Ludwig Fulda
Maskerade
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug

Salon bei Schellhorn. Gediegene Einrichtung von etwas steifem und altmodischem Geschmack. In der Mittelwand zwei Türen, von denen die linke nach dem Flur, die rechte zum Arbeitszimmer des Geheimrats führt. Zwischen beiden großer Kachelofen. In der Mitte der linken Seitenwand eine dritte Tür, zu den übrigen Wohnräumen führend. In der rechten Seitenwand Erker mit breitem Fenster. Links vorn Etablissement; rechts vorn Diwan. Allerlei Ziermöbel und Kunstgegenstände im übrigen Raum verteilt.

Erster Auftritt

Minna (reguliert den Ofen. Gleich darauf) Edmund

Edmund (im Hausrock, kommt, eine Cigarette rauchend, gähnend und sich reckend von links)

Minna (bemerkt ihn) Guten Morgen, Herr Assessor.

Edmund Morjen. (Er geht zum Fenster, konsultiert das Thermometer) Drei Grad über Null. Also nichts mit Schlittschuhlaufen. Schade. Was fängt der Mensch mit 'nem angebrochenen Sonntagvormittag an? Arbeiten? Na ja. – (Zu Minna) Eltern noch nicht zurück?

Minna Nee, Herr Assessor. 53

Edmund Langweilig, so 'n Sonntag – was, Minna?

Minna Nee, ich habe ja heute Ausgang.

Edmund Ausgang! Ja, wenn man das nicht hätte . . .

Minna Da sind die Herrschaften. (Sie geht nach dem Eintreten des Geheimrats und seiner Frau ab durch die Eingangstür)

Zweiter Auftritt

Edmund. Geheimrat (und) Johanna (kommen durch die Eingangstür, beide mit einem Gesangbuch in der Hand)

Edmund Morjen.

Johanna (apathisch). Guten Morgen.

Geheimrat Du hättest uns schon früher Gelegenheit geben dürfen, dir guten Morgen zu sagen.

Edmund Wieso?

Geheimrat Du bist wohl sehr spät aufgestanden?

Edmund Spät ist 'n relativer Begriff. 54

Geheimrat Jedenfalls hab' ich dich in der Kirche vermißt.

Johanna Pastor Rademacher hat sehr schön gepredigt.

Geheimrat Über den Text: »Selig sind, die da reinen Herzens sind.«

Johanna (mit Blick nach dem Geheimrat) Ja – sehr beherzigenswert.

Geheimrat (zu Edmund) Du hast bereits vor acht Tagen gefehlt. Ich muß mich wundern, daß du auf meine Wünsche nicht mehr Gewicht legst.

Edmund Aber Papa, du weißt doch, meine Frömmigkeit . . .

Geheimrat Darum handelt es sich gar nicht. Es handelt sich um das Beispiel, das man gibt. Wir Diener des Staates in erster Reihe haben dafür zu sorgen, daß dem Volke die Religion erhalten bleibt. Das kann man sich schon eine Stunde wöchentlich kosten lassen. – Übrigens, du mußt dir nur nicht einreden, daß deine Abwesenheit an maßgebender Stelle nicht bemerkt wird. Verschiedene deiner Vorgesetzten haben mich mit einer gewissen Ostentation nach dir gefragt.

Edmund Na, dann das nächste Mal. Ich geh' jetzt arbeiten. (Ab links) 55

Dritter Auftritt

Geheimrat. Johanna. (Dann) Minna

Johanna (hat sich auf den Diwan gesetzt und blättert mechanisch im Gesangbuch)

Geheimrat (links vorn sitzend, zieht aus der Tasche eine Zeitschrift, blickt hinein und schüttelt den Kopf)

Johanna (nach einer längeren Pause vor sich hin wiederholend) Selig sind, die da reinen Herzens sind.

Geheimrat (sehr barsch) Ich bitte, laß das jetzt! –

Minna (kommt nach einer Pause durch die Eingangstür) Herr Geheimrat . . .

Geheimrat Was gibt's?

Minna Der Kanzleisekretär Klettke ist draußen und fragt, ob Sie schon zu sprechen sind.

Geheimrat Ich habe Ihnen wiederholt gesagt, Minna, daß ich nicht mit »Sie« angeredet zu sein wünsche. »Klettke fragt, ob der Herr Geheimrat zu sprechen sind.«

Minna Ob der Herr Geheimrat zu sprechen ist. 56

Geheimrat (korrigiert) Sind!

Minna Sind.

Geheimrat Klettke soll hier herein kommen. (Sich zu Johanna wendend, sehr verbindlich) Heißt das, wenn es dir recht ist, liebe Johanna.

Johanna (abweisend) Mach doch, was du willst! (Minna auf ein Zeichen des Geheimrats ab Eingangstür)

Geheimrat (hat Minnas Verschwinden abgewartet) Ich muß dich wieder einmal an unsern Pakt erinnern. Sobald dritte zugegen sind . . .

Johanna Da spielst du den zärtlichen Gatten, und ich habe zu lächeln.

Geheimrat Wir haben vereinbart, sobald dritte zugegen sind, unter allen Umständen das Dekorum zu wahren. Ich meinerseits binde mich streng daran.

Johanna (zum Himmel blickend) Ich auch!

Geheimrat Unter dritten sind aber natürlicherweise auch die Dienstboten zu verstehen. Wenn wir allein sind . . .

Johanna Da wissen wir, was wir voneinander zu halten haben.

(Es klopft)

Geheimrat Herein! 57

Vierter Auftritt

Vorige. Klettke (durch die Eingangstür)

Klettke (mit Postsachen in der Hand; sehr devot) Ich habe die Ehre, Herrn und Frau Geheimrat einen untertänigsten guten Morgen zu wünschen.

Johanna (grüßt mit einem Nicken des Kopfes)

Geheimrat Guten Tag, lieber Klettke. – Ich habe Sie gebeten . . . (Zu Johanna) Herr Kanzleisekretär Klettke will nämlich so freundlich sein, liebe Johanna, die Einladungskarten zu unserer Gesellschaft mit seiner kalligraphischen Handschrift auszufüllen.

Johanna (mechanisch lächelnd) Sehr schön, lieber Gustav.

Klettke Stets zu Diensten, Herr und Frau Geheimrat. Stets zu Diensten. Ich habe auch gleich die Post vom Bureau mitgebracht . . . (Er reicht sie ihm hin)

Geheimrat Danke, lieber Klettke. (Während er die Postsachen an sich nimmt, fällt ein kleiner Brief in rosafarbenem Kuvert zu Boden)

Johanna (bemerkt es) Da ist ein Briefchen hingefallen, lieber Gustav.

Klettke (hebt es auf und gibt es dem Geheimrat) 58

Geheimrat (sieht es an und mischt es verlegen unter die anderen Sachen) Das . . . das sind lauter Amtsangelegenheiten, – – Also, Klettke, Sie finden drinnen auf meinem Arbeitstisch alles vorbereitet: die Liste der Einzuladenden, die Karten, die Kuverts.

Klettke Ich werde sofort . . .

Geheimrat Warten Sie mal. Bei einigen Namen finden Sie Fragezeichen. Das sind Herrschaften, bei denen wir noch nicht sicher sind, ob wir sie bitten werden oder nicht. Wir müssen das noch sehr genau überlegen, liebe Johanna.

Johanna Ich überlasse das ganz dir, lieber Gustav.

Geheimrat Nun, auf ein paar verdorbene Kuverts kommt es nicht an. Schreiben Sie los, Klettke.

Klettke Zu Befehl, Herr Geheimrat.

Geheimrat (ihm nachrufend) Mit Wohlgeboren, Hochwohlgeboren und Hochgeboren wissen Sie doch allein Bescheid?

Klettke Selbstverständlich, Herr Geheimrat. (Ab Mitteltür rechts) 59

Fünfter Auftritt

Geheimrat. Johanna. (Zuletzt) Minna

Geheimrat (sieht, Johanna den Rücken wendend, die Postsachen durch, öffnet dabei verstohlen das Briefchen und liest es mit dem Ausdruck der Befriedigung)

Johanna (ist aufgestanden und geht zur Tür links)

Geheimrat (es bemerkend, steckt das Briefchen ein) Willst du mir einen Augenblick Gehör schenken? Ich möchte einiges mit dir besprechen.

Johanna (wendet sich um) Du mit mir?!

