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Erstes Kapitel. Der alte Schwede.

Das Eiland Pulitz, ungefähr in der Mitte des kleinen Jasmunder Boddens, der dicht bewaldeten Thiessower Landzunge auf der schmalen Haide gegenüber gelegen, ist eine gute Viertelmeile lang, etwas weniger breit und wird an seiner Nordwestseite von dem Stedar'schen Haken und der eigentlichen Insel Rügen nur durch eine schmale Meerenge getrennt, die an einer Stelle so seicht ist, daß sie mit einem Wagen sicher durchfahren werden kann, bei flachem Wasser sogar ganz austrocknet. Die Ostseite, dieselbe, wo unsere Freunde gelandet, ragt mit ihrem Sonnenhaken etwas hoch in den Bodden hinein und hier wie an der Nordseite liegen unterhalb der hohen Ufer ziemlich ansehnliche Granitblöcke, die dem kleinen Strande einen wilden und romantischen Charakter verleihen.

Diese hohen östlichen Ufer bedeckte zur Zeit, wo wir sie betreten, noch ein großer schöner Fichtenwald, der Hauptreichthum der ganzen Insel; Berg und Thal wechselte anmuthig darauf ab und bietet eine reiche Ausbeute für den Jagdliebhaber dar. Der entgegengesetzte, nach Westen gerichtete und ebenfalls bergige Theil war damals mit herrlichen Waldungen bedeckt, in der Mitte zwischen beiden aber flacht sich das Eiland allmählig ab und dehnt sich in hügelartigen Getreidefeldern aus, die einen ziemlich reichlichen Ertrag liefern. In diesem flachen Ackerlande liegt niedrig und unscheinbar der Pulitzerhof, wie fast alle Höfe der Insel Rügen ein Viereck darstellend, dessen eine Seite das Herrenhaus und die drei anderen Scheunen und Ställe einnehmen. Um dieses einsame Gehöft herum, den einzigen bewohnten Ort der Insel, ziehen sich schmale und niedrige Wiesen bis zu dem gegenüber liegenden Stedar'schen Haken hin, wo sich das Land ebenfalls zuspitzt, gleichsam seinem Nachbar drüben die vorgestreckten Lippen zum Kusse reichend.

In alter Zeit gehörte Pulitz dem Berger Kloster, ward aber später landesherrliche Domaine und 1623 vom Herzog Philipp Julius an die Wittwe des Herrn von Norrmann auf Jarnitz verpfändet. Durch verschiedene Hände gehend, bald verkauft, bald verpfändet, ward es endlich wieder Domaine und als solche von Napoleon an einen seiner Officiere verschenkt, ein Schicksal, welches die beträchtlichsten Domainen der Insel mit ihm theilten.

Der jetzige Pächter, den wir sogleich näher kennen lernen werden, wohnte schon seit mehr als zwanzig Jahren darauf, und führte ein vollkommen patriarchalisches Leben. Abgesondert von der ganzen übrigen Welt, sich weder um Krieg noch Frieden kümmernd, seinem Herrn und König mit voller Seele ergeben, trieb er allein Landwirthschaft und hatte seine Freude an dem Wachsthum der Früchte und dem Gedeihen der köstlichen Wälder, denen er die größte Sorgfalt zuwendete. Er hieß Adam Sturleson wenigstens wollen wir ihn so nennen stammte aus Schweden und war in früheren Zeiten Soldat gewesen, ohne sich aber jemals in die unglückseligen Parteikämpfe seines Vaterlandes eingelassen zu haben, da ihm dergleichen Gezänk ein Greuel war. Da er schon so lange auf Pulitz wohnte und sich durch vortreffliche Eigenschaften des Charakters und Herzens auszeichnete, so war er fast auf ganz Rügen bekannt, überall geliebt und wurde von groß und klein der alte Schwede genannt, eine Bezeichnung, die in der That nach jeder Richtung hin der Wahrheit entsprach. Einen vollkommeneren Biedermann gab es in der ganzen Runde nicht, und wer einmal Gelegenheit gehabt, mit Adam Sturleson zu verkehren, der mußte bekennen, daß er niemals von einem Menschen seines Standes in höherem Grade befriedigt worden sei.

