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Der moderne Paris

Von neuem hatte das Dampfschiff Elisabeth seinen regelmäßigen Kurs zwischen Stettin und Swinemünde begonnen. Es verließ jetzt den hellen, ruhigen Strom und dessen grünes mit niedrigen Erlenbüschen gekröntes Ufer, dessen üppige Wiesen, die gravitätisch auf ihnen wandelnden Störche, die dürftigen von Reusen und Netzen umstellten Fischerhütten, um die dunkleren Wellen des sogenannten Papenwassers mit rastlos eingreifenden Schaufeln zu peitschen, sie mit scharfem Kiele zu zerreißen.

Die Augen der kühneren, nach Abenteuern lechzenden Hälfte der Gesellschaft flogen sehnsüchtig über die Wasserfläche hinaus, unwillig, daß die romantische Endlosigkeit, der erhebende Anblick des bloßen Himmels und der See sich noch immer nicht zeigen wolle, denn der Horizont wurde statt mit des Meeres duftiger Bläue zu zerfließen, noch fortwährend vom Kiefer-umwaldeten Strande und tiefen weißen Sanddünen begrenzt. Die Blicke der Besorglicheren dagegen klammerten sich wehmütig an die von den Hügeln und aus den Pappelalleeen schimmernden Villen der wohlhabenden Städter, an den in Rauch und Nebel verschwimmenden Mastenwald des Hafens, an die fernher blitzenden Kreuze der Kirchtürme. Sie wähnten in der schwarzen Wolke, welche der Eisenröhre des Dampfschiffs entstieg und sich schwerfällig über die Flut hinwälzte, unter heimlichen Seufzern einen riesigen Trauerflor, der wie zum Abschiedsgruß, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, von Bord aus geschwenkt werde, zu erblicken. Auch die Passagiere des Dampfbotes teilten sich in die entgegengesetzten Richtungen, nach welchen sich die Jetztwelt bewegt, auch sie zerfielen in Anhänger der Vergangenheit und des allgemach Entschwindenden, in Rückwärtsschauende, und in die Partei der Bewegung, in Vorwärtsstrebende; auch sie spalteten sich in Rococo's und Décousu's, und gar manche des mißbräuchlich stärker genannten Geschlechts drängten verzagend unter die Reihen der willenlos Fortgezogenen, der Bejammerer des Gewesenen, der Unglückspropheten, während die schönere Hälfte, und namentlich die schönere unter den Schönen, gar freudig kecke Blicke dem nördlichen Ziele zusandte, während klare Augen vor Lust an dem Nieerlebten, Niegeschauten im hellsten Glanz schimmerten, während zarte Wangen teils in Vorahnung unerhörter Wagnisse, teils von der frischen Seeluft angehaucht, sich mit dem schönsten Inkarnat färbten, und die sanften Herzen vor ungestümer Erwartung eines überaus heroischen Kampfes mit dem Elemente und dessen Bewohnern pochten.

Die Strahlen der Sonntagssonne schossen in diesem Jahre sengender als je auf das schöne Berlin hernieder, peitschten den Thermometer selbst in den schattigsten Verstecken bis auf 24 Grad hinauf, und schufen die Residenz zu einem gigantischen Rost um, auf welchem die Zweimalhunderttausende ihrer Bewohner gelind brätelten. Ihre Glut hatte die letzteren zu ungewöhnlich zahlreichen Wanderungen vermocht.

Die meisten Kolonisten hatten freilich schon auf den nächsten Gebirgszügen von Templow und hinter den Urwäldern des Tiergartens, sowie an den Ufern des vaterländischen Lago maggiore, vulgo der Rummelsburger See genannt, ihre Wanderstäbe in den Sand gestoßen und ihre Hütten erbaut. Sie wollten nicht weiter pilgern, als daß sie nicht noch die aus dem Staub nach Luft schnappenden Türme der Vaterstadt hätten erblicken können, und allabendlich, wie die trauernden Juden zu Babylon an den Ufern der Gewässer und im Schatten der Weiden versammelt, mit Seufzern und Wehklagen das Axiom zu erhärten, »es gebe auch trotz den vor Hitze zitternden Luftwellen nur ein Berlin.« An Kopfzahl schwächere, an Geistes- und Willenskraft stärkere Stimmen hatten sich aus dem Rayon gewagt, innerhalb dessen die blonde Amphitrite des Berliners dem perlenden Schaum der Goldwellen entsteigt, und sich, entfernt von den Quellen des einzig veritablen Weißbiers, an denen des Freienwalder Wunderborns niedergelassen, leiteten daselbst mit peinlicher Gewissenhaftigkeit Ströme des klarsten Brunnenwassers in ihre Magen, geberdeten sich eifersüchtig auf ihre Badefreiheit und fühlten, von deren Vollgenuß übersättigt, sich tötlich blasiert und zum Hängen reif. Andere Völkerschaften und zwar die alte Garde der Exulanten, (um nicht jener Berliner Kometen zu gedenken, deren unregelmäßiger Lauf die sächsische Schweiz und den Gasthof zum schwarzen Roß in Prag durchschneidet), hatten den Entschluß im Herzen wurzeln und reifen lassen, den Zorngluten des Himmels, an welchem ein des Lenkens unkundiger Phaeton die Zügel des Sonnenwagens zu handhaben schien, jenseits des Meeres zu entfliehen, und trotz der Horazischen Abmahnungs- Ode per Dampfschiff nach den ultramarinischen, kühleren Regionen überzusetzen. Aber nicht an den Ufern des Meschacebe oder an den Quellen des Susquehannah gedachten sie unter dem Schatten des Tulpenbaums und Zuckerahorns zu wohnen, dem Rezensenten- Geheul des Spottvogels, den diebischen Klauen der Sapajous, den Kolonneangriffen der Büffel Trotz zu bieten, um ein Neu-Pankow oder -Rixdorf zu gründen – sie verlangten nur unter dem Schutz der schwarz und weißen Flagge zu segeln, nur auf den Borussischen Sandwichsinseln Usedom und Rügen zu landen, und daselbst Sonnenuntergang am Meerstrande und geräucherte Flundern in sattsamer Fülle genießen zu dürfen. Eine übervolle Ladung von diesem Geschlecht der Überseeischen war es aber, welche auch jetzt auf den Flügeln des Dampfes das Fahrwasser durchrauschte.

Die erhöhte Schanze des Schiffs war die Schaubühne, welche die Notabilitäten der Gesellschaft, und vorzugsweise die Schönen eingenommen hatten, um erhaben über die Rotüre des Decks, zwischen Koffern und Mantelsäcken, Schachteln und Kartons, Reisetaschen und Pompadours zu extemporieren. Seidene Mäntel, Boa's, Shawls und

Umschlagetücher drapierten die Schauspielerinnen, und wurden fester von den besorglichen Müttern um den Nacken der leichtsinnigen Jugend geschlungen, um dem fatalen Zugwinde, wie er gescholten wurde, und den noch zudringlichem Blicken der jungen Herren keine Blöße zu geben.

Die Löwen des Schiffes, unter denen es einen freien Standesherrn und zwei minderfreie Dito gab, suchten sich absonderlich bemerkbar zu machen, umdrängten mit ritterlicher Frechheit die Damen, um durch alberne Mystifikationen die Besorgnisse der Ängstlicheren zu steigern, ihren eigenen Löwentrotz in die gehörige Beleuchtung zu stellen, vor allem aber die Früchte des gelobten Landes der Badefreiheit vorzukosten.

Ältere Damen rekapitulierten die technischen Ausdrücke, welche ihr Gehirn nach dem Studium des Cooper, Eugene Sue und Marryat verzettelt und verkrümelt bewahrte, und examinierten streng und gewissenhaft ihre Begleiter über den Grund der Varianten, welche das Schiffsleben unter den Wendekreisen, gegen das gegenwärtige gehalten, darbot. Die Befragten, gewiegte Männer in Amt und Würden, deren nautische Erfahrungen sich jedoch innerhalb der Fahrten nach Moabit und Stralow bewegten, zuckten die Achseln und verwiesen die Wißbegierigen an den staunenden Lotsen, welcher, ohne sich von dem schmeichelnden Gesang der Sirenen zur Rechten und zur Linken in seiner Pflichterfüllung irre machen zu lassen, die knatternden Granaten der Fragen, die ihn von allen Seiten überschütteten, nur sparsam mit einem plattdeutschen Bombenschuß beantwortete.

»Und die kleinen Kähne dort mit den rotbraunen Segeln,« fragte die Majorin, »welche immer im Zickzack fahren, was treiben sie, mein lieber Herr Lotse?«

»Lavieren!« entgegnete der Seehund, indem er den gekauten Tabak eine ähnliche Bewegung innerhalb der Wände seiner gebräunten Wangen machen ließ.

»Sie lavieren! Welcher Einfall? Aber weshalb, mein Guter, fahren Sie nicht geradeaus wie wir? Welcher vernünftige Kutscher würde wohl auf der Chaussee hinüber und herüber, von einem Prellstein nach dem andern fahren? Wahrhaftig, Sie kippen die Segel schon wieder um, und rufen weder: Vorgesehen! noch so etwas Ähnliches. Welcher Grund motiviert diese Abweichung von der geraden Linie, dem kürzesten Wege zwischen zwei Punkten, ein Axiom, welches Ihnen als Seemann zweifelsohne nicht fremd sein wird?«

»Konträrer Wind,« knurrte die Theerjacke.

