Ludwig Fulda
Maskerade
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug

Salon beim Freiherrn von Wittinghof. »Herrschaftlich möblierte Wohnung,« von unpersönlicher, ein wenig zu aufdringlicher Eleganz. Zwei Türen in der Seitenwand links, von denen die hintere nach dem Flur führt, eine dritte Tür in der Seitenwand rechts. In der Mittelwand zwei Fenster, mit Ausblick auf die gegenüberliegenden Häuser. Links freistehender Herrenschreibtisch; davor Diwan und Rauchtischchen. An der rechten Seitenwand hinten Kamin. Rechts vorn Etablissement; weiter hinten, nahe dem Fenster, ein großer Tisch, mit Albums und Landschaftsphotographien bedeckt. Zwischen den Fenstern Glasschrank voll exotischer Waffen und Gerätschaften. Auch sonst an den Wänden oder frei herumliegend allerlei Gegenstände, die der Freiherr aus Südamerika mitgebracht hat.

Erster Auftritt

Freiherr (kommt von links vorn) Friedrich (folgt ihm)

Freiherr Sehr gut so. Alles in Ordnung. – Nun zeigen Sie mal, Friedrich, daß Sie die Perle sind, als die man Sie mir gerühmt hat.

Friedrich (stramm stehend) Befehl, Exzellenz.

Freiherr Ich erwarte heute verschiedene Herrschaften. Es könnte aber auch sein, daß Leute kommen, die ich nicht 114 empfangen will. Sie wissen, wie Sie sich in solchem Fall zu verhalten haben.

Friedrich Befehl, Exzellenz.

Freiherr Ich verlasse mich auf Sie. (Er sieht auf seine Uhr) Sonderbar! Schon gleich elf, und noch immer nicht . . .

Friedrich Glaube, Exzellenz, eben ist ein Wagen vorgefahren.

Freiherr (geht rasch zum Fenster, sieht hinunter) Ja, richtig! Das ist sie. Das ist die Baronesse, meine Tochter.

Friedrich Befehl, Exzellenz.

Freiherr Öffnen Sie der Baronesse, und helfen Sie dann dem Portier, die Sachen in ihr Zimmer tragen.

Friedrich Befehl, Exzellenz.

Freiherr Und noch eines, Friedrich. Sie dienen jetzt bei einem Zivilisten. Das Strammstehen können Sie sich hier abgewöhnen.

Friedrich Befehl, Exzellenz. (Ab links hinten) 115

Zweiter Auftritt

Freiherr. (Gleich darauf) Gerda. (Dann) Friedrich

Freiherr (geht einmal im Zimmer auf und ab, dann mit schnellen Schritten auf die Tür zu, die Friedrich von außen öffnet)

Gerda (von links hinten, in Hut und Mantel, mit einem Handtäschchen)

Freiherr (herzlich) Guten Tag, mein liebes Kind.

Gerda (sehr befangen, mit leicht zitternder Stimme) Guten Tag.

Freiherr Leg ab. (Zu Friedrich, der noch in der Tür steht) Friedrich, helfen Sie der Baronesse. (Friedrich gehorcht)

Gerda Ich danke sehr. Es geht schon. – Und mein kleiner Koffer?

Freiherr Wird auf dein Zimmer gebracht.

Friedrich (hat Gerda Hut und Mantel abgenommen und geht damit ab links hinten)

Gerda (Friedrich nachsehend) Was denkt sich der denn eigentlich?

Freiherr Der Diener? Der kann sich nichts anderes denken, als was ich ihm gesagt habe. Daß du meine Tochter bist, die heute zu mir zurückkehrt. 116

Gerda (muß unwillkürlich lachen) Und er hält mich für eine richtige Baronesse?

Freiherr Er hält dich für das, was du in Bälde sein wirst, und als was ich dich schon heute betrachtet wissen will. Du hast soeben dein Vaterhaus betreten; sei mir darin willkommen, mein Kind.

Gerda (sich scheu umsehend) Verzeihen Sie; aber mein dummer Kopf kann noch nicht nach . . . Ich muß mich fortwährend fragen, ob ich all das wirklich erlebe . . . Die Kluft zwischen vorgestern und heut ist zu groß. Ich tue, was Sie wollen; ich tu's, weil ich's Ihnen versprochen habe; weil ich fühle, daß Sie es gut mit mir meinen . . . Aber, ehrlich gestanden, mir ist gar nicht geheuer zu Mut . . .

Freiherr Ganz natürlich! Es würde mich erstaunen, wenn es anders wäre. Auch mir kommt es ja noch so wunderlich, so überaus wunderlich vor . . .

Gerda (schnell) Sie bereuen?

Freiherr Nein, ich bin glücklich! Ich war es lange nicht so, wie in diesem Augenblick. Gerda, empfindest du denn nicht, was dein Schritt über diese Schwelle für mich bedeutet? Die Entlastung! Die Entsühnung! Die Aussicht auf ein neues Leben! – (Er geht zur Tür links vorn) Und schau, hier geht es zu deinem Zimmer. (Die Tür öffnend) Hier sollst du vorläufig wohnen. – Willst du dich nicht darin umsehen? 117

Gerda (ohne darauf einzugehen) Wenn Sie wenigstens nicht darauf bestanden hätten, daß ich schon heute ganz und gar zu Ihnen kommen soll . . .

Freiherr Aber das war doch notwendig.

Gerda Ich hätte ja später wieder nach Hause gehen können.

Freiherr Willst du dich nicht lieber mit dem Gedanken vertraut machen, daß du fortan hier zu Hause bist?

Gerda Ich möchte ja gern. Aber – seien Sie mir nicht böse . . .

Freiherr Und willst auch nicht »du« zu mir sagen?

Gerda Ich . . . ich kann noch nicht.

Freiherr Dann muß ich mich gedulden, bis du es kannst.

Gerda Mir ist alles so fremd. Und Sie selbst, Sie erscheinen mir jetzt wieder fremder als bei mir, in meiner Stube. Wenn Sie mich nur noch eine Weile dort gelassen hätten . . .

Freiherr Das ging nicht, mein Kind. Nachdem ich den Antrag bei der Behörde eingereicht habe, worin ich mich als dein 118 Vater bekenne, durfte ich nicht mehr zugeben, daß du allein dort hausest. Ich durfte es um meinetwillen nicht, und ich durfte es nicht deinem künftigen Bräutigam gegenüber.

Gerda Ach, sehen Sie, auch wegen Edmund bin ich so unruhig, so in Angst . . .

Freiherr Warum?

Gerda Er wollte gestern zu mir kommen. Da hätt' ich ihm denn alles erzählt. Nur nicht, daß ich heute seine Eltern kennen lernen soll. Damit wollt' ich ihn ja überraschen . . .

Freiherr So erzählst du ihm nun alles auf einmal.

Gerda Aber weshalb ist er ausgeblieben? Seit wir uns kennen, zum erstenmal! Warum teilte er mir nicht gleich den Grund mit? Nur eine kurze Entschuldigung schickte er mir: er sei verhindert, und heute würde er mir ausführlich schreiben.

