Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Jetzt komm'

Vor der wildgezackten Felsenkrone des mächtigen Böhmerwaldberges liegt eine kleine, liebliche Rodung. Dieses ebene Fleckchen Erde leuchtet mit seinen hellen Frühlingsfarben über das höchste Gewipfel des schwarzen Tannes hinaus, welcher rundum auf dem steilen Gehänge aus den Tiefen emporstrebt. Ein helles Quellenbächlein stürzt von der braunen Steinwand auf den seltsamen Bergstaffel, wirbelt sich hier in einem sandigen Becken aus und schießt dann jäh, wie es gekommen, wieder in den Wald hinab. Neben dem kleinen Weiher steht ein altes, hölzernes Bauernhaus. Von dieser einsamen Heimstätte ist keine Spur einer anderen menschlichen Ansiedlung zu erspähen. Man sieht hier nur die Berge in ihren schwarzen, feierlichen Tannenkleidern und mit den entblößten weißen und braunen Steinhäuptern weit hinaus in die Ferne stehen wie ein betendes Heer. Nur an besonders klaren Tagen taucht in der breiten Bresche des hintersten Gebirgswalles ein blaues Stück Ebene auf, das auch manchmal die Sonne mit vielen unbeschreiblich zarten Tinten malt. Eine Grenze dieses Landes ist aber fast niemals abzusehen, es dehnt sich mählich verblassend dahin, bis es mit dem Himmel verschwimmt. Der prächtige, riesenhafte Mannesstamm, welcher seit alters her der rauen Bergnatur zu trotz auf dieser hochgelegenen Ackerscholle Feldbau treibt, wird von den Talleuten nur mehr mit einem Spitznamen benannt. »Des Gottes Nachbar«, nennen sie unten den jeweiligen Besitzer der weltfernen Einschichte, weil diese den Wolken um so viel näher ist als dem übrigen urbaren Lande. Der Letzte des alten Geschlechtes haust jetzt mutterseelenallein hier oben. Mit der schlanken, prächtigen, kraftvollen Gestalt, in der sich die Flinkheit des Rehes mit der Stärke des Bären vereint, war Moz, so hieß der letzte, seinen Vorgängern nachgeraten. An den guten Eigenschaften, die nötig waren, um hier in Ehren bestehen zu können und dabei zufrieden zu sein, fehlte es ihm auch nicht. Er versah hier alles genau so gut wie seine Väter. Aber seine Ahnen waren viel lieber in das Tal gestiegen als er. Ihn trieb kein Gefühl hinab auf die Menschensuche. Und er war trotzdem voll glühender Sehnsucht nach einem Zweiten. Aber, die er da unten sah, erschreckten ihn und konnten ihn nur mehr scheu als zutunlich machen. Daran war wohl sein außergewöhnliches Feingefühl schuld, die von keinem verderbten, menschlichen Grundsatz abgestumpfte Erkenntnis des Wahren und Schönen. Seine Erzieherin war eben zumeist die freie, heilige Natur gewesen. Das Lächeln der Leute beleidigte seinen reinen, tiefen Ernst, und ihr Lachen störte roh und garstig den Zusammenklang seiner Gefühle. Er konnte mit ihnen weder lachen noch weinen, weil sie beides zumeist aus Gründen taten, die ihm zu unwürdig und zu nichtig schienen. Darum hätte er weinen mögen, wenn sie lachten, und umgekehrt. Es blieb ihm nichts übrig, als sich jenen Menschen zu erträumen, den er hätte lieben können. Wenn ihn seine alte Sehnsucht überfiel, stieg er auf den Felsengipfel, von wo die Aussicht ganz unermesslich war. Von da sah er dorthin, wo die Erde mit dem Himmel verschwamm, und hatte das Gefühl dabei, dass dort irgendwo der Erträumte sei und dass er ihm auch einmal von dort kommen könnte. Aber der ließ nun vergeblich auf sich warten, und seinerzeit kam jemand anderes zu Moz auf den Berg. Das war Evi, die Tochter der Dorfkrämerin. Moz kannte die Junge nur daher, weil er bei der Alten für die Früchte seines Feldes die nötigen Lebensmittel eintauschte.

