Ludwig Fulda
Der Sohn des Kalifen
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug.

Säulenhalle im Palast, welche sich rechts und links hinten in Galerien fortsetzt. In der Mitte des Hintergrundes breiter, offener Eingang mit Ausblick auf den Garten. Ganz vorn rechts und links je eine Thür.

Erster Auftritt.

Mustapha. (Dann) Morgiane.

Mustapha (aus der Thür rechts, wie von innen kräftig gestoßen, herausstolpernd).
Holla, da flog ich wieder aus der Thüre.
        (Sich den Rücken reibend.)
Geschieht ihm recht! Er spürt's, weil ich es spüre. –
Was nun? Kein Ausweg mehr . . .!

Morgiane (ist von links hinten unschlüssig eingetreten, kommt nun rasch und erregt nach vorn).
                                                    Vergib der Angst,
Die mich verzehrt . . . 51

Mustapha.                       In dieser Zeiten Graus
Verzehrt sie jeden.

Morgiane.                   Sahst du ihn?

Mustapha (nach rechts deutend).         Ihn? – Freilich!
Erst eben warf er gnädigst mich hinaus.

Morgiane. So laß mich wissen . . .

Mustapha (etwas verlegen).             Gern – was du verlangst.
Jedoch ein wenig Vorsicht ist verzeihlich;
Denn . . . (Er späht nach verschiedenen Seiten.)

Morgiane. Hat er dir verwehrt, mit mir zu sprechen?

Mustapha. Bewahre! Nur . . . nur ist die wackre Frau,
Die ich mit heimgebracht, von Sitten etwas rauh,
Und Eifersucht gehört zu ihren Schwächen . . .
Dies nebenbei.

Morgiane.             Voll Hoffen und Verzagen
Hab' ich umsonst geharrt in all den Tagen,
Daß er mich rufe, nein, daß nur von fern
Ich einen Strahl, ein grüßend Licht erhasche,
Die stumme Botschaft, noch sei nicht in Asche 52
Zerfallen meines Himmels einz'ger Stern.
Doch glaube mir, nicht meine Sehnsucht nahm
Den Weg hierher; nur meine Sorge kam.
Ein Murmeln geht von Mund zu Mund,
Krank sei der Prinz, erfaßt von schwerem Leiden . . .

Mustapha. Hm, ja – wie soll man das entscheiden?
Krank ist er nicht – und doch auch nicht gesund,
Gequält von Schmerzen, wenn auch frisch und kräftig.

Morgiane. Was ruft die Schmerzen wach?

Mustapha.                                               Sein eignes Handeln;
Denn jede seiner Thaten plagt ihn heftig.

Morgiane. Ihn?! – Welches Schrecknis konnt' ihn so verwandeln?

Mustapha. Nicht weiter forsche! Streng ist sein Geheiß,
Daß niemand nach des Uebels Ursprung frage,
Niemand sich ihm zu nähern wage,
Der nicht zur Heilung ihm das Mittel weiß.
Ach, wüßt' ich selber nur es aufzutreiben!

Morgiane. Ich will zu ihm!

Mustapha.                         Wirst du es ihm verschreiben?
Dann thu's nur möglichst bald! Zwar bestenfalls 53
Wagst du wie ich dabei den Hals
Und kannst ihm dennoch keine Lind'rung bringen.

Morgiane. Ich kann's, wenn er sie meinem Leid gewährt.
Machtlos ist Liebe, die entbehrt;
Doch höchste Wunder müssen ihr gelingen,
Wenn nicht Erstarrung ihren Frühling hemmt.
Ahnt er auch nur, mit welchen sanften Schlingen
Ihn meine Pfleg' und Sorgfalt möcht' umringen?
Er nahm mich hin, und doch bin ich ihm fremd.
Hilf mir, ihn einmal nur zu sehn!

Mustapha.                                       Mir deucht,
Ich hab' unzählige, die dein Geschick
Geteilt, als angestellter Drache
Von dieser Thüre fortgescheucht.
Doch nun ist's gleich. – (Er deutet nach hinten links.)
                                    Im Vorgemache
Verweilend kannst den rechten Augenblick
Du leicht erspähn; nicht lange wird es dauern,
Bis er vorbeikommt . . . (Er unterbricht sich und lauscht.)
                                    Horch! – Da schlürft und klappt
Ein Paar von wohlbekannten kleinen Schuh'n . . .

Morgiane. An seiner Schwelle muß ich kauern
Und bettle nur darum, ihm wohlzuthun. (Ab links hinten.) 54

Zweiter Auftritt.

Mustapha. Amine. (Später) Kairam.

Amine (ist von rechts hinten auf den Zehen hereingeschlichen und fährt nun auf Mustapha los).
Hab' ich den saubren Kumpan ertappt?

Mustapha (mit gespielter Ueberraschung).
Du bist es, Amine? Mich so zu erschrecken!

Amine. Jetzt hilft kein Vertuscheln und kein Verstecken!
Die eben hier fortging – zwar ihr Gesicht
Erkannt' ich nicht,
Doch will ich beschwören:
Sie hinkte, sie schielte, war bucklig und krumm;
Denn solchen Tölpel im Nu zu bethören
Ist keine zu häßlich und keine zu dumm.
Was habt ihr gezischelt? Was ist im Werke?
Bekenne nur schleunig den ganzen Betrug!