Geheimrat Ist das so erstaunlich? Es gibt doch Angelegenheiten . . . Und meine Schuld ist es nicht, daß wir seit Jahr und Tag so fremd und stumm aneinander vorübergehn.

Johanna Deine nicht? –

Geheimrat Also . . .

Johanna Hat das nicht Zeit bis heute nachmittag?

Geheimrat Nein – unmöglich. Heute nachmittag, da . . . da hab' ich eine Konferenz. 60

Johanna Das dacht' ich mir!

Geheimrat (schnell) Was denn? Wieso denn?

Johanna Du hast ja meistens am Sonntagnachmittag Konferenzen. (Sie setzt sich) Nun?

Geheimrat Zunächst – Edmund. Ich mache mir Sorgen über den Jungen.

Johanna Du weißt, daß ich keinen Einfluß auf ihn habe.

Geheimrat Nun ja, es wird wohl besser sein, wenn ich selbst ihn mal gründlich ins Gebet nehme. – Sodann – hast du von deiner Schwester nicht gehört, ob es stimmt, daß der Bruder meines Chefs, der Gesandte von Wittinghof, bereits eingetroffen ist?

Johanna Möglich, daß sie mir so etwas erzählt hat.

Geheimrat Er soll schon seit fast einer Woche wieder in Berlin sein. Bei uns hat er natürlich noch keinen Besuch gemacht!

Johanna Ist das alles, was du mir zu sagen hast? 61

Geheimrat Nein. Die Hauptsache kommt erst. Grade über deine Schwester hab' ich mit dir zu reden.

Johanna Über Ellen?

Geheimrat Du erwartest sie heute?

Johanna Sie wollte vor zwölf Uhr hier sein.

Geheimrat Umso dringlicher, daß ich dir mitteile: deine Schwester hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach in heilloser Weise kompromittiert.

Johanna (auffahrend) Was sagst du da?

Geheimrat (zieht die Zeitschrift wieder hervor) Mir ist da heute früh ein Skandalblatt ins Haus geschickt worden. Offenbar, weil es nach Ansicht des ungenannten Absenders etwas bringt, was mich persönlich angeht. (Er blättert) Und in der Tat, es enthält eine Notiz, die man nicht gut auf jemand andern beziehen kann als auf meine Frau Schwägerin. Es wird darin von dem neuesten Eheskandal in höheren Gesellschaftskreisen gesprochen, (mit Betonung vorlesend) »in den eine allgemein beliebte, durch ihre vielseitige Wirksamkeit in Vereinen und ihren Wohltätigkeitssinn bekannte Witwe, Frau von T . . ., verwickelt sein soll.« Weitere pikante Enthüllungen werden in Aussicht gestellt. 62

Johanna (ihm das Blatt abnehmend) Zeig!

Geheimrat Hast du eine Ahnung, um welches Ehepaar es sich dabei handeln kann?

Johanna Und das nimmst du ernst?

Geheimrat Sehr ernst – allerdings. Denn falls meine Vermutung zutrifft . . .

Johanna Du hältst Ellen für fähig . . .?!

Geheimrat Pardon, wessen ich sie für fähig halte, das kommt hier gar nicht in Betracht. Es fragt sich nur, ob daraufhin der Ruf deiner Schwester noch als tadellos bezeichnet werden kann oder nicht.

Johanna (das Blatt auf den Tisch werfend) Wegen einer solchen gemeinen Klatscherei . . .

Geheimrat Diese Klatscherei zirkuliert heute in der ganzen Stadt. Man kauft solche Blätter nicht; aber man weiß, was drin steht. Alle Welt wird nach dem Namen forschen . . .

Johanna Es gibt noch andere wohltätige Witwen.

Geheimrat Die mit dem Buchstaben T anfangen? 63

Johanna Und Ellen ist nicht das geringste nachzusagen! Das weißt du ebensogut wie ich.

Geheimrat Ich weiß nur, daß sie sich nicht immer die Zurückhaltung auferlegt hat, die einer alleinstehenden Frau geziemt. In ihren Jahren – wie alt ist sie jetzt?

Johanna Sie ist vierzehn Jahre jünger als ich.

Geheimrat Also fünfunddreißig. Das allergefährlichste Alter für eine Frau. Da muß man doppelt und dreifach auf der Hut sein. Aber ihr freies Benehmen, ihre jugendlichen Toiletten, ihr keineswegs exklusiver Verkehr, ihr freundschaftlicher Umgang mit allerlei Herren . . .

Johanna Soll sie vielleicht ins Kloster gehn?

Geheimrat Ich bin nicht ihr Vormund. Hingegen für die Reinheit meines Hauses bin ich verantwortlich.

Johanna (mit verächtlichem Seitenblick) Die Reinheit! –

Geheimrat Und sollte sie effektiv die Heldin eines Skandals geworden sein, dann wäre ich zu meinem Bedauern vorerst nicht mehr in der Lage, sie offiziell bei mir zu empfangen. 64

Johanna Was?! Du willst sie verleugnen? Meine einzige Schwester willst du verleugnen?

Geheimrat (achselznckend) Ja, bis dieser Fall geklärt ist . . .

Johanna Du willst ihr das Haus verbieten?

Geheimrat Pardon, verstehen wir uns recht. Unter der Hand mag sie dich besuchen, so oft es ihr beliebt. Aber in Gegenwart von dritten . . .

Johanna Die berühmten dritten!

Geheimrat Und vor allem bei unserer großen Gesellschaft, die einen ausgesprochen repräsentativen Charakter hat . . .

Johanna Ellen soll nicht zu unserer Gesellschaft kommen?!

Geheimrat Ich müßte dich ersuchen, ihr das schonend beizubringen.

Johanna (aufflammend) Du . . .

Geheimrat Was?

Johanna (kraftlos) Nichts. – 65

Minna (kommt durch die Eingangstür) Frau von Tönning ist da und fragt, ob die gnädige Frau zu Hause ist . . . sind.

Johanna Ja gewiß. (Minna ab)

Geheimrat Nun kannst du sie gleich interpellieren.

Johanna Ihre Antwort ist mir nicht zweifelhaft.

Geheimrat Umso besser. (Er geht nach hinten)

Johanna Du gehst?

Geheimrat Sie hat ja nur nach dir gefragt. Und ich habe zu tun. (Ab Mitteltür rechts)

Sechster Auftritt

Johanna. Ellen

Ellen (kommt lebhaft durch die Eingangstür, zu der Johanna ihr entgegengegangen ist) 'Tag, geliebte Hanna. (Sie küßt sie) Wie geht's? Was machst du? Ich bin wieder mal en pleine carrière. Beinah hätt' ich dir abtelephoniert.

Johanna Was ist denn los? 66

Ellen Der Bazar für das Säuglingsheim. Ich müßte schon dort sein. Unten hält mein Taxameter. Aber sehen mußt' ich dich wenigstens, wenn auch nur auf einen Sprung.

Johanna Ein paar Minuten wirst du mir doch schenken müssen.

Ellen Sagen wir: fünf. Splendid, nicht wahr? Dazu noch feierlicher Schwur, daß ich dich morgen schadlos halten werde.

Johanna (deutet auf das Blatt) Kennst du das, Ellen?

Ellen (das Blatt aufhebend) Ach herrje, den Wisch hast du auch? Gräßlich abgeschmackt – wie?

Johanna Mit dieser Notiz bist doch nicht du gemeint?

Ellen Mais naturellement!

Johanna Das geht auf dich?

Ellen Auf mich, jawohl.

Johanna Und das läßt dich so gleichgültig?

Ellen Aber das ist doch einfach zum Lachen. 67

Johanna Also nichts Wahres daran?

Ellen Dummes Gewäsch.

Johanna Vollständig aus der Luft gegriffen?

Ellen Wenigstens aus der Mücke ein Elefant gemacht.

Johanna Ellen, ich bitte dich, sage mir, was da zu Grunde liegt!

Ellen Aber Hannchen, du bist ja ganz echauffiert. Wenn ich dir versichere, daß dazu nicht die leiseste Ursache vorhanden ist . . .

Johanna Ich möchte nur wissen . . .

Ellen Eh bien – um dich zu beruhigen . . . (Sie sieht auf ihre Uhr) Ich werde mich zwar polizeiwidrig verspäten . . .

Johanna Mit wem bist du da in Verbindung gebracht?

Ellen Mit Aubert.

