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Das Familienidol.

Eine Skizze.

Die Generalin von Lichtenau hatte ihren gewöhnlichen Mittwochcirkel um sich versammelt, aber eine ungewöhnliche Aufregung herrschte heute darin.

»Wird er spät kommen? Wird er früh kommen? Wird er lange bleiben? Wie wird es ihm unter uns gefallen?« So flüsterte man von allen Seiten.

Dieser Er war ein Löwe der Residenz, der, von einer mehrjährigen Reise in den Süden zurückgekehrt, heute zum ersten male wieder in einer Gesellschaft sich zeigen sollte. Er besaß alle Eigenschaften, die zu einer gesellschaftlichen Größe machen: er war schön, talentvoll, ein Original und sehr reich! Sein Name war Walther von Windeck, er war ungefähr zwei- bis vierunddreißig Jahre alt. Von jeher hatte er zu den Menschen gehört, die überall, wo sie sich aufhalten, von sich reden machen, weniger durch die auffallende Erscheinung ihrer eigenen Person, als durch ihre Umgebung und ihre Art zu leben. Er war Kunstkenner und Kunstsammler, ein Alterthumsforscher mit bedeutenden Kenntnissen ausgestattet, ein kühner Reiter und ein schöner Mann – Ursache genug, um alle Schichten der Gesellschaft für sich zu interessiren.

Sein Benehmen, den Frauen gegenüber, war für einen so begabten Menschen eigentlich auffallend – er hatte eine Menge Freundinnen, aber nie hatte man in der großen Welt von einer einzigen Geliebten gehört, wahrscheinlich weil er selbst nicht davon sprach. Er erklärte übrigens immer, daß er nächstens sich eine Frau aussuchen werde: doch that er das nun schon seit zehn Jahren. Es war keine einzige Mutter in der Gesellschaft, die diesem Prachtexemplar eines Mannes nicht mit Vergnügen ihre Tochter gegeben – aber schlimm war, daß Baron Windeck wahrscheinlich dieses wußte und es ihm die eigentliche Lust dazu benahm, da, wie bekannt, Männer nur an den Reizen Freude finden, deren Gewinn für sie mit Schwierigkeiten verknüpft ist.

Die Generalin von Lichtenau hatte keine Tochter; nur eine Nichte, die bei ihr zum Besuch war, machte die Honneurs am Theetisch. Es war ein großes, schlankes, bleiches Mädchen mit einnehmenden, wenn auch nicht geradezu regelmäßig schönen Zügen, die mit gleichmüthiger Höflichkeit für alle Besuchenden Sorge trug.

Der Bediente riß plötzlich mit ganz besonderer Heftigkeit die Thürflügel auf – alle Blicke wandten sich – er war es!

Es war ein großer Mann von kräftiger breiter Gestalt, aber mit leichten und anmuthigen Bewegungen. Sein dunkler Kopf war weniger ideal als energisch und originell; um den nicht kleinen, aber rothen und hübsch geformten Mund, um die dunkeln starkbeschatteten Augen lag ungemein viel Entschlossenheit, ja bis zum Eigensinn gesteigerte Willenskraft.

Die Generalin erhob sich und ging ihm ein wenig entgegen, er küßte ihr sehr galant die Hand.

»Willkommen in der Heimat, Baron Windeck, Sie bleiben jetzt hoffentlich für ewig hier?«

»Ewig ist ein langes Wort,
Ich meine, da müßte ich gleich wieder fort!

Verzeihen Sie das Citat, gnädige Frau, aber ich konnte es im Augenblick nicht unterdrücken. In allem Ernst denk ich aber sehr lange hier zu bleiben; das heißt den ganzen Winter!«

»Setzen Sie sich, erzählen Sie uns; die Damen werden Ihnen meistens von früher her bekannt sein, nur hier meiner Nichte muß ich Sie vorstellen – Therese Buchholz, die Tochter meines Bruders.«

»Ich habe Sie als Kind gesehen, gnädiges Fräulein«, sagte der Baron, nachdem er die übrigen Damen begrüßt, sich zu dem jungen fremden Mädchen setzend. »Sie erinnern sich wol dessen nicht mehr? Sie waren einmal mit Ihrem Herrn Vater hier, als elf- oder zwölfjähriges Kind und ritten damals viel auf einem wilden Pony.«

»Das war meine Schwester«, sagte lächelnd Therese, »ich bin nie zu dem Glück gelangt, auf einem Pferde zu sitzen. Uebrigens«, setzte sie heiter lachend hinzu, »ist es mir sehr schmeichelhaft, daß Sie mich mit meiner Schwester Ida verwechseln.«

»Ich begreife schon«, sagte ebenfalls lachend Windeck: »in jeder Familie gibt es eine Person, welche von den Verwandten als Schönheit betrachtet und behandelt wird. Schon Boz hat diesen Umstand ausgebeutet, auch er läßt oft seine Frauen sagen: ›My sister the beauty‹. Ob diese ›beauty‹ es nun auch in den Augen anderer Leute ist, das gilt einerlei, sie hat einmal das Familienpatent.«

»Meine Schwester Ida ist aber auch in den Augen anderer Leute eine Schönheit.«

»Sie werden förmlich beleidigt, daß ich Ihrem Familienidol zu nahe trete!«

»Nein: aber es thut mir leid, Herr Baron, daß Sie meine schöne, gute, harmlose Schwester, mein Idol – denn das ist sie mir im Ernst – gleich im ersten Augenblick unserer Bekanntschaft lächerlich zu machen suchen!«

»Ich bitte Sie um Alles in der Welt, gnädiges Fräulein, nehmen Sie die Sache nicht zu schwer! Ich glaube ja gern, daß Ihre Fräulein Schwester ein Phänomen von Schönheit und Liebenswürdigkeit ist …«

»Das ist sie auch«, sagte, noch immer gereizt, die sonst sehr sanfte Therese, indem sie in der Zerstreuung dem Baron heißes Wasser statt Thee eingoß.

