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Erstes Kapitel
Der Fall in der Botschaft

An einem Septembertage hatte ich Gelegenheit, nach Washington zu fahren, um mich mit einem Klienten über den Ankauf einiger Wertpapiere zu verständigen. Da Mrs. Barrister, meine Schwiegermutter, ein paar Tage krank gewesen war, hatte ich während dieser Zeit meinem Bureau fernbleiben müssen und daher auch meinen alten Freund Ledroit Conners Ledroit Conners, der geniale Amateurdetektiv, ist den Lesern von Engelhorns Romanbibliothek aus dem früher erschienenen Bande »Übertrumpft« (XXVII. 20) wohl bekannt. nicht zu Gesicht bekommen. Wie ich ihn kannte, mochte er unterdessen wohl vor der Staffelei seines Ateliers seinen einsiedlerischen Neigungen gefrönt oder die Zeit mit seinen geliebten französischen Romanen totgeschlagen haben. Denn seiner Ansicht nach besaßen nur die Pariser Schriftsteller eine Erfindungsgabe, mit der allein diejenige eines Poe an Genialität sich messen konnte.

Meine häuslichen Angelegenheiten gaben zu augenblicklichen Befürchtungen keinen Anlaß mehr und erlaubten mir daher, mich wieder um meine so lange vernachlässigten Geschäfte zu kümmern. Da ich jedoch unangemeldet kam, traf ich meinen Klienten nicht mehr an und sah mich nun vor die Wahl gestellt, entweder noch einmal nach Washington zu reisen oder auf ihn zu warten; ich entschied mich für das letztere. Washington ist wie London eine Stadt mit eigenartigen klimatischen Verhältnissen, und an diesem Tage regnete es gerade Bindfaden.

Rasch eilte ich daher durch die nassen Straßen, in deren Pfützen sich bereits die Bogenlampen spiegelten, vom Finanzministerium nach meinem Hotel, als mir plötzlich jemand auf die Schulter klopfte. Ich drehte mich um und erkannte Conners. »Morgen!« rief er. »Kurz bevor ich New York verließ, telephonierte ich Sie an und erfuhr durch eine süße, liebliche Stimme, daß Sie hier seien. Unser Zusammentreffen überrascht mich infolgedessen nicht, wie Sie sehen. Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört, daß ich schon fürchtete, Sie seien krank; doch hat jene angenehme Stimme mich darüber beruhigt. Ich freue mich außerordentlich, Sie wiederzusehen.«

»Und was treibt Sie hierher?« fragte ich, ebenso erfreut.

»Neugier, Abenteuerlust und jene unbezwingliche Neigung, mich in Dinge zu mischen, die mich im Grunde genommen – gar nichts angehen. Es handelt sich um einen interessanten Fall im diplomatischen Korps, der die Fähigkeiten eines gewerbsmäßigen Detektivs bei weitem übersteigen soll. Wie Sie sehen, eine wichtige Sache.«

»Zweifellos,« erwiderte ich, aufs höchste interessiert, wie bei allen Fällen, mit denen sich dieser kluge Kopf befaßte. »Dürfen Sie mir etwas darüber mitteilen?«

»Ich darf sogar noch mehr,« entgegnete er mit seinem gewinnenden Lächeln. »Ich werde Sie sogar zu meinem Bundesgenossen machen. Die Leitung des Verfahrens behalte ich mir allerdings vor, sonst müßte ich auf Ihre Mitarbeit dankend verzichten. Kommen Sie mit auf mein Zimmer, ich habe gerade noch Zeit genug, Sie in den augenblicklichen Stand der Angelegenheit einzuweihen.«

»Famos, daß wir uns getroffen haben,« bemerkte ich, als wir in das Bureau des Hotels traten, wo Conners seinen Zimmerschlüssel in Empfang nahm. »Ich bin ganz allein hier und dachte schon daran, heute abend ins Theater zu gehen.«

»Was Sie jetzt hören werden, ist interessanter als ein Stück auf den Brettern,« meinte mein Begleiter lachend, »zum mindesten ebenso romantisch und besitzt obendrein den Reiz der Wirklichkeit.«

Conners' Zimmer zeigte deutliche Spuren eiliger Besitzergreifung, denn auf dem Bett lag eine geöffnete Aktenmappe neben einem Reisenecessaire, während auf dem Fußboden ein Schiffskoffer seinen Platz gefunden hatte. Bürsten, Kämme, Krawatten sowie Kragen waren in buntem Durcheinander über den Ankleidetisch verstreut.

»Ich bin beim Barbier gewesen,« erklärte Conners, »und von dort aus ging ich gleich ein paar Straßen weiter, um mir eine besondere Zigarettenmarke zu besorgen, die ich heute nachmittag in einem Laden gesehen hatte. Seit heute morgen bin ich hier; wie lange ich bleiben werde, hängt ganz von dem Erfolg meiner Nachforschungen ab. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Angelegenheit mich noch nach Europa oder Südamerika führt, daher mein Gepäck,« setzte er, auf den Koffer deutend, hinzu.

»Sie wollen mich doch nicht etwa so weit in die Sache hineinziehen?« fragte ich lachend.

»Ich hoffe, selbst nicht so weit hineingezogen zu werden,« erwiderte er; »wenn ich aber einmal etwas übernehme, dann führe ich es auch bis zu Ende durch. Ich habe meinen Klienten noch nicht gesehen, werde ihn aber so bald wie möglich aufsuchen. Gewöhnlich kommen meine Klienten ja zu mir, doch mache ich auch manchmal Ausnahmen, wenn es sich um Damen oder hochgestellte Persönlichkeiten handelt. Sagen Sie mal, führen Sie auf Ihren Geschäftsreisen einen Gesellschaftsanzug mit?«

»Nur wenn ich nach Washington komme,« entgegnete ich.

»Gut! Es ist immerhin möglich, daß Sie ihn brauchen. Vorläufig will ich mich erst einmal in Gala werfen, unterdessen können Sie diesen Brief lesen.«

Dabei warf mir Conners ein Schriftstück zu, das ich rasch auffing, während er fortfuhr: »Es wird Ihnen in mancher Hinsicht sehr merkwürdig erscheinen, denn es verrät eine tiefgründige Kenntnis der menschlichen Psyche. Die Moralisten wundern sich immer, daß Verbrechernaturen ihre ganze Energie auf straffällige Dinge konzentrieren, das Genie, das imstande ist, eine Banknote geschickt zu fälschen, könnte ihrer Meinung nach ebenso erfolgreich die Stellung eines Bankdirektors ausfüllen. Aber da liegt eben der wunde Punkt! Das in Frage kommende Genie fühlt gar nicht die Neigung, Bankdirektor zu werden. Sein perverser Geschmack strebt dem Gesetzwidrigen zu wie der Funke dem Sauerstoff.«

Das Schriftstück, das ich in der Hand hielt, steckte in einem reich geprägten Briefumschlag von dickem Papier und moderner quadratischer Form. Es bestand aus einer künstlerisch lithographierten Einladungskarte von beträchtlicher Größe nebst einem Briefe in Maschinenschrift auf dem amtlichen Papier einer unsrer wichtigsten Botschaften und hatte folgenden Wortlaut:

»Verehrte gnädige Frau! Im Auftrag des Gesandten übermittle ich Ihnen, der Gattin eines der angesehensten Bürger unsres Landes, eine Einladung zu dem am 28. ds. Mts. auf der Gesandtschaft stattfindenden Balle, dem sowohl die Mitglieder des diplomatischen Korps als auch die Spitzen der Militärbehörden beiwohnen werden. Ja, sogar das Haupt der Nation wird dieses Fest, das infolgedessen die glänzendste Veranstaltung der Saison zu werden verspricht, durch seine Anwesenheit auszeichnen. Es werden etwa dreihundert Einladungen an führende Persönlichkeiten verschickt, und wir hoffen, daß Sie unter diesen nicht fehlen werden. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die beiliegende Karte nicht übertragbar ist, muß Sie aber im Anschluß daran noch höflichst ersuchen, die Einladung bis zum Festabend als streng vertraulich zu betrachten. Unsre Botschaft befindet sich nämlich in der heiklen Lage, eine Anzahl hochgestellter Persönlichkeiten diesmal übergehen zu müssen, die es sicher übel vermerken würden, wenn sie erführen, daß wir auch nach außerhalb Einladungen verschickt haben.

Ferner bin ich ermächtigt, Ihnen noch ein andres Anerbieten zu machen, das ebenfalls gleichzeitig eine Auszeichnung für Sie in sich schließt. Die Damen des diplomatischen Korps, beabsichtigen anläßlich des Jahrestages der Unabhängigkeitserklärung eine Marmorgruppe und ein Gedächtnisbanner zu stiften, und haben den Damen unsrer Botschaft den Vorsitz in dieser Angelegenheit übertragen. Obwohl das sonst nicht üblich ist, glaubten wir doch in einem derartigen Falle eine Ausnahme machen zu dürfen, und haben daher in unsrer Donnerstagsitzung beschlossen, auch Sie zur Beteiligung an dieser Spende aufzufordern. Von Schecks und Wechseln bitten wir absehen zu wollen, da vermieden werden soll, daß die Namen der Spender der breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Der Beitrag – am geeignetsten wäre wohl eine neue guillochierte Fünfdollarnote oder eine beliebig höhere Summe – ist an die Adresse des Botschafters, Postfach New York City, zu senden, von wo aus alle weiteren Einzelheiten der Subskription erledigt werden. Eine Liste sämtlicher Spender und ihrer Beiträge soll später, in blaues Maroquinleder gebunden, im Smithsonian-Institut deponiert werden.

