Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Georg Forsts Empfang aus Spyker.

Als Waldemar die steinerne Treppe im Innern des Schlosses erstiegen, die zu des Kastellans Wohnung führte, näherte er sich mit lebhafter Erregung der alten Tür, durch die er als Knabe und Jüngling in früheren Tagen so oft harmlos, glücklich und hoffnungsreich getreten war, indem er sich gestand, daß vieles um ihn und in ihm verändert sei, seitdem die gewölbten Hallen den Schall seiner Schritte nicht widergedröhnt hatten. Als er an die Tür pochte, war in dem Zimmer die ganze Familie des Kastellans damit beschäftigt, ihr einfaches Vesperbrot zu verzehren, das nur aus geronnener Milch, Brot und Butter bestand, und dabei die gegenwärtigen Verhältnisse auf Spyker in Betrachtung zu ziehen, denn Gyselas, der ältesten Tochter, Bericht über Fräulein Gylfes zunehmende Leidenschaft für den französischen Offizier hatte eine allgemeine Betrübnis hervorgerufen, da man sich nicht verhehlen konnte, daß aus dieser Leidenschaft, mochte sie nun erwidert werden oder nicht, noch viele andere heillose Dinge in Zukunft entstehen. würden, Gysela, die hübscheste Tochter des Kastellans, war vor allen übrigen Mitgliedern der Familie in Stand gesetzt, über jenes Verhältnis des Kapitäns und Gylfes ein Urteil zu fällen, denn sie war es, die sich letztere selbst zur Gesellschafterin gewählt, die mit ihr einen großen Teil des Tages verlebte und sogar nachts ihr Zimmer teilte, welches im zweiten Stockwerk über den Gemächern lag, die zur Zeit der Kapitän in Anspruch genommen.

Der alte Kastellan hatte eben einige mit Seufzern gemischte Worte gesprochen und dabei der früheren glücklichen Zeiten gedacht, als er das Pochen eines Fremden auf dem Korridor vernahm. »Pst!« sagte er, »seid still, da kommt jemand, es hat geklopft.«

Die jüngste Tochter erhob sich von ihrem Stuhle und öffnete die Tür, durch welche Waldemar Granzow nun mit lächelnder Miene eintrat.

Wie betrübt man aber auch kurz vorher gewesen sein mochte, aller Kummer war augenblicklich vergessen, als man das wohlbekannte offene Gesicht und die stattliche Gestalt des jungen Mannes wahrnahm, der sich ungezwungen wie immer den Versammelten näherte. Ja, der alte Ahlström wurde sogar über seine unverhoffte Erscheinung in ein so freudiges Staunen versetzt, daß er das Messer aus der Hand fallen ließ und, bewegungslos auf dem Stuhle sitzen bleibend, zuerst kein Wort der Begrüßung hervorzubringen vermochte. Endlich aber hatte er seine Fassung wiedergewonnen und, mit einem Rufe des Entzückens von seinem Sitze emporspringend, lief er dem Hausfreunde mit herzlicher Bewillkommnung entgegen, die nun von allen Seiten hervorbrach und von Waldemar eben so herzlich erwidert wurde.

Der alte Ahlström war einer der Begleiter des Grafen Brahe gewesen, die sich vor zehn Jahren mit auf dem Schiffe befanden, welches am Jasmunder Ufer strandete, und denen der damalige Lotsenkommandeur Granzow das Leben gerettet hatte. Von diesem Tage an waren die Familien beider durch ein unzerreißbares Freundschaftsband vereinigt, und alle Dankbarkeit und Liebe, die der gerettete Familienvater gegen den Strandvogt hegte, hatte sich auch auf dessen Sohn übertragen, der allen Braheschen Beamten und Dienern noch dadurch bei weitem näher getreten war, daß ihn der Graf mit nach Spyker genommen und seinem Sohn zum Gefährten gegeben hatte. Die ganze Familie des Kastellans wußte, was sie von Waldemar zu halten hatte, und da man auch das innige Verhältnis kannte, in welchem derselbe zum Sohne ihres Herrn stand, und die beiden jungen Leute stets beieinander zu sehen gewohnt war, so lag es in der Natur der Sache, daß bei der plötzlichen Erscheinung Waldemars ihre Gedanken sogleich auch auf Magnus Brahe fielen.

Als sie nun aber nach einer hastigen Mitteilung Waldemars die Ursache seines Besuches und die damit verbundenen gefährlichen Verhältnisse erfuhren, in denen sowohl er selbst, wie ihr junger Herr sich befand, da wurde ihre erste Freude um ein Bedeutendes gedämpft und ihre Hoffnungen in ebenso viele Besorgnisse umgewandelt, die Waldemar beim besten Willen nicht alle zu beseitigen vermochte, als auch ihm endlich über die Vorgänge in Spyker der volle Aufschluß zu Teil wurde.

Auf das Geheiß des Kastellans hatten nach einer Stunde gegenseitiger Mitteilung und nachdem die ernste Ermahnung ergangen war, daß jedermann im Schlosse in dem neuen Besucher nicht den alten befreundeten Waldemar Granzow, sondern einen um Alheid freienden Seemann aus Hiddens-öe, Namens Georg Forst, zu sehen habe, seine Frau und Töchter das Zimmer verlassen müssen, und er war endlich mit letzterem allein geblieben.

