Ludwig Fulda
Des Esels Schatten
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug

Derselbe Schauplatz wie im ersten Aufzug
Der Richtersessel ist mit Blumen geschmückt

Erster Auftritt

Demokrit (sitzt wieder sinnend, wie zum Beginn des ersten Aufzugs, auf den Stufen des Tempels). Iris (kommt von rechts hinten)

Iris. Ich suche dich, mein Freund.

Demokrit.                                   Ich, meine Freundin,
Tu' hier das nämliche.

Iris.                                 Das nämliche?

Demokrit. Ich suche mich.

Iris.                                   Und kannst nur hier dich finden,
Wo dich zuerst ich fand? Nicht auch bei mir?

Demokrit. Bei dir such' ich die Liebe, hier die Ruhe.

Iris. Auf offnem Markt, wo heute – weißt du's nicht? –
Vorm ganzen Volk der Archon Recht soll sprechen!
Schau, sie bekränzten schon den Richterstuhl.

Demokrit. Was kümmert's mich? Im lautesten Gewühl
Gehör' ich mir.

Iris.                       Nur nicht in meiner Nähe.

Demokrit. Kein Wunder, Iris, da nur du von allen
Gleichgültig mir nicht bist. 82

Iris.                                         Wie glaub' ich's noch,
Wenn du mich meidest?

Demokrit.                           Meiden? Bin ich dir
Nicht jede Nacht gesellt?

Iris.                                       In festem Schlaf.

Demokrit. Es muß doch einer in Abdera schlafen,
Wo das Parteiungsfieber alle Männer
Und alle Frau'n ihr bös Gewissen wach hält.

Iris. Auch dich hielt anfangs deine Liebe wach.

Demokrit. So gönne mir, den Schlummer nachzuholen.

Iris. Sei redlich, Demokrit. Gesteh mir ein,
Daß du mich nicht mehr liebst.

Demokrit.                                     Da würd' ich lügen.

Iris. Du bist nicht bei mir, wenn du bei mir bist.
Oft kommt's mir vor, als wärst du tausend Meilen
Und tausend Jahre fern.

Demokrit.                           Du wolltest ja
Nicht hören, Kind, als ich vor mir dich warnte.
Verschwieg ich dir, daß du mich teilen mußt
Mit meinen beiden älteren Geliebten?

Iris. Wie? Gleich mit zweien?

Demokrit.                             Einsamkeit und Wahrheit.
Zwei spröde Schwestern, deren jede nur
Den Werber, der um beide wirbt, erhört.

Iris. Könnt' ich sie doch vergiften!

Demokrit.                                   Eifersucht!
Zwar liebt ihr wohl den Mann um seine Taten;
Doch seine Taten haßt ihr um den Mann.

Iris (trotzig). Und falls auch ich – bloß der Vergeltung wegen –
Dich teilen ließe?

Demokrit.                 Dann geschähe mir,
Worauf ich stets gefaßt war. 83

Iris (leidenschaftlich).                   Grausamer!
Ich will ja nicht! Ich will dir Treue halten!
Doch wenn du mich noch liebst, gewähr' dies eine:
Laß uns aus dieses Nestes Kerkerenge,
Die mich zermalmt – laß uns von hier entfliehn!

Demokrit. Sie schien dir jüngst noch Heimat meinethalb.

Iris. Vernimm: die Stunde drängt mich zum Entschluß.
König Kassander, meiner Säumnis zürnend,
Verließ, wie man mir meldet, seine Hauptstadt,
Und nach Abderas Grenze ging sein Weg.

Demokrit. Wohl gar, weil er dich holen will?

Iris.                                                             Vielleicht.

Demokrit. Fürwahr, ein seltner Kunstfreund!

Iris.                                                             Sprich ein Wort,
Und ihm ein Schnippchen schlagend folg' ich dir,
Wohin du willst, Geliebter!

Demokrit (bewegt).                   Holde du,
Dies Wort, es wäre meiner Torheit Gipfel.
Ein König naht voll Sehnsucht, Gunst um Gunst
Mit dir zu tauschen, allen Glanz des Lebens
Zu Füßen dir zu streu'n. Was zum Ersatz
Müßt' ich alltäglich dir, allnächtlich bieten,
Damit du nie bereuend überschlügest,
Wieviel um meinetwillen du verscherzt!
Und ob den schönen Kopf du schüttelst, glaub':
Es rächt sich, Iris, rächt sich ohn' Erbarmen,
Wenn man, um treu zu bleiben eins dem andern,
Sich selber untreu wird.

Iris (aufwallend).                   Sag's rund heraus:
Du magst nicht meine Treue, fürchtest sie,
Weil sie dir Störung wäre, Hemmnis, Fessel.
Du magst sie nicht und bist sie drum nicht wert.
Du nicht und Keiner! 84

Demokrit (begütigend).       Kind!

Iris.                                           Genug! Ich hielt
Zu lange schon dich ab vom Stelldichein
Mit deinen beiden älteren Geliebten.
Vergnüge dich mit ihnen; hätschle sie,
Soviel du Lust hast! (Eilig ab links hinten)

Demokrit (ihr nachrufend). Iris! Hör' mich doch!
        (Mit einem Seufzer)
Was hilft's? (Er versinkt wieder in Nachdenken)

Zweiter Auftritt

Demokrit. (Von rechts hinten kommen) Arethusa, Phila, Glauke (sich mühsam fortschleppend)

Arethusa.           O Pein!

Phila.                               O Qual!

Glauke.                                           O Folter!

Arethusa (auf Demokrit weisend).                       Hier
Der Maledeite, der den Schlaf uns stahl,
Sodaß Gespenstern gleich am hellen Tag
Wir schlottern ohne Ruhstatt.

Phila (zu Demokrit).                       Schnödes Untier,
Wer hieß dich unsres Herdes Traulichkeit
Mit deinem Stank verpesten?

Glauke.                                       Graben wir
Ihm seinen Lohn mit Nägeln ins Gesicht!

(Sie nähern sich ihm drohend)

Demokrit. Den Weibern, ob sie schmeicheln, ob sie kratzen,
Muß aus dem Wege gehn, wer denken will.

(Ab links vorn) 85

Dritter Auftritt

Arethusa. Phila. Glauke. (Dann) Gorgo

Arethusa. Der Feigling!

Phila.                           Ach, wie lang' noch trotzen wir
Der Schlafsucht?

Glauke.                     Mehrmals bin ich wider Willen
Zur Unzeit eingenickt.

Phila.                               So ging's auch mir.

Arethusa. Auch mir. Und jeder unsrer Männer trägt
Bei sich beständig die verruchte Waffe.

Glauke. Wie soll man ahnen, ob auf unserm Herzen
Sie nicht schon lag?

Phila.                           Ob wir nicht schon geplaudert?

Arethusa. 's ist ein Verhängnis!

Gorgo (ist von rechts hinten aufgetreten, hat aus einiger Entfernung gelauscht, nähert sich nun der Gruppe, schüchtern und verstört).
                                        Sagt, ihr Frau'n, ich bitt' euch,
Ob's wahr ist, wirklich wahr ist, was die Spatzen
Von allen Dächern pfeifen?

Arethusa.                                 Ja, sie pfeifen
Der Feder nach, die fehlt in ihrem Schwanz.

Gorgo. O, wenn mein Anthrax das erfuhr, was dann?

Arethusa (zu den beiden andern).
Kommt, spüren wir im Aphrodite-Tempel
Uns ein verstecktes Schlummerplätzchen aus.

(Die drei Frauen ab in den Tempel) 86

Vierter Auftritt

Gorgo. (Gleich darauf) Anthrax

Gorgo (allein, zitternd).
Was dann, ihr Götter?

Anthrax (von links vorn, mit einem Säckchen in der Hand)
                                  Gorgo, schon am Ort?

Gorgo (heftig zusammenfahrend).
Ha!

Anthrax. Was?

Gorgo.             Wie hast du mich erschreckt!

Anthrax                                                       Wodurch?

Gorgo. Durch deine Stimme, scheint mir. Klingt sie doch
So kritisch rauh, seitdem du Sturmbock bist.

Anthrax (geschmeichelt). Heut, Gorgo, leg' ich Bresche, gib mal acht.
Pflanz' dich nur möglichst vorn hin, wenn hernach
Der Archon seinen Spruch tut.

