Ludwig Fulda
Der Talisman
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug.

(Freie südliche Gegend. Im Hintergrund Ausblick auf das Meer und die an der Bucht gelegene Stadt Famagusta. Links vorn eine ärmliche Hütte; vor derselben ein Schemel, einige Körbe und Weidenruten. Ein Feigenbaum daneben. Rechts vorn die prächtige, mit einer breiten Freitreppe versehene Terrasse des königlichen Lustschlosses.)

Erster Auftritt.

(Beim Aufgehen des Vorhangs hört man fernes Hörnerblasen.)

Habakuk (sitzt auf dem Schemel vor der Hütte, mit seiner Arbeit beschäftigt. Dann) Rita.

Habakuk (aufhorchend).
Trara! Trara! Jawohl, ihr habt es gut!
Ihr könnt mit vollen Backen blasen.
Ihr sprengt herum durch Wald und grünen Rasen
Und ahnt es nicht, wie weh die Arbeit thut.
Ich sitz' derweil am Wege Jahr um Jahr,
Tag aus Tag ein, solange, bis ich sterbe,
Und eines ward mir völlig klar:
Korbflechten ist ein greuliches Gewerbe.
        (Aergerlich den Korb zausend, an dem er sticht.)
Verdammtes Zeug! Man rackert sich zu Schanden!
Wehrst du dich noch und schnellst mir ins Gesicht?
Du wirst ein Korb; dein Sträuben hilft dir nicht;
Du wirst ein Korb; hast du mich wohl verstanden? 8

Rita (ein Henkelkörbchen tragend, kommt von rechts hinten, singend).
        Lustig ist der Morgenstrahl
        Und der Rosenstrauch;
        Lustig tanzt der Bach im Thal;
        Darum tanz' ich auch.
        Laridi, larida,
        Darum tanz' ich auch.

Habakuk (dessen Züge sich aufgeheitert haben).
Ei, Rita, schon zurück, mein Kind?
Mein Schwälbchen schon vom Markt zurück?

Rita. Ich bin geflogen wie der Wind
Vor lauter Glück.
Habe gute Geschäfte gemacht,
Den ganzen Vorrat angebracht;
Alle drängten sich im Haufen,
Wollten all' meine Körbe kaufen.
Grad' als wär' ein Zauber drin. –
Andre riefen und lockten die Kunden;
Ich sah ruhig vor mich hin;
Aber sie haben mich doch gefunden,
Weil ich am Sonntag geboren bin.

Habakuk. Ach, nur nicht übermütig, meine Schwalbe!
Sag lieber, was der ganze Quark dir trug?

Rita. Zwei Drachmen, Vater, und eine halbe.

Habakuk (enttäuscht).
Nicht mehr?

Rita.                 Ist das denn nicht genug? 9

Habakuk. O Jammerleben! Solch ein Lumpengeld
Für wochenlanges maledeites Schwitzen!
Ich denk', du bringst mir heim die ganze Welt . . .

Rita. Kann ich dir bringen, was wir schon besitzen?
Die ganze Welt um uns herum
Mit Näh' und Fernen,
Mit Sonne und Sternen
Ist unser großes Fürstentum.
Dort die frischen, blumigen Matten,
Hier der Bäume kühler Schatten,
Das weite Land
Und das endlose Meer
Und die Muscheln am Strand
Und drüber her
Der Tag mit seinem goldenen Schein,
Ist er nicht mein?
Ist er nicht dein?
Vater, hast du das ganz vergessen?

Habakuk. Das alles kann ich doch nicht essen.

Rita. Wurden wir nicht noch immer satt?
        (Zeigt auf das Körbchen.)
Und was ich mitnahm aus der Stadt,
Das ist gekauft und nicht geborgt.
Drei Tage haben wir ausgesorgt!

Habakuk (schnuppert in die Luft).
Hm! Merkst du nichts?

Rita.                                 Sag, was ich merken soll? 10

Habakuk. Die Luft erfüllen liebliche Gerüche;
Mich kitzelt meine Nase sehnsuchtsvoll;
Es duftet wie nach seiner kalter Küche.

Rita. Ja, wirklich!

Zweiter Auftritt.

Vorige. Der Hofkoch, (gefolgt von) vier Unterköchen, (kommt von rechts hinten feierlich geschritten. Alle tragen große, mit Stürzen zugedeckte silberne Schüsseln. Vor der Terrasse machen sie Halt.)

Hofkoch (sehr feierlich).
                      So! Wir sind am Ziele.

Habakuk (geht auf ihn zu, macht etliche Bücklinge).
Ach, euer Excellenz, verzeiht,
Die Neugier zwingt mich, euch zu fragen:
Habt ihr da was von großer Wichtigkeit?

Hofkoch (würdevoll).
Von allergrößter!

Habakuk.                 Wenn es dir gefiele,
Mir nur ein Wort . . .

Hofkoch.                       Der König kehrt vom Jagen
In diesem neuen Luftschloß gnädigst ein;
Drum wird ihm hier das Frühstück aufgetragen.

Habakuk (mit der Zunge schnalzend).
Das wird wohl ganz was Delikates sein. 11

Hofkoch. Natürlich.

Habakuk.               Um Vergebung, darf man wissen
Die Namen aller dieser Leckerbissen?

Hofkoch (kurz).
Nein, Amtsgeheimnis. (Zu den andern.) Kommt hinauf!

Habakuk. Noch eines wüßt' ich gerne – für mein Leben:
Ißt das der König alles selber auf?

Hofkoch. Darüber kann ich keine Auskunft geben.

(Mit den Unterköchen ab über die Terrasse.)

Dritter Auftritt.

Habakuk. Rita.