Er bemerkte lächelnd, als er die Tasse aus ihrer Hand empfing: »Ich danke Ihnen für die Sorge um meine Gesundheit; aber Thee hat mir selbst mein Arzt erlaubt.«

»O entschuldigen Sie, aber ich verwechselte Ihre Tasse mit der meinigen – ich kann keinen Thee mehr vertragen.«

»Waren Sie krank?«

»Nicht doch; seit meinem Aufenthalt in Italien, wo Niemand Thee trinken darf, habe ich mich dessen ganz entwöhnt.«

»Sie waren in Italien?! O nun sind wir in einem Fahrwasser, nun sind wir Geschwister, Freunde – das heißt wenn Sie es gnädigst gestatten?«

Therese wurde sehr roth, weil die aufmerksamen Blicke der übrigen Damen bei den enthusiastischen Ausrufen des Barons sie beklommen machten. Dennoch sagte sie ziemlich unbefangen: »Auch für mich ist Italien und besonders Rom ein Losungswort zur Mittheilung meiner liebsten Erinnerungen – ein Freimaurererkennungszeichen zwischen mir und meinen Bekannten!«

»Ich danke für gnädige Zurechtweisung«, sagte mit einer Verbeugung der Baron: »ich wagte von Freundschaft zu reden – Sie führen mich freundlich, aber strenge in den großen Empfangsalon der Bekannten …«

»Sie sind eigensinnig, Baron Windeck?«

»Merken Sie das erst jetzt, nachdem Sie schon seit beinahe einer halben Stunde die Gelegenheit haben, meine Bekanntschaft zu machen? Ja, mein gnädiges Fräulein, ich bin nicht nur eigensinnig, sondern sogar sehr eigensinnig, und komme deshalb jetzt zum dritten male auf Etwas zurück, wovon Sie mich zwei mal mit echt weiblicher Diplomatie zurückgescheucht: nämlich auf die Frage, ob Sie mir auf Grund unsers beiderseitigen getrennten Aufenthaltes in Rom und unsers vereinigten Aufenthaltes am Theetisch Ihrer Frau Tante gestatten wollen, mich hinfüro Ihren Freund zu nennen?«

»Ist diese Frage«, sagte mit unerschütterlicher Ruhe Therese, »um mich eines modernen Zeitungsausdruckes zu bedienen, nicht verfrüht?«

»Hilft Ihnen Alles nichts! Ist sie verfrüht, so ist jedenfalls Ihre Antwort sehr verspätet und stellt also das Gleichgewicht wieder her. Geben Sie mir eine Resolution, Ja oder Nein, mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein!«

»Liebe Tante, was sagst du dazu? Du kennst den Baron schon lange, du hast unsere Unterhaltung gewiß gehört: denn du hast ja die glückliche Gabe, alle Unterhaltungen, die in deinem Salon geführt werden, zu hören – was soll ich diesem unverbesserlichsten aller Cavaliere antworten?«

Die Tante sagte lachend: »Mein liebes Kind, da dieser unverbesserliche Cavalier weiter nichts beabsichtigt, als dich, die er für ein Landfräulein hält, etwas in Verlegenheit zu setzen und es ihm doch nicht gelingt, so ist deine letzte Antwort eigentlich ziemlich gleichgültig. – Sie sehen, Baron, ich stehe meiner Nichte bei.«

»Ich sehe!«

»Nun, so will ich denn meinem Herzen folgen und –«

»Bejahen, nicht wahr, gnädiges Fräulein?«

»Mit nichten, verneinen. Ich war nur anfangs zu höflich und scheute mich Ihnen offen zu antworten; da aber meine Tante so wenig Umstände mit Ihnen macht, so will ich«, sagte sie mit freundlichem Lächeln, »Ihnen geradezu gestehen, daß ich schnelle Freundschaften nicht liebe.«

»Sie sind ein Phänomen in der Gesellschaft«, sagte etwas ironisch Windeck, »eine so offenherzige Dame ist mir noch nicht vorgekommen.«

»Gewiß ist Ihnen eine solche schon vorgekommen. Die Männer achten aber so wenig auf den Charakter der Frauen. Ob eine Frau hübsch ist und ob sie coquett ist, das ist so ziemlich, worauf sich die Beobachtung der Männer uns gegenüber beschränkt.«

»Sie erfüllen mich mit Staunen, mein allergnädigstes Fräulein!«

»Ich selbst«, rief lachend die Generalin, »habe Therese nie so imperatorisch entschieden sich aussprechen hören. Gewöhnlich ist sie so zurückhaltend …«

»Du kennst das Sprichwort, liebe Tante, von den stillen Wassern.«

»Es ist das wahrste, das es gibt«, sagte Windeck, »besonders was den Charakter der Frauen betrifft.«

»Baron Windeck …«

»Sie befehlen?«

»Wollen Sie mir einen Gefallen thun, so reden Sie nicht mehr bei mir – wenigstens nicht die ersten male, wo ich Sie sehe, von meinem Geschlecht im Allgemeinen. Ich kann mich dann nicht enthalten, Ihnen zu entgegnen, was ich nachher bereuen würde. Sie sind ein verwöhnter Mann, ein Schooskind des Glücks – und Männer Ihrer Art entbehren in der Sonne des Lebens immer des feinen Auges, das dazu gehört, um eine im Schatten stehende Partei zu beobachten.«

»Und die im Schatten stehende Partei – wer ist das?«

»Das wissen Sie längst –« und sich zur Generalin wendend: »Tante, bitte, sprich für mich, ich sehe dir an den Augen an, daß du gut für mich reden wirst.«

»Nun wohl denn, so muß ich Ihnen sagen, Herr von Windeck, daß meine Nichte vollkommen Recht hat. Ein junges Mädchen kann mit einem Manne gar nicht zum Vortheil ihres Geschlechts so reden, wie sie möchte, weil es Rücksichten gibt, die ihr verbieten, die triftigsten Anklagen gegen die Männer auszusprechen, die klarsten Vertheidigungen für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Und Sie überdies, der ein verwöhntes und verhätscheltes Glückskind ist, mit dem ist es am allerwenigsten möglich, über unsere engbegrenzte und hartbedrängte Stellung zu reden, wenn man erst einundzwanzig Jahre alt ist.«

»Also mündig ist doch das Fräulein?«

»Wollen Sie nicht so gefällig sein«, lächelte Therese, »mir die Vortheile meiner Mündigkeit auseinanderzusetzen?«

Windeck nahm die schüchterne Miene einer Jungfrau an, schlug die Augen nieder und lispelte verschämt: »Als junger Mann ist es mir unmöglich, Ihnen das auseinanderzusetzen – es gibt Rücksichten –«