Er fühlte niemals die mindeste Lust, sich dem Mädchen zu nähern. Evi drängt sich ihm auf. Sie brannte in einer Leidenschaft für ihn, über welche seine kindliche Unschuld empört war. Aber es war ihm doch unmöglich, sich zu erwehren. Auf eine artige Weise wurde er die Zudringliche nicht los und einer Rohheit war er nicht fähig. Sie fand in ihrer List eher hundert schickliche Vorwände, sich an ihn zu hängen, als er in seiner Ehrlichkeit einen einzigen, um ihr auszureißen. Einen Bären würde er vielleicht in den hinter dem Flachsfeld gähnenden Abgrund geworfen haben. Gegen das Weib hatte er keine Waffen. Der Gute musste es mit trauerndem Herzen dulden, dass sich die Begierliche die Herrschaft über ihn anmaßte. Zuerst spielt sie sich als seine Freundin auf. Er brachte es nicht zuwege, ihr zu sagen: »Ich brauche keine solche Freundin.« Das Zugeständnis seiner Freundschaft war seine erste Lüge, und damit lieferte er sich auch dem Weibe aus. Sie gewann bald die Macht, ihn zu einer zweiten Lüge zu treiben, nämlich derjenigen, dass er sie liebe. So wurde sie sein Weib. Die alte Krämerin musste die Heirat wohl oder übel zulassen. Evi besaß ihren eigenen Willen, gegen den ihr kein Mensch aufkam. Obwohl sie kein Geld hatte, war sie doch ihrer Schönheit wegen stark umworben. Sie konnte auf die größten Höfe des Tales heiraten. Aber für sie hatte der Moz mehr Reize als die Talhöfe und deren Besitzer. Deshalb ging sie zu ihm auf den Berg.

»So schlecht wie du hat noch keine in die himmlische Nachbarschaft taugt«, hatte ihr die eigene Mutter beim Scheiden gesagt. »Es ist recht keck von dir, dass d' dich hinauf traust, nit z'weg'n dem Abstand, der zwischen dir und dem Moz ist. Ich glaub', Euch leid't's a nit lang beinand. Aber für den Fall, dass du mir dann wieder vor mein' Tür kommst, hab' ich schon ein'n Zauntreml g'richt, dass d' es nur derweil weißt.«

Die Alte war nämlich ein vernünftiges Weib, und darum tat ihr bei der Heirat der gute Moz mehr leid als das eigene Kind. Die Hochzeit war im Herbste gewesen. Dann verbrachten die zwei jungen Leute in dem tief eingeschneiten Hause den langen Winter. Evi sagte von diesem Winter, dass er ihr das heiße Herz im Leibe gefror. Sie musste bei dem Zusammenleben mit Moz bald einsehen, dass der doch nimmer zu der richtigen Liebe zu zwingen war. Er küsste sie und trug sie auf seinen Armen, wie sie das wünschte, und er lachte sogar, wenn sie es befahl. Aber je mehr er sich zum Lachen bemüßigte, desto trauriger fiel das aus. Und wenn es ihm erlaubt war zu schweigen, versank er gleich so tief in sich, dass ihn das Weib immer voll Schrecken empor riss: »Wo grabst d' dich denn hin? In d' Höll'?!« Sie hatte sich vorher eingebildet, dass mit ihr ein jeder Mann höchst glücklich werden müsste. Aber der arme, gute Moz wurde neben ihr immer stiller und elender. Als ein richtiges Weib war sie weit davon entfernt zu glauben, dass es an ihr irgendwie fehlen oder mangeln könnte. So gewann sie bald die Überzeugung, dass es nur am Manne allein an dem gebrach, was zu ihrer beider Glück abging. Darum hielt sie sich auch von ihm betrogen und tobte wider ihn, als ob bloß er für die verfehlte Heirat verantwortlich gewesen wäre. Er nahm von ihr alles geduldig hin, denn er dachte: »Weil ich mich von ihr fangen ließ, geschieht mir nun dafür recht. Was ein Adler bleiben will, darf sich nicht auf des Bauern Misthaufen laden lassen. Und das Feingefühl muss gebüßt werden. Hätte ich zuerst nicht aus Höflichkeit ihre lästige Freundschaft angenommen, wär ich ihr nichts schuldig geworden.« Evas Unmut über den Mann erreichte die höchsten Grenzen und musste dann wieder abnehmen. Nachdem sie ihn mit ihrer Liebe nicht erstickt und in ihrem Zorne nicht erwürgt hatte, ließ sie müde, überdrüssig und erkaltet von ihm ab. »Wenn ich mir doch wenigstens denken könnt', du bist a Narr«, sagte sie dann einmal zu ihm. »Aber du bist keiner. Du kannst nur leider von dem, was in dir ist, kein'm zweiten Menschen was mitteilen. Du bist dazu geboren, da auf dein'm Berg allein z' bleiben, und ich ließ' dich gern wieder allein, wenn das jetzt für mich kein' Schand' wär'.« Dann kam aber doch die Zeit, wo sie ihn allein ließ. Das war im Frühjahr, als die Arbeit auf dem Bergacker anhob, sozusagen am ersten Tage der Zeit, wo Moz das Weib gebraucht hätte. Wegen seiner mangelnden Liebe grämte sie sich jetzt kaum mehr viel. Sie hatte nun andere Sorgen. Es war ihnen nämlich der Wintervorrat zu schnell ausgegangen. Als sie im Herbste vor der Hochzeit das Rauchfleisch im Schornsteine, die Erdäpfel im Keller und das Mehl in der Truhe besahen, meinten sie, davon bis weit in den Sommer hinein leben zu können. Nun nahm ihnen alles viel zu früh ein Ende. Da machte ihm Evi wieder Vorwürfe: »Siehst du, dein Feld wirft nit so viel ab, dass zwei davon leben können. wenn du mir das vor der Hochzeit g'sagt hätt'st, wäre vielleicht das ganze Unglück ausblieben.«