Habakuk. O Not und Elend, Trübsal, Pein und Schmach!
Das Paradies wird mir vorbeigetragen;
Was aber bleibt für meinen leeren Magen?
        (Er zeigt auf Ritas Körbchen.)
Ich sehe lieber gar nicht nach.

Rita. Väterchen, laß dich überraschen.
Ich richte dir solch ein köstlich Mahl,
Daß selbst der König in seinem Saal
Froh wäre, dürft' er davon naschen. 12

Habakuk. Nun ja, was wird das wieder sein,
Was ich auf meinem Tische finde?
Ein trocknes Brot, ein saurer Wein
Und eine lederne Käserinde;
Wenn's hochkommt, noch zwei Spiegeleier.
Immer und ewig die alte Leier.

Rita. Dort von den Zweigen,
Grade zu greifen,
Nicken die reifen,
Saftigen Feigen;
Klares Wasser rieselt im Grund . . .

Habakuk. Wasser. Brrr!

Rita.                             Ist sehr gesund.
Sei guter Dinge!
Ich lache und singe;
Drum zeig auch du ein fröhliches Gesicht.

Habakuk. Mein gutes Schwälbchen, das verstehst du nicht.
Du bist noch jung, hast einen leichten Sinn;
Ich aber mag mich nicht in alles fügen,
Und daß ich gründlich unzufrieden bin,
Das ist mein einziges Vergnügen. –
Nun geh, mein Kind, und schaue nach dem Rechten;
Ich will indes den Racker fertig flechten.

Rita (geht singend ab in die Hütte).
Lustig ist der Morgenstrahl
Und der Rosenstrauch; 13
Lustig tanzt der Bach im Thal;
Darum tanz' ich auch.
Laridi, larida,
Darum tanz' ich auch.

Vierter Auftritt.

Habakuk. (Dann) Omar.

Habakuk (ihr gerührt nachblickend).
Das wackre Mädchen! Wenn der Mut mir sinkt,
Sie weiß mir neue Lebenskraft zu schenken.
        (Starrt vor sich hin und grübelt.)
Ob wohl der König jemals Wasser trinkt?
Ich kann's mir eigentlich nicht denken.
        (Er nimmt mit einem tiefen Seufzer seine Arbeit wieder auf.)

Omar (in morgenländischer Kleidung, ein Bündel auf dem Rücken, einen Wanderstab in der Hand, kommt links hinter der Hütte hervor, sieht sich um und bleibt stehen, wie er Habakuk bemerkt).
He, Alter! Sag, wie geht der nächste Weg
Nach Famagusta?

Habakuk.                 Gradeaus, dann schräg,
Dann links, dann rechts, dann wieder grade fort;
In einer halben Stunde bist du dort.

Omar. Ich danke dir.

Habakuk (nach dem Hintergrund zeigend).
                        Da siehst du schon die Zinnen
Der stolzen Häuser. Leute wohnen drinnen,
Von denen jeder Geld in Scheffeln hat. 14

Omar (aufblickend).
Ja wahrlich, eine königliche Stadt.

Habakuk. Du kommst gewiß aus weiter Ferne her
Und bist zum erstenmale Cyperns Gast?

Omar. Zehn Tag' und Nächte fuhr ich übers Meer.

Habakuk. Nun, wenn du einmal Körbe nötig hast . . .

Omar. Für heute nicht.

Habakuk.                   Die allerfeinsten Waren;
Mein Urgroßvater fing den Handel an,
Und ich betreib' ihn schon seit vierzig Jahren.

Omar. Ein ander Mal.

Habakuk.                 Schon gut, mein junger Mann;
Ich dränge mich nicht auf. Doch sag mir, bitte:
Was führte dich in unser Land?
Was lenkt nach Famagusta deine Schritte?
Ist jemand dort mit dir verwandt?
Beruft dich ein Geschäft in Cyperns Hafen?
Neugierig bin ich, das gesteh' ich zu,
Und sagst du's nicht, dann hab' ich keine Ruh'
Und kann die ganze Nacht nicht schlafen.

Omar (lächelnd).
Nun, deinen Schlummer will ich dir nicht rauben:
Die Hoffnung führt mich her. 15

Habakuk.                                   Die Hoffnung – ei!

Omar. Nach allem, was ich hörte, muß ich glauben,
Daß hier das Glück zu finden sei.

Habakuk. Hast du viel Geld?

Omar.                                 Was auf der Erde mein,
Das trag' ich hier auf meinem Rücken.

Habakuk. Hast du in Cypern mächt'ge Freunde?

Omar.                                                             Nein.

Habakuk. Dann wird's dir mit dem Glücke schwerlich glücken.

Omar. Doch hab' ich Mut und Jugend.

Habakuk.                                         Sieh mal an!
Die hatt' ich auch; doch sind sie bald erloschen.
Für Mut und Jugend, lieber junger Mann,
Gibt man in Famagusta keinen Groschen.

Omar. Je nun, die Mücken fliegen nach dem Licht.
Ich sah die Heimat in das Meer versinken
Und Cyperns Küste nah und näher winken;
Nun bin ich hier, und rückwärts schau' ich nicht.
Hier will ich stehen, will ich Wurzel schlagen; 16
Wo könnt' ich besser meine Kräfte wagen?
Ist euer Land nicht reich und ruhmbekränzt?
Erzählt man nicht begeistert und geblendet
Vom Glanz, den eures Königs Hof entsendet?

Habakuk. Was hilft der Glanz, wenn man nicht selber glänzt!

Omar. Steht das Gesetz nicht jedem Schwachen bei?

Habakuk. Der Starke hilft sich selbst zu seinem Rechte.

Omar. Ist nicht der Bürger unabhängig, frei?