Mustapha. Mein Kind, ich merke,
Du hältst mich für den größten der Thoren!
Wer dich erkoren,
Der hat, weiß Gott, mit einer genug.

Amine. Duckmäuser!

Mustapha.                 Ich bleibe dir treu. 55

Amine.                                                   Wer's glaubt!

Mustapha. Bis zu dem letzten Atemzug.

Amine. So lange war nie ein Mann beständig.

Mustapha. Ich doch! Denn ich bin überhaupt
Nur noch bis übermorgen lebendig.

Amine. Was sagst du?!

Mustapha.                   Ja, das düstre Verhängnis
Des Fluches, das ich dir anvertraut,
Hat meinen Tagen ein Ziel gesetzt.
Ich kann gleich jetzt
Einladen zu meinem Leichenbegängnis.

Amine. Du scherzest!

Mustapha.                 Ach Himmel, mir schaudert die Haut,
Mich faßte der Tod schon bei der Locke –
Und scherzen! Der Prinz, grausamer als je,
Hat mich erlesen zum Sündenbocke.
Mit Hieben ward er beängstigend sparsam.
Die nämlich thun ihm selber zu weh.
Doch wenn ich in achtundvierzig Stunden
Kein Mittel gegen den Fluch gefunden 56
Und nicht der Magier in sicherm Gewahrsam,
Dann soll ich schmerzlos und ohne Beschwerden
        (Pantomime des Köpfens.)
Nur um ein Fünfteil verkleinert werden.
Ein kurzer Schlag und alles vorbei;
Drum läßt mich der Prinz statt Prügelei
Gleich köpfen, weil ich ohne Kopf
Nichts, was ihn mitquält, mehr empfinde.

Amine. O du Halunke, du schmählicher Tropf!
Kein Scheltwort gibt es, das nicht zu gelinde,
Zu glimpflich wäre
Für diesen unerhörten Schlich!

Mustapha (kopfschüttelnd).
Verblüffende Wirkung der traurigen Märe!

Amine. Hinrichten lassen willst du dich!
Das, meinst du, werd' ich so ruhig dulden?
Und mir, die du hierhergeschleift,
Glaubst du kein Weiterleben zu schulden?
Willst, wenn der Henker dich ergreift,
Noch höhnisch lachen,
Aus Freude, mich zur Witwe zu machen?
Nein, Freundchen, so haben wir nicht gewettet!
Dein Kopf ist mein, ich habe dran teil,
Und legst du ihn zehnmal unter das Beil,
Es soll dir nichts helfen; du wirst gerettet!

Mustapha. Indessen . . . 57

Amine.                           Stille!

Mustapha.                               Wenn unabwendlich . . .

Amine. Versalzen werd' ich dir das Vergnügen,
Frei über dein Sterben zu verfügen!

Mustapha. Nur . . .

Amine.                   Stille!

Mustapha.                       Wie kannst du . . .

Amine.                                                         So schweig doch endlich!
Du wirst gerettet!

Mustapha.                 Ohn' Unterlaß
Beteuerst du deinen Männerhaß
Und willst verhüten, daß wenigstens einer
Beseitigt wird?

Amine (in etwas sanfterem Tone).
                        Das Wespennest
Würde durch deinen Tod nicht kleiner,
Und was man hat, das halte man fest!
Zum zweitenmale raubt mich keiner.
        (Wieder heftig.)
Du wirst gerettet! 58

Mustapha (seufzend).   In Gottes Namen!
Mich wird ja dennoch in kürzester Zeit
Umbringen deine Beredsamkeit.
        (Zu Kairam, der soeben von links vorn eilig eingetreten ist.)
Was gibt es?

Kairam.             Vom Prinzen berufen, kamen
Zwei neue Aerzte.

Mustapha.                 So thu es ihm kund.

(Kairam ab, vorn rechts.)

Amine. O, dieser Prinz! Dem würd' es frommen,
Könnt' ich ihn unter die Finger bekommen!

Mustapha. Beim Bart des Propheten, das wär' ihm gesund!
Wie aber seiner Gewalt entschlüpfen?

Amine. Wir werden sofort ein Bündelchen knüpfen.
Was irgend brauchbar, wird ausgewählt
Und mitgeführt,
All dein Erspartes zusammengeschnürt –
Viel ist es nicht; ich hab' es gezählt –
Und morgen beim ersten Lerchenschlage
Schwingst du dich auf ein hurtiges Tier
Und fliehst von hinnen.

Mustapha. Allein? 59

Amine.                 Ja, ganz allein mit mir.

Mustapha. Ach so – mit dir!

Amine.                                 Welch dumme Frage!
Was wolltest du ohne mich beginnen?
Du Tolpatsch kämest im fremden Land,
Wo Schlauheit not thut und rascher Verstand,
Dein Lebtag auf keinen grünen Zweig,
Wenn ich nicht wär'.

Mustapha.                     Erlaube mir . . .

Amine.                                                   Schweig!

(Beide ab Hintergrund rechts.)

Dritter Auftritt.

Assad, Schehriar, Kairam (von rechts vorn. Dann) Selim, Duban.

Assad (zu Kairam im Auftreten).
Wo sind sie? Rufe sie! (Kairam ab vorn links. – Zu Schehriar.)
                                  Was willst du noch?
Mich äffen, reizen, die Geduld mir stehlen?
Ich mag nicht, mag nicht . . .