Mit den besten Empfehlungen, auch von seiten meines Gatten, zeichnet in vorzüglichster Hochachtung ...«

Hierauf folgte die Namensunterschrift der Gattin des Botschafters samt allen Titeln und Attributen ihres Ranges.

Ich betrachtete jetzt nochmals eingehend die elegante Einladungskarte, deren vornehme Ausführung und respekteinflößende Größe wohl geeignet sein mochte, in jedem Empfänger verlockende Vorstellungen von jener glänzenden und erlauchten Gesellschaft zu erwecken, die sich an dem genannten Tage unter den Kristalllüstern des Botschafterpalais zusammenfinden würde.

»Jede Einladung dürfte also durchschnittlich fünf Dollars einbringen,« sagte ich dann zu Conners. »Wenn aber nur dreihundert verschickt wurden –«

»Pah – dreihundert!« wiederholte er lachend. »Diese Karte ist eine von den dreißigtausend, die von Maine bis Texas an die Frauen aller namhaften Politiker gesandt worden sind.«

Jetzt endlich begann die Kühnheit des Planes mir allmählich aufzudämmern.

»Donnerwetter!« rief ich in ehrlicher Verblüffung. »Von all den abgefeimten Bübereien, die ein findiges Verbrechergehirn jemals ausgeheckt hat, ist dies doch die allerärgste. Wenn ich denke, daß jemand die Frechheit haben könnte, meiner Frau so etwas zuzusenden, ich wäre imstande, den Kerl –«

»Sachte, Freundchen, sachte,« fiel Conners lachend ein; »unsere Herren Spitzbuben wollen doch ebenfalls leben, und so widerwärtig dieser ganze Schwindel auch ist, – brutal wie so manchen, den wir beide kennen lernten, kann man ihn wenigstens nicht nennen.«

»Oh, er ist viel schlimmer als brutal,« brach ich los. »Der unvermeidliche Skandal kann dem Ansehen des Botschafters und der Gesundheit seiner Gattin den schwersten Schaden zufügen. Außerdem wird das ganze so unerhört düpierte Land in Aufregung geraten, und Sie wissen doch, was das bedeutet. Protestversammlungen an allen Ecken und Enden, racheschnaubende Kriegsgelüste in jedem Käseblättchen und ähnliche Annehmlichkeiten. Die Sache ist doch sofort der Postverwaltung gemeldet worden?«

»Selbstverständlich; aber bilden Sie sich wirklich ein, daß ein geriebener Spitzbube eine solche Eventualität außer acht ließe? Da! Lesen Sie mal diesen Brief hier.«

Mit diesen Worten reichte er mir ein zweites Schriftstück, das ich hastig ergriff. Es war ebenfalls in Maschinenschrift auf dem amtlichen Papier der Botschaft geschrieben, trug die Adresse des Postinspektors und lautete folgendermaßen:

»Sehr geehrter Herr! Meine Regierung hat mich beauftragt, über den Anbau gewisser Obstsorten und die klimatischen Bedingungen zur Erzielung möglichst reicher Erträge statistische Erhebungen anzustellen. Es sind daher an die verschiedenen Staaten und Territorien Fragebogen herumgeschickt worden, die ausgefüllt an ein besonderes, mit der Sichtung des Materials betrautes Bureau in New York zurückzusenden sind. Um nun die Postverwaltung mit dieser Angelegenheit möglichst wenig zu belästigen, haben wir ein Postfach gemietet, aus dem die betreffenden Beamten die eingehenden Sendungen abholen können, und ich ersuche Sie daher höflichst um die in solchen Fällen üblichen Vergünstigungen. Eine Bestätigung dieses Briefes bitte ich an das Sekretariat des Statistischen Amtes, 15 A Wallstreet, zu richten, und zeichne mit vorzüglicher Hochachtung usw.«

Unterzeichnet war das Schriftstück mit dem Namen des Botschafters.

»Sehen Sie!« sagte Conners, der mich lächelnd beobachtete. »Und hier ist noch ein drittes, höchsteigenhändiges Schreiben Ihrer Exzellenz an den Generalpostdirektor; achten Sie bitte genau auf den Ton, in dem es abgefaßt ist.«

Neugierig ergriff ich den Brief und las laut:

»Geehrter Herr! Zu meinem größten Leidwesen sehe ich mich gezwungen, Ihnen mitzuteilen, daß anläßlich des Botschaftsballes am 28. ds. Mts. gewisse mir feindlich gesinnte Personen sich einen schlechten Scherz mit mir erlauben wollen. Da ich meinen Gatten mit dieser ärgerlichen Geschichte nicht behelligen möchte, so bitte ich Sie inständigst, einige an Sie gerichtete Briefe, die lediglich den Zweck verfolgen, mich zu kränken und zu beunruhigen, freundlichst zurückzuhalten. So lächerlich die ganze Sache ist, hat mich die Entdeckung dieser Intrige doch außerordentlich angegriffen. Aus diesem Grunde möchte ich Sie auch ersuchen, von einer Bestätigung meines Briefes absehen zu wollen. Später, wenn meine Nerven sich erst wieder beruhigt haben, werde ich nicht verfehlen, Ihnen meinen Dank für Ihre freundliche Rücksichtnahme persönlich abzustatten. Mit vorzüglicher Hochachtung usw.«

»So, das wäre alles,« sagte Conners; »fein eingefädelt, wie? Die Halunken wußten ganz genau, daß Fixigkeit das A und O bei dem Handel sei; auf das Geld, das nicht postwendend einlief, durften sie überhaupt nicht rechnen. Um ihr Schäfchen ins trockene zu bringen, brauchten sie also höchstens acht bis zehn Tage und können sich dann, da sie während dieser Zeit pro Minute durchschnittlich einen Dollar eingenommen haben, gehörig ins Fäustchen lachen.«

»Ist denn der Botschafter von dem Schwindel nicht in Kenntnis gesetzt worden?« fragte ich meinen Freund.

»Na und ob,« rief Conners lächelnd. »Zwei Tage und Nächte ist er ruhelos in seinem Zimmer auf und ab gewandert, während Ihre Exzellenz infolge der Aufregung sogar das Bett hüten muß. Glauben Sie aber ja nicht, mein Lieber, daß die Sache schon an die große Glocke gekommen ist, weil ich sie Ihnen hier so haarklein erzähle. Es sind im Gegenteil nur die zuverlässigsten höheren Kriminalbeamten ins Vertrauen gezogen worden, und von zuständiger Seite wird alles aufgeboten, um einen Skandal nach Möglichkeit zu verhindern, womit die schlaue Gaunerbande natürlich auch gerechnet hat. Heute fragt kein Mensch mehr am Schalter des New Yorker Hauptpostamtes nach Eingängen, und die spärlichen Sendungen, die jetzt noch einlaufen, werden beschlagnahmt, um später in angemessener Weise Verwendung zu finden.«

»Na, da sind die Hüter der Ordnung ja schön übers Ohr gehauen worden,« sagte ich lachend.

»Allerdings, aber die Sache hat noch eine Kehrseite,« fuhr Conners in ernstem Ton fort. »Denken Sie an all die enttäuschten Frauen im ganzen Lande, die ihrer gesellschaftlichen Eitelkeit und der politischen Stellung ihres Mannes ihr gutes bares Geld opferten. Wenn sie nicht reinen Mund halten und die Zeitungen sich erst dieser Angelegenheit bemächtigen, so können derartige diplomatische Verwickelungen daraus entstehen, daß unser armer Botschafter froh sein würde, sich auf irgendeinen obskuren Posten in Südamerika flüchten zu können, bis über die Geschichte Gras gewachsen ist.«

»Wie sind Sie denn eigentlich hinter den Schwindel gekommen?«

»Durch den Botschafter selbst, den ich vor einigen Jahren in den Spielsälen von Monte Carlo kennen lernte. Ich war damals noch jünger, tat mir auf meine kriminalistischen Fähigkeiten nicht wenig zugute und rühmte mich ihm gegenüber meiner Findigkeit. Da es mir gleich darauf gelang, die Ursache eines geheimnisvollen Selbstmordes am Spieltisch aufzuklären und ihm dadurch den Beweis für meine Behauptung zu liefern, sagte er sich als lebenskluger Mann, daß man sich eine derartige Bekanntschaft warm halten müsse. Er verfolgte daher mit großer Aufmerksamkeit mehrere der von mir bearbeiteten Fälle und bat, als er diesem Gaunerstreich hier auf die Spur kam, dringend um meinen Beistand, denn ein so gewiegter Diplomat er sonst auch sein mag – auf diesem Gebiet wird seine Kunst zuschanden.«