Freiherr Hat er das nicht getan?

Gerda Ich habe bis jetzt zu Hause darauf gewartet. Aber ich mußte doch endlich zu Ihnen . . . Da hab' ich Frau Schwalb gebeten, mir seinen Brief, sobald er kommt, hierher zu bringen.

Freiherr Nun, da wirst du's ja bald erfahren. 119

Gerda Ich kann mir nur gar nicht erklären, warum er das schriftlich machen will. Auf seinem Weg zum Bureau muß er ja an meiner Wohnung vorbei. Sonst kam er immer herauf, wenn er mir was mitzuteilen hatte. Er wird doch nicht krank sein!

Freiherr Gestern vormittag war er noch frisch und gesund.

Gerda (schnell) Sie haben ihn gesehen?

Freiherr Gewiß.

Gerda Und gesprochen?

Freiherr Auch das. – Ein schmucker junger Mann.

Gerda (mit aufleuchtendem Blick) Nicht wahr?

Freiherr Wenn seinem gewinnenden Äußeren das Innere entspricht, so darf man dir gratulieren.

Gerda Wenn ich nur verstehen könnte, wieso . . .

Freiherr Du bist wie alle Verliebten. Du holst dir deine Sorgen vom blauen Himmel herunter. Warum soll er denn nicht einmal verhindert sein? Dafür gibt es doch 120 tausend harmlose Ursachen. Zerbrich dir also darüber nicht weiter den Kopf; sondern freue dich mit mir, daß alles im besten Gange ist.

Gerda Seine Eltern . . .?

Freiherr Dieser Besuch gestern, das war ein Gaudium; ein veritabeles Gaudium! Vater Schellhorn übertraf meine kühnsten Erwartungen.

Gerda Was sagte er denn?

Freiherr Kind, das läßt sich nicht schildern. Das muß man gesehen haben. Er war wie ein Fisch, dem man einen recht fetten Köder hinhält. Er schnappte ohne Besinnen zu und verschlang den leckeren Bissen mitsamt dem Haken. Ein diabolischer Genuß, daß mir gerade dieses Prachtexemplar vor die Angel kam!

Gerda Und wie ist die Mutter?

Freiherr Aus ihr werd' ich noch nicht klug. Ich hätte sie kaum wiedererkannt. Das war einmal ein lustiges, übermütiges junges Mädchen. Gestern erschien sie mir so mechanisch, so künstlich – fast wie ein Automat.

Gerda Sie werden also kommen?! 121

Freiherr Ob sie kommen werden! Am liebsten gleich zweimal. Sie halten es ja gar nicht mehr aus, bis sie der Ehre teilhaftig werden, meiner Tochter die Hand zu drücken!

Gerda Es ist aber doch ein falsches Spiel! Ich hätte Ihnen nicht zumuten dürfen . . .

Freiherr Kind, wie gesagt, das nehm' ich auf mich. Darüber mach' ich mir nicht die geringsten Skrupel. Überdies hab' ich den braven Leutchen keine einzige Unwahrheit gesagt. Und was ich ihnen vorderhand verschwieg, das ihnen zu notifizieren ist nicht meine Sache, sondern die ihres Sohnes.

Gerda Aber trotzdem . . .

Freiherr Und bedenke, wie sehr ihm diese immerhin heikle Aufgabe erleichtert wird, wenn sie dich bereits kennen. Dann haben sie sich in gewissem Sinne engagiert; dann wird es für ihn nicht einmal einen Sturm absetzen. Höchstens macht mein Freund Schellhorn zuerst ein etwas langes Gesicht, und das gönn' ich dem Fuchsschwänzer.

Gerda Aber wenn Edmund mir's schließlich doch verdenkt, daß ich hinter seinem Rücken . . .

Freiherr Liebes Kind, warum soll er dir denn verdenken, was zu eurem beiderseitigen Besten geschieht? Du sagtest ja 122 selbst, daß es sein Traum gewesen ist. Sobald die Eltern hier waren – womöglich noch heute –, werden wir versuchen, seiner habhaft zu werden, und für den Rest ist mir nicht bange.

Gerda Sind Sie denn ganz sicher, daß nicht auch er schon heute vormittag hierherkommen wird, um Ihren Besuch zu erwidern?

Freiherr (nachdenklich) Hm! Ich hab' ihn zwar absichtlich nicht aufgefordert . . .

Gerda Und wenn er unvorbereitet, ahnungslos mich hier träfe – am Ende gar in Gegenwart seiner Eltern . . .!

Freiherr Nein, das wollen wir freilich nicht haben. Aber bei mir tritt niemand unangemeldet ins Zimmer. Du würdest auf jeden Fall vorher Zeit finden, zu retirieren.

Gerda Wär's nur schon vorüber! Ich fürchte mich so . . .

Freiherr Wovor?

Gerda Ob ich seinen Eltern auch wirklich gefallen werde?

Freiherr (heiter) Ja, Kind, das ist nun deine Sache.

Gerda Ich weiß ja gar nicht, mit was für einer Miene ich ihnen gegenübertreten, wie ich mich anstellen soll. 123

Freiherr Gib dich, wie du bist.

Gerda Und dann, wenn sie anfangen werden zu fragen . . .

Freiherr Da mußt du eben hübsch vorsichtig sein und dich nicht verplappern.

Gerda Ich kann so schlecht lügen. Man merkt es immer gleich.

Freiherr Du wirst es auch nicht nötig haben. Die Diskussion wird sich in konventionellen Gleisen bewegen, und sollte sie an eine Klippe geraten – ich werde sie schon daran vorbeisteuern. Das lernt man in meinem Metier.

Gerda Ich will mir alle Mühe geben . . .

Freiherr So recht. Aber jetzt sollst du dir endlich einmal dein Zimmer ansehen. Komm! (Er geht zur Tür links vorn)

Friedrich (von links hinten) Frau von Tönning fragt, ob Exzellenz zu sprechen sind.

Freiherr Ja; eintreten lassen. (Friedrich ab)

Gerda (unsicher) Soll ich . . . 124

Freiherr Sie kommt vermutlich deinetwegen. Sie wird hören wollen . . .

Dritter Auftritt

Freiherr. Gerda. Ellen

Ellen (tritt aufgeregt ein, von links hinten) Entschuldigen Sie tausendmal, Exzellenz, wenn ich Sie vor der Besuchsstunde überfalle.

Freiherr (ihr entgegen) Meine Freunde sind mir zu jeder Stunde willkommen. – Sie wollen sich wohl nach Ihrem Schützling erkundigen?

Ellen Ich . . . (Sie bemerkt Gerda) Ah, Fräulein Gerda ist schon hier? Also alles in Ordnung?

Freiherr So ziemlich. Nur bitten wir Sie vorerst um Ihre Verschwiegenheit.

Ellen Darauf können Sie bauen. Denn mit mir spricht man überhaupt nicht mehr.

Freiherr Wie?