»'S ist die Möglichkeit!« rief die Majorin. »Schreib' es auf,« fügte sie zu ihrem siebzehnjährigen Töchterlein sich wendend hinzu, notier' es ja: dies sind die sogenannten Schiffs-Lavements bei konträren Winden.«

Leontinchen kritzelte das vernommene Evangelium auf den Knieen in ihre niedliche gestickte Tablette zu den übrigen Wundern von Leeseite, Steuerbord und Backbord, welche sich jedoch zufälligerweise in dem Skizzenbuch der jugendlichen Reiseschriftstellerin in E-Saite, Steuer- und Backenbart umgewandelt hatten und überflog hierauf mit sehnsüchtigem Seufzer die Liste der Engagements während des letzten Winters, welche sich bunt unter die Motive ihrer Reisebilder drängten. »Aber fragen Sie doch, Mama,« bemerkte das ängstliche Fräulein, »ob der Dampfkessel nicht vielleicht springen könne?«

Die gnädige Frau verwarf diesen Einwurf als kindisch mit der Bemerkung: »das Dampfschiff stehe in gleichem Verhältnis mit jedem Postwagen, für dessen Sicherheit das General-Postamt verantwortlich sei.« Die vielfach belesene Tante Baronin, ihre Kollegin auf der Ritterbank, schlug jedoch diese schöne Zuversicht völlig darnieder, indem sie eine Parallelstelle aus einem Roman der Karoline Pichler zitierte, und vor dem immer nachdenklicher werdenden Publikum die entsetzlichen Folgen eines springenden Dampfkessels mit glühenden Farben ausmalte. Der Kurs der Dampfschifffahrts-Aktien sank fürchterlich schnell. Was noch vor wenigen Augenblicken als krankhafte Ausgeburt einer jugendlich exaltierten Phantasie verworfen wurde, nahm jetzt, seitdem die Möglichkeit des Ereignisses durch klassische Autoritäten erhärtet worden war, die erste Stelle unter den Befürchtungen der Stabilisten ein, und versetzte diese in eine höchst unbehagliche Stimmung. Leontine hob die Pappschachtel, welche den neuen Rosahut umschloß, zu sich auf die Bank, um wenigstens diese im ärgsten Fall aus dem Verderben zu retten, während ihre Mutter das feierliche Gelübde ablegte, diese Reise fortan nur noch mit Extra-Post zu machen. Der Freiestandesherr, welcher bisher unparteiisch seine Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit zwischen den Damen und seinem riesigen Neufundländer-Hund geteilt hatte, beschwor es bei dreißigtausend Schnurrbärten, indem er den eignen in die Höhe schraubte, er verlasse sich lediglich auf die Schwimmfertigkeit seines Empecinado, und wolle, sobald ihn erst der Köter im Gasthofe zu Swinemünde abgesetzt, diesen unverzüglich zurückschwimmen heißen, um eine oder die andere Dame herauszufischen. Der jüngere der Minderfreien zog genaue Nachricht ein, ob das bestellte Kotelett aus jus vor der angekündigten Katastrophe fertig sein könne, und beruhigte sich über die Zusicherung des ersehnten. Sein älterer Bruder hingegen verlangte mit schallendem Gelächter nur einen Schuh von einer der anwesenden Damm, und wollte sich getrauen, in diesem Hilfs- und Rettungsboot das Kattegat zu durchsegeln – eine Bemerkung, welche ein augenblickliches Einziehen der Fühlhörner unter die Bänke von seiten der Beteiligten zur Folge hatte.

»Aber, wenn nun der Dampfkessel springt, Herr Kapitän?« apostrophierten in seltenem Einklang zwanzig weibliche Stimmen den aus der Kajüte hervortauchenden Schiffer. »Dann, meine Gnädigen,« lachte der Fühllose, »dann freilich hört alles auf!« – »Ha, welche Barbarei!« seufzten die Erbleichenden und sanken hoffnungslos auf ihre Sitze zurück.

In der Kajüte sprangen indessen statt des nachbarlichen Kessels die Korke der Champagnerflaschen, flogen aus dem Krater der geöffneten Luke und entlockten den Zaghaften des Oberhauses, welches in jedem Knall den Auftakt zu der schaudervollen Explosion zu vernehmen wähnten, dreimalgestrichene Schreie des Entsetzens. Ganze Völkerschaften von Sardellen waren bereits auf Strömen von Porterbier oder Portwein hinuntergeschwemmt worden, um mit ihren Leichen Bollwerke wider ein etwaiges Anstürmen der Seekrankheit zu bilden. Die trotzigen, verwegenen Reden aber, welche aus dem Zimmer auf das Verdeck drangen, deuteten zur Genüge an, wie das gesättigte und begeisterte Unterhaus sich nicht allein gerüstet fühle, um allen Abenteuern keck die Stirn zu bieten, sondern wie es diese sogar mit lauter Stimme provoziere, um sub heutigem Dato den merkwürdigsten Lebenstag im Siege über Stürme, Katzenjammer, Piraten und Haifische zu begehen.

 

Fern von dem Gelag der Weinbegeisterten, wie von den Kreisen der schönen Welt, in welche er durch Geburt und Erziehung berufen zu sein schien, ja sogar scheinbar anteillos an der auf der Schiffsschanze geführten Konversation, saß an der Balustrade, welche die Kajütenluke umstellt, das Haupt gedankenschwer auf den Arm gestützt, ein junger, zierlich gebauter Mann. Die Blässe seines Gesichts, gehoben durch ein glänzendes, schwarzes Haar und sorgfältig angelegte Schlagschatten um Lippe und Kinn, weit entfernt, den vorteilhaften Eindruck, welchen die regelmäßigen Züge auf Beschauerinnen ausübten, zu verlöschen, schien vielmehr das Interesse für den Jüngling zu steigern. Strengere Richterinnen männlicher Schönheit hätten vielleicht dem Wachstum seines Körpers eine freiere Entwickelung gewünscht, und das matte blaue Auge, welches kaum aus den stets blinzelnden Wimpern hervorzublicken wagte, für unvereinbar mit dem Idealen erklärt. Ein schwaches Gesicht ist jedoch ein eklatanter, Frauen jederzeit bestechender Beweis für den höheren Stand der Halbblinden, welche mit Fug und Recht den schlichten Gebrauch der Augen jenen Beklagenswerten überlassen, welche entweder die Mittel entbehren, vierkantige Lorgnetten von Brasilianischem Kiesel an Venetianischer Kette zu führen, oder doch wenigstens die Geschicklichkeit entbehren, das Augenglas ohne Hilfsleistung der Hände durch bloßes Einklemmen zwischen die Augenlider zu fixieren.

Der junge Mann ließ auf einen Moment die Lorgnette durch Öffnen der Wimpern herabrieseln, hob den feinen Kastor aus den üppig schwellenden Locken, zog sodann den Miniaturspiegel aus der Brusttasche, um etwaige Ementen, welche der rauhe Seewind unter dem reizenden Einklang von Natur und Kunst hätte anrichten können, in der Geburt zu ersticken, und ließ dann den Verkündiger der Schönheit befriedigt wieder in den Frack zurückgleiten. Nach hatte die feuchte Meerluft den kühnen Schwung der Locken nicht zu brechen gewagt, noch legten sich die Vatermörder ohne störende Falten an den schwarzen Backenbart, noch hatte die Schleife des Halstuchs, diese seidene Blüte der männlichen Eleganz, keine ihrer Fältchen und anspringenden Winkel eingebüßt. Der junge Löwe hätte demzufolge vollkommen Ursach' gehabt, mit sich zufrieden sein zu können – nichtsdestoweniger trugen seine Gesichtszüge das Gepräge eines tiefen Seelenschmerzes, eines um so tieferen, als ihn Jedermann durch allzustilles Beileid zu ehren schien.

Vorzugsweise galt dies von einer Dame, welcher der Brennpunkt seines Lorgnetten-Hohlspiegels galt, und die keine Ahnung von den ihr zugesandten Strahlengrüßen zu haben, wenigstens nicht von ihnen durchglüht zu werden schien, während doch schon die Seitenstreiflichter, welche Leontinens vorgeschobener Strohhut auffing, hinreichten, um diesen und das darunter liegende Kastell in gelinden Brand zu setzen. Der jugendliche Oberfeuerwerker fand sich durch diese Intervention zu diversen Flüchen, welche jedoch allzusehr nach dem Hohlkugel-werfenden Metier schmecken, um hier eine Stelle zu finden, veranlaßt. Das Ärgste dabei war, daß er es nicht wagen durfte, seine Position aufzugeben, indem das ganze Verdeck keinen anderweitigen Raum darbot, auf welchem er seine Reize auf so vorteilhafte Art, in so liebenswürdiger Ungezwungenheit hätte entfalten können Er hatte sich den glänzendsten Erfolg von diesem Augen-Bombardement versprochen, um so mehr, da er die Laufgräben bereits unter den glücklichsten Auspizien in der Residenz eröffnet hatte – und nun fühlte sein Malefikus ein für Freund und Feind gleich unerwünschtes Hilfskorps herbei, welches seine künstlichsten Manöver paralysierte. Höchst verdrießlich!

Doch vorher noch einigt Worte über die befehdete Citadelle, Aus älteren Zeiten stammend, war sie, obwohl ihre Außenwerke regelrecht nach der modernen Befestigungskunst angelegt waren, dennoch keine jungfräuliche mehr zu nennen. Der Name, unter welchem sie in der Geschichte dieses Krieges paradiert, ist Generalin Emmeline von Weißenfels, eine von jenen hochbegünstigten Ninon de l'Enclos, bei welchen die Komplimente über tägliche Verjüngung weder im Munde ihrer älteren Freunde, noch in dem der jüngeren, der jüngsten sogar, einen ansäuerlichen ironischen Beigeschmack hatten, und wohl eher einem vollen, fast übervollen Herzen entströmten. Unter diesen Umständen wagte es keine ihrer Mitschwestern, Frau von Weißenfels der unnatürlichen Kälte gegen ihre Tochter zu bezichtigen, wenn sie ziemlich peinlich vermied, sich in ihrer Gesellschaft dem Publikum zu zeigen, wenn sie in Berlin ein abgesondertes Haus machte (was um so weniger auffiel, als ihre Tochter schon zum zweitenmale Witwe war) und wenn sie die Ausrufe des Erstaunens: wie zum Verwundern schnell sich die älteste Enkelin entfalte, kühl genug aufnahm.