Er antwortete wahrheitsgetreu: »Das Feld hat sogar für drei Brot getragen, als meine Eltern noch g'haust haben.« Dass seine selige Mutter besser zu wirtschaften verstand als Evi, sagte er aber nicht. Er wollte das Weib nicht kränken. Seine Mutter hatte den ganzen Winter über emsig gesponnen und dann das Garn verkauft. Evi aber spann nicht und verkaufte den Flachs. Sie hatte die meiste Zeit damit verbracht, den Mann und sich zu quälen. Statt des Spinnrades ließ sie ihre Zunge gehen, und das brachte nichts oder wenigstens nichts Gutes. Er hätte ihr gar viel Schönes und Nützliches von dem Wirtschaften seiner Mutter erzählen können. Aber damit würde er Evi beleidigt haben. Darum ließ er sie walten, wie es ihr gefiel. Als dann die Not da war, wurde Evi auf einmal hell verzagt. »Schaff' Rat! Hilf!« schrie sie nun. »Du bist der Mann, du musst nach dem Rechten sehen.« Moz sah ohnehin nach dem Rechten. Er plagte sich auf seinen Feldern wie alle Jahre. »Was soll ich denn sonst?« fragte er. »Ich kann ja sonst nichts. Ich hab' doch sonst nichts gelernt und getan bisher.«

»Jetzt aber hast du ein Weib zu ernähren«, sagte sie.

»Da wird mir sonst nichts übrig bleiben, als für dich betteln z' gehen«, meinte er. »Nun gut, es ist mein' Pflicht, für dich Brot z' schaffen. So will ich denn betteln gehen.« Und er hätte dieses verzweifelte Angebot erfüllt, so stolz und schamhaft er in seinem Herzen war. Aber Evi wollte lieber verhungern als Bettelbrot essen. »Verkauf' die Kuh«, befahl sie eines Tages dem Manne. »Und was dann?« fragte er.