Ellen Ja, liebes Fräulein, wir haben die Rollen getauscht. Sie sind nun geborgen, und ich bin es, die sich nach einem Schutz umschauen muß. 125

Gerda Sie scherzen, gnädige Frau!

Freiherr Was geht denn vor?

Ellen Kann ich auf zwei Worte . . .

Gerda (sich diskret verabschiedend) Sie werden mich entschuldigen, gnädige Frau.

Freiherr Ja, mein Kind, mach es dir drinnen behaglich. Wenn es so weit ist, werd' ich dich rufen lassen. (Er begleitet sie zur Tür links vorn; mit gedämpfter Stimme) Nur Mut! Und zieh dir das Kleid an, das dir am besten steht. (Gerda ab links vorn)

Vierter Auftritt

Freiherr. Ellen. (Dann) Friedrich

Ellen Sie haben jetzt wahrscheinlich anderes im Kopf . . . .

Freiherr Aber liebe Freundin, ich bin ganz zu Ihrer Verfügung! Was mich jetzt beglückt, das ist ja zum großen Teil Ihr Werk. Und nichts wird mich aufrichtiger freuen, als wenn ich Ihnen meine Erkenntlichkeit beweisen kann.

Ellen Ja, das können Sie nun. 126

Freiherr Befehlen Sie!

Ellen Sie wissen also noch gar nicht, daß ich verfemt bin?

Freiherr Verfemt – Sie?

Ellen Von der korrekten Gesellschaft mit Acht und Bann belegt. Gemieden, als wär' ich die schlangenhaarige Sünde in Person.

Freiherr Man hat gewagt . . .?

Ellen Ja, man hat – und zwar mit Erfolg. Eine verleumderische Medisance; an und für sich nichts als eine Albernheit. Aber ich habe ihre Tragweite unterschätzt. Gestern, auf einem Wohltätigkeitsbazar, konnt' ich in dieser Hinsicht die lehrreichsten Studien machen. Eine gute Freundin, die plötzlich auffallend kurzsichtig geworden ist . . . Ein alter Bekannter, der ein Gespräch mit anderen eifrigst fortsetzt, statt wie sonst zu meiner Begrüßung herbeizustürzen . . . Verschiedentliche Gruppen, die untereinander tuscheln und wie ertappte Verschwörer ungeschickt verstummen, sobald man in ihre Nähe kommt . . . Irgend jemand, den man anspricht, und der mit einem verlegenen Grinsen antwortet, als wollte er sagen: O rühret, rühret nicht daran . . . Ich hätte mich über die Farce halb tot gelacht, wenn nicht ich zufällig ihre unfreiwillige Heldin wäre.

Freiherr Das sieht der Bande ähnlich! Natürlich lauter Lilien und weiße Lämmer? 127

Ellen Durch die Bank.

Freiherr Und was sagt Ihr Schwager dazu?

Ellen Er forscht nicht weiter nach, sondern läßt mich fallen.

Freiherr So, so! Mein Schellhorn! –

Ellen Kurzum, ich sitze in der Patsche.

Freiherr Nun denn, auch ich forsche nicht weiter nach. Mir genügt die Gewißheit, daß Sie nichts getan haben und nichts tun können, was Ihrer nicht würdig ist.

Ellen So spricht ein Freund.

Freiherr Zeigen Sie mir den Weg, auf dem ich Ihnen nach Ihrer Ansicht am schnellsten und sichersten dienen kann.

Ellen Ich . . .

Friedrich (von links hinten, meldet) Seine Exzellenz, der Herr Minister von Wittinghof.

Freiherr (unschlüssig) Mein Bruder . . . 128

Ellen Sie werden ihn doch nicht warten lassen?

Freiherr Aber unser Thema . . .

Ellen Das geht auch ihn an.

Freiherr (zu Friedrich) Lassen Sie eintreten. (Friedrich ab)

Ellen Ja, ich wollte Sie sogar bitten, mir eine Unterredung mit ihm zu erwirken.

Freiherr Ach so! Dann . . .

Fünfter Auftritt

Freiherr. Ellen. Minister von Wittinghof

Minister (von links hinten) 'Tag, Max.

Freiherr Guten Tag, Karl.

Minister Endlich konnt' ich eine Stunde für dich herausschinden. Ich war die ganze Woche so überhäuft . . .

Freiherr Du kennst Frau von Tönning? 129

Minister Ich glaube, ich hatte bereits den Vorzug. (Sich verbeugend) Gnädige Frau . . .

Freiherr Frau von Tönning wünscht dich in einer dringlichen persönlichen Angelegenheit zu sprechen, und du würdest mich sehr zu Dank verpflichten . . .

Minister Ich kann mir schon denken, gnädige Frau, um was es sich handelt.

Ellen Exzellenz sind orientiert?

Minister Vollkommen. Und seien Sie vorweg versichert, ich bin über diese nichtsnutzige Geschichte aufs tiefste empört. (Zum Freiherrn) Mein bester Mitarbeiter, ein Mann, den ich als Beamten wie als Menschen gleich hochschätze, wird mir in der widerwärtigsten Weise an den Pranger geschleift . . .

Ellen Mit mir!

Minister Man beginnt ein Kesseltreiben gegen einen Unschuldigen. Denn daß an dem ganzen Tratsch kein wahres Wort ist, hab' ich nicht einen Moment bezweifelt. Ich bürge für Aubert.

Ellen Und ich bürge für Frau von Tönning.

Freiherr Ich auch! 130

Minister Ich stehe einer handgreiflichen Infamie gegenüber, und ich bin außer stande, auch nur einen Finger zu rühren!

Ellen Das, Exzellenz, ist wohl nicht möglich. Wer könnte in solchem Fall sein Wort mit Gewicht in die Wagschale werfen, wenn nicht Sie in Ihrer hohen, von allen Seiten respektierten Stellung!

Minister Von allen Seiten? Hm, das ist viel gesagt.

Freiherr Aber du wirst doch für deinen Untergebenen einspringen?

Minister Ich wäre dir unendlich dankbar, lieber Max, wenn du mir verrietest, wie. Man hat die Sache bereits nach allen Regeln der Kunst systematisch aufgebauscht. Ein vielgelesenes radikales Blatt hat sich des willkommenen Stoffes bemächtigt. All die Elemente, denen im Kampf gegen die Regierung jedes Mittel recht ist, stoßen ins Horn: Die Sittenverderbnis in den offiziellen Kreisen! Die Lockerung der alten guten Zucht! Das Ärgernis, das von den bestallten Hütern der Ordnung gegeben wird! Der Fall Aubert! Schon bei dieser Überschrift kriegt ja der friedliche Bürger eine Gänsehaut.

Ellen Und Aubert selbst?

Minister Das ist es eben, was die Situation so kompliziert. 131 Aubert hat vor ein paar Tagen, noch ehe der Skandal losbrach, mich aus Gesundheitsrücksichten um Urlaub gebeten und ist nach den italienischen Seen gereist.

Ellen Davon wußt' ich nichts. War er denn nicht wohl?

Minister Offenbar hat er schwere häusliche Stürme durchgemacht. Sein Aussehen wenigstens ließ darauf schließen.