Schehriar.                                   Durft' ich dir verhehlen,
Was deines Vaters Herz durch dich erleidet? 60

Assad. Auch wenn du mir's verhehlst, ich weiß es doch!
Sein Herz ist meines; euer aller Seelen
Trag' ich in mir; kein Wall mehr unterscheidet
Mein Selbst von eurem Selbst. Mit Felsenschwere
Preßt eure Pein den Atem mir zusammen;
Denn alles peinigt euch, was ich begehre!
Ihr fühlt ja, fühlt; drum seid ihr mir verhaßt;
Drum regt schon euer Anblick mir die Flammen
Des Zornes auf . . . Nein, nein – warum erfaßt
Dich schon bei meinen Worten Schmerz? Ich wollte
Dir ja nichts anthun!

Schehriar.                       Du bist krank.

Assad.                                                   Ja, krank.

Schehriar. Was meld' ich deinem hohen Vater?

Assad.                                                             Sag,
Daß ich sein Plappern heut nicht hören mag
Und dich nicht sehn!

(Schehriar geht seufzend ab Hintergrund. Assad seufzt ebenfalls. Von links vorn sind Selim und Duban eingetreten und verneigen sich tief.)

Selim.                               Herr, du befahlst . . . 61

Assad (rasch).                                                     Viel Rühmen zollte
Man eurer Kunst. Habt ihr den Heilungstrank
Gleich mitgebracht? Gebt her!

Duban.                                         Mein Prinz, ihn brauen
Wir erst, nachdem genauster Forschung Spur
Uns hinwies auf des Uebels Grundnatur.

Selim. Bis heute hast du leider dein Vertrauen
Nur Pfuschern zugewandt, die dreist und albern
Nicht lange fragen, sondern gleich quacksalbern.

Duban. Doch Selim, mein berühmter Freund, erhob
Die Gründlichkeit zur unbedingten Regel.

Selim. Wie tief beschämt mich Meister Dubans Lob!
Vor seinem Ruhme streich' ich gern die Segel.

Duban. Nein, Selim wird mich immer überstrahlen.

Selim. Nein, Duban ist . . .

Assad (ungeduldig).             Genug! Ich glaub' euch schon.
Bestätigt handelnd, was ihr schwatzt! Der Lohn
Soll nicht geringer sein als meine Qualen.

Duban. Wo also sitzt es? 62

Selim.                           Jagt der Puls zu schnell?

Duban. Im Herzen Krampf?

Selim.                                 Im Haupte Fieberschwüle?

Assad. Ihr sucht umsonst in mir der Schmerzen Quell;
Das Leiden andrer ist es, was ich fühle.

(Selim und Duban sehen einander verwundert an.)

Duban. Das Leiden andrer – das geht dir so nah?

Selim. Das macht dich krank?

Duban.                                 Der Prinz beliebt zu spaßen.

Assad. Ihr hörtet's!

Selim.                     Gänzlich neuer Fall!

Duban.                                                   Nun ja,
Man leidet wohl gewissermaßen,
Wenn man den Nebenmenschen leiden sieht.
Indes nach sämtlichem, was ich erfahren
Von menschlicher Natur, pflegt diese Pein
Von allen die erträglichste zu sein. 63
Man seufzt vielleicht, daß solcherlei geschieht,
Und murmelt: Gott mög' uns davor bewahren;
Doch daß uns fremdes Leid wie eignes grämt,
Scheint mir undenkbar!

Selim.                               Ich bin gleicher Meinung.
Wie hätt' ich sonst mein gutes Herz bemeistert
An tausend Krankenbetten?

Assad (in berichtendem Ton, ohne starke Erregung).
                                          So vernehmt,
Bevor ihr mit stumpfsinniger Verneinung
Die Lücken eures Wissens überkleistert.
Der Schlag, den freche Diener mir entlocken,
Schmerzt meine Wange; jedes Strafgebot,
Das in gerechtem Zorn ich angedroht,
Bringt in den Adern mir das Blut zum Stocken.
Verschließt mein Ohr sich greisenhaftem Plärren,
So fühl' ich selbst mich als verlachten Greis;
Zeig' ich gemeinem Sklavenvolk den Herren,
Dann klingt das Echo des erstickten Schrei's
In meiner Brust, die, hundertfach entzündet,
Nicht mehr den Ursprung all der Qual ergründet
Und rings von ungeahnten spitzen Waffen
Verfolgt wird, nur weil sie sich hebt und senkt
Nicht anders, als Natur sie hat geschaffen.

Selim. Seltsame Krankheit! 64

Duban.                               Wenn man's recht bedenkt . . .

Selim (fühlt Assad den Puls).
Der Puls ist klar.

Duban. (ebenso von der andern Seite).
                          Ist fieberfrei.

Assad.                                           Verschwendet
Nicht so viel Floskeln! Heilt mich!

Duban.                                               Sag nur, wann
Hast du's zuerst gespürt?

Selim.                                   Wie fing es an?

Assad. Potz Blitz, ihr sollt bewirken, daß es endet!

Duban. Verzeih, mein Prinz, wir waren grad beflissen . . .

Selim. Des Leidens Grund, sofern ich kurz und scharf
Mein Urteil nun zusammenfassen darf,
Scheint mir ein stark erkältetes Gewissen.