Habakuk. Ja, niemand wehrt mir, daß ich Körbe flechte.

Omar. Hat dich die Not so grausam bei den Haaren,
Daß man dich stets in solcher Laune trifft?

Habakuk. Jawohl, ich bin gebläht von lauter Gift
Und habe Lust, aus meiner Haut zu fahren.
Schon früher seufzt' ich unter schwerem Druck;
Doch damals schien er mir nicht übermäßig.
Ich sagte zu mir selber: Habakuk,
Sei nicht begehrlich noch gefräßig;
Du hast ein Kind, das liebend dich umhalst,
Ein Hüttchen, einen neu geflickten Kittel,
Und wenn dich hungert, ist das beste Mittel,
Daß du den Gürtel enger schnallst.
Da fing man eines Tages hier im Grase
Ein Schaufeln, Graben und Gehämmer an, 17
Und eh' ich mich noch recht besann,
Stand mir des Königs Lustschloß vor der Nase.
Nun hab' ich meines Jammers deutlich Zeichen
Und muß von früh bis spät, Jahr ein, Jahr aus
Mein niederträchtig Hundehaus
Mit diesem Prachtpalast vergleichen.
Die Säulen und Altane spotten mein,
Die Fenster schneiden mir verruchte Fratzen;
Verzehnfacht fühl' ich Durst und Hungerpein,
Und nächstens werd' ich wohl vor Neid zerplatzen.

Omar. So ist es nur der Neid, der aus dir spricht?
Meinst du, der König kennt die Sorge nicht?

Habakuk. Die Sorge? Nein, die kommt ihm nicht heran.
Er sitzt auf einem Thron von eitel Gold,
Und weil er stets gekonnt, was er gewollt,
Drum will er alles, was er kann.
Wohl tausend Diener sind in seinem Schlosse,
Im Stalle wiehern tausend edle Rosse,
Am Abend hält Musik und Tanz ihn munter,
Blitzschnell geschieht, was er noch kaum befohlen,
Und wenn er sagt: Holt mir den Mond herunter,
Dann hilft es nichts; man muß ihn eben holen. –
Die Sorge? Je! Wie sollt' er die wohl ahnen?

Omar. Indem er sorgt für seine Unterthanen.

Habakuk. Die hält er allesamt für hochbeglückt.
Meinst du, er wüßt' es, daß mein Hemd zerrissen,
Und daß mein linker Schuh mich drückt? 18

Omar. Ei, wenn du's ihm nicht sagst, wie kann er's wissen?

Habakuk. Du lieber Gott, ich bin ein armer Tropf,
Und würd' ich ihm die Wahrheit sagen,
Dann ließ' er mir den Kopf herunterschlagen;
Noch besser enge Schuh' als keinen Kopf.

Omar. Hat er der Wahrheit Stimme nie vernommen?

Habakuk (sich vorsichtig umsehend).
Von einem; doch dem ist es schlecht bekommen.
Zehn Jährchen gingen wohl ins Land,
Seitdem der Oberfeldherr Gandolin
Sein Günstling war und seine rechte Hand.

Omar (mit leuchtenden Augen).
Denkt man in Cypern noch an ihn?

Habakuk. Das war ein wackrer Mann und kühner Streiter.
Du kanntest ihn?

Omar (hastig).           Nein, nein; erzähle weiter!

Habakuk. Sein tapfres Herz war ohne Falsch und List;
Doch Berengar, der jetzt allmächtig ist,
Umspann aus Gier nach Ehren und Gewinn
Mit Schmeichelei des Königs jungen Sinn
Und redete mit Gaukelkunst ihm ein,
Man sehe nachts auf seinem heil'gen Haupte
Ganz deutlich einen hellen Glorienschein.
Das schwor er, bis es ihm der König glaubte. 19
Und eines Abends ließ er vor die Stufen
Des Thrones Gandolin berufen
Und fragte: Siehst auch du den Schein des Lichts
Von meinem königlichen Haupte strahlen?
Doch jener sprach: Nein, Herr, ich sehe nichts.
Da rief der König abermalen:
Ich frage dich, siehst du den hellen Schein?
Und Gandolin sprach wieder: Nein.
Da brach der König aus in wilde Wut . . .

Omar (feurig einfallend).
Und Gandolin, der nie geschont sein Blut,
Der in dem Kampfe mit den Heiden einst
Unüberwindlich war geblieben,
Er ward verbannt, geächtet und vertrieben
Und starb in Gram.

Habakuk.                     Du bist nicht, der du scheinst.

Omar (sich besinnend, rasch).
Sein Lob ertönte mir aus fremdem Munde.

Habakuk. Willst du mir nicht vertrauen, wer du bist?

Omar. Ein armer, namenloser Vagabunde;
Doch bin ich reicher, als der König ist. –
Leb wohl!

Habakuk.       Du gehst?

Omar.                           Nach meinem Wanderziel.

(Man hört Jagdhörner, etwas näher als vorher.) 20

Habakuk. Hörst du das lust'ge Hörnerspiel?
Der König naht.

Omar.                     Der König kommt hierher?

Habakuk. Jawohl.

Omar.                 Weißt du's genau?

Habakuk (wichtig).                           Ich weiß noch mehr:
Er ist mit seinem Hofstaat auf der Jagd,
Und hier im Luftschloß wird er sich bequemen,
Ein unvergleichlich Frühstück einzunehmen;
Das hat mir im Vorübergehn
Ein Großer seines Reichs gesagt.

Omar (entschlossen).
So bleib' ich denn.

Habakuk.                   Du bleibst?

Omar.                                         Ich will den König sehn.

Fünfter Auftritt.

Vorige. Rita (aus der Hütte).