Ellen Der ärmste!

Minister Dieser Urlaub wird nun natürlich zu seinen Ungunsten ausgelegt . . .

Freiherr Versteht sich!

Minister Und seine Frau, die hier zurückgeblieben ist, scheint leider noch Öl ins Feuer zu gießen.

Ellen Sie ist dreiviertel unzurechnungsfähig.

Minister Aber man glaubt ihr.

Ellen Und Exzellenz können nicht rundweg erklären, daß alles erlogen ist?

Minister Privatim werd' ich das jedem erklären, der es hören 132 will. Aber öffentlich? Das könnte doch nur in der Form eines offiziösen Dementi geschehen.

Ellen Nun, und?

Minister Erstens haben wir schon sehr viel dementiert, was trotzdem kein Mensch sich ausreden läßt, und zweitens können wir doch nur behaupten, was wir im Notfall auch beweisen können. Ich frage dich, lieber Max, ob ich in meiner amtlichen Qualität dafür einstehen kann, daß mein Ministerialdirektor ein treuer Ehemann gewesen ist?

Freiherr Kaum. Aber es muß doch irgend ein Individuum geben, dem man da an die Gurgel fahren kann. Den ersten Verbreiter des Gerüchtes . . .

Ellen Den Redakteur des Schundblattes!

Minister Soll Aubert vielleicht von dem Tintenbuben Satisfaktion verlangen? Das würde dem nur Stoff liefern zu einem neuen Schandartikel!

Ellen Ich sehe schon, Exzellenz, es wird nichts übrig bleiben, als die Gerichte anzurufen.

Minister Ein Prozeß? Um Himmels willen, gnädige Frau! Davor kann ich nur aufs dringendste warnen. 133

Ellen Wie?

Minister Die Angeklagten würden unter dem Deckmantel des Wahrheitsbeweises so viel schmutzige Wäsche zusammentragen, daß die Luft im weiten Umkreis verpestet würde . . .

Ellen Und wenn Aubert schwört?

Minister Dann wird er bis an sein Lebensende unter dem Verdacht stehen, einen galanten Meineid geleistet zu haben.

Freiherr (kopfschüttelnd) Schauderhaft!

Minister Ja, diese Art von Verleumdung ist die gefährlichste, weil sie am leichtesten Glauben findet und am schwersten zu widerlegen ist.

Ellen Exzellenz wissen mir also keinen Rat? Nach Exzellenz' Anschauung ist die Ehre einer Frau in unserem Rechtsstaate vogelfrei?

Minister Auf diesem Gebiet, gnädige Frau, sind wir alle vogelfrei. Der Höchste wie der Niedrigste. Jeder von uns kann eines Morgens aufwachen und den guten Namen, mit dem er sich schlafen gelegt hat, nicht wiederfinden.

Ellen Nun wahrhaftig, meine Herrn Exzellenzen, das sind nette Zustände. 134

Freiherr Ja, liebe Freundin, Sie haben recht! Da müßte die Axt an die Wurzel gelegt werden. Mein Bruder, das seh' ich ein, kann hier wenig ausrichten. Aber auf meinen rückhaltlosen Beistand dürfen Sie sich verlassen!

Ellen Wenn der Herr Minister mit all seiner Macht hier nichts ausrichten kann, was wollen Sie denn tun? Wollen Sie sich auf die Straße stellen und ausrufen, daß ich schuldlos bin? Oder wollen Sie ganz Berlin vor die Klinge fordern?

Freiherr Ich werde demonstrativ mit Ihnen verkehren . . .

Ellen Dann wird man sagen, mit Ihnen hätt' ich auch was.

Freiherr Ich werde . . .

Ellen Dank für die gute Absicht, mein Freund. Aber es hilft nichts; ich muß mich damit abfinden, daß ich fortan nicht mehr für voll genommen werde. Man kann ja auch mit so einem kleinen Makel ganz vergnügt sein. Es chokiert einen nur, daß man ihn nicht redlich verdient hat. Es chokiert einen, daß man sich Zeit seines Lebens mit der Anständigkeit so viel überflüssige Mühe gegeben hat. Denn da die Tugend einem ohnehin nicht leicht wird, so müßte sie doch mindestens einen Zweck haben. Aber welchen? (Sich verabschiedend) Vielleicht, meine Herren, denken Sie einmal darüber nach und lassen mich das Resultat wissen. Es wäre mir sehr interessant. 135

Minister (bedauernd) Gnädige Frau . . .

Freiherr Wollen Sie mir nicht . . .

Ellen (abschneidend) Pas de cérémonies. Meine Herrn Exzellenzen, ich habe die Ehre.

(Sie geht, vom Freiherrn bis zur Tür geleitet, ab links hinten)

Sechster Auftritt

Freiherr. Minister. (Dann) Friedrich

Freiherr (zurückkommend) Karl das ist ja doch haarsträubend! Diese prächtige Frau . . . Sie hat recht, tausendmal recht mit jeder Silbe! Und die Hand in den Schoß legen müssen! Den Kampf nicht aufnehmen können, weil man keine Waffen hat! Dabei kannst du so ruhig bleiben?

Minister Man wird mit der Zeit abgebrüht. Ich will ganz zufrieden sein, wenn ich Aubert halten kann.

Freiherr Du glaubst . . .

Minister Ja, falls der Rummel sich nicht bald im Sande verläuft . . .

Freiherr Dann soll unter deiner Mitwirkung die Niedertracht triumphieren? 136

Minister Lieber Alter, kann ich denn, wie ich will? Die gute Frau sprach immer von meiner Macht. Wenn die wüßte! Wie singt Wotan in der Walküre? »Ich Unfreiester aller!« Der muß Minister gewesen sein.

Freiherr So resigniert bist du geworden?

Minister Und obendrein noch den Prügelknaben abgeben zu müssen für alles, was man nicht ändern kann – ein erbauliches Geschäft!

Freiherr An der Stelle zu stehen, wo du nun stehst, das war einmal mein höchster Traum.

Minister Ja, das Träumen war von jeher deine Passion. Aber der Realpolitiker beschränkt sich darauf, das Erreichbare zu wollen.

Freiherr Das Erreichbare! Das heißt das Gegenteil von dem, was des Erreichens wert ist.

Minister Er muß mit den vorhandenen Faktoren rechnen.

Freiherr Und darf aus eigenem keinen neuen hinzufügen.

Minister Man wird bescheiden, Max. Wenn ich alljährlich meine 137 paar Vorlagen durchdrücken kann, dann komm' ich mir schon sehr erfolgreich vor. – Aber nun zur Sache. Als du mir vorgestern die sensationelle Neuigkeit mitteiltest, wurden wir unterbrochen. Bei mir werd' ich ja immer unterbrochen. Der reine Taubenschlag! Drum zog ich es vor, zu dir zu kommen.

Freiherr Sehr freundlich von dir.

Minister Ich habe mich nicht verhört? Es ist dein ernstlicher Entschluß, dieses Mädchen für legitim erklären zu lassen?

Freiherr Mein ernstlicher Entschluß.