»Mein wackerer Junge,« sagte der alte Kastellan mit wehmütiger Stimme, als die beiden Männer nun ungestört an einem Fenster standen, von dem aus sie einen Teil des Parkes bestreichen konnten, »mein wackerer Junge, ich drücke dir noch einmal von ganzem Herzen die Hand. Aber ach, ich kann dir nicht verhehlen, daß sowohl das, was du bringst, als das, was du hier findest, mir das Herz recht schwer macht. Natürlich werde ich alles aufbieten, um den geliebten Sohn meines Gebieters hier insgeheim aufzunehmen, zu verpflegen und vor den Augen der Fremden zu verbergen, was glücklicherweise die Einrichtungen dieses Schlosses und manche eigentümliche Zufälligkeiten ausführbar machen, aber ich fürchte sehr, daß der Aufenthalt in dem Spukturm da drüben, von wo aus er manches beobachten kann, was im Schlosse selbst vorgeht, gerade nicht zu seiner baldigen Genesung beitragen und daß er vielleicht noch viel kränker dadurch im Herzen werden wird, als er jetzt schon ist. Was dann im Schoße der Zukunft schlummert, das will ich mir jetzt in meinem einfältigen Verstande nicht auszumalen versuchen, aber – dir kann ich es ja sagen – mir scheint es, als wäre der alte Stern über den Häuptern der Brahes düster verschleiert und als wären wir mit ihnen an eine Epoche gelangt, die vieles zu wünschen und zu hoffen, bei weitem mehr aber noch zu fürchten übrig läßt.«

»Ihr habt im allgemeinen recht, Ahlström,« erwiderte Waldemar mit ernster Miene und drückte dem Alten wiederholt die Hand, allein Ihr müßt nicht denken, daß sich alles zum Schlimmen wendet, was eine Zeit lang in den trüben Schleier der Besorgnis gehüllt ist. Nein, nein, ich gestatte mir gar nicht, so Ernstes zu denken, das würde mich lähmen und meine Lust zu kräftigem Handeln gewaltig herabspannen. Wer weiß, ob Gylfe, – denn die liegt Euch doch am schwersten aus dem Herzen – wenn sie erfährt, daß Magnus in ihrer Nähe ist, nicht in sich geht und ganz von ihrer jetzigen Sinnesart läßt. Wenn wir das als möglich voraussetzen, ist alle übrige Besorgnis in Bezug auf Magnus unnütz, denn er wird genesen, er wird wieder ein tätiger Mann werden, und der Herr der Heerscharen wird uns einmal von diesem Übel des Krieges und allem, was sich daran knüpft, erlösen. Meint Ihr nicht auch?«

»Mein lieber Junge, wenn man dich so vertrauensvoll sprechen hört, so möchte man dir wohl in den Hoffnungen, die du anregst, beistimmen, allein bedenke, daß dein Freund Magnus nicht deinen kernigen Charakter, deine naturgesunde Lebensanschauung und dein vertrauendes Gemüt besitzt. Denn du sagst mir ja selbst, daß er noch immer der alte Schwärmer und Wolkenseher ist.«

»Ja, das ist er leider noch immer, und jetzt in seiner Krankheit sogar mehr als sonst. Allein, laßt, ihn nur erst hier sein, dann wollen wir beide schon dahin wirken, daß er anderen Sinnes wird, und auch Mutter Heylike und Gysela und Alheid müssen das Ihrige dabei tun.«

»Das wollen wir, und das sollen sie, ja, ja, das sollen sie, dafür will ich schon aufkommen, und Gott gebe, daß deine Hoffnung kein Truggebilde ist. Aber nun laß uns einmal von dir selbst reden. Und da muß ich dir sagen, mein Junge, daß du dich durch deine Kühnheit und deinen Mut in eine recht üble Lage gebracht hast. Wenn das deine Alten wüßten, sie würden, wie ich, in großer Sorge sein.«

»O, sie wissen es ja nicht, und Ihr müßt Euch diese Lage nicht übler vorstellen, als sie wirklich ist.«

»Sie ist übel genug, sage ich, übel genug. Du hast hier einen seinen Spürhund vor dir; Kapitän Caillard versteht in solchen Dingen keinen Spaß. Wenn er also hinter deine Schliche kommt, könnte es dir schlimm ergehen.«

»Wie sollte er das? Hier in Spyker, sobald sie nur alle wissen, um was es sich handelt, wird mich niemand verraten, und der Brief hier, den ich dem Kapitän noch heute übergeben werde, muß ihm jeden Verdacht benehmen, wenn er ihn hegte. Von Magnus' Hierherkunft aber darf kein Mensch etwas erfahren, nicht ein einziger Diener – und wäre es der zuverlässigste, – und wir müssen ihm in dieser so traurigen Zeit selbst Diener sein, wie wir auch seine einzigen Freunde sind.«

»Auch Gylfe darf nicht wissen, daß er kommt?«

»Auch sie nicht, sie am allerwenigsten. Ist er erst hier, dann wollen wir sehen, was sich tun läßt, und zur Beratung darüber werden wir Zeit genug haben.«

»Gut, ja, ich stimme dir bei. Aber von dir muß sie notwendig Kunde haben, denn sähe sie dich zufällig, so bedürfte es nur eines Worts, eines Ausrufs von ihr, und dein Name, dein Verhältnis zu den Brahes wäre auf einen Schlag aller Welt verraten.«

»Darin habt Ihr recht, und ich werde sie noch heute besuchen und eine Unterredung mit ihr führen, die hoffentlich auch diese Befürchtung zu schanden macht.«

»Natürlich mußt du sie sprechen, und noch bevor du deinen Auftrag bei dem Kapitän ausrichtest. Aber du darfst sie nicht auf ihrem Zimmer besuchen, das könnte bei dem eitlen Franzosen einen schlimmen Verdacht erwecken, und er könnte dich auch sehen, wenn du zu ihr gehst. Nein, nein, sie muß in diese Stube kommen, sobald sie daheim ist, und das kann nicht lange dauern, denn sie sind lange genug auf ihrem Spazierritt gewesen und dehnen ihn nie bis zur Nacht aus.«

»Gut, besorgt das, ich verlasse mich in allem auf Euch, da Ihr die Verhältnisse besser kennt als ich.«

Während dieses Gespräches war der Abend ganz hereingebrochen. Die von Bäumen beschattete Umgebung des Schlosses, seine dicken Mauern und die im Verhältnis der großen Zimmerräume sehr kleinen Fenster ließen es im Innern derselben noch dunkler erscheinen, als es draußen war. Daher gebot der Kastellan einer seiner Töchter, Licht herein zu bringen, und schloß die Vorhänge der Fenster, nachdem er noch einmal hinausgelauscht und sein Ohr in die Richtung der Eingangspforte des Schloßhofes vorgebeugt hatte.