Frauen, wie die Generalin Weißenfels, die von der furchtbaren Gerichtsbarkeit, welche die Zeit über weibliche Reize ausübt, eximiert zu sein scheinen, pflegen einen wunderbaren Zauber auf die gesamte Männerwelt auszuüben. Alle Diejenigen, welche in gleichem Alter mit dem ewig jugendlichen Weibe stehen, blicken mit Wohlgefallen auf die seltene Ausnahme und vergessen, in Anschauen versunken, die eigenen Wandlungen. Dieselbe schöne Gestalt, welche wie ein heller Stern bereits ihrem Morgen leuchtete, sie glänzt noch mild und heiter am Abend ihres Lebens, und da brechen alle die zarten Blütenerinnerungen des Frühlings noch einmal aus den welken Zweigen hervor und duften nur um so zarter, wenngleich nicht mehr zu Früchten reifend. Die jüngeren Männer eilen, sich der leitenden Hand der schönen Führerin in den Irrgängen der Welt anzuvertrauen – und in welchen ruhten wohl die Zügel einer heißblütigen Jugend sicherer als in denen eines liebenswürdigen Weibes von reiferem Alter? Welche Gebote wären süßer zu überschreiten als diejenigen, welche aus einem Munde kommen, der zugleich so süß zu strafen und zu belohnen versteht, und dessen übermäßiges Zürnen der Jüngling nicht selten herauszufordern strebt, um in der Reue der Allzustrengen einen überreichen Ersatz zu finden? Der Ruf dieser seltenen Frauen ist überdies jederzeit ein festbegründeter, unerschütterlicher. Die stets gleichbleibende Anzahl ihrer Verehrer aus allen Lebensstufen bildet eine heilige Schar um die Kanonisierte, und das von allen Seiten widerhallende Echo ihrer Vortrefflichkeit führt zuletzt auch das Geschlecht der Gefeierten zu der geheimen Überzeugung von der Wahrheit jener Behauptungen, um so mehr, da die Verblühten kein Mittel besitzen, ihr den Rang streitig zu machen, und die Blühenden auf die Anerkennung der eigenen Reize, oder eine gleiche Dauer derselben rechnen. Ja, als wolle das weibliche Geschlecht der Zeit an Großmut nicht nachstehen, so erkennt es die Huldigungsmünzen, welche auf jene Königin der Herzen geprägt werden, und welche es seit seiner Kindheit im nimmer schwankenden Kurs sieht, zuletzt selber als vollgiltig an, und erwirbt eben durch diesen Anerkennungsakt der Göttin neue Verehrer.

Der dreifache Zaubergürtel des Ranges, des Reichtums und der Reize, welcher Frau von Weißenfels umgab, verfehlte nicht, auch hier seine wunderbare Kraft auf ihre Umgebung geltend zu machen. Bekannte und Fremde drängten sich hinzu, um ihr als der Ersten dieses Zirkels zu huldigen, und so genügte es denn wiederum an ihrer bloßen Erscheinung, um des allgemeinsten Triumphes gewiß zu sein und der Angelstern zu werden, um welchen die Gesellschaft sich in engeren oder weiteren Kreisen, willig oder gezwungen bewegte. Von seiten des jungen Mannes war es daher ein zum mindesten höchst gewagtes Unternehmen, daß er sich nicht allein von dem Bann, welcher die gesamte Reisekompanie umstrickt hielt, zu emanzipieren wagte, sondern auch alle die geheimnisvollen ihm zu Gebot stehenden Kräfte in Bewegung setzte, um die Fee in den eigenen Zauberkreis zu sich hinüber zu ziehen. Nur der unerschütterliche Glaube an die eigene Liebenswürdigkeit und der Rückblick auf die endlose Reihe der errungenen Siege konnten diesen kolossalen Plan erzeugen. Es wollte jedoch den Anschein gewinnen, als ob der jugendliche zwölfte Karl auf dem Verdeck des Dampfschiffes Elisabeth sein Pultawa finden solle. Alle Versuche, sich interessant zu machen, scheiterten an der dichten Phalanx, welche seine schöne Gegnerin umdrängte, und der Jüngling blieb mit dem beklemmenden Gefühl, welches jedes Herz nach dem Scheitern eines kunstvoll gepflegten Entwurfs beschleicht, allein an dem Geländer der Kajüte sitzen.

Von peinlichen Zweifeln befangen, ob der bisher verfolgte Plan aufzugeben, und welcher andere an dessen Stelle zu entwerfen sei, beschloß der Verlassene einstweilen, seiner gezwungenen Lage den Schein einer freiwilligen zu sichern. Und so entfaltete er denn, auf die Beachtung der Schiffsschanze vorläufig verzichtend, nachlässig die Pergamenttabletten, ergriff den Silberstift, ließ träumerische Blicke über die Meeresfläche und die allmählich entschwindenden Dünen gleiten, kritzelte einige Worte in das Portefeuille, erhob aufs neue die Augen, wiegte leise den Kopf – mit einem Wort, er dichtete, oder schrieb vielmehr, vom Gedächtnis geleitet, Verse nieder, in denen er mit fremder Leute Verzweiflung die eigene zierlich genug ausflickte.

 

Aus der Kajüte erschallte, von mehreren Stimmen zu wiederholten Malen gerufen, der Name des hypochondrischen Elegants. Dieser schien sich jedoch nur mühsam von der kalten Küche seiner Begeisterung abziehen lassen zu wollen, warf einen nachlässigen Blick in den innern Raum auf den mit Flaschen besetzten Tisch und deren Aussauger, und schlug mit kurzer abwehrender Handbewegung die Einladung, an den Libationen teil zu nehmen, aus.

Einer von den in der Kajüte Versammelten schien sich jedoch mit jener abschläglichen Antwort nicht begnügen zu wollen und erklomm das Verdeck, um den Grund der befremdlichen Weigerung ans dem Munde des Reisegefährten zu vernehmen. Es war ein großer, höchstens 26jähriger Mann, dessen öde erschlaffte Züge von Lebensüberdruß, Lieblosigkeit und Egoismus sprachen. Die langen, schlicht über die Schläfe hängenden Haare trugen nur wenig dazu bei, dem verglasten Gesicht den Schimmer der längst verwirkten Jugend wiederzugeben. Nur eine durch gesuchte Simplizität sich bekundende Eleganz des Anzugs zeigte in ihm den Exklusiven, welcher, nur die Zahl der verlebten Jahre in Anschlag bringend und nicht die Art ihrer Vergeudung, sich noch den jüngeren beizählte.

Mit gekreuzten Armen blieb der Ankömmling vor dem forzierten Schwärmer stehen und musterte ihn eine Weile lang mit mokantem Lächeln, »Wahrhaftig,« begann er endlich mit accentloser Stimme, »wahrhaftig, Herr von Clementi, Sie geben dem Historienmaler, welcher eine moderne Verzweiflung personifizieren wollte, einen nicht üblen Vorwurf ab. Ich bin zufrieden mit Ihnen. Recht brav so weit. Wo Teufel haben Sie den allerliebsten Faltenwurf Ihres Carbonari her? Goethe auf den Trümmern der Campagna liegt nicht halb so malerisch als Sie.«

Der Angeredete schlug langsam die Augen auf, maß den Sprecher mit ungewissen irrenden Blicken, gleich als gelinge es dem Träumer nur mit Anstrengung, seinen Geist den Erscheinungen dieser Welt wieder zuzuwenden – der andere aber fuhr fort: »Sie haben sich mit Ihrer Rolle so identifiziert, wie ich sehe, daß Sie die für das Publikum berechnete Täuschung sogar auf den Mitspieler übertragen. Das zeugt von Genie, mindestens von eminentem Talent. Wie gesagt, ich bin zufrieden mit Ihnen.«

Die erkünstelte Wolke auf der Stirn des Barons Clementi gewann während der Apostrophe seines Freundes an Wahrhaftigkeit, und das rasche Jucken der Mundwinkel verkündete nur allzudeutlich, wie der Spötter die wunde Stelle getroffen habe.

»Es scheint Ihnen, Herr von Fahlland,« begann er mit melodischer Stimme, »einen besonderen Hochgenuß zu machen, mit dem unerquicklichen Platzregen Ihrer Dissonanzen den zärtlichen Blütenstaub der Empfindungen abzustreifen, und das befreundete Herz gerade in jenen Augenblicken der Weihe – – «

»Pfüt! Also dorther kommt der Wind? Nun, nun, ich will Sie ja gern verschonen, wenn Sie es so kategorisch heischen. Aber, teurer Baron, weshalb sagen Sie mir das Alles? Hoffentlich werden Sie mir alles andere eher zumuten als den Glauben an die Wahrhaftigkeit Ihrer Ekstase. Sie glaubten sich beobachtet, oder wollten doch wenigstens beobachtet werden, wollten Interesse erregen und versuchten es deshalb mit der Maske des vom Kuß der Muse verklärten Dichters. Die Idee ist nicht übel, die gewählte Rolle ist eine glückliche, und ich weiß, Sie werden sie brav durchführen. Kostüm, Attitüde, alles war durchdacht. Ich belobe Sie. Aber mich, englischer Freiherr, mich müssen Sie nicht düpieren wollen. Das ist wider die Abrede.«

»Schreien Sie doch nicht so laut,« fuhr Clementi fast zornig auf. »Man muß ja jedes Wort dort oben verstehen.«

»Dort oben? Sie räumen also ein? Sie überzeugen sich, daß ich zu alt in der Schule der männlichen Koketterie wurde, um nicht dergleichen unschuldige Kunstgriffe zu durchschauen. Doch für solche Irrtümer bin ich nachsichtig. Brechen wir davon ab. Sie sprachen vorhin von Blütenstaub, Empfindungen, Platzregen u. s. w. In meine schlichte Prosa übersetzt, heißt das so viel, als daß mein unerwünschtes Dazwischentreten Sie um irgend einen Schlußreim gebracht hat. O zeigen Sie doch, Geliebter, zeigen Sie, wie Ihre Kindlein gedeihen. Sie kennen mich als enragierten Verehrer der Poesie, der allermodernsten zumal.« – Er entriß dem schwach nur Widerstrebenden die Brieftasche und versuchte es, die poetischen Hieroglyphen zu entziffern. »Bravo, sehr gut,« rief er, »nur mit männlichen Reimen übers Kreuz gereimt – das nenne ich 50 Prozent reinen Gewinn – die weiblichen Reime geben ein neues Gedicht ab. – Spekulation, nichts als Spekulation – Sparsamkeit, höchst weise Sparsamkeit. Hm, hm! Flutengrab – starrer Blick hinab – ich lehne mich traurig an den Mast – bricht fast – Wer bricht? Ach so; das Herz, – Strand – Heimatsland – weiße Möwen. – Ich wollte schon fragen, wo die Möwen blieben. Möwen dürfen platterdings in keinem Gedichte fehlen, welches Berliner Dichter auf ihrer großen Wettfahrt, ich meine per Dampfschiff nach Swinemünde, niederschreiben. Hoffentlich vergessen Sie nicht die schöne, blasse Frau – richtig, da kommt sie schon – scharmant! Jetzt aber sollen Sie mir beichten, bei welchem Großhändler in der Liebe Sie diese Heinesche Anleihe zu diskontieren gedenken.«