Minister Den du reiflich erwogen hast?

Freiherr Sehr reiflich.

Minister Max, wir sind beide keine Jünglinge mehr. Ich möchte weder alte Zwistigkeiten erneuern . . .

Freiherr Mit andern Worten, du bist dagegen?

Minister . . . noch mich als das Familienoberhaupt aufspielen.

Freiherr Würde dir auch nichts nützen. 138

Minister Aber der Ältere muß immer der Vernünftigere sein.

Freiherr Es hat mir bekanntlich keinen Segen gebracht, lieber Karl, daß ich einmal deiner überlegenen Vernunft gewichen bin.

Minister Nochmals, lassen wir die alten Geschichten ruhen. Wir zwei, als die allein zurückgebliebenen Träger unseres Namens, wir müssen zusammenhalten. Ich möchte dich lediglich vor einer Übereilung warnen.

Freiherr Der Antrag ist bereits gestellt.

Minister Max, ich fürchte, du stürzest dich da mit deinem ganzen unpraktischen Idealismus in ein unübersehbares Abenteuer.

Freiherr Ein Abenteuer nennst du es, wenn ein Vater sein Kind anerkennen will?

Minister Du weisest damit öffentlich auf eine verjährte Schuld . . .

Freiherr Indem ich sie bezahle!

Minister Du brichst mit allen Traditionen deines Geschlechtes . . . 139

Freiherr Wenn es Tradition ist, die Folgen unserer Taten ausschließlich ihren Opfern aufzubürden, dann breche ich damit. Dann erlaube ich mir, der Tapferkeit und dem Rittersinn, die wir Adligen ja gepachtet haben, eine sachgemäßere Interpretation zu geben.

Minister Du hältst also dieses Wesen für würdig, deinen Namen zu tragen?

Freiherr Für nicht weniger würdig als mich selbst.

Minister Du bist vollkommen sicher, daß ihr bisheriges Leben einwandsfrei gewesen ist?

Freiherr War denn das meine einwandsfrei?

Minister Du wirst doch keine Parallele ziehen wollen . . .

Freiherr Nein, sondern ich hätte für beides einzustehn. Ich, der ich sie gegen meine heiligste Pflicht in der Welt allein gelassen.

Minister Du hast dir da ein ganzes System zurechtgelegt . . .

Freiherr Nein, ich räume nur auf mit dem System, das ihr euch zurechtgelegt habt. 140

Minister Aber Max, sieh doch ein einziges Mal die Dinge so an, wie sie sind! Vergegenwärtige dir die Wirkung . . .

Freiherr Welche Wirkung?

Minister Du bist doch nicht der erste beste. Der Fall wird Staub aufwirbeln . . .

Freiherr Sprich unverblümt! Befürchtest du, daß ich dir, daß ich deiner Stellung damit schaden könnte?

Minister Das hängt ganz davon ab. Im politischen Leben sind es eigentlich nie die Tatsachen, die den Ausschlag geben, sondern immer nur das, was daraus hervorwächst; was von Freund und Feind daraus gemacht wird. Aus ein und demselben Faktum läßt sich, je nach der leitenden Tendenz, ein Ruhmeskranz winden oder ein Strick drehen.

Freiherr Du hältst es also nicht für unmöglich . . .

Minister Darum kümmere dich nicht! Die Steine, über die ich purzeln könnte, sind so zahllos, daß es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt. Nach außen sieht es ja gottlob so aus, als ob ich fest im Sattel säße; was würde auch sonst aus meiner Autorität! Aber, unter uns gesagt . . . Es ist doch hier kein Zeitungsschreiber versteckt? 141

Freiherr Schwerlich.

Minister In Wirklichkeit hab' ich noch keinen Tag aufgehört, zu wackeln.

Freiherr Schau mal an!

Minister Ein bißchen früher oder später – mir gleich. Ich lege höchstens Wert auf einen guten Abgang. Mich schreckt der Gedanke nicht, in Lüdinghausen meinen Kohl zu bauen und meinen gelehrten Neigungen nachzugehn. Dazu mein glückliches Familienleben . . . Meine Kläre! Ich singe dir nicht ihr Lob, weil sie über jedes Lob erhaben ist.

Freiherr Da kannst du doch also den Wirkungen meines Schrittes mit kaltem Blut entgegensehen.

Minister Eben nicht! Die Sache hat ja noch eine intime, familiäre Seite. Zunächst die vermögensrechtlichen Konsequenzen . . .

Freiherr Ich denke, du bist mit Glücksgütern hinlänglich gesegnet, um nicht für die Deinen auf meine Erbschaft spekulieren zu müssen.

Minister Gewiß. Aber es kann mir immerhin – aus rein idealen Gründen – nicht gleichgiltig sein, wer künftig einen so beträchtlichen Teil des Familienbesitzes in die Hände bekommen soll. 142

Freiherr Mein Fleisch und Blut!

Minister Und dann – das Mädchen würde dadurch auch formell ein Mitglied unserer Familie . . .

Freiherr Nun freilich.

Minister Sie würde unsere Nichte.

Freiherr Zweifellos.

Minister Wir könnten nicht umhin, sie bei uns zu empfangen.

Freiherr Und das wollt ihr nicht?

Minister Ich? O, ich bin nicht so. Aber wie ich das meiner Kläre plausibel machen soll . . .

Freiherr Hast du denn nicht einmal die Macht in deinem Hause?

Minister Lieber Alter, wenn man eine so vortreffliche Frau besitzt, dann muß man ihr doch mindestens in ihrem Ressort die entscheidende Stimme überlassen.

Freiherr Und ihr Ressort ist ziemlich umfangreich? 143

Minister Sie ist Mutter von drei unverheirateten Töchtern!

Freiherr Ja, mein lieber Karl, so leid es mir wäre – wenn ihr meine Tochter nicht empfangen könnt, dann muß ich auch wegbleiben.

Minister Max, ich bitte dich, nur nicht gleich die Kabinettsfrage! Was würde das für einen miserabelen Eindruck machen. (Nachdenkend) Hm! Sag mal, kannst du denn das Mädchen nicht verheiraten?

Freiherr O doch! Ich bin im Begriff.

Minister (erfreut) Ist's wahr?

Freiherr Und zwar mit einem durchaus gesellschaftsfähigen jungen Mann.

Minister Das sagst du mir erst jetzt! Damit nimmst du mir ja einen Zentner vom Herzen!

Freiherr Wieso?

Minister Das erleichtert, das vereinfacht alles! Sie führt dann den Namen ihres Mannes, nicht den unsrigen. Eine verheiratete Frau – da forscht man nicht so ängstlich nach; da drückt man gern ein Auge zu. Sogar meine Kläre . . . 144

Freiherr Du hoffst?

Minister Und wenn du es obendrein so einrichten könntest, daß ihre Legitimierung erst gleichzeitig mit ihrer Verlobung verkündet wird . . .

Freiherr Du meinst?

Minister Ja, noch besser, wenn man es so hinstellt, als ob du sie nur zu dem Zweck legitimierst, um diese Heirat zu ermöglichen . . .

