Ludwig Fulda
Des Esels Schatten
Ludwig Fulda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Aufzug

Empfangshalle im Haus des Archon

Der nach oben dem freien Himmel rechteckig geöffnete Raum wird auf drei Seiten von Säulen umstanden, hinter denen die drei Wände in ihrer Mitte je eine Tür haben; die in der Mittelwand ist der Haupteingang. Gepolsterte Bänke, Sessel und kleine Tische, auf denen blumengefüllte Vasen stehen, sind wohnlich verteilt

Erster Auftritt

Morsimos (kommt durch die Mitte, geleitet von) Xanthias. (Gleich darauf) Archon

Morsimos (älterer Mann).
Zum Hausherrn führe mich.

Xanthias (auf den von rechts eintretenden Archon deutend).
                                          Hier ist er schon. (Ab)

Morsimos. Erhabner Archon . . .

Archon.                                       Ratsherr Morsimos,
Gegrüßt. Was bringst du mir?

Morsimos.                                 Ein Bündel Sorgen.

Archon. Die lös' ich dir im Feuerwein von Chios,
Wenn dich mein Haus hernach zu andern Gästen
Erwarten darf.

Morsimos.             Vergaßest du, daß heut 44
In der bewußten Eselsschattensache
Der große Rat Gerichtstag hält?

Archon.                                         Zum Glück
Zähl' ich nicht zu den Richtern.

Morsimos (seufzend).                       Aber ich.

Archon. Dir bleibt vorher noch Zeit genug für Becher
Und Augenschmaus. Denn, um's dir zu verraten,
Den Kennern wart' ich auf mit einem Tanz
Der schönen Iris.

Morsimos.               Nein, vergib, ich kann nicht.
Mir dreht sich's vor den Augen ohnehin.
O welch verwünschter Streitfall! Wieviel Nächte
Flieht mich um seinetwillen schon der Schlaf!
Und naht er doch, so rückt ein Alp in Form
Von einem Riesenesel auf den Bauch mir,
Zertrampelt mich mit Gründen für und wider,
Und schweißgebadet fahr' ich aus dem Traum.

Archon. Wie mag man denn durch solchen Mückenkrieg
Sich so vertattern lassen?

Morsimos.                           Mückenkrieg?
Als hätt' er unser friedliches Abdera
Nicht bis zum Grund schon aufgerührt! Als wäre
Nicht beider Kläger Anhang schon so groß,
Daß beinah die gesamte Stadt, gespalten
In die Partei'n der Schatten und der Esel,
Ingrimmig knurrend sich die Zähne weist.

Archon. Ein Stürmchen, das von selbst sich legen wird
Nach der Entscheidung.

Morsimos.                         Doch – wie lautet sie?
Was gibt bei diesem so verknüpften Knoten,
Bei diesem so verknüllten Knäul den Ausschlag?
So frag' ich ratlos mich; so fragt sich ratlos
Der ganze große Rat. Nur einen Wink 45
Von dir, ob du nach Einsicht und Gesinnung
Mehr Schatten oder ob mehr Esel bist!

Archon. Den Richtern Winke geben – ich?

Morsimos.                                               Wer sonst
Als du, des Staates Lenker, der noch stets
Bisher die Wogen öffentlicher Händel
In aller Stille glattgebügelt!

Archon (ihm geschmeichelt auf die Schulter klopfend). Glaub' mir,
Auch diese werd' ich glätten.

Morsimos (mit gedämpfter Stimme). Unter uns:
Bist du für Struthion?

Archon.                           Ich will's erwägen.

Morsimos. Für Anthrax?

Archon.                         In Betracht will ich es ziehn.

Morsimos. Und wann werd' ich erfahren . . .?

Xanthias (durch die Mitte).                               Herr . . .

Archon.                                                                     Was ist?

Xanthias. Ein Weibsbild, mehrmals von mir abgewiesen,
Kam wieder und verlangt sogleich Gehör.

Morsimos. Wann wird mir dein Bescheid?

Archon.                                                   Vor der Verhandlung.

Morsimos. Ich wollt', es wäre schon der Tag darauf.

(Ab Mitte)

Archon (wendet sich, nachdem er ihn zur Tür geleitet hat, zu Xanthias).
Jetzt hab' ich keine Zeit.

Xanthias.                             Ich sagt' es ihr.

Archon. Ein Weibsbild? Alt?

Xanthias.                             Nein, jung.

Archon.                                                 Doch häßlich?

Xanthias.                                                                     Hübsch.
Bildhübsch.

Archon.             Und mehrmals von dir abgewiesen?! 46
Hab' ich, des Volkes Vater, nicht für jeden
Und jede stets ein Ohr? Herein mit ihr!

(Xanthias geht ab und läßt Gorgo eintreten)

Zweiter Auftritt

Archon. Gorgo (durch die Mitte)

Gorgo (ihre Befangenheit tapfer bemeisternd).
Hochmögender . . .

Archon (schmunzelnd).     Da schau' mal an!

Gorgo.                                                     Verzeih,
Wenn unempfohlen ich es wage . . .

Archon.                                               Wag's.
Du bist empfohlen, Täubchen. Sehr empfohlen.
Beredter dich empfehlen könnte niemand
Als du dich selbst. Nur näher. Was beliebt?

Gorgo. Dich bitten komm' ich . . .

Archon (schwärmend).                   Dieser Augenaufschlag . . .
Dies Purpurlippenpaar, dies Marmorhälschen . . .

Gorgo. Dich bitten komm' ich . . .

Archon.                                       Ja, ganz recht, mich bitten . . .

Gorgo. Im Auftrag meines Manns . . .

Archon (ernüchtert).                           Wie? Deines Manns?
Warum dann schickt er dich und kommt nicht selber?

Gorgo. Er meint, es hat mehr Wirkung.

Archon (wieder schmunzelnd)                 Allerdings,
Das geb' ich zu. Wer ist er denn, dein Mann?

Gorgo. Der Eseltreiber Anthrax.

Archon.                                   Der? Was tausend!
Und wütet um den Schatten seinem Grautiers,
Anstatt sich glückbegnadet auszuruhn
Im Schatten seiner allerliebsten Frau? 47

Gorgo (etwas zutraulicher).
Ja, Herr, da kennst du meinen Anthrax schlecht.
Sein Esel hat bei ihm den ersten Platz
Und ich den zweiten. Denn, so sagt er, Gorgo –
Ich heiße Gorgo nämlich – Gorgo, sagt er,
Der Esel bringt sein Futter ein, du nicht.
Und sag' ich dann: Ei, sag', wer fegt und spinnt
Und kocht für dich, was dir am besten schmeckt?
Dann sagt er nichts.

Archon.                       Ich aber, Gorgo, sage:
Da wär's nicht mehr als billig, wenn desgleichen
Bei dir den ersten Platz ein andrer hätte –
Es müßte ja nicht grad ein Esel sein.

Gorgo. O möchtest du doch einer werden!

Archon.                                                   Ich?!

Gorgo. Dies eben, Herr, ist meine Bitte.

Archon.                                               Wie?

Gorgo. Daß du für meines Manns gerechte Sache
Dich zur Partei der Esel neigst.

Archon.                                       Ach so!

Gorgo. Steht ihm doch bei sogar die Göttin Pallas

Archon. Wie weißt du das?

Gorgo.                               Durch ihren Oberpriester
Agenor hat sie's offenbart.

Archon.                                 Aha.

Gorgo. Drum wird sie dir es lohnen, wenn . . .

Archon.                                                         Und du?

Gorgo. Gewiß, ich auch.

Archon.                           Womit?

Gorgo.                                           Mit meinem Dank.

Archon. Nun ja, zu seinen Gunsten spricht wohl manches.

Gorgo. Nicht wahr? 48

Archon.                 Zum Beispiel – (ihre Hand ergreifend) dieses dralle Händchen,
(sie beim Kinn fassend) Dies weiche Kinn, (ihre Wange streichelnd) dies Aprikosenwänglein
Und diese ganze süße Rundlichkeit . . .

(Er zieht sie an sich)

Gorgo (mit leichtem Sträuben).
Du schnappst wahrhaftig zu.

Archon.                                     Was tu' ich?

Gorgo (sich verbessernd).                                 Ach . . .
Für Anthrax dich erwärmst du, wollt' ich sagen.

Archon (nachdem er sie geküßt).
Ihr Götter, wer vermöchte solcher Fürsprach
Zu widerstehn?

Gorgo.                   Du bist gewonnen, Herr?

Archon. Noch nicht so ganz. Doch wenn du weitre Gründe
Vorbringen kannst von gleicher Triftigkeit . . .

Gorgo. Ich soll . . .

Archon.                 Komm, folg' mir in mein Amtsgemach.

Gorgo. Weshalb?

Archon.               Damit ich so genau sie prüfe,
So frei von Störung, wie's die Pflicht gebeut.

Gorgo (unschlüssig). Jedoch . . .

Archon.                                   Du zauderst?

Gorgo.                                                         Ich besinn' mich nur,
Was jetzt für Anthrax besser ist.

Archon.                                         Wohlan,
So geh nach Haus und melde deinem Anthrax
Du habest mich nicht völlig überzeugt. 49

Gorgo. Er würde bös.

Archon (aufhorchend).   Die Stimme meiner Frau!
Entschließ dich.

Gorgo.                   Herr, nun ja – zu seinem Besten.

(Beide ab rechts)

Dritter Auftritt

Leukippe, Struthion (von links)

Leukippe (im Auftreten, zärtlich).
Arzt meines Herzens! Liebster Struthion!

Struthion (ebenso). Stern meines Daseins! Göttliche Leukippe!

Leukippe. Wie bebt noch, denk' ich deines Abenteuers,
Mein Busen! Hing es doch an einem Haar,
So traf, als dich der Unhold aus dem Schatten
Vertrieb, dein teures Haupt ein Sonnenstich!
Und was – o Schauder! – wurde dann aus mir?
Wo fürder fänd' ich Lindrung meiner Leiden,
Wo Balsam für mein widerspenstig Blut,
Wärst mir durch ein Verhängnis du geraubt,
Mein Stab und meine Stütze!

Struthion.                                 Das Verhängnis,
Noch ist's nicht abgewandt. Denn ob auch damals
Vor Siedehitze mich der Schlag nicht traf,
So kann er leicht mich heut vor Ärger treffen,
Falls mir zum zweitenmal gerechte Sühnung
Verweigert wird.

Leukippe.               Bau' nur auf mich, Geliebter.
Dein Ärger soll sich wandeln in Frohlocken.
Zu welchem Zweck denn hätt' ich einen Mann,50
Zu welchem Zweck wär' dieser Mann der Archon,
Als daß er dir zu deinem Recht verhilft?
Und auch für Theopomp leist' ich Gewähr.
In wenig Augenblicken wird er hier sein.

Struthion (lauernd). Es wird gemunkelt, alle Frau'n Abderas
Wetteiferten, ihn zu verhimmeln.

Leukippe.                                       Wenn auch!
Er, blind für alle, dient allein der Gottheit.

Struthion. Blind auch für dich?

Leukippe.                               Du fragst?

Struthion.                                               Mich will bedünken,
Du seist nicht blind für ihn.

Leukippe.                               Vernehm' ich recht?
Beargwohnt werd' ich – und von dir? Du zweifelst
An meiner Tugend? Undankbarer du!

Struthion. Er stünde nicht bei dir in Gunst?

Leukippe.                                                 Als Priester,
Der mein und sein Gebet zusammenschmelzend
Vermittelt zwischen mir und dem Olymp.
Jedoch als Mann – o muß ich erst beteuern,
Wie tief der Abstand ist von ihm zu dir!

Struthion. Nun, so vergib!

Leukippe.                         O geh!

Struthion.                                     Vergib, Leukippe!

Leukippe (schmollend).
Du glaubst mir nicht!

Struthion.                       Ich glaub' dir.

Leukippe.                                             Vorsicht! 51

Vierter Auftritt

Vorige. Theopomp (durch die Mitte)

Theopomp.                                                         Herrin,
Ich segne dich im Auftrag Aphroditens.

Leukippe. Dank, Theopomp. Und weil's in einem geht,
So spende deinen Segen auch zugleich
Dem Wackern hier, der heute sein bedarf.

Theopomp. Er hat bisher noch nie bei mir geopfert.

Leukippe. Erkläre dich für ihn – so holt er's nach.

Theopomp (zögernd). Je nun . . .

Fünfter Auftritt

Vorige. Archon (von rechts)

Archon (wohlgelaunt).                   Ich grüß' euch.

Leukippe (auf ihn zueilend).                                   Endlich, mein Gebieter!
Was hielt so lang' dich abseits?

Archon.                                       Amtsgeschäfte,
Mein trautes Weib. – Wie dankbar bin ich drum
Den Pflegern deines Leibs und deiner Seele,
Daß mittlerweil sie dir die Zeit verkürzt.

Leukippe. So zeig dich dankbar – ihm, dem du verdankst,
Ein in Gesundheit blühend Weib zu haben,
Und der nun selber hartverwundet ringend
Sich gegen beispiellosen Unglimpf wehrt.
Von neuem leg' ich seine gute Sache
Dir an das Herz, und wenn mein Fürspruch je,
Wenn je dir meine Wünsche was gegolten,
Tritt ein für Struthion! 52

Archon.                           Was tät' ich dir
Nicht, Liebste, gern zu lieb! Jedoch ergaben
Grad jetzt sich meiner sorglichen Erkundung
Zeugnisse von erheblichem Gewicht
Für Anthrax.

Struthion.           Herr, dann waren sie gefälscht!

Archon. O nein, die waren echt.

Struthion.                                 Wenn ich dir schildre,
Wie sich's entspann, wie's weiterging, sich auswuchs
Durch seine Schuld, kurzum aufs Haar genau
Den ganzen Hergang . . .

Leukippe (zum Archon).           Ja, den laß dir schildern.

Archon (gelangweilt). Meintwegen denn!

Leukippe.                                             Hör', Theopomp, ihn auch.

Theopomp (abwinkend). Ich kenn' ihn schon.

Struthion (mit lebhaftem Einsatz).                   Ich mietete den Esel . . .

(Er geht, eifrig auf den Archon einsprechend, mit ihm nach dem Hintergrund)

Theopomp (nimmt im Vordergrund Leukippe beiseite).
Ein Wörtchen . . .

Leukippe.                   Vorsicht!

Theopomp.                               Wissen möcht' ich nur . . .

Leukippe (zärtlich). Was, du mein Einziger, mein Hort und Heil?

Theopomp. Aus welchem Anlaß du dem Pillendreher
So feurig Hilfe wirbst.

Leukippe.                       Ich möchte wissen,
Aus welchem Anlaß du sie vorenthältst.

Theopomp. Dein Eifer ist verdächtig.

Leukippe.                                       Trügt mein Ohr?
Verdächtig? Du – du hast mich im Verdacht?
Und gar mit ihm? Es wohnt in dir ein Zweifel 53
An meiner Züchtigkeit? O Theopomp,
Das wahrlich hab' ich nicht um dich verdient!

Theopomp. Er wäre nicht von dir verwöhnt, verhätschelt?

Leukippe. Als Meister seines Fachs halt' ich ihn wert
Und mag ihn nicht vermissen. Doch als Mann . . .
O muß ich dir Vergöttertem erst schwören,
Daß er von deinem Licht verdunkelt wird
Gleichwie ein Glühwurm von dem Glanz der Sonne!

Theopomp (selbstgefällig).
Hierin liegt Wahrheit.

Leukippe.                       So gewähr' ihm Beistand,
Zum Zeichen, daß du mir vertraust.

Theopomp.                                         Ich soll
In Irdisches mich mengen – ich?

Archon (mit Struthion nach vorn zurückkehrend). Recht schön.
Recht gut. Und doch – es reicht nicht zur Entkräftung
Der Gegengründe.

Struthion (ungeduldig).   Was denn mangelt noch?

Archon. Anthrax hat nämlich eine Schützerin . . .

Leukippe. Die mehr dir gilt als ich?!

Archon.                                         Die Göttin Pallas.

Theopomp (auffahrend). Wer brachte diese Fabel aus?

Archon.                                                                   Agenor
Hat es orakelt.

Theopomp.           Ha, dann allerdings,
Dann dreht sich's hier nicht bloß um Erdenhändel,
Vielmehr um Heiligstes. Das schaut ihm ähnlich,
Dem neidischen, verbohrten Hungerleider!
Orakelnd will er mir durch Volksverhetzung
Abspenstig machen meine Gläubigen!
Doch wart, Orakler, warte nur, wie bald
Ich dein Orakel in den Staub orakle! 54
Wenn Pallas zur Partei der Esel trat,
Tritt zur Partei der Schatten Aphrodite!

Leukippe (strahlend). Was willst du mehr noch, Struthion? Die Göttin
Der Liebe selber deine Schützerin.

Theopomp (Leukippe und Struthion je eine Hand reichend).
Ja, ganz und gar der Eure!

Leukippe (schmeichlerisch).       Mein Gemahl,
Muß dieses schöne Bild von drei Vereinten
Nicht mit Gewalt in unsern Kreis dich ziehn?

Archon (ausweichend).
Laßt uns beim Wein erwägen . . .

Struthion.                                         Aufschub?!

Theopomp.                                                         Nein,
Mich ruft zu rasch entschloßner Gegentat
Ein göttliches Geheiß. Komm, Struthion;
Mit meines ganzen Ansehns Aufgebot
Will auf dem offnen Markt ich die Verführten
Zu dir bekehren durch mein Priesterwort.

(Beide schnell ab durch die Mitte)

Sechster Auftritt

Archon. Leukippe

Archon (ihnen nachrufend).
Halt! Wollt ihr denn der Iris Tanz versäumen? –
Taub sind sie.

Leukippe.             Taub – du bist's für mich.

Archon.                                                       Mein Kleinod,
Ich lobe deinen Eifer für den Freund.
Nur sollt' ich meinen, dir als meinem Weib
Kann's gleich sein, ob dein Ehemann ein Esel,
Ob er ein Schatten ist. 55

Leukippe.                         Als Ehemann
Sei beides meinethalb; jedoch als Archon . . .

Archon. Verkenne meine Herrscherklugheit nicht,
Die jedesmal mit Vorbedacht zwei Türen
Sich offen hält und, was auch kommen mag,
Rechtzeitig so den rechten Ausgang findet.
Jetzt aber laß uns an das Nächste denken.

Leukippe (spitz). An Iris!

Archon.                         Ei, wer hat mich denn bestürmt,
Ich soll sie tanzen lassen? Du, mit anderm
Neugier'gen Weibsvolk.

Leukippe.                           Dennoch – solch Geschöpf
In unserm reinen Haus . . .

Archon.                                   Nur um so heller
Wird deine Keuschheit strahlen. – (Nach der Mitteltür weisend) Unsre Gäste.

Siebenter Auftritt

Vorige. (Durch die Mitte kommen paarweise) Eubuleus (mit) Arethusa, Lichas (mit) Phila, Kleophanes (mit) Glauke. (Kurz darauf bringen) Xanthias (und andere) Diener (durch die Mitte Weinkrüge und Becher und stellen sie auf die Tische)

Eubuleus. Wir grüßen euch, ihr Edlen.

Archon.                                             Seid willkommen.

Eubuleus. Es war kein leichtes Stück, uns durchzuwinden,
Da sich die Menge zur Gerichtsverhandlung
Vorm großen Rat in dichten Scharen drängt.

Archon. So laßt sie doch. In triftigeren Dingen
Sollt zu Gericht nun erst ihr selber sitzen,
Sollt als die schönen Geister von Abdera
Der Iris Kunst vor eure Schranken ziehn 56
Nach jenem unabänderlichen Maßstab,
Den fix und fertig jeder Abderit
Für alles, was im weiten Griechenland
Gedacht, geformt, gewirkt, geleistet wird,
Bei der Geburt schon mitbringt auf die Welt.

Arethusa. Nur fragt sich, ob zu Richtern Männer taugen,
Die schon ein Lärvchen so geschwind bestach.

Phila. Und ob nicht neue List sie neu benebelt.

Glauke. Und ob's nicht ratsam, daß ein Zwischenraum
Sie schirmt und uns vor giftiger Berührung.

Kleophanes. Sie beißt ja nicht.

Archon.                                 Beruhigt euch, ihr Frau'n.
Selbst einen unbewachten Gatten dürft
Ihr ohne Furcht in ihrer Nähe wissen,
Seit in erstaunlicher Geschmacksverirrung
Sie just sich an den Demokrit gehängt.

Lichas. Unglaublich!

Kleophanes.             Unverständlich!

Eubuleus.                                         Rätselhaft!

Archon. Und dieser blöde Taps, der noch vor kurzem
Den eingerollten Igel hat gespielt,
Folgt nun auf Schritt und Tritt ihr wie ein Hündlein
Und macht sich lächerlicher als zuvor.

Kleophanes. Das wär' ein Spaß gewesen, hättest du
Den Pinsel aufgefordert, mitzukommen,
Damit er uns zum Lustigmacher dient!

Archon. Ich tat's.

Eubuleus.           Und er?

Archon.                           Im Anfang schlug er's rund
Mir ab und schützte vor, daß ungesellig
Ihn die Natur gezeugt. Als aber Iris
Hinzutrat und ihn maulend fragte: »Wie?
Du willst nicht mit dabei sein, wenn ich tanze?« 57
Da küßt' er fügsam, schmiegsam ihr das Pfötchen
Und zirpte: »Gut, um deinetwillen sei's«.

(Lachen)

Kleophanes. Ha, kostbar!

Lichas.                             Seht, hier rückt er an, beim Bacchus!

Achter Auftritt

Vorige. Demokrit (ist durch die Mitteltür eingetreten, die offen bleibt. Ein allgemeines Gelächter begrüßt ihn)

Demokrit (kommt, ohne sich beirren zu lassen, nach vorn).
Mitbürger, welch ein ehrender Empfang!
So stürmisch von euch ausgelacht zu werden,
Durch welch unsterblich Werk errang ich das?
        (Zum Archon)
Herr, du befahlst . . .

Archon (heiter).                 Ein Irrtum, Demokrit;
Sie war's, die dir befahl.

Kleophanes.                       Haha, du lerntest
Geschwind, wie man sich duckt ins Weiberjoch.

Demokrit. Ich lernt' es von Abderas Ehemännern.

Eubuleus. Hetärensklav' bist hierzuland nur du.

Demokrit. Drum spotten meiner, die's gern gleichfalls wären.

Lichas (beiseite, zu Eubuleus und Kleophanes).
Ein furchtbar dummer Kerl.

Leukippe.                                 Nehmt Platz, ihr Freunde.

(Alle setzen sich; Demokrit abgesondert rechts vorn, die andern links, die Männer hinter den Frauen) 58

Neunter Auftritt

Vorige. Iris (durch die Mitte). Zwei Flötenspielerinnen (folgen ihr. – Die Tür wird geschlossen)

Archon (offiziell). Wohlan denn, Iris, unser Kunstgericht
Ist hier versammelt. Zeig' uns, was du kannst.

Iris (wechselt mit Demokrit einen verständnisinnigen Blick und beginnt, von den Flötenspielerinnen musikalisch begleitet, ihren Tanz, der sich zuerst in feierlich gemessenen Formen bewegt, dann ins heiter Anmutige übergeht und zuletzt durch alle Stadien erwachender und wachsender Leidenschaft hindurch sich bis ins Mänadische steigert. – Nachdem sie geendet hat, begibt sie sich zu Demokrit und setzt sich neben ihn. Die Flötenspielerinnen entfernen sich)

(Ein kurzes frostiges Schweigen, dann ein Getuschel, aus dem sich der folgende gedämpfte Dialog heraushebt)

Phila. Ich bin enttäuscht.

Glauke.                         Ich bin entsetzt.

Arethusa.                                               Fürwahr,
So tanzen könnt' ich auch, verböte mir's
Der Anstand nicht.

Phila.                         Das nennt sie Kunst? Und hat
Kein einzig Mal sich auf den Kopf gestellt!

Glauke. Geäugelt aber hat sie desto mehr.

Leukippe. Ich habe mich geschämt, recht hinzuschau'n.

Phila. Selbst unsre Männer rührten keine Hand.

Arethusa. Das wollt' ich ihnen auch geraten haben.

Eubuleus (halblaut, zu Lichas und Kleophanes).
Sie hat sich unsern Beifall nicht verdient.

Lichas. Und doch – wie schön!

Kleophanes.                           Der Tanz?

Lichas.                                                   Ach was, die Beine.

Kleophanes. Schön ist für mich nur, was ich greifen kann. 59

Archon (mit Amtsmiene). Gebt eure Stimmen.

(Die Männer und Frauen stecken wichtigtuend mit ihm die Köpfe zusammen)

Demokrit (zu Iris).                                         Deinen Ruhmeskranz,
Hab' acht, wie gründlich sie dir ihn zerpflücken.

Iris. Was liegt mir dran? Ich tanzte nur für dich.

Demokrit. Doch reizt es mich zu einem Tanz mit ihnen.

Archon (in die Mitte tretend).
Abdera hat geurteilt – leider muß ich's
Dir künden, Iris – über dich geurteilt,
Kopfschüttelnd und voll innigen Bedauerns,
Daß du, sein Landeskind, von der Natur
Unleugbar vielversprechend ausgestattet,
Geraten bist auf so verkehrten Weg.
Was hätt' aus dir wohl alles werden können,
Wenn du geblieben wärst, woher du stammtest,
Und nach dem Vorbild unsrer Frau'n und Mütter,
Großmütter, Urgroßmütter deine Gaben
Entfaltest hättest im bewährten Gleis.

Demokrit (aufstehend). Beim Herakles, da stimm' ich bei.

Lichas.                                                                         Bezaubernd!
Ihr Busenfreund stimmt bei.

Kleophanes.                             Aus Zorn, so wett' ich,
Weil sie bereits ihn tüchtig hinterging.

(Lachen)

Demokrit. Ja, mehr noch . . .

Kleophanes.                           Laßt ihn reden, uns zum Spaß!

Demokrit. Mehr noch, mich selber fühl' ich mitbetroffen.
Iris und ich, wie haben doch wir beide,
Da wir uns losgelöst von solcher Heimat,
Auf ewig unser wahres Heil verscherzt!
Sie hätt' es bis zur Abderitengattin, 60
Vielleicht sogar zur Ratsherrnfrau gebracht,
Und ich, ich könnte heut – so hoch versteigt sich
Mein Denken – könnt' als angesehner Bürger
Am Markt Gewürz verkaufen oder Wurst,
Statt daß wir nun, zwei Minderwertige,
Vor unsern Landsgenossen unsern Blick
Beschämt, zerknirscht, zerschmettert niederschlagen.

Archon. Siehst also du Verirrter endlich ein,
Daß nichts zu finden auf der weiten Welt,
Was in Abdera wir nicht besser hätten?

Demokrit. Gewiß, gewiß! Obwohl man immerhin,
Falls Aug' und Ohr man wachsam offen hält,
Auf Reisen doch das Ein' und Andre trifft,
Was zur Vollkommenheit euch hier noch mangelt.

Archon (mitleidig). Uns mangelt etwas zur Vollkommenheit?
        (Lachen)
Ei, so verrat' uns doch: In welcher Stadt
Von den unzähligen, die du durchwandert,
Gibt's klüg're Männer?

Leukippe.                         Tugendhaft're Frau'n?

Demokrit. O nirgends, nirgends! Aber dennoch – seht,
In einem Punkt ist man euch in Ägypten
Voraus.

Leukippe.   Wieso?

Archon.                   Wodurch?

Demokrit.                                 Mich lehrte dort
Ein Priester des Osiris ein Geheimnis,
Das, wenn ihr's wüßtet, eurer Männer Klugheit
Und eurer Frauen Tugend würd' an Leuchtkraft
Verhundertfachen.

Leukippe.                   Ein Geheimnis?

Arethusa.                                           Welches?

Demokrit (zögernd). Hm! 61

Phila.                             Nenn' es doch!

Glauke.                                                 Erzähl' es uns!

Kleophanes (zu Eubuleus).                                             Möcht' wissen,
Was da herauskommt.

Eubuleus.                         Wohl ein taubes Ei.

Archon (zu Demokrit). Du stockst? Warum?

Demokrit.                                                 Nun gut, als Gegengabe
Für den bescheidnen Platz, den hier uns beiden
Ihr in geziemender Entfernung gönnt,
Will ich's euch anvertrau'n.

Leukippe.                               So komm doch näher.

Demokrit. Euch vielmehr bitt' ich, daß ihr näher kommt.

(Die Frauen gehen eilig nach rechts hinüber, setzen sich dort unweit von Iris. Die Männer folgen ihnen)

Kleophanes (auf die Frauen deutend, im Hinübergehen).
Die Scheidewand, errichtet von der Strenge,
Wird von der Neugier überhüpft.

Demokrit (geheimnisvoll).                   Vernehmt:
Es lehrte jener Priester mich ein Mittel,
Um jederzeit untrüglich festzustellen,
Ob eine Frau dem Gatten oder Liebsten
Die Treue hielt.

(Die Frauen sehen einander verdutzt an. Die Männer spitzen die Ohren)

Kleophanes.           Nicht übel.

Iris (mit lebhaft erwachendem Interesse). So was gibt's?

Lichas (zu Demokrit). Untrüglich, sagst du?

Demokrit.                                               Tausendfach erprobt.
Gar manche scheinbar makellose Tugend
Hat in Ägypten sich als morsch erwiesen,
Wenn man ihr derart auf den Zahn gefühlt.

Leukippe (sich fassend, zu Demokrit).
Ist's weiter nichts, dann spar' dir bloß die Müh'! 62
Solch Mittel mag Ägyptern wichtig sein;
Für Abderiten ist es überflüssig.
        (Zustimmung der Frauen)
Nicht wahr, mein Onolaos?

Archon.                                   Allerdings.
Doch kann nicht schaden, daß man's kennen lernt.
        (Zustimmung der Männer)

Leukippe. Ein Mittel, das den Zweifel an der Treue
Zum Ursprung hat? Abscheulich!

Arethusa.                                         Niederträchtig!

Demokrit. Nein, das dem Zutrau'n die Gewähr verleiht.
Wenn hier die Frau'n zu treu sind, um zu täuschen,
Zu klug die Männer, um getäuscht zu werden,
Was könnte beiden Beßres dann geschehn
Als die Bekräftigung, die sichre Bürgschaft
Nach innen und nach außen durch ein Zeugnis,
Das umumstößlich ist?

Eubuleus.                         Da hat er Recht.

Arethusa (zu Eubuleus, strafend).
Schweig' du doch still!

Leukippe.                         Wir bürgen selbst für uns
Am sichersten. Nicht wahr, mein Teurer?

Archon.                                                       Freilich.
Dies Zeugnis braucht von euren Gatten keiner.
Nur laß der Wissenschaft zulieb uns hören,
Worin's besteht.

Die Männer (zu Demokrit). Ja, sprich.

Demokrit.                                         Ganz einfach . . .

(Geräusche von draußen)

Leukippe (ablenkend).                                                   Horcht!63

Zweiter Auftritt

Vorige. Struthion, Theopomp (kehren erregt durch die Mitte zurück. Während des Augenblicks zwischen Öffnen und Schließen der Tür hört man das Brausen der Volksmenge)

Theopomp Wie du begehrt, Leukippe, hab' ich donnernd
Für Struthion die Massen aufgewühlt.

Struthion. Doch grad so donnernd wühlte sie für Anthrax
Agenor auf.

Theopomp.       Pah, kein Vergleich!

Struthion.                                       Schon sammelt
Sich das Gericht.

Theopomp.               Und wird von den Partei'n
Umdrängt, umworben.

Leukippe (eifrig).               Höchste Zeit, mein Gatte,
Daß du die Hand ans Steuer legst.

Struthion.                                         Ja, wahrlich!

Archon. Geduld! Ich tu's im rechten Augenblick.
Doch, Demokrit, zuvor dein Mittel.

Leukippe.                                           Wie?

Eubuleus, Lichas, Kleophanes.
Dein Mittel!

Leukippe.         Jetzt, indes da draußen . . .

Archon.                                                     Hurtig!

Demokrit. Es ist so leicht wie wirksam. Eine Feder,
Aus irgendeines Spatzen Schwanz gerupft –
Nur muß der Spatz lebendig sein, darf sonst
Nicht Schaden leiden und hierzu nicht zweimal
Verwendet werden, sondern je von Fall
Zu Fall ein andrer – diese Feder legt man
Der Frau behutsam, wenn sie schläft, aufs Herz, 64
Und alles, was in dessen tiefsten Falten
Sich etwa birgt, sie plaudert's dann im Schlummer
Vom Anfang bis zum Ende klärlich aus.

Archon. Und bleibt sie trotzdem stumm?

Demokrit.                                             So darf man schwören:
Ihr Herz ist rein wie frisch gefallner Schnee.

(Bewegung bei den Frauen)

Kleophanes. Das muß man mal versuchen!

Eubuleus, Lichas.                                     Ja!

Kleophanes.                                                   Noch heut
Jag' ich nach einem Spatzen.

Lichas.                                     Hoch bezahl' ich
Den Gassenjungen, der mir einen fängt.

Eubuleus. Ich kauf' ein Vogelgarn; drin fangen sie
Sich gleich im Dutzend.

Arethusa.                           Albernes Gefabel!

Phila. Wer glaubt solch Ammenmärchen!

Glauke.                                                 Kinderkram!
        (Zu Kleophanes, drohend)
Komm du mit einem Spatzen mir nach Haus!

Kleophanes (eingeschüchtert).
Bloß prüfen will ich . . .

Glauke.                               Prüfen – mich, dein Weib?
O schwarzer Undank!

Phila.                               O Beleidigung!

Arethusa. Leukippe, du, die stets das Beispiel gab,
Das edle Beispiel, dem wir alle folgten,
Du schweigst zu diesem Greul?

Leukippe (zwischen Struthion und Theopomp stehend, hat unterdessen mit beiden Blicke getauscht).
                                                Weil mir