»Ich glaube, sie kommen,« sagte er, das Fenster schließend und sich zu Waldemar zurückwendend, »wenigstens habe ich das Schnauben von Pferden und heiteres Gelächter von Menschenstimmen vernommen. Gysela, begib dich in dein Zimmer hinauf und wenn Fräulein Torstenson eingetreten ist, bitte sie in meinem Namen, sich zu mir herunter zu bemühen, ich hätte ihr etwas mitzuteilen, was ich ihr nur in meinem Zimmer sagen kann.«

Gysela wollte soeben gehorchen, als sie, auf den Korridor tretend, die kleine Kavalkade auf den Schloßhof eintreten hörte und gleich darauf auch vom Fenster aus sah. Voran ritt Gylfe, mit dem Kapitän Caillard auf der einen und dem Leutnant Challier auf der andern Seite, hinter ihnen zwei Chasseurs und endlich ein Diener des Schlosses, ohne den sich die Dame des Hauses nie von demselben entfernte.

Der Kapitän sprang galant vom Pferde, um die Dame aus dem Sattel zu heben; dann aber einige Worte zu ihr sprechend, empfahl er sich, um noch einen Dienstritt in die Umgegend zu unternehmen. Als Gylfe in Das Schloß eingetreten war. setzte er sich wieder auf und sprengte mit seinem Gefolge davon, während sie, ein lustiges Liedchen trillernd, die Stufen hinanstieg, um in ihre Zimmer zu gelangen.

Gysela, nachdem sie die Begleitung der Dame wieder abreiten gesehen, trat ihr rasch entgegen und bat sie im Namen des Vaters, einen Augenblick dessen Wohnung zu betreten.

»Ei, guten Abend, Gysela!« erwiderte die Angeredete mit ihrer hellen und etwas scharfen Stimme. »Wie, ich soll zu deinem Vater kommen? Ja, ja, herzlich gern, ich werde überdies heute abend Langeweile haben. Aber, Kind, warum gehen wir denn erst die steile Treppe hinauf? Laß uns doch gleich unten bleiben, er kann mich ja auch im Reitkleide sprechen.«

Kaum hatte sie es gesagt, so ruhte ihre behandschuhte Rechte schon auf dem Türdrücker und einen Augenblick später war sie in das Zimmer getreten, wo sie zu ihrer nicht geringen Überraschung nicht den alten Kastellan, sondern einen ihr beim ersten Anschauen gänzlich unbekannten schönen und kräftigen Mann bemerkte, der sie, anstatt sich respektvoll vor ihr zu verbeugen, in gerader Haltung erwartete, ohne auch nur, die Miene zu verraten, ihr einen halben Schritt entgegenzukommen.

Aber dieser junge Mann war nicht minder überrascht, als Gylfe, da er mit klopfendem Herzen die Pflegetochter seines Wohltäters in ihrer jetzigen vollendeten körperlichen Entwickelung, noch dazu in der nie an ihr gesehenen kleidsamen Tracht vor sich sah. Gylfe trug ein schwerfaltiges Reitkleid von grünem Tuche, dessen Schleppe sie über den linken Arm geschlagen hatte, während sie in der mit einem gelben Handschuh überzogenen Linken ihr Taschentuch und in der Rechten eine elegante Reitpeitsche hielt. Ihre hellen Locken, von dem scharfen Ritt in der Abendluft etwas in Unordnung geraten, wallten lang auf ihren Nacken herab und fielen, die hochgefärbten Wangen streifend, in zwei dicken Ringeln über ihren Busen nieder. Auf diesen Locken trug sie einen keck aufgestülpten kleinen schwarzen Filzhut, dessen weiße Schwungfeder eine stählerne Agraffe etwas zur Seite befestigte. Um ihren elfenbeinfarbigen Hals schloß sich endlich ein feiner Spitzenkragen, der vorn über der Brust durch eine edelsteinfunkelnde Brosche zusammengehalten wurde.

Die mit dieser kurzen Schilderung eingeführte, Dame hätte nun, wie man danach denken sollte, einen angenehmen Eindruck auf den Sohn des Strandvogts hervorbringen sollen, allein das war eigentlich nicht der Fall. Waldemar war im ersten Augenblick allerdings über die ganze Erscheinung betroffen, die er sich nicht ganz so vollendet vorgestellt hatte, jedoch war er ein viel zu einfacher Naturmensch, um an der gekünstelten vornehmen Haltung, die sie annahm, und an dem eigentümlich prüfenden Ausdruck der Augen, was beides sie früher nicht in dem Grade gezeigt, ein ungeheucheltes Wohlgefallen zu empfinden, wobei wir nicht unerwähnt lassen dürfen, daß ihm das sichtbar aufgeblähte Wesen der jungen Reiterin nicht im geringsten imponierte.

Gylfe, einen »guten Abend« auf den Lippen tragend, da, sie den alten Ahlström im Zimmer zu finden glaubte, verschluckte diesen Gruß, trat einen Schritt, den sie bereits dem Anwesenden entgegen getan, zurück und hob verwundert die Rechte in die Höhe, worin sie die Peitsche trug, was, so anmutig die Bewegung war, die es ausführte, ihr doch den Anschein gab, als wollte sie sich gegen irgendwen zur Wehr setzen.

Diese seltsame Bewegung reichte hin, Waldemar seine ganze Fassung wiederzugeben. Er trat einen Schritt näher, verbeugte sich lächelnd und sagte: »Hoffentlich, mein Fräulein, wollen Sie mich nicht züchtigen, daß ich Ihnen diese Überraschung bereitet habe.«

Gylfe schrak wie vor einer körperlosen Erscheinung zurück, als sie diese Stimme vernahm und durch sie deren Besitzer erkannte; augenblicklich aber fühlte sie sich durch die vernommene Anrede ans einer Verlegenheit gerissen, in die sie sonst leicht hätte geraten können. Denn sobald sie ihren Jugendgespielen Waldemar Granzow, den Busenfreund Magnus Brahes erkannt, wußte sie nicht, wie sie ihn anreden solle, da ihr das trauliche du der früheren Jahre bei diesem stattlichen Manne, der ihr auf den ersten Blick ein gewisses Behagen erweckte, nicht recht passend erscheinen wollte.