Duban. Verehrungswürd'ger Freund, was fällt dir ein?
Erkältung – ja; doch des Gewissens – nein!
Wem dieses körperlose Ding
Den Daseinsbecher ernstlich kann verbittern, 65
Knechtschaffen ist er, niedrig und gering,
Geboren, um zu dulden und zu zittern.
Der Nacken, den Gehorsam hat gebückt,
Schmiegt sich, wenn des Gewissens Joch ihn drückt,
Auch dieser Bürde willenlos und bänglich;
Jedoch ein Prinz, der über frische Gräber
Seit frühster Jugend hinschritt unverdrossen,
Bleibt solcher Pöbelkrankheit unzugänglich. –
Nach meiner Ansicht kommt es von der Leber.

Selim. Nach meiner Ansicht ist das ausgeschlossen.

Duban. Du leugnest, weil du's nicht zuerst erkannt hast.

Selim. Erkenne du, wie sehr du dich verrannt hast!

Duban. Man merkt, daß deine Weisheit schnell verpuffte!

Selim. Die deine lahmt schon von Geburt.

Assad (sie schüttelnd).                               Ihr Schufte,
Wollt ihr mich heilen oder nicht? Von dannen
Sollt ihr nicht lebend gehn, wenn ihr euch sträubt!
Ich lass' euch peitschen, auf die Folter spannen;
Ich . . .
        (Die Aerzte verraten durch Miene und Bewegung ihre Angst; Assad gleich darauf ebenso.)
            O, die jähe Furcht, die mich betäubt,
Ist eure! – Fürchtet nichts! Ich bin euch hold.
        (Sie wieder zornig anpackend.)
Doch hütet euch, wenn ihr mich foppen wollt!

Duban (zitternd).
Wie kannst du glauben . . .

Assad.                                     Meine heitre Kraft –
Was thun, damit ich sie zurückerhalte?
Kennt ihr kein Mittel, das Erquickung schafft?

Selim (kleinlaut).
Ich bin für warme Bäder.

Duban.                                 Ich für kalte.

Assad. Geht, arme Stümper, geht! – Was in mir tobt,
Nun weiß ich, daß kein Arzt es stillt.

(Selim und Duban schleichen sich weg; ab vorn links.)

Vierter Auftritt.

Assad. Selmira.

Selmira (ist schon gegen Schluß des vorigen Auftrittes durch die Mitte des Hintergrundes aufgetreten und hat das letzte gehört; nun kommt sie nach vorn).
                                                          Noch einen
Gibt es, Prinz Assad, den du nicht erprobt.

Assad. Nenn' ihn, Selmira! Laß ihn gleich erscheinen! 67

Selmira. Du siehst ihn vor dir stehn.

Assad (ungläubig).                           Du selbst?

Selmira.                                                         Nur schlecht
Verhehlt die Frage mangelndes Vertrauen.
Erstaunt es dich, daß dir zu helfen trachtet,
Wer dir zu zürnen hätt' ein gutes Recht?

Assad. That ich dir Schlimmes?

Selmira.                                   Weißt du, was uns Frauen
Als Schlimmstes gilt? Daß man uns nicht beachtet.

Assad. Und meid' ich diesen Fehl, so willst du gern
Im Schmerz mich trösten? Wäre das vielleicht
Der bittern Rede süßer Kern?

Selmira. Wie du mir weh thust, unbarmherz'ger Mann!

Assad. Du spürst ein Weh, das nicht auch mich beschleicht?
Du spürst ein Weh, das mir kein Mitempfinden
Im Herzen weckt? Ich glaube nicht daran!

Selmira (vorwurfsvoll hauchend).
Assad!

Assad.         Du willst . . .? 68

Selmira.                             Dein Siechtum überwinden!

Assad. Ein Arzt, der so verführerisch geschmückt
Mir naht wie zu verschwiegner Liebesfeier
Und aus den dunklen Augen Pfeile zückt?

Selmira. Vergib den argen! Ich verhülle dicht
Ihr unerbetnes Glühn im strengen Schleier.

Assad. Laß! Mich versengen diese Blitze nicht.
Verspare dir die oft bewährte Kunst
Für glatte Bürschlein, deren Sinn erschauert,
Wenn in des Weibes Blick Verheißung lauert.
Mich aber lockte niemals eine Gunst,
Die nicht ertrotzt ward, nicht im Sturm errungen.

Selmira. Und wenn auch ich so dächte? Meinen Wert
Verkennend, hast du meinen Stolz genährt.
Umringt von tausend Huldigungen,
Von tausend Lippen scheu gefragt,
Warum mit allen Seufzern, allen Schwüren
Sie dieses starre Herz nicht rühren,
Such' ich den einen, der sich mir versagt,
Ihn, der so leicht für Sklavinnen entflammt,
Dem Gruß des freien Weibes sich verschließend. 69

Assad. Frei bin ich selbst, und frei genießend
Fragt' ich im Rausche nie, woher die Würze stammt.
Dich kenn' ich allzu wohl! Wie grob gesponnen
Hast du dein Netz, wie schlecht verhüllt das Ziel.
Herrschsucht beseelt dich, und schon halb gewonnen
Sahst du, solang ich fern, dein kühnes Spiel.
Erbittrung spornt mich an, die Faust zu ballen,
Daß, während ich gekämpft in heißer Schlacht,
Beinah des väterlichen Reiches Macht
In eine Weiberhand gefallen!
Mein Vater ließ, der eignen Schwachheit froh,
Von deines Bruders Willkür sich beraten,
Und dieser war dein Schatten. Ist's nicht so?