»Können Sie ihm denn helfen?«

»Hoffentlich, sonst wäre ich nicht hier. Sie wissen ja, es gibt so leicht keinen Fall, an dessen Lösung ich mich nicht herantraute. Hier allerdings tappe ich noch völlig im Dunkeln, denn dieses Gaunerstückchen fällt trotz seiner Pfiffigkeit so sehr in die Sphäre gewöhnlichen Hochstaplertums, daß dabei sämtliche in- und ausländische Spitzbuben als Täter in Betracht kommen könnten. Höchst wahrscheinlich hat ein findiger Kopf es ausgeheckt und die Ausführung seinen Helfershelfern überlassen, denn es unterscheidet sich von den Schwindeleien alltäglichen Schlages eben nur durch die geschickte Taktik – in jedem Langfinger steckt ja ein Stückchen Napoleon. Dies aber ist gerade einmal ein Fall, in dem uns die Polizei von großem Nutzen sein könnte, da ihr doch sicherlich eine ganze Anzahl jener dunkeln Ehrenmänner bekannt ist, besonders den Spezialisten in postalischen Verbrechen.«

»Haben Sie sich mit diesen schon in Verbindung gesetzt?«

»Ich sprach heute nachmittag mit dem Oberdirektor, der ganz ratlos war und mir leider nur sehr mangelhafte Angaben machen konnte. Ich halte es daher für das beste, mich direkt an den Botschafter zu wenden, eventuell auch an Ihre Exzellenz, falls sie sich schon wieder wohl genug fühlen sollte, uns zu empfangen. Ich sage ausdrücklich uns, denn ich beabsichtige, Sie mitzunehmen.«

»Je mehr ich über die Sache nachdenke,« antwortete ich, »desto größere Hochachtung empfinde ich vor dem Scharfsinn jener Banditen. Welch ein genialer Trick, sich ihre Opfer in den Kreisen der Diplomatie zu suchen, wo man mit einem derartigen Plan immer gewonnenes Spiel hat!«

»Ganz meine Meinung,« bestätigte Conners. »Und was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.«

»Danke sehr für das Kompliment,« bemerkte ich trocken. »Was haben Sie nun zunächst beschlossen?«

»Einen Besuch in den höchsten Kreisen. Daher müssen auch Sie Ihren Gesellschaftsanzug anlegen. Ich werde sofort einen Wagen holen lassen und Sie dann hier erwarten.«

Rasch suchte ich mein am andern Ende des Korridors gelegenes Zimmer auf, um mich in Gala zu werfen.

»Sie sehen ja großartig aus,« bemerkte Conners beifällig, als ich kurze Zeit darauf in meinem tadellos sitzenden Frack vor ihm stand. »Nun aber fix, der Wagen wartet schon unten.«

»So! Nun: ›Auf in den Kampf, Torero!‹ trällerte ich, ihm verständnisinnig zublinzelnd. »Ein sonderbares Jagdkostüm! ›Wir lauern auf ein edles Wild‹ und erscheinen aller Welt als ein paar Salonlöwen, die sich das Fest am 28. natürlich nicht entgehen lassen wollen.«

»Vorläufig will ich erst einmal das Gelände erkunden«, erwiderte Conners, ebenfalls lachend. »Ich weiß ja noch gar nicht, wo ich unsre Herren Spitzbuben überhaupt zu suchen habe. Den Gesellschaftsanzug wählte ich, um unter den Gästen des Botschafters möglichst wenig aufzufallen und desto ungestörter beobachten zu können.«

Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Botschaftspalais, ein großes, stattliches Gebäude, das beinahe den Eindruck machte, als ob es die tiefe Niedergeschlagenheit widerspiegele, in die jener Bubenstreich seine Bewohner versetzt haben mußte. Durch die hohen Spiegelscheiben schimmerte nur gedämpftes Licht und um die hohen Säulen des mächtigen Portals wob tiefe Dunkelheit einen Trauerflor, von dem die großen Kandelaber sich wie mattglimmende Fünkchen abhoben.

Ein feierlich aussehender Diener nahm unsre Karten in Empfang und führte uns in ein mit schweren Möbeln ausgestattetes Empfangszimmer, wo wir einige Zeit warten mußten, bis er uns dem Botschafter gemeldet hatte. Dieser empfing uns in einem Hinterzimmer des ersten Stockwerkes.

Er war sichtlich verstört, denn er streifte mich nur mit einem flüchtigen, nichtssagenden Blick und streckte mir, nachdem Conners mich vorgestellt hatte, eine matte, kraftlose Hand entgegen: meinen Begleiter begrüßte er jedoch mit offenkundiger Erleichterung.

»Mein lieber Mr. Conners, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen, und wie leid tut es mir, daß dies unter unerquicklichen Umständen geschieht. Denken Sie nur, ich hatte schon längere Zeit hindurch so eine unbestimmte Ahnung, als ob ich Ihrer Dienste sehr bald bedürfen würde, aber nie hätte ich mir's träumen lassen, daß es in einer derartigen Angelegenheit sein könnte. Wenn es Ihnen gelänge, uns zu retten, uns zu helfen – Sie würden mich auf ewig zu Ihrem Schuldner machen.«

Nicht nur diese Worte bewiesen, wie schwer das seelische Gleichgewicht des stattlichen, vornehm aussehenden Mannes erschüttert sein mußte, auch das gerötete Gesicht, die müden Augen und das zerwühlte Haar wichen so sehr von der unter normalen Verhältnissen sicherlich tadellosen Korrektheit seiner äußern Erscheinung ab, daß er sich in diesem Augenblick kaum von irgendeinem gewöhnlichen Bürger seines Landes unterschied.

Eine verzehrende Unruhe trieb ihn von einem Platze zum andern, und mit rastlosen Schritten durchmaß er das Zimmer, während wir auf seine Einladung hin Platz nahmen. Forschend, als wolle er meinen Gedankengang erraten, blickte Conners zu mir herüber, dann wandte er sich in ruhigem Tone an den Botschafter: »Ich begreife vollkommen die Schwierigkeit Ihrer Situation ...«

»Doch nicht so ganz, fürchte ich,« entgegnete der Botschafter. »Sie ahnen ja gar nicht, wie argwöhnisch man in diesem Lande alle meine Schritte beobachtet. Die eigentümlichen Beziehungen der Vereinigten Staaten zum Generalgouvernement erschweren meine Lage ganz besonders, denn jedes Kongreßmitglied und jeder Regierungsbeamte ist imstande, mir ernste Unannehmlichkeiten zu bereiten. Keinem kann ich mich anvertrauen – wehrlos, mit gebundenen Händen stehe ich da. Für die erschwindelten Geldbeträge könnte ich wohl Ersatz leisten und ich habe auch die feste Absicht, es zu tun. Da aber meine Person und mein Amt unlöslich miteinander verquickt sind, könnte mir eine derartige Bereitwilligkeit leicht als Eingeständnis einer gewissen Mitschuld ausgelegt werden; in amtlicher Hinsicht darf daher zwischen meiner Person und jenem Bubenstreich nicht die geringste Beziehung bestehen. Was soll ich also tun?«

»Für meine Tätigkeit kommt Ihre Absicht, Ersatz zu leisten, selbstverständlich nicht in Betracht,« erwiderte Conners. »Meine Aufgabe ist es vielmehr, Ihnen auf andre Weise zu helfen.«

»Gewiß, lieber Freund, gewiß! Aber wie?«

»Das ist mir selber vorläufig noch unklar,« antwortete Conners. »Zunächst müssen wir den Tatbestand feststellen und die Spitzbuben ausfindig machen; dann erst können wir weitere Maßnahmen treffen. Augenblicklich tappen wir noch völlig im Dunkeln.«

»Ach,« rief der Botschafter, »das Schlimmste habe ich Ihnen ja noch gar nicht mitgeteilt. Ich kenne den Verbrecher.«

»Damit wären wir freilich schon ein ganzes Stück weitergekommen,« sagte Conners ohne das geringste Zeichen von Überraschung. »Ihre Agenten scheinen prompt und umsichtig zu Werke gegangen zu sein, denn der Inspektor hat mir von einer solchen Entdeckung noch nichts gesagt.«

»Für diese Diskretion bin ich ihm von Herzen dankbar,« meinte der Botschafter.