Gorgo.                                         I, gewiß.

Anthrax. Bin doch begierig, ob er dir ins Antlitz
Wagt zu verleugnen, was er dir gelobte.

Gorgo. Wohl kaum.

Anthrax.                 Denn falls du mir genau berichtet,
Was damals zwischen dir und ihm sich zutrug . . .

Gorgo. Aufs Haar genau.

Anthrax.                         Mir nichts verschwiegest . . .

Gorgo.                                                                       Nichts.

Anthrax. Hm, schade nur, daß ich nicht mit dabei war. –
Du zitterst.

Gorgo.             Ich?

Anthrax.                 Weshalb? 87

Gorgo.                                   Um dich, mein Anthrax.
Wem anders denn gilt all mein zärtlich Sorgen
Als dir und deinem Esel?

Anthrax (mit einem Blick auf das Säckchen). Gut; recht gut.

Gorgo Was hast du da?

Anthrax.                       Da hab' ich, wie du siehst,
Ein Beutelchen.

Gorgo.                   Doch was ist drin?

Anthrax.                                             Was drin ist?
Schau nach. (Er öffnet es ein wenig)

Gorgo (hineinsehend, bestürzt). Ein Spatz!

Anthrax.                                               Den ich heut früh mir fing.

Gorgo (hastig danach greifend).
So gib!

Anthrax.     Wozu?

Gorgo.                   Damit ich ihn dir brate.

Anthrax. Nein, der bleibt leben.

Gorgo.                                     Anthrax!

Anthrax.                                                 Der ist kostbar.
Das höchstbezahlte Wild jetzt in Abdera.
Kein Ehemann, der nicht schon einen hat.
Ich fing den letzten.

Gorgo.                         Wie, du wärst imstand . . .?

Anthrax. Ei, sollen wieder nur die feinen Leute
So vornehm sein? Wer etwas auf sich hält,
Versucht's damit, vom Archon angefangen;
Und ich als wicht'ger Mann im Staat soll nachstehn?

Gorgo. Aushorchen willst du mich im Schlaf? O pfui!

Anthrax. So sei doch froh. Nun wird sich's offenbaren,
Wie treu du mir und meinem Esel bist.

Gorgo. Als ob du das nicht wüßtest ohnedies!

Anthrax. Ich will's noch sichrer wissen. 88

Gorgo.                                               Nein, das leid' ich,
Das duld' ich nicht!

Anthrax.                       Es tut nicht weh, du Schaf.
Ein Federchen . . .

Gorgo.                         Ich bin ja doch so kitzlig!

Anthrax. Du wirst's nicht spüren.

Gorgo (verzweifelt).                     Eh du das mir antust,
Eh lauf' ich dir davon.

Anthrax.                           Wie du dich sträubst!
Fast könnt' man ja vermuten, daß tatsächlich
Du was Geheimes auf dem Kerbholz hast.

Gorgo (krampfhaft). Haha, da lach' ich.

Anthrax.                                           Lachst und bist so bleich
Dabei wie Kalk.

Gorgo.                     Vor Lachen.

Anthrax.                                     Um so besser.
Dann lach' ich mit am Ende.

Gorgo (plötzlich flehend).             Liebster Anthrax,
Erspar' mir das!

Anthrax.                 Nun grade nicht.

Gorgo (händeringend).                       Erlaß mir's.
Ich will, du goldnes Männchen, dich dafür
Noch süßer kosen, dir noch leckrer kochen
Als je zuvor.

Anthrax (in das Säckchen greifend). Nicht doch, ich zupfe.

Gorgo (mit Aufschrei).                                                     Halt!

Anthrax. Wie?

Gorgo.             Zupfe nicht! Es kommt auf eins heraus.
Muß ich dir schlafend beichten unabwendbar,
Wozu die Marter noch, die Todesangst?
Nein, lieber beicht' ich wachend auf dem Fleck.

Anthrax. Mir beichten?! 89

Gorgo.                         Ja.

Anthrax.                           Hoho, da haben wir's!
Nur zu!

Gorgo.         Sei stark!

Anthrax.                     Na, wird's bald?

Gorgo (nach Luft schnappend).                 Ach, ich kann nicht!

Anthrax (wieder in das Säckchen greifend).
Wohlan, so zupf' ich.

Gorgo.                         Laß!

Anthrax.                               Heraus damit!

Gorgo. Sei standhaft!

Anthrax.                   Sprich!

Gorgo (würgend).                   Der Archon . . .

Anthrax.                                                       Was? der Archon . . .?

Gorgo. Hat zugeschnappt.

Anthrax.                         Versteh' ich recht!?

Gorgo.                                                         Hat gänzlich
Hat gründlich zugeschnappt.

Anthrax                                     Verflucht!

Gorgo                                                         Ach, Ärmster,
Du hast es ja gewollt.

Anthrax.                         Gewollt? O Schandweib!

Gorgo. Wer schickte denn mich in des Löwen Höhle?
Wem zu Gefallen ging ich zagend hin?

Anthrax. Gewollt, daß du mich hintergehst?!

Gorgo.                                                         Es fiel
Mir hart genug, es ward mir sauer, Anthrax.
Ich wehrt' und wand mich; doch er ließ nicht locker,
Und weil sein Beistand nur um diesen Preis
Erhältlich war, drum schließlich, dir zulieb . . .

Anthrax. Ich hau' dem Kerl den Schädel ein!

Gorgo.                                                         Besinn' dich!
Wär' dann mein Opfer nicht umsonst gebracht? 90
Würd' er mit eingehau'nem Schädel dir
Zu deinem Recht verhelfen?

Anthrax (mit Eingebung).             Ja, beim Zeus,
Den hab' ich in der Zwicke jetzt!

Gorgo.                                             Nun also!

Anthrax (schmunzelnd). Der muß mir kuschen!

Gorgo.                                                         Was verlangst du mehr?

Anthrax. Doch du, mir aus den Augen, Buhlerin!

Gorgo. Ist das dein Ernst?

Anthrax.                         Mir aus den Augen, sag' ich!

Gorgo (weinerlich). Das hab' ich nun, weil mir zu deinem Sieg
Nichts übrig blieb als meine Niederlage.

Anthrax. Untreue Natter, fort!

Gorgo.                                   Ward ich dir untreu,
So war's aus Treue nur.

Anthrax.                             Hinweg! Wir zwei
Sind fertig miteinander.

Gorgo.                               Fertig?

Anthrax.                                       Lieber
Schlaf' ich im Stall beim Esel als bei dir.

Gorgo. Und wer versieht mit Suppe dich?

Anthrax.                                                 's ist aus
Mit Suppe.

Gorgo.             Wer bereitet Speck heut mittag,
So wie du's gern hast?

Anthrax.                           's ist vorbei mit Speck.

Gorgo (in Tränen ausbrechend). Ach, Ungeheuer du!

Anthrax (nach dem Haus des Archon weisend).           Vor allen Dingen
Ein Wörtchen jetzt mit dem da! (Er klopft an die Tür) He! 91

Gorgo.                                           Du wirst's
Schon merken, wart' nur, wirst es schwer bedauern,
Wenn mich der Kummer in die Grube warf.

(Sie läuft laut heulend ab rechts vorn)

Fünfter Auftritt

Anthrax. (Gleich darauf) Leukippe. (Dann) Struthion

Anthrax (wieder klopfend).
Holla!

Leukippe (kommt aus dem Haus, übernächtig, erschöpft, mit taumelnden Schritten).
          Wer pocht so heftig?

Anthrax.                                   Mit Verlaub,
Ich will zum Archon, hab' was Dringendes
Mit ihm zu reden.

Leukippe.                   Er ist nicht zu Haus.

Anthrax. Dann werd' ich nach ihm suchen gehn.

(Er will nach rechts hinten abgehen und prallt zusammen mit Struthion, der von dort aufgetreten ist)

Struthion.                                                         Ha, Strauchdieb,
Rennst mich nach allem auch noch übern Haufen!

Anthrax. Nicht nötig, Mistfink; heut besorgt man's dir.

Struthion. Dich wird man, Schurk, verdonnern, heut erst recht.

Anthrax. Paß auf, du wirst dich umsehn, Halsabschneider.