Tante und Nichte lachten laut; aber Therese sagte: »Sie sind ein boshafter Spötter und ich werde mich in Zukunft hüten.« Damit nahm sie ihre Arbeit und setzte sich am andern Ende des Saals zu einer alten Dame. Windeck jedoch, der ihre Absicht, das Gespräch abzubrechen, durchschaute, fühlte seine Eitelkeit von dieser Flucht verletzt. Denn, ach, wir müssen es mit Bedauern von unserm Helden gestehen: er war sehr eitel – aber von jener gutmüthigen Eitelkeit, die nur vom übertriebenen Schmeicheln und Huldigen Anderer entsteht und im spätern Alter spurlos einer klaren Einsicht weicht. Wie hatten ihn die Frauen überall verwöhnt, wieviel hundert mal hatten ihm selbst verheirathete Frauen gesagt, daß er überall in jedem Kreise jedes Mädchen wählen könne und sicher sein dürfe, nie einen Korb zu erhalten – und Windeck war am Ende doch auch nur ein Mensch!

Er kam nun öfter in das Haus der Generalin. Offenbar zog ihn Therese an. Aber gerade das begriff Niemand – sie ist ja nicht schön, hat ja kein Vermögen, das ist doch keine Partie für ihn! Denn an Heirathen dachte alle Welt, außer Therese selbst.

Oft sprach sie mit Windeck von ihrer schönen Schwester Ida, und dem gewandten Weltmanne entging es nicht, daß sie wünschte, eben diese Schwester möchte er einmal zur Gattin wählen. An sich selbst dachte sie nicht. Diesen Phönix, von dem sie seit ihrer Kindheit als der ersten Partie des Landes reden hörte, diesen brillanten »Epouseur« fiel es ihr nicht ein sich selbst zu bestimmen. Heirathen lag überhaupt für sie außer der Grenze ihrer Gedanken. Seit ihrer Kindheit hatte sie, die älteste der Schwestern, immer für die übrige Familie gelebt – eine kranke Mutter gepflegt, für einen launischen Vater gesorgt, ihre schöne jüngere Schwester geschmückt und verwöhnt, dann einmal zur Abwechselung eine schwindsüchtige Cousine nach Italien begleitet. Jetzt war sie wieder bei der von ihren Söhnen verlassenen Tante zur Gesellschaft anwesend, und so war eigentlich das ganze Ziel ihres Strebens, ihre Angehörigen zu begleiten und zu befriedigen, vor allem aber, Ida, die Windeck immer die Schwester Idola nannte, glücklich zu verheirathen. Denn – was würde Ida für eine reizende Frau geben! So dachte sie hundert mal im Stillen, vielleicht weil Ida selbst so dachte.

Wie gesagt, Windeck durchschaute sie vollkommen, und er, der sich selbst für ein so sehr beglückendes und beseligendes Loos zu halten überzeugt, worden war, wurde völlig von dieser Entsagung gerührt; solche Selbstlosigkeit war ihm noch nicht vorgekommen, auch paßte sie wunderbar in seine Pläne. Diese Pläne und Absichten zu enthüllen, werden wir später die Zeit finden; jetzt nur das Eine – er beschloß Theresen seine Hand anzutragen.

Bei einem Morgenbesuch sagte er zu ihr, als die Tante einen Augenblick das Zimmer verlassen: »Jetzt kommt der Frühling, und ich werde mein Landgut beziehen, fürchte mich aber vor der Einsamkeit.«

»Ich hatte eine bessere Meinung von Ihnen.«

»O ich liebe auch die Einsamkeit, aber nur die zu Zweien.«

Therese lachte unbefangen: »Eine schöne Einsamkeit.«

»Wollen Sie sie nicht kennen lernen? Kommen Sie mit mir, Therese, nehmen Sie den rastlosen Wanderer in Ihre Obhut und gründen Sie mir die süße Häuslichkeit, die Niemand so gut versteht als Sie!«

Er hatte ihre Hand ergriffen, denn sie war todtenblaß geworden …

War das nicht Liebe? War das nicht Glück? Wie kam sie dazu? Stand nicht vor ihr ein geehrter, geschätzter, wenn auch nicht von ihr begehrter Mann – aber doch ein Mann, den Alle begehrten – und bot ihr, der armen, blassen Therese, Hand und Herz an, – ihr, deren kühnste Wünsche sich nur dahin verstiegen, seine Schwester zu heißen?

Sie brach in Thränen aus. Er wollte ihr Haupt an seine Schulter drücken, aber sie widerstrebte; sie stand auf, ging im Zimmer auf und ab und rang die Hände, als wäre ihr ein Unglück zugestoßen.

Da trat ihre Tante, die sie herzlich liebte, ein. Erschrocken fragte sie: »Was ist dir, Kind?«

Therese aber fiel ihr um den Hals und rief ein mal über das andere: »Es ist unmöglich, es ist unmöglich!«

»Was ist unmöglich?« fragte die Generalin.

»Daß sie meine Gattin wird«, sagte Windeck bitter.

Da blieb Therese stehen und sah ihn groß an. »Nein«, sagte sie mit aller Natürlichkeit, Anmuth und Harmlosigkeit eines Kindes: »nein, es ist unmöglich, daß Sie mich lieben können.«

»Engel!« rief nun Windeck und zog sie an sich. Die Tante aber vergoß Thränen der Freude; schon am folgenden Tage lud sie eine große Gesellschaft und verkündete zu Vieler Aerger: Ihre Nichte, Therese von Buchholz, sei verlobt mit dem Freiherrn Walther von Windeck.

Therese schwamm in einem Meere nie geahnter Wonne. Ihr Herz hatte sich auf Windeck's Frage der unbegrenztesten Liebe geöffnet. Der Gedanke, die Braut eines Mannes zu sein, der wirklich unter Allen, die sie bisher kennen gelernt, der Erste und Bedeutendste war, hatte etwas Berauschendes für sie. Sie sann darüber nach, wie sie ihm das Leben verschönern und verklären wolle. Sie war unendlich anmuthig in ihrer bräutlichen Liebe, schüchtern und zart, zurückhaltend und ängstlich auf das äußerste. Ihre schöne Gestalt schien wie gehoben und getragen, ihre bleichen Wangen selbst hatte das Glück mit einem rosenrothen Schleier überkleidet, und wer sie jetzt sah, mußte sie entschieden schön und reizend finden; anmuthig war sie immer gewesen.