Von Gestalt war er ein Riese, über sechs Fuß hoch, von angemessener Breite in den Schultern und reich an Fülle des Leibes. Sein Kopf war, wie der ganze Mensch, originell, denn er erschien im Verhältniß zu seinem großen Körper viel zu klein; die Züge des Gesichts trugen einen leutseligen und sanften Ausdruck, entbehrten aber keineswegs einer stark ausgeprägten und charakterfesten Männlichkeit. Das größte an diesem Kopfe war die Stirn; wie der ganze Scheitel glatt und kahl, ohne jegliches Haar nach den Seiten hin, glänzte und leuchtete sie, wie wenn ein ewiger Sonnenschein darauf ruhte; nur an den etwas eingefallenen Schläfen wuchsen zwei starke Büschel schneeweißer Haare und zogen sich nach dem Hinterkopfe in einen schmalen ehrwürdigen Kranz zusammen. Aus seinen großen, hellblauen Augen strahlte dem Beschauer eben so viel Gutmüthigkeit, Wohlwollen, wie gesunder Menschenverstand entgegen, ein Ausdruck, dem der etwas breite Mund mit den kerngesunden Zähnen entsprach, obgleich er seit Jahren von einem ungeheuren Schnurrbart verdeckt war, der in langen und breiten Ringeln zu beiden Seiten des Kinnes herabfiel und sich mit dem nicht weniger ansehnlichen Kinn- und Halsbarte zu einem schönen und selten gesehenen Ganzen verband.

Vom Morgen bis Abend fand man Adam Sturleson auf seiner Pachtung beschäftigt. Ueberall sah er selbst nach dem Rechten und deshalb gedieh Alles unter seiner Hand. Mit einem gewaltigen Spatenstock bewaffnet, in einem härenen langen Rock, bis an den Hals zugeknöpft, den er Winter und Sommer trug, sah man ihn durch Wald und Flur wandeln, und Niemand war auf dem ganzen Gute, der so früh aufstand und so viel im Freien wirthschaftete wie er, so daß auch Niemand wie er so vollkommen unterrichtet war, was im Großen und Kleinen auf seinem Territorium geschah.

Der alte Schwede lebte aber nicht als Einsiedler auf seinem einsamen Gehöfte. Zwar kinderlos, hatte er jedoch eine Frau, Talke mit Namen, die ihm in allem und jedem gewachsen war, an großem stattlichen Körperbau, Herzensgüte und Menschenfreundlichkeit, so daß man wohl schwerlich ein Paar finden konnte, das besser zusammen gepaßt hätte, als dieses. Diese beiden alten Leute in herzinniger Neigung mit einander verkehren zu sehen, gewährte einen hohen Genuß, denn selten geschah es, daß Adam allein das Haus hütete. Sobald er sich blicken ließ, war auch Talke neben ihm, und jeder seiner Wünsche ward auf das Eiligste erfüllt, wie jeder seiner Beschlüsse auf das Herzlichste getheilt.

Mutter Talke stammte aus Mönchgut her, und das verrieth sich in ihrer Tracht, die der Mutter Ilske's im Kiekhause sehr ähnlich war. Mit dieser war sie auch in entferntem Grade verwandt, und daher schreibt es sich, daß Hille sie ihre Base und den alten Schweden Vetter nannte.

Eine solche Verwandtschaft aber, zumal es die einzige war, die er noch auf der Welt besaß, wurde von dem alten Schweden hochheilig gehalten, und wenn irgend Jemand von Granzows oder Hille Vangerow sprach, pflegte er immer zu sagen, indem er den rechten Zeigefinger emporhob und die Augen vor Freude blitzen ließ: »Es sind meine Vettern und Basen, mein Lieber!« Dennoch sahen sich die Vettern und Basen nur sehr selten, jedes hatte auf seinem eigenen Hofe, in seinem Berufe zu thun, und nur bei wichtigen Gelegenheiten trafen sie zusammen, dann aber mit einer Einigkeit und Herzlichkeit sich begrüßend und bewirthend, wie man sie nur selten im Leben finden mag.

