gänzlich befriedigt zu sein, noch vermissen. Sollte nicht Schiller in einem der für Goethe geschriebenen Werke durch eine Geheimschrift — ein sogenanntes Kryptogramm seine Autorschaft für die Nachwelt festgestellt haben? Auch damit kann ich dienen!

In den unter Goethes Namen veröffentlichten Schillerschen Werken habe ich mittelst einer ungemein künstlichen und schwierigen Berechnung Dinge herausgelesen, die wahrhaft erstaunlich sind. Die überraschendsten der darin verkündeten Geheimnisse behalte ich mir noch vor, weil wegen der großen Kompliziertheit des eigentlichen Berechnungssystems, das heißt des Schlüssels zu dem Kryptogramm, noch einige Lücken bestehen, die ich aber hoffen kann, in einiger Zeit auszufüllen. Nur ein kleines Beispiel, das sich schon wegen seiner Einfachheit zur besonderen Mitteilung empfiehlt, möge hier als Probe dienen und als Beleg dafür, daß es mit der Geheimschrift seine Richtigkeit hat.

Man nehme das Personen-Verzeichnis des angeblich Goetheschen » Egmont« zur Hand und stelle die Personen nur in eine etwas veränderte Reihenfolge, und siehe da! die Geheimschrift, die uns den Namen Schiller lesen läßt, verkündigt sich uns in einem Akrostichon, nämlich so:

                    Silva
Clärchen
Herzog von Alba
Ihre Mutter
Macchiave ll
Egmont
Richard, Egmonts Geheimschreiber.

Man beachte hier die Feinheit, mit der der Name Macchiavelli benutzt ist! Da es kein Wort giebt, das im Anfang ein doppeltes L hat, so nahm Schiller das ll vom Schlusse des Namens und mußte deshalb das dem italienischen Namen Macchiavelli zukommende i weglassen. Am frappierendsten aber ist der Schluß, indem hier dem Namen Richard auch noch die Bezeichnung als »Geheimschreiber« hinzugefügt ist, so daß nun die ganze Geheimschrift zu lesen ist: Schiller, Egmonts (d. h. Goethes) Geheimschreiber Ich kann wohl mit Zuversicht annehmen, daß man dieser Enthüllung der Geheimschrift eine ernstere Bedeutung und Beweiskraft zugestehen wird, als dem schlechten Spaße, den vor anderthalb Jahren Herr Prof. Preyer mit den vor der Shakespeare-Folio stehenden Versen des Ben Jonson sich gemacht hat.. Und noch mehr: um es für die Nachwelt deutlicher zu bezeichnen, läßt er einmal Egmont (Goethe) zu seinem Geheimschreiber (Schiller) sagen: »Du machst ja meine Hand so gut nach, schreib in meinem Namen

Wollte man nun, um meine überwältigenden Nachweise zu schanden zu machen, mir etwa den Goethe-Schillerschen Briefwechsel vorhalten, so könnte mich das durchaus nicht einschüchtern. Denn jener Briefwechsel beweist garnichts. Er war von vornherein eine für die Veröffentlichung bestimmte litterarische Arbeit, die nur den Zweck hatte, das Geheimnis noch dichter zu verschleiern. Der Briefwechsel beginnt erst mit dem Jahre 1794, und es war damit ganz geschickt der Zeitpunkt gewählt, da Schiller sich mit der Herausgabe der »Horen« beschäftigte und in gekünstelt ehrerbietiger Weise (es mag ihm dies schwer genug geworden sein) den so tief unter ihm stehenden Goethe zur Mitarbeiterschaft einlud. Die etwa schon aus früherer Zeit vorhandenen Briefe mußten natürlich vernichtet werden.

Was endlich Goethes » Aus meinem Leben« betrifft, jene Bekenntnisse, die er erst mehrere Jahre nach dem Tode Schillers begonnen hatte, so braucht wohl nur daran erinnert zu werden, daß Goethe selbst das Buch als »Wahrheit und Dichtung« bezeichnet hat. Die Wahrheit darin betrifft zum großen Teil seine Liebschaften; diese sind aber in so viel Erdichtetes eingekleidet, daß es auch dem gläubigsten Goetheaner in die Augen springen muß.

Noch eine wichtige Frage könnte mir mit einem Schein von Berechtigung vorgehalten werden: Noch siebenundzwanzig Jahre nach Schillers Tode hatte Goethe gelebt. Was hat er nun in diesem langen Zeitraum ohne Schiller angefangen? Wer hätte in dieser letzten Periode seines Lebens für den Dahingeschiedenen eintreten können als sein wirklicher Geheimschreiber? Einen Dichter von Schillers Bedeutung konnte Goethe nicht mehr haben. Für das, was von ihm noch erschien — und es war bekanntlich noch recht vieles — hätte vielleicht ein Eckermann wohl ausreichen mögen. Dieser aber konnte es nicht sein, denn er war noch viel zu jung und wurde erst 1823 Goethes Sekretär; höchstens hätte er noch einiges überflüssige in den zweiten Teil des Faust bringen können. Man braucht ja aber nur die Produktionen aus Goethes letzter Periode seines Lebens unbefangen zu betrachten, um zu der Überzeugung zu kommen: Das alles konnte man schon Goethen selber zutrauen, von den Wahlverwandtschaften bis zu den Wanderjahren und bis zu den Habebald und Eilebeute des zweiten Faust-Teiles. Und nun gar die vielen Prologe und die Masse Gelegenheitsgedichte für verschiedene Personen —! Nicht in einem einzigen derselben ist auch nur ein Hauch von dem Geiste eines wahrhaft großen Dichters zu verspüren.