Windeck hatte eine große Freude an ihr, ohne daß er eigentlich in sie verliebt gewesen wäre. Er war keine blasirte, aber in seinen Empfindungen eine äußerst schwerfällige und langsame Natur; um sich in eine Frau zu verlieben, mußte diese Frau ihm Emotionen aller Art geschaffen und sein träges Blut in Wallung gebracht haben. Das hatte nun Therese nicht gethan, sondern ihm freudig und freundlich ihr bestes Selbst dargebracht, als er es von ihr begehrt. Wir können nicht unterlassen, einen Brief mitzutheilen, den er seinem einzigen Freunde, dem Grafen Horn, acht Tage nach seiner Verlobung schrieb, obgleich er aus Malice, weil sein Freund ihm selbst einen sehr überschwänglichen Bräutigamsbrief geschrieben, ganz besonders kalt und gefühllos sich anstellte, wie das so häufig geschieht, daß eine Uebertreibung wieder das andere Extrem hervorruft.

»Du verlangst von mir eine ausführliche Schilderung meines Zustandes, wie du dich ausdrückst. Nun wohl, du weißt ja, daß ich von jeher entschlossen war, keine Erbin, keine Schönheit und kein Genie zu heirathen: denn ich will nicht begnadigt werden, sondern selbst begnadigen – dies unter uns.

Meine Braut ist nicht schön, nicht reich, nicht geistreich – aber anmuthig, wohlerzogen und klug. Ich bin auch nicht im mindesten verliebt in sie, und unsere Verlobung erscheint mir nur als eine gelungene Unternehmung.

Du selbst, ein entzückter Bräutigam, wirst mit starrem Entsetzen diese Zeilen lesen: aber wer weiß, welcher von uns Beiden binnen zehn Jahren die schönsten Ausdrücke über sein eheliches Glück gebraucht.

Alles in Allem – nach mancher Havarie bin ich im Hafen; du aber mit deinen excentrischen Phrasen kommst mir vor, als schwämmest du noch auf hoher See.«

Therese erklärte, zu ihrer Familie auf das Land gehen zu wollen, wo ihr Vater mit ihrer schönen Schwester und einigen jüngern Brüdern lebte, um dort ihre Ausstattung vorzubereiten, da Windeck durchaus noch im Laufe des Sommers sich mit ihr vermählen wollte, um den Herbst und den Winter zusammen in Paris, das sie noch nicht kannte, zuzubringen. Ihre Schwester Ida sollte sie begleiten, was die Generalin ein sehr unpassendes Verlangen von Therese nannte. Doch war diese nicht davon abzubringen, da sie sich zu glücklich fühlte, der geliebten Schwester die Welt zu zeigen und einen Theil ihres Glückes auf sie zu übertragen.

Als sie auf dem Gute ihres Vaters ankam, wurde sie mit einer gewissen Feierlichkeit empfangen; ihre Verlobung mit Baron Windeck hatte ihr sogar in ihrer eigenen Familie ein Relief gegeben. Ihrer schönen Schwester Ida konnte sie nicht genug von dem Bräutigam erzählen. Die Letztere hatte schon viel von ihm durch den jungen Grafen Horn vernommen, dessen Braut in der Nähe wohnte und eine Freundin Ida's war.

Ida war zwei Jahre jünger als Therese und wirklich von wunderbarer Schönheit, dabei anmuthig und lebhaft. Auf Windeck war sie förmlich eifersüchtig: denn Theresens ihr sonst allein gewidmete Sorge und liebevolle Aufmerksamkeit gehörte nun zum größern Theile dem Geliebten.

Theresens Briefe an ihn nahmen schon einen Haupttheil ihrer Zeit hinweg. Aber wirklich erregten diese Briefe auch Windeck's größte Bewunderung und waren das beste Mittel, Alles, was in ihm noch dem Mädchen seiner Wahl fremd war, ihr zu eigen zu machen. Er sagte einmal zu Theresens Tante: »Ich segne jetzt die Trennung von Theresen, wie ich sie anfangs beklagte, denn ihre unvergleichlichen Briefe zeigen mir, welchen Schatz ich in ihr besitze. Wie alle selbstlosen Gemüther offenbart sie im Reden nie ihr eigenes Selbst, weil sie sich nur damit beschäftigt, die Andern hervortreten und reden zu lassen; im Briefe aber muß sie sprechen und von sich sprechen, und da wird es offenbar, was sie für ein Kleinod von klarer, unverfälschter Weltanschauung, bodenloser Güte, echter Christendemuth und unerschütterlichem Glauben an ihre Lieben ist – und welche tiefe Geistes- und Herzensbildung sie besitzt.«

Die Generalin schrieb deshalb an Therese: »Bei deinem Bräutigam ist es umgekehrt wie bei andern Liebhabern, wo es heißt: aus den Augen, aus dem Sinn – bei ihm heißt es: aus den Augen in den Sinn; du erfüllst ihn ganz, er redet nur noch von dir und deinen Briefen.«

Therese küßte eben sinnig gerührt, mit kindischer Freude diese Zeilen der mütterlichen Freundin, als Ida mit ungewöhnlich ernsten Zügen und verweinten Augen bei ihr eintrat. Therese bemerkte dies trotz ihrer freudigen Aufregung sogleich.

»Was ist dir, Kind?«

»Ich wage dir das gar nicht zu sagen, Therese; ich habe um dich geweint!«

»Süßes Kind, du gehst ja mit mir! Wir trennen uns ja nicht eher, als bis du es selbst verlangst; Windeck nimmt dich mit Freuden in sein Haus.«

»Ich werde es nie betreten.«

»Was soll das heißen? Du erschreckst mich! Hast du Nachtheiliges über ihn vernommen – glaube das nicht!«

»Was ich vernommen, muß ich glauben – denn er hat es selbst geschrieben – ein Brief an Horn, den seine Braut mir zu lesen gegeben, aus Freundschaft für dich und mich!«

»Was steht denn in dem Briefe?« fragte Therese ruhig mit der vollen Sicherheit der glücklichen und vertrauenden Liebe, indem sie die Hand ihrer Schwester ergriff.