»Waldemar!« hauchte sie erschrocken hervor. »Sind Sie aus den Wolken gefallen? Wo kommen Sie her? Was wollen Sie hier?«

»Sie stellen mir in einem Atem eine dreifache Frage,« lautete die mit klangreicher Stimme gesprochene Antwort, »und ich mich mir daher erlauben, eine nach der andern zu beantworten. Aus den Wolken bin ich zuerst nicht gefallen, denn wie Sie wissen, war es nie meine Art, in höheren Regionen zu schweben, als die mir die Natur zugewiesen – so bin ich denn auch heute auf meinen guten Füßen nach Spyker gekommnen. Woher ich aber komme, Gylfe? Geradeswegs aus einen Lande, welches die Herren, die auch hier die Meister spielen, mit Krieg überziehen. Und was ich hier will? Soll ich Ihnen auch darauf Antwort geben? Oder wäre Gylfe Torstenson das Gefühl unbekannt, welches einen dankbaren Menschen mit unwiderstehlicher Gewalt nach der Stätte seiner Heimat zieht?«

Gylfe, von dem festen Tone, der männlichen Haltung und dem energischen Gesichtsausdruck, die mit dieser Stimme vergesellschaftet waren, betroffen, fühlte instinktartig, daß ihr hier in ihrem Jugendgespielen ein Mann gegenübergetreten sei, auf den die weiblichen Kunststücke, in denen sie von jeher Meisterin gewesen, keinen tiefen Eindruck machen würden. Es war kein leichtblütiger, scherzender Franzose, den sie vor sich sah, sondern ein gerader, ruhiger und verstandesklarer Rügianer, der noch überdies den Vorteil auf seiner Seite hatte, ihre ganze Vergangenheit zu kennen und aus dieser Kenntnis einen Schluß auf ihr gegenwärtiges Verhältnis zu ziehen. Dennoch war sie Evas Tochter genug, um ein kleines Kunststück zu versuchen, um dadurch den starren Seemann vielleicht etwas zugänglicher und biegsamer zu machen. Sie ließ sich daher aus einen Stuhl fallen, warf die Reitpeitsche auf den Tisch, löste den kleinen Hut von den Locken und legte auch ihn daneben, worauf sie endlich die Handschuhe auszog, ihre blühende Wange auf die schöne Hand stützte und mit einem langgezogenen Seufzer die Miene einer nachdenklich Trauernden annahm.

Waldemar sah das alles mit unerschütterlicher Ruhe an, nur sein Auge folgte ihren graziösen Bewegungen, seine Haltung und sein Gesicht aber blieben starr und kalt, wie sie vorher gewesen waren.

»Waldemar!« sagte die Schöne mit beinahe wehmütig klingender stimme, »treten Sie näher und reichen Sie Ihrer alten Freundin die Hand – da – es wundert mich, daß ich Sie erst dazu auffordern muß. Wir haben uns lange nicht gesehen, nicht wahr?«

»Sehr lange nicht, das ist wahr, und ich glaubte schon, Sie hätten Magnus und mich gänzlich vergessen.«

»Waldemar! Wofür halten Sie mich?«

»Für Gylfe Torstenson, die Pflegetochter des Grafen Brahe, des Besitzers dieses Hauses, und für Magnus Brahes Schwester!«

Bei diesen mit ruhiger Ueberlegung gesprochenen Worten errötete Gylfe stark, hielt aber immer noch seine ihr hingereichte Rechte in ihrer warmen weichen Hand fest. »Das bin ich,« erwiderte sie leise und ließ dann plötzlich Waldemars Hand fahren, der jetzt dicht vor ihr stehen blieb, mit adlerartigen Blicken ihre Gestalt überflog und endlich ihr irrendes Auge zu fesseln suchte. »Das bin ich, ach! Wie lange ist es her, daß wir uns nicht so nahe gestanden?«

»Fünf Jahre, Gylfe, und Magnus Brahe ist unterdes, wie Sie aus der Jungfrau ein Weib, so aus dem Jüngling ein Mann geworden.«

»So einer wie Sie?«

»Ich verstehe diese Frage nicht ganz, sprechen Sie sich deutlicher aus.«

Gylfe überlief ein eisiger Schauer, der ihre zarten Glieder sichtbar erbeben machte. Sie ahnte wirklich, daß wenigstens Waldemar ein Mann geworden war, und der Gedanke an ein fern im Schoße der Zeiten liegendes Wehe, das sich nur in unbestimmten dunklen Umrissen vor dem Auge ihrer ahnenden Seele zeigte, kam über sie, ein Wehe, das sich über sie ergießen würde oder könnte, wenn Magnus seinem Freunde glich und erfuhr, was für Gedanken sie in diesen fünf Jahren gehegt und welche leichtfertigen Handlungen daraus hervorgegangen waren. Nie wie in diesem für sie wirklich qualvollen Augenblicke war ihr klar geworden, daß sie nicht ganz die Wege gewandelt, die ihr die Sitte, ihr Geschlecht, ihre Abstammung und die dankbare Gesinnung gegen die Brahesche Familie vorgezeichnet hatten, und doch – doch besaß sie nicht Kraft und Willensenergie genug, mit ihrer Gegenwart zu brechen und für die Zukunft eine andere werden zu wollen. Wie nun bei leichtblütigen Wesen ihrer Gattung Stimmungen und Launen wechseln, gleich wie die trügerische Welle bald hoch, bald tief sich neigt, so sprang sie auch jetzt von dem trüben Gedanken ab, der sie ergriffen hatte, und indem sie ihren ganzen Geist zusammenraffte, ihr beizustehen und sie aus der Schlinge zu ziehen, die ihr vorgehalten ward, gedachte sie mit Blitzesschnelle der schönen paradiesischen Zeit, die sie, so unangetastet in unbeschränkter Willkür, in den letzten Monaten verlebt hatte, erhob sich rasch von ihrem Platze, trat vom Tische und den hell brennenden Lichtern fort und sagte höflich, aber bei weitem kälter als vorher:

»Ich werde Ihren Wunsch ein andermal erfüllen. Jetzt will ich Ihnen nur sagen, daß ich mich freue, Sie wieder zu sehen, doch erlauben Sie wohl, daß ich gehe, um mich umzukleiden?«

»O!« erwiderte Waldemar ernst und trat ihr in den Schatten des Zimmers nach – »ich bin noch nicht fertig, Gylfe, ich habe noch ein ernstes Wort mit Ihnen und zwar auf der Stelle zu reden.«

»Wie? Ein ernstes Wort, sagen Sie? Sprachen wir denn noch nicht ernst genug bisher? Was wollen Sie mehr von mir?« .