»Eine Frage,« erwiderte Herr von Clementi, »welche Ihnen der flüchtigste Hinblick auf die Gesellschaft beantworten müßte. Als ob eine Andere als die Generalin der Mühe verlohnte, eine sogenannte Rolle zu übernehmen.«

Die Weißenfels? Bravissimo. Sie hat Geld.«

»Würde ich sie sonst so glühend leidenschaftlich lieben?« –

»Also im vollen Ernste? Baron Clementi, ich mache Ihnen mein Kompliment, daß Sie den Grundsatz: »müßt Euer Glück nicht auf die Jüngsten setzen, die Angejahrten wissen Euch zu schätzen« so schön beherzigt haben. Die Generalin ist ein seltenes Weib – ein Goethe unter den Frauen – der Polarstern zweier Jahrhunderte. Wahrhaftig,« fuhr er die Dame lorgnierend fort, »die Hand ist so rundlich zart, wie die einer sechzehnjährigen. Sie ist bereits Großmutter – aber was thut das? Reizende Fülle des Arms – auf Ehre – und jenes suave Lächeln, mit dem sie ihre Rede begleitet« –

»Und mich zum Rasen bringt,« fiel Elementi ein, »Fünfzig gegen eins, Graf Ysidohm unterhält sie von dem letzten Rennen auf der Bahn mit Hindernissen – und sie lächelt – Emmeline lächelt so holdselig, so überschwenglich – Oh! – Mir will das Herz zerspringen vor wildem Schmerzensdrang« –

»Wie Heine irgendwo sagt,« unterbrach ihn Herr von Fahlland kalt. »Wie viel Lärmen um nichts. Ihre Schöne kokettiert – das ist das Ganze. Sie senkt das Auge, um ihre schönen, langen Wimpern zu zeigen – sie lächelt, um ihre prachtvollen Zähne zu etalieren – sie stützt den Kopf auf den Arm, weil sie die Weiße ihrer Hand hervorheben will. Das sind ja Alles so natürliche Manöver, daß ich es nur befremdend finde, wie Sie dieselben befremdend finden können. Toleranz, mein Guter, Toleranz. Die Dame kokettiert, Sie kokettieren nicht minder, ich kokettiere, wir Alle kokettieren, wie wir geschaffen sind – das ganze Leben ist ein fortgesponnenes Kokettieren – und Sie wundern sich, daß ein schönes Weib sich rein weiblich, rein menschlich gebärde. Aber sagen Sie mir doch, Clementi, wie Sie mit der Generalin bekannt wurden, wie Sie mit ihr stehen. Geben Sie mir den ganzen Roman zum besten – ich hoffe, daß er mich desennuyieren werde. Von wann datiert sich diese Liaison, oder ist sie die Blüte des Moments? Erzählen Sie, Vortrefflichster. Vertraue mir den Umfang Deiner Grillen« –

»Sagt Goethe's Mephistopheles irgendwo,« erwiderte der Baron. »Sei's d'rum, doch bitte, treten Sie einen Schritt weiter rechts. Sie maskieren mich jetzt, und das wäre mir unwillkommen.«

Herr von Fahlland willfahrte augenblicklich diesem billigen Verlangen und senkte sich in das improvisierte, aus fünf Stühlen gebildete Schaukelbett, von denen zwei die Arme und ebensoviel die nachlässig gespreizten Beine zu tragen bestimmt waren, schloß die Augen und gab mit einem matt gemurmelten: eh bien! das Zeichen, wie, nachdem der Köcher in komfortable Lage gebracht worden sei, der Geist sich willig fühle, gleichen Schritt mit der Berichterstattung zu halten,

»Es mögen jetzt sechs Wochen her sein,« begann der junge Löwe mit gedämpfter Summe, »als ich um die Mittagszeit unter den Linden schlendernd, einen Menschenauflauf, wie ihn die Straßen unserer Residenz täglich und stündlich wiederholen, gewahrte. Ich bin zu vertraut mit dem wißbegierigen Naturell meiner verehrten Landsleute, um nicht zu wissen, wie wenig dazu gehört, ihren Forschungstrieb anzufeuern; besitzt doch eine dumpfe Sage, wie auf jenem Zweige ein Kanarienvogel gesessen haben solle, hinreichende Zauberkraft, um unsere Badauds vier volle Wochen hindurch an den Legendenbaum zu bannen. Zugleich aber vermeide ich jeden Konflikt mit dem süßen Pöbel nach Möglichkeit, und so wollte ich denn, bis der Rinnstein des Volkes sich verlaufen, in das Café national eintreten – als ich unter der wogenden, schreienden, jauchzenden Menge, unter jenem unsauberen Knäuel zu meinem Erstaunen die mir von früherhin schon bekannte Generalin Weißenfels auftauchen sah, und sie an ihren leidenschaftlichen Gestikulationen als eine der Mithandelnden jenes Volksdramas erkannte. Ich trat näher. Es war eine grandiose Hundebeißerei, und die Wachtelhündin der Gnädigen, die Helena, welche den Kampf der vierbeinigen Achäer und Trojaner entzündet hatte. Möpse, Windhunde, Bulldoggs, Dachse, etliche höchst burschikose Pudel und ungeschlachte Schlächterhunde, ein heulender, beißender, gebissener, bunt übereinander sich wälzender Knäuel, das mit lautem Halloh anhetzende, allgegenwärtige Geschlecht der Schusterlehrlinge, sich heiser schreiende Gebieter der Kämpfenden, vergeblich Frieden predigende Polizei- Sergeanten, die noch vergeblicher um Hilfe rufende Generalin – dies waren die Motive zu einem Tableau, gegen welches alle Schlachten der Rugendas und Bourguignon wahre Pietisten-Konventikel sind.« –

»Ich kann mir von dem Feuer, in welches die bloße Erinnerung Sie versetzt, einen anschaulichen Begriff von der Lebendigkeit der Aktion machen. Sie scheinen jedoch zu vergessen, Herr von Clementi, daß Sie gegenwärtig die sentimentale Rolle durchzuführen haben, und demgemäß keine Leidenschaftlichkeit offenbaren dürfen.«

»Verdammt!« brummte der Baron, »wer kann auch an alles denken! Ich bin Ihnen für diesen Wink verpflichtet. Vergeblich wurde,« fuhr er, das Flötenregister seiner Brustorgel wieder hervorziehend, fort, »die strafende Geißel der Hundepeitsche von einigen Fleischerknechten über Schuldige und Unschuldige geschwungen, vergebens wurde der Versuch gemacht, die Lohe des Kriegsbrandes durch angewandte Duschbäder zu dämpfen. – In ihrer Kampfbegeisterung fühlten die Köter Hiebe und Sturzbäder so wenig als tapfere Soldaten ihre Wunden während der Schlacht. Da drängte ich mich hinzu, und mit dem Aszendant, welches der geistig Überlegene jederzeit auf die rohe Masse ausübt, gebot ich den bei dieser Völkerschlacht Interessierten, ihre respektiven Ementiers bei der aufgehißten Flagge des Schwanzes zu packen – eine ebenso schwierige als mißliche Aufgabe, um so mehr, da die Mehrzahl der Kombattanten nur elende, abgehackte Stummel vorzuweisen hatte,«

»Klug ist das Bemüh'n,« schob Fahlland zitierend ein, »aus jedem Umstand seinen Vorteil zieh'n. Man patzt, man merkt auf jedes günst'ge Nu – Gelegenheit ist da, nun, Fauste, packe zu!«

»Wir thaten es. Nach manchen verunglückten Versuchen war es den Hundeeigentümern gelungen, die Leitfäden ihrer Kombattanten zu ergreifen, mir, den der Leibhündin herauszufischen. Als Schwanzmeister bei der Ramme kommandierte ich laut und schallend: Eins – Zwei – Drei! und auf das letzte Stichwort zwang jeder Vermittler den ihm zugehörigen Beißteufel mittelst kräftigen Ruckes eine retrograde Bewegung zu machen. Der verschlungene Rattenkönig war nach allen zweiunddreißig Strichen der Windrose zerstreut. Die empörten Gemüter stierten sich eine Weile giftig an, strebten, obwohl umsonst, sich von der ihre Perpendikel umklafternden Hand loszumachen, empfingen darauf in einzelnen Raten, aber um so nachdrücklicher die Feldzulage in klappernden Münzsorten, und zogen hierauf abgekühlt im Gefolge ihrer Herren des Weges. Ich aber legte die zerzauste Lalla-Rookh in die Arme ihrer Gebieterin, und hinter Thränenperlen, welche einem schönen Auge enttropften, ging für mich die hellleuchtende Sonne der Dankbarkeit auf.« –

»Muß einen brillanten Regenbogen abgegeben haben,« gähnte Fahlland. »Nur weiter.«

»Das Haus der Generalin stand mir von nun an täglich offen. Ich faßte eine glühende Leidenschaft für ihren guten Tisch. Ich versäumte ihn nie, ebensowenig als die ästhetischen Soireen, in welchen Frau von Weißenfels ihre Dichtungen vorlas, wo den meinigen gerechte Würdigung zu teil wurde. Ich erteilte ihr Unterricht in Pistolenschießen und der chinesischen Schnellmalerei. Mit Adlerschwingen überflügelte ich das Heer ihrer Anbeter – ihre Gunst war der Fels, an welchem die Intriguen meiner Mitbewerber scheiterten. Gelang es mir, die Göttin den Strudelkreisen der Welt, wenn auch nur auf kurze Frist zu entführen, sie und mich dem Späherblick der Mißgünstigen zu entziehen, so war mein Sieg entschieden. Ich regte die Idee, das Seebad in Swinemünde zu besuchen, an, sprach von Häringsdorfs liebseliger Waldeinsamkeit, dem flutenfeuchten Strande, knisternden Muscheln, übermutberauschten Meereswogen und Sternenaugen. Mit Begeisterung geht sie auf meinen Vorschlag ein. verläßt Berlin – das Dampfschiff vereinigt uns – und nun sitze ich schon seit fünf höllenbangen, abgrundschwarzen Viertelstunden auf dem Verdeck, und sie, die Lieblosfrostige, würdigt mich keines Blicks! O ich unglückseliger Taffe, wollt' ich sagen Atlas, eine Welt, eine komplette Welt von Schmerzen muß ich tragen!«

»Wie Heine schon in seinem Buch der Lieder gesagt hat,« bemerkte Fahlland spöttisch.