»In dem Briefe steht, daß er dich gar nicht liebt, und nur aus Vernunft und Ueberlegung heirathen will, weil er keine schöne, keine geistreiche und keine reiche Frau gewollt hat: denn aus lauter Egoismus fürchtet er die Prätensionen einer solchen!«

Therese wurde etwas bleich; doch sie sagte noch immer ruhig: »Es wird ein Scherz sein!«

»Kein Scherz, glaube mir! Horn ist sein intimster Freund. Wenn du es willst, werde ich Horn's Braut bitten, mir den Brief zu verschaffen; es wird ihr aber nicht leicht sein, da natürlich ihr Bräutigam nichts davon erfahren darf; er würde es sogar Marien sehr übel nehmen, wenn er wüßte, daß sie den Brief, den er in ihrem Zimmer hat liegen lassen, mir gezeigt hat.«

»Ich muß den Brief sehen«, sagte Therese tief entschlossen: »schaffe mir ihn sobald als möglich, Marie ist mir das schuldig; entweder sie hätte mich gar nichts sollen erfahren lassen – oder ich muß die volle Wahrheit haben.«

Als Ida ihr nun wirklich den Brief brachte und sie las: ›Meine Braut ist nicht schön und nicht geistreich‹, da lächelte sie noch ganz muthig und sagte mit anbetungswürdiger Anmuth: »Das ist ja wahr!« Als sie aber an die Stelle kam: ›Ich bin auch nicht im mindesten verliebt in sie und unsere Verlobung erscheint mir nur als eine gelungene Unternehmung‹ – da traten ihr doch die Thränen in die Augen und sie rief schmerzlich weinend: »Das ist nicht schön von ihm – warum hat er denn die Glut, die so wohl verdeckt und ungeahnt von mir selber in meinem Herzen schlief, grausam geweckt, wenn er sie selbst nicht theilte? Warum hat er mir Liebesworte zugeflüstert und Liebesblicke zugestrahlt? Das war also nur ein Spiel, das er mit mir trieb!«

Sie verlangte nach Einsamkeit; Ida vermochte sie nicht zu trösten, dachte auch nicht daran. Denn denselben Tag noch wurde ihr ein großes Glück zu Theil: eine entfernte Verwandte, von der sie aus der Taufe gehoben war, vermachte ihr ein sehr bedeutendes Capital – sie war nun wirklich ein seltenes Kleinod in den Augen der Männerwelt – schön und reich zugleich.

Als sie Theresen ihr Glück mittheilte, sagte diese etwas ironisch: »Du kannst froh sein, daß nicht alle Männer den Geschmack meines Bräutigams theilen; der will ja keine Schönheit, keine Erbin und kein Genie; in seinen Augen also hast du nur noch einen Fehler mehr bekommen.«

»Du sagst: ›Mein Bräutigam‹! Willst du ihn denn doch noch heirathen, Therese?«

Therese sah sie groß an, als verstände sie nicht, was ihre Schwester sagte.

»Marie und ich, wir dachten, du würdest, wenn du den abscheulichen Brief gelesen hättest, gar nichts von ihm wissen wollen, und auch Graf Horn sagte zu seiner Braut: ›Es ist gut, daß Therese Buchholz nicht den Brief liest – denn so Etwas verzeiht doch kein Mädchen, die etwas auf sich hält.‹«

»Sagte Horn das, Ida, sagte er das?«

»Warum sollte Horn es denn nicht sagen?«

»O Ida, ich liebe Windeck aber dennoch – und es ist ja für mich nichts Herabsetzendes in seinen Aeußerungen, – seine Kälte und sein Mangel an Liebe würden für mich nur dann beleidigend sein, wenn ich schon seine Frau wäre. Denn eine Frau muß das Herz ihres Mannes zu finden wissen, wenn es keine Andere besitzt, – und mir wird das auch gelingen, ich liebe ihn ja so sehr!«

Ida war unbesonnen genug, ihre Schwester um dieser Milde willen zu tadeln; sie reizte das sonst so sanfte Gefühl der arglosen Therese auf das äußerste. Auch Marie, die Braut des Grafen Horn, nahm die Sache als eine Ehrensache des Geschlechts; ein Mann, der sich so äußerte, müßte bestraft werden.

Therese wurde zuletzt durch das Drängen der beiden Mädchen ihrer sanften Natur untreu gemacht und fand endlich, daß ihr unerhörtes und unverzeihliches Unrecht geschehe; sie beschloß Windeck abzuschreiben.

Da trat Ida mit einem andern Vorschlag hervor. »Wie wäre es, Therese, wenn du mir die Sache überließest? Ich gehe auf einige Wochen zur Tante Lichtenau, mache Windeck in mich verliebt, natürlich, indem er mich immer noch für seine künftige Schwägerin hält, – ist er recht weich, so sage ich ihm, daß du ihn nicht willst, dann trägt er mir seine Hand an – da lache ich ihn aus und sage: Wie ist mir denn, Herr Baron? wer hat denn einmal geschrieben und oftmals gesagt, daß er nie eine Schönheit und eine Erbin –!«

»Ida! Ida! Du kannst doch nicht selbst sagen, daß du eine Schönheit bist, wenn du dich auch für eine Erbin erklären willst –!«

»Du hast Recht, daran dachte ich nicht. Ihr sagt mir so oft, daß ich eine Schönheit sei, daß ich das zuletzt ganz unbefangen selber sage. Aber es geht wirklich nicht. – Also muß ich mich begnügen, ihm zu sagen, daß ich einen Mann, der meine Schwester blos deshalb habe heirathen wollen, weil sie keine Schönheit, keine Erbin und kein Genie sei, ebenfalls nicht möge!«

»Ida, du täuschest dich unglaublich! Ich lese eben sonnenhell in deinem dir verschleierten Herzen …«

»Nun? und was liesest du denn darin?«

»Da muß ich weit ausholen. Als ich hier ankam und dir Windeck mit all seinen glänzenden Eigenschaften schilderte, wurdest du ganz nachdenklich und schweigsam, anstatt liebevoll und heiter, wie du sonst immer bist, mein Glück zu theilen. Ich hatte dir den mir so theuern Mann offenbar mit zu glühenden Farben geschildert, dein unberührtes Herz nahm sein Bild auf, du interessirtest dich für deinen künftigen Schwager …«