Johanna Dem Ministerialdirektor? 68

Ellen Bekanntlich hat er eine krankhaft eifersüchtige Frau. Eifersucht kann man das schon kaum mehr nennen; es grenzt an Verfolgungswahnsinn. – Aubert ist seit Jahren mein Freund; ich genieße sein Vertrauen; er schüttet mir ab und zu sein Herz aus, der arme Kerl . . .

Johanna Und es ist nichts vorgefallen?

Ellen Nicht das geringste. Er tut mir leid; ich habe sogar – unter uns gesagt – ein gewisses penchant für ihn. Wenn er es darauf abgelegt hätte, wer weiß . . .

Johanna (strafend) Ellen!

Ellen Aber der Mensch ist ja ein Cato, ein Prinzipienpedant. Der stirbt lieber, als daß er seine Frau betrügt. – Wir sind öfters im Tiergarten zusammen spazieren gegangen; ein halbdutzendmal hat er auch bei mir Tee getrunken . . .

Johanna Das ist alles?

Ellen Alles. Der Hasenfuß traute sich nicht, seiner Frau davon zu erzählen. Sie hätte ihm sonst wahrscheinlich den Kopf abgerissen. Aber sie muß spioniert haben. Wie er das letzte Mal bei mir war, da platzt dieses gottverlassene Weib herein wie eine Bombe, macht ihm eine hochdramatische Szene vor meinen Augen und führt ihn schließlich wie einen begossenen Pudel ab durch die Mitte. 69

Johanna Jedenfalls war das sehr, sehr unvorsichtig von euch.

Ellen Unvorsichtig! Vorsicht ist die Tochter des bösen Gewissens. Wir hatten uns ja nichts vorzuwerfen.

Johanna Du siehst die Folgen!

Ellen Was für Folgen? Für ihn sind sie vielleicht unbequem; aber was soll denn mir passieren? Ich hatte wirklich schon kaum mehr daran gedacht. Die liebende Gattin muß es selbst an die große Glocke gehängt haben. Und nun kommt so ein Schmierfink und macht einen Salat draus. Darum soll ich mich kümmern? Das scheint mir denn doch unter meiner Würde. C'est ridicule – voilà tout.

Johanna Es gibt Leute, die eine andere Auffassung davon haben.

Ellen So? Wer zum Beispiel?

Johanna Zum Beispiel Gustav.

Ellen Dein Herr Gemahl? Der Geheime? Der soll gefälligst vor seiner eigenen Türe kehren.

Johanna Er kehrt lieber vor anderen. 70

Ellen Du hast ihn doch gehörig abgetrumpft?

Johanna Dazu habe ich schon lange nicht mehr die Kraft.

Ellen Einen Menschen, der dich seit einem Vierteljahrhundert gewohnheitsmäßig hintergeht!

Johanna Heute nachmittag hat er schon wieder ein Rendezvous!

Ellen Warum läßt du dir's gefallen? Ich an deiner Stelle . . .

Johanna Wer A sagt, muß auch B sagen.

Ellen Diese ewige Vertuscherei . . .

Johanna Ich weiß es nicht mehr anders.

Ellen Ja, geliebte Hanna, du bist eben leider ein Waschlappen.

Johanna Ich war es nicht immer. –

Ellen Und was hat er denn für eine Auffassung, der Geheime? 71

Johanna Er meint, du könntest bis auf weiteres nicht mehr bei uns verkehren.

Ellen Nun brat' mir einer einen Storch!

Johanna Und ich müßte dir nahelegen, daß du unserer großen Gesellschaft fernbleiben sollst.

Ellen Parbleu, da hört der Spaß auf.

Johanna Ach, Ellen, diese Gesellschaft, für die wir das ganze Jahr knausern und knapsen müssen – diese entsetzliche Gesellschaft! Wenn er mich nur auch davon ausschließen wollte! Ich war' ihm dankbar dafür.

Ellen (entschieden) Liebes Hannchen, das lass' ich mir nicht gefallen.

Johanna Um Gottes willen, wenn daraus ein Bruch entstünde . . .! Du hast unzählige Freunde; ich habe keinen Menschen außer dir.

Ellen Torheit! Du und ich, wir kommen nicht auseinander, verlaß dich drauf. Aber mit dem Geheimen werd' ich deutsch reden. Ist er zu Haus?

Johanna Drinnen in seinem Arbeitszimmer. 72

Ellen Dann auf der Stelle. Und nochmals – sei ganz unbesorgt.

Johanna Seh' ich dich nachher nicht mehr?

Ellen Sobald ich dem Tugendspiegel die Meinung gesagt habe, fahr' ich zum Bazar.

Johanna Du willst in dieser Stimmung . . .?

Ellen Aber Hanna, nun darf ich doch gar nicht fehlen. Denn falls noch andere Leute die Sache so auffassen, sollen sie dann etwa mein Ausbleiben als Schuldbewußtsein deuten?

Johanna Du hast recht. (Sie küssend) Auf Wiedersehn!

Ellen Auf Wiedersehn! (Sie geht zur Mitteltür rechts, öffnet sie halb und spricht hinein) Ist es erlaubt, Herr Schwager?

Johanna (sieht ihr nach; dann mit einem unterdrückten Seufzer ab links)

Siebenter Auftritt

Ellen. Geheimrat

Geheimrat (erscheint in der Tür; etwas verlegen) Ah, du bist es, Ellen! 73

Ellen Darf man einen Moment zu dir hineinspazieren, ins Allerheiligste?

Geheimrat (tritt heraus) Ich habe drinnen einen Sekretär.

Ellen Nun, dann können wir ja hier miteinander plaudern.

Geheimrat Verzeih, ich bin grade sehr beschäftigt . . .

Ellen Ich auch. Aber als Kavalier wirst du einer Dame nicht Rechenschaft verweigern wollen, selbst für den Fall, daß diese Dame deine Schwägerin ist.

Geheimrat Johanna hat mit dir gesprochen . . .?

Ellen Sie hat mir mitgeteilt, daß eine erbärmliche Sudelei in einem Klatschblatt dir genügt, um mich von deinen ehrenwerten Rockschößen zu schütteln.

Geheimrat Ich habe die Berührung dieses Gegenstands mit Absicht Johanna überlassen. Ich wollte eine Diskussion zwischen uns vermeiden. Denn mir ist es überaus peinlich . . .

Ellen Das kann ich mir vorstellen.

Geheimrat Umsomehr, als ich nichts daran ändern kann. 74

Ellen (vor ihn hintretend) Für wen hältst du mich eigentlich?

Geheimrat Daß du so fragst, beweist mir, wie sehr du meinen Standpunkt verkennst. Über dein Privatleben hab' ich nicht zu Gericht zu sitzen.

Ellen Du untersuchst also nicht einmal, ob mir wirklich etwas vorzuwerfen ist?

Geheimrat Das ist nicht meines Amtes.

Ellen Und deinethalb könnt' ich ein Dutzend Verhältnisse auf einmal haben, wenn nur niemand etwas davon merkt?

Geheimrat Ich wiederhole dir, dein Privatleben geht mich nichts an. Hier aber handelt es sich um einen öffentlichen Skandal, der, wie ich befürchte, erst in seinen Anfängen steht.

Ellen Um eine niederträchtige Verleumdung handelt es sich!

Geheimrat Ich werde dich und uns beglückwünschen, wenn du glänzend gerechtfertigt daraus hervorgehst. Aber bis dahin . . .

Ellen Bis dahin beglaubigst du sie mit deiner Unterschrift, indem du mir demonstrativ den Rücken wendest! 75

Geheimrat (lebhafter) Siehst du denn nicht ein, daß ich mich hier in einer Zwangslage befinde? Daß ich meiner exponierten Stellung Rücksichten schuldig bin? Ein hoher Beamter balanciert fortgesetzt auf einer Nadelspitze. Er vertritt in seiner Person die Autorität, die Regierung, den Staat. Er muß deshalb in seinen Anschauungen, in seinen Grundsätzen, in seinen Moralbegriffen weit strenger sein . . .

Ellen Gegen andere!

Geheimrat Hundertmal strenger . . .

Ellen Als gegen sich selbst.

Geheimrat Als ein Privatmann. Ich darf mir einfach den Luxus nicht erlauben, durch die Finger zu sehn. Mein dienstlicher Charakter legt mir auch in gesellschaftlicher Hinsicht gebieterische Pflichten auf. Diese Pflichten mögen manchmal hart, ja, unerbittlich sein; aber ich habe ihnen blind zu gehorchen, wie ein Soldat in Reih' und Glied.