»Bitte um Vergebung, Herr von Fahlland, dies sag' ich selber in einem meiner Gedichte.«

»Auch gut. So ist es denn Heine, welcher sich des Plagiats schuldig machte.«

»Auf Ehre, ja. Aber die Generalin erhebt sich – ihre spähenden Blicke durchirren die Gesellschaft – sie hat mich erkannt – ich seh's an dem feinen, flüchtigen Lächeln – sie verläßt die Schanze des Schiffes. Machen Sie, daß Sie fortkommen, Fahlland – rasch – sie kommt.« –

»Wollen Sie mich noch in die Feinheiten der Vertrauten- Rolle einweihen? Sie durften wohl meinem eigenen Takt so viel zutrauen, daß ich, der Freundschafts-Mond, mich auch ohne weitere Beschwörung beim Aufsteigen der Liebessonne eklipsieren würde; Ihr Verdacht beleidigt. Mit Verliebten aber rechte ich niemals – sie sind als solche nicht zurechnungsfähig. Adio, mein Süßer! Die Zündschnur glimmt – der Minierer rettet sich – ich erwarte den brillantesten Erfolg – Bresche – Sturm – weiße Fahne – Einmarsch – und lade mich im voraus ein für allemal zur Tafel.« –

Anscheinend gleichgiltig wandte sich Fahlland zu gehen, warf noch einen sardonischen Blick auf den in seine frühere Schwärmerrolle Zurücksinkenden und verschwand in der Kajüte.

Clementi hatte richtig gesehen. Frau von Weißenfels suchte ihn auf. Er sah seine Manöver vom günstigsten Erfolg gekrönt. Mit Mühe nur gewältigte er den Ausbruch des Entzückens; das stürmische Pochen des freudeseligen Herzens richtete wiederum die träumerisch-selbstvergessenen Blicke auf seine Schreibtafel, kritzelte und strich, um seine offizielle Dichter-Maske möglichst treu durchzuführen.

Eine schöne Hand senkte sich auf seinen Arm und schreckte ihn aus der künstlichen Ekstase auf. Die Generalin stand ihm zur Seite und warf ihm den holdseligsten, fragenden Blick zu.

Clementi zuckte zusammen, rang sich mit glücklich geheuchelter Anstrengung aus den ihn umflutenden Traumwellen, und hauchte der reizenden Störerin ein halblautes, schmachtendes: »Ha! meine Emmeline!« zu.

Weder auf einen so leidenschaftlichen Ausbruch, noch auf so unerwartete Vertraulichkeit gefaßt, trat die Generalin befremdet zurück. Wenn sie sich gleich das Wohlgefallen, welches sie bisher an den Huldigungen des Barons gefunden, nicht verhehlen konnte, so hatte sie dennoch bisher durch ihren Rang und ihre Stellung in der Gesellschaft jederzeit eine gewisse Superiorität über ihn ausgeübt, hatte neben der Rolle der angebeteten Göttin auch die der lenkenden gespielt, und fühlte sich daher nicht wenig überrascht, als sie ihren Schützling die bisher respektierten Schranken mit einem Male niederreißen, und sich auf dem Fuße der Gleichheit behandelt sah. Herr von Clementi war jedoch zu genau mit dem Frauen- Naturell vertraut, als daß er nicht hätte wissen sollen, wie gerade das Überraschende am meisten Glück mache, wie es in den neuen Situationen nur darauf ankomme, den Ton einmal anzuschlagen, um mit Zuverlässigkeit auf weiblichen Einklang rechnen zu dürfen; vor allen Dingen aber wie Derjenige, welcher die Initiative ergriffen, im gleichen Maße fortschreiten müsse, und jeder Stillstand auf halbem Wege ein Verwirken des Erfolges sei. Sein Debüt war das eines passionierten, alle konventionelle Rücksichten verschmähenden Liebhabers gewesen. Diese Rolle mußte jetzt durchgeführt werden, ohne der geliebten Feindin Zeit zu vergönnen, sich von der ersten Überraschung zu erholen, ohne das erste Feuer verglühen zu lassen.

Rasch erhob er sich von seinem Sitze, trat dicht an die Generalin, ergriff ihre Hand, zog die Widerstrebende an den Schiffbord, und begann, Auge starr in Auge, mit jenem magnetischen, klapperschlangenähnlichen Blicken und leidenschaftlichen, leisen und doch aus den Tiefen der Brust quellenden Tönen: »Emmeline, endlich, endlich habe ich Dich wieder! Endlich tauchet aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern, aus weitaufschauerndem, silbergrauem Weltmeer der glühend roten Sonne festlichverklärtes Antlitz, und die geliebten süßen Augen, sie wachen wieder über meinem Haupte, und sie klingen und winken aus der blauen Himmelsdecke, und sie glänzen sieghaft und ruhig heiter, aber voller Liebe. Ja, ich habe Dich wiedergefunden und schaue wieder Dein süßes Gesicht, die klugen, treuen Augen, das liebe Lächeln, und will Dich nimmer wieder verlassen.« –

»Aber Clementi, Herr von Clementi,« stammelte die Bestürzte, »wir sind nicht allein – welche Sprache« –

»Fünfhundert Jahre lang,« fuhr der, Heines Nordseebilder auf das unverschämteste plündernde und sie mit jämmerlichen Lappen eigner Fabrik verbrämende Baron fort, »Fünfhundert Jahre zum allermindesten saßest Du unter fremden Leuten, derweilen ich, die Seele voll Gram, Dich auf dem ganzen Schiffe suchte und immer suchte, Du Immergeliebte, Du Längstverlorne, Du Endlichgefundene!« –

»Mein teurer, junger Freund,« entgegnete Frau von Weißenfels, ohne eine Ahnung von der Falschheit der Münzen, welche der angeblich Verzückte in Kurs setzte, zu haben, mit bewegter Stimme, »Sie sind so leidenschaftlich. Ich bitte, ich beschwöre Sie, mäßigen Sie sich. Wir werden beobachtet.«

Das war's aber gerade, was der edle Baronet beabsichtigte, und so fuhr er denn nur um so eifriger, je mehr er bemerkte, daß er Eindruck mache, fort, Heinen zu bestehlen und seufzte beweglich: »Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder, und mit starker Hand reiße ich den Mastbaum aus dem Verdeck und tauche ihn in des Ätna glühenden Schlund und mit dieser Riesenfeder schreibe ich an die Himmelsdecke: »Emmeline, ich liebe Dich.«

»Ungestümer,« flüsterte die Generalin mit gesenkten Augenwimpern, »ein lyrischer Taumel ergreift Sie – ich vernehme den Dichter – den leicht erregbaren – leicht veränderlichen – Ach Clementi, Sie täuschen mich – Sich –«

»Nein, Emmeline, groß ist das Meer und der Himmel, doch größer ist mein Herz, und schöner als Perlen und Sterne leuchtet und strahlt meine Liebe.«

»Aber erwägen Sie doch die Verhältnisse, Baron, Ihre Jugend, mein Alter; ich bin Mutter – bin ja schon – Großmutter!« – Kaum hörbar hatte sie mit niedergeschlagenen Augen das letzte peinliche Bekenntnis abgelegt, glücklicherweise half ihr die plattierte Begeisterung des Herrn von Clementi über jede Beschämung hinweg, denn er fuhr, ohne auf die störenden Familienrücksichten zu reflektieren, begeistert fort: »Du hast Diamanten und Perlen, hast Alles, was Menschen begehren, und hast die schönsten Augen – mein Liebchen, was willst Du mehr?«

»Ob die Erwähnung der Diamanten und Peilen, jener mutmaßlichen Hauptmotive der stürmenden Bewerbung, nicht auf jedes andere Weib nüchternd eingewirkt hätte, bleibe unerörtert. Die Generalin übersah den Artikel von den Pretiosen zu Gunsten der schönsten Augen, deren der Amant gedachte, sah mit diesen, von Eitelkeit geblendeten, in dem Verehrer einen fein, wahr und feurig fühlenden Jüngling, sog mit Entzücken aus dem bezaubernden Hoigkelch der Schmeichelei, berauschte sich in dem Wahne, einen genialen Dichter zum Anbeter zu haben, und lispelte mit seligem Lächeln und leisem Händedruck: »Sie sind mir teuer, Clementi, unaussprechlich teuer.«

»Sie liebt mich,« jauchzte der edle Herzensjäger, mit zum Täuschen nachgeahmtem Entzücken »sie liebt mich!« Stürmisch preßte er ihre Hand an die Lippen. Das allersüßeste koste ich: Süße Liebe und süßes Geliebtsein,«

»Und wann, wann, Du holdselige, mitleidige Wasserfrau, wann wird es mir vergönnt sein, daß ich mein Glück, das unendliche, unsägliche verkünde, und der Welt zujuble: Sie trägt sein Bildnis im kleinen Herzen, und reibt sich verwundert die schönen Augen! – Wie lange wird es währen, bis Himmel und Meer und mein eigenes Herz im Nachhall ertönen: Sie liebt ihn! und die Verlobungskarten, goldgeränderte, mit verschlungenen Wappen geschmückte, auf den Schwanenzügen der Stadtpost Berlin durchrudern?«

»Dränge nicht in mich, Liebling meines Herzens. Ich bin die Deinige – mit Entzücken spreche ich es aus – zügle aber noch, wenn auch nur auf kurze Zeit, den Ungestüm Deiner jugendlich stürmenden Liebe. Bald, bald wird der Augenblick erscheinen, wo ich die Wahl meines Heizens stolz und frei verkünden darf – dort erwarte ich mit liebender Sehnsucht den Augenblick, Dir Alles, Alles vertrauen zu dürfen, was störende Umgebung jetzt Dir zu nennen verwehrt. Bis dahin lebe wohl, Du Freund meiner Seele, Du Inniggeliebter!« –

Mit sanfter Gewalt drängte Frau von Weißenfels den Baron von sich, warf ihm noch einen Blick der vollsten Liebe zu, und eilte nach der jüngst verlassenen Gesellschaft zurück, um das lauter und lauter werdende Zischeln und die Bemerkungen über jene geheimnisvolle Unterredung durch ihre Erscheinung zu ersticken.