»Therese –!«

»Laß mich fortfahren. Nicht damals sah ich das ein – Glück macht blind; jetzt aber bin ich hellsehend! Es kam dann eine Zeit, wo du unfreundlich und lieblos gegen mich wurdest – das kam wahrscheinlich daher, weil dir eingefallen war, es sei eigentlich unrecht, daß ich, die unschöne Therese, es gewagt, vor dir, dem Familienidol, der gefeierten Schönheit, die erste Partie im Lande zu schließen; dieser Mann, dachtest du, habe eigentlich dir gehört, von Rechtswegen!«

»Aber ich bitte dich, liebe Schwester« –

»Laß mich ausreden. Bis jetzt habe ich nur erzählt, was du selbst weißt, nun aber werde ich dir etwas Dunkles, Ungeahntes aufdecken. Nachdem du mich, aus ehrlichem Mädchenstolz, dahin gebracht, Windeck aufzugeben – es ist aber sehr leicht, liebe Ida, stolz zu sein, wenn Andere es mit ihrem Herzen bezahlen müssen – also nachdem du mich soweit gebracht, bildest du dir ein, du wollest ihn zur Strafe für sein an mir begangenes Unrecht in dich verliebt machen; er soll die Lächerlichkeit begehen, dir, einer Erbin und Schönheit, zu huldigen und wenn er dir zu Füßen läge, meinst du, würdest du ihm einen spöttischen Korb geben. Das wirst du aber nicht thun –!«

»Therese, du beleidigst mich tödtlich« –

»Du glaubst jetzt, daß du es thun wirst, daran zweifle ich keinen Augenblick; aber dein ganzer Racheplan entspringt nur aus dem Wunsch, den gefeierten Mann zu deinen Füßen zu sehen!«

»Ich verzeihe dir, denn du sagst das nur, weil du ihn selbst noch immer liebst und nicht aufzugeben vermagst.«

»Ich liebe ihn noch immer und gebe ihn auf – aber jetzt nicht mehr aus Kränkung wegen seines Briefes, sondern weil ich wirklich einsehe, daß eine so berechnete Wahl, wie die seinige, nimmermehr zu einer glücklichen Ehe führen kann – und daß einem so eitlen Manne wie ich ihn aus dem Briefe an Horn habe kennen lernen, nimmermehr eine Frau von so bescheidenen Vorzügen, wie ich bin, genügen kann. Geh' also nur hin, erobere ihn, ich gebe dir freie Hand – erobere ihn und behalte ihn!«

»Und du, Therese? und du?« fragte tief erschüttert Ida.

»Mein Loos ist festgestellt; ich gehe zur alten Lady Walpole nach England. Du weißt, wie sehr sie mich eingeladen, und daß ich ihrer Einladung nur deshalb nicht längst gefolgt, weil meine Verwandten noch meiner bedurften. Jetzt habe ich mir aber meine Freiheit erkauft und gehe. Du sagst aber Windeck nicht, wohin ich gehe; ich will keinen Entschuldigungsbrief von ihm empfangen.«

»Aber nicht wahr, Therese, du glaubst nicht mehr, daß ich ihn selbst heirathen will?«

»Du wirst es thun, wenn du auch nicht willst.«

»Nie! nie! Ich schwöre es dir!«

Therese ging nach England und Ida in die Residenz, wo ihr eines Morgens im Hause ihrer Tante Baron Windeck vorgestellt wurde.

Er war offenbar überrascht bei ihrem Anblick; so schön hatte er sie sich nicht gedacht. Aber sogleich fragte er sie: »Wie kommt es, daß ich seit acht Tagen keinen Brief von Theresen erhalten? Ich bin sehr besorgt deshalb.«

»Ich muß sie bei Ihnen entschuldigen. Therese hat sich an der Hand verletzt und kann nicht schreiben«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen.

»Verletzt? Wie? Doch nicht bedeutend? Sie erschrecken mich!«

»Beruhigen Sie sich, die Sache ist so wenig bedeutend, daß sie, da ihre kranke Hand sie verhindert, an ihrer Ausstattung zuzuschneiden und zu ordnen, einstweilen einen Abstecher nach London gemacht; von dort aus wird sie Ihnen schreiben.«

Windeck war offenbar von diesem Benehmen seiner Braut ihm gegenüber beleidigt und verletzt. Konnte sie ihm nicht schreiben lassen, ihm nicht die Absicht ihrer Reise nach London mittheilen, bevor sie dieselbe antrat?

»Mit wem ist sie denn nach England gegangen?«

»Mit einer alten Dame, deren kauderwelschen Namen ich vergessen. In vierzehn Tagen, höchstens drei Wochen kehrt Therese jedoch zurück, und bis dahin müssen Sie schon Ihr liebendes Herz bezwingen«, sagte Ida ironisch. Denn die üble Laune des Barons entging ihr nicht.

Er war zu stolz, um sie der kleinen Schwägerin nicht verbergen zu wollen. Er spielte sogleich wieder den Heitern und fragte: »Wie ist es, Fräulein Ida? Reiten Sie noch immer?«

»Gewiß, und da morgen oder übermorgen die Söhne meiner Tante zurückkehren, so denke ich mit ihnen manchen kühnen Ritt zu wagen. Ein Reitpferd sollen sie mir ohnedies kaufen und zwar ein wunderschönes!«

»So?« fragte gleichgültig Windeck; er hatte zwar durch die Generalin von Ida's Erbschaft gehört, doch war ihm dieselbe natürlich ziemlich gleichgültig.

Er kam aber doch den folgenden Morgen wieder, indem er meinte, durchaus hier etwas von Theresen erfahren zu müssen. Auf seine etwas beklommenen Fragen nach ihr antwortete Ida noch zurückhaltender; es entging ihm nicht, daß sie sich bemühte, dann immer gleich auf etwas Anderes überzugehen.