Rita. Väterchen, das Mahl ist bereit. –
Gott grüß dich, Mann! 21

Omar.                               Gott grüß dich, Jungfräulein!

Rita. Du bist hier fremd; man sieht's an deinem Kleid.

Omar. Doch glaub' ich jetzt der Heimat nah zu sein;
Denn deiner Stimme heller Klang
Tönt mir wie heimatlicher Vogelsang.

Habakuk (erheitert).
Ist auch mein Schwälbchen; hält das Nest mir warm.

Omar. Und du verstockter Griesgram nennst dich arm?

Habakuk (weinerlich).
Arm, nackt und bloß, gebeugt von Arbeitslast,
Und muß mich hungrig stets zu Bette legen.

Rita. Komm doch zu Tisch!

Habakuk (wieder heiter).       Zu Tisch? (Wieder weinerlich.)
                                                  Nun, meinetwegen;
Wie's Gott gefällt. (Zu Omar). Und du – sei unser Gast.

Omar. Du leidest Not und willst noch Gäste laben?

Habakuk. Viel gibt es nicht; doch nimm damit vorlieb;
Wir hauen ein, bis nichts mehr übrig blieb.

Rita (zu Omar).
Du wirst gewiß recht großen Hunger haben? 22

Habakuk. Auch kannst du von der Hütte Fensterlein
Den König sehn.

Omar.                     Wohlan, so schlag' ich ein
Und trink' im Schwalbenneste Thatenmut.
Du kleine Wirtin, sag, wie nennt man dich?

Rita. Ich heiße Rita.

Omar.                     Rita, führe mich!

Rita (ihm die Thür der Hütte öffnend).
Geh du voraus.
        (Da Omar hineingeht, zu ihrem Vater.)
                      Der Mann gefällt mir gut.
Wenn nur die Suppe mir geglückt!

Habakuk. Ein prächt'ger Bursch; nur leider ganz verrückt.

(Sie gehen Omar nach.)

Sechster Auftritt.

Der König (und) Maddalena, (beide in Jagdgewändern, treten im Vordergrund rechts auf).

Maddalena (zögernd).
Mein Herr und König . . .

König.                                   Maddalena, sag,
Was du befiehlst? 23

Maddalena.               Mit unsern Rossen blieben
Die Diener weit zurück im dichten Hag . . .

König. So laß sie doch!

Maddalena.                 Nur mögest du belieben
Mir Urlaub jetzt zu gönnen.

König.                                     Sprich, warum?

Maddalena. Zur Jagdbegleitung hast du mich erkoren;
Verlassen ist der Wald, des Wildes Spur verloren . . .

König (zerstreut).
Des Wildes Spur . . .

Maddalena.                     Mein König, sieh dich um.

König (mit gespieltem Erstaunen).
Wie? Träumt' ich denn? Das Jagdschloß schon erreicht?
Ein Zaubertrug verkürzte mir die Pfade;
In lieblicher Gesellschaft geht sich's leicht.

Maddalena. Im Traume schritt auch ich, und deine Gnade
Hat mit so holden Wundern ihn geschmückt,
Daß ich, erwacht, dir nichts vermag zu schenken
Als schlichten Dank.

König.                           Wenn uns der Traum beglückt,
Warum erwachen? 24

Maddalena. Laß mich nun gedenken,
Daß dort mein Vater seines Kindes harrt,
Vielleicht in Angst . . . Drum wolle mir erlauben . . .

König. Mir dieser Stunde Weihgeschenk zu rauben?

Maddalena. Was kann sie spenden?

König.                                           Deine Gegenwart.

Maddalena. Mit meinem Vater kehr' ich bald zurück . . .

König. Ich wünsche, daß du bleibst.

Maddalena.                                   Hat deine Seele
Nicht Raum für meine Bitten?

König.                                         Ich befehle! –
Du glaubst, so dürfe mir ein seltnes Glück
Aus schwachen Händen rasch entgleiten?
Du glaubst, vergebens ließ ich auf der Spur
Des scheuen Wildes mich von dir geleiten?
Nein, unser Beider Herzen hab' ich nur
Den lang gehegten heißen Wunsch gestillt
Und dich entführt dem Schwarm der Schleppenträger:
Du, Maddalena, bist mein scheues Wild,
Und ich, der König, bin dein stolzer Jäger! 25

Maddalena (in fassungsloser Bestürzung).
O Gott . . .! So war's kein Zufall? – Eine Schlinge . . .!

König. Sie knüpf' um uns ein unauflöslich Band!

Maddalena (bebend).
Das thatest du! Hast du mich so verkannt?
Denkst du von Maddalena so geringe?
Wer gab, mein König, dir ein Recht dazu?
Wer machte mich zu deiner Beute?

König.                                                 Du!
Wohl wußt' ich längst, daß Maddalena nicht
Geboren ist, in Demut sich zu neigen;
Doch Sehnsucht sprach aus deinem stolzen Schweigen,
Gewährung glühte dir im Angesicht.
In Mädchentrotz verhüllte sich dein Schmachten,
Und jeder Blick gestand es mutig ein:
Wer mich erobern will, muß König sein.

Maddalena (mit wiedergefundener Selbstbeherrschung).
Wer mich erobern will, der muß mich achten!

König. Ich that noch mehr; ich, welchen Gott erkor
Zum höchsten Herrn, ich blickte zu dir nieder . . .

Maddalena. Wer liebt und achtet, blickt empor.

König. Ich bin der König! 26

Maddalena.                     Sei es wahrhaft wieder.
Du schmähst dich selbst, indem du mich entweihst.

König. Du stellst dich kalt, und deine Sinne brennen.
Du liebst mich, und du sollst es mir bekennen! –
Antworte!