Selmira. So ist's. Ich war die Seele seiner Thaten.

Assad. Bekennst du mir's? Und warnte dich kein Bangen,
Ich könnt' am ersten Tag der Wiederkehr,
Was ihr euch angemaßt, zurückverlangen?

Selmira. O, hättest du's verlangt! Was wollt' ich mehr?
Ja, wie der Mond in schämigem Erbleichen
Hinabsinkt vor der Sonne goldnem Schein,
So wollt' auch ich vor deinem Aufgang weichen;
Denn was ich that, ich that's für dich allein.

Assad. Für mich? 70

Selmira.               Wohl hab' ich nach der Macht gegeizt;.
Dir aber wollt' ich sie zu Füßen legen!
Wohl trat ich jedem Gernegroß entgegen,
Der, als du fern, sich maßlos ausgespreizt;
Doch nur an deiner Statt hab' ich geschaltet,
In deinem Geiste nur dein Gut verwaltet,
Damit kein Unberufner dir es raube.
Dein Bild, das heldenhaft vor mir erschien,
Hat mir ein Teilchen deiner Kraft verliehn,
Und dort – im schwülen Hauch der Rosenlaube,
Wohin ich oftmals floh, damit ihr Duft
Erneuten Mut mir in die Adern flöße,
Dort, eingesargt in eine Blumengruft,
Träumt' ich von deiner künft'gen Größe.

Assad (bitter lachend).
Von meiner Größe! – Wagst du mich zu höhnen?
Rühmst du mit keckem Spott, was mir entschwand?
Groß war ich, als ich nichts empfand! –

Selmira. Du bist's! Kein Sterblicher vor dir besaß
Der Gaben Fülle, die dein Haupt bekrönen;
Du, von Geburt zum Halbgott auserkoren,
Hast in ein Volk von Knechten dich verloren
Und kränkelst nun an deinem Uebermaß.
Unwillig seufzend siehst du dich umgeben
Von Wichten, die vor deinem Blick erbeben,
Und alle Schwäche würde von dir fliehn,
Entdecktest du den ebenbürt'gen zweiten, 71
Mit dem du Aug' in Auge könntest streiten
Um den Besitz der Welt.

Assad (leidenschaftlich ausbrechend).
                                      Ja, fänd' ich ihn!
Kampf will ich, Kampf, der mich von mir befreit,
Auf Tod und Leben mit dem Feind mich messen,
Nicht um zu siegen, nur um zu vergessen.

Selmira (tritt ihm näher).
Wozu noch Kampf? Nein, die Vergessenheit
Kann sanfter deine Wunde heilen!
Wenn mit dem Mann, der hoch und einsam ragt,
Sich einzig nur ein Weib zu messen wagt,
Will er dann kämpfen, statt mit ihr zu teilen?
Und wenn er, siegend und besiegt,
Sein Feuer schürt an ihres Geistes Funken,
Ist dann die Welt, die sich ihm wehrlos schmiegt,
Nicht unterworfen und zugleich versunken?
Assad, gibt solch ein Bund für kargen Rausch,
Den du von flücht'gen Stunden mußt erpressen,
Nicht edlere Betäubung dir zum Tausch?

Assad. Warum zur Sehnsucht reißest du mich hin
Und stillst sie nicht? – Ja, lehre mich vergessen,
Vergessen, was ich war und was ich bin,
Vergessen all die andern und ihr Leid,
Vergessen die Gedanken, die ich hegte,
Den Willen, der die Brust mir wild erregte,
Die frischen Lippen, die mir vormals Lust geweiht!
Mit diesem Schleier suche zu verdecken, 72
Daß außer mir noch etwas lebt und blüht,
Was mich beengt, die Arme auszustrecken,
Und danken will ich dir's, will dich erlesen
Zu höchsten Wonnen . . .

Selmira (mit triumphierender Freude).
                                      Wie dein Auge sprüht!
Glaubst du mir endlich? Laß den Hoffnungsstrahl
Zur Flamme werden, und du bist genesen!

Assad. Nimm Seel' und Leib!
        (Er umfaßt sie leidenschaftlich, zuckt aber sogleich schmerzgetroffen zusammen.)
                                      O diese neue Qual! –
Verschärfst du meine Marter?

Selmira (verdutzt).                         Welch ein Wahn!

Assad. Mir ist, als schnürte mir verhaltnes Weinen
Die Kehle zu. Wem hab' ich weh gethan?

Selmira. Du träumst . . .

Assad.                           O, wessen Schmerz empfind' ich? . . .

Morgiane (stürzt von links hinten hervor und wirft sich verzweiflungsvoll vor ihm nieder).

Assad.                                                                                     Deinen! – 73

Fünfter Auftritt.

Vorige. Morgiane.

Assad (nachdem er kurze Zeit sprachlos auf sie niedergeblickt, murmelnd).
Kehrst du zurück, du schon verblaßtes Gestirn?
Vergiß auch du – vergiß! . . .

Morgiane (noch knieend, zu Selmira). Unsel'ge, flieh!
Weit, weit entrinn' ihm, oder dich erharrt
Das unbarmherz'ge Schicksal deiner Schwestern.
Mein irrend Auge, mein gebeugtes Knie
Weissagen dir die Kluft, die vor dir starrt.
Du zauderst noch? Gab er dir holde Namen?
Nenn' einen mir, den nicht auch ich gehört,
Ich und die andern! O, warum nicht kamen
Mit mir zugleich, um die geräum'ge Halle
Gedrängt zu überfluten, alle, alle,
Die er geküßt hat und zerstört!