Herr von Clementi wischte seine Lorgnette mit dem seidenen Tuch sorgfältig ab, warf durch ihr Krystall einen schmachtenden Blick nach der glücklich errungenen Braut, murmelt leise für sich: Abgemacht! Sela! und stieg dann mit großer Gemütsruhe in die Kajüte hinab, um seinen würdigen Freund Fahlland bei einer Portion Beefsteak von dem überraschenden Erfolg seiner Komödie in Kenntnis zu setzen.

 

Die vierte Nachmittagsstunde des folgenden Tages sah Herrn von Clementi in ungewöhnlicher Aufregung, mit freudeleuchtenden Blicken aus dem Salon treten und dem am Hafen gelegenen Wirtshaus zur goldnen Krone zueilen. Unter dein Leinenzelt, welches als Schutz wider die sengenden Strahlen der Sonne vor der Thür des Gasthofes aufgeschlagen war, saßen in einzelnen Gruppen Badegäste und Einwohner der Stadt, Kaffee schlürfend, des Tabaks bläuliche Wölkchen gemütlich vor sich hinblasend, Badelisten und alte Zeitungsblätter mit schläfrigem Blick überfliegend, in apathischem Hindämmern den Verdaumigs-Prozeß und die Kühle des Abends abwartend. Die Einförmigkeit, welche der Anblick des Hafens darbot die Ruhe des Städtchens, die nicht einmal durch das Rollen der Wagen und höchstens durch den melancholischen Gesang arbeitender Matrosen, oder durch das Geschnarr eines Rohrsperlings unterbrochen ward, ladeten so recht verführerisch ein, sich der Seelen- Siesta mit voller Gemächlichkeit hinzugeben. Die immer träger und träger hin und her schleichenden einzelnen Worte der Unterhaltung, ein unzweideutiges Kopfnicken und nur mühsam verhehltes Gähnen, bekundeten aber hinlänglich, daß jene Mahnung bei allen Bewohnern dieser Schläferhöhle Anklang finde.

Das stürmische Auftreten Clementi's brachte gleich dem in einen Sumpf geschleuderten Stein eine erschütternde Wirkung in der stagnierenden Gesellschaft hervor, und die zitternden Wellenringe wurden von den unwillig gerunzelten Stirnen der Anwesenden treu genug abgespiegelt. Ohne jedoch diese Zeichen der Ungunst sonderlich zu beachten, schritt der Baron hastig durch die Versammlung auf den bereits entschlummerten Fahlland zu, schüttelte ihn munter und riß den ziemlich verdrießlich Erwachten mit sich fort auf ihr gemeinschaftliches Zimmer.

»Sie liebt mich, sie liebt mich!« tobte er, hastig auf der Diagonale des Gemaches auf- und niederrennend, »sie liebt mich!«

Fahlland gähnte dem Geliebten unverhohlen ins Gesicht: »Um Vergebung,« fragte er, »haben Sie mich nur deshalb aus dem Schlaf aufgeschreckt, um mir wie ein Lori diese drei Noten vorzuflöten? Wenn mir recht ist, so weihten Sie mich schon gestern zum Vertrauten Ihres Liebesglückes ein – dieses ziemlich matten Nachdrucks hätte es meines Erachtens nach nicht unerläßlich bedurft.«

»Wer? Ich! Gestern? Was ist das nüchterne, einer ausgetrockneten Pflanze in des Botanikers Kapsel gleichende Gestern gegen das mit sonnenglühender Wonne, mit Josty-Baisers und weißer Seligkeit gefüllte Heute?«

Fahlland brummte ziemlich verständlich vor sich hin: »Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor von hunderttausend Narren sprechen;« Clementi fuhr jedoch, ohne darauf zu merken, fort: »Gestern! O bleiches, Novembernebliges, frostigschauerndes Gestern, wie konnte ich ahnen, daß – daß – daß –«

»Was? wenn's beliebt?«

»Daß – ei hol's der Teufel! Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und nur so viel, daß Don Juan, gegen mich gehalten, ein Kandidat der Theologie, ein Embryo, höchstens gar nichts ist.« Fahlland streckte sich bequem auf dem Sofa aus und fragte, indem er seine Cylinderuhr herauszog, wie lange wohl noch ungefähr diese dithyrambische Vorrede dauern möchte; er für seinen Teil fühlte sich geneigt, sie zu verschlummern,

»Sie sind ein entsetzlicher Egoist, Fahlland.«

»Darauf bin ich stolz, Verehrter, und bitte deshalb, falls Sie mir etwas zu sagen hätten, sich kurz und bündig zu fassen, nicht minder sich klar und vernehmlich auszudrücken, vor allen Dingen aber in eigenen und nicht fürder mit Heineschen Zungen gegen mich zu reden,«

»Wie Sie darüber denken, Fahlland, Ich finde überhaupt den Enthusiasmus bei 24 Grad Hitze etwas beschwerlich. Es war auch nur ein Nachzittern der eben stattgefundenen Erschütterung. Ich schnappe ab, Geliebter, und die Prosa, die klare verständliche, trete von jetzt ab in ihr Recht,«

»Es wird Ihnen erinnerlich sein,« begann er seine Erzählung, »daß ich in Berlin einer berühmten Pensionsanstalt für Töchter höherer Stände gegenüber wohne; ebenso glaube ich Ihnen bereits vertraut zu haben, welcher perennierende Freudenhimmel mir aus jener Nachbarschaft erblühte. Keinen Harlemer Blumenliebhaber kann seine Tulpen- und Hyacinthenflor inniger beglücken, als mich jene freudig emporsprießende, von Tag zu Tag sich bedeutsamer entfaltende weibliche Schönheit. Ich umfaßte das ganze Institut mit Liebe; verfolgte das Aufknospen, Entwickeln, Erblühen jedes einzelnen Knöspchens von dem Augenblick an, wo es in jenes Treibhaus verpflanzt wurde, bis zu dem Moment, wo es in Blüte in die Welt trat. Ich habe mich dergestalt durch drei Generationen geliebt, und bin jetzt in der vierten. Daß meine Gefühle geteilt wurden, brauche ich nicht erst zu versichern. Es konnte nicht anders sein, als daß, abgerechnet von meiner Persönlichkeit, die Nachbarschaft eines jungen, modisch durchbildeten Mannes und seine Aufmerksamkeit wiederum die der gesamten Volière fesseln mußte. Ich durfte alle die zwanzig Herzen und Herzchen mein nennen. Götterstunden habe ich dergestalt mit diesem meinen transzendenten Harem durchlebt. Es läßt sich nichts Reizenderes denken als dieses Erwachen der weiblichen Koketterie, diese kleinen Eifersüchteleien, diese wechselseitigen Überlistungen, dies spröde Zurückweichen und doch wieder so naive Entgegenkommen, diese allerliebsten Geheimniskrämereien, dieses simultane Abspinnen von zwanzig unschuldigen Romänchen, Daß ich nie weiter als bis zur Blockade jener Amazonenveste gelangte, dafür wußte der feindliche Kommandant, die Vorsteherin des Instituts, und ihre Adjutantinnen durch unermüdliche Wachsamkeit und strenge Disziplin zu sorgen. Nur als eine geschlossene Kolonne und mit durch ältliche Jungfern gedeckten Flanken verließ die Pensionsanstalt den Rayon ihrer Festung zu Kirchenbesuchen und Spaziergängen. Die Hoffnung, versprengten Flankörs zu begegnen und sie einzeln aufzureiben, hatte ich als eine chimärische längst aufgegeben. Die Kartätschen-Salven meiner Liebesblicke konnten demnach nur den Massen gelten; nur auf das gesamte Korps zugleich war mir zu wirken vergönnt. Mein Operngucker war der Brennspiegel, mit welchem ich über die Straße hinüber, ein zweiter Archimedes, die feindliche Flottille in Brand steckte. Ungeachtet dieser Simultanliebe war jedoch eine oder die andere jederzeit die Begünstigtere, die Favoritin, und – Dank sei es der weiblichen Divinationsgabe in allen Herzensangelegenheiten, oder jenem mystischen Magnetismus der Liebe – die Erkorenen wurden sich des ihnen gewordenen Vorzugs unverzüglich bewußt, stolzer dieser Auszeichnung halber gegen ihre Gefährtinnen, hinneigender zu mir. In der letzteren Zeit war ein Fräulein Alwine von Blanken die vor allen Begünstigte – ein liebliches, sechzehnjähriges Blondinchen. Zu meinem bittersten Leidwesen verschwand sie vierzehn Tage vor meiner Abreise aus dem Fräuleinstift, und heute – denken Sie sich mein Glück, mein Entzücken – heute begegne ich ihr wieder, finde sie hier im Salon. Sie schlägt die Augen auf, erkennt mich – holdselige Verwirrung – schüchternes Erglühen, et caetera, – in diesem Augenblick setzt man sich zu Tisch – ein Blick von ihr deutet auf einen unbesetzten Stuhl an ihrer Seite, den ich auch ohne ihren Wink eingenommen hätte. In zwei Minuten ist die Konversation im schönsten Train, und ich erfahre aus ihrem Munde, daß sie mit ihrer Tante das Seebad brauche; in wenigen Tagen werde ihre Mutter nachkommen, und mit ihr nach beendeter Kur nach Berlin zurückkehren; wo sie fortan die Pension gegen das elterliche Haus vertausche. Das Resultat der nächsten zwei Minuten war mein Geständnis, daß mit ihrer Entfernung auch die Sonne, welche in mein allzudüstres Leben gestrahlt, erloschen sei; wie eine unwiderstehliche Sehnsucht mich den malerischen Ufern der Spree entführt und über den Ozean gepeitscht; besagte Sehnsucht sei aber im Grunde nichts anderes als der Zug des Herzens und folglich auch des Schicksals Stimme, und dieser Honigskuckuck habe so lange und so vernehmlich in meinem Busen lamentiert, bis er mich richtig vor den reizenden Bienenstock – als wie Fräulein Alwine, geführt habe. Diese geistvolle Metapher wurde goutiert, und so durfte ich denn bereits zwischen dem Rindfleisch und der Mehlspeise dem lieblichen Kinde meine ewige Liebe zuschwören – Sie wissen, Fahlland, wie sehr ich es liebe, in dergleichen Affairen rasch und energisch zu Werke zu gehen, – und die Erlaubnis erringen, bei ihrer Mutter, sobald diese angelangt sei, die Supplik um die rechte Hand des Töchterleins einreichen zu dürfen – ein Duodram, welches ich morgen oder spätestens übermorgen aufzuführen gedenke.«