Da der alte Schwede den ganzen Tag auf den Beinen war und bei jederlei Arbeit mit Hand anlegte, so erfreute er sich eines vortrefflichen Appetites und eines gesunden Schlafes, und beide Lebenserfordernisse wurden denn auch auf Pulitz mit ungemeiner Gewissenhaftigkeit behandelt. Im Essen beobachtete Adam Sturleson, sowohl was die Zeit, wie die Fülle und Reihenfolge der Mahlzeiten betraf, noch immer genau die Sitten seines Vaterlandes, und wir haben vielleicht Gelegenheit, dem Leser davon eine kleine Probe zu liefern. Zu Bett gegangen wurde Sommer und Winter jeden Abend um neun Uhr, dafür aber stand der unermüdliche Landwirth schon wieder um zwei Uhr auf, denn länger als fünf Stunden bedurfte seine riesige Natur der erquickenden Stärkung nicht. Bisweilen jedoch im Ganzen nur selten wurden auch diese fünf Stunden noch um ein Bedeutendes beeinträchtigt, und das war jederzeit der Fall, wenn irgend ein Herzeleid, ein Kummer, oder auch nur eine Besorgniß die Seele des alten Biedermanns bedrückte, oder wenn er, wie er sagte, Gesichter sah, eine Eigenschaft, die er also, obwohl in etwas abweichender Weise, mit seinem Landsmann Magnus Brahe theilte. Das Erscheinen eines solchen Gesichts pflegte der alte Schwede stets mit den Worten einzuleiten: »Talke, gieb Acht, es schwebt etwas in der Luft, ich rieche das Gewitter!« Wenn er das sagte, dann wußte Mutter Talke, daß sie die Nacht nicht würde schlafen können, denn den alten guten Adam eine Nacht allein wachen zu lassen, das wäre sowohl gegen ihr Gewissen, wie gegen jede Sitte und Gewohnheit gewesen.

An dem Abende nun, bis zu welchem wir in unserer Erzählung gelangt sind, war Adam Sturleson ganz gegen den Gebrauch sehr spät nach Hause gekommen. Langsamen Schrittes, wie er immer ging, mit majestätischen Bewegungen seinen langen Stock in den Boden stoßend und den ausdrucksvollen Kopf, der fast nie eine Bedeckung trug, mit militairischer Haltung nach allen vier Windgegenden drehend, war er am östlichen Ufer der Insel spazieren gegangen, hatte das Wasser betrachtet und die Wolken gemustert, was eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war, und dabei die eigenthümliche Lage in Betrachtung gezogen, in der er sich gegenwärtig befand.

Denn im Frühling dieses Jahres war ihm etwas begegnet, was seine ganze Philosophie in Bezug auf die Ruhe und Verträglichkeit der Welt beinahe über den Haufen geworfen hätte. Der Kaiser Napoleon, der Deutschland und die benachbarten Länder mit seinen Soldaten überfluthet hatte und dem er deshalb noch tausendmal mehr grollte als schon früher, hatte es gewagt, sein einsames, schönes Pulitz dem Könige von Schweden zu entziehen und einem seiner habsüchtigen Officiere, dem Herrn von Chambertin zu schenken. Der Name Chambertin verdankte der poetischen Licenz seine Entstehung. Der eigentliche Donatar, der außer der Insel Pulitz noch zwölf andere Domainen im Gesamtertrage von 2355 Talern und ¾ Schilling vom Kaiser Napoleon erhielt, war der Kaiserliche Staatsrath, Reichsgraf Pelet. Von Pulitz bezog derselbe allerdings nur 275 Thaler 24 Schillinge. Der Grund, warum wir bei der Schilderung dieser Verhältnisse einigermaßen von der historischen Wahrheit abgewichen sind, liegt nahe und bedarf wohl einer genaueren Erklärung nicht. Das Große und Ganze in unserer Erzählung ist vollkommen wahrheitsgemäß, in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse durften wir uns aber um so eher hier und da eine Modification erlauben, als die Prosa des Lebens nicht immer in den Rahmen einer poetischen Schilderung paßt, und nicht immer schön und wahrscheinlich erscheint, was wirklich wahr ist.
Anm. des Verfassers.
Als diese Nachricht auf Pulitz eintraf, schwirrte die Luft so von Gesichtern und Gewittern, daß Mutter Talke besorgte, sie würde ein ganzes Jahr keine volle Stunde schlafen können, und Adam Sturleson lud alle seine Gewehre und Pistolen, mit der Drohung, jeden Fremden niederzuschießen, der es wagen würde, sein kleines Heiligthum zu betreten. Allein die heranziehenden Gewitter zogen alle ohne Entladung wieder vorüber, wie sich auch diese Gewehre und Pistolen gegen Spatzen und Dohlen entluden, denn mit der Zeit sänftigte sich der Zorn des alten Schweden, da Monate vergingen, ohne daß Monsieur de Chambertin sich blicken ließ und als Besitzer des Pulitzer Eilandes vorstellte.