Als er nach Hause ging, sagte er zu sich: »Meine künftige Schwägerin ist schön, wie ein Engel, aber eine kleine Coquette und eine große Diplomatin. Es ist nichts aus ihr herauszubringen – was nur mit Theresen ist? Ich kann mich diesmal gar nicht in ihr sonst so klares offenes Wesen finden! Warum sie nur nach England gegangen ist?«

Je öfter er kam, desto unbegreiflicher erschien ihm Ida und desto weniger erhielt er eine Auskunft wegen Theresen. Ida, wir können es nicht leugnen, warf, wenn auch sehr feine doch noch immer sichtbare Netze nach ihm aus und Windeck beging den echten Männerfehler, sich darin fangen zu lassen. Das heißt, er ging auf alle Coquetterien ein und bedachte dann immer nur, daß sie ein großes Unrecht begehe, indem sie so mit dem Bräutigam ihrer Schwester liebelte, aber nie, daß er selbst ein noch viel größeres beging, indem er die gelobte Treue verletzte, um ein junges Mädchen in einem thörichten und strafbaren Beginnen zu bestärken. Aber wie gesagt, welcher Mann hätte jemals eine schöne Hand zurückgestoßen, die sich ihm liebend ohne Ansprüche bot?

Eines Morgens ritt Windeck mit Ida und ihren beiden Vettern spazieren. Es war im Walde, die beiden jungen Leute waren, mit ihren Pferden beschäftigt, ziemlich weit zurückgeblieben und Windeck und Ida so gut wie allein.

Ida's Gesicht glühte; mit matter Stimme sagte sie: »Welche Wohlthat, dieser Schatten. Noch fünfzig Schritte weiter auf der Chaussée und ich wäre gestorben!«

»Sterben Sie so schnell, schöne Schwägerin?« fragte etwas ironisch und doch sehr zärtlich Windeck.

»Nennen Sie mich nicht Schwägerin – Sie sind ja noch nicht mit meiner Schwester verheirathet und wer weiß, ob diese Partie jemals zu Stande kommt!«

»Darauf verlassen Sie sich«, sagte plötzlich den Ton verändernd und sehr ernst Windeck: »Therese wird meine Frau und wenn ich sie von der Sonne holen sollte.«

Ida wurde todtenblaß. Denn in der letzten Zeit hatte Windeck aus Klugheit nie mehr den Namen ihrer Schwester bei ihr genannt und sich auch wahrscheinlich jetzt nur durch ihre übermüthige Behauptung, es werde nichts aus der Heirath, zu dieser Aeußerung hinreißen lassen.

»Ich wußte nicht, ich ahnte nicht, daß Sie meine Schwester so sehr lieben, Herr Baron!«

»Um Vergebung, aus welchem andern Grund, glaubten Sie denn, sollte ich Ihr Fräulein Schwester heirathen?« fragte Windeck etwas impertinent.

»Freilich«, sagte Ida, indem sie sich unbesonnen von ihrem rasch aufsteigenden Zorne hinreißen ließ: »besitzt denn nicht meine Schwester alle die negativen Eigenschaften, die Sie huldvollst von Ihrer Braut zu verlangen geruhen?«

»Negative Eigenschaften?« Seine Hand faßte das Pferd am Zügel und sein großer Rappe pflanzte sich ihrem erschreckten Pferde in den Weg: »Was soll das heißen? Auf der Stelle sagen Sie mir, was soll das heißen?«

Seine Augen glühten, seine Stimme dröhnte gewaltig; er sah aus, als wolle er auf seinem großen, schnaubenden Rappen die zarte Reiterin auf dem kleinen isabellfarbigen Thiere überreiten.

»Lassen Sie mein Pferd los, Baron!«

»Nicht eher, als bis Sie mir Ihre Worte erklären …«

Ida zitterte vor ihm; sie fühlte, daß sie, trotz aller ihrer Schönheit, ihm eben nichts war, und sagte deshalb schnell, um ihn zu befriedigen: »Haben Sie nicht immer erklärt, Sie würden nur ein Mädchen zum Altar führen, das keine Erbin, keine Schönheit und kein Genie sei?«

»Das also ist es!« rief Windeck wie von einer Centnerlast befreit und ließ den Zügel los – »das also ist es!«

Augenblicklich war sein lebhafter Geist im Klaren. Sobald Ida das erste Wort sprach, fiel der Brief an Horn, der ohnedies vielleicht schon schwer auf seinem Gewissen lag, ihm ein.

Er ließ Ida zurück, sprengte zu ihren Vettern, bat sie, die Dame zu begleiten, da ihm plötzlich etwas daheim Versäumtes eingefallen und jagte dann in wilder Eile über die sonnenbeschienene Chaussée nach Hause.

Eine Stunde später war Windeck auf einem frischen Pferde bereits weit jenseits der Stadt auf dem Wege, der nach dem Gute der Aeltern seiner Braut führte.

Theresens Vater saß ganz bequem in seinem Lehnstuhl und hielt sein Mittagsschläfchen, als Jemand hastig die Thür aufriß und ihn erweckte.

»Ich muß mich selbst vorstellen, denn ich fand Niemand im Flur um mich zu melden«, sagte ein staubbedeckter, hoher, ihm unbekannter Mann, der raschen Schrittes auf ihn zukam: »Ich bin Ihr künftiger Schwiegersohn, Walther Windeck.«

»Freut mich außerordentlich, Herr Sohn, außerordentlich«, sagte der alte Herr so freundlich, daß Windeck auf der Stelle sah, er wisse nichts von Dem, das zwischen ihm und Theresen vorgefallen.

»Ich bin in einer sonderbaren Lage, Herr Vater! Ich weiß nicht, wo meine Braut ist, und will mir ihre Adresse bei Ihnen holen.«

»Hat denn Ida Ihnen nicht Theresens Brief übergeben, wo sicher die Adresse drin stand?«

»Ich habe nichts erhalten.«

»Nicht Theresens Brief von Ida erhalten?«

»Nein!«

»Das ist doch sonderbar! Habe ich doch mit eigenen Augen gesehen, wie Therese, ehe sie einstieg, ihrer Schwester einen Brief übergab und hörte deutlich, wie sie sagte: ›Besorge ihn gleich an Windeck!‹«

»Nochmals – ich habe nichts erhalten! Und wo ist Therese?«

»Bei Lady Walpole in London. Oder vielleicht auch nicht mehr in London: denn sie schreibt mir, daß sie die Lady auf einer längern Reise begleiten werde. Ich wunderte mich nur, was Sie dazu sagen würden!«

»War nicht Therese in der letzten Zeit verstimmt?«

»Sie hatte immer verweinte Augen, behauptete aber an nervösem Kopfweh zu leiden und war zu keiner Erklärung zu bewegen; sie hatte offenbar einen großen Kummer.«

»Wie weit ist es von hier bis zu dem Gute, wo die Aeltern der Braut eines Freundes von mir, des Grafen Horn, wohnen?«

»O, Fräulein Marie, ich weiß; eine Freundin meiner Tochter Ida. Die haben Sie ja gesehen. Was sagen Sie zu Ida? Ist sie Ihnen nicht aufgefallen? Ein schönes Mädchen, nicht wahr?«

»Ein schönes Mädchen; aber – wie weit ist es bis zu dem Gute?«

»Je nun, in einer halben Stunde sind Sie dort.«

»Ich muß den Grafen sprechen, entschuldigen Sie, lieber Papa« –

»Sie werden doch eine Erfrischung annehmen?«

»Auf dem Rückwege, Herr Vater, auf dem Rückwege!« Mit diesem kurzen Abschiedsgruße schoß Windeck ebenso hastig wieder zur Thür hinaus, wie er gekommen.