Freiherr Kurz, wenn man das Ding so lange dreht und wendet, bis es ein gänzlich unwahres Gesicht bekommt . . .

Minister Es ist ja nur wegen Kläre!

Freiherr Nein, mein lieber Karl, die Politik der doppelten Buchführung, die mach' ich nicht mehr mit!

Minister Was heißt das?

Freiherr Das heißt, ich decke die Karten auf. Dieser Schritt ist nur der erste.

Minister Ich verstehe nicht . . .

Freiherr Karl, fühlst du denn nicht auch, daß es so nicht mehr 145 weiter geht! Daß unsere ganze offizielle Moral nichts anderes mehr ist als ein Mummenschanz! Zweierlei Ansichten über alles – eine fürs Haus und eine für den Markt; jeder betrügend, und jeder wissend, daß er wieder betrogen wird; unser Denken in fortwährendem Widerspruch mit unserm Reden, unser Reden mit unserm Handeln; unser Ja Nein und unser Nein Ja; die gesamte gute Gesellschaft nur noch ein Aktienunternehmen zur Aufrechterhaltung des leeren Scheins – siehst du denn nicht, welch ungeheuren, unberechenbaren Vorsprung das denen verleiht, die nur eine einzige Meinung haben und sie furchtlos bekennen?

Minister (achselzuckend) Du bist und bleibst ein Phantast.

Freiherr Das wird sich zeigen. Paß mal auf, über kurz oder lang sitz' ich im Parlament und mache dir Opposition.

Minister (ausbrechend) Tu das, mein Alter. Die Welt wird deshalb nicht aus den Fugen gehn. Das Prinzip, dem ich diene, ist stärker als du und ich zusammengenommen.

Freiherr Mag sein; aber . . .

Friedrich (von links hinten, meldet) Herr und Frau Geheimrat Schellhorn.

Minister Solange dieses Prinzip noch solche Stützen findet . . . 146

Freiherr Wie Schellhorn? (Er bedeutet Friedrich durch einen Wink, die Gemeldeten einzulassen. Friedrich ab)

Minister In ihm hast du ein Beispiel, daß es auch bei uns noch eine einheitliche Moral gibt, und die heißt stramme Pflichterfüllung.

Siebenter Auftritt

Freiherr. Minister. Geheimrat. Johanna (von links hinten)

Freiherr (den Eintretenden entgegen) Gnädige Frau, Herr Geheimrat, ich freue mich ganz besonders, Sie bei mir zu sehen.

Geheimrat Exzellenz . . . (Begrüßung)

Minister (vortretend) Auch ich freue mich, Ihnen hier zu begegnen.

Geheimrat (zum Minister) Exzellenz . . . (Zu Johanna) Siehst du, lieber Schatz, was hab' ich dir unten gesagt? Ich kenne die Equipage Seiner Exzellenz.

Minister (scherzend) Ja, gnädige Frau, darin hat Ihr Herr Gemahl recht behalten. – Nun, mein lieber Geheimrat, was sagen Sie zum »Fall Aubert«? 147

Geheimrat Exzellenz, seit undenklicher Zeit hat mich nichts so tief geschmerzt.

Minister Ja, es ist ekelhaft.

Geheimrat Wer hätte das hinter Aubert gesucht!

Minister Halten Sie es denn nicht auch für eine pure Erfindung?

Geheimrat Wie glücklich wäre ich, wenn ich das dürfte!

Minister So? Nun, jedenfalls werd' ich Ihnen einen Teil seiner Arbeit aufpacken müssen.

Geheimrat Exzellenz wissen, daß mir nie eine Arbeit zu viel sein kann, die mein Chef mir anvertraut.

Minister (sich zum Freiherrn wendend) Ja, lieber Max, der Geheimrat Schellhorn, das ist noch einer von der alten guten Schule.

Freiherr Ich zweifle nicht.

Minister Und was unser vorheriges Thema betrifft – es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht. 148

Freiherr Umso besser.

Minister (sich von Geheimrat und Johanna verabschiedend) Meine Herrschaften . . . Es ist meine Empfangszeit. In meinem Vorzimmer wird schon ein mörderisches Gedränge sein. Man darf die treuen Untertanen nicht allzu ungeduldig werden lassen. (Ab links hinten)

Achter Auftritt

Freiherr. Geheimrat. Johanna

Geheimrat (dem Minister nachblickend) Es ist doch etwas Herrliches um einen wahrhaft großen Mann; was, Johanna?

Johanna Ja, Gustav.

Freiherr Der große Mann hat sich höchst anerkennend über Sie ausgesprochen.

Geheimrat O, das beschämt mich geradezu.

Freiherr Wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen?

Geheimrat (sich umsehend, während er sich setzt) Es ist ja ganz reizend bei Exzellenz.

Johanna (ebenso) Ganz allerliebst. 149

Freiherr Da sagt Ihnen der Geschmack meines Vermieters mehr zu als mir. Aber für einen ersten Unterschlupf . . .

Johanna Sie haben ein kleines Museum daraus gemacht.

Geheimrat Und die Baronesse? Sie ist doch nicht etwa ausgefahren?

Freiherr Bewahre. (Er klingelt) Sie wußte ja, daß ich Ihren Besuch erwarte. (Zu Friedrich, der von links hinten eingetreten ist) Ich lasse meine Tochter bitten, hereinzukommen. (Friedrich ab links vorn)

Geheimrat Unser Sohn hat sich übrigens nachträglich sehr gut erinnert . . .

Freiherr Aha!

Geheimrat Es war nur seine momentane Befangenheit . . .

Freiherr Ganz begreiflich. (Er sieht Gerda eintreten) Da ist sie.

(Geheimrat und Johanna stehen auf)

Neunter Auftritt

Vorige. Gerda (in einem anderen Kleid, von links vorn. Dann) Friedrich

Freiherr (ihr entgegen) Mein Kind, Herr und Frau Geheimrat Schellhorn wünschen dir guten Tag zu sagen. 150

Gerda (sehr befangen, verbeugt sich)

Geheimrat Gnädigste Baronesse, wir haben schon so viel Gutes von Ihnen gehört . . .

Johanna Es ist uns ein Vergnügen . . .

Geheimrat Nein, diese Ähnlichkeit mit Ihrem Herrn Vater – fabelhaft!

Freiherr Ein großes Kompliment für mich.

Geheimrat Allerdings! – Baronesse, wenn Ihnen an der ehrlichen Bewunderung eines alten Knaben etwas gelegen sein kann . . .

Johanna Ja, Ihnen hat die Natur es leicht gemacht, zu gefallen.

Gerda (bemüht sich, zu lächeln) Sie sind sehr . . .

Freiherr Nehmen Sie doch wieder Platz!

Geheimrat Entzückend, wie die Baronesse noch rot wird, wenn man ihr sagt, was sie alle Tage zu hören bekommt. (Er setzt sich)

Johanna (sich setzend) Eine Tochter, die hab' ich mir immer gewünscht. 151

Gerda (sich setzend) Wirklich, gnädige Frau?