Durch diese Verzögerung seines Erscheinens war allmählig der irrige Gedanke in Adam's Hirn aufgestiegen, der edle Franzose beabsichtige überhaupt nicht, von seiner neuen Errungenschaft Besitz zu nehmen, und die Jahre würden verstreichen, wie die Monate verstrichen waren, bis der Krieg beendet und die Franzosen, wie Adam sich ausdrückte, zum Teufel gejagt wären, denn hier müssen wir bemerken, daß der Gebrauch von mächtigen Kraftwörtern und haarsträubenden Flüchen die einzige üble Angewohnheit war, die der alte Schwede im Laufe der Zeit angenommen, trotzdem seine harmlose Seele keinen Gedanken hegte, der diesen gottlosen Flüchen entsprochen hätte. Nun aber war gerade an dem Tage, der dem erwähnten Abend vorherging, ein Brief aus Stralsund mit der Nachricht eingetroffen, Herr von Chambertin werde in den nächsten vier Wochen einen Besuch auf Pulitz abstatten und sein neues Reich besichtigen, desgleichen werde er den bisherigen Pächter über sein Verhalten zur Rechenschaft ziehen, und wenn er Ursache fände, nicht mit ihm zufrieden zu sein, ihm die Pacht abnehmen und einem Anderen übergeben, da er selbst nicht gesonnen sei, sein Leben in dem nebligen Windlande hinzubringen.

Diese Nachricht konnte natürlich keine andere Wirkung hervorbringen, als furchtbare Gewitter zu erzeugen und ungeheuerliche Gesichter heraufzubeschwören, und mit diesen kämpfte der alte Schwede auf seinem Spaziergange, ohne im Stande zu sein, sie ganz zu bewältigen. Dennoch hoffte er zuletzt, es werde ihm gelingen, die Begehrlichkeit des neuen Herrn, zu befriedigen, und er werde Pächter von Pulitz bleiben wie bisher, zumal er sich keine andere Existenz auf der Welt denken konnte als diese. Mit dieser Hoffnung ausgerüstet, begab er sich endlich nach Hause und beruhigte die verwunderte Talke, die sein langes Ausbleiben nicht begreifen konnte und in der genauen Kenntniß des Wesens ihres guten Adam's dasselbe nur übernatürlichen Dingen zuschrieb. Am leichtesten konnte er sie bei solchen Gelegenheiten beschwichtigen, wenn er von allen Speisen, die sie ihm vorsetzte, reichlich aß, und darum bemühte er sich, seinen natürlichen gesunden Appetit auch heute in vollem Glanze zu zeigen.

Mutter Talke war daher ganz erfreut, als sie diese unerwartete Huldigung ihrer hausmütterlichen Sorgsamkeit bemerkte, aber um so mehr verwunderte sie sich, als Adam um neun Uhr keine Anstalten zum Schlafengehen traf, sondern auf seinem gepolsterten alten Lehnsessel am Fenster, von wo aus er den ganzen Hof übersah, sitzen blieb und von Zeit zu Zeit laut seufzte.

»Adam,« sagte die gute Mutter Talke endlich, trat an ihren Gatten heran und kraute ihm im Backenbart, was er überaus gern hatte, »Adam, guter Adam, wollen wir nicht zu Bette gehen, es ist schon lange neun Uhr vorbei.«

»Nein, Talke, nein, ich schlafe heute Nacht nicht, und am liebsten bliebe ich hier auf dem Sessel sitzen und sähe das Morgenroth dort über das Dach heraufsteigen.«

»Aber, mein Gott, warum denn das?«

»Warum? Du fragst noch, warum? Talke, ich sage Dir, wir werden wunderbare Dinge erleben. Es ist nicht richtig in der Luft, ein furchtbares Gewitter zieht heran, und ich habe Gesichter gesehen, so schaarenweise und mit so schrecklichen Mienen wie noch nie in meinem Leben.«

»Meinst Du diesmal ein wirkliches Gewitter, oder nur Eins in Deiner Einbildung, Adam?«

»Einbildung?« rief der ergrimmte Alte und sprang auf, wobei er beinahe mit seinem kahlen Scheitel an die niedrige Zimmerdecke stieß. »Willst Du mich kränken? Muß ich denn durchaus fluchen, so sehr ich mich auch bemühe, es nicht zu thun, da es gottlos ist, wie Herr von Willich sagt?«