Maddalena.     Nicht, bevor du mich befreist.

König (sich nähernd).
Befreie du mich erst von meiner Glut!

Maddalena. O laß mich!

König.                           Mädchen, deinem trotz'gen Tone
Gab ich Gehör; dies Zürnen steht dir gut;
Jedoch auf meinem Haupte ragt die Krone!
Sie leuchtet als der Herrschaft goldnes Zeichen;
Die Stirn von ihrem Wunderglanz umflammt,
Verwalt' ich hehr mein überirdisch Amt,
Und nur die Sonne nenn' ich meinesgleichen.
Ob Licht, ob Finsternis dem weiten Land
Zu Teil wird, ist in meine Wahl gegeben;
Ein Wink von dieser meiner Hand
Entscheidet über Tod und Leben;
Ein Blick von mir, und tausend Herzen grüßen
Den Gnadenstrahl, der ihre Nacht erhellt;
Ein Wort von mir, und eine Welt
Liegt jubelnd oder zitternd mir zu Füßen.
Und ich, von dessen Ruhm die Sterne zeugen,
Ich soll mich einer Mädchenlaune beugen?
Ich habe deinen Uebermut gelitten; 27
Allein bevor dein Trotzen sich erneut,
Bedenk, ich habe nicht gelernt zu bitten,
Wo ich gebieten darf.

Maddalena.                     So lern es heut!
Wohl hab' ich schon im Lallen erster Jugend
Dir treu der Ehrfurcht reichen Zoll gebracht;
Unendlich groß ist deine Königsmacht,
Doch mächtiger ist eines Weibes Tugend.
Ich weiß, daß dein Gebot mich töten kann;
Doch lebend trotz' ich deiner wilden Gier.
Ich kniee vor dem König; doch der Mann,
Der meine Liebe fordert, kniet vor mir.

König (immer leidenschaftlicher).
Ich vor dir knien? – Wie macht der Zorn dich schön!
O nein, du sollst vor mir im Staube liegen,
Dein heißes Haupt in meine Hände schmiegen,
Durch deine Demut meine Lust erhöhn.
Sei Stahl und Kiesel; doch im Schlosse dort
Wird zärtlich mir dein Herz entgegenschlagen
Und widerrufen dein geharnischt Wort.
Geh mit mir!

Maddalena.       Niemals!

König.                             Nun, so laß dich tragen!
Dein Leib erschauert, da ich dich umfasse;
Du bebst, weil du mich liebst.

Maddalena. (ihn mit äußerster Kraft zurückschleudernd).
                                            Weil ich dich hasse! 28

König (wütend).
Das büßest du!

Maddalena (über sich selbst erschreckend, leise).
                      Was that ich!

König.                                       Alle Strafen
Sind zu gering, zu sanft für dies Vergehn!

Siebenter Auftritt.

Vorige. Diomed (gleichfalls im Jagdgewand, von rechts vorn).

Maddalena (auf ihren Vater zueilend).
Mein Vater, hilf!

Diomed.                   Mein Kind, was ist geschehn?

König (außer sich).
Auf eure Kniee! Auf die Kniee, Sklaven!

Diomed. Noch glaub' ich nicht – und weh mir, wenn ich glaubte . . .

Maddalena. Mein Vater, schütze mich!

Diomed.                                               So ist es wahr,
Das grause Schreckbild, das mir die Gefahr
Seit Monden vorrückt . . .! 29

König.                                     Schweig, bei deinem Haupte!

Diomed. Frei dien' ich dir, und frei ist mein Geschlecht.

König. Ich bin der König, und du bist mein Knecht.

Diomed. O Herr, du hast der Knechte schon genug.
Du solltest nicht ein Mannesherz verachten,
Das ungeknechtet dir entgegenschlug.
Nicht Sklavenfurcht, nicht ehrbegierig Trachten
Zwang mich an deinen Hof, in deinen Rat:
Die Liebe war der Ansporn jeder That,
Und meine Tochter, meines Lebens Stern,
Ich lehrte sie mit tiefer Andacht beten:
Gott segne unsern königlichen Herrn! –
Andacht und Liebe konntest du zertreten;
Doch Schmach uns bieten für erfüllte Pflicht,
Das, Herr und König, darfst du nicht.

König. Wer will dem König sagen, was er darf?

Diomed. Wer sich in freier Wahl ihm unterwarf.

König. Bin ich der Herrscher nicht in meinem Reich?

Diomed. Du bist es; doch wir sind vor Gott dir gleich! 30

Omar (ist aus der Hütte unbemerkt herausgetreten, hört einige Augenblicke lang zu und verschwindet dann langsam im Hintergrund rechts).

König. Wahnwitzige! Mir gleich? Der Wurm im Staube
Dem Adler gleich, der hoch in Lüften kreist?
Ersterben würde dein vermeßner Glaube,
Begriff' er meinen glutgebornen Geist.
Mein Auge, das dem heil'gen Licht entsprossen,
Sieht Welten klar, die eurem Blick verschlossen;
Zu Höhen, deren Gipfel ihr nicht ahnt,
Ist meinem Flügelpaar der Weg gebahnt.
Ihr seid das Dunkel, und ich bin der Tag;
Drum unterwerft euch mir und beugt das Knie.

Diomed (seine Tochter umschlungen haltend).
Vor deiner Kraft; vor deiner Schwäche nie.

König. Nun, so erfahrt, was meine Kraft vermag.
Sie kann den Bettler adeln und beglücken;
Sie kann den Hochmut beugen und verderben.

Maddalena. Nur ich allein bin schuldig; laß mich sterben.