Geheimrat Ich gleichfalls, Baronesse. – Wie haben Exzellenz das nur ausgehalten, von einer solchen Tochter so lange getrennt gewesen zu sein?

Freiherr Ja, das frag' ich mich selbst.

Johanna (zu Gerda) Und Sie haben gewiß auch Ihren Vater sehr vermißt?

Gerda (gepreßt) Ja.

Johanna Wir haben erst jetzt durch ihn erfahren, daß Sie in Berlin erzogen worden sind.

Geheimrat Und wir waren untröstlich, daß wir es nicht früher gewußt haben.

Gerda Sehr gütig!

Geheimrat Ein Verlust, für den Sie uns hoffentlich schadlos halten werden.

Gerda Wenn Sie wollen . . .

Geheimrat Wir bitten darum! 152

Johanna Es würde mich sehr freuen, wenn Sie sich bei uns heimisch fühlen könnten.

Gerda (langsam auftauend) Mich gleichfalls, gnädige Frau.

Geheimrat Baronesse waren hier in einem Institut?

Gerda Nein, ich habe die öffentliche Schule besucht.

Geheimrat Also modern!

Freiherr Meine Tochter hat diese Jahre redlich genützt. Ich bin selbst überrascht, was für eine vielseitige Bildung sie sich erworben hat.

Geheimrat Das läßt sich denken! Sie spielen gewiß ausgezeichnet Klavier? Sie singen? Sie malen?

Gerda Nein, dazu hatte ich wenig Zeit. Ich habe das Lehrerinnenexamen gemacht.

Geheimrat Ist die Möglichkeit! Allen Respekt!

Johanna Erstaunlich!

Gerda Dabei ist doch nichts Außergewöhnliches. Das machen heute sehr viele junge Mädchen. 153

Geheimrat Aber nicht viele aus vornehmer Familie. Bei einer Dame von Stand ist das doppelt anerkennenswert.

Gerda Warum doppelt? Andere haben oft mit weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen.

Freiherr Sehr wahr, mein Kind.

Geheimrat Aber Sie, Baronesse, hatten es nicht nötig!

Gerda Man ahnt nie, in was für Situationen man noch einmal kommen kann.

Freiherr Mir aus der Seele gesprochen, mein Kind.

Johanna Ach ja, es kann nicht schaden, wenn man gelernt hat, auf eigenen Füßen stehn.

Geheimrat (nachdem er Johanna einen mißbilligenden Blick zugeworfen) Und außerdem sollen Sie auch noch eine vorzügliche Tänzerin sein.

Gerda Ich?

Geheimrat Das hat unser Sohn uns verraten. 154

Gerda So?

Geheimrat Er hat ja die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein.

Gerda (wird unruhig) Ja, ich kenne ihn.

Geheimrat Er hat uns von Ihnen vorgeschwärmt.

Gerda Von mir?

Geheimrat Niemand tanzt so graziös, versicherte er uns, wie die Baronesse Wittinghof.

Gerda (sucht die Augen des Freiherrn) Merkwürdig.

Freiherr Darauf kannst du dir was einbilden.

Geheimrat Ja, wenn unser Edmund so etwas behauptet, da darf man ihm glauben. Er hat sonst wenig Zeit und Sinn für die jungen Damen.

Freiherr In seinem Alter?

Geheimrat Er ist zu schüchtern.

Freiherr Was Sie nicht sagen! 155

Geheimrat Trotz seinen achtundzwanzig Jahren ist er noch ein großes Kind. (Ärgerlich, daß seine Frau nicht zustimmt) Nicht wahr, liebe Johanna?

Johanna Ja, lieber Gustav.

Geheimrat (zu Gerda) Wo haben Sie sich doch gleich das letzte Mal getroffen? Bei . . . (Er tut, als suche er nach dem Namen)

Gerda (hilflos den Freiherrn ansehend) Bei . . .

Freiherr Nun, das fällt dir wohl noch ein. (Aufstehend) Übrigens – Sie wollten ja meine Kollektion besichtigen . . .

Johanna (aufstehend) Sehr gern.

Geheimrat (aufstehend) Ich begreife gar nicht, Johanna, wieso er noch nicht hier ist.

Freiherr Wer?

Geheimrat Unser Sohn. Er will doch natürlich Exzellenz auch seine Aufwartung machen.

Freiherr Ah! (Er wirft Gerda, die erschreckt aufgestanden ist, einen beruhigenden Blick zu) 156

Geheimrat Vielleicht, daß er auf seinem Bureau zurückgehalten wurde . . .

Freiherr (lächelnd) Es eilt ja nicht so.

Friedrich (von links hinten) Exzellenz . . .

Freiherr Was ist?

Friedrich Draußen ist eine Frau Schwalb und fragt . . .

Gerda (rasch) Nach mir?

Friedrich Befehl. Sie sagt, sie hätte einen Brief . . .

Gerda (abschneidend) Ganz richtig.

Freiherr (zu Friedrich) Führen Sie die Frau auf das Zimmer der Baronesse! (Friedrich ab links hinten)

Gerda (unsicher zum Freiherrn) Soll ich . . .

Geheimrat (zu Gerda) Lassen Sie sich nur ja nicht stören.

Freiherr Sie kann einen Augenblick warten, Kind.

Gerda Ja gewiß. 157

Johanna Wie geschmackvoll ist Ihr Kleid, Baronesse! Ich hab' es schon die ganze Zeit bewundert.

Gerda So? Es gefällt Ihnen?

Johanna So einfach und doch so distinguiert. Wo lassen Sie arbeiten?

Gerda Bei einer ganz kleinen Schneiderin.

Geheimrat Also haushälterisch sind Sie auch! Alle Tugenden vereinigt!

Johanna Das ist wahr.

Friedrich (von links hinten, meldet) Herr Regierungsassessor Schellhorn.

Geheimrat Nun also! Endlich!

Freiherr (sich wieder mit Gerda durch einen Blick verständigend) Sehr angenehm – Halt, Friedrich! Haben Sie die Frau da hinein geführt?

Friedrich (stehen bleibend) Befehl, Exzellenz. 158

Freiherr Es wird doch richtiger sein, Kind, wenn du sie gleich abfertigst.

Gerda Wenn die Herrschaften verzeihen . . . (Sie geht schnell zur Tür links vorn)

Geheimrat Selbstverständlich.

Freiherr (ist Gerda zur Tür gefolgt; zu Friedrich) Lassen Sie eintreten. (Friedrich ab. – Freiherr raunt Gerda zu) Du kommst nicht wieder, bis das Feld rein ist!

Gerda (nickt und verschwindet)

Zehnter Auftritt

Freiherr. Geheimrat. Johanna. (Gleich darauf) Edmund

Geheimrat (ihr nachsehend) Sie ist bezaubernd.

Johanna Süß!

Edmund (tritt ein von links hinten; präokkupiert und seine Verstimmung mühsam verbergend) Exzellenz, habe mir gestattet . . .