»Nein, Adam, Du mußt nicht ich schweige schon, verschlucke die Flüche, und ich ich will meine Meinung verschlucken.«

»Bomben und Kartätschen, Talke, was sagst Du da? Du willst Deine Meinung verschlucken? Was heißt das?«

»Ich will schweigen, Mann, wenn Du sprichst, weiter will ich nichts.«

»Das hat Dir der Satan gerathen, Weib! Wenn Du wüßtest, wie mein Herz zerrissen ist, würdest Du mir keinen Possen mit Worten spielen; und Weiberreden sind Possen, wo Männer, wie der kleine Napoleon, das Wort führen in der Welt.«

»Er ist groß, dieser Napoleon, Du versprichst Dich, Adam.«

»Er ist klein, sage ich. Der Teufel soll mich holen, wenn es nicht wahr ist.«

»So mag er klein sein, ich bin es zufrieden. Jetzt aber gute Nacht, Adam, ich gehe zu Bett.«

»Halt da! Man läßt einen braven Mann im Gefecht mit seinen Feinden nicht im Stich ich theile Dein Bivouak!«

Aber obgleich Adam Sturleson der Ueberredung Mutter Talke's gefolgt und zu Bett gegangen war, er konnte kein Auge schließen. Von seinen Gesichtern verfolgt und von seiner Gewitterluft bedrückt, wälzte er sich hin und her, bis er es gegen zwei Uhr Morgens nicht mehr aushalten konnte, aufsprang, sich ankleidete und das Zimmer verließ, um den Tag über dem Meere anbrechen zu sehen, wie er sagte.

Um Mutter Talke's Ruhe war es nun in dieser Nacht geschehen. Auch sie erhob sich, aber nicht, um den Tag über dem Meere anbrechen zu sehen, sondern um ihrem Manne das Frühstück zu bereiten, damit er, wenn er zurückkehrte, Alles auf dem Tische und zur Befriedigung seine Appetits bereit fände.

*

Als Adam Sturleson sein Gehöft verließ und auf die Wiesen, die dasselbe umgaben, hinaustrat, war es gerade die Zeit, wo die Nacht mit dem Tage um die Herrschaft rang, und ein hellerer Schimmer, als bisher sichtbar gewesen, sich am östlichen Himmel auszubreiten begann. Es war das noch nicht die junge Königin des Tages selber, sondern nur ihr Vortrab, der sie verkündigt und aller Welt auf ihr Erscheinen Hoffnung macht.

Der alte Schwede stand mitten auf der Wiese still und schaute nach diesem gelblichen Schimmer hinauf, denn er liebte es, auf irgend einem Theile seines Gebietes den Morgen zu begrüßen, wenn er frisch aus dem Meere hervorstieg und mit gebieterischer Schnelligkeit über das Land flog, um sich, immer siegreich, das größte Reich zu unterwerfen, welches auf diesem Planeten existirt. Adam war jedoch nicht der erste und einzige Beobachter, der sich an diesem königlichen Schauspiel weidete, hundert kleine Vögel waren ihm schon zuvorgekommen, hatten auf den Baumwipfeln den ersten Platz besetzt und schmetterten nun mit gellender Kehle ihren Gruß dem ersehnten Morgen entgegen.

»Hei! wie das lustig ist!« rief der Pächter von Pulitz, indem er mit heiterem Auge Alles und Jedes rings herum betrachtete. »Hier freut sich schon Jung und Alt, und ich sollte mich nicht auch freuen? Warum nicht, und wenn ich auch nicht zwitschern kann, wie diese da, so kann ich doch beten: Herr Gott da oben im Himmel, gieb uns Frieden und Freude wie diesen da. Amen! Schau, schau,« fuhr er im stillen Selbstgespräch fort, »wie es dort drüben heller und heller wird, ich bin wahrhaftig noch beinahe zu spät aus dem Bett gekrochen, um diesen Labetrunk vollständig zu schlürfen. Da und da kommt mir mein Wald wieder entgegen. Guten Morgen, lieber Wald! Hast Du Dich auch recht ausgeruht und erfrischt? Nun ja, es scheint ja so, es ist Alles recht saftig und duftig an Dir, aber ich alter Knabe, sieh mich mal genau an, ich bin etwas müde auf den Beinen, denn ich habe gar nicht geschlafen, und daran sind die Gedanken schuld, die mir gestern abend Deine Schatten eingeflößt haben aber halt, was ist das? Hast Du auch am frühen Morgen schon Schatten?«

Verwundert stand der Alte still und schaute in den Föhrenwald hinein, durch den, gerade da, wo er am dichtesten stand, zwei Männer daher kamen, die, als sie seiner ansichtig wurden, mit beschleunigten Schritten auf ihn zutraten.