Selmira (zu Assad).
Wie lang erträgst du sie? Nicht gut bewacht
Ist deine Thür.

Assad (mit schwacher, leidender Stimme zu Morgiane).
                        Was willst du?

Morgiane.                                     Nichts! Was bliebe
Mir noch zu wollen? Eines nur: ich will,
Daß sie dich lieben kann, wie ich dich liebe, 74
Und daß hinab mir taucht in ew'ge Nacht
Des Lebens Elend.

Assad.                         Ja, die Nacht ist still . . .
Lautlos mit schwarzem Fittich schwebt sie nieder
Und löscht die Kerzen aus . . .

Selmira.                                       Du siehst mich staunen!
Kaum noch erkenn' ich meinen Helden wieder.
Ist's Assad, der sich jedes Stolzes bar
Zum Spielball weiht für einer Sklavin Launen?
Kennt er kein bessres Rüstzeug der Geduld
Als falsche Thränen?

Assad.                             Diese hier sind wahr. –

Selmira. Sie greint, weil du des Lärvchens müde bist.
Warum nicht eilst du, rasch gewährte Huld
Mit einer Fürstenkrone zu besolden?
Dann wenigstens wär' ihre List
Nicht an so reichen Fang umsonst verschwendet.

Morgiane (sich mit Würde aufrichtend).
Du irrst! Ein Diadem erglänzte golden
Auf meiner Stirn; er hat es mir entwendet!
Und gäb' er mir's zurück samt allem Flitter
Und bräche meines Kerkers Gitter,
Nie fänd' ich doch den Weg mehr heimatwärts
Und nie den Thron, von dem er mich vertrieben: 75
Zur Sklavin machte mich mein Herz,
Und meine ganze List war, ihn zu lieben.
Kein Gut besitzt er, das mich locken mag;
Ich war's, die ihn mit Schätzen übersäte,
Und arm und elend ward er an dem Tag,
An dem er mein Geschenk verschmähte.

Selmira (zu Assad).
Hörst du's?

Assad.               O still – sie nennt die letzte Stunde,
In der ich fröhlich war. In weiter Runde
Nur sie und ich – sie rückte mir das Kissen . . .

Selmira. Hörtest du nicht? Die Stunde war es auch,
Die Frohsinn dir und Jugendkraft entrissen.

Assad. Ja, ja – ganz recht!

Selmira.                           Liegt deinem Blick nun offen,
Welch böser Zauber dich mit gift'gem Hauch,
Dieweil du schliefest, in das Herz getroffen?
Sie war verschmäht und du in ihrer Hand.
Frag ihre Rachsucht, wo sie Hilfe fand,
Und deiner Qual Geheimnis ist entsiegelt.

Assad. Der Bettler! (Zu Morgiane.) Du – du ließest ihn herein!

Morgiane. Ich?! 76

Selmira.             Alle Pforten waren fest verriegelt.

Assad. Du kanntest ihn!

Morgiane.                     O güt'ger Himmel – nein!

Assad. Gesteh, daß er auf deinen Ruf gekommen.

Morgiane. Nein, nein!

Assad.                         Warum nicht jagtest du ihn fort?

Morgiane. Ich hatte Mitleid.

Assad.                                 Mitleid! Fluch dem Wort!
Aus deinem Mund hab' ich's zuerst vernommen.

Morgiane. Weh mir, daß du's nicht kanntest schon zuvor.

Selmira. Sie dachte dir's gewaltsam einzuimpfen,
Da sie mit einem Bettler sich verschwor.

Assad. Zur Stelle schaff ihn, oder den Verrat
Sollst für euch beide du mir zwiefach büßen! 77

Morgiane. Leichtgläubiger, mich lässest du beschimpfen
Von ihr, der niemals ich ein Leides that;
Um ihretwillen trittst du mich mit Füßen!
Der Mann, der einstens mich so heiß begehrte,
Verstößt und schmäht mich dieser zu Gefallen,
Damit ich weiß, wie tief er mich entehrte.
Aus ihrem Munde wird kein Seufzer hallen,
Doch auch kein glüh'nder Liebesschwur;
Denn sie erlog die weibliche Gestalt,
Wie sie dir Neigung lügt; ihr Blut ist kalt
Und ihre Seele fühllos.

Assad.                               Wär' sie's nur!
Fühllosigkeit, das ist's, wonach ich trachte,
Voll Gier mit allen Fasern schmachte!
Du willst den Frevel, den du angestiftet,
Verleugnen und bestätigst ihn zugleich.
Dein Fühlen hat mir diese Welt vergiftet,
Gab meiner Daseinslust den Todesstreich.
Krank bin ich, weil als unwillkommnen Gast
Dein zuckend Herz du mitentboten hast
Zum heitren Festmahl meiner Sinne;
Krank werd' ich bleiben, bis ich dir entrinne!
Aus meinen Augen! Fort!