»Ich will Sie nicht lange aushalten, nur will ich Sie ganz ehrlich fragen, ob ich in Ihnen eine Freundin oder das Gegenteil vor mir habe – wohlgemerkt, wenn ich das Wort Freundin gebrauche, so meine ich damit eine unbegrenzte Ergebenheit an mein und meines Freundes Interesse. Denn Sie müssen wissen und wissen es sicher, daß ich mit Magnus auf der Seite derer stehe, die gegen die Franzosen kämpfen, dieselben Franzosen, mit denen Sie hier in einem Hause und, wie es scheint, in vertraulich geselligem Verkehr leben. Ich bin nun in einer ernsten Angelegenheit und mit einem bestimmten Auftrage an Kapitän Caillard abgesandt und diesen Auftrag werde ich erfüllen, sobald er von seinem Ritte zurückgekehrt sein wird.«

Gylfes Busen hob sich höher und höher, und ein unbestimmtes Angstgefühl kam abermals über sie. Wie durch innere Hingebung fühlte sie, daß sie an einen Wendepunkt ihres Lebens gelangt und der Fall nicht unwahrscheinlich sei, daß sie sich offen und ein für allemal Für oder Wider entscheiden müsse.

»Ein Auftrag an Kapitän Caillard?« sagte sie zitternd und etwas erbleichend mit matter Stimme. »Was geht das mich an?«

»Es geht Sie sehr nahe an, denn es hängt von Ihnen ab, mich als den zu verraten, der ich wirklich bin, als Waldemar Granzow ans Sassnitz, oder mich als den zu bestätigen, für welchen ich hier eine Zeit lang gelten will.«

»Und für wen oder was wollen Sie hier eine Zeit lang gelten?« ^

»Für Georg Forst, einen Seemann, der keine Dienste im gegenwärtigen Kriege nimmt, aus Greifswald gebürtig und ein Verwandter des Herrn von Bagewitz auf Kloster ist. Wie gesagt aber, es steht in Ihrem Belieben, jedermann mitzuteilen, daß ich Waldemar Granzow bin, ein Mann, den man seit langer Zeit verfolgt, weil er seinem Vaterlands treu ergeben, ein Feind des Feindes desselben ist, und daß ich, ich, der innigste Freund der Brahes, in diesem Schlosse bin, um hier zu spionieren –«

Gylfe ließ ihn nicht aussprechen. Schon lange war sie in Zorn aufgeflammt, obgleich ihr diese letzte Zumutung eben so viel Gram wie Zorn verursachte. Mit glühendem Gesicht war sie Waldemar immer näher getreten, ließ, ihr Auge beinahe düster auf seinem unbeweglich ruhigen Gesicht funkeln und sagte, indem sie seinen Arm faßte und heftig schüttelte: »Wofür halten Sie mich, frage ich noch einmal?«

»Und noch ein mal antworte ich,« klang es ihr fest aus unerschütterlicher Brust entgegen, »für Gylfe Torstenson, die Pflegetochter des Grafen Brahe und Magnus Brahes Schwester und Freundin.«

Jetzt endlich hatte Gylfe ihn ganz verstanden. Sie schlug die Hände vors Gesicht und sank auf einen Stuhl nieder, fuhr aber rasch wieder empor, weil ihr eine neue Besorgnis durch die Seele schoß. »Wollen Sie hier etwas gegen die Feinde Ihres Vaterlandes unternehmen?« fragte sie beklommen.

»Ängstigt Sie das? Nein? Nun, dann sage ich Ihnen ehrlich, daß ich nichts unternehmen will, wenn diese Feinde gegen mich nichts unternehmen. – Wollen Sie mich für Georg Forst anerkennen?«

»Fragen Sie mich nicht – lesen Sie das Ja aus meinen Augen, meinem Herzen – ja, ja, ja, ich erkenne Sie dafür an – nur eine Bedingung habe ich dagegen.«

»Welche ist das?«

»Sie dürfen auch gegen mich nichts Feindliches unternehmen – bei niemanden – nirgends!«

»Wie sollte ich – was denken Sie von mir?«

»Sie sind der Freund Magnus Brahes, sagen Sie –«

»Nun ja, in diesem Punkte begegnen wir uns – was denn weiter?«

»Verleumden Sie mich nicht!« preßte sie beinahe mit Tränen heraus.

Waldemar fühlte, daß mit diesen Worten ihr Gewissen gesprochen hatte, und er schöpfte wieder einige Hoffnung, für sie und sogar für seinen Freund. »Nein,« sagte er dreist und ehrlich, »ich werde Sie nicht verleumden und hoffe auch keine Gelegenheit dazu zu haben. Aber um noch einmal auf meinen zweiten Namen zurückzukommen, so muß Ihr Wort nicht allein für heute und morgen, sondern so lange gelten, wie ich hier bin.«

»Für immer, wenn Sie wollen.«

»Auch nicht für immer, nur für die Zeit, wo ich auf Spyker weilen werde, denn ich gehe morgen von hier fort, um in einigen Tagen wieder zurückzukehren.«

Gylfe erschrak von neuem, aber sie bezwang sich, um diese letzte innerliche Regung nicht sichtbar werden zu lassen, obgleich ihr die letzten Worte die peinlichsten waren, die Waldemar noch gesprochen hatte. Denn was wollte er hier, in dieser Zeit – unter Männern, die ihr angenehm und seine bittersten Feinde waren?