Ellen Und das alles wagst du mir zu sagen – mir?!

Geheimrat Es ist mein Glaubensbekenntnis.

Ellen Dann muß ich doch dein Gedächtnis etwas auffrischen, du autoritativer Pflichtmensch! Wer hat mir, als 76 mein Mann noch nicht ein Jahr unter der Erde lag, einen unsauberen Antrag gemacht? Wen hinderte sein dienstlicher Charakter nicht an dem Versuch, seine Frau mit ihrer eigenen Schwester zu betrügen? Willst du mir darauf vielleicht eine Antwort geben?

Geheimrat Ich habe keine Ahnung, worauf du da anspielst.

Ellen Du hast die Stirn, zu leugnen, daß du mir . . .

Geheimrat Das mußt du geträumt haben.

Ellen Duckmäuser! Jämmerlicher Duckmäuser!

Geheimrat Überlege deine Worte!

Ellen Rächen willst du dich jetzt an mir, weil ich dir damals ein paar Ohrfeigen anbot!

Geheimrat Ich ersuche dich dringend, nicht zu vergessen . . .

Ellen Bringe mich nicht dahin, daß ich vergesse, was uns beide noch verbindet! Es könnte dir schlecht bekommen. Ich könnte der Welt ein Licht darüber aufstecken, durch welche Opfer dein guter Ruf aufrecht erhalten wird und was es mit deiner fleckenlosen Tugend für eine Bewandtnis hat. 77

Geheimrat Eine Frau, die hinginge, ihren Schwager zu denunzieren – das würde nur auf dich zurückfallen. Und überdies würde dir niemand glauben – jetzt weniger als je.

Ellen (sprachlos vor Wut) Oh! –

Geheimrat Höre, Ellen – ich will dir deine Insulten nicht weiter übelnehmen; ich will sie deiner verzeihlichen Erregung zuschreiben. Aber wenn ich auch selbst ein Auge zudrücken möchte – bedenke doch nur, daß ich nicht unabhängig bin; daß ich damit rechnen muß, wie der Wind von oben weht. Und ich weiß nur zu genau, wie rigoros mein unmittelbarer Vorgesetzter über solche Dinge denkt.

Ellen Dein unmittelbarer Vorgesetzter? Der ist es doch grade!

Geheimrat Was?

Ellen Der ist es doch, mit dem man mich verdächtigt!

Geheimrat Aubert?!

Ellen Ja, Aubert. Und der ist wirklich ein Pflichtmensch! Denn er denkt nicht nur rigoros, sondern er handelt auch so.

Geheimrat (mit schlecht verhehlter Freude vor sich hin) Das kann ihm den Hals kosten. 78

Ellen Auf ihn wirst du dich also nicht berufen können! Und wenn du mich preisgibst, dann wird er selbst für mich eintreten.

Geheimrat (schmunzelnd) Damit würde er sich nur noch mehr kompromittieren.

Ellen O, es gibt auch noch höhere Instanzen!

Geheimrat (immer vergnügter) Sehr richtig! Sehr richtig!

Ellen Und an die werd' ich mich wenden. An eine nach der andern. Ich will doch einmal sehen, ob es nicht irgendwo eine Autorität gibt, die einer schutzlosen Frau gegen die infamste Ehrabschneiderei zur Seite steht! Gib nur acht, mit mir wirst du nicht so leicht fertig wie mit Johanna. Ich bin ein gutes Tier; aber wenn man mich herausfordert, dann hab' ich Haare auf den Zähnen. Adieu, du Klammer des Staatsgebäudes, du Säule der Moral! Guten Morgen, du Geheimer, du ganz Geheimer! Guten Morgen! (Schnell ab durch die Eingangstür)

Achter Auftritt

Geheimrat. (Dann) Edmund. (Zuletzt) Minna

Geheimrat (sieht ihr achselzuckend nach, vertieft sich dann in eine angenehme Vorstellung und murmelt, über das ganze Gesicht strahlend) Aubert! – Famos! – Chance muß der Mensch haben! (Seine Reflexionen werden von einem anderen Gedanken 79 durchkreuzt. Er holt das Briefchen aus der Tasche, setzt sich auf den Diwan und überliest es nochmals mit behaglichem Nicken, lächelnd und sich den Bart streichend. Zuletzt betrachtet er das Briefpapier und das Kuvert; unwillig) Wenn sie sich nur diese verdammte Couleur abgewöhnen wollte! –

Edmund (kommt von links) Papa, Mutter sagte mir eben, du hättest noch 'ne kleine Moralpauke für mich in petto.

Geheimrat (das Briefchen einsteckend) Ja, mein Junge, ich muß mal ein ernstes Wort mit dir reden.

Edmund Na, auf unangenehme Chosen wart' ich nicht gern lange. Schieß nur gleich los!

Geheimrat (ist aufgestanden, legt ihm beide Hände auf die Schultern) Junge, du bist mein Stolz . . .

Edmund Ganz gegenseitig.

Geheimrat Und meine Hoffnung. Du weißt, daß deine Zukunft mir ebenso, ja noch mehr am Herzen liegt wie meine eigene.

Edmund Mir vielleicht nicht?

Geheimrat Leider kommt es mir in der letzten Zeit so vor, als ob du nicht mit genügender Intensität daran dächtest. 80

Edmund Aber Papa – ist ja schon in Ordnung. Nächsten Sonntag Kirche. Abgemacht.

Geheimrat Das ist es nicht allein. Ich habe überhaupt den Eindruck, als ob seit ein paar Monaten etwas mit dir vorginge, etwas, was Anlaß zur Besorgnis gibt. Deine Selbstdisziplin scheint mir bedenklich gelockert. Du bist lässig geworden, fahrig, zerstreut. Du widmest dich deinen Arbeiten nicht mehr mit der alten Hingabe. Du hast augenscheinlich anderes im Kopf . . .

Edmund Ich versichere dir . . .

Geheimrat (fortfahrend) Wenn ich mich bei deinen Vorgesetzten nach dir erkundige, dann lächeln sie vielsagend: Ein junger Mann. Oder sie antworten mir mit ausweichenden Redensarten: Wird schon werden. Das ist keineswegs die Auskunft, die ich über meinen Stammhalter zu empfangen wünsche. Darum jetzt mal Farbe bekannt! Was steckt dahinter?

Edmund Nichts, absolut nichts.

Geheimrat Junge, wenn du mir auf eine schiefe Ebene gerietest . . . Wenn du mir eines Tages einen Eklat machtest . . .

Edmund Mir unbegreiflich, wie du so was von mir glauben kannst. Habe vielleicht ein bißchen gebummelt; aber werd' ich schon wieder einholen. Darüber brauchst du dir faktisch keine grauen Haare wachsen zu lassen. 81

Geheimrat (ihn scharf ansehend) Also keine Weibergeschichte – was?

Edmund Komische Frage, Papa! Ich bin doch kein indischer Büßer.

Geheimrat Pardon, versteh' mich nicht falsch! Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, daß du dein Leben genießest. Das hab' ich auch getan.

Edmund Tust du sogar noch.

Geheimrat Bitte, keine Respektlosigkeiten! – Ein Muttersöhnchen soll mein Junge nicht sein, bewahre! Lauf dir nur die Hörner ab; je gründlicher, desto besser. Ich mißgönne dir kein Vergnügen, das deine Mittel nicht übersteigt. Meinetwegen magst du sogar Schulden machen – in mäßigen Grenzen natürlich. Dein künftiger Schwiegervater wird sie bezahlen.

Edmund (heiter) Falls er das nötige Kleingeld hat.

Geheimrat Er wird es haben. Meine Position und mein Ansehen, dazu deine Aussichten und der Name, den ich dir mit einem »von« davor zu hinterlassen gedenke – damit kannst du überall anklopfen, und es wird dir aufgetan.

Edmund Aber das pressiert doch nicht so! 82

Geheimrat Das ist eines der Ziele, die du unentwegt im Auge behalten mußt. Eine Laufbahn, wie du sie vor dir hast, will liebevoll gepflegt sein. Darum hüte dich sorgfältigst, ängstlichst vor allem, was nach außen hin Anstoß erregen könnte! Wir haben jetzt in der nächsten Familie wieder ein Exempel, wohin die Unachtsamkeit auf diesem Gebiete führt.