»Wer da?« rief der alte Schwede mit seiner donnerartigen Stimme die beiden jungen Leute an, die sich ihm, sobald sie ihn erkannt hatten, mit lächelndem Gesichte näherten. »Wer seid Ihr?« fuhr er fort »Ha! Seh' ich recht? Ist mein altes Auge nicht geblendet? Bist Du nicht ein Granzow aus Sassenitz ein Vetter, he?«

»Ja, mein wackerer Ohm, der bin ich, Du hast mich erkannt, und Dein Auge sieht noch so scharf wie vor fünfzig Jahren.«

»Das nun wohl nicht, mein Junge, aber halt einmal, zum Teufel! Was bist Du für ein Kerl geworden, seitdem ich Dich nicht gesehen aber hol' Dich der Geier, was treibst Du Dich so früh in meinem Revier herum?«

»Sogleich, lieber Ohm, sogleich! Erst sieh Dir einmal diesen Herrn an kennst Du ihn auch?«

Der alte Schwede war dicht an Magnus herangetreten, um auch ihn genau zu besichtigen, nachdem er Waldemar wiederholt die Hand geschüttelt hatte. »Nein,« sagte er dann, »ich kenne ihn nicht und erinnere mich nicht, ihn jemals gesehen zu haben. Aber sein Gesicht ist kein schlechtes, potz Wetter und Blitz! Er trägt zwar einen alten Jägerrock, aber daß er kein gemeiner Jägersmann ist, wollt' ich wetten. Er hat etwas vom Falken nicht im Auge, mein Junge, nein, das gleicht mehr einer Taube, aber in der Haltung und der ganzen Gestalt. He, ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, er ist ein junger Krieger, wie ich ein alter bin.«

»Deine Menschenkenntniß, Ohm, hat Dich auch diesmal richtig geleitet,« versetzte Waldemar ernst. »Sieh ihn Dir recht genau an und freue Dich dann doppelt. Du hast ihn doch wohl schon einmal gesehen, wiewohl nur als Knaben, und sogar hier auf Pulitz, wo er Dich mit mir besuchte. Doch, ich sehe, Du schweifst in der Irre. Gerade heraus gesagt, es ist Magnus, Graf Brahe, mein theuerster Freund und meines erhabenen Wohlthäters einziger Sohn.«

Der alte Schwede reckte seine herkulischen Glieder zurecht, strich mit der Linken seinen weißen Schnurrbart und schwenkte mit der Rechten seine Mütze, wobei er zuletzt eine kerzengerade Haltung annahm. »Ah, da neige ich mein kahles Haupt, Junker,« sagte er mit ergebenem Tone, »denn Ihr Vater ist mein Landsmann und außerdem ein edler und vielgeliebter Mann in diesen Landen. Darf ich Ihnen meine Hand bieten? Sie ist rein, Herr, und keiner Taube Blut klebt daran.«

Herzlich schüttelte Magnus die Rechte des biederen Alten und wandte dann den Blick auf Waldemar, als wollte er ihn ermuntern, ihren frühen Besuch zu erklären. Aber der Pächter von Pulitz kam ihm zuvor und sagte: »Nun weiß ich, wer Ihr beide seid, aber nicht die Ursache, die mir so früh die Freude verschafft, Euch bei mir zu begrüßen.«

Waldemar's Stirn umwölkte sich etwas. »Das ist eine etwas traurige Geschichte, Ohm,« erwiderte er. »Aber bevor ich Dir unsere Schicksale enthülle, nimm einen Gruß von mir an, den Dir ein wackeres Mädchen schickt, mit der Bitte, Dich unserer in unsern Nöthen anzunehmen.«

»Junge, was sind das für Worte! Laß sie mich nicht noch einmal hören! Mag Euch der Teufel schicken, Ihr werdet mir immer willkommen sein! Aber nein, Euch braucht Niemand zu schicken, und am wenigsten der Teufel, Sie sind durch Euch selbst empfohlen, um nicht vergebens an meine Thür zu pochen. Ein für alle Mal, Sie sind Brahe und Granzow, und das sind zwei Namen, die bei allen rechtschaffenen Rügianern einen guten Klang haben.«