König. Nein, lebend sollt ihr lernen, euch zu bücken.
        (Er wendet sich nach dem Schloß und ruft.)
He! Holla! Schläft man hier bei Tageslicht?
Wo steckt das Volk? Ihr Schlingel, hört ihr nicht? 31

Achter Auftritt.

Vorige. Niccola (mit mehreren) Lakaien (und Dienerschaft verschiedener Art kommen nach einander, einzeln und gruppenweis, hastig über die Treppe herabgeeilt).

König. Ihr Maulwurfsbrut, muß ich euch selber holen,
Mich zu begrüßen?

Niccola (atemlos).         Herr, du hast befohlen,
Wir sollten . . .

König.                   Jetzt befehl' ich anders, Narren!
Wo blieb mein Jagdgefolge?

Niccola (unterwürfig, zitternd).       Herr, sie sind
Schon unterthänigst angelangt und harren
Auf dein Geheiß . . .

König.                           Man rufe sie geschwind!
        (Mehrere Lakaien stürzen rechts vorn ab. Niccola will ihnen folgen.)
Du bleibe, Niccola, und sage:'
Weißt du, wer diese Hütte hier bewohnt?

Niccola. Herr, Bettelvolk von ganz gemeinem Schlage,
Gelichter, das den Anblick nicht verlohnt.

König (murmelnd).
Gut, gut! – 32

Neunter Auftritt.

Vorige. Berengar Panfilio, Ferrante (und andere) Großen des Hofes, Stefano (und andere) Bewaffnete (kommen, von den Lakaien gefolgt, von rechts vorn).

Berengar.         Heil unserm großen König!

Alle.                                                         Heil!

König. Mein wackrer Berengar, und ihr Getreuen,
Sagt mir, wer bin ich?

Berengar.                       Unser Fürst und Held!

Panfilio. Des Volkes Anker und das Licht der Welt!

Ferrante. Ein Wetterstrahl, den alle Feinde scheuen.

Berengar. Und für den Freund ein milder Hoffnungsstern.

Panfilioo. So ist es!

Alle.                       Heil!

König.                           Ihr seht in mir den Herrn;
Weil ihr mich kennt, drum naht ihr in Ergebung;
Weil ihr mich liebt, drum beugt ihr euer Haupt;
Euch darf ich trauen, weil ihr an mich glaubt. 33
Vor eurer aller Augen straf' ich jetzt
Den frevelhaften Wahn der Ueberhebung.

Berengar. Wer hätte sich erkühnt . . .?

König.                                               Um abzuwägen
Wert oder Unwert, bin ich eingesetzt;
Wer hoch, wer niedrig ist, ich muß ihn prägen,
Und dessen sollt ihr nun ein Beispiel sehn.
        (Er tritt an die Thür der Hütte.)
Heda, macht auf!

Ferrante (beiseite und leise zu Berengar).
                          Was ist denn nur geschehn?

Berengar (ebenso).
Ei, ganz vortrefflich! Diomed
War toll genug, um ihn zu reizen.

Ferrante. Der Alte, der für ihn durchs Feuer geht?

Berengar. Nur weiter so! Bald blüht dann unser Weizen;
Bald kommt dann unser Siegestag.

Ferrante (ängstlich).
Gib acht; man sieht uns . . .

König (hat wiederholt gepocht).     Heda, kommt heraus! 34

Zehnter Auftritt.

Vorige. Habakuk. Rita.

Habakuk (von Rita gefolgt, erscheint in der Thür der Hütte).
Wer klopft so stark? – Ach Gott, mich trifft der Schlag!
Der König! – –

König.                   Ja, dein König.

Habakuk.                                     Nun ist's aus.
        (Er wirft sich platt auf die Erde.)
Erhabenster! Durchlauchtigster!

König.                                           Dein Name?

Habakuk. Gewaltigster – ich heiß' . . . ich heiß' . . . ich heiß' . . .
Verzeih, wenn ich's vor lauter Angst nicht weiß.

Rita. Herr König, Habakuk ist er genannt;
Korbflechter ist er, lebt von seinem Krame,
Als brav und ehrlich überall bekannt.

König. Wer bist denn du?

Rita.                               Ich bin sein einzig Kind.

König (zu Habakuk).
Steh auf! 35

Habakuk (noch knieend).
              Ach, mögest du bedenken,
Großmächt'ger, daß wir arme Leute sind,
Und uns nur einmal noch das Leben schenken.

Rita. Der König thut dir nichts.

Habakuk.                               Herr, wenn du grollst,
Laß dich erbarmen mein gebleichtes Haar;
Schlecht bin ich nicht, nur manchmal sonderbar.

Rita. Der König sagte, daß du aufstehn sollst.

König (hat sich zu Diomed und Maddalena gewandt).
Wer sich mir ebenbürtig dünkt auf Erden,
Der soll der Unterste, der Letzte werden:
Ihr seid verbannt von meinem Angesicht,
Bar aller Titel, Würden, Adelskronen;
Ihr sollt in meinem Schlosse fürder nicht,
Ihr sollt in dieser niedern Hütte wohnen,
Bis euer Stolz, der sich so hoch gerankt,
Demütiglich am Bettelstabe wankt,
Bis euer Haß, der sich so keck verirrt,
Von eurem Elend übertroffen wird.
Und daß ihr fühlt des Herrscherwillens Zwang,
Drum geb' ich diesen Bettlern euren Rang;
Was ihr gewesen, sind sie fürderhin;
Euch soll man unter ihrem Namen kennen. –
Nun mag sich ferner meinesgleichen nennen,
Wem ich gezeigt, daß ich sein Schicksal bin. 36

Diomed (sich umblickend).
Und niemand ist, der unsre Sache führt!
Panfilio – du, der Freundschaft mir geschworen . . .

Panfilio. Der König ist gerecht.