Edmund Was denn?

Geheimrat Davon ein andermal. Aber laß es dir zur Warnung dienen! Je untadeliger du vor der Welt dastehst, um so eher kannst du dir bei Gelegenheit einen kleinen Seitensprung gestatten. Es war ein äußerst sinnreicher Brauch der Renaissance, daß ein vornehmer Mann bei diskreten Ausgängen eine Maske trug. Er wollte damit andeuten: Was ich jetzt tue, das geschieht inkognito; das hat mit meiner offiziellen Persönlichkeit nichts zu schaffen.

Edmund (lachend) Heut ist's eher umgekehrt!

Geheimrat Inwiefern?

Edmund Heut maskiert man sich, wenn man offiziell wird.

Geheimrat (streng) Wie kommst du zu einer solchen Behauptung?

Edmund Na, ich meine nur, man hat doch so 'n paar moderne Überzeugungen, die man nicht gern frei 'rumträgt. 83

Geheimrat Und wenn auch – das ist höchst gleichgültig. Denn nicht die Überzeugung hat unserem Tun die Wege zu weisen, sondern die Gesinnung!

Edmund Besteht da wohl ein Unterschied?

Geheimrat Ein ganz gewaltiger. Die Überzeugung ist etwas Innerliches, was jeder nur mit sich selbst abzumachen hat. Die Gesinnung dagegen . . .

Edmund Etwas äußerliches?

Geheimrat Laß die Witze! Die Gesinnung hat sich zu richten nach der Kommandostimme des Allgemeinwohls! Sie tritt an uns heran als ein Gebot, dem unser subjektives Gutdünken sich beugen muß. – Die Überzeugung ist ein Untergebener; die Gesinnung ist ein Vorgesetzter! –

Edmund (ihm die Hand hinstreckend) Papa, feierliches Gelöbnis, daß ich deine weisen Lehren ad notam nehmen werde. Ist dir das genug? Oder was verlangst du noch?

Geheimrat Es ist kein Verlangen, was ich dir jetzt noch aussprechen möchte, sondern ein Wunsch, und zwar ein sehr angelegentlicher.

Edmund Bin ganz Ohr. 84

Geheimrat Ich möchte, daß du so bald wie irgend möglich dich verheiratest.

Edmund Ach so, dies Kapitel . . .!

Geheimrat Du sagtest vorhin, daß es nicht pressiert; mir aber pressiert es, das kann ich dir versichern.

Edmund Aber weshalb denn nur? Wenn man noch nicht achtundzwanzig ist . . .

Geheimrat In deinem Alter war ich längst verheiratet. Und ich werde nicht eher für dich beruhigt sein, als bis ich dich im Hafen sehe.

Edmund Wenn's nur allemal ein Hafen wäre!

Geheimrat Ich meine, im Hafen einer standesgemäßen und förderlichen Verbindung; einer Partie, die für dein Weiterkommen möglichst vielseitige Garantien bietet. Das wünsche ich – offen gesagt – auch noch aus einem anderen Grund. Es ist nämlich hohe Zeit, daß du mich materiell entlastest.

Edmund (wird nachdenklich) Hm! –

Geheimrat Ja, mein Junge, ich kann es tatsächlich nicht mehr erschwingen. Ich habe, wie dir bekannt sein dürfte, von der Mitgift deiner Mutter, infolge der unglücklichen Spekulationen ihres Vaters, so gut wie nichts zu sehen 85 bekommen. Dazu die Anforderungen, die von überall an mich herantreten . . . Ja, wo soll ich es denn schließlich hernehmen?

Edmund (stockend) Papa, ich . . .

Geheimrat Willst du mir versprechen . . .

Minna (durch die Eingangstür, auf einer Platte eine Visitenkarte tragend, die sie dem Geheimrat präsentiert) Dieser Herr läßt fragen, ob Herr und Frau Geheimrat zu sprechen sind.

Geheimrat (liest die Karte; elektrisiert) Alle Wetter!

Edmund Wer ist's?

Geheimrat Max Freiherr von Wittinghof!

Edmund Der Bruder des Ministers?

Geheimrat (aufgeregt, zu Minna) Ich lasse Seine Exzellenz bitten! Es wird uns eine besondere Ehre sein! (Minna ab) Also doch! Er entsinnt sich! (Sehr schnell) Geh! Deine Mutter soll augenblicklich hereinkommen.

Edmund Und ich?

Geheimrat Nur, wenn er nach dir fragt. (Er eilt zur Eingangstür) Halte dich bereit! (Edmund ab links) 86

Neunter Auftritt

Geheimrat. Freiherr. (Dann) Johanna (von links)

Geheimrat (die Tür weit öffnend) Exzellenz . . .

Freiherr (tritt ein) Guten Tag, mein lieber Herr Geheimrat.

Geheimrat Exzellenz sehen mich freudigst überrascht . . . Die Ehre eines solchen Besuches . . .

Freiherr Bitte sehr! Ich fühle mich schon lang ein wenig in Ihrer Schuld, mein lieber Geheimrat. Wenn man so ein halbes Menschenalter am Ende der Welt gesessen hat, da ist man seinen alten Bekannten stark aus dem Gesicht geschwunden. Und das bißchen Urlaub, das ich ab und zu hier verbrachte, das reichte kaum hin für die dringlichsten Geschäfte.

Geheimrat O, ich begreife vollkommen . . .

Freiherr Aber nun kann man ja die Scharten auswetzen. Sie wissen, daß ich quittiert habe?

Geheimrat Ein großer Verlust für das Reich.

Freiherr Sehr schmeichelhaft. – Kurzum, ich melde mich als 87 Heimgekehrter; als einer, der auf dem alten Terrain wieder Fuß fassen möchte . . .

Geheimrat (heiter) Das wird Exzellenz nicht schwer fallen.

Freiherr Der nachsichtige Empfang, den Sie mir bereiten, läßt es mich hoffen. Und wie befindet sich Ihre Frau Gemahlin?

Geheimrat Sie wird sogleich erscheinen. Ich habe ihr sagen lassen . . . (Er sieht Johanna eintreten) Da ist sie schon! (Zärtlich) Sieh mal, geliebtes Kind, was für ein Vorzug uns zu teil wird.

Freiherr (Johanna die Hand küssend) Gnädige Frau . . .

Johanna Herr Baron . . .

Geheimrat Exzellenz, Johanna!

Johanna (sich verbessern) Exzellenz . . . (Sie bietet ihm Platz an)

Freiherr (lachend) O bitte, ich lege gar keinen Wert darauf.

Johanna Ich hörte schon von meiner Schwester, daß Exzellenz zurückgekehrt sind.

Freiherr So, so? Ja, ich schätze sie überaus hoch, Ihre Frau Schwester. 88

Johanna Es freut mich, das von Ihnen zu hören. Dich gewiß auch, lieber Gustav?

Geheimrat Unzweifelhaft . . . Und Exzellenz haben Ihre Zelte da drüben vollständig abgebrochen?

Freiherr Vollständig.

Johanna Wieviel Merkwürdiges mögen Sie dort gesehen und erlebt haben!

Freiherr Man wird schnell blasiert in dieser Hinsicht. Man gewöhnt sich an das Ungewöhnliche. Das einzige, was einem in diesen wilden Ländern immer wieder von neuem auffällt, ist der Schmutz. Ich habe übrigens eine ganz hübsche Kollektion mitgebracht: Ansichten, Waffen, Kunstsachen . . . Falls Sie Interesse dafür haben . . .

Johanna Sehr großes.

Geheimrat Außerordentliches!

Freiherr Und Ihnen beiden ist es immer gut gegangen, all die Zeit?

Geheimrat Wir dürfen uns nicht beklagen; nicht wahr, liebe Johanna?

Johanna (mit Doppelsinn) Nein, das dürfen wir nicht. 89

Freiherr (zum Geheimrat) Ihre schöne Karriere habe ich ja aus der Ferne verfolgen können.

Geheimrat Ich bin zufrieden, Exzellenz, solange man mit mir zufrieden ist. Der Dienst und der häusliche Herd, das sind die beiden Pole, zwischen denen mein Leben bescheiden hin und her pendelt.

Freiherr Besseres kann niemand vom Leben fordern – (mit Verneigung nach Johanna) zumal wenn der häusliche Herd so ausgezeichnet repräsentiert wird . . .