Freiherr Überaus aufmerksam, Herr Assessor. – Da wäre ja nun die Familie beisammen. 159

Geheimrat (zu Edmund) Warum so spät?

Edmund (seine Eltern begrüßend) Konnte nicht früher loskommen.

Freiherr Nein, wie heutzutage die jungen Leute fleißig sind. – Also jetzt zu meinen Sehenswürdigkeiten, gnädige Frau. (Er geht zum Tisch rechts hinten) Da sind zunächst sehr hübsche Aufnahmen aus den Kordilleren. Ein grandioses Gebirge. Die Schweiz erscheint wie eine Miniaturausgabe davon.

Johanna (ist ihm gefolgt) Hochinteressant! (Sie betrachtet die Bilder, die der Freiherr ihr zeigt und erklärt)

Geheimrat (Edmund, der auch folgen wollte, im Vordergrund zurückhaltend; halblauter Dialog) Junge, schneide gefälligst kein solches Gesicht!

Edmund Jetzt hat sie den Brief! Ich kann an nichts anderes denken.

Geheimrat Schwachmatikus!

Edmund Wenn sie nur in der ersten Rage keinen dummen Streich macht!

Geheimrat Unsinn! Die Baronesse kann jeden Moment zurückkommen. Soll sie hier einen Jammerlappen finden?

Edmund Mir egal. 160

Geheimrat Mensch, du hast, weiß Gott, mehr Glück als Verstand! Ich bin ja rein weg! Das ist ja das entzückendste Geschöpf, das mir je begegnet ist! In die könnt' ich mich ja auf Kommando selbst verlieben! Eine Schönheit! Ein Engel!

Edmund Wenn du mein Mädel gesehen hättest . . . .

Geheimrat Hörst du noch nicht auf? Ich sage dir, die Vollkommenheit in Person, der Inbegriff aller weiblichen Vorzüge – und du kommst mir immer wieder mit deinem Mädel! Ein Blick wird dir genügen, um den kolossalen, himmelweiten Abstand zu ermessen zwischen dieser vollendet erzogenen, bis in die Fingerspitzen vornehmen, reizenden, taufrischen jungen Dame und . . .

Freiherr (Johanna erklärend) Das ist der berühmte Chimborasso.

Johanna Großartig!

Geheimrat (auf den Freiherrn deutend, zu Edmund) Komm!

Edmund Fataler Zustand! (Beide gehen zum Tisch rechts hinten)

Johanna (dem Geheimrat die Photographie reichend) Sieh nur, Gustav! 161

Geheimrat Gigantisch!

(Alle, um den Tisch herumstehend, sind nun mit den Bildern beschäftigt)

Freiherr (ein neues Blatt aufgreifend) Und hier, das ist der höchste Punkt der neuen Gebirgsbahn, die . . .

Elfter Auftritt

Vorige. Gerda

Gerda (kommt von links vorn hereingestürzt, den offenen Brief Edmunds in der Hand, bleich und in äußerster, besinnungsloser Erregung; mit heiserer Stimme) Nicht mehr nötig! Alles nicht mehr nötig! Das Versteckspiel ist aus – alles ist aus!

)Alle haben sich nach ihr umgewendet)

Freiherr (entsetzt) Kind, um des Himmels willen . . .! (Er eilt zu ihr)

Geheimrat (verständnislos) Was hat denn die Baronesse?

Edmund (wie angedonnert, mit weit aufgerissenen Augen) Gerda!! – –

Gerda (wild auflachend) Haha, das hat er fein gemacht; das hat er äußerst fein gemacht, der junge Mann aus guter Familie! Reich verheiraten muß er sich; der Herr Papa verlangt es so. 162 Und darum wirft er mich weg von gestern auf heut; darum stößt er mich fort wie einen Hund! Das sind seine Beteuerungen . . .

Geheimrat Die Baronesse ist krank! Sie redet irre!

Edmund (sich an den Kopf fassend) Wo bin ich denn?

Gerda Das sind seine Schwüre, seine Küsse . . .

Freiherr Kind, du bist außer dir; bedenk' . . .!

Gerda (zum Freiherrn) Und wissen Sie auch, für wen er mich wegwirft? Wissen Sie, wer die vorteilhafte Partie ist, für die er mich verrät und verkauft? Das ist Ihre Tochter! Haha, Ihre Tochter, der man soeben nach Noten die Kur gemacht hat, um sie für das Söhnchen zu angeln! Verstehen Sie?

Johanna Was ist das? – –

Geheimrat Bin ich verrückt? Sind wir alle miteinander verrückt?

Edmund Gerda . . .

Gerda (dem Freiherrn den Brief hinreichend) Da – lesen Sie! Lesen Sie! Und Sie werden ebenso lachen wie ich! Eine köstliche Geschichte, daß er 163 mir an demselben Tag den Stuhl vor die Tür setzen muß, wo er hier im Bratenrock angewedelt kommt als Heiratskandidat! Verstehen Sie? Er mußte erst reinen Tisch machen; der Herr Papa verlangt es so!

Edmund Gerda, wenn ich dir sage . . .

Geheimrat (zu Edmund) »Dir«?! Was heißt denn das? Was heißt denn das? Werd' ich nun bald erfahren . . .? Soll ich den Verstand verlieren?

Edmund Das hast du mir eingebrockt, Papa! Das hab' ich dir zu verdanken!

Geheimrat (lallend) Was heißt denn das? Was heißt denn das?

Freiherr (hat den Brief überflogen) Das ist stark!

Gerda Schade um den schlauen Plan, Herr Assessor! Schade, daß Sie nicht hier die Baronesse finden, die Sie suchten! Jammerschade, daß Ihre geliebte Gerda nicht mittlerweil daheim in ihrer Stube sich in Verzweiflung die Haare ausrauft, ohne daß ein Hahn nach ihr kräht! So haben Sie sich's doch gedacht! So haben Sie's doch gewollt!

Geheimrat Exzellenz! Ich bitte, Exzellenz! Wer ist denn das? Was heißt denn das? 164

Freiherr Dieser Auftritt lag außerhalb meiner Berechnung, Herr Geheimrat. Sie haben es zu eilig gehabt.

Gerda Ja, meine Herrschaften! Ja, meine nobelen, ansehnlichen, hochzuverehrenden Herrschaften! Ich bin nur ein armes Mädchen. Ein verführtes, betrogenes, verlorenes Mädchen! Aber schämen müssen Sie sich vor mir! Schämen bis in die Knochen! Und nicht um alle Herrlichkeiten der Welt möcht' ich Ihnen so gegenüberstehn, wie Sie jetzt mir!

Geheimrat Exzellenz! Exzellenz! Ist denn das nicht die Baronesse? Ist denn das nicht Ihre Tochter?

Freiherr (Gerda an sich ziehend) Ja, das ist meine Tochter, Herr Geheimrat. Das ist mein liebes, armes Kind.

Geheimrat Aber Allbarmherziger, wie soll ich mir dann . . .

Freiherr Sie sehen, daß mein Kind jetzt der Schonung bedarf. Alles weitere wird Ihnen Ihr Herr Sohn erklären. 165


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