»Ist der Gauner verhaftet worden?«

»Nein, und falls keine Klage anhängig gemacht wird, soll das auch nicht geschehen. Wir aber müssen des öffentlichen Skandals wegen alles aufbieten, um einen Prozeß zu verhüten.«

»Vor allen Dingen müssen wir erst einmal die Person oder die Personen feststellen, die an dem bewußten Schalter die Einsendungen in Empfang genommen haben,« meinte Conners. »Höchst wahrscheinlich steckten die Gauner mit den Postbeamten unter einer Decke. Ich sprach schon mit dem Inspektor über diese Möglichkeit, fand ihn jedoch sehr zugeknöpft. Da ja aber – wie Sie sagen – der Schwindler bereits entdeckt ist, muß man doch wohl derartigen Durchstechereien auf die Spur gekommen sein.«

»Die Einsendungen wurden regelmäßig von einem jungen Manne abgeholt, der in einer Droschke vorfuhr und sich anscheinend wenig Mühe gab, seine Person zu verbergen.«

»Das ist in der Tat höchst sonderbar,« bemerkte Conners nachdenklich. »Die Gauner mußten doch ganz genau wissen, daß hier der wundeste Punkt ihres ganzen Planes lag; man sollte daher meinen, sie hätten gerade beim Abholen der Geldbeträge die größte Vorsicht beobachten müssen.«

»Ja, wenn wir es mit einem gewöhnlichen Verbrechen und gewöhnlichen Verbrechern zu tun hätten,« murmelte der Botschafter. »Da dies aber nicht der Fall ist –«

»Die Sache wird ja immer interessanter,« rief Conners lebhaft. »Bitte, fahren Sie fort!«

»Die Persönlichkeit jenes jungen Mannes mußte sich dem Gedächtnisse leicht einprägen,« nahm der Botschafter den Faden des Berichtes wieder auf. »Er trug die Uniform eines Gesandtschaftssekretärs – wie man später erfuhr, natürlich eine Verkleidung – ferner eine graue Perücke nebst ebensolchem Schnurrbart. Ganz besonders auffällig aber wirkten bei ihm Augengläser von ungewöhnlichem Schliff, die wohl ein leichtes Schielen des rechten Auges verdecken sollten. Der linke Handrücken wies eine bläulich schimmernde Narbe auf.«

»Die durch einen Handschuh mühelos hätte verhüllt werden können,« brummte Conners.

»Freilich,« antwortete der Botschafter mit gepreßter Stimme. »Was sich aber nicht verbergen ließ, war ein Zungenfehler, den die Postbeamten ebenfalls jedesmal beobachtet haben.«

»Hm, die Herren Spitzbuben scheinen sich da allerdings einen merkwürdigen Vertrauensmann ausgesucht zu haben,« meinte Conners kopfschüttelnd. »Ich muß doch noch einmal mit dem Inspektor Rücksprache nehmen.«

»Nicht nötig,« erwiderte der Botschafter, »man hat die Spur des jungen Mannes bereits bis hierher verfolgt – es ist mein Sohn.«

Seine mühsam behauptete Selbstbeherrschung brach zusammen, fassungslos schlug er die Hände vors Gesicht.

»Was Sie mir da sagen, ist ganz unmöglich!« rief Conners in bestimmtem Ton.

Der Botschafter hob den Kopf, ein mattes Hoffnungsfünkchen schien in seinen Augen aufzuglimmen, doch gleich darauf übermannte ihn wieder die alte Verzweiflung.

»Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, lieber Freund,« sagte er matt; »aber aus dem Munde des Inspektors weiß ich bestimmt, daß an der Tatsache leider nicht zu rütteln ist. Die Mitteilung ist zuerst an das Botschaftssekretariat gegangen und dann an mich weitergegeben worden.«

»Hat der junge Mann bereits gestanden?«

»Ich habe bisher noch nicht den Mut gehabt, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Hoffentlich haben Sie auch Ihrer Frau Gemahlin nichts von der Sache erzählt.«

Wiederum schien Conners' Ton auf den völlig Gebrochenen eine belebende Wirkung auszuüben, denn er raffte sich zusammen und erwiderte etwas gefaßter: »Noch nicht. Der Skandal hat sie ohnehin arg genug mitgenommen; eine derartige Enthüllung würde ihr Tod sein – hat diese Angelegenheit doch mich schon beinahe an den Rand der Verzweiflung gebracht.«

»Ehe der junge Mann nicht selbst ein umfassendes Geständnis ablegt, bin ich von seiner Schuld keineswegs überzeugt,« sagte Conners. »Ich habe zwar nicht die Ehre seiner Bekanntschaft, kann mir aber nicht denken, daß der Sohn eines Botschafters sich in solche Schwindelmanöver einlassen sollte, die – falls auch seine Täterschaft dabei unentdeckt bliebe – doch der Amtsehre seines Vaters schweren Schaden zufügen müßten.«

»Das alles habe ich mir ja auch schon gesagt,« erwiderte der bedauernswerte Mann. »Doch hat er oft waghalsig und unglücklich gespielt, so daß mein Vertrauen zu ihm stark erschüttert ist.«

»Das allerdings belastet ihn sehr stark,« murmelte Conners.

»Aber ich hätte deswegen doch nicht an seine Schuld geglaubt, wenn nicht die Feststellungen des Postinspektors mir jeden Zweifel und damit auch jede Hoffnung genommen hätten,« rief der Botschafter.

»Wie hat Ihr Sohn sich Ihnen gegenüber benommen, als der Betrug ans Licht kam?«

»Wie ein vollendeter Heuchler. Er schien entrüstet, voll tiefsten Mitgefühls für mich und schließlich ebenso niedergeschlagen wie ich selbst, was ich dem erwachenden Gewissen und der Reue über den Schimpf zuschrieb, den er über uns alle gebracht hat. Noch auf einen andern Punkt muß ich Ihre Aufmerksamkeit lenken, Mr. Conners. Ich habe meinen Sohn nie knapp gehalten, doch hat er in letzter Zeit Summen verausgabt, die unmöglich auf rechtliche Weise in seinen Besitz gelangt sein können. Auch das haben die Polizeioffiziere ermittelt, doch war ich vorher schon von andrer Seite darauf aufmerksam gemacht worden und hatte mir vorgenommen, meinen Sohn deswegen einmal ins Gebet zu nehmen.«

»Ist Ihr Herr Sohn Offizier?«

»Nein. Er hat ebensowenig Neigung für das Soldatenleben wie seine Brüder, daher habe ich ihn auf der Botschaft beschäftigt. Er ist grüblerisch und lernbegierig, dabei ein recht anschlägiger Kopf, hat also ganz das Zeug dazu, einen derartigen Plan auszuhecken, den der Inspektor selbst einen genialen Schurkenstreich nannte.«

»Der Inspektor scheint an alles gedacht zu haben,« bemerkte Conners. »Könnte ich mit Ihrem Herrn Sohn vielleicht einmal persönlich über die Angelegenheit sprechen?«

»Nichts leichter als das. Vielleicht ist es auch gut für mich, wenn ich die heikle Angelegenheit hinter mir habe. Glauben Sie nicht, Mr. Conners,« fuhr der Botschafter mit erhobener Stimme fort, »daß ich zu rasch bei der Hand bin, mein eigen Fleisch und Blut zu verdammen; ich habe zu viel von der Welt gesehen, um allzu voreilig zu urteilen. Allein diesem erdrückenden Belastungsmaterial gegenüber, das der Inspektor durch gewissenhafte Untersuchung gewonnen und mir mit größter Schonung mitgeteilt hat, muß ich die Waffen strecken. Die in Paris angefertigten Augengläser, das Lispeln, die Narbe – im Verein mit der Tatsache, daß man den Spuren des Verdächtigen bis nach Washington folgte und ihn hier Summen ausgeben sah, von denen ich absolut nichts weiß – sind das Schuldbeweise oder nicht?«

»Vergessen Sie nicht,« sagte Conners in beschwichtigendem Tone, »daß dieser Verdacht Ihnen mitgeteilt wurde, als Sie durch die Entdeckung des Betruges ohnehin bereits aufgeregt waren und sich wahrscheinlich schon unglücklich genug gefühlt hätten, auch wenn der Name Ihres Sohnes nicht mit hineingezogen worden wäre. Ich möchte Sie jetzt bitten, den jungen Mann rufen zu lassen, damit ich mit ihm sprechen kann.«

Der Botschafter klingelte und gab dem eintretenden Diener den Befehl, seinen Sohn herzubitten, dann wandte er sich wieder an Conners: »Ich gehe unterdessen zu meiner Frau und komme in einer halben Stunde zurück: Sie können meinen Sohn also ungestört ins Verhör nehmen.«

»Falls Sie uns nachher nicht mehr antreffen sollten, hören Sie morgen Näheres von mir,« erwiderte Conners. »Ich bitte Sie aber dringend, Ihrer Frau Gemahlin gegenüber keine Silbe von dem traurigen Verdacht zu äußern.«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir nicht alle Hoffnung nehmen wollen,« sagte der Botschafter mit mattem Lächeln. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich meiner Frau das Furchtbare so lange wie irgend möglich verschweigen werde.«

Damit verabschiedete er sich mit einer leichten Verbeugung und verließ das Zimmer.

Achselzuckend blickte Conners ihm nach.

»Nun?« fragte ich. »Die Sache scheint doch schlimmer zu stehen, als Sie ursprünglich annahmen.«

»Weit schlimmer,« bestätigte er.