Geheimrat Ja, Exzellenz werden das im Auslande doppelt empfunden haben – es ist kein leerer Wahn, die deutsche Häuslichkeit.

Freiherr Ich empfinde es auch nach meiner Rückkehr.

Geheimrat Seine Exzellenz mein Herr Chef sind wohl sehr froh darüber?

Freiherr Mein Bruder?

Geheimrat Weil doch Seine Exzellenz von jetzt an Exzellenz wieder in der Nähe haben.

Freiherr Mein Bruder, der hat so entsetzlich viel zu tun, daß ich ihn noch kaum richtig sprechen konnte. Aber er wird 90 mir schon ein Plätzchen an seinem Herde gönnen. Denn auf meinem eigenen ist, wie Sie wohl gehört haben, das Feuer ausgegangen.

Geheimrat Wir vernahmen mit innigster Teilnahme . . .

Johanna Aber Exzellenz haben doch sonst noch Familie?

Freiherr Ich habe nur noch eine Tochter.

Geheimrat (interessiert) Ah! – So war es also gottlob ein falsches Gerücht . . .

Freiherr (zum Geheimrat) Meine jüngere Tochter hab' ich vor ein paar Jahren verloren.

Geheimrat Ah, Pardon!

Johanna Die ältere ist hoffentlich wohlauf?

Freiherr Ja, gnädige Frau.

Johanna Wie alt ist sie, wenn man fragen darf?

Freiherr Zweiundzwanzig. 91

Geheimrat Also eine erwachsene junge Dame! Wo hält sie sich denn momentan auf, Ihr Fräulein Tochter?

Freiherr Sie ist hier.

Geheimrat Hier, in Berlin? Und Exzellenz haben sie uns nicht mitgebracht!

Freiherr (lächelnd) Aber lieber Geheimrat . . .

Geheimrat Wir würden uns glücklich geschätzt haben, die Baronesse bei uns begrüßen zu dürfen; nicht wahr, liebe Johanna?

Johanna Ich hätte mich sehr gefreut.

Freiherr Man rückt doch nicht gleich mit dem Nachwuchs an. Wenn man ein Haus so lange nicht betreten hat, wie ich das Ihrige, da muß man sich doch erst mal vergewissern, ob man selbst noch willkommen ist.

Geheimrat (vorwurfsvoll) Exzellenz konnten zweifeln . . .!

Johanna Das Fräulein fühlt sich auch wohl noch etwas fremd hier?

Freiherr Das nun gerade nicht. Sie ist hier heimischer als ich. 92

Johanna Lebte sie denn nicht bei Ihnen?

Freiherr Nein – hier in Berlin.

Geheimrat Ach so! Exzellenz haben sie hier erziehen lassen.

Freiherr Ja, sie wurde hier erzogen.

Geheimrat Denke dir nur, Johanna! Die Tochter Seiner Exzellenz seit Jahren hier in Berlin – und wir ahnten nichts davon! Das ist doch jammerschade! Wie gern hätten wir sie bei uns gesehen!

Freiherr Zu liebenswürdig.

Geheimrat Wie mag es nur zugegangen sein, daß wir ihr nie in Gesellschaft begegnet sind! Nicht einmal bei Seiner Exzellenz Ihrem Herrn Bruder! Wenigstens nicht mit Wissen.

Freiherr Sie machte nicht allzuviel mit.

Geheimrat Nun ja, auf Bällen, da überläßt man freilich das junge Volk sich selbst, wenn man bereits zum alten Eisen gehört. – Aber – da fällt mir ein, wir werden ja auch demnächst 93 Gäste bei uns sehen! Das trifft sich ja ganz vorzüglich. Wir werden uns doch die Ehre geben dürfen, Exzellenz mit der Baronesse zu uns zu bitten?

Freiherr Sie sind wirklich gar zu freundlich.

Geheimrat Das wäre reizend.

Johanna (bestätigt) Reizend.

Geheimrat Exzellenz würden eine Menge von alten Bekannten finden. Und ich darf wohl ohne Ruhmredigkeit sagen, daß es bei unseren Gesellschaften immer recht gemütlich ist; nicht wahr, liebe Johanna?

Johanna Gewiß, lieber Gustav.

Freiherr Tausend Dank für die gute Absicht . . .

Geheimrat Exzellenz wollen uns doch nicht einen Korb geben?

Freiherr Ich bin noch in Trauer.

Geheimrat Pardon! Das hatt' ich im Augenblick ganz vergessen. Pardon! 94

Freiherr Und dann müssen die Herrschaften nun erst einmal zu mir kommen.

Geheimrat Versteht sich ja von selbst, Exzellenz. Wir hätten auf jeden Fall morgen unseren Gegenbesuch abgestattet.

Johanna Wir möchten doch das Fräulein gern kennen lernen.

Freiherr (scheinbar überlegend) Morgen? Ja, das würde ganz gut passen . . . Denn übermorgen muß ich vielleicht auf ein paar Tage verreisen.

Geheimrat Aber Exzellenz werden sich doch unseretwegen nicht etwa derangieren!

Freiherr Durchaus nicht. Morgen finden Sie mich und meine Tochter zu Hause.

Geheimrat Dann werden wir so frei sein . . .

Freiherr Behrenstraße 52a. Ich kampiere provisorisch in einer möblierten Wohnung. Meine eigenen Möbel schwimmen noch.

Geheimrat (hat sich eine Notiz gemacht) . . . 52a.

Freiherr (sich erhebend) Und nun . . .

Geheimrat Exzellenz wollen schon gehen? 95

Freiherr Ich habe Sie lange genug abgehalten. Und meine große Visitenliste . . . Aber halt! Welch unverzeihliche Gedankenlosigkeit . . .!

Geheimrat Wie meinen Exzellenz?

Freiherr Sie dürfen das nur dem Durcheinander in meinem Kopf anschreiben, der verwirrenden Wirkung eines Übergangsstadiums . . . Ich habe mich ja noch gar nicht nach Ihrem Herrn Sohn erkundigt!

Geheimrat Sehr gütig, daß Exzellenz von ihm Notiz nehmen.

Freiherr Er ist auch in der Verwaltung, nicht wahr?

Geheimrat Regierungsassessor im Handelsministerium.

Freiherr Und er wohnt bei Ihnen?

Geheimrat Ja; ich denke, er wird zu Hause sein. Wie, liebe Johanna?

Johanna Ich denke auch.

Freiherr Es würde mich freuen, seine Bekanntschaft zu machen. 96

Geheimrat Ich werde sofort . . . (Er klingelt)

Freiherr Ihren Herrn Sohn kennt meine Tochter nämlich.

Geheimrat Potztausend! Und davon hat er uns gar nichts . . . (Zu Minna, die durch die Eingangstür eingetreten ist) Minna, sagen Sie dem Herrn Assessor, er soll sogleich hierher kommen. (Minna ab) Und davon hat er uns gar nichts erzählt!

Freiherr Meine Tochter aber hat mir von ihm erzählt.

Geheimrat In der Tat, Exzellenz? Von unserem Edmund? Denke dir nur, Johanna! – Wahrscheinlich haben sie miteinander getanzt?

Freiherr Das mag wohl sein.

Zehnter Auftritt

Vorige. Edmund (von links)

Geheimrat (sieht Edmund eintreten) Komm her, mein Junge. Ich will dich Seiner Exzellenz Baron Wittinghof vorstellen.

Edmund (die Hacken zusammenschlagend, mit tiefer Verbeugung) Hohe Ehre, Exzellenz. 97

Freiherr Mir sehr angenehm, Herr Assessor. Man ist immer erfreut, einen hoffnungsvollen Vertreter der jungen Generation zu begrüßen.

Geheimrat Exzellenz hat uns eben mitgeteilt, daß die Tochter Seiner Exzellenz dich kennt!

Freiherr Ja, so ist es.

Edmund (verblüfft) Exzellenz' Tochter?

Geheimrat Wo hast du denn die Baronesse getroffen?

Edmund Die . . . die Baronesse?

Geheimrat Nun?

Edmund Ich . . . ich kann mich nicht erinnern . . .

Freiherr Sie werden sich jedenfalls erinnern, Herr Assessor, wenn Sie sie wiedersehen.

Edmund Fraglos, Exzellenz.

Freiherr Aber nun muß ich wirklich gehen. (Zu Edmund) Wir 98 finden ein andermal noch Gelegenheit, miteinander zu sprechen. – (Zu Johanna, ihr die Hand küssend) Gnädige Frau . . .

