Adolf Gelber
Kalmückische Märchen
Adolf Gelber

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Die beiden Ananda

Nachdem der Chansohn wieder zum Mangobaum gegangen war und seine Worte gesprochen hatte, kam der Tote herabgestiegen. Er steckte ihn in seinen Sack, band diesen mit dem Seile fest, verzehrte, wie es ihm Nagarguna befohlen hatte, sein Brot und während er, mit ihm auf dem Rücken, zu kurzer Rast an einem Baum lehnte, sprach Siddhi-Kür:

»Willst du dich nicht setzen, du wirst müde sein.«

Er schüttelte das Haupt. Siddhi-Kür sprach:

»Gut, also steh. Aber der Tag war lang und der Weg weit. Wird es dir nicht langweilig? Erzähle doch auch etwas.«

Er blieb stumm.

»Gut, wenn du nicht willst, so erzähle vielleicht ich. Oder fürchtest du dich vielleicht? Ein Chansohn soll sich nicht fürchten, sondern zeigen, ob er stark sein kann.«

Darauf gab der Chansohn mit dem Kopfe das Zeichen und Siddhi-Kür begann wieder:

»Früh vor Zeiten lebte in einem Reiche namens Kum-Smong ein Chan namens Aburlan und der hinterließ nach seinem Tode einen Sohn namens Chamuk Ssakitschi und in dessen Gebiete lebten zwei Männer, ein Maler und ein Holzkünstler. Sie hießen beide Ananda, waren aber einander spinnefeind und der Maler beschloß, dem Holzkünstler einen Possen zu spielen. Infolgedessen verschwand er für längere Zeit und so oft jemand fragte, ob er zu Hause sei, antwortete seine Frau und antworteten seine Dienstleute:

›Der Maler ist verreist und der Himmel weiß, wo er sich befindet.‹

Da denn ein solches Gefrage nach ihm herrschte, tauchte er eines Tages wieder auf und verlangte, da er eine wichtige Botschaft habe, vor Chamuk Ssakitschi, den Chan, geführt zu werden.

Als er eintrat, fragte der Chan, der auf seinem Throne saß:

›Bist du der Ananda, der die Malerei betreibt?‹

›Ja, großmächtiger Chan, ich bin es.‹

›Du warst jetzt längere Zeit abwesend?‹ fragte der Chan, ›wo warst du?‹

›Großmächtiger,‹ sagte der Maler, ›das eben ist es. Wisse, daß dein Vater im Götterreiche wiedergeboren wurde und da er mich dorthin berief, mußte ich mich dorthin begeben.‹

›Ist es möglich,‹ sagte der Chan und staunte sehr.

Der Maler aber sprach:

›Sein Glanz und seine Herrlichkeit ist unermeßlich und hier ist auch ein von deinem Vater übersendetes Schreiben.‹

Mit diesen Worten überreichte er ihm einen Brief, in welchem es also hieß:

An meinen Sohn Chamuk Ssakitschi,
den Großmächtigen!

Als ich von dort scheidend mein Leben beschloß, bin ich im Götterreiche wiedergeboren worden. Hier lebe ich jetzt in Fülle und Überfluß an allem. Nur einen Holzkünstler, um einen Klostertempel hier zu errichten, habe ich nicht gefunden. Sende daher unseren Holzkünstler Ananda herauf. Die Art und Weise heraufzukommen, weiß Ananda, der Maler.

Diesen Brief überreichte der Maler dem Chan und als dieser ihn gelesen, sprach er:

›Ist wirklich die Wiedergeburt meines Vaters im Götterreiche die Wahrheit, so ist das sehr gut; aber wer weiß, ob es wahr ist?‹ worauf er die Priester holen ließ. Die sagten, warum nicht? Solche Dinge, besonders wenn ein Chan gut und fromm war, seien schon oft dagewesen. Sofort ließ der Chan darum den Holzkünstler herbeirufen und sprach zu ihm:

›Ananda, mein Vater, der Chan, ist im Götterreiche wiedergeboren worden und da er dort einen Klostertempel errichten will und keinen Holzkünstler findet, so hat er mir mittels dieses Schreibens befohlen, dich zu ihm hinaufzusenden.‹

Mit diesen Worten zeigte er ihm das Schreiben. Der Holzkünstler erschrak, als er es gelesen und fragte:

›Wer hat es gebracht?‹

Sagte der Chan: ›Ananda, der Maler.‹

Da dachte sich der Holzkünstler, so etwas sei doch gegen alle gewöhnliche Ordnung, dahinter stecke sicherlich eine böse Absicht von Seite Anandas und er fragte:

›Wie soll ich denn in das Götterreich gelangen?‹

›Darüber,‹ erwiderte der Chan, ›müssen wir den Maler befragen,‹ und dieser ließ sich, als er zum Chan hereingeführt wurde, vernehmen wie folgt:

›O, das ist ganz leicht. Vor allem muß Ananda, der ja dein treuer Knecht ist, alle zur Ausübung seiner Kunst nötigen Werkzeuge beisammen haben. Sodann errichtest du, o Chan, einen schönen Scheiterhaufen, dessen Holz ringsum und durch und durch mit Öl getränkt sein muß. Dieser soll dann unter Anstimmung feierlicher Gesänge auf allen Seiten auf einmal angezündet werden und auf der von demselben in Rossegestalt aussteigenden Rauchsäule reitet dann der Holzkünstler zum Himmel hinauf.‹

Darauf versetzte der Holzkünstler:

›Das sehe ich ein und will darnach tun. Nur möchte ich noch wissen, von welchem Platze aus die Auffahrt stattfinden muß?‹ und als der Maler sagte, das sei alles eins, erwiderte der andere Ananda:

›Zur Auffahrt eignet sich ein in der Nähe meiner Behausung befindliches Feld. Von diesem aus werde ich also emporsteigen. Und wann soll es vor sich gehen? Zur Beschaffung aller meiner Werkzeuge brauche ich doch sieben Tage Zeit.‹ Sagte der Maler, das sei gerade die richtige Zeit, worauf sie der Chan wieder entließ, zufrieden, daß der Wunsch seines wiedergeborenen Vaters so rasch in Erfüllung gehen konnte.

Nach Hause zurückgekehrt, erzählte der Holzkünstler seiner Frau die Sache und sie war sehr bestürzt, worauf er sprach:

›Verstehst du nicht den schurkischen Plan? Unser Chan ist ein Schafskopf und sitzt einem jeden Spitzbuben auf und seine Priester nicken dazu mit den Köpfen. Aber noch brauchst du nicht zu weinen, Weib, ich bin auch nicht dumm und du wirst schon sehen, wie ich heute über acht Tagen mein Versprechen erfülle und zum wiedergeborenen Chan auffahre.‹

Nun grub er vom Innern des Hauses aus unter der Erde einen Gang und führte ihn bis zur Mitte des Feldes; dort machte er eine Öffnung nach außen, die er jedoch mit einer Steinplatte verdeckte und darüber Erdreich schichtete, sodaß sie niemand wahrnehmen konnte. Als die sieben Tage abgelaufen waren, ließ ihn dann der Chan holen und fragte:

›Bist du bereit?‹ und als er ja sagte, freute sich der Herrscher, daß sich der Holzkünstler nun zu seinem Vater begeben sollte. Zugleich erging eine Kundmachung an das Volk, wonach jeder eine Tracht Brennholz und ein Maß geweihten Öls mitbringen sollte. Unter schönen Gesängen richteten sie dann auf dem Felde einen gewaltigen Scheiterhaufen auf. Ananda setzte sich darauf, das Feuer ward ringsherum angezündet und als es, während die Gesänge noch gewaltiger erschollen, unten zu rauchen und zu lodern begann, ließ sich Ananda durch den Spalt, der mitten durch den Scheiterhaufen ging, hinunter, entfernte die Steinplatte und begab sich in seine eigene Wohnung.

So geschah das alles, ohne daß jemand aus dem Volke es sah und Freude im Herzen rief der Maler, indem er mit dem Finger hinaufwies:

›Dort auf der Rauchsäule ist Ananda jetzt hinaufgefahren.‹

›Es fällt mir nur auf,‹ sagte der Chan, ›daß die Rauchsäule nicht ganz die Gestalt eines Rosses gehabt hat, während uns der Maler doch gesagt hat, daß sie Ananda in Rossesgestalt hinauftragen wird.‹

Aber die Priester beruhigten ihn darüber und sagten, es komme darauf nicht viel an und einige meinten sogar, daß sich der Chan geirrt haben möge, denn ihnen sei es vorgekommen, daß sie doch ganz einem Rosse ähnlich gewesen sei, mit dem Kopf, mit der Mähne, dem Schwanz und allen vier Füßen. Und im Volke sagten die Leute untereinander, als sie heimgingen, ebenfalls, der Chan habe sich geirrt, denn sie hätten es ganz deutlich gesehen, daß den Künstler ein prachtvolles graues und stellenweise dunkler gefärbtes Roß empor getragen habe.

Während eines ganzen Monats verblieb nun der Holzkünstler zu Hause in tiefer Verborgenheit, ohne sich von jemanden sehen zu lassen. Nach Ablauf dieser Zeit kleidete er sich in ein weißes Gewand von durchsichtiger Seide und ließ dem Chan sagen, er sei wieder da. Gleich wurde er geholt und als er Chamuk-Ssakitschi erblickte, rief er:

›Ei, bist du aus dem Götterreiche wieder zurück? Befindet sich der Chan, mein Vater, wohl?‹

Worauf Ananda ihm ebenfalls einen Brief aus dem Götterreiche überreichte. In dem Briefe stand:

An meinen Sohn Chamuk Ssakitschi,
den Großmächtigen!