»Ein sonderbarer Schwiegersohn!« brummte der alte Herr und legte sich wieder zum Schlafen zurecht: »Ich habe ihn nicht einmal recht betrachten können!«

Am folgenden Morgen reisten Graf Horn und Baron Windeck zusammen nach England. Fräulein Marie saß untröstlich auf ihrem Zimmer und weinte; denn ihr Bräutigam war in Zorn geschieden und wollte niemals wiederkehren.

Therese war nicht mehr in London. Die beiden Männer folgten ihr nach Paris. Aber auch Paris hatte sie schon verlassen und hatte die Straße nach Marseille eingeschlagen, um sich mit Lady Walpole nach Italien einzuschiffen.

Wenn man dem Süden zueilt, da weht sein erster, voller Hauch in Avignon, und weiter in Arles entfaltet sich sein glühender Strauß. Arles – wer hätte das gesehen und vergessen! Am Ufer der stolzen Rhone, mit seinen Denkmalen, seinen schönen Frauen und seinem warmen, herrlichen Himmel!

Windeck und sein Freund hatten von Station zu Station die beiden Damen verfolgt. Im schönen, großen Gasthaus du Forum, am Marktplatz zu Arles, hatte ihnen die freundliche Wirthin, wie alle andern Wirthe und Wirthinnen der Stationen, die sie durchreist, das Fremdenbuch zeigen müssen. Da stand vom heutigen Datum: Lady Walpole, Miß Theresa Buchholz.

»Endlich!« jubelte Graf Horn, indem er in einen Stuhl sank. »Endlich!« rief Windeck, indem er zur Thür hinaus stürzte.

Die Damen waren nicht im Hause. Sie waren mit ihrer Zofe und einem Führer nach dem Kreuzgang von St. Symphorin und der Arena gegangen. Also dahin! Zuerst zum Kreuzgang!

Lady Walpole ließ sich vom Führer den Stil der verschiedenen Verzierungen an den kleinen Säulchen des Kreuzganges erklären; Therese, die in solchen schönen alten Ruinen nicht gern reden hörte, schritt langsam weiter. Da – wer bog da um die andere Ecke des Kreuzgangs?

Sie mußte sich anlehnen! Er sah es, er eilte auf sie zu, er fing sie in seinen Armen auf!

»Therese, Therese! Wie weit habe ich dich suchen müssen!«

»Walther – Baron Windeck – Sie wissen – mein Brief« – und Thränen verhinderten sie weiter zu reden.

Er aber sagte lächelnd und hielt sie fest, da sie sich loszumachen strebte:

»Nichts weiß ich, deine Schwester hat mir keinen Brief gegeben!«

»Sie hat ihn nicht abgegeben? – Sie hatte wol nicht den Muth« –

»Den du selbst auch nicht haben wirst! Ich weiß zwar, daß du mir deine Schwester, das Idol, vererben wolltest – ich bin aber so erbärmlich eitel, mein eigenes Idol haben zu wollen! Das Idol einer ganzen Familie kann auch nicht das meinige sein – das bist du!«

»Aber« –

»Aber der Brief an Horn? Den habe ich geschrieben, um Horn zu ärgern, weil er so über alle Maßen verliebt war – zur gerechten Strafe bin ich's jetzt so sehr wie er! Das macht die Angst, dich zu verlieren.«

Welche liebende Frau hätte da nicht verziehen?

Als Lady Walpole herbeikam, stellte ihr Therese ihren Freund vor: »Baron Walther von Windeck.«

Da sagte mit strahlendem Gesicht der glückliche Mann: »Und nun erlauben Sie mir wol, Mylady, Ihnen die Dame vorzustellen?«

»Welche Dame?«

»Hier diese«, indem er auf Theresen zeigte.

»Die kenne ich ja« –

»Nicht ganz genau – es ist meine Braut!«

Lady Walpole war sehr erfreut; sie liebte Verlöbnisse und Heirathen, wie alle alten Frauen. Dann sagte Windeck zu Theresen: »Ich habe Horn mitgebracht, damit er Ihnen bezeugt, daß der Brief wirklich nur um ihn zu necken geschrieben war, er ist im Gasthof hier in Arles.«

Am Abend war's eine fröhliche Gesellschaft im Gasthause des schönen Arles. Nur wußte Niemand, wie es mit der Weiterreise gehen sollte.

Lady Walpole wollte die Reise nach Italien nicht aufgeben und Therese konnte doch ebenso wenig mit ihrem Bräutigam allein zurückreisen. Graf Horn gab den Ausschlag, er sagte zu Windeck: »Reise in Gottes Namen mit den Damen – du hast doch hinreichend Geld?«

»Ich nahm soviel mit, daß ich, wenn ich Theresen bis ans Ende der Welt nachgelaufen wäre, doch ausgereicht hätte.«

»So ist das also beseitigt. Gehe denn du mit ihnen und ich gehe nach Hause.«

»Dann thue mir den Gefallen, Horn, und schicke unsere Papiere nach Rom – so lassen wir uns dort trauen und kommen erst als glückliches Ehepaar zurück nach Deutschland. Du bist mir das schuldig; dafür, daß du meine Heirath verspätet, mußt du sie jetzt beschleunigen. Ich bin zum Gegendienst bereit.«

Horn lächelte: »Ist nicht nöthig, ich werde ohnedem nicht lange warten; mein Zorn gegen die Marie ist verflogen, seitdem ich euch glücklich sehe.«

*


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