Johanna Ich danke Exzellenz für den liebenswürdigen Besuch.

Freiherr Mein lieber Geheimrat . . .

Geheimrat Ich begleite Exzellenz.

Freiherr Keine Umstände! (Ab durch die Eingangstür. Geheimrat, ihn geleitend, folgt)

Elfter Auftritt

Johanna. Edmund

Johanna (aufseufzend) Ich kann mich kaum mehr aufrecht erhalten.

Edmund Was hast du, Mutter?

Johanna Vorhin die Aufregung . . . Und jetzt wieder der Respektsbesuch . . .

Edmund War doch aber ganz charmant mit uns, das große Tier.

Johanna Ja, davon zehrt dein Vater einen Monat lang. (Ab links) 99

Zwölfter Auftritt

Edmund. (Gleich darauf) Geheimrat

Edmund (nachsinnend) Die Baronesse Wittinghofs . . .? Nee! Keine Ahnung! –

Geheimrat (kommt zurück, eilt in enthusiastischer Stimmung auf Edmund zu) Junge! Junge! Du Sonntagskind! Du Glückspilz! Das hast du gut gemacht! Großartig hast du das gemacht! Dafür muß ich dich einfach umarmen!

Edmund Was hab' ich gemacht, Papa?

Geheimrat Du kapierst wohl noch gar nicht?

Edmund Nee.

Geheimrat Du witterst nicht, daß hinter diesem Besuch mehr steckt als eine zeremonielle Höflichkeit?

Edmund Was sonst?

Geheimrat Haha, mich macht man nicht dumm; da müßte man früher aufstehen! Er hat es ja sehr sein eingefädelt, der alte Diplomat; sehr geschickt! Aber, Gott sei Dank, wir sind auch nicht auf den Kopf gefallen!

Edmund Ja, was kann er denn . . . 100

Geheimrat Paß auf, mein Junge! Der Freiherr von Wittinghof, ein Mann aus den allerersten Gesellschaftskreisen, fühlt wenige Tage nach seiner Rückkehr auf einmal das dringende Bedürfnis, seinen alten Kommilitonen Schellhorn aufzusuchen, den er zwanzig Jahre lang geschnitten hat! Er ist von bestrickender Kordialität; er spricht beiläufig von seiner Tochter; er läßt durchblicken, daß es ihm sehr erwünscht ist, wenn wir seine Visite bald erwidern; er hat es geradezu eilig damit. Ganz zuletzt – rein zufällig – fragt er nach dir. Er erwähnt so nebenher, daß seine Tochter dich kennt; er betont, daß sie ihm von dir erzählt hat. In diesem Zusammenhang wünscht er schließlich, deine Bekanntschaft zu machen. Das alles aus purer Courtoisie, aus überquellender Menschenfreundlichkeit! Nun? Geht dir noch keine Laterne auf?

Edmund Du glaubst . . .

Geheimrat Eine Eroberung hast du gemacht, mein Junge! Die Baronesse ist in dich verschossen!

Edmund Aber Papa, ich erinnere mich effektiv nicht . . .

Geheimrat Du erinnerst dich nicht! Und du hast auch noch die unglaubliche Ungeschicklichkeit, ihm das ins Gesicht zu sagen! In solchen Fällen erinnert man sich immer!

Edmund Na ja, kleine Entgleisung. Aber dir kann ich's doch sagen: kenne das Mädchen nicht. 101

Geheimrat Ach was, du wirst dir nicht die sämtlichen Namen deiner Tänzerinnen gemerkt haben! Die versteht man ja so wie so meistens nicht, wenn man vorgestellt wird.

Edmund Möglich, daß ich mal mit ihr 'rumgehopst bin . . .

Geheimrat Nun also! Ein flotter Tänzer bist du; ein gradgewachsener hübscher Bengel dazu – das reicht doch aus, um so einem jungen Ding den Kopf zu verdrehen! Und jetzt, wie ihr Vater sie wiedersah und sie vertraulich inquirierte, ob das kleine Herzchen noch nicht gesprochen hat, da hat sie ihm nach einigem Sträuben und Zieren das süße Geheimnis eingestanden. Ich will mich hängen lassen, wenn sich die Sache nicht aufs Haar so zugetragen hat!

Edmund Und was weiter?

Geheimrat Das fragst du noch? Morgen wirst du dort antreten.

Edmund Er hat mich ja gar nicht aufgefordert.

Geheimrat Lächerlich! Uns hat er aufgefordert; und wenn er es bei dir nicht ausdrücklich wiederholte – ich garantiere dir, daß dein Besuch ihm genehm sein wird, und seiner Tochter noch mehr.

Edmund Das mag ein nettes Scheusal sein. 102

Geheimrat Warum denn ein Scheusal? Ich wette vielmehr, daß es eine hochgebildete, wohlerzogene, liebenswürdige junge Dame sein wird. Und ich rate dir: schmiede das Eisen, solang es warm ist.

Edmund Papa – selbst angenommen, daß all das stimmt . . .

Geheimrat Du wirst dich doch nicht noch lang besinnen! Du wirst dich doch nicht noch bitten lassen! Junge, das ist ja dein Glück, dein angelegtes Glück! Die einzige Erbin eines der reichsten Aristokraten; die Nichte des Ministers! Du der Neffe des Ministers – und zwar eines Ministers, der allem Anschein nach ein zähes Leben hat! Vermögen, soziale Stellung, Einfluß, Verkehr, Konnexionen, Avancement – man kann ja in einem Atem gar nicht aufzählen, was alles mit einem Schlag dir in den Schoß fallen würde. Darum nochmals, fackele nicht lange; sondern mach dich 'ran und greif zu!

Edmund Nimm mir's nicht übel, Papa . . .

Geheimrat Was?

Edmund Bedaure lebhaft; aber kann mich auf den Handel nicht einlassen.

Geheimrat Du kannst nicht? Noch bevor du das Mädchen überhaupt gesehen hast! Und warum denn nicht? 103

Edmund Habe vorläufig noch absolut keine Lust, ins Ehejoch zu kriechen.

Geheimrat Keine Lust? Und deshalb willst du eine Chance von der Hand weisen, wie sie dir vielleicht im ganzen Leben sich nicht zum zweitenmal bieten wird! Deshalb willst du für nichts achten, was du nicht allein dir selbst, sondern auch mir schuldig bist? Hab' ich mich denn vorhin nicht deutlich genug ausgedrückt?

Edmund Wenn du dich so darauf kaprizierst . . .

Geheimrat Allerdings, das tu' ich.

Edmund (zögernd) Dann . . . äh . . . dann bleibt mir nichts übrig, als dir reinen Wein einzuschenken.

Geheimrat Wie?

Edmund Ich . . . äh . . . ich bin . . . nicht frei.

Geheimrat Nicht frei?! Was heißt denn das?

Edmund Na, das heißt, ich . . . äh . . . ich hab 'n Verhältnis.

Geheimrat Und das nennst du »nicht frei«?! 104

Edmund Nicht so 'n gewöhnliches Techtelmechtel; ein . . . ein seriöses Verhältnis . . . mit einem Wort . . . äh . . . 'ne Herzensangelegenheit.

Geheimrat Nun, da haben wir die Pastete!

Edmund 'ne Sache, wo man nicht so einszweidrei loskommen kann.

Geheimrat Hab' ich's doch geahnt! Eine verheiratete Frau natürlich!

Edmund Nee; ein Mädchen.

Geheimrat Was ist das für ein Mädchen?

Edmund Ein sehr anständiges Mädchen.

Geheimrat (höhnend) Ein anständiges Mädchen, das mit dir ein Verhältnis hat! Guter Witz das! Mußt du dem Simplicissimus einschicken!

Edmund Ich bin bei ihr der erste.

Geheimrat Das behauptet sie. 105

Edmund Das behaupte ich. Darauf leist' ich 'nen Eid, wenn's verlangt wird.

Geheimrat Schon gut! Schon gut! Eine Heilige! Eine Vestalin!

Edmund Es ist nicht so eine, wie du denkst.

Geheimrat Wer von uns beiden hat die reichere Erfahrung? Du oder ich?

Edmund Es ist ein gebildetes Mädchen.

Geheimrat Gebildet! Was das schon für 'ne Bildung sein mag! Bißchen Firnis. Oder . . . (mit plötzlicher Angst) Mensch, du wirst doch nicht gar ein Mädchen aus guter Familie verführt haben!