(Er geht nach gegenseitigen drohenden Gebärden ab rechts hinten)

Sechster Auftritt

Leukippe. Struthion

Leukippe. O Struthion, dich sendet mir der Himmel!

Struthion (teilnahmvoll). Leukippe, bist du krank? 92

Leukippe.                                                         Ich kann nicht mehr.
Seit sieben Nächten ständig in Gefahr,
Mich zu verraten – und dich mit, mein Teurer . . .
Wie halt' ich das noch länger aus?

Struthion.                                         Du nahmst
Mein Tränkchen doch, das schlummerscheuchende?

Leukippe. Allabendlich. Wie hätt' ich sonst bisher
Das Unheil abgewendet? Zwanzigmal
Des Nachts, kaum daß die Lider ich geschlossen,
Hat er die Feder mir aufs Herz gelegt,
Und immer fuhr ich, seinen Zweck vereitelnd,
Rechtzeitig aus dem Halbschlaf wieder auf.

Struthion. Die sieben Nächte sind zum Glück vorüber.
Hauptsache, daß kein Spürchen von Verdacht
Ihn hindern wird am Spruch zu meinen Gunsten.

Leukippe. Mir gleich.

Struthion.                 Dir gleich? Du hast nicht kräftig mehr
Für mich gewirkt?

Leukippe.                   Soviel von Kraft mir blieb;
Doch nun bin ich am Rand. Mag meinethalb
Das Äußerste geschehn, der Erde Krach,
Des Himmels Einsturz – alles ist mir gleich.
Ich will nur schlafen, schlafen . . .

(Sie sinkt auf die Marmorbank vor ihrem Haus)

Struthion.                                         Nein, du darfst nicht!

Leukippe. Ich muß.

Struthion.               Und wenn er dann . . .

Leukippe.                                                 Mir alles gleich.

Struthion (mit Einfall). Nun wohl, so nütz' die Stunde, während hier
Die Richterpflicht ihn festhält. Geh ins Haus,
Verriegle dich in dein Gemach und schlaf. 93

Leukippe (macht einen Versuch, aufzustehen).
Ich geh' ins Haus . . .

Struthion.                       Zu letzter kurzer Zwiesprach
Erwartet mich mein Anwalt. Alsobald
Kehr' ich zurück, um wachsam dich zu hüten
Vor unverhofftem Überfall. (Ab links vorn)

Siebenter Auftritt

Leukippe. (Gleich darauf) Archon. (Dann) Anthrax

Leukippe (schlaftrunken, sucht wieder aufzustehen). Ich geh'
Ins Haus . . . verriegle mich in mein Gemach . . .
        (Schon halb bewußtlos, mechanisch wiederholend)
Ich geh' . . . ins Haus . . .

(Vom Schlaf überwältigt sinkt sie um und schläft ein)

Archon (kommt aus dem Rathaus in angestrengter Überlegung, spricht zu sich selbst, während er langsam die Stufen herab und nach vorn schreitet).
                                          O Schicksal, einen Faden,
Der aus dem Wirrwarr dieses Labyrinths
Ein Ausgangstor mir weist! Wie mich entscheiden?
Für Struthion? Für Anthrax? Beidemal
Dieselbe Mißlichkeit! Gefällt mein Spruch
Den Eseln, so verfeind' ich mir die Schatten;
Freut er die Schatten, lädt er mir hinwieder
Den bittren Groll der Esel auf den Hals.
Wann stand ein Richter, wann ein Staatsmann je
Vor einer heiklern Wahl? (Er gewahrt Leukippe)
                                    Ah, was erblick' ich?
Sie schlummert. (Sich auf den Zehen behutsam heranschleichend)
                        Schlummert augenscheinlich tiefer 94
Als in den sieben Nächten. Schnarcht sogar.
Nun endlich, endlich die Gelegenheit!

(Er hat eine Kapsel hervorgezogen, nimmt ein Federchen heraus und legt es ihr auf die Brust. Über sie gebeugt, horcht er gespannt)

Spricht sie? – Noch nicht. – Jetzt aber gleich! Die Lippen
Bewegt sie schon . . .

Anthrax (von rechts hinten zurückkehrend, sieht den Archon).
                                Hallo, da hab' ich ihn!
        (Vortretend)
Dich, Archon, sucht' ich.

Archon (abwinkend).               Pst!

Anthrax.                                       Ein Wort mit dir
Hätt' ich zu tauschen.

Archon (heftiger abwinkend). Pst!

Anthrax.                                   Hier frommt kein Pst.
Die Sach' ist ernst und eilig.

Archon (eindringlich flüsternd).     Leise!

Anthrax.                                             Laut,
Ganz laut soll's dir gesagt sein: Ich weiß alles!

Archon (flüsternd). Was?

Anthrax (schreiend).         Alles!

Archon (immer zugleich Leukippe beobachtend). Weck' sie nicht.

Anthrax.                                                                             Warum nicht?

Archon.                                                                                                     Still!

Anthrax. Mag sie's nur hören!

Archon.                                 Schweig doch! Im Begriff
Zu reden ist sie . . .

Anthrax.                       Nein, jetzt red' erst ich.

Archon. Ein andermal!

Anthrax.                     Hier auf der Stelle red' ich.
Du Lüstling hast mir meine Frau verführt! 95

Archon (erschrocken). Wer wagt das zu behaupten?

Anthrax (läßt ihn in das Säckchen sehen).                   Da!

Archon (noch mehr erschrocken).                                     Das Mittel!

Anthrax. Sie hat geschwatzt.

Archon (in doppelter Klemme, nicht wissend, wie er seine Aufmerksamkeit verteilen soll)
                                      Mein guter Freund . . .

Anthrax.                                                                 Wir Freunde?
Durch dies? Auf solche Freundschaft hust' ich was.

Archon (sich windend). Ein Irrtum . . .

Anthrax.                                         Flausen!

Archon.                                                       Träume, deren Sinn
Du falsch gedeutet . . .

Anthrax.                           Soll vor deiner Frau
Sie das Geständnis wiederholen?

Archon (mit Seitenblick aus Leukippe, verzweifelt). Mensch,
Sie wacht mir auf . . .

Anthrax.                         Ich hole sie. Dann wird
Zur Abwechslung die Tugendprobe sich
An einem Ehemann vollziehn.

Archon. (wie oben).                       Sie regt sich!

Anthrax. In zwei Minuten wird sie hier sein. (Er macht Miene, zu gehen)

Archon (ihn am Gewandzipfel festhaltend).       Bleib!

Anthrax. So gib dein Leugnen auf, ertappter Sünder.

Archon (will ihn nach links drängen).
Komm bloß ein wenig abseits!

Anthrax.                                       Keinen Zoll
Weich' ich von hier, bevor du für den Schimpf,
Den greulichen, den du mir angehängt, 96
Für mein durch dich zerscherbtes Eheglück,
Für meines heißgeliebten Weibs Verderbnis,
Für meinen ungeheuren Seelenschmerz
Entschädigung mir zugesichert.

Archon. (sich ergebend).                   Fordre!

Anthrax. Den Preis, um den sie sich verkaufte, fordr' ich:
Freispruch für mich, für Struthion Verknaxung
Vom Scheitel bis zur großen Zeh'.

Archon.                                             Gewährt –
Wenn du nun gehst. (Er sucht ihn nach hinten zu drängen)

Anthrax.                       Kein Hintertürchen, Fuchs!

Archon (ihn treibend). Nein. Geh nur unbesorgt.

Anthrax (nach einem Schritt stehen bleibend).         Erst schwöre mir!

Archon (wie oben). Ich schwöre dir.

Anthrax (wie oben).                         Bei den gesamten Göttern
Der Oberwelt.

Archon (wie oben).   Jawohl.

Anthrax (wie oben).             Sowie bei denen
Der Unterwelt.

Archon (wie oben).   Auch das.

Anthrax (wie oben, auf den Richtersessel zeigend). Vor diesem Stuhl
Sehn wir uns wieder.

Archon.                         Mach' nur, daß du fortkommst.

Anthrax. Ich werde pünktlich auf dem Posten sein.