Sie gab ihm keine Antwort. Aber sie wusste nun schon, was sie hernach anfangen würde. Das Geld, welches sie für die Kuh bekamen, half sie ihm noch schnell verbrauchen. Dabei sah sie noch gewissermaßen zu, ob sich an seinem Wesen gegen sie gar nichts mehr verändern würde. Mit dem letzten Stück Brot zugleich war dann auch alle ihre Geduld mit dem Manne zu Ende. An einem hellen Frühlingstage hielten sie miteinander das letzte Mahl. Dann reichte sie ihm ganz ruhig die Hand und sagte: »So, jetzt b'hüt dich Gott, mein lieber Moz. Du kannst mich nimmer länger erhalten, drum geh' ich. Es ist zwar Schand' genug für dich, aber ich kann dir nit helfen. Mir darf's kein Mensch verübeln, dass ich bei dir nit verhungern mag. Solang' ich noch auf dein' Lieb' g'wart't hab', hätt' ich mit dir Gras fressen mögen. Aber jetzt ist mir das Warten z' wider worden – und wann du beim Überfluss kalt blieben bist, wird dich der Hunger nicht feurig machen. Der Hunger macht nur ein'n feurigen Magen – 's Herz macht er kalt. Das g'spür' ich an mir. Drum b'hüt dich Gott.« Der gute Moz verwusste sich nun nicht vor Scham und Verlegenheit.

»Das wirst du mir nit antun«, meinte er. »Ich will für dich Brot schaffen auf eine jede Weis', die nur angeht. Das ist meine Pflicht.«

Da lächelte sie nur spottvoll. »Ich dank' dir schön. Das könnt' für mich ein gar zu jämmerlich's Zusehen werden. Und es gibt gottlob Leut', die mich viel lieber und leichter erhalten als du. Dem jungen Wiespeter im Tal ist unlängst sein Weib g'storben. Der braucht eine Wirtschafterin. Dazu bin ich wie g'schaffen. Drum b'hüt dich Gott.«

»Was?« rief er. »Dienen willst du gehen? Mein Weib dienen?«

»Sei still«, sagte sei. »Von einer Wirtschafterin lässt sich ein Mann mehr befehlen als von sein'm Weib. Ich werd' mehr herrschen als dienen.«

»Ich will für dich dienen gehen«, schlug er ihr vor. »Bleib du am Berg und ich…«

Sie unterbrach ihn mit einem hohnvollen Gelächter. »Nein, nein, mein lieber Moz. Bei unserem Herrgott im Himmel drinn'n mag's recht schön sein, aber da in seiner Nachbarschaft würd' 's mir allein bald z' langweilig. Musst mich nimmer aufhalten. Wir können ja jetzt gut und friedlich auseinander gehen. Schau' – dein Herz ist g'sperrt, solang' ein Mensch bei dir ist. Bis du wieder allein bist, wird's wieder aufgehen. Du bist wie die Schneeblümerln, die da heroben blühen. Die schließen auch die Blätter vor dem warmen Menschenhauch. Aber deswegen gehen wir jetzt doch gut auseinander. Ich hab' dich nit ganz umbracht. Und selber verlass' ich dein'n Berg g'sünder, als ich ihn betreten hab'. Drum will ich auch ein Wiedersehen nit verreden. Vor der Welt bleiben wir ein Eh'paar, das die Not trennt, und man kann nit wissen, ob uns die Not nit auch wieder z'sammführt.« Damit ging sie.