»Und beweist wieder einmal, daß nicht alles Gold ist, was glänzt,« fuhr ich fort. »Ich glaube, heute möchte auch der ärmste Bettler schwerlich mit dem Botschafter tauschen.«

»Oder mit seinem Sohn,« nickte Conners. »Und selbst das ehrgeizigste Dienstmädchen würde sich dafür bedanken, jetzt die Stelle Ihrer Exzellenz einzunehmen. Sie entwickeln sich zu einem wahren Philosophen, lieber Freund, was für einen angehenden Detektiv ja auch unerläßlich ist.«

»So? Das wußte ich nicht,« entgegnete ich. »Bis jetzt glaubte ich vielmehr, daß genaue Kenntnis der Verbrechernatur, ihrer Schliche, Gewohnheiten und äußern Erkennungsmerkmale das Haupterfordernis eines guten Detektivs sei. Ich habe Sie so viele ans Wunderbare grenzende Entdeckungen machen sehen –«

»Die ich aber Ihrer Meinung nach nicht jenen Kenntnissen, sondern allerlei glücklichen Zufällen und Fügungen zu verdanken hatte,« fiel Conners lachend ein.

»Nicht doch,« erwiderte ich vorwurfsvoll. »Sie wollen mich absichtlich mißverstehen.«

»Na, lassen Sie's nur gut sein,« sagte er begütigend. »Die Entdeckung eines Verbrechens unterscheidet sich gar nicht so wesentlich von irgendeiner beliebigen andern Entdeckung und wird daher auch häufig durch die gleichen Methoden erreicht wie jene. Ein Detektiv kann also aus jeder Kenntnis und Erfahrung Nutzen ziehen.«

In diesem Augenblick trat ein junger Mann mit blassen, aber angenehmen Gesichtszügen und ungezwungener Haltung ins Zimmer. Sofort fiel mir an ihm ein leichtes Schielen des rechten Auges auf, das ein Paar glänzende Brillengläser nur unvollkommen verbarg. Unwillkürlich sah ich nach seinen Händen – auf der linken befand sich eine unauffällige, bläulich schimmernde Narbe.

»Guten Abend, Dsch–entlemen,« begrüßte er uns, wobei er merklich mit der Zunge anstieß. Nachdem wir uns miteinander bekannt gemacht hatten, ging Conners geradeswegs auf sein Ziel los. »Wir haben soeben mit Ihrem Herrn Vater über jene peinliche Angelegenheit gesprochen, die Ihnen ohne Zweifel ebenfalls bekannt sein wird.«

»Gewiß,« erwiderte der junge Mann. »Ich habe auch von Ihnen gehört, Mr. Conners. Mein Vater hat oft von Ihnen gesprochen und Ihre Geschicklichkeit in der Aufklärung schwieriger Fälle gerühmt. Ich habe mir sagen lassen, daß Sie sich nur mit solchen Sachen befassen, die Ihren Scharfsinn und Ihre Abenteuerlust besonders reizen, und verstehe vollkommen, daß für Sie die Verfolgung derartiger Angelegenheiten ein ähnliches Vergnügen sein muß wie für andre eine Löwenjagd in Afrika. Wenn Sie sich jetzt unsrer Sache ein wenig annehmen wollten, wären wir Ihnen zu unendlichem Dank verpflichtet.«

Das Auftreten und die Ausdrucksweise des jungen Mannes waren durchaus sicher und gewinnend und verrieten zwar eine gewisse Gedrücktheit, anderseits aber auch wieder die naive Zuversicht eines Menschen, der sich durch seine gesellschaftliche Stellung vor den Wechselfällen des Lebens gesichert fühlt.

»Hoffentlich kann ich Ihnen behilflich sein,« erwiderte Conners. »Ich lernte Ihren Herrn Vater vor einer Reihe von Jahren kennen, als ich ungefähr in Ihrem Alter stand, und schulde ihm Dank für die Freundlichkeit, mit der er mir damals begegnete und die ich ihm nie vergessen werde. Leider ist Ihre Angelegenheit – wie ich fürchte – sehr verwickelt.«

»Ja leider,« wiederholte der junge Mann mit einem tiefen Seufzer; »und sie kann für mich persönlich vielleicht noch viel verhängnisvoller werden, als ich es mir selber zugestehen möchte.«

»Wieso denn?« fragte Conners harmlos.

Der junge Mann wechselte die Farbe und wurde sichtlich verlegen.

»Ich bin in furchtbarer Bedrängnis, Mr. Conners,« stammelte er, »und wenn Sie meinem Vater beistehen, so helfen Sie dadurch indirekt auch mir. Es wird wohl am besten sein, wenn ich Ihnen ganz reinen Wein einschenke wie einem Arzt oder Rechtsanwalt. Auf Ihre Verschwiegenheit und die Ihres Freundes darf ich doch bauen?«

Ein fragender Blick schweifte dabei zu mir herüber.

»Sprechen Sie nur ganz rückhaltlos,« beruhigte ihn Conners. »Meinem Freunde dürfen Sie ebenso vertrauen wie mir selber.«

»Es ist mir ganz klar, in welch eine schiefe Stellung mein Vater durch diese leidige Geschichte kommt,« begann der junge Mann wieder. »Sie kann ihm das Vertrauen seiner Regierung kosten; für mich aber handelt es sich dabei um Leben und Tod.«

Überrascht blickte Conners ihn an.

»Das interessiert mich aufs höchste,« sagte er, »wenn ich aber wirklich irgendwelche Schritte für Sie tun soll, so muß ich um völlige Offenheit bitten. Verschweigen Sie mir nicht die geringste Kleinigkeit, denn oft hängt von scheinbar geringfügigen Dingen mehr ab, als wir ahnen.«

Der junge Mann zögerte einen Augenblick und putzte unschlüssig an seiner Brille herum. Sobald er das Glas abnahm, trat der kleine Fehler an seinem rechten Auge noch deutlicher hervor, doch vermochte er die gewinnenden Züge nicht zu entstellen.

»Ich liebe und verehre eine junge Dame, deren Verlust mich dem Selbstmord in die Arme treiben würde,« sagte er endlich. »Sie war meine Braut, und niemals habe ich auch nur im entferntesten an die Möglichkeit gedacht, sie zu verlieren; nie zweifelte ich an ihrer Liebe, bis ich heute nachmittag einen Brief von ihrer Hand empfing, der mir die Auflösung unsres Verlöbnisses ankündigte. Mein erster Impuls war, sofort zu ihr zu eilen und sie um Aufklärung über diesen mir völlig unverständlichen Schritt zu bitten, bei näherer Überlegung verwarf ich jene Absicht jedoch wieder.

»Ich bin auch jetzt noch fest überzeugt, daß sie mich liebt,« fuhr der junge Mann nach einer kleinen Pause fort, als Conners ihm aufmunternd zunickte. »Allein sie ist viel umworben, und ihre Angehörigen wollen hoch mit ihr hinaus. Da sie selbst ein beträchtliches Vermögen besitzt, so ist bei ihren Eltern, die naturgemäß großen Einfluß auf sie haben, vor allen Dingen die gesellschaftliche Stellung ihres künftigen Gatten maßgebend. Fällt mein Vater in Ungnade und sind dadurch auch meine Zukunftsaussichten ruiniert, dann ist die Tochter Jerome Olmers für mich verloren.«

»Welchem Umstande schreiben Sie die plötzliche Sinnesänderung der jungen Dame zu?« fragte Conners.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung; es müßte denn gerade etwas von den Unannehmlichkeiten, in denen wir uns augenblicklich befinden, bereits durchgesickert sein.«

»War auch in dem Absagebrief kein Grund angegeben?«

»Der Brief enthielt überhaupt nur zwei Zeilen: ›Ich betrachte unser Verlöbnis als gelöst. Mein Entschluß ist unwiderruflich.‹«

»Der letzte Passus gibt zu denken,« sagte Conners. »Die Dame sah also schon voraus, daß Sie sich nicht widerspruchslos fügen würden.«

»Ohne Zweifel.«

»Und Sie glauben, daß ihr irgend etwas von dem Skandal, der Sie bedroht, zu Ohren gekommen ist?«

»Es kann gar nicht anders sein, denn für die Aufrichtigkeit ihrer Neigung zu mir will ich jederzeit meine Hand ins Feuer legen. Um so schmerzlicher ist mir daher das Gefühl meiner Ohnmacht und Wehrlosigkeit, denn bei jedem Versuch, sie umzustimmen, müßte ich doch diese entsetzliche Skandalgeschichte erwähnen.«

»Ja, aber selbst wenn das Schlimmste einträte und die Sache Ihres Vaters tatsächlich schlecht stände, wie er zu fürchten scheint, dann müßte Ihre Braut – wenn ihre Liebe wirklich echt ist – doch um so treuer zu Ihnen halten. Es gibt doch Frauen, die so handeln.«

»Sie gewiß auch, wenn sie nicht beeinflußt würde,« erwiderte der junge Mann rasch.

»Sie hoffen also, sie zurückzugewinnen?«

»Hoffen? Ich muß sie gewinnen oder es wäre mein Tod!« rief der junge Mann leidenschaftlich.