»Wonach denn die Generalin Weißenfelß bei dem über den Besitz Ihrer Hände eingeleiteten Koukurs mit dem Ausfall der Linken sich begnügen müßte?«

»Ach so? Emmeline! – Hm! Wie ließ sich das arrangieren? – Verdammte Einseitigkeit, sich mit einer Frau begnügen zu müssen! – Ich kann nicht mit Heine sagen: In welche soll ich mich verlieben, da beide liebenswürdig sind – denn mein Herz löste bereits die Frag: und liebt beide mit gleicher Innigkeit. Mit um so größerem Recht aber passen die folgenden Verse:

»Die jungen unerfahrnen Glieder
Sie sind so rührend anzusehn!
Doch reizend sind geniale Augen,
Die unsre Zärtlichkeit verstehn.«

»Noch anwendbarer aber,« bemerkte Fahlland, »dürften die Schlußverse sein:

Es gleicht mein Herz dem grauen Freunde,
Der zwischen zwei Gebündel Heu
Still nachdenkt, welches von den beiden
Das allerbeste Futter sei.«

»O Heine,« lachte Clement!, »Du hast verruchte Nutzanwendungen. Doch gleichviel! So werde denn mein Herz auf dem Wege notwendiger Subhastation der Meistbietenden zugeschlagen.« –

»Sehr judiziös bemerkt. Folglich der Generalin?«

»Das ist noch die Frage. Die Blanken haben Geld, viel Geld. Alwine stammt aus der ersten Ehe – das ganze Vermögen fällt ihr allein zu – die Mutter hat zum zweiten Mal geheiratet – einen Herrn von – von – den Namen überhörte ich – einerlei –«

»Ich regrettierte nur die Soupers sins bei Frau von Weißenfels; ihr Koch ist ein Genie,«

»Beruhigen Sie sich, Fahllund; es soll auf jeden Fall für einen gleich genialen Künstler gesorgt werden. Doch jetzt an die Toilette, Für den heutigen Ball bin ich bereits zum ersten Walzer und Kotillon mit Alwinen engagiert – Emmeline erscheint nicht – sie leidet an der Migräne – dieser Abend ist mein. Morgen früh zur Generalin – nachmittags aber nach Häringsdorf; Alwine will mich dort ihrer Mutter vorstellen.«

 

Die Schatten der Buchen, welche das Badehaus und die zerstreuten Wohnungen von Häringsdorf umgeben, begannen bereits zu wachsen. Badegäste und die aus Swinemünde eingetroffenen Fremden verließen wiederum die kühleren Zimmer, in denen sie gegen die Strahlen der Sonne Schutz gesucht hatten, und irrten in einzelnen Gruppen unter den schlanken Stämmen des Buchenwaldes, oder erklommen die vorliegende Anhöhe, um ihr Auge an dem ewig neuen Anblick der unermeßlichen Meeresfläche zu weiden. Die See schien zu träumen; nur die flimmernde Bewegung des langen Sonnenstreifes und das rasche Vorübergleiten eines fernen Segels belebten die feuchte Wüste.

Die an dem jähen Abhang des Berges errichtete Barriere ward nicht leer von Fernschauern, welche das großartige Schauspiel nach besten Kräften mit mark- und seelenlosen Ausrufungen und banalen Bewunderungsfloskeln verhunzten. Die Herren schauten mit dem Kopf durch ihre gespreizten Beine auf das Meer, um durch die verkehrte Richtung der Pupille eine neue überraschende Ansicht zu gewinnen. Ein ältlicher Berliner Rentier, zu dergleichen Leibesübungen durch seine Korpulenz unfähig, begnügte sich damit, seinem auf der Bank stehenden Gefährten durch die geöffneten Beine zu gucken, in der Voraussetzung, ein Piedestal sei so gut als das andere.

Auch Herr von Elementi befand sich, pünktlich dem gegebenen Rendezvous Folge leistend, auf jener Anhöhe, obwohl als sehr anteilloser Zuschauer, dehnte sich gelangweilt auf einer Ruhebank, schlenkerte mit den Beinen und gähnte das Meer an. Fräulein Blanken blieb ihm unsichtbar.

In dem verdrießlichen Gefühl des vergeblichen Wartens gesellte sich noch die Erinnerung an seine letzte Unterhaltung mit der Generalin. Er hatte sie nur noch vor wenigen Stunden gesprochen, hatte sie weicher und zärtlicher und hingebender gefunden, als er es nach so kurzem, so plötzlich angesponnenem Verhältnisse vermuten durfte. Die Wahrheit war, daß Frau von Weißenfels anfänglich von der Neuheit der Situation überrascht, sich doch sehr bald in ihr gefallen, und sich zuletzt selber in die Liebe hineingeredet hatte. Findet man doch häufig, daß Menschen von reiferem Alter um so leichter Opfer der Leidenschaften werden, je länger diese bei ihnen geschlummert, und daß der kaum geweckte Funke in unbegreiflich kurzer Zeit zur verzehrenden Flamme anwächst. Die Hast, mit welcher die in späteren Jahren geschlossenen Bündnisse immer betrieben werben, und ihr fast jederzeit unglücklicher Ausgang bestätigt die Richtigkeit dieser Bemerkung. Die Generalin war Clementi's Antrag noch zuvorgeeilt; mit Ungeduld sehnte sie den Augenblick herbei, Wo sie das neue Verhältnis durch Publizität sanktionieren könne, Sie glaube, waren ihre Worte, durch Aussprechen dieses Wunsches sich nichts in den Augen ihres Verehrers, in denen der Welt zu vergeben – zieme es ihr doch in ihrer Stellung zu dem Jüngeren, die Initiative zu ergreifen. Die leise Hindeutung, wie sie die reichere, begabende sei, und dem Mittellosen ein unabhängiges Sort bereite, sollte diesen vollends bestimmen, sich ihrer Leitung zu unterwerfen, in die möglichst baldige Feststellung des noch Schwankenden einzuwilligen. Sie hatte Herrn von Clementi auf den folgenden Tag zu sich beschieden, um ihn den Ihrigen als ihren Verlobten vorzustellen. Wenn es nun schon in der Natur des Menschen allgemein liegt, das Sichere gering zu achten, und nur dem Fernen mit um so größerem Ungestüm nachzustreben, je unerreichbarer es ihm ist, um wie viel mehr mußte sich nicht dieses Haschen nach dem Scheine bei einem so unklaren, unentschiedenen, molluskenähnlichen Charakter, wie der unseres Helden, hervorstellen. Die rasche Entscheidung seines Schicksals bedrängte ihn ans das peinlichste. Das Auffallende, sogar Lächerliche, welches seine Verbindung mit der um so viel älteren Generalin trug, bedäuchte ihm in diesem Augenblick unerträglich, ihr ganzes Betragen unweiblich, ohne daß er erwogen hätte, wie unmännlich das eigene sei. Seine Phantasie umflocht Alwinens Bild mit der ganzen Strahlenglorie, welche auf Emmelinens Haupt erblaßte – er bildete sich ein, das Fräulein wirklich zu lieben, und war trostlos, daß sie gerade jetzt, in dem letzten Momente, wo er noch nicht unwiderruflich gebunden sei, zu erscheinen säume.

Während dieser melancholischen Monologe stieg ein neuer Schwarm von Gästen auf dem geschlängelten Pfade den Berg hinan, Clementi erkannte in ihnen zum Teil seine Reisegesellschafter auf dem Dampfschiffe, die Majorin mit dem schwärmerisch äugelnden Fräulein Leontine, die Tante Baronin, den freien Standesherrn mit seinen minderfreien Vettern. Nur eine der Damen war dem Baron fremd – ein schönes, interessantes Weib mit feingeschnittenen, gemütvollen schwärmerischen Augen. Ihre regelmäßigen, feinen Gesichtszüge hatten für Clementi etwas Bekanntes, ohne daß er sich Rechenschaft geben konnte, ob er sie schon früherhin einmal erblickt, oder ob eine flüchtige Ähnlichkeit ihn irre führe. Einen Augenblick glaubte er eine Verwandtschaft ihrer Züge und Alwinens aufgefunden zu haben, dann wieder mit denen der Generalin, bald aber glaubte er diese Bemerkung wieder als illusorisch verwerfen und sie lediglich als ein Spiel der mit jenen Bildern beschäftigten Phantasie betrachten zu dürfen.

Interesse an dieser neuen Erscheinung, Überdruß an seinem unfreiwilligen Isolement und das dringende Verlangen, sich gegen das immer klarer werdende Bewußtsein seiner peinlichen Lage zu betäuben, bewogen den Baron, sich unter die Gesellschaft zu mischen und die frühere Bekanntschaft mit einem Teil derselben geltend zu machen. Die Fremde lehnte sich, in die Ferne schauend, in Träumereien verloren, über das Geländer. Das Schnupftuch entglitt ihren Händen, ward vom Wind lose entführt und den Abhang hinunter dem Meere zugetrieben, Clementi schwang sich behend über die Barriere, stürzte sich unter allgemeinem Schrei des Entsetzens sämtlicher weiblichen Organe - obschon die einzige Gefahr, der er sich aussetzte, nur darin bestand, seinen modischen Frack dem Flugsande preiszugeben – dem flatternden Flüchtling nach, erhaschte ihn glücklich und brachte ihn im Triumph der holdselig errötenden Eigentümerin zurück. Die Bekanntschaft war gemacht. Der freie Standesherr deklinierte ihre beiderseitigen Namen in aller Form Rechtens, und nannte die Schöne dem Baron als Athanasia von Gehrkow, Witwe und Besitzerin der Herrschaft Gehrkow.