»Vielleicht doch noch einen besseren, wenn ich Dir sage, daß Hille Vangerow mit ihrem Gruß uns einen Geleitsbrief an Dich mitgegeben hat.«

»Ah, pfeifst Du die Melodie, meine Lerche? Hille Vangerow, sagst Du? Ja, das ist mein Liebling, weit und breit auf dieser Erde, und wenn die Euch schickt, dann bringt Ihr mir gewiß etwas Gutes, denn mit dem Bösen hat sie noch keinerlei Bekanntschaft gemacht. Heraus nun endlich damit, meine Ohren sind groß genug, Alles zu hören, was mir Euer Mund sagen kann.«

Trotzdem der Alte bei diesen Worten heiter lächelte, wurde seine Miene doch sehr bald ernst, als Waldemar ihm mit kurzen Worten seine und Magnus Brahe's Verhältnisse auseinandersetzte. Ohne ein Wort dazwischen zu sprechen, nur bisweilen die silberweißen Augenbrauen bis zur halben Stirn hinaufziehend und dabei kampflustig seinen dicken Schnurrbart streichend, hörte er aufmerksam zu: als aber Waldemar fertig war, pfiff er laut durch die Zähne und sagte derb:

»Donner und Wetter! Jetzt erkläre ich mir meine Gesichter, und warum die Luft gestern abend so voller Gewitter war. Das nenne ich mir ein Ereigniß! Da, Jungens nehmen Sie es nicht übel, Herr Graf, aber Sie sind ja gegen mich noch ein Kind da habt Ihr noch einmal meine Hand, und nun heiße ich Euch erst recht willkommen, denn ich liebe Leute, die von ihren Feinden ungerechterweise verfolgt werden, und nehme sie in Schutz, wo ich kann. Jetzt aber folgt mir in mein Haus und frühstückt mit mir, und da wollen wir der alten Talke auch Eure Geschichte in's Ohr flüstern. Heda, Ihr Buben, weiß es Gott, Sie sind an den rechten Mann gekommen! Der alte Schwede ist noch jung genug, Euch zu helfen, und hat eine Festung für Euch, an die keine Maus heran kann. Immer zu, immer zu, geht etwas rascher, meine Herren, ich wittere einen grimmigen Appetit nach dieser Freude. Aber halt da fällt mir eben etwas ein, was zu bedenken ist. Wißt Ihr denn, daß ich auch mit Nächstem die Franzosenkerle zum Besuch erwarte? Aber nein, wie könnt Ihr das wissen. Nun, da habt Ihr's.« Und er erzählte, was wir selber schon von der Liebesgabe Kaiser Napoleon's an Brigadier Chambertin in Erfahrung gebracht. »Aber Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen,« fügte er hinzu, als er mit der Erzählung seiner eigenen Lage zu Ende war, »wenn die Hundsfötter auch kommen, sie sollen Euch doch nicht kriegen, wenn sie nicht von allen vier Weltgegenden zu Wasser und zu Lande zugleich auf mich losfahren, so wahr ich Adam getauft bin. Denn wißt, ich habe einen Versteck, den General Chambertin selbst nicht kennen lernen soll, und wenn er sich auch hundertmal Besitzer von Pulitz von Kaisers Gnaden nennt, er müßte denn ein Biber sein und eine Witterung haben, daß er meilenweit Menschen riecht. Doch nun laßt das Reden sein, da seht Ihr schon mein Haus liegen und, schaut einmal, da geht eben die Sonne drüber auf, mit Euch zugleich tritt sie ein, ha! mein niedriges Dach freut sich, Euch zu beschirmen. Hinein, Herr Graf, immer hinein, es ist klein und eng, aber für Euch ist Platz genug darin, Sie sind ja noch einen halben Kopf kleiner als ich, und ich stoße noch nicht mal an die Deckbalken an.«

Der alte Schwede ließ seinem vornehmen Gaste, wie es sich gebührt, den Vortritt, dann trat Waldemar in das etwas enge aber behagliche und bequem eingerichtete Wohnzimmer, und gleich hinter ihm her polterte der Wirth hinein, laut nach Mutter Talke rufend, um ihr den unerwarteten Besuch vorzustellen. Endlich kam sie, schon vollständig in ihrer dunklen Tageskleidung angetrippelt, und die Freude war groß, als sie den so schön gewordenen Waldemar, wie sie sagte, vor sich sah, und sie drückte ihn wiederholt an die Brust, wie wenn er ihr eigener Sohn gewesen wäre, und gab ihm die süßesten Schmeichelnamen. Als sie nun aber seines Begleiters Namen nennen hörte, fühlte auch sie sich hoch geehrt, und sichtbar färbten sich ihre runzligen Wangen, als ihr der Erbe der Spyker'schen Güter freundlich die Hand reichte.