»Oh, Herzeleid gibt sich mit der Zeit,« erwiderte Conners mit leiser Bitterkeit. »Haben Sie vielleicht einen Nebenbuhler?«

»Nein, das ist nicht der Fall,« entgegnete der junge Mann. »Die Dame ist freilich, wie ich schon sagte, viel umworben, hat jedoch mich allen ihren andern Verehrern vorgezogen. Besonders eifrig bemühte Oberst Adrian Vanotti sich um ihre Gunst, er scheint jetzt aber um ihre Schwester zu werben.«

»Wer ist dieser Vanotti?«

»Gesandtschaftsattaché und zugleich einer der bekanntesten Salonlöwen Washingtons.«

»Hatte er bei Ihrer Braut Erfolge zu verzeichnen?«

»Er bildete es sich ein,« versetzte der junge Mann mürrisch: »aber ich weiß, daß es nicht der Fall war.«

»Sie sind kürzlich in den Besitz einer ungewöhnlich hohen Geldsumme gelangt,« warf Conners plötzlich dazwischen. »Verzeihen Sie die Frage – aber möchten Sie mir nicht etwas Näheres darüber mitteilen?«

Der junge Mann stutzte und geriet sichtlich in Verwirrung.

»Ich möchte betonen,« fuhr Conners eindringlich fort, »daß ich diesen Umstand für sehr wichtig halte. Er steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sache, die uns jetzt alle beschäftigt.«

»Das sehe ich nicht ein,« versetzte der junge Mann, mit einemmale sehr zurückhaltend. »Es ist vielmehr eine rein persönliche Angelegenheit, und ich kann mir nicht erklären, auf welche Weise Sie davon Kenntnis erhalten haben.«

»Ihr Vater teilte es mir mit,« erwiderte Conners, »und ich wiederhole, daß auch der geringfügigste, scheinbar nebensächliche Umstand oft von schwerwiegender Bedeutung ist. Sie sollten daher mit Ihren Aufklärungen nicht auf halbem Wege stehen bleiben.«

Der Sohn des Botschafters runzelte die Stirn.

»Wenn die Sache so wichtig ist, muß ich mich allerdings fügen. Da – ich habe heute noch eine ebenso hohe Summe erhalten.«

Damit zog er aus der Innentasche seines Rockes ein Päckchen Banknoten, nach denen Conners halb unwillkürlich die Hand ausstreckte. Überrascht reichte der junge Mann sie meinem Freunde, der mit gespanntem Blick die Kassenscheine durchblätterte.

»Sechshundert Dollars,« murmelte er; »hm, und lauter ›neue, guillochierte Fünfdollarnoten‹, hm, hm!«

In fassungslosem Staunen starrte der junge Mann bald Conners, bald mich an.

»Was soll das bedeuten?« stammelte er.

»Ich denke, Sie verraten mir jetzt zuerst einmal, woher Sie dieses Geld haben,« sagte Conners. »Ich verspreche Ihnen von vornherein, daß ich Ihnen glauben will.«

Langsam erholte der junge Mann sich von seiner Überraschung und erwiderte nachdenklich: »Ich bin gewöhnt, daß man meinen Worten Glauben schenkt, pflege aber auch mein Wort zu halten. Über jenes Geld habe ich zu schweigen versprochen, daher mein Unmut über diese ganze Erörterung.«

»Ich dachte mir's wohl, daß ein derartiger Grund Sie am Sprechen verhindert,« antwortete Conners. »Wenn ich Ihnen nun aber sage, daß die Herkunft jener Summe mit der Betrugsaffäre zusammenhängt, der Ihr Herr Vater zum Opfer gefallen ist, so brauchen Sie sich durch Ihr Versprechen doch wohl nicht mehr gebunden zu fühlen.«

»Mr. Conners, Sie werden mich doch nicht etwa zum Wortbruch verleiten?«

»Ich verlange nur eines von Ihnen. Nennen Sie mir den Namen desjenigen, von dem Sie das Geld empfangen haben; auf weitere Einzelheiten verzichte ich dann.«

»Oberst Vanotti.«

Tief aufatmend trat Conners an den Schreibtisch des Botschafters, ergriff einen Bleistift und ein Stück Papier und sagte: »Verzeihen Sie mir, meine Herren, wenn ich hier ein paar Zeilen schreibe.«

Während seine Hand flüchtig über das Papier glitt, beobachtete ich seine Gesichtszüge und fand sie zu meiner Erleichterung ruhig und freundlich. Nachdem er das beschriebene Blatt in einen Umschlag geschoben, reichte er es dem jungen Manne mit den Worten: »Wollen Sie das bitte Ihrem Herrn Vater sofort zustellen. Ich hoffe, Sie morgen wiederzusehen.«

Der Sohn des Botschafters begleitete uns bis in die untere Halle, wo wir uns von ihm verabschiedeten.

»Es ist noch früh,« sagte Conners, als wir wieder in den Wagen stiegen. »Wir können heute noch einen andern Besuch machen.«

»Bei Mr. Olmer, nicht wahr?« fragte ich, denn ich hatte gehört, daß er dem Kutscher diesen Namen nannte. »Welch kühne Idee!«

Jerome Olmer war einer der reichsten Börsenbarone des Landes, hatte sich aber kürzlich von den Geschäften zurückgezogen und Washington zum Winteraufenthalt gewählt. Seine Frau wußte ganz genau, welcher Wertschätzung das Geld sich in diplomatischen Kreisen erfreut, und hatte hier vielfache Beziehungen angeknüpft, die ihrer Familie zu großem gesellschaftlichen Ansehen verhalfen. Mir schwindelte bei dem Gedanken, wohin unser Abenteuer uns noch führen könnte, doch verließ ich mich völlig auf meinen Gefährten.

»Wollen Sie versuchen, Miß Olmer zu sprechen?« fragte ich.

»Darauf rechne ich kaum,« erwiderte Conners. »Wenn der Sohn des Botschafters mit seinen Behauptungen recht hat, wird ihr jetzt wohl schwerlich danach zumute sein, Besuche zu empfangen. Anderseits ist es aber auch möglich, daß ihr Stolz und die mit dem Bruch ihres Verlöbnisses verbundenen Aufregungen sie aufrecht halten.«

Der Wagen hielt vor dem Portal eines Palastes, der nicht minder prunkvoll war als der, den wir soeben verlassen hatten. Über diesem prächtigen Gebäude aber lastete keine beklemmende Dunkelheit – eine Fülle von Licht ergoß sich aus seinen Fenstern auf die Straße. Wir stiegen die Marmorstufen empor und übergaben dem Lakaien unsre Karten.

»Bitte, melden Sie uns Mr. Olmer,« sagte Conners.

Da wir im korrekten Gesellschaftsanzug waren, so erregte unser Erscheinen keinerlei Befremden. Wir wurden in ein kleines Empfangszimmer geführt, durch dessen offene Tür man in eine Flucht luxuriös eingerichteter Räume blicken konnte. Aus dem Zimmer zur Rechten erklang Musik, und dazwischen hörte man die Stimmen plaudernder Gäste.

»Sie haben uns Mr. Olmer melden lassen?« fragte ich, während wir den Hausherrn erwarteten.

»Ja, Miß Olmer kommt später auch noch an die Reihe,« erwiderte Conners.

Der Eintritt eines kleinen beweglichen Herrn unterbrach unser Gespräch. Er war gleichfalls im Gesellschaftsanzug, trug Bartkoteletten, war kahlköpfig und hatte das bestimmte, etwas rücksichtslose Auftreten des in Erfolgen groß gewordenen Geschäftsmannes. Er schien nicht übel Lust zu haben, die beiden Eindringlinge, deren Namen ihm unbekannt waren, kurz abzufertigen, denn er lud uns nicht einmal zum Sitzen ein, während er über unsre Karten hinweg, die er in der Hand hielt, einen fragenden Blick auf uns richtete.

Mit höflicher Verbeugung stellte Conners uns als Bevollmächtigte des Botschafters vor, der uns auf dem Fuße folgen werde. Erstaunt horchte ich auf, erinnerte mich dann aber der schriftlichen Mitteilung, die mein Gefährte vor kurzem an den Botschafter gesandt hatte.

Mr. Olmer deutete auf ein Sofa, während er für sich selbst einen Stuhl heranzog: noch immer trug sein Gesicht den fragenden Ausdruck.

Conners zog jetzt die Briefe aus der Tasche, die ich vor wenigen Stunden gelesen hatte, und klärte den Hausherrn in seiner knappen, klaren Sprechweise über das kolossale Betrugsmanöver auf, das auch auf Mr. Olmer seine Wirkung nicht verfehlte.

»Sie sind Geschäftsmann, Mr. Olmer,« schloß mein Freund seine eindringliche Auseinandersetzung, »und können als solcher die Tragweite einer derartigen Angelegenheit wohl zur Genüge ermessen. Inwiefern Sie selbst dabei in Mitleidenschaft gezogen sind, wird Ihnen sofort klar werden, wenn Sie mir gütigst einige Fragen gestatten wollen. Ohne Zweifel sind Sie von der Verlobung Ihrer Tochter mit dem Sohn des Botschafters unterrichtet?«

Der Börsenmann nickte nur; Conners' Enthüllungen hatten ihn vollkommen sprachlos gemacht.