(Schritt für Schritt hat ihn der Archon nach links hinten befördert und verschwindet, ihn weiter treibend, mit ihm hinter dem Tempel) 97

Achter Auftritt

Leukippe. Struthion. (Dann) Archon. (zuletzt) Theopomp

Struthion (erscheint gleichzeitig mit dem Verschwinden des Archon von links vorn, sieht die schlafende Leukippe).
Das fehlt mir noch! Dies Unglücksweib! Da liegt sie
Der Länge nach und schlummert öffentlich!
        (Er eilt zu ihr hin und rüttelt sie)
Leukippe! – Hörst du nicht? – Wach auf, Leukippe!

Leukippe (erwacht und kommt langsam zu sich).
Wer ist . . . Ach du! – Wo bin ich denn? – Ach, hier.

Struthion. Leichtsinnige!

Leukippe.                       Wahrhaftig, ja, mir däucht,
Mich unterwarf die Müdigkeit, bevor . . .

Struthion. Wenn dich dein Mann so fand!

Leukippe (sieht nach links hinten, fährt zusammen). Oh!

Struthion.                                                             Wie?

Leukippe.                                                                       Dort ist er!

Struthion. So kam ich gar bereits zu spät?!

Leukippe (an ihre Brust greifend).                 Was juckt mich?
        (Mit leisem Schrei)
Entsetzen! Auf dem Herzen hab' ich sie!

Struthion. Die Spatzenfeder?!

Leukippe (bebend).                 Sage mir nun einer,
Ob ich nicht schon geplauscht . . .

Struthion (gleichfalls bebend).               Mich bloßgestellt . . .

Leukippe (nach hinten weisend).
Er naht!

Struthion.     Was nun? 98

Leukippe.                     Erst sehn, woran wir sind.
Am besten drum, ich tu', als schlief' ich weiter.

(Sie nimmt schnell ihre vorige Lage wieder ein und stellt sich schlafend)

Archon (kehrt zurück, sieht Struthion).
Du hier?

Struthion (unsicher). Ich wollte grad . . .

Archon (nähert sich, mit dem Finger auf dem Mund). Pst! Meine Frau . . .

Struthion (als ob er sie jetzt erst entdecke).
Ach so, sie schläft.

Archon (sich vergewissernd, erfreut). Wohl mir. Schläft in der Tat
Noch ahnungslos und friedsam wie vorher.
          (Gepreßt aufseufzend)
Ein übler Vorfall!

Struthion (tastend).     Stieß dir etwas zu?

Archon. Ja, denk' nur, unterbrochen ward ich eben
Im lang' ersehnten günst'gen Augenblick,
Da mir nach manch gescheitertem Versuch
Die gottgewollte Probe zu gelingen
Begann. Just hob die Schläfrin an zu lispeln . . .

Struthion (wieder bebend). Verständliches?

Archon.                                                 Durch eines Andern Stimme
Ward leider ich behindert am Verstehn.

(Leukippe, einen Moment die Augen öffnend, wechselt hinter seinem Rücken einen Blick der Erleichterung mit Struthion)

Struthion (obenauf). Recht ärgerlich.

Archon.                                         Nicht wahr?

Struthion.                                                         Doch immerhin –
        (Mit Doppelsinn)
Es ist noch nichts verloren. 99

Archon.                                   Ebendrum
Nun still, damit ich wieder horchen kann.

Struthion. Mir ist, als spitze sie den Mund.

Archon.                                                   Ja, wirklich!

(Er horcht)

Theopomp (tritt aus dem Tempel, laut).
Archon, vor deinem Spruch tret' ich noch einmal
Als Mahner . . .

Archon, Struthion (abwinkend).
                        Pst!

Theopomp (verdutzt).       Was habt ihr denn?

Archon. Struthion.                                       Die Probe!

Theopomp (beunruhigt, zum Archon).
Ist's möglich wohl? Du huldigst immer noch
Dem blöden Aberglauben?

Archon (überlegen).                 Aberglaube?
Mit nichten, Freund. Vorhin an dieser Stelle
Ward mir ein äußerst schlagender Beweis,
Daß nichts vor diesem Mittel bleibt verborgen.

Theopomp. Ach, Possen!

Archon.                           Da! Sie raunt schon was!

Theopomp (geängstigt).                                           Selbst wenn
Sie tollen Schnack bewußtlos raunen sollte,
So braucht er drum noch lang' nicht wahr zu sein.

Archon (sich zu ihm wendend, dringlich).
Gib Ruh'! Laß uns doch horchen!

(Leukippe wirft Theopomp rasch einen aufklärenden Spießgesellenblick zu)

Theopomp (hat begriffen).                   Mag's denn sein.
Ich horche mit.

(Alle drei stehen in erwartungsvoll lauschender Haltung. Kleine Pause)

Leukippe (beginnt, wie aus dem Schlaf sprechend, stoßweise und abgerissen).
                        Mein Herz – ist übervoll.

Archon (flüsternd). 's geht los. 100

Struthion (ebenso).                 Ganz deutlich.

Leukippe.                                                   Magische Gewalt –
Zwingt mich – es auszuschütten.

Archon (atemlos vor Spannung).           Jetzt!

Leukippe (allmählich fließender, zu visionärem Schwung sich erhebend) O Glut
In allen meinen Adern! Liebesglut,
Maßlose, namenlose, grenzenlose,
Die sich unlöschbar im Verzehren mehrt!
O Männer . . .

Archon (zuckend).   Männer?!

Leukippe.                             Kühne, stattliche,
Kraftstrotzende . . .

Archon (mit langem Gesicht). Hm!

Leukippe.                                   Ihr, begabt mit allem,
Was einem schwachen Weib gefährlich . . .

Archon (mit Grimasse).                                     Ih!

Leukippe. Mir seid ihr samt und sonders leere Luft . . .

Archon (aufatmend). Ah!

Leukippe.                       Weil der Mannheit ganze Zaubermacht
Sich mir verkörpert in dem Einen, Einen,
Der siedend Feuer mir geträuft ins Blut
Und immerdar es schürt zu neuem Lodern,
Dem Besten, Klügsten, Schönsten . . .

Archon (brennend).                                     Welchem?

Leukippe.                                                                   Ihm,
Den ich in unerschütterlicher Treue
Bis in den Tod und übern Tod hinaus
Anbeten werde – meinem Onolaos!

Archon (selig, in strahlendem Triumph).
Haha! Was, Freunde, sagt ihr nun?

Struthion.                                           Ein Wunder! 101

Archon (auftrumpfend). Ein Aberglaube, Theopomp!

Theopomp.                                                           Erschauernd
Streck' ich die Waffen, durch und durch bekehrt.

Archon. Hat solche Lieb' und Treue, frag' ich euch,
Hienieden ihresgleichen?

Theopomp.                         Niemals!

Struthion.                                         Nirgends!

Theopomp. Beneidenswerter!

Struthion.                             Glückbegnadeter!

Theopomp (ihm die rechte Hand schüttelnd).
Zu dieses Edelsteins Alleinbesitz
Nimm meinen wärmsten Glückwunsch.

Struthion (ihm gleichzeitig die linke schüttelnd). Auch den meinen.

Archon. Seht mich gerührt zu Tränen.
        (Zu Leukippe, indem er sanft ihren Kopf emporhebt)
                                                  Einzige,
Schlag die geliebten Augen auf; erwache!

Leukippe (scheinbar geweckt, richtet sich auf, sich wie verschlafen die Augen reibend).
Wer ruft mich? – Mein Gemahl! – (Die Verlegene spielend) Ich glaube gar,
Ich hielt ein Schläfchen hier im Freien ab,
Ganz gegen Schicklichkeit. Verzeih mir!

Archon.                                                     Segne
Mit mir dies Schläfchen! Was aus ihm du sprachst . . .

Leukippe. Ich sprach? Was sprach ich denn?

Archon.                                                       Mir aufgetan
Hat sich dein Herz im Bann der Tugendprobe.

Leukippe. Du nahmst sie vor?

Archon.                                 Ja, Treueste der Treuen;
Und glänzend über jeglichen Begriff
Bestandst du sie. 102

Leukippe.                 Hast du gezweifelt, Böser?

Archon. Nein, Göttliche. Doch daß du mir mein Glück,
Mein kaum zu fassendes, dir unbewußt
In überströmender, aus tiefstem Born
Der Leidenschaft geschöpfter Flammenrede
Vor dieser Zeugen Ohr beglaubigt hast,
Wie soll – o komm an meine Brust – wie soll
Ich je dir das entgelten?