»Nun ist es genug der Worte, Talke!« rief der alte Schwede aus, indem er seinen Spatenstock in die Ecke stellte. »Nun nicht gezaudert mehr, hole uns einen Imbiß, Mutter, aber einen kräftigen, denn wir haben alle einen Appetit, daß Du Wunder erleben wirst. Unsre Gäste sind mit den Vögeln aufgestanden und haben nicht zu Nacht gespeist.«

Mutter Talke wollte sich entschuldigen, daß sie auf einen so hohen Besuch nicht genügend vorbereitet sei und nicht gleich ein ordentliches Mahl auftischen könne, aber der Alte schob sie zur Thür und sagte, die Entschuldigungen würden sich von selbst ergeben, wenn er und seine Gäste alle Vorräthe aufgegessen hätten.

Magnus nahm sogleich auf einem alten Ruhebett Platz, denn er fühlte sich ermüdet, da er seit langer Zeit keinen großen Marsch gemacht und die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. »Ruht Euch nur einstweilen auf dem Dings da aus,« sagte der Alte, »erst müßt Ihr essen, dann sollt Ihr eine Stube mit zwei Betten haben, die bis an die Decke reichen und mit lauter Eiderdaunen gestopft sind, die ich selbst aus den Lüften heruntergeholt. Hei! Aber Essen und Schlafen ist die Hauptsache in Schweden, das wißt Ihr ja, und Beides soll Euch nicht fehlen, da Ihr bei mir auf schwedischem Grund und Boden steht und ein schwedisches Herz zum Wirthe habt.«

Er dauerte nicht lange, so kam eine scheu blickende Magd in's Zimmer und bedeckte den eichenen Tisch mit schneeweißem Linnen. Dann kam sie noch einmal und brachte eine große Flasche alten Kornbranntwein und eine kleinere mit dunklem portugiesischen Wein gefüllt, nebst drei Gläsern, die eher großen Humpen als Weingläsern heutiger Gattung ähnlich sahen. Sobald sie auf dem Tische standen, füllte Adam Sturleson die Gläser bis an den Rand mit der ersten Flüssigkeit und bot sie seinen Gästen an.

Magnus probierte ein Glas und nickte dann dem alten Schweden zu. »Es ist ächter Vaterländer,« sagte er lächelnd, »ich habe ihn lange nicht gekostet.«

»Alles ist ächt bei mir, wie ich selber!« rief der Wirth, »und nun heiße ich Euch noch einmal willkommen! Laßt es Euch gefallen in meinem schlichten Hause. Gott segne den Morgentrank!«

Die beiden jungen Männer thaten ihm nach Kräften Bescheid und langten dann auch von den festeren Speisen zu, die nach und nach auf den Tisch gesetzt wurden und die aus einem großen grauen Brode, frischer Butter und einem reichlichen Vorrath von geräucherten Aalen, Kalbsbraten, Wurst, Zunge, Pökelfleisch und Schinken bestanden, wozu noch zuletzt ein ungeheurer Käse kam, den Mutter Talke, wie sie sagte, eigenhändig bereitet hatte.

Als das Frühmahl verzehrt war, führte der Wirth seine Gäste in ihre Stube, wo Magnus sogleich das weiche Lager aufsuchte; Waldemar aber, sobald er seinen Freund zur Ruhe gekommen sah, kehrte zu dem Ohm zurück und wanderte mit ihm in den Fichtenwald, um sich das Herz rein zu sprechen von den vielfachen Beschwerden, die darauf lasteten, denn Adam Sturleson war ein Mann, dem er Alles vertrauen konnte, und ganz dazu geeignet, ihm den besten Rath in jedem Nothwendigen zu ertheilen. So war der Alte denn bald genau unterrichtet und sprach seinem jungen Freunde die beste Hoffnung zu, denn an Hoffnung auf Besserwerden fehlte es dem ehrlichen Mann niemals, wie auch sein Herz noch nie verzweifelt war, mochte die Gefahr, die es umgab, noch so groß gewesen sein.


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