»Wissen Sie auch, daß Ihre Fräulein Tochter die Verlobung heute rückgängig gemacht hat?«

»Gott steh' mir bei! Nicht ein Sterbenswörtchen! Das ist ja furchtbar, meine Herren! Von allen Schurkereien –«

»Ja, die Angelegenheit ist so ernst, daß ich hoffe, Sie werden mir bei der Ermittelung des Täters Ihre Hilfe nicht versagen,« fiel Conners ihm ins Wort. »Daher habe ich den Botschafter auch gebeten, dieser Unterredung beizuwohnen. Mir deucht, ich hörte seinen Wagen schon vorfahren.«

Fast in demselben Augenblick trat ein Diener mit einer Karte ein. Olmer warf einen Blick darauf und sagte: »Führen Sie den Herrn herein!«

Der Diener verschwand, und gleich darauf stand der Botschafter vor uns. Er hatte seine volle Selbstbeherrschung wiedergefunden und war ganz der vollendete Weltmann wie ehedem.

»Das ist ja ein unerhörter Skandal,« sprudelte Mr. Olmer ihm nach den ersten Begrüßungsworten entgegen.

»Ich habe Mr. Olmer über den Sachverhalt aufgeklärt,« wandte Conners sich an den Botschafter, »denn nach der Unterredung mit Ihrem Herrn Sohn halte ich es für unumgänglich notwendig, mit Miß Olmer, seiner Braut, Rücksprache zu nehmen. Ich ließ Sie hierher bitten, um diese Auseinandersetzung möglichst eindrucksvoll zu gestalten, und hoffe, daß Mr. Olmer diese Eigenmächtigkeit entschuldigen wird.«

»Lucile hier – gewissermaßen öffentlich – zur Rede zu stellen, ist zwar eine sehr heikle Sache,« meinte Mr. Olmer bedenklich. »Allein, wenn der Skandal nicht beizeiten unterdrückt wird, können wir noch alle mit hineingezogen werden; es ist wirklich unerhört!«

»Gewiß, die Sache wächst sich beinahe zu einer Staatsangelegenheit aus,« meinte Conners. »Ich habe sie wenigstens von vornherein so aufgefaßt und alle mir zu Gebote stehenden Mittel angewandt, um sie aufzuklären und aus der Welt zu schaffen.«

»Ja, aus der Welt geschafft muß sie werden,« sagte Olmer in bestimmtem Tone. »Darf meine Frau dieser Unterredung beiwohnen?«

»Selbstverständlich,« erwiderte Conners.

»Danke sehr. Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick, meine Herren.« Und fort war er wie der Blitz.

In rastloser Ungeduld durchmaß der Botschafter das Zimmer, bis Mrs. Olmer in Begleitung ihres Gatten und ihrer Tochter eintrat. Wir erhoben uns, um die Damen zu begrüßen, denen Mr. Olmer uns vorstellte. Das junge Mädchen war schön und von jener vornehmen Würde umflossen, die Reichtum und gute Erziehung den Frauen verleihen.

Aber auch Conners' gesellschaftliche Gewandtheit flößte mir aufrichtige Bewunderung ein. Mit zwangloser Liebenswürdigkeit wandte er sich an die junge Dame: »Haben Sie schon von dem großen Skandal gehört, der uns bedroht, Miß Olmer?«

»Mein Vater hat mir nur gesagt, daß Sie mich zu sprechen wünschen,« erwiderte sie. »Ich wüßte nicht, welcher Skandal uns bedrohen sollte, obgleich mir vor kurzem allerdings von einer derartigen Affäre erzählt wurde.«

In Conners' Augen blitzte es auf.

»Unter dem Siegel der Verschwiegenheit?« fragte er.

Die junge Dame bejahte.

»Dachte ich mir's doch!« rief Conners.

»Vielleicht interessiert es Sie, daß ein Teil der erschwindelten Summe durch dieselbe Persönlichkeit, der Sie Ihre Informationen verdanken, dem Sohn des Botschafters in die Hände gespielt worden ist.«

»Das können Sie doch nur so strikt behaupten, wenn Sie meinen Gewährsmann kennen.«

»Wir sind ganz genau unterrichtet, daß außer den Behörden nur der Gauner selbst und seine Komplicen als Mitwisser des Geheimnisses in Betracht kommen. Von dem unbezähmbaren Wunsche beseelt, Sie zum Bruche Ihres Verlöbnisses zu bewegen, hat Ihr Gewährsmann den Fehler begangen, daß er mit seinen Mitteilungen ein wenig zu voreilig war.«

»Wenn seine Angaben auf Wahrheit beruhen, kann mir niemand aus meiner Handlungsweise einen Vorwurf machen.«

»Gewiß nicht,« erwiderte Conners. »Nun liegt die Sache aber so, daß seine Beschuldigungen gegen Ihren Verlobten sich als falsch herausgestellt haben.«

»Wie wollen Sie das beweisen?« fragte der Botschafter mit gepreßter Stimme.

»Was ich sage, kann ich auch verantworten,« entgegnete Conners, während er ihm ermutigend zulächelte; »nur muß ich allerdings Miß Olmer um vollständige Offenheit ersuchen.«

»Auch ich beschwöre Sie darum, bei allem, was Ihnen heilig und teuer ist!« rief der Botschafter, der sich den Schweiß von der Stirn trocknete. Seine mühsam behauptete Fassung brach wieder zusammen, er war jetzt einzig und allein der geängstigte Vater, dem vor dem Versagen seiner letzten Hoffnung bangte.

Unsicher sah das junge Mädchen von einem zum andern. »Ich will schon um meiner selbst willen ganz aufrichtig sein,« erklärte sie dann mit sanfter Stimme. »Eine so himmelschreiende Ungerechtigkeit könnte ich mir ja nie verzeihen – aber ich war aufs tiefste empört über die Sache.«

»Das kann dir niemand verdenken, liebes Kind,« warf ihr Vater dazwischen.

»Ihr Gewährsmann war Oberst Vanotti, nicht wahr?« nahm Conners jetzt den Faden seiner Nachforschungen wieder auf.

»Ja, und ich hatte ihm leider schon Gehör geschenkt, ehe die Bedeutung seiner Worte mir recht klar wurde. Als ich ihm Einhalt gebieten wollte, war es bereits zu spät, und ich mußte die ganze schreckliche Geschichte zu Ende hören. Da er ein vertrauter Freund unsres Hauses ist und bei uns allen als untadeliger Ehrenmann gilt, so glaubte ich seiner Versicherung, daß der Sohn des Botschafters der Schuldige sei.«

»Hatte mein Sohn denn gar keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit?« rief der Botschafter.

»Oberst Vanotti zeigte mir als Beweis seiner Behauptungen Ihren Brief an den Postinspektor, in dem Sie baten, gegen Ihren Sohn keine Schritte zu unternehmen, bevor nicht Sie selbst mit ihm gesprochen hätten,« erwiderte das junge Mädchen.

»Wie kam dieser Brief denn in Vanottis Hände?« rief Conners erstaunt.

»Ein Schreiber des Inspektors stand in seinem Sold und entwendete den Brief aus den Akten, bis ich ihn gelesen hatte. Oberst Vanotti rechtfertigte diese Handlungsweise mit dem Gefühl der Freundschaft, das er unsrer Familie entgegenbrächte. Ich war aufs tiefste bestürzt, allein mir blieb unter diesen Umständen doch nichts andres übrig, als seinen Worten Glauben zu schenken.«

»Wenn wir jenem Schreiber auch indirekt zu Dank verpflichtet sind, so wäre doch im öffentlichen Interesse die Versetzung des jungen Mannes in einen andern und zwar möglichst entfernten Wirkungskreis zu empfehlen,« meinte Conners. »Derartige verhängnisvolle Neigungen könnten sonst leicht einmal zu allerlei diplomatischen Verwickelungen führen. Morgen aber, denke ich, werden wir zunächst einmal Oberst Vanotti ins Gebet nehmen.«

»Er ist hier nebenan, im Salon,« warf Mr. Olmer ein.

»Warum sagst du das?« jammerte seine Frau händeringend. »Willst du mit Gewalt eine Szene heraufbeschwören?«

»Meinetwegen, ich fürchte sie nicht,« rief ihre Tochter stolz.

Ein bewundernder Blick Conners' flammte zu ihr hinüber, der gleiche, mit dem er die schönen Frauenbildnisse in seinem Atelier zu betrachten pflegte.

Angstvoll blickte Mrs. Olmer von einem zum andern, doch schienen des Botschafters imponierende Gestalt und Conners' vertrauenerweckende Persönlichkeit ihr schließlich ein gewisses Gefühl der Sicherheit einzuflößen. Ihr Gatte hatte unterdessen einen Diener herbeigerufen und ihm ein paar Worte zugeflüstert. Nach einigen Minuten, in denen Spannung und Erregung mich fast verzehrten, traf Oberst Vanotti ein.

Er war in der Tat für jeden Mann ein beachtenswerter Nebenbuhler, groß, dunkel und von einer vollendeten Sicherheit des Auftretens, der nur Conners' weltmännische Gewandtheit gleichkam. Mit scharfen Blicken musterte er die Versammlung, und der lauernde Ausdruck seiner Augen zeigte, daß er auf seiner Hut war. Unsre und des Botschafters Anwesenheit mochte ihm wohl verraten, um was es sich handelte, denn er warf Miß Olmer einen vorwurfsvollen Blick zu.