Leukippe (sich an ihn schmiegend). Mir entgelten?

Archon. Verlang von mir, du Kleinod, was du willst!

Leukippe. Und du versprichst Erfüllung?

Archon.                                                 Wenn es irgend
In meiner Macht steht.

Leukippe.                         Schwör' mir das!

Archon.                                                     Ich schwör's.

Leukippe. Bei deinem Leben!

Archon.                                 Und beim deinigen.

Leukippe. Wohl, so verlang' ich, daß du Struthion
Durch deinen heut'gen Spruch den Sieg verleihst.

Archon (bestürzt zurückprallend).
Das ist . . .

Leukippe.         Das ist, ich weiß, dir kinderleicht.

Archon (stammelnd). Jedoch . . .

Leukippe.                                 Jedoch weil nun die gute Sache
Fest auf dich zählen darf, so zähl' auch du
Hernach beim Wiedereintritt in dein Haus
Auf überschwänglichsten Empfang. (Ab ins Haus)

Archon (ihr nachrufend).                         Leukippe . . .!

Theopomp (zum Archon).
Du hast vor uns geschworen.

Struthion.                                   Hoch und teuer.

Theopomp (nach hinten weisend).
Schon rücken dort ins Treffen die Partei'n. 103

Neunter Auftritt

Archon. Struthion. Theopomp. (Nach und nach kommen, erregt und geräuschvoll, von links hinten) Kinesias, Agenor, Anthrax, Chremes, Baton (und) Volk, (von rechts hinten) Physignatos, Eubuleus, Lichas, Kleophanes, Morsimos (und andere) Ratsherrn, Bürger. (Die zwei Parteien nehmen links und rechts vom Richtersessel auf und vor den Stufen streng gesondert ihren Stand, so daß in der Mitte zwischen ihnen ein freier Raum bleibt; die Führer auf der obersten Stufe. Nur die Ratsherrn stellen sich vor die Säulen hinter den Sessel. Struthion und Theopomp begeben sich zu den Ihrigen. Zunächst dem Sessel stehen schließlich links Kinesias, Anthrax Agenor, rechts Physignatos, Struthion, Theopomp. Man weist einander knurrend und murrend die Zähne)

Archon (hat sich in äußerster Ratlosigkeit rechts vorn auf die Bank niedergelassen und spricht während des Auftritts und der Gruppierung der immer dichter werdenden Massen vor sich hin).
Weh mir Unseligem! Was tat ich da?
Was schwor ich da? Zwei Schwüre, deren einer
Den andern ausschließt wie der Tag die Nacht,
Mit messerscharfem Widerstreit mein Hirn
Zerspaltend! Halt' ich den, so brech' ich jenen,
Und halt' ich jenen, brech' ich wieder den!
O, lag auf mir die Bürde der Entschließung
Nicht schon genug erdrückend ohnehin?
Mußt' ich noch selbst sie türmen tausendfach?
Ich, der bisher aus jeder engsten Klemme
Mit nie verlegnem Geist sich durchgeschlängelt,
Wie find' ich da mit heiler Haut heraus?

Physignatos. Die Stunde kam! 104

Kinesias.                               Ist überschritten schon.

Physignatos. Wir stehn gewappnet auf dem Platz.

Kinesias.                                                           Wir auch.
Nur noch der Archon fehlt.

Anthrax (nach vorn zeigend).       Dort sitzt er ja.

Kinesias. Ruft ihn!

Baton (geht nach rechts vorn, zum Archon). Erhabner, alle harren dein.

Archon (sich mühsam erhebend).
Gleich, gleich!
        (Baton geht nach hinten. Archon für sich, verzweiflungsvoll)
                      Weh, kein Entrinnen, kein Verzug!
Ihr Himmlischen, erhört mein Flehn! Ich biet' euch
Die Hälfte meiner Habe, nein, zwei Drittel
Zum Opfer dar; nur tragt von diesem Ort
Mich weg auf hundert Meilen, sendet mir,
Mich unsichtbar zu machen, eine Wolke,
Reißt einen Abgrund auf, der mich verschluckt,
Zeigt mir ein Mausloch, drein ich schlüpfen kann!

Physignatos. Welch Zögern!

Rufe links.                           Archon!

Rufe rechts.                                       Archon!

Archon (knieschlotternd).                                   Ja, hier bin ich.

Physignatos. Besteig' den Richterstuhl!

Kinesias.                                             Beginn' die Tagung!

Archon (schleppt sich mit schwankenden Schritten zum Sessel, dann).
Vergebt . . . mir ist nicht gut . . . es schwindelt mir.

(Er sinkt auf den Sessel)

Theopomp. Ermanne dich!

Agenor.                             Ans Werk!

Archon (sich zusammenraffend).               Nach dem Geheiß
Der Gottheit und kraft meinem Amts eröffn' ich
Das oberste Gericht. 105

Physignatos.                   Aufs erste Wort,
Gerichtsherr, mach' ich Anspruch.

Kinesias.                                             Ich aufs letzte.

Archon. Sprich, Physignatos!

Physignatos.                         Hochgebietender!
Wenn sich der feste Grund, auf dem wir stehn,
Urplötzlich höb' und senkte krampfgeschüttelt,
Wenn Feuerkugeln prasselnd vom Zenith
Herniederschössen und der Ozean
Gebäumt hereinbräch', all dies wäre nur
Die sehr natürliche Begleiterscheinung
Des ungeheuren, schicksalschwangren Tags,
Wie keinen diese Stadt, wie dieses Land,
Wie Vor- und Mitwelt keinen je gesehn;
Und lediglich das felsenfeste Zutraun
Zu deiner gottverheißenen Erleuchtung
Hemmt mühsam den Orkan in jeder Brust.
Ein Rechtsfall wuchs zum Daseinskampf sich aus,
Zum Ringen um der Menschheit höchste Güter;
Und wo zuerst mein Kläger einsam stand,
Schart als ein Heer von Klägern hinter ihm
Sich die Gemeinschaft aller Gutgesinnten;
Denn gutgesinnt und Schatten sein ist eins!

(Beifall rechts, Widerspruch links. Er wiederholt mit verschärftem Nachdruck)

Ist eins! Hier fragt sich, wer da herrschen soll,
Ob Anstand, Vätersitte, Recht, Gesetz,
Ob Willkür, Umsturz, Tyrannei der Gasse;
Hier fragt sich, ob Gedeihn, ob Untergang.
Könnt' aber sich dies schroffe Gegenüber
Von Licht und Dunkel sinnenfälliger
Verkörpern als in Struthion und Anthrax,
In ihm, der auszog, Sterbende zu retten, 106
Und ihm, der unterwegs dem Lebensretter
Getrachtet nach dem Leben? Oder wie?
Wer dem vor Hitze halb Gerösteten
Den Platz im Schatten wehrt, was tut er andres,
Als wer dem halb Ertrunkenen die Planke,
Daran er sich zu klammern sucht, entreißt?
Und wenn das Strafmaß an das Maß der Schuld
Annähernd reichen soll, war dann das Urteil
Des großen Rats, das ein verführter Troß
Von Schreiern ankläfft, nicht noch viel zu mild?
Wir alle traun, wir wären insgesamt
Mit Weib und Kind von Stund' an vogelfrei,
Dem Anschlag jedes Meuchlers ausgeliefert,
Würd' hier kein warnend Beispiel aufgestellt,
Nachwirkend bis zu spätesten Geschlechtern.
Deshalb verlang' ich – und mit mir verlangt's
Einstimmig nicht nur die Partei der Schatten,
Verlangen Würde, Sicherheit, Bestand
Und Wohlergehn des Staats: Für Struthion
Abderas Ehrenbürgerrecht, für Anthrax
Die Todesstrafe wegen Mordversuchs.

(Starker Beifall rechts, lärmender Widerspruch links)

Rufe rechts. Den Tod für Anthrax!

Kinesias (mit Stentorstimme)             Oberster Gerichtsherr,
Gebiete Schweigen!

Archon.                         Sprich, Kinesias!