»Sie dürfen mich aber nicht verantwortlich machen, wenn man Sie endlich ohne mein Zutun erkennt,« sagte sie, »denn man wird nicht minder aufmerksam und scharfsinnig sein als Sie.«

»Wie wollte ich! Ihr Wort, schweigen zu wollen, genügt mir – wenn ich es erst habe.«

»Waldemar!« bat sie mit so weichem Tone, wie sie ihn hervorbringen konnte, und streckte ihre schöne Hand noch einmal mit einem eigentümlichen Blicke gegen ihn aus. Aber wenn sie durch frühere Erfolge verwöhnt war, bei so anmutiger Bewegung, so verführerisch tönendem Laute und solchem schmelzenden Blick alle Stirnen sich vor ihr beugen zu sehen, so hatte sie diesmal eine Ausnahme von der Regel vor sich. Waldemar stand aufrecht und still wie eine Eiche vor ihr und streckte nur flüchtig und gleichgültig seine Hand gegen die ihre aus.

»Auch wir sind Freunde!« flüsterte sie, seine Hand wiederholt drückend.

»Ich hoffe es, daß wir es sein und bleiben können.«

»In Wahrheit, Sie hoffen, nichts Unmögliches. Was an mir liegt, soll geschehen, um Sie mit mir auszusöhnen, denn das sehe ich mit den Augen und dem Herzen zugleich, daß Sie nicht mehr sind, was Sie mir vor fünf Jahren waren.«

»Was war ich Ihnen da?«

»Oft der Vertraute mancher meiner kleinen Leiden.«

»Haben Sie jetzt vielleicht große?«

»Ja, wenn ich Ihr unbewegliches Gesicht sehe, Ihre Hand fühle, die kalt in der meinen ruht, und dabei denken muß, daß Sie mich hassen.«

»Ich hasse Sie nicht, nein, Gylfe, darin verkennen Sie mich – doch halt! Da kommt der Kapitän, ich höre sein Pferd –

Gylfe erhob horchend den ausdrucksvollen Kopf und schüttelte die wogenden Locken von den Ohren. Nie war ihr der französische Liebhaber – denn das war er ihr in der Tat – zu ungelegenerer Zeit gekommen. »Ja,« sagte sie, »er ist es. Ich will Sie jetzt verlassen, er soll mich nicht in meiner Erregung sehen – bleiben Sie hier, Waldemar, ich gehe – es bleibt bei unserm Versprechungen.«

Und wie eine Sylphe zur Tür fliegend und doch sich unterwegs holdselig gegen den verwunderten Jugendfreund neigend und ihm mit zärtlichen Augen zunickend und grüßend, verschwand sie vor Waldemar, wie uns oft in der Nacht ein Stern verschwindet, der uns so glänzend schien, so göttliches Licht versprach und doch sich hinter einer kleinen unbedeutenden Wolke verlor, die von unserer Erde selbst emporgestiegen war.

Waldemar blieb allein, tief in Gedanken versenkt. Er hörte nicht, daß der Kapitän mit seinen Begleitern vor die Tür sprengte, abstieg, durch den Korridor dicht an des Kastellans Zimmer vorbei und dann die Treppen zu seiner Wohnung hinaufschritt, denn in seinem Herzen wogte eine trübe bittere Welle auf, die die Erinnerung an allen Glanz und alle Schönheit, die er soeben noch vor Augen gehabt, mit wegschwemmte. »Magnus,« sprach er leise vor sich hin, »armer Magnus, wie sehr bedaure ich dich! O, sie hat nicht ein einziges Mal gefragt, wie es dir geht, wo du weilst, nicht ein einziges Mal gesagt, daß sie dich gern bald wiedersehen möchte! O, und das wenigstens hättest du doch wohl um sie verdient! Aber was gilt hier Verdienst, wo das Willkürlichste von allen erschaffenen Dingen, die Laune eines herzlosen Weibes, gebietet! O Weiber, Weiber! Und Ihr wollt vorzugsweise vor allen übrigen Menschen ein fühlendes Herz haben? Bei Gott, das hätte Hille nicht – Hille? Ha! Wie kommt mir denn die hier ins Gedächtnis? Pfui, so gering an Stand und Bildung sie gegen diese glänzende Puppe ist – ich mag sie doch nicht, nicht einmal in Gedanken neben ihr stehen haben, denn diese Gylfe wirft in meinen Augen einen Schatten, der selbst die Unschuld und Lieblichkeit einer Hille verdunkeln könnte!« –

Der Kastellan, der schon mit Ungeduld auf Gylfes Entfernung gewartet hatte, kam in diesem Augenblick von dem Korridor herein, wo er mit dem Kapitän gesprochen, und berichtete, daß er inbetreff Waldemars alles vorbereitet und ihn bereits als Georg Forst bei jenem angemeldet habe. »Nun, mein Junge,« sagte darauf der gute Alte, »bist du befriedigt von deiner Unterhaltung mit der kleinen Königin von Spyker? Mir scheint es nicht ganz so, denn dein ehrliches Gesicht, das jeden Zug deines Herzens verrät, ist etwas in Wolken gehüllt – hab' ich recht?«

»O, mein guter Ahlström, ich dachte in diesem Augenblick nicht an meine eigene Befriedigung, vielmehr an die Befriedigung dessen, den wir beide mehr lieben als uns selbst. Magnus aber wird, so fürchte auch ich, wenn er hierherkommt, mehr Wunden empfangen, als er zu heilen sucht.«

»Aha, also das ist's! Nun, das habe ich längst gewußt, und auf den Kummer bin ich vorbereitet. Gebe nur Gott, daß wir nicht noch größeren vor uns haben, denn das Unheil, dessen Farbe man kennt, ist nie das schlimmste von allen. Jetzt aber geh hinauf zu dem Herrn und sieh Dir seine gnädige Miene an. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß du vor einen Mann trittst, der als kleiner Herr sich das Abbild eines viel größeren zu sein dünkt – wundere dich also nicht zu sehr über seine Würde, und wäge Worte und Miene ab, denn du hast etwas in deinem Äußeren, was nicht wie knechtische Unterwerfung aussieht, die diese Herren fordern. Der Kapitän aber hat scharfsichtige Augen und weiß sie zu gebrauchen, also hüte dich.«

»Da ich mich vor niemanden fürchte und immer gerade herausspreche, was ich denke, so trete ich meinen Gang zu ihm mit leichtem Herzen an. Gehabt Euch wohl und laßt mir mein Zimmer bald zurecht machen, ich bin etwas müde von meinem Tagewerke; die Arbeit, wozu mich diese Gylfe veranlaßt hat, gehört zu meinen seltensten, ich bin also nicht geübt darin. – Welches Zimmer bewohnt der Herr?«

»Das Jagdzimmer, mein Junge!« erwiderte seufzend der Alte.