Schweigend erwiderten wir andern seine förmliche Verbeugung, während Conners ohne Umschweife auf sein Ziel losging.

»Sie haben Miß Olmer da eine merkwürdige Geschichte erzählt, die sich auf den Botschafter und seine Familie bezieht, Oberst Vanotti,« sagte er. »Miß Olmer hat Sie übrigens nicht verraten, sondern den Zusammenhang soeben erst von ihrem Vater gehört, der ihn durch mich und meinen Gefährten hier erfahren hat. Als Bevollmächtigter des Botschafters frage ich Sie nun im Interesse aller Anwesenden: Haben Sie dieser Geschichte nicht noch ein Wort der Erklärung hinzuzufügen?«

Mit kalten, stechenden Blicken maß Vanotti seinen Gegner: nicht die geringste Aufregung oder Verlegenheit war ihm anzumerken.

»Ich habe zwar nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft,« erwiderte er, »will Ihnen aber in Gegenwart meiner Freunde, auf die Sie sich berufen, gerne antworten. Freilich wüßte ich kaum, was ich meinen früheren Worten noch hinzufügen könnte. Meinem Bedauern über die traurige Angelegenheit habe ich schon bei meiner Unterredung mit Miß Olmer Ausdruck gegeben und ich kann dies dem Herrn Botschafter gegenüber nur wiederholen.«

»Was wir gebührend zu schätzen wissen, wie ich wohl im Namen aller Anwesenden versichern darf,« entgegnete Conners verbindlich. »Vielleicht aber sind Sie eher geneigt, aus Ihrer Reserve herauszutreten, wenn ich Ihnen verrate, daß der Sohn des Botschafters bereits gestanden hat ...«

Bestürzt fuhr Vanotti zusammen.

»Gestanden?« keuchte er – »daß er vor kurzem große Summen von mir im Spiel gewonnen hat?«

»Oh nein,« rief Conners mit durchdringender Stimme; »das ist nur ein Nebenumstand, den ich allerdings auch schon argwöhnte. Er hat vielmehr gestanden, daß er das Verbrechen begangen hat.«

Die Wirkung dieser Worte war unbeschreiblich. Wie versteinert starrten alle den Sprecher an, und der Botschafter sank totenbleich in seinen Stuhl zurück.

Am auffälligsten aber benahm sich Vanotti. Bald rot – bald blaß, rang er vergebens nach Worten; in seinen Gesichtszügen zuckte und arbeitete es; ja, einmal reckte er sich so, daß es beinahe schien, als wolle er sich auf Conners stürzen.

Dieser lachte.

»Was bringt Sie denn so in Harnisch, Oberst Vanotti?« fragte er spöttisch. »Ein derartiges Geständnis könnte doch eher Ihr Mitgefühl als Ihre Wut erregen. Womit habe ich Sie denn beleidigt?«

Vanotti antwortete nicht, denn noch immer bemühte er sich krampfhaft, seine Fassung wiederzuerlangen.

Von neuem lachte Conners laut auf.

»Ich will Ihnen ein wenig behilflich sein,« fuhr er dann fort. »Sie scheinen in meinen Worten eine Anklage zu wittern, auf die Sie mit einem Geständnis, dessen wir übrigens gar nicht mehr bedürfen, antworten; denn Ihr Benehmen ist ein Geständnis, da sich schon morgen die Kette der Beweise gegen Sie geschlossen hätte. Allein wir wollen diese unerquickliche Angelegenheit nicht in Gegenwart der Damen weiter verhandeln, die wohl den Wunsch haben werden, sich zurückzuziehen. Sie werden gut tun, Platz zu nehmen, Sir.«

Vanotti warf noch einen hilfesuchenden Blick um sich und ließ sich dann stumm in einen Sessel fallen. Die Damen erhoben sich sofort und verließen, vom Botschafter und Mr. Olmer zur Tür geleitet, das Zimmer. Noch auf der Schwelle warf das junge Mädchen Conners einen Abschiedsblick zu, den er mit einer tiefen Verbeugung beantwortete, dann schloß sich die Tür hinter den beiden Damen.

Als sie gegangen waren, setzte sich der Botschafter ebenfalls und versuchte, seiner Erregung Herr zu werden. Er überließ das Schlachtfeld jetzt ganz und gar Conners, der sich durch seine geschickten Schachzüge zum Herrn der Situation gemacht hatte.

»Oberst Vanotti,« begann mein Freund in bedächtigem Tone; »ich will mich der schweren Aufgabe unterziehen, diese ganze heikle Angelegenheit auch für Sie zu glimpflichem Abschluß zu bringen, wenn Sie auf meine Bedingungen eingehen. Ich brauche einem Mann von Ihrer Intelligenz nicht auseinanderzusetzen, daß Ihnen sonst nur die Wahl zwischen der Pistole und dem Gefängnis bliebe. Ich glaube nicht, daß Sie – Ihren bisherigen Neigungen und Gewohnheiten nach zu urteilen – besondern Geschmack an Sträflingskleidung, rohen Gefangenenaufsehern und eintöniger Gefängnisarbeit finden würden, ganz zu schweigen von der Gefängnis kost. Ich verspreche Ihnen nun volle Freiheit und Straflosigkeit; Sie mögen unter jedem beliebigen Titel und Namen Aufenthalt im Auslande wählen und jeden erschwindelten Dollar behalten – wenn Sie ein umfassendes schriftliches Geständnis ablegen. Nehmen Sie meinen Vorschlag an?«

Vanotti dachte einen Augenblick nach. »Welche Sicherheit bieten Sie mir?« fragte er dann.

»Das Ehrenwort des Botschafters,« erwiderte Conners.

Der Botschafter nickte zustimmend und sagte:

»Ich gebe es.«

»Dann willige ich ein,« sagte Vanotti.

»Gut,« erwiderte Conners. »Hatten Sie Mitschuldige?«

»Nein.«

»Sie selbst also stellten den Sohn des Botschafters dar, malten die Narbe auf Ihre Hand, heuchelten den bewußten Sehfehler – was einem Manne von Ihren Fähigkeiten wohl kaum besondere Schwierigkeiten verursachte – und verschafften sich dieselben Gläser, wie Ihr Opfer sie trug – nicht wahr?«

»Jawohl, und den Sss–ungenfehler bekam ich ebenfalls – ß – ß–iemlich leicht herauß,« spottete Vanotti mit einem impertinenten Blick auf den Botschafter.

»Derartige höhnische Scherze sind in diesem Augenblick wohl kaum angebracht,« wies Conners ihn zurecht. »Die Einzelheiten Ihres Geständnisses werden wir morgen früh weiter erörtern, für heute nur das eine: Sie haben neulich im Spiel an den Sohn des Botschafters große Summen verloren, und es erscheint mir daher vollkommen begreiflich, daß Sie ihn noch tiefer in diese Angelegenheit hineinzuziehen versuchten. Leisteten Sie heute eine Zahlung an ihn?«

»Jawohl.«

»Mit den besonders geeigneten, ›neuen guillochierten Fünfdollarnoten‹, nicht wahr?«

»Jetzt verhöhnen Sie mich,« knurrte Vanotti.

»Ich bitte um Verzeihung. Wir können uns jetzt wohl verabschieden.«

Vanotti stand auf und verbeugte sich.

»Guten Abend, meine Herren.«

»Conners,« rief der Botschafter, als die Tür hinter dem Gauner ins Schloß fiel, »ich bin heute abend nicht imstande, Ihnen in gebührender Weise zu danken. Wollen Sie mich morgen besuchen, damit auch meine Frau Ihnen danken kann?«

»Sie vergessen wohl ganz, was Sie jetzt zu bezahlen haben,« erwiderte Conners lachend.

»O, mir ist keine Summe zu hoch für diese glückliche Lösung, die ich einzig und allein Ihnen verdanke.«

Lächelnd deutete Conners auf mich.

»Verzeihen Sie mir, mein Herr,« sagte der Botschafter, mir die Hand entgegenstreckend, »auch Ihnen danke ich von ganzem Herzen.«

»O bitte, mein Anteil an der Sache ist nicht der Rede wert,« erwiderte ich.

»Können wir nicht verhindern, daß der Skandal in die Zeitungen kommt?« fragte Mr. Olmer.

»Da wir ja die Hilfe der Post bei der Rückzahlung der erschwindelten Summen in Anspruch nehmen müssen, so wird das wohl kaum gehen,« entgegnete Conners. »Doch läßt sich alles auf eine kleine, belanglose Notiz beschränken. Denn außer Vanotti, den wir zum Schweigen verpflichtet haben, finden die Zeitungen ja doch niemanden, der sie über die Einzelheiten genau informieren könnte, und so wird die Sache sich voraussichtlich im Sande verlaufen.«

»Dem Himmel sei Dank!« rief der Botschafter mit einem erleichterten Aufatmen.

»Also, wir werden nicht verfehlen, morgen bei Ihnen vorzusprechen,« sagte Conners, indem er seinen Arm in den meinen schob.

»Für heute: Gute Nacht!«


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