Es war wieder die Einsamkeit der Höhe um ihn. Das alte Lied, welches der Bergwind auf den tausend Stämmen des Waldes wie auf tausend Saiten spielte, blieb nun lange von jener fremden Menschenstimme ungestört, deren Klang doch nimmer hinein stimmte. Moz hätte gerne geglaubt, er sei aus einem bösen Traum erwacht. Aber er war nicht leichtsinnig genug, sich so etwas Holdes und Lügenhaftes vorzuspiegeln. Die Schrecken des winterlangen Sklavenlebens waren so arg gewesen, dass er ein gewisses Zittern nimmer verlor. Das Gefühl der Freiheit wollte zwar wieder über ihn kommen, aber er meinte es abweisen zu müssen: »Auf dich hab' ich kein Recht mehr.« Und seine Augen blickten immer wieder mit dem Ausdrucke jammervoller Erwartung nach dem Talwege, auf welchem Evi jederzeit wiederkommen konnte. Sooft er aber daran dachte, dass jetzt sein Weib dienen müsse, fuhr ihm eine Schamröte in das Gesicht. Was er selbst zur Fristung seines Lebens brauchte, fand er bald wieder wie vormals, nachdem er seine Wirtschaft in die alte Ordnung gebracht hatte. Sein Feld bestellte er noch viel sorgfältiger als sonst, denn er dachte: »Vielleicht trägt es doch so viel, dass ich für sie genug habe, wenn sie wieder kommt.« Er sparte überhaupt, was er nur konnte, für den Fall, dass sie wiederkehrte. Es war ihm unmöglich, seine Pflicht dem Weibe gegenüber auch nur eine Stunde lang zu vergessen. Und damit er sein Werk auch nur ganz richtig verbringe, legte er sich alle möglichen Entbehrungen dabei auf. Früher hatte er sorgenlos und fröhlich gearbeitet und sich alles dabei gegönnt, was sein Leib brauchte. Aber bei seiner jetzigen Arbeit richtete er sich bald recht erbärmlich zu. Er fand auch keinen Sinn für seine einstigen kleinen Freuden mehr. Wenn er ehedem auf den Felsengipfel stieg und den Blick in die Weite hinaus wandern ließ, da schien ihm von dort her ein unbeschreibliches Glück entgegen zu ziehen. Und er hoffte immer, dass sich dieses bei ihm auf seinem heimatlichen Berge niederlassen würde, welchen er ja für den herrlichsten Aufenthalt in aller Welt hielt. Er hatte sich einst einen Menschen nach seinem Geschmacke erträumt, einen, der ihm eine Welt bringen sollte und dem er auch eine ebenso reiche dafür geben konnte. Er wusste der schönsten Wunder genug in seiner Seele, die er dann jenem einzigen erschließen wollte. Und er fühlte sich fähig, den Ersehnten voll beglücken zu können. An alles, nur an das Geschlecht des Erwarteten hatte er nicht gedacht. Darum war ihm wohl auch das Weib, welches aus dem Tale zu ihm kam, gar so befremdlich gewesen. Die hatte gewiss niemals so geträumt wie er und glich niemandem so wenig als jenem Menschen, für den er sein Glück im tiefsten Herzen aufhob. Deshalb musste er sie auch unbeglückt ziehen lassen. Und jetzt sah er, dass er nach den Rechten der in der Tiefe hausenden Menschen ihr allein angehörte und auf jenen anderen nicht mehr warten durfte. Dass er seine Freiheit wieder gewinnen könnte, wenn er sich von dem Glauben und den Gesetzen der Menschen lossagte, das wollte ihm nicht einleuchten. Er fühlte, dass seine Gewissensschuld dem Weibe gegenüber nicht zu drücken aufhören würde, falls er sie verleugnete. So plagte er sich denn, was er nur konnte, um so viel für Evi zu schaffen, dass es ausreichte, wenn sie wieder kam. Das erste Erntejahr war seinem Streben hold, aber den armen Mann selbst hatte es übel mitgenommen. Er schreckte sich jetzt über sein eigenes Spiegelbild ebenso, wie er über den unglaublich großen Wintervorrat staunte. Als er im Vorwinter alles hübsch unter Dach und Fach hatte, meinte er, das Weib davon benachrichtigen zu müssen. So begab er sich eines Tages in den Wiespeterhof. Als er dort die Türe auftat, sah er den jungen Bauern mit Evi an einem gedeckten Tische sitzen. Sie aßen einen fein duftenden Braten und tranken Wein dazu. Der Wiespeterhof trug das alle Tage. Die beiden Menschen sahen recht glücklich aus, und ihre vollblühenden Gesichter lachten sich gerade innig an, als der ausgedorrte, hohlwangige Moz den ersten müden, schweren Schritt in die Stube machte. Er wunderte sich über das Aussehen Evis, und diese erkannte ihn kaum. Sie wollte ihn fragen, ob er es selber oder sein Gespenst sei, aber der Wiespeter kam ihr mit dem Reden vor und lud den armen, ausgerackerten Menschen freundlich und mitleidsvoll zu Tisch. Moz bedankte sich demütig für diese Höflichkeit und sagte, er sei nur gekommen, um seiner Evi mitzuteilen, wie es mit dem heurigen Wintervorrate bestellt sei. Er hätte es wohl recht nötig gehabt, sich an den Tisch zu setzten, hungrig und müde genug war er, aber in den Mienen der beiden Leute lag ein Spott, der ihn schnell wieder von der Türe trieb. Evi hatte ihm mit lächelnder Ruhe geantwortet: »G'freut mich, wenn du so gut hausen tust, schau nur weiterhin recht dazu. Spar' nur und schau' zum Werk'. Ich werd' schon einmal kommen – wenn auch nit gleich. Je länger ich ausbleib', desto mehr bringst du zusamm' und desto besser für uns zwei. Spar' nur und arbeit', das führt schon, soweit es noch möglich ist, zum Rechten.«

Als er wieder draußen war, sahen sich die beiden jungen Leute bedeutungsvoll an.