Waldemar schritt mit dem ruhigsten Gleichmut, wie er ihn stets, selbst in größeren Gefahren bewahrte, als er jetzt entgegenging, die breite Treppe hinauf, wandte sich im ersten Stockwerk zur Rechten, kreuzte eine steinerne Halle, die mit alten Fahnen, Waffenstücken und Ahnenbildern geschmückt war, und langte endlich vor einer Tür an, die ein Diener bewachte, der halb Reitknecht, halb Kammerdiener zu sein schien, denn er roch stark nach Pferden und duftete zugleich fast so lieblich wie sein Herr von seinen Wohlgerüchen.

»Ist der Herr Kapitän zu sprechen?« fragte Waldemar den doppelt gestaltigen Diener, der eben erst aus dem Zimmer seines Herrn gekommen war, wo er ihm beim Umkleiden geholfen hatte.

»Wen habe ich die Ehre zu melden?«

»Mein Name ist Georg Forst.«

»Ah, da sind sie ja schon von dem Kastellan gemeldet – treten Sie ein.«

Waldemar überschritt die Schwelle und sah ein Zimmer wieder, das ihm schon viele Jahre bekannt und wegen der mannigfachen wohltuenden Erinnerungen, die sich daran knüpften, überaus teuer war. Es war ein großes, tiefes und hohes Gemach mit außerordentlich dicken Wänden, die mit braungebeiztem und poliertem Holzgetäfel überzogen waren, in welches kunstverständige Hände alle möglichen Jagderfordernisse mit feinen bunten Holzstücken bilderartig eingelegt hatten. Jede von den vier Wänden war wiederum in große Quadratfelder geteilt, aus deren Mittelpunkte je ein Hirschkopf von Holz hervorsprang, der ein prächtiges Geweih trug. Auch zwischen diesen großen Köpfen sprangen in regelmäßigen Zwischenräumen kleinere Tiergestalten hervor, unter denen Reh- und Fuchsgesichter am häufigsten waren. Auf altertümlichen Konsolen standen daneben in mannigfachen Abwechselungen ausgestopfte Vögel, vom gewaltigen Steinadler, dem Könige der Spykerschen Forsten, bis zum kleinsten Geflügel herab. Über dem gewaltigen Kamin von dunkelgeadertem Sandstein prangte ein schönes Jagdbild von der Hand eines niederländischen Meisters, den schlafenden Endymion und die ihn belauschende Diana vorstellend, und auf demselben waren eine Menge Dinge ausgestellt, die alle in ihrer Gestalt und ihrem Stoffe die Liebhaberei des Erbauers dieses Saales zur Anschauung brachten, denn sie bezogen sich sämtlich auf die Jagd oder stammten von einer derselben her, die vor Zeiten in der Nähe des alten Schlosses in den gewaltigen Wäldern der Stubnitz abgehalten waren. Von dem Mittelpunkt des Plafonds, den ebenfalls Jagdattribute, in holzfarbiger Stukkatur gearbeitet, schmückten, hing an einer eisernen Stange eine Art Kronleuchter herab, der aus größeren und kleineren Stücken zusammengesetzt war, die gleichfalls der Jägerei angehörten, denn man sah hier alle möglichen Arten Geweihe, Zähne und Klauen von Waldtieren vertreten und zu einem künstlerischen Ganzen von ganz eigentümlicher Wirkung vereinigt.

Dieser Einrichtung im ganzen entsprach die Ausstattung des Zimmers im einzelnen, namentlich in bezug auf die allerdings sehr einfachen Möbel. Auch die vorhandenen Tische und Sessel waren künstlich geschnitzt und meist mit Dingen bedeckt, die in Bezug auf Form und Geschmack zu den Zierraten der Decken und Wände paßten. In der Mitte der einen Wand aber, zwischen manneshohen Kandelabern von versilbertem Zinn, auf denen ungeheure Wachskerzen brannten, wie deren kleinere an verschiedenen Stellen das weite Gemach zu erleuchten versuchten, stand ein mit grünem Atlas überzogenes daunenweiches Ruhebett, an dessen Kopfende ein Tisch aufgestellt war, den verschiedene Luxusgegenstände füllten, die alle einer modernen Zeit angehörten und weichlicheren Gewohnheiten entsprachen, als sie früher in diesem altehrwürdigen Saale zu Hause gewesen waren.

Und so kommen wir denn zu den Besitztümern, die nicht dem Geschmack des Erbauers dieses Schlosses ihr Dasein verdankten und sehr wenig mit den gediegenen und altertümlichen Gerätschaften darin übereinstimmten, dagegen, um so mehr die Richtung des Geschmacks und der Sitten des jetzigen Bewohners enthüllten. Denn fast sämtliche, hier und da herumstehende kleine Tische waren mit Gegenständen modernsten Prunkes überladen, meist waren es sogenannte Toilettenspielereien, die einen weichlichen weibischen Sinn verrieten, und am zahlreichsten waren darunter Pomadentöpfchen, Fläschchen und Tinkturen, Seifen und Parfüms vertreten, die einen Duft aushauchten, der diesem ehrwürdigen Zimmer ein ganz eigentümliches kokettes Gepräge verlieh, wo sonst nur der natürliche Geruch alten Zedernholzes wahrgenommen ward, der aus ähnlichen Gemächern einer längst vergangenen Zeit selten ganz verschwindet. Der Tisch vor dem Ruhebette aber war mit buntem, teilweise bemaltem Schreibpapier, gleichfalls stark parfümiert, mit Federn, deren Bart papageiartig blau und rot gefärbt war, und einem Tintenfaß von getriebenem Silber belegt, dessen Hauptgruppe eine Venus bildete, die kokett mit dem geflügelten Amor spielte.