Menschen ohne Tiefe des Gemütes oder des Geistes gleichen dem spiegelnden Wassertropfen, dessen Färbung im steten Wechsel und von der Außenwelt abhängig, bald von der Sonne durchglüht als Goldkorn funkelt, bald grau und einförmig die darüber hinwegziehende Wolke reflektiert. Ein solcher war Clementi. Die Erinnerung an die Abwesenden erblindete vor dem Schimmer des neu aufgehenden Gestirns. Nur dem Augenblick lebend warf er sich blindlings in den Wirbel, zog es bei der ihm eigenen Negativität vor, sich von ihm ergreifen und sich von den Begebenheiten beherrschen zu lassen, statt ihrer Meister zu werden.

Männer, wie Baron Clementi, welche, ohne die wahre Liebe jemals zu kennen, dennoch fortwährend huldigend dem weiblichen Geschlecht entgegentreten, jene sogenannten Courmacher von Profession, finden nur allzuhäufig bei dem gewöhnlicheren Weibe Eingang und wohlwollende Aufnahme – mag diese nun von dem Gefühl einer momentanen Leere, von Gedankenlosigkeit, oder von gleich verwerflicher Koketterie begünstigt werden – als daß der Glaube an ihre Unwiderstehlichkeit, trotz der vielfachen Erfahrungen des Gegenteils, nicht bei ihnen Wurzel schlage. Voll von dieser Überzeugung und den verlorenen Tag als ein anderer Titus verabscheuend, faßte er den Entschluß, den heutigen durch Eroberung der Frau von Gehrkow zu verherrlichen. Ging ihn nun gleich jene wunderbare Zauberkraft, welche begabte Männer durch ihre bloße Erscheinung auf Frauen ausüben, völlig ab, so hatte sich Clementi dennoch durch Übung eine gewisse Virtuosität im Anknüpfen einer Intrigue erworben. Auch ohne tiefere Menschenkenntnis zu besitzen, wußte er jedesmal den Ton nachzuklingen, welchen seine Duettistin angab oder hören wollte, und wechselte so aus Instinkt je nach Bewandtnis der Umstände bald mit derf sentimental-ironischen, bald mit der romantisch-frivolen, mit der aristokratisch-brüsken, mit der Weltenschmerz heuchelnden zerrissenen Herzmaske.

Frau von Gehrkow schien die erstere, die sentimental-elegische, Rolle zu verlangen, und augenblicklich brachte Clementi sein Gesicht in den homogenen Faltenwurf. In kurzer Zeit nahmen seine Aufmerksamkeiten jenen exklusiven Charakter an, welcher an und für sich so bedeutungslos erscheint, von Frauen jedoch nie verkannt wird. – Jenes Überhören der fremden Rede, das Aufhorchen auf die Stimme der Erkorenen, das Verfolgen jeder ihrer Bewegungen, das leise Vorausahnen ihrer Wünsche – alle jene Symptome heimlicher Leidenschaft wurden mit Gewandtheit und Leichtigkeit zur gehörigen Zeit und auf unzweideutige Weise offenbart. Herr von Clementi war kein Genie in der Liebe, aber ein um so größeres Talent.

Man trat die Heimfahrt an, Clementi in dem Wagen der Frau von Gehrkow.

Es wohnt den Nächten am Meeresstrande ein stiller geheimnisvoller Zauber inne, welcher auch nach jahrelanger Trennung nichts von seiner Gewalt einbüßt, und noch in der Erinnerung sehnsüchtig-lockend, heimwehlich-mächtig nachtönt. Tiefes Schweigen herrscht auf der Düne; nur das Rauschen der auf dem Strand verschwimmenden Wogen, das Sausen des Windes durch das niedrige Kieferngestrüpp unterbricht es von Zeit zu Zeit. Geräuschlos rollen die Räder, stampfen die Rosse den feuchten Sand. Der Mond beglänzt mit falbem Licht die Sandhügel, spiegelt seine glänzende Lichtstraße in den Wellen ab und haucht seinen matten Goldschimmer auf die schaumgelockten Häupter der Wogen; auf der See tanzt die schwankende Laterne vom Spiegel eines Schiffes, dem Irrlicht gleich,

Clementi kannte den Einfluß, welchen die jedesmalige Umgebung auf das menschliche Herz, namentlich auf das zarter besaitete weibliche ausübt, zu genau, als daß er die elegische, weichere Stimmung, in welcher sich die melancholisch-öde Gegend, das ungewisse Mondlicht traumhaft abspiegelten, ungenutzt hätte verflüchtigen lassen sollen. Lauernd spannte er die aus Sentimentalität, Einsamkeit und Schmeichelei gedrehte Schlinge, harrte mit kalter Überlegenheit, bis das Opfer sich fest in sein Lügengewebe verstrickt habe, um dann rasch den Knoten zu schürzen und sich der wehrlosen Beute zu bemeistern. Er preßte Athanasia's Hand an seine Lippen, er stammelte in glücklich-geheuchelter Verwirrung Schwüre her ewigen Liebe, er fühlte den blöden Gegendruck ihrer Hand, Athanasia's Freundin war entschlummert, oder nahm wenigstens die Maske der Schlafenden vor. – Clementi schied von seiner neuesten Eroberung mit dem stolzen Bewußtsein eines wohlangewandten Tagewerks. Er gemahnte sich wie Cäsar, kommend, sehend, siegend, war überaus zufrieden mit sich, und sah mit der Seelenruhe eines guten Gewissens der morgenden Lösung dreier Liebesrätsel entgegen.

 

Fahlland trat zahnstochernd nach eingenommenem Diner in das Zimmer. Sein Blick fiel auf den Baron Clementi, welcher blässer als gewöhnlich, augenscheinlich nervös-affiziert und leidend auf dem Sofa ruhte. Schweigend betrachtete er den Verschmachtenden durch die Lorgnette und spottete mit mephistophelischem Lächeln: »Dreimal beglückter Held, endlich sehe ich Sie unter Ihrer Thaten Gebirgslast erliegen. Sechs geleerte Flaschen Soda-Wasser waren noch nicht imstande, den vom Siegesflug erschlafften Heroen wieder aufzurichten, wie es scheint. Welche neue Wunderwerke werde ich wieder vernehmen müssen? Sprechen Sie, Baron, erzählen Sie, bezaubern Sie mein lauschendes Ohr, Sie liebender Roland, mit Aufzählung Ihrer märchenhaften Siege.«

»Ich bitte, ich beschwöre Sie, Fahlland,« stammelte Clementi tonlos, »schonen Sie meiner. Ich bin wehrlos, zu Boden geschmettert, von dem unerhörtesten Unglücke zermalmt –«

»Oh! wo soll das hinaus? Sie machen mich neugierig,« rief Herr von Fahlland, indem er sich eine Zigarre anglimmte und behaglich mit gekreuzten Beinen in den Lehnstuhl warf.

Clementi schüttelte elegisch den Kopf, schickte diverse Verwünschungen des Schicksals, sowie der Stunde, in welcher er geboren wurde, voraus, und begann dann, mit schweren Seufzern und nicht minder gewichtigen Flüchen seine Erzählung melodramatisch begleitend: »Die Generalin hatte den heutigen Morgen bestimmt, um mich den Ihrigen als erklärten Bräutigam vorzustellen. Ich will nicht in Abrede stellen, daß meine Passion für sie seit zwei Tagen bedeutend verkühlte; zwei neuere Verhältnisse, die jugendlichern Bilder Alwinens und Athanasiens drängten Emmelinens in den Hintergrund. Nur allein die Goldfolie der letzteren war noch nicht völlig erblaßt. Dieser Magnet und der zufällige Umstand, daß meine rastlos umherschweifenden Augen nirgends auf die meinem Herzen teureren Gegenstände stießen, verbunden mit der Langeweile, welche mich in diesem trivialen Orte beschlich, bewogen mich, die Stunde des Stelldicheins einzuhalten. Mit innerlichem Widerstreben ging ich zur Generalin. – Die innere Stimme, der Soldatische Genius mahnte mich von dem verhängnisvollen Gange ab – er mahnte vergeblich, Emmeline empfing mich mit zärtlichen Vorwürfen über mein gestriges Ausbleiben. Nur den lecksten Lügen mochte es gelingen, nicht ganz ungerechte Empfindlichkeit zu beschwichtigen. Mehr vielleicht noch als meine Überredungskraft trug die innerliche Ungeduld, sich als Braut ihren Kindern zu zeigen, zur schnellen Versöhnung bei. Kommen Sie, teurer Freund, im Nebenzimmer harrt meine Tochter und – wie sie mit süßer Scham hinzufügte – meine Enkelin. Sie wissen, wen ich ihnen zuzuführen gedenke – nur noch den Namen verschwieg ich.« Ich reiche Emmelinen den Arm – die Flügelthüren springen auf – ich vernehme die feierliche Vorstellung der Generalin: Baron Clementi, mein Verlobter – ein Doppelschrei schlägt an mein Ohr – ich sehe auf – entsetzlicher Anblick – Athanasia von Gehrkow ist die Tochter – Alwine von Blanken die Enkelin!« –

Fahlland brach in ein wütendes Gelächter aus: »Erhörter Liebhaber dreier Generationen Bräutigam der Tochter, der Mutter, der Großmutter!! Und für welche entscheiden Sie sich? Für die äußerste Rechte, die Linke, oder das juste-mìliéu

Der Baron sank erschöpft in den Sofa zurück und zerwühlte krampfhaft den kunstvollen Lockenbau, »Kolossales Pech!« ächzte er – »drei reiche Partieen auf so unerhörte Art zu verscherzen! Morgen gehe ich mit dem Dampfbot nach Kopenhagen, nach Norwegen – gleichviel wohin – nur weit, weit von hier. Alles verloren – alles! Oh!« –


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