Edmund Sie steht allein.

Geheimrat (erleichtert auflachend) Haha, das hättest du gleich sagen müssen: ein alleinstehendes Mädchen; haha!

Edmund Ein illegitimes Kind.

Geheimrat Wird ja immer besser. Also aus dem Sumpf! Schon geboren in der Schande, in der Unsittlichkeit. 106

Edmund Von Unsittlichkeit kann hier keine Rede sein.

Geheimrat Du Kiek-in-die-Welt willst mich wohl darüber belehren, was sittlich ist und was nicht! Ein solches Geschöpf . . . ein solches Frauenzimmer . . .

Edmund Papa – muß dich ebenso höflich wie formell ersuchen, nicht in diesem Ton von ihr zu sprechen!

Geheimrat Sonst forderst du mich; was?

Edmund Das Mädchen verdient Achtung, trotzdem sie mich gern hat.

Geheimrat Hut ab!

Edmund Und würdest du sie kennen . . .

Geheimrat Ich bedanke mich dafür!

Edmund Kurzum, sie ist mir nicht gleichgiltig. Sie hat außerdem gewissermaßen ein Recht auf mich, wenn auch nur 'n moralisches.

Geheimrat Ein unmoralisches! 107

Edmund Egal, ich fühle mich gebunden . . .

Geheimrat Gebunden? Da hört doch die Weltgeschichte auf! An diese Person fühlst du dich gebunden? Nun fehlt wahrhaftig nur noch, daß du sie heiraten willst.

Edmund Sogar daran hab' ich zeitweise gedacht.

Geheimrat (auf den Tisch schlagend) Kreuzmillionendonnerwetter, jetzt reißt mir die Geduld! Jetzt wird mir die Sache zu bunt! So etwas heiraten! An diesen Wahnsinn, an diese Tollhäuslerei hat der Mensch gedacht! Nein, Herr Regierungsassessor, jetzt muß ich allerdings 'ne andere Tonart anschlagen. Jetzt erklär' ich dir kategorisch: Du hast zu wählen zwischen dieser Donna und mir!

Edmund Papa!

Geheimrat Ich erkläre dir: Wenn du nicht augenblicklich mit dem sauberen Roman ein Ende machst, ein radikales Ende, dann zieh' ich meine Hand von dir. Dann magst du dir 'ne andere Wohnung suchen und zusehen, wie du ohne mich fertig wirst; von mir bekommst du dann keinen Pfennig mehr.

Edmund Das . . . das kann nicht dein Ernst sein!

Geheimrat Du zweifelst? Du glaubst, ich bin zum Scherzen aufgelegt? Laß es nicht auf die Probe ankommen! 108 Entweder tu, was ich dir gesagt habe, oder wirf deine Zukunft in die Pfütze! Ich hole sie dir nicht daraus hervor!

Edmund Papa, hör mich mal ruhig an! Meine Zukunft steht doch hier nicht auf dem Spiel . . .

Geheimrat So? Meinst du?

Edmund Daß ich das Mädel nicht heiraten kann, ist ja klar . . .

Geheimrat Wirklich?

Edmund Das war ja auch nur so 'ne vorübergehende Phantasterei im ersten Dusel. Damit bin ich glücklich durch. So schauderbar verliebt bin ich heute nicht mehr, um taub zu sein gegen die Stimme der Vernunft. Nee, meine Karriere, meine Existenz dafür glattweg zu verpulvern – ich denke nicht dran. Hab' auch selbst in den letzten Wochen viel darüber simuliert, wie ich später mal mich mit Anstand aus der Affäre ziehen könnte . . .

Geheimrat Da gibt es keinen Anstand! Da gibt es nur einen männlichen Entschluß!

Edmund Na ja; aber so was kann man doch nicht übers Knie brechen. Laß mir wenigstens Zeit . . .

Geheimrat Zeit, bis ein Klügerer dir die Baronesse weggeschnappt hat! 109

Edmund Stelle mich nicht Knall und Fall vor die Alternative zwischen einem Mädel, das ich gern habe, und der ersten besten hochwohlgeborenen Gans!

Geheimrat Sei so freundlich, die Tochter Seiner Exzellenz mit diesem Weibsbild nicht in einem Atem zu nennen!

Edmund Allmählich wird ja das Mädel auch vernünftiger werden . . . Allmählich werd' ich schon Mittel und Wege finden . . .

Geheimrat Allmählich! Da sieht man so recht, was für ein Grünschnabel du bist! Ein Verhältnis allmählich lösen! Das kommt mir so vor, als wollte einer sich einen Zahn allmählich ausreißen lassen! So 'ne Operation, die kann nur mit einem Ruck vorgenommen werden oder gar nicht!

Edmund Aber ich bring's positiv nicht übers Herz . . .

Geheimrat Je länger du wartest, desto schwerer wird's! Desto größer wird auch deine Verantwortlichkeit. Jawohl, deine Verantwortlichkeit! Im Interesse des Mädchens hast du geradezu die Pflicht, rasch zu handeln. Um ihrer selbst willen darfst du sie über das Unvermeidliche nicht im Dunkel lassen. Jede neue Zusammenkunft attachiert sie enger an dich . . .

Edmund Das ist wahr! 110

Geheimrat Jede bestärkt sie in Hoffnungen, die du nicht erfüllen kannst, nicht erfüllen willst. Jetzt ist sie noch jung; jetzt kann sie sich noch in aller Bequemlichkeit nach einem Ersatz umschauen . . .

Edmund (gequält) Ich fürchte, sie wird's nicht überleben!

Geheimrat Ach was! Kinderei! Nicht überleben!

Edmund Du kennst sie nicht.

Geheimrat Damit versuchen sie alle, uns ins Bockshorn zu jagen; aber das Wasser ist naß! – Wenn du ihr eine angemessene Abfindung in Aussicht stellst . . .

Edmund Die wird sie zurückweisen.

Geheimrat Abwarten. Im Notfall legt man noch etwas drauf.

Edmund Auch das von meiner Mitgift?

Geheimrat Man verschafft ihr auswärts irgend eine Versorgung . . .

Edmund Aber Papa, was soll ich denn nun für einen Grund angeben? Ich hab' ihr doch nicht das geringste vorzuwerfen! 111

Geheimrat Kannst du drauf schwören, daß sie nicht gleichzeitig noch 'nen anderen hat?

Edmund Ausgeschlossen!

Geheimrat Lehr du mich die Weiber kennen! So was ist nie ausgeschlossen. Wenn man sie überwachen ließe . . .

Edmund Total ausgeschlossen sag' ich dir!

Geheimrat Dann schreib ihr doch einfach die Wahrheit! Dein Vater ist dahinter gekommen und hat dir bei Androhung eines irreparabelen Krachs den Befehl erteilt, die Beziehungen sofort abzubrechen.

Edmund Schreiben soll ich ihr das?!

Geheimrat Du wirst es ihr doch weiß Gott nicht mündlich sagen wollen! Da kämst du nie los! – Meinethalb kannst du sogar einfließen lassen, daß du aus Familienrücksichten genötigt bist, dich standesgemäß zu verheiraten. Ja, das schreib ihr nur! Das wirkt immer am gründlichsten!

Edmund Sie erwartet mich heute . . .

Geheimrat So schick ihr eine Rohrpost, daß du verhindert bist. Und morgen bekommt sie dann deinen ausführlichen Brief. 112

Edmund Schon morgen? – Nein . . . nein, ich kann nicht!

Geheimrat Gut! Wenn du keine Courage hast, dann werd' ich ihr schreiben!

Edmund Du?! Nein, unmöglich!

Geheimrat (gebieterisch) Also?

Edmund Das arme Mädel! Nur noch eine Woche! Nur noch ein paar Tage!

Geheimrat Und das will ein Mann sein!

Edmund (dem Weinen nahe, sinkt auf einen Sessel) Ach, weiß der Kuckuck, ich bin sehr unglücklich.

Geheimrat (ihm die Hand auf die Schulter legend) Das geht vorbei, mein Junge; das geht vorbei. Das schmeckt bitter wie Medizin; aber es hilft auch. Heute bist du ein unglücklicher Liebhaber und über einen Monat, so Gott will, ein glücklicher Bräutigam: Freiin von Wittinghof, Regierungsassessor Edmund Schellhorn empfehlen sich als Verlobte! 113


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