Diomed (zum Gefolge).             Ihr feigen Thoren,
Die mich umbuhlten, als ich Günstling war,
Verstummt ihr jetzt?

Berengar.                       Euch wird, was euch gebührt.

Maddalena. Lernst du schon betteln, Vater? – Nimmerdar!
Man nimmt uns alles; doch man nimmt uns nichts,
Solang wir selbst uns Wert und Würde geben.
Komm, laß uns diesem neuen Leben
Entgegengehn erhobnen Angesichts.
        (Zum König.)
Dir aber sei der Himmel so geneigt,
Daß du die Freunde, die dich jetzt verlassen,
Niemals entbehrst.

König.                       Die Freunde, die mich hassen!

Maddalena. Die dich beklagen.

König.                                     Geht und schweigt!

(Diomed und Maddalena werden von zwei Dienern in die Hütte geführt; der König deutet auf Habakuk und Rita.)

Dir, Niccola, empfehl' ich diese beiden; 37
Führ' sie ins Schloß und laß sie prächtig kleiden,
Wie's ihrem Stande zukommt. – (Ruft.) Berengar!

Berengar (vortretend).
Mein hoher König?

König.                         Du bist echt und wahr! –
Du bist es doch?

Berengar.                 Mein Fürst, wie kannst du fragen!

König. Du liebst mich?

Berengar.                   Mehr als dieses Augenpaar.

König. Du mußt mir's oft, du mußt mir's stündlich sagen.

(Er tritt mit Berengar zu dem Gefolge zurück.)

Niccola (hat sich unterwürfig Habakuk genähert).
Herr Graf . . .

Habakuk, (der bisher verständnislos und noch immer geängstigt dagestanden).
                    Wieso?

Niccola.                         Befehlen der Herr Graf,
Daß dero Diener . . .

Habakuk.                       Je, daß Gott erbarm'!
Ich glaub', ich lieg' im festen Mittagsschlaf
Und träume. Rita, zwick mich in den Arm! 38

Rita. Du wachst.

Habakuk.         Und bin ein Graf?

Rita.                                           So sagt der Mann.

Niccola. Der König hat den Adel dir verliehen;
Du bist ein Graf und wohnst im Schloß fortan.

Habakuk. Und in die Hütte soll der andre ziehen?
In meine Hütte?

Niccola.                   Wirst sie nicht vermissen.

Habakuk. Erlaubt, Herr Excellenz, die Hütt' ist gut,
Geräumig und bequem, das muß ich wissen.

Rita. Ach ja!

Habakuk.     Und meine Körbe?

Niccola.                                     Sei gewärtig
Weit höh'ren Amts.

Habakuk.                     Der ein' ist noch nicht fertig!
Den andern hab' ich schon vor Wochen
Dem Nachbar Beppo für sein Weib versprochen . . . 39

Niccola. Das hilft nun nichts.

Habakuk.                             Und hier mein Mädel,
Mein Ritachen ist jetzt ein Grafenkind?

Niccola. Sehr wohl.

Habakuk.               Das ist zu viel für meinen alten Schädel.

Rita. Ach Väterlein, wir bleiben, wer wir sind.

Habakuk (bemerkt, daß sich die beiden Diener, welche aus der Hütte zurückkommen, tief vor ihm verbeugen; mit kindischer Freude).
Je, Rita, schau, sie dienern schon vor mir!
Kein Zweifel mehr, ich bin ein großes Tier.

Niccola. Nun kommt; euch werden Kleider angemessen;
Dann speist ihr an des Königs Tafel mit.

Habakuk. Verdammt! Nun hab' ich grad gegessen.

Niccola. Auch halt' ich mich als Lehrer euch empfohlen
Für Anstand, Lebenskunst und feinen Schnitt.

Habakuk (überlaut).
Ich bin ein Graf – der Teufel soll mich holen!

(Niccola führt die beiden rechts über die Terrasse, während die Lakaien sich abermals verneigen.) 40

Elfter Auftritt.

Vorige (ohne) Diomed, Maddalena, Habakuk, Rita. (Dann) Omar.

König (kommt langsam nach vorn, halb zu sich selbst sprechend).
Wohl bin ich mächtig; wohl entringt das Licht
Des Geistes auch der Finsternis den Morgen;
Wohl bin ich wissend; eines nur gebricht,
Ein Eckchen nur, ein Winkel bleibt verborgen.
Die Wage haltend in gerechter Hand,
Hab' ich die Menschenseelen abgewogen
Und ausgetilgt, wen ich zu leicht befand.
Mich täuschte niemand; ward ich doch betrogen,
So ward ich's, weil ich selbst den Trug gewollt.
Und doch – und doch – wer mir ein Mittel kündet,
Wie man der Herzen tiefsten Schacht ergründet,
Bedecken will ich ihn mit Gold. – –
        (Wie erwachend.)
Nun folget mir!

Omar, (der schon vorher wiederholt im Hintergrunde sichtbar war, hat unterdessen versucht, durch das Gefolge hindurch zu dem König vorzudringen).

Stefano (eine martialische Erscheinung, zu Omar).
                      Zurück!

Berengar (wird aufmerksam). Was geht hier vor?

Stefano. Ein fremder Mann begehrt des Königs Ohr.

Berengar. Auf offner Straße? Fort! 41

Omar.                                           Man höre mich!

König. Was will der Mensch?

Omar.                                   Ich will dem König bringen,
Was ihm allein noch mangelt.

Berengar.                                   Schafft ihn fort!

König. Was mir noch mangelt? – Halt! Er bleibe hier.
        (Zu Omar.)
Du sprachst ein überkeckes Wort.
Ich bin der König. Sag, was mangelt mir?