»Der schaut schlecht g'nug aus«, meinte der junge Bauer und klopfte dann wohlgefällig auf seinen runden Schenkel. »Ich begreif' nit, dass du den einmal so gern g'habt hast.«

Sie lachte. »Wenn er damals so ausg'schaut hätt' wie jetzt, hätt' mir freilich auch g'graust vor ihm – so wie jetzt.«

Daraufhin legte der Bauer seinen Arm um ihren Hals und sagte in gutmütigem Tone: »Dem hätt'st du aber doch kein' Müh' um dich mehr auftragen sollen. Gar viel hält der nimmer aus.«

»Ah was«, warf sie leicht hin, »er soll nur trachten, dass er noch was spart für mich. Zu was ander'm taugt er doch auch nicht in der Welt.«

»Nun und wann willst du denn hinauf zu ihm?« scherzte hernach der Mann. Anstandshalber erwiderte sie darauf nichts. Aber sie wussten es doch beide gleich gut, wann sie hinaufgehen wollte. Moz spann nun einen Winter lang, dann rackerte er sich wieder einen Sommer hindurch. Dabei wurden seine Wangen immer hohler, und nun wusste er, dass diese nimmer voll werden könnten, wenn er auch täglich Wein und Braten gehabt hätte wie die zwei Liebesleute unten. Er war völlig im Klaren darüber, wie er zu den beiden stand, aber deswegen schien ihm doch seine Pflicht, für das Weib sorgen zu müssen, nicht zu verfallen. Er dachte: »Jetzt sorgt zwar ein anderer für sie, aber sie dürfte doch wieder zu mir kommen. Und ich müsste ihr sogar das verzeihen, was sie mit jenem sündigt. Wenn ich es an dem, was ich ihr versprach, nicht hätte fehlen lassen, wäre sie ja bei mir geblieben.«

So plagte er sich denn und knauserte sich den Bissen vom Munde ab, solange es ging. Sein Haus war noch nie so reich gefüllt gewesen wie jetzt in diesem Herbste. Das Weib musste wohl staunen, wenn es kam und sah, welchen Wohlstand er in den zwei Jahren schuf. Er wollte ihr den Genuss des Ersparten gönnen. Dass er selber auch noch viel von dem Vorrate zehren würde, schien ihm nimmer wahrscheinlich. Er sehnte sich nach der Ruhe, die ihm doch nicht kam, solange sie beide lebten. Und es war ihm ganz recht, dass es mit ihm zu Ende ging. Was er einmal von dem Leben erwartet hatte, war nicht gekommen. Seine Träume gingen nicht aus, und seine Sehnsucht blieb ungestillt. Er hatte sein Herz niemandem auftun können und musste es verschlossen dem zurücktragen, der es ihm gab. Nachdem er also im Herbste abgeerntet hatte, hielt er sich verpflichtet, dies dem Weibe wieder wissen zu lassen. Der Talgang wurde ihm nun schon recht schwer, seinem Leibe nämlich. Mit jedem Schritte schienen ihm die Knie brechen zu wollen. Aber in seinem Innern war ihm doch wohl dabei. Er lächelte stille in sich hinein. Es war ein Lächeln, mit welchem er über sich selbst, über das Leben und über diese Welt triumphierte.

»Jetzt komm'!« wollte er seinem Weibe unten sagen. »Jetzt komm' und nimm'!« Als er unten die Türe auftat, sah er die beiden wieder wie damals beieinander sitzen. Sie erschraken diesmal weniger über sein Aussehen, als sie über das Lächeln staunten, mit welchem er eintrat und sprach: »Jetzt komm', Evi, jetzt komm'!« Dann brachen ihm die Knie. Er fiel auf den Boden hin und hatte das Seine vollendet.


 << zurück weiter >>