Kinesias (nachdem sich die Unruhe einigermaßen gelegt hat).
Ich weiß nicht, was ich mehr bestaunen soll:
Den hohlen, aufgedunsnen Redepomp
Des Gegners, oder mit wie dreister Stirn
Er seine Dolche stieß ins Herz der Wahrheit.
Zwar wessen konnte man sich sonst versehn
Von der Partei, die lahm zu Boden purzelt, 107
Wenn Lug und Trug ihr nicht zur Krücke dient;
Von dieser Rotte, die sich selbst – o Hohn! –
Die Gutgesinnten heißt! Wo doch der Säugling
Erkennt beim ersten Schluck der Muttermilch,
Daß schlechtgesinnt und Schatten gleichbedeutend
Und man ein guter Abderit nur sein kann,
Wenn man ein Esel ist!

Beifall und Widerspruch. Heftig wiederholend)

                                  Ein Esel, sag' ich!
Und welches neuste Basiliskenei
Ward im Bewußtsein der verlornen Sache
Geheckt von dem Gelichter? Unsern Anthrax,
Den schlichten Heros, der sich aus dem Volk
Erhob, um's zu befrein von Druck und Wucher,
Ihn, dem dies Volk bei seinem Heldenstreit
Ums Recht in Reih' und Glied Gefolgschaft leistet,
Ihn zeiht man – traut ihr euren Ohren, Esel? –
Nun gar der Mordgier? Mordgier war vielmehr
In Struthion, als er dem Hungernden,
Der ihm den Platz im Schatten – ach, wie gerne! –
Hätt' überlassen für ein Kupferstück,
Sein karges Brot verkürzte; Mordgier war's,
Als er um solchen Pfifferling die Fackel
Der Zwietracht warf in seine Vaterstadt
Und so mit hochverräterischer Hand
In einen Brand sie steckte, den nur Blut
Noch löschen kann. Denn in dem einen Punkt
Komm' ich mit meinem Gegner überein:
Hier geht's um Wohl und Weh des Ganzen, geht
Um das Geschick des lebenden Geschlechts
Wie der noch Ungebornen; und gewaltig
Wie das Verbrechen muß die Sühne sein.
Nur eins drum bleibt noch, was der bis zum Rande 108
Gestiegenen Erbittrung Halt gebeut,
Was nicht mein Mund allein, was die Partei
Der Esel, was des Volks entschloss'ner Wille,
Was mit Gigantenzunge jeder Quader
Des Staatsgebäudes unerbittlich heischt:
Für Anthrax lebenslängliche Besoldung
Aus städtischem Besitz, für Struthion
Die Todesstrafe wegen Hochverrats.

(Beifallstosen links, wütender Widerspruch rechts)

Rufe links. Den Tod für Struthion!

Physignatos (zum Archon).               Entscheide, Schiedsmann!

Kinesias (ebenso).
Fäll' deinen Spruch!

Rufe rechts.                   Den Spruch!

Rufe links.                                         Den Spruch!

Archon (mehr tot als lebendig, stammelt mechanisch).     Den Spruch . . .

Agenor. Denk' an der Pallas Offenbarung!

Theopomp.                                             Denk'
An Aphroditens Botschaft!

Archon (würgend).                   Abderiten . . .

Struthion (dicht an den Archon herantretend).
Du zauderst noch? Entschied nicht schon dein Schwur?

Anthrax (ebenso). Du säumst zu künden, was du mir beeidet?

Archon. Mitbürger . . .

Rufe links.                 Sprich das Urteil!

Rufe rechts.                                         Sprich das Urteil!

Archon (in völliger Verzweiflung sich selbst aufgebend, platzt heraus).
Das Urteil wollt ihr? Und von wem? Von mir?
Häng' ich denn mit mir selber noch zusammen?
Bin ich nicht mittendurch entzweigeborsten
Vom gleichen Riß, der durch Abdera klafft? 109
Laßt jede meiner Hälften Richter sein!
Ich, der ich nicht mehr ich bin, ich vermag's nicht!

Kinesias, Agenor.
Du mußt!

Physignatos, Theopomp.
                Du wirst!

Struthion. Anthrax.       Du schworest!

Rufe rechts.                                         Richte!

Rufe links.                                                       Richte!

Archon (mit letzter Kraft).
So richt' ich denn: Der Fall ist unentwirrbar;
Ihn löst kein Mensch, kein Gott, kein Dämon auf,
Und zerrt man dennoch wie mit glühnden Zangen
Mir aus dem Leib Entscheidung, dann entscheid' ich:
Die Kläger haben alle beide Recht!

(Allgemeiner heulender Aufschrei, in wildesten Tumult übergehend)

Physignatos, Kinesias.
Nasführung!

Struthion, Anthrax. Meineid!

Theopomp, Agenor.              Ketzerei!

Rufe durcheinander.                           Betrug!
Die beiden – das ist keiner! Packt ihn! Haut ihn!
Herab mit ihm vom Richterstuhl! Herab!

Physignatos. Wer so sich selbst gerichtet hat, kann länger
Nicht unser Archon bleiben. Wir erklären
Ihn seines Amtes für entsetzt!

Kinesias.                                     Wir auch!

Archon (bricht sich zwischen drohenden Fäusten Bahn wie ein gehetztes Wild und flüchtet in sein Haus).

Chremes. Kinesias ist nun Abderas Archon!

Kleophanes. Abderas Archon ist nun Physignatos! 110

Kinesias. Volk von Abdera! Wo das Recht versagt,
Da muß Gewalt entscheiden.

Physignatos.                               Ja, Gewalt.

Rufe rechts. Hie Physignatos!

Rufe links.                             Hie Kinesias!

(Getümmel. Mehrere werden miteinander handgemein; andere stürmen kampfbegierig nach verschiedenen Seiten davon. Morsimos und die Ratsherrn eilen angstvoll ab ins Rathaus)

Anthrax (zu Struthion). Haha, nun hol' ich mein versagtes Recht
Von dir, du Lauskerl, mir auf eigne Faust!

(Er fällt über ihn her)

Struthion (schreiend). Mord! Mord!

Anthrax.                                       Nein, Keile!

Struthion.                                                       Keile, Schuft, für dich!

(Beide gehen, aufeinander losdreschend, ab rechts vorn)

Zehnter Auftritt

Die Parteien (haben sich inzwischen nach vorn gewälzt, so daß nun) Physignatos, Theopomp, Eubuleus, Lichas, Kleophanes (rechts vorn, und) Kinesias, Agenor, Chremes, Baton (links vorn mit ihrem Anhang einander frontmäßig gegenübertreten. Gleich darauf) Demokrit. (Dann) Iris. (zuletzt) ein Bote

Kinesias (hinüberrufend). Ich bin der Herr der Stadt. Ergebt euch drum!

Physignatos (ebenso). Der Herr der Stadt bin ich. Drum beugt euch nieder!

Kinesias. Wir haben, was euch zwingt. Heraus die Waffen!

(Er und die Seinen ziehen verborgengehaltene Schwerter hervor) 111

Physignatos (tut mit den Seinen desgleichen).
Ha, kommt nur an! Auch wir sind vorgesehn.

Kinesias. Auf, Esel, auf! Zermalmt, zerschmettert sie!

Physignatos. Auf, Schatten! Mäht sie nieder!

(Sie wollen aufeinander eindringen)

Demokrit (hat sich, von links hinten kommend, durch einen Menschenknäuel durchgezwängt, will nach vorn).
                                                              Laßt mich durch!

Kinesias (ihm entgegentretend).
Wohin?

Demokrit (zwischen die Schwerter beider Gruppen geraten).
              Wo nicht gebrüllt wird und gerauft.

(Er will nach rechts vorn)

Kinesias. Halt! Bürgerkrieg brach aus. Du mußt wie jeder
Die Seite wählen, wo du stehst.

Demokrit.                                     Dann wähl' ich
Die Außenseite. (Er will wieder fort)

Physignatos (ihn aufhaltend).
                        Halt! So kommt hier niemand
Vorbei.

Demokrit.   Was gehn mich eure Händel an?

Physignatos. Erst sag', zu welcher von den zwei Partei'n
Du dich bekennst.

Demokrit.                   Zu keiner.

Physignatos.                               Ausgeschlossen!

Kinesias. Entweder, oder!

Demokrit.                       Weder, noch.