Auf dem Ruhebette selbst nun, gemächlich ausgestreckt und aus einer türkischen Pfeife narkotische Rauchwolken entsendend, lag Monsieur le Capitaine François de Caillard selber, gegenwärtig, nachdem der Dienst und das Vergnügen im Freren beendet war, in ein Negligée gekleidet, das zwischen der Tracht eines Chinesen, eines Griechen und eines Türken die Mitte zu halten schien, denn es war phantastisch, seltsam und abenteuerlich genug.

Monsieur de Caillard hatte beabsichtigt, den ihm bereits gemeldeten Besuch liegend zu empfangen, um auf ihn den Eindruck eines vornehmen, bedeutenden und in nobler Ruhe hingegossenen Mannes zu machen; als er aber diese kräftige, hohe Gestalt mit dem energischen Kopfe, der den seinigen um eine Gesichtslänge überragte, dem Adlerantlitz und einer Haltung eintreten sah, die der eines siegesgewohnten Seehelden auf ein Haar glich, erhob er sich unwillkürlich und trat ihm mit etwas verwunderter Miene entgegen, die nicht ohne eine geringe Beimischung eines unbestimmten Verdachtes war.

»Bon soir, monsieur!« wollte er sagen, aber das Wort blieb ihm im Munde stecken, als er den jungen Mann sich ruhig verbeugen, dann stillstehn und ihm mit festem Blick in das funkelnde Auge schauen sah.

»Sprechen Sie Französisch?« sagte er endlich in gebrochenem aber verständlichen Deutsch – einer Sprache, die schon damals, als Rügen noch schwedisch war, von jedermann aus der Insel gesprochen wurde, also verriet, wohin die stillen Sympathien des Volkes neigten.

»Nein, Herr Kapitän,« erwiderte Waldemar mit seiner mächtigen Stimme, obgleich er hiermit eine Unwahrheit aussprach. »Dazu bin ich nicht gelehrt genug. Ich bin nur ein einfacher Seemann, der ein gutes Schiff regieren kann, und weiter nichts.«

»Sie heißen Georg Forst?«

»Und bin aus Greifswald gebürtig, ja!«

»Was wünschen Sie von mir?«

»Der Zufall hat mich mit dem Kaiserlichen Offizier der Kriegspolizei, Herrn Dubois, in Hiddens-öe zusammengeführt. Ich habe mit ihm die Fahrt nach Wittow gemacht und da er erst morgen oder übermorgen seinen Weg über Spyker nimmt, seine Meldung aber schon gern früher in Ihren Händen sehen wollte, so hat er mich beauftragt, Ihnen, Herr Kapitän, diesen Brief einzuhändigen, in den jene Meldung eingeschlossen ist.«

Der Kapitän, einen stechenden Blick auf das unbewegliche Antlitz des Seemanns werfend, nahm den Brief, trat an eine der großen Kerzen und las ihn nebst dem Befehl des kommandierenden Generals in Stralsund langsam bis zu Ende, dann und wann jenen Blick wiederholend, der aber, wie Waldemar bemerkte, immer freundlicher und vertrauensvoller wurde.

»Eh bien!« sagte er lächelnd, als er fertig war, »Mr. Dubois schildert Sie als einen zuverlässigen Mann, der ihm gute Dienste geleistet, und dabei kräftig und gewandt – c'est bon! Courage, mon ami! Die Burschen aber, die hier signalisiert sind, Waldemar Granzow aus Sassnitz und seinen Herrn, die beide Verräter und Deserteure sind, wollen wir schon fassen. Uns entgeht man so leicht nicht. Ich werde morgen selbst nach Sassnitz reiten und die notwendigen Befehle erteilen. Aber ich bin der Meinung, unsre Bemühungen um sie an diesen Orten werden vergeblich sein, denn hierher kommen sie gewiß nicht, da sie jedermann kennt und sie auch wissen müssen, daß wir hier sind. Mais cela ne fait rien – ich danke Ihnen. Was hat Sie sonst herbeigeführt?«

Waldemar stockte etwas mit der Sprache, senkte den Kopf und drehte, scheinbar in einer Art unwillkürlicher Verlegenheit, die natürlich genug ausfiel, den Hut in der Hand. »Ich kenne die Tochter des Kastellans –« sagte er leise.

»Ah!« unterbrach ihn der Kapitän, » c'est cela, que Vous touche! Die also hat Euch hierher gelockt?«

»Ja, Herr Kapitän.«

» C'est joli. Courage, mon ami, sage ich. Geht und tut Eure Pflicht, ich will Euch nicht im Wege sein. Wie lange werdet Ihr hierbleiben?«

»Ich wollte morgen schon wieder fort, da ich in Wittow eine alte Verwandte besuchen möchte; denke aber, es werde mir gestattet sein, in einigen Tagen wieder vorzusprechen und meine Bewerbung fortzusetzen.«

»Darin will ich Euch nicht hinderlich sein – aber halt! Ihr wollt morgen nach Wittow?«

»Ja, Herr Kapitän, wenn Sie es erlauben.«

Der Kapitän dachte eine Weile schweigend über etwas nach. »Ihr könnt mir vielleicht einen Dienst leisten,« sagte er plötzlich. »Ich brauche sehr notwendig Hafer für meine Pferde, und aus Wittow soll ich ihn holen lassen. Ihr versteht ein Schiff zu führen – wollt Ihr das Geschäft übernehmen?«

Waldemar richtete sich in seiner ganzen Höhe empor und ein freudiger Ausdruck verklärte sichtbar seine Züge. »Gern,« sagte er rasch, »aber ich habe kein Boot.«

»Hoho! Dafür werde ich sorgen, und Ihr könnt zwei Schlingel aus diesem Hause mit Euch nehmen, die Euer Handwerk verstehen. Ehe Ihr morgen abgeht, werde ich Euch den Ort näher bezeichnen. Bon soir, mon ami!« Und er nickte mit dem Kopf und machte eine Handbewegung dabei, die Waldemar, da sie mit kaiserlicher Grandezza ausgeführt wurde, nicht mißverstehn konnte. Gleich darauf hatte er sich verbeugt und das Zimmer verlassen, um die wohlverdiente Ruhe zu suchen, während der Kapitän seinen Leutnant rufen ließ, um noch ein Spielchen mit ihm zu machen.


 << zurück weiter >>