Selbst für das große nationale Ereignis 1815 fand Goethe keinen anderen dichterischen Ausdruck, als in der unsäglich trockenen und schwächlichen Allegorie »Des Epimenides Erwachen«, — und dazu mußte er erst noch von Berlin aus angestachelt werden. Wie mochte er damals sich die Feder Schillers zurückwünschen, die sonst für ihn so thätig war! In allen Schriften dieser letzten Periode hatte Goethe sein dichterisches Dasein nur kümmerlich und ängstlich fristen können durch den Ruhm, den ihm zuvor ein anderer errungen hatte.

Sollte dies nun auch vom Faust » zweiter Teil« gelten? Nur teilweise. Vieles darin hatte ihm Schiller bereits zugewiesen gehabt, und noch sehr vieles hatte er ihm hinterlassen. Aber gerade diese Hinterlassenschaft war für Goethe eine schwere Sorge und wahrhafte Not geworden. Denn wie wollte er die zahlreichen garnicht zusammenhängenden und meist fragmentarischen Poesieen zu einem harmonischen Ganzen gestalten?! Das war unmöglich, und dennoch konnte er sich nicht entschließen, das von ihm selbst so mühsam Hervorgebrachte und ebenso die von Schiller ihm hinterlassenen Schätze unverwertet liegen zu lassen. Die schließliche »Rettung« des Faust hatte er sich nun einmal in den Kopf gesetzt. Diese ganze Sachlage erklärt es wohl hinlänglich, daß der zweite Teil des Faust bei den mancherlei so großartigen Schönheiten darin — die natürlich von Schiller herrührten —, doch als ein so wirres Sammelwerk von nicht zusammengehörenden und von der Faust-Idee weit abschweifenden Dingen, als ein Bilderkasten zum Vorschein kam, an dessen angeblich verborgenem Tiefsinn doch so viele sich unnützerweise die Köpfe zerbrochen haben. Schillern war es wenigstens durch seinen frühzeitigen Tod erspart geblieben, diesen »Zweiten Teil« schaudernd zu erleben. Was müßte er empfunden haben, wenn er seine eigenen dichterischen Edelsteine von so viel schlechtem Blei hätte eingefaßt gesehen!

Noch im Jahre 1826 hatte Goethe in einem Gedichte sich seines großen Freundes und Helfers erinnert. Es geschah in den Terzinen » bei Betrachtung von Schillers Schädel«. Da wurde der nun Siebenundsiebzigjährige bewegt, erschüttert, und mit reumütigem Schmerze fragt er sich bei Betrachtung der Reliquie:

» Bin ich es werth, dich in der Hand zu halten

— — — — — — — — — — — — — — —

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Sollte wohl der Schöpfer des Doppeldenkmals in Weimar, Ernst Rietschel, schon eine Ahnung von dem bestehenden Geheimnis gehabt haben, indem er den Kranz, den beide abzuweisen scheinen, in der Schwebe läßt, wie eine Frage für die Zukunft? — An diesem monumentalen Fragezeichen wird heute freilich nichts mehr zu ändern sein, wohl aber an unserer Deutung desselben, denn wir müssen jetzt wissen, auf wessen Haupt der Kranz gehört.

 

*

 

Mein hier entwickeltes System würde natürlich in sehr vielen Punkten noch zu vervollständigen und zu erweitern sein. Aber ich überlasse dies dem einsichtsvollen Leser, dem ich hiermit den Schlüssel zu dem großen Geheimnis überliefert habe.

Sollte der weniger einsichtsvolle Leser meinen hundert Beweisgründen tausende entgegensetzen wollen, die mir das Lächerliche und Unsinnige, ja die veritable Verrücktheit klar nachweisen, so würde dies an meiner Überzeugung garnichts ändern können, — denn diese ist mein unantastbares Eigentum. Sollte denn nicht ein wissenschaftlicher Forscher das Recht haben, einen von aller Welt bewunderten großen Dichter als einen elenden Charlatan, als unfähigen Pfuscher und Betrüger zu entlarven?

Wollte Jemand ein solches Beginnen als eine verwerfliche Frivolität verurteilen oder auch als eine unerhörte Thorheit und Verschrobenheit verlachen — —:

So weise ich ruhigen Gemütes auf meine erhabenen Vorbilder hin, denen ich hier ganz und gar nachgestrebt und von denen ich die Feder nur geborgt habe. Ich brauche sie nicht noch zu nennen, die scharfsinnigen Entdecker Francis Bacons als des Dichters der Shakespeareschen Dramen. Schritt für Schritt bin ich ihren Spuren gefolgt, habe Zug für Zug genau dieselben Argumente angewendet wie sie: ich leugne eben alles, was durch Thatsachen gefestigt ist, bestreite das Unbestreitbare, oder ich deute es, wie mir's für meinen Zweck gerade paßt. Nur daß mein Zweck und meine Absicht dabei eine andere ist als bei ihnen; und ich hoffe, daß ich diesen Zweck durch meine homöopathische Methode erreicht habe. Und wenn ich in dieser Maske der Tollheit mich als » Hamlet« — der Geheimnisvolle und Vieldeutige — eingeführt habe, so kann ich schließlich auch mit seinen Worten sagen: »Ich bin nur toll bei Nord-Nord-West.«

 


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