Physignatos.                                         Du kannst
Nur einer Meinung folgen.

Demokrit.                               Meiner eignen.

Kinesias. Schwarz oder weiß! Es gibt kein Drittes.

Demokrit.                                                           Doch!
Der Esel selber ist zum Beispiel grau.

(Empörtes Murren auf beiden Seiten) 112

Physignatos. Wer nicht Partei nimmt, ist der Gegner aller.

Kinesias. Er ist ein Feind des Volks!

Agenor.                                         Ein Götterfeind!

Physignatos. Ein Schädling, der Abderas Luft verseucht!

Kinesias. Ergreift ihn!

Physignatos.             Fesselt ihn!

(Einige von links und rechts nehmen Demokrit fest)

Iris (ist von links vorn aufgetreten, eilt in die Mitte). Was geht hier vor?

Demokrit. Entdeckt ist meine Staatsgefährlichkeit.

Iris. Laßt los!

Kinesias.       Fort ins Gefängnis!

Iris.                                             Seid ihr toll?
Ihn, euren größten Landsmann, den an Wert
Ihr allesamt nicht aufwiegt . . .

Demokrit.                                     Schau' darin
Den Ausdruck ihrer Anerkennung, Iris:
Wertvolles schließt man ein.

Physignatos.                             Hinweg mit ihm!

(Demokrit wird nach rechts hinten abgeführt)

Iris. Ihr sollt's bereu'n!

(In einiger Entfernung dreimaliger Trompetenstoß. Alle horchen auf)

Physignatos.               Da! Hörnerschall!

Ein Bote (kommt von links hinten atemlos herbeigestürzt). Der König
Von Makedonien mit vielem Kriegsvolk
Zog in die Stadt.

(Er eilt nach rechts hinten weiter, seine Botschaft hinter der Bühne wiederholend)

Kinesias (frohlockend). Sieg, Sieg!

Physignatos (ebenso).                   Triumph! Triumph!

Iris. In seinen Schutz befehl' ich den Gefangnen.

(Rasch ab links hinten) 113

Elfter Auftritt

Vorige (ohne Demokrit und Iris)

Kinesias (hinüberrufend).
Jetzt ist es aus mit euch.

Physignatos (ebenso).           Grad umgekehrt,
Mit euch ist's aus.

Kinesias.                   Werft hin die stumpfen Schwerter,
Ihr Überrumpelten! Denn daß ihr's wißt,
Des Nachbarreiches König zieht herein
Von uns zu Hilfe gegen euch gerufen
Und hat als mächtiger Verbündeter
Uns zugesichert eure Bändigung.

Physignatos. Ihr Blinden, ihr Gefoppten! Welch ein Wahn!
Wir riefen ihn; mit uns ist er verbündet,
Und euch zu knebeln hat er uns gelobt.

Kinesias. Ihr werdet euer blaues Wunder sehn.

Physignatos. Ihr auch. (Nach hinten weisend)
                            Und zwar sogleich.

Zwölfter Auftritt

Vorige. König Kassander (in voller Rüstung, den Kriegshelm auf dem Haupt, kommt klirrend von links hinten geschritten; ihm zur Seite) Iris. Bewaffnete (folgen ihm und besetzen den ganzen Hintergrund. – Gleich darauf treten) Arethusa, Phila, Glauke (aus dem Tempel und bleiben auf dessen Stufen als neugierige Zuschauerinnen stehen. Noch andere) Frauen (drängen sich nach und nach von links und rechts hinten schaulustig herbei. Dann) Archon, Leukippe. (Später) Anthrax, Struthion

Rufe links und rechts.                                   Heil! Heil dem König!

König (zu Iris, ohne zunächst für Andere Augen zu haben).
Kein reizenderer Herold konnte mir 114
Den Willkomm bieten als der Göttin Anmut
Erlesenste Gesandtin. Jeder Vorwurf,
Bereit gehalten für die Säumige,
Zerschmolz wie Schnee beim ersten Sonnenblick.

Physignatos (vortretend). Ehrfürcht'gen Gruß, Durchlauchtigster, im Namen
Der Schatten spende ich dir.

Kinesias (ebenso).                       Empfang durch mich,
Großmächtigster, die Huldigung der Esel.

König (in die Mitte gekommen).
Seid ihr die Führer der Partei'n?

Physignatos.                                     Ja.

Kinesias.                                               Ja.

König. So hört. Ich ward von jedem der zwei Lager,
In denen euer Volk sich selbst zerfleischt,
Um Beistand meines Arms zur Unterwerfung
Der Gegenseite dringend angefleht.
Auf diesen Doppelnotruf hier erschienen
Willfahr' ich, meinem Königswort getreu,
Dem Wunsch der einen Hälfte wie der andern
Und unterwerfe drum die ganze Stadt.

(Große Bewegung, lange Gesichter)

Archon (ist mit Leukippe in zögernder Behutsamkeit aus der Tür seines Hauses getreten und hat die letzten Worte gehört).
Was habt ihr angerichtet, ihr Verrannten!

König. Der Freistaat von Abdera, den ich längst
Mit Augen eines Liebenden begehrt,
Um meine Grenzen mit ihm abzurunden,
Fällt so, dank euch, von selbst mir in den Schoß.
Ich einverleib' ihn meinem Reich, und ihr,
Von meiner Krieger Eisenwall umgürtet,
Bedürft wohl kaum noch meiner ernsten Mahnung,
Daß mir als eurem Herrscher ihr fortan 115
Streng zu gehorchen habt. Von heut ab gibt's
Hier kein Gesetz als die von mir erlass'nen
Und keinen Willen als den meinen mehr.

(Gedrücktes Schweigen. Nach einer kleinen Pause)

Zunächst befehl' ich rascheste Befreiung
Des weisen Demokrit aus Kerkerhaft . . .

Iris. Laß mich es ihm verkündigen.

(Auf seinen zustimmenden Wink geht sie mit einigen Begleitern ab rechts vorn)

König.                                           Sodann
Schafft mir die zwei berühmten Kläger her.

(Eubuleus und Lichas ab rechts vorn)

Durch lückenlose Kundschaft unterrichtet
Von allem, was im Eselsschattenstreit
Bis kurz vor meiner Ankunft sich begab,
Bring' ich höchstselber nun den Fall zum Austrag
Und spreche Recht kraft meiner Macht.

(Eubuleus und Lichas bringen von rechts vorn Struthion und Anthrax, die völlig verprügelt, zerrauft und mit zerrissenen Gewändern heranhinken)

Eubuleus.                                                 Hier sind sie.

König. Tritt näher, Struthion. Tritt näher, Anthrax.
Ich merk', ihr Hähne habt bereits einander
Weidlich gezaust. Jedoch zu weitrer Buße
Für die Verbohrtheit eurer Händelsucht
Verfüg' ich: Dein Vermögen, Struthion,
Fällt halb anheim der Kasse meinem Staats.
Dein Esel, Anthrax, geht samt seinem Schatten
In meinen Marstall über.

Struthion, Anthrax.             Gnade!

König (gebieterisch).                           Still! –
Zum Zeichen überdies, daß ihr den Hader 116
Bedauert und für alle Zeit begrabt,
Umarmt euch hier vor meinem Angesicht!

(Beide sträuben sich, erst auf eine energische Gebärde des Königs hin gehorchen sie mit verbissenen Mienen)

Struthion (während der Umarmung, fauchend).
Genickbruch wünsch' ich dir!

Anthrax (ebenso).                         Verrecken sollst du!

König. Zum selben Zweck umarmen sich vor mir
Die Häupter der Parteien. (Da sie widerstreben) Wollt ihr wohl?

(Physignatos und Kinesias gehorchen)

Kinesias (während der Umarmung, zischend).
Schandflecken!

Physignatos (ebenso). Eiterbeule!

König.                                       Gleichermaßen
Die beiden gegnerischen Priester. – Flink!

(Theopomp und Agenor umarmen sich Zähneknirschen)

Theopomp (währenddessen, leise).
Dummheitsschmarotzer!

Agenor (ebenso).                   Jahrmarktsgaukler!

König.                                                             So!
Nach diesem edlen Schauspiel der Versöhnung
Erklärt mein Mund Abderas innern Frieden
Für wiederhergestellt, und wer hinfürder
Versucht an ihm zu rütteln, wird geköpft.
Als Bürge, daß ihr sämtlich dies Gebot
Befolgt, wird unter meiner Oberhoheit
Mir haftbar sein der Archon Onolaos.

Rufe. Der ist nicht Archon mehr!

König.                                       Er ist es wieder.
Ich setz' ihn ein von neuem – als den besten
Für mich und euch, der sich erträumen läßt. 117

Dreizehnter Auftritt

Vorige. Iris, Demokrit (von rechts hinten)

Iris. Da bring' ich den Gelösten.

König (zu den Abderiten).             Und nun sprecht:
Wie werdet ihr an diesem seltnen Mann
Gutmachen, was ihr Übles ihm erwiest?

Demokrit. Mir Übles, Herr? Im Gegenteil, sie taten
Mir wohl. Ich fühlte niemals hierzuland
Mich freier als in jener stillen Zelle,
Wo niemand mein Fürmichsein unterbrach.

König. Gleichviel, es schuldet einem solchen Sohn
Die Vaterstadt ein würdigeres Obdach.
        (Zu den Abderiten)
Drum ordn' ich an: Sie geb' ihr schönstes Haus,
Umbuscht von weiten Gärten, zum Geschenk
Dem Demokrit als ihrem Ehrenbürger.

(Allgemeines Murren)

Archon (herantretend). Herr, allem wollen wir Gehorsam leisten,
Was du befiehlst; nur dies befiehl uns nicht!
Ein Mensch, verschrie'n bei jedem Hiesigen
Als unsres Stammes mißgeratner Auswuchs,
In Windeln schon sich was Besondres dünkend,
Weil für ein redliches Gewerb zu faul,
Der soll hier Ehrenbürger sein? Undenkbar!

Demokrit. Landsleute, keine Furcht! Ich selbst entlast' euch
Vom Zwang, zu handeln wider die Natur.
Kann jeder doch nur ehren, was ihm gleicht;
Ich aber kam als Fremdling hier zur Welt,
Fremd weilt' ich unter euch, fremd nehm' ich Abschied 118
Und greife wieder, lang' gehegtem Plan
Gemäß, zum Wanderstab.

König (auf Iris deutend).             So komm wie Diese
Mit mir an meinen Hof. Dort, gleich der Schönheit,
Hat auch die Weisheit einen hohen Rang.

Demokrit. Die Schönheit, Herr, bedarf, um recht zu strahlen,
Der goldnen Fassung wie der Diamant;
Jedoch die Weisheit leuchtet nur im Dunkeln.

Iris. Begreif, o König, ihn, wie mir erst heut
Er ganz begreiflich ward. In Ketten frei,
Wird er durch jedes noch so zarte Band,
Womit ihn Neigung, Freundschaft, Gunst umschlingt,
Sich selbst entzogen. Wer ihm wahrhaft gut ist,
Lass' ihn allein. (Dicht an Demokrit herantretend, schnell und leise)
                        Dem nichtgeliebten Mann
Folg' ich, damit der immerdar Geliebte
Sein unbeteiligt Lächeln wieder lernt.

Demokrit. Durch eine Wehmut wird's geläutert sein.
        (Mit kurzem Händedruck)
Leb' wohl. Treu wie dein Wesen sei dein Glück.

(Nach einer Verneigung vor dem König ab links vorn)

König (zu Iris, die dem Demokrit bewegt nachblickt).
Vorm Aufbruch in die Hauptstadt, Iris, schmücke
Mein Zelt als Gast bei festlichem Gelag.
        (Zu den Abderiten)
Ein letztes euch, damit ihr nicht vermeint,
Ich kam zum Nehmen bloß und nicht zum Geben.
Von mir gestiftet soll hier auf dem Platz
Kunstvoll in Marmor ausgehau'n der Esel,
Durch dessen unvergängliches Verdienst
Ich ohne Schwertstreich Herr Abderas ward, 119
Als überlebensgroßes Denkmal stehn,
Zum Sinnbild eurer Stadt für alle Zeiten.

(Er geht mit Iris ab links hinten. Die Bewaffneten folgen ihm nach. Trompetenstoß)

Vierzehnter Auftritt

Vorige (ohne Demokrit, Iris, König. – Zuletzt) Gorgo

Archon (nach einem beklommenen Schweigen).
Ihr Bürger von Abdera, trauert nicht!
Wir haben zwar die Freiheit eingebüßt,
Sind zwar in makedonisch Joch geraten;
Doch bringt uns der Verlust nicht auch Gewinn?
Den einz'gen Mann, der geistig minderwertig,
Die einz'ge Frau, die sittlich anfechtbar,
Wir sind sie los und wieder unter uns,
Geeinigt in der tiefen Überzeugung,
Daß an Vortrefflichkeit, an innerm Wert
Wir über jedes andre Volk erhaben,
Und daß der Menschenschlag der Abderiten
Nicht ausstirbt, eh die Welt in Stücke geht.

Kinesias (verkniffen). Gleichwohl – wir sind besiegt.

Archon (mit Blick auf Leukippe).                               Nein, Sieger sind wir!
Ward nicht ein stolzerer Triumph, als jemals
Ein Schlachtenheld ihn durch das Schwert errang,
Von uns errungen durch die Spatzenfeder?

Rufe. Ja!

Archon.   Wer hat ihre Kraft erprobt?

Die Männer.                                     Wir alle!

Eubuleus. Von uns ein jeder schob sie seiner Gattin
Sacht auf das Herz . . . 120

Arethusa (zu Phila und Glauke). Die Hinterlistigen!

Eubuleus. Und jede, zum Beweis der Unschuld, blieb
Stumm wie ein Fisch.

Archon.                           Doch meine sprach sogar!

(Er gibt Leukippe einen Wink. Sie nickt verstehend und geht ins Haus)

Gefeiert sei drum, was uns niemand raubt
Und niemand nachmacht. (Zustimmung) Flötenspieler, Bläser
Und Zimbelschläger her zum Siegesfest!

(Leukippe bringt aus dem Haus einen goldenen Käfig mit einem Spatzen darin und reicht ihn dem Archon, der ihn Theopomp weiterreicht)

Hier, Theopomp, der Käfig mit dem Spatzen,
Der mich erst ganz gelehrt, wie reich ich bin.
Nimm ihn und häng' als Weihgeschenk ihn auf
Im Allerheiligsten. (Mit erhobener Stimme) Ihr Männer, kommt,
Laßt in geschlossenen Reih'n uns Aphrodite
Dank sagen für die Tugend unsrer Frau'n.

Leukippe. Laßt uns, ihr Frau'n, der Pallas ebenso
Dank sagen für die Klugheit unsrer Männer.

(Männer und Frauen gruppieren sich zu zwei getrennten Zügen, deren ersterer von Theopomp, deren letzterer von Agenor geführt wird, der eine von männlichen, der andere von weiblichen Spielleuten begleitet. Mit Musik und im Reigenschritt wallfahrtet der Zug der Männer in den Aphrodite-Tempel, der Zug der Frauen nach rechts hinten, zu dem dort gedachten Tempel der Pallas)

Anthrax (hält den Archon, der sich dem Zug der Männer anschließen will, zurück, ihn beiseite nehmend).
Und ich der Einz'ge, der die Zeche zahlt?
Gebleut, gerupft, verlustig meines Esels,
Getäuscht von meiner Frau, geprellt von dir!

Archon. Halt' reinen Mund – und ich, zur Schadendeckung,
Verleihe statt des einen dir entrissenen
Fünf Esel dir aus meinem Stall.

(Er geht mit dem Zug in den Tempel) 121

Anthrax (sein Glück noch nicht fassend). Fünf Esel!

Gorgo (ist von rechts vorn gekommen, sieht Anthrax, wehklagt voll ehrlichsten Mitleids).
Ach, Mann, wie haben sie dich zugerichtet!
Laß wenigstens dich von mir flicken!

Anthrax (im Freudentaumel alles vergessend, eilt auf sie zu). Gorgo!
Der Archon schenkt mir statt des einen fünf –
Fünf Esel, Gorgo!

Gorgo.                       Dich nicht mitgerechnet.
Und wem verdankst du das?

Anthrax (sie umarmend).               Dir, bravem Weib.

 


 


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