Daß Du in Wohlstand und Glück Dein Reich unablässig in der Lehre unterweisest und demselben Deine Sorge widmest, das ist sehr gut. Und wisse, daß Dein Holzkünstler bei der Errichtung des Klostertempels seine Sache vorzüglich zu Ende geführt hat. Daher mußt Du ihn dort bei Euch mit Geschenken reichlich belohnen. Jetzt aber müssen wir an dem Klostertempel hier allerlei schöne Malereien ausführen, weswegen es dringend nötig ist, daß Du uns unverzüglich auch den Maler sendest. Was die Art und Weise des Heraufkommens betrifft, so sollt Ihr nur nach der vorigen Weise verfahren.

Diesen Brief überreichte der Holzkünstler dem Chan. Und nachdem er ihm noch ausführlich berichtet hatte, wie er in das Götterreich gelangt und wie es ihm dort ergangen war, freute sich der Chan sehr und freuten sich die Priester, weil sie alles so richtig vorausgesagt und unter dem Rufe: ›Seht ihr also, daß es wahr ist.‹ überreichte man Ananda im Auftrage des Chans reichliche Geschenke zur Belohnung.

›Nun aber,‹ sprach der Chan, ›müssen wir an die Malereien, die für den Tempel meines Vaters nötig sind, denken‹ und ließ den Maler rufen und als dieser erschien und den Holzkünstler in das weiße Gewand von durchsichtiger Seide gehüllt und mit verschiedenen Kostbarkeiten geschmückt dasitzen sah, dachte er bei sich: ›Der ist also nicht gestorben? Das verstehe ich nicht.‹

Nun ihm aber der Chan den von seinem verstorbenen Vater empfangenen Brief zeigte und die Ursache kundgab, aus welcher er jetzt gehen müsse, sprach er in seinem Inneren:

›Es wird ja doch wohl so sein und offenbar werde ich während der Fahrt zum vollen Verständnis gelangen. Denn da ich den Holzkünstler hier mit eigenen Augen sehe und mit eigenen Händen anfasse, ist es doch wahr und er hat es ebenfalls überwunden. Das vorausgegangene Beispiel – dachte er sich weiter – ist ja der Pfad für das nachfolgende. Warum fürchte ich mich also?‹

Und indem er sich solchen Erwägungen überließ, gab er das Versprechen, nach Ablauf von sieben Tagen ebenfalls die Fahrt anzutreten.

So brachten denn die Leute, nachdem die Fahrt wieder wie das vorigemal stattfinden sollte, nach Ablauf der sieben Tage abermals Brennholz und ganze Trachten Öls mit und errichteten in der Mitte des Feldes den Scheiterhaufen. Dann stieg der Maler mit seinen Malergeräten und den an den verstorbenen Chan zu überreichenden Geschenken samt einem Schreiben, das er ihm übergeben sollte, hinauf und als er schon oben saß und die Leute mit dem Anzünden noch zögerten, rief er: ›Was zögert ihr? Sputet euch‹ und konnte es gar nicht erwarten. Das gefiel dem Chan und er sagte: ›Da sieht man, wie eifrig er meinem toten Vater zu dienen sich sehnt‹ und ward ebenfalls ungehalten, weil das mit dem Anzünden noch dauerte. Aber nun waren sie endlich fertig und bereit, es wurde das Zeichen gegeben und unter vielfachem Jubel stand auf einmal, von allen Seiten gleichzeitig in Flammen gesetzt, der riesige Stoß in Brand; und als der Maler, weil es ihm plötzlich wehzutun begann, laut aufschrie und die Hände zum Himmel erhob, riefen sie unten:

›Seht, seht, wie er sich schon freut, daß er hinaufkommt.‹

Nun machte er einen Sprung, um vom Scheiterhaufen hinabzugelangen, stürzte aber wieder zurück und während der allgemeine Jubel noch fortdauerte, verschwand er in den Flammen, die ihn bis auf den letzten Rest verzehrten.«

»Er hat sein Teil zurückerhalten,« rief bei diesen Worten der Erzählung der junge Chansohn. Indem ihm aber diese Worte unversehens entfahren waren, versetzte Siddhi-Kür:

»Das wahre Gluck verkennend, hat der Chansohn sich Worte entschlüpfen lassen« und mit dem Ausruf: »In der Welt nicht zu bleiben ist gut,« sich losmachend, entschwand er.


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