Omar (ist vorgetreten und kniet nieder).
Was meine Kunst allein verleiht.

König. Was nennst du deine Kunst?

Omar.                                             Ich bin ein Schneider.

König (lächelnd).
Du Narr, ich habe viele hundert Kleider.

Omar (aufstehend).
Nur fehlt dir noch das Zauberkleid.

König. Das Zauberkleid?

Omar (mit Ekstase).         Nur einer darf es tragen:
Wer furchtlos lenken kann den Sonnenwagen, 42
Wer größer ist, als ihn die Völker preisen,
Gerechter, als die Ruhmeslieder melden,
Wer weiser ist als alle Helden
Und mächtiger als alle Weisen.
Drum kam ich aus dem fernsten Morgenland . . .

König. Und als den einen hast du mich erkannt?

Omar. Du sagst es.

Berengar.               Hörst du noch den Prahler an,
Der sich mit Lügen drängt in deine Gunst?

König. Auch Prahlen nenn' ich eine Kunst,
Und er versteht sie. Brauch' ich ihm zu glauben,
Wenn ich ihn höre?

Omar.                           Großer Fürst, wer kann
Vor dir zu prahlen sich getraun?
Du kannst Verborgenstem den Schleier rauben
Und solltest einen Lügner nicht durchschaun?

König. Wer bist du, sprich, und was vermag dein Kleid?

Omar. Herr, – Omar heiß' ich; meine Wiege stand
Am Tigris; Heimat ist mir jenes Land,
Das von der Sonne wird zuerst beschienen,
Das Land, wo noch Natur mit Flüsterlaut
Dem Menschen Wunder anvertraut,
Und Geister schnell bereit sind, ihm zu dienen.
Mein Vater war ein Magier und ersann
Mit tiefer Weisheit einen Talisman: 43
Unkund'gen zeigt er sich als Edelstein;
Doch gibt er denen, die den Zauber kennen,
Die Kraft, die Wahrheit von dem Schein,
Unwert von Wert und Falsch von Echt zu trennen.

König. Und diesen Talisman . . .

Omar.                                        Hat auf dem Sterbebette
Mein Vater mir, dem einz'gen Sohn, verliehn.

König. Wo blieb er?

Omar.                     Auf dem Herzen trag' ich ihn.

König. Doch wenn ich nun den Stein vor Augen hätte,
Wie könnt' ich glauben, daß er Wunder schafft?

Omar. Erprobe mich! Ihn selber fortzugeben
Ist mir verwehrt; doch kann ich seine Kraft
In jeden Stoff verwirken und verweben.
Mit seiner Hilfe soll in kurzer Frist
Das Zauberkleid sich mir vollenden,
Das du allein zu tragen würdig bist,
Und auf den Gipfel hebt es deine Macht.

König. Ein kühn Versprechen!

Omar.                                     Dieses Kleides Pracht
Wird selbst dein königliches Auge blenden,
Und allen Treuen, Klugen und Gerechten
Erscheint es hoheitvoll und farbenklar; 44
Dagegen ist es völlig unsichtbar
Für jeden Dummen oder Schlechten
.
Ihm bleibt es auch im Strahl des reinsten Lichts
Ungreifbar, körperlos, ein luftig Nichts.

König (zum Gefolge).
Was denkt ihr, meine Freunde?

Berengar.                                       Faselei!

Panfilio. Wer glaubt noch, daß dergleichen möglich sei?

König (nachdenklich).
Doch niemand soll das Mögliche begrenzen.
Hab' ich nicht selbst Unmögliches vollbracht,
Nicht, was undenkbar schien, gedacht,
Was unsichtbar, gezwungen, hell zu glänzen?
        (Zu Omar.)
Noch glaub' ich nichts, verwegener Geselle;
Doch auch den Argwohn dämm' ich ein:
Ich will, daß man dich auf die Probe stelle.
Weh dir, wenn du der Lüge dich erfrecht;
Dem Tode würdest du verfallen sein.
Doch wenn das Ungeheure dir gelänge,
Ein Kleid, das niemand sieht, der dumm und schlecht,
Das mir die letzten Schleier würde lichten,
Mein Amt erleichterte, die bunte Menge
Des Volks zu prüfen und zu sichten
Und nach Verdienst zu strafen und zu schonen,
Ich würde königlich dein Werk belohnen.

Omar. Ich fordre nicht, daß du Vertrauen hast,
Eh du bekehrt wirst von den eignen Sinnen. 45
Laß eine Werkstatt im Palast
Für mich erstehn; dort will ich ohne Rast
Noch heut mein Wagestück beginnen.

König. Es sei; doch merke wohl . . .

Omar.                                             Mein Kopf zum Pfand!

König. So wisset: Omar ist von dieser Stunde
In meinem Dienst; man geb' ihm unverwandt,
Was für sein Thun ihn nötig mag erscheinen.
Nun aber kommt zu meiner Tafelrunde.

(Er steigt die Terrasse hinauf und gibt dem heraustretenden Niccola ein Zeichen. Dieser winkt nach innen, worauf im Schloß eine heitere Tafelmusik beginnt.)

Alle. Heil!

König (für sich, nach der Hütte blickend).
          O berauschender Genuß,
O süße Rache, wenn der Haß der Einen
In diesem Meer von Liebe scheitern muß. –
Kommt!

(Er geht, von dem ganzen Gefolge geleitet, ins Schloß.)

Omar (ist allein zurückgeblieben).
              Wenn du vor der Wahrheit fliehst,
Wenn sie, von dir bezwungen, schweigt und leidet,
Vielleicht bezwingt sie dich, als Schalk verkleidet!
Nun zeig, ob du das Unsichtbare siehst. 46


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