Morgiane (verzweifelt).             Von dir geschieden,
Indes du schwelgst in ihrem Arm!
Reiß doch dies Herz heraus! Es schlägt so warm 78
Für dich, für dich – gib ihm und dir den Frieden!
Der Dolch, der deinen Gürtel schmückt,
Dich zu durchbohren war er schon gezückt,
Und tief bereu' ich, daß es nicht geschah!
Was zögerst du? Der Augenblick ist da,
Wo du vergelten kannst.

Selmira (hat, während Morgiane sprach, die Thür vorn links geöffnet und nach innen ein Zeichen gegeben).

Assad (hat regungslos zugehört, die Hand auf das Herz gepreßt; nun fährt er zornig auf).
                                      Ich will vergelten!
Ich . . .

Kairam (von links vorn auftretend, zu Assad).
            Was befiehlst du?

Assad.                                   Wenn ich's überdenke . . .
Kairam, die Sklavin, die dir wohlgefiel,
War's diese nicht?

Kairam.                     Herr, meine Wünsche stellten
Sich nimmermehr ein so verwegnes Ziel.

Assad. Rasch, führe sie hinweg!

Kairam                                     Du willst . . . 79

Assad.                                                           Ich schenke
Sie dir.

Kairam (küßt niederknieend Assads Hand).

Morgiane (mit dem Aufgebot letzter Kraft).
              Das wirst du nicht! Das kannst du nicht!
So ruchlos grausam ist kein Wesen,
Das Menschenantlitz trägt.

Assad.                                     Nur fort! Ihr Blick
Verhindert mich zu atmen, zu genesen;
Drum halt sie fern von meinem Angesicht.
Nur eins beding' ich: niemals, niemals wieder
Will ich sie sehn, noch hören, daß sie lebt.

Morgiane. Barmherzigkeit!

Kairam (ist zu ihr getreten, halblaut). Komm! Zarte Schmeichellieder
Will ich dir singen, will dich letzen
Mit süßem Naschwerk, und aus Gold gewebt
Sei deine Kleidung. Komm!

(Er zieht die Gebrochene, die kaum noch Widerstand zu leisten vermag, mit sich fort, ab vorn links.)

Sechster Auftritt.

Assad. Selmira.

Selmira.                                   Assad . . . 80

Assad.                                                       Entsetzen!
Sie ging nicht fort; sie blieb.

Selmira.                                     Nein, blick umher: wir beide
Sind ganz allein . . .

Assad.                           Sie blieb mit ihrem Leide.
        (Sich auf die Brust schlagend.)
Hier ist sie! Hier aus dunkler Knospe sprangen
Sehnen, Verzweiflung, wildes Todverlangen!
Selmira, hilf, ich sterbe . . .

Selmira.                                   Laß dich mahnen
An all die Wonne, die mit sel'gem Ahnen
Du schon vorausgenossest. Wen'ge Schritte
Von hier winkt uns der Laube Rosenmeer,
Und ihre Düfte schweben zu uns her,
Vertraulich raunend: Kommt in unsre Mitte,
Aus blüh'ndem Kelch Vergessenheit zu saugen . . .
Sieh mich doch an . . .

Assad.                               Ich seh' nur ihre Augen,
Und blut'ge Thränen brechen draus hervor.

Selmira. So höre mich! Mit weichen Flüstertönen
Will ich dir Labung träufeln in dein Ohr. 81

Assad. Ich hör' dich nicht; ich höre nur ihr Stöhnen.

Selmira. An meine Brust, um dich zu kühlen, lege
Dein brennend Haupt.

Assad.                               Fest an dein Herz geklammert,
Fühl' ich nur ihres Herzens Schläge.

Selmira. Im Kuß erstarke!

Assad (ihr den Dolch darbietend). Wenn mein Los dich jammert,
So lehre dieses Eisen, mich zu küssen,
Und kränze meinen Sarg mit Mohn;
Sonst werd' ich noch im Tod empfinden müssen,
Wie sich der Fluch ins Unermess'ne steigert.

Siebenter Auftritt.

Vorige. Kalif, Schehriar (und) Gefolge (durch die Mitte).

Kalif (im Auftreten zu Schehriar).
Wo ist er? Will doch sehn, ob er mir weigert . . .

Assad (bemerkt den Kalifen und stürzt ihm verzweifelt an die Brust).
O Vater, Vater – rette deinen Sohn!

Kalif (zu den übrigen).
Laßt mich mit ihm allein! 82

Selmira (zu Schehriar, im Abgehen). Er ist von Sinnen.

(Selmira, Schehriar und Gefolge ab hinten rechts.)

Achter Auftritt.

Assad. Kalif.

Kalif. Was fehlt dir, Söhnchen? Was ist dein Begehr?
Dein alter Vater humpelt zu dir her
Und müht sich, Einlaß zu gewinnen
Beim eignen Kinde, das ihn störrisch meidet.
Wie hab' ich das verdient? Soll ich zum Grab,
Von dessen Rand nur knappe Frist mich scheidet,
Hinpilgern ohne Stütz' und Stab?

Assad. Rette mich vor mir selbst!

Kalif.                                         Was ängstet dich?
Der Jugend Segel ist dir hingeglitten,
Geschwellt von eitel Glück. Wer nie gelitten,
Wird rasend bei dem ersten Mückenstich.

Assad. Der Stachel drang ins Herz.

Kalif.                                           Mein Liebling, schöpfe
Doch neuen Mut! Sag doch, was willst du haben? 83
Was könnte dich erheitern, was erlaben?
Verlangst du Tanz und Spiel zum Zeitvertreibe?
Verlangst du, daß man irgend jemand köpfe?
Nenn' einen Wunsch mir, und ich unterschreibe
Blindlings, was dir gefällt.

Assad.                                   Was mir gefällt!
Damit noch lauter als Gesang und Flöten
Ein Aechzen durch die Lüfte gellt!
Gift ist mein Wille; meine Wünsche töten!
Warum hast du sie nicht erstickt,
Bevor sie, großgesäugt von wilder Lust,
Gleich Nattern züngelnd mich umstrickt?
Warum hast du mir jeden Fehl verziehn
Und gabst die jungen Triebe meiner Brust
Der unersättlichen Begier zur Beute?

Kalif. Warum, du Närrchen? Weil's mich sündhaft freute,
Daß du in Wahrheit bist, was ich nur schien:
Ein echter Herr in Thaten und Gedanken.
Schau mich doch an! Ich saß jahrein, jahraus
Auf meinem Thron voll Zagen und voll Schwanken;
Die Katze sollt' ich sein und war die Maus.
Von meiner Allmacht denk' ich sehr gering;
Denn, im Vertrauen, ich erfuhr zu wenig,
Was hinter meinem Rücken vor sich ging.
Die bunten Völker, die mir unterthänig,
Kenn' ich mit Namen kaum; die reichen Triften, 84
Auf denen meine fernen Schlösser stehn,
Hab' ich mit Augen nie gesehn;
Den höchsten Berg beschämen an Gewicht
Die Blätter, voll mit meinen Unterschriften;
Doch was darin enthalten, weiß ich nicht.
Du wirst es wissen, du, mein Hoffnungslicht,
Und alle Grillen, die dich heute plagen,
Wirst du als Herrscher schnell verjagen.
Ja, Kind, beschlossen hab' ich's fest und tief:
Noch lebend will ich meinem Amt entsagen;
Sei du an meiner Statt Kalif!

Assad. Ich – ich, Kalif!

Kalif (überrascht).           Erschreckt dich das?

Assad.                                                         Halt ein!
Ich soll, mit diesem Fluch beladen,
Der Mächtigste von allen Menschen sein,
Durch keine Schranke mehr gehemmt, zu schaden!
Nicht eines Weibes Schluchzen zu verwinden
Hab' ich noch Kraft und soll auf hohem Thron
Das Weh des ganzen Volkes mitempfinden!
Erbarm dich mein!

Kalif.                           Begreife das, wer kann.
Vergaßest du, wie oft als Knäblein schon
Du nach dem Scepter beide Hände strecktest,
Mit meinem Purpur dich bedecktest 85
Und spielend manches Todesurteil schriebst?
Wenn du nicht herrschen willst, was willst du dann?

Assad. Unschädlich werden! Ja, wenn du mich liebst,
Verringre meine Macht, statt sie zu mehren!
Laß mich wie ein gefährlich Tier
In Fesseln schlagen, laß den Nacken mir
Mit hartem Sklavenjoch beschweren;
Denn sonst . . .

Kalif.                     In Fesseln schlagen – dich?! Die Haare
Stehn mir zu Berg. In Fesseln! Kind, verzeih,
Wenn ich zum erstenmal dir nicht willfahre.
Denk an dein fürstlich Vorrecht; denk, ich sei
Schon tot und nimm die Krone mir vom Haupt,
Damit sie nicht verrostet und verstaubt.
Die letzten Stunden wird es mir versüßen,
Wenn morgen mit des neuen Tages Helle
Dich Volk und Hofstaat als Kalifen grüßen,
Und förmlich werde mein Verzicht gebucht,
Eh' noch der graue Derwisch selbst erscheint
Und dich beruft an die verwaiste Stelle.

Assad. Das wird er nicht; denn er hat mich verflucht.

Kalif (entgeistert).
Er?! –

Assad.
            Sag, wer ist er? 86

Kalif.                                 Unsres Hauses Feind
Und Gottes Werkzeug. –

Assad (mit raschem Entschluß).   Laß am frühen Tag
Sich Hof und Volk zusammenscharen!

Kalif. Was hast du vor?

Assad.                           Laut will ich offenbaren,
Daß ich ihr Herr zu werden nicht vermag.

Kalif (flehend).
Hab Mitleid, Kind!

Assad.                         Mitleid mit dir und allen
Und Grausen vor mir selber treibt mich fort . . .

Kalif. Wohin?

Assad.             Weit, weit, bis eure Not und Trauer
Nicht mehr zu mir herüberhallen
Und fern verschwimmt der Heimat letzter Hort.
Gefährte sei mir Sturm und Regenschauer,
Das Sternenheer mein einziges Geleit;
Die Wüste wähl' ich mir zum Königreiche,
Zu meiner Buhlerin die Einsamkeit;
Den starren Felsblock mit gewalt'gem Streiche 87
Werd' ich zerspalten, wenn mich Zorn durchglutet;
Nur möge niemals eine Menschenseele
Dem Klausner nahn, der lieber Disteln sät,
Als schwelgend sich an eigner Schuld verblutet!

(Schnell ab nach rechts vorn.)

Kalif (in Verzweiflung, ihm nachrufend).
Assad! Noch bin ich Herrscher! Ich befehle . . .
Was denn befehl' ich nur . . .? (Zusammenbrechend.)
                                            Zu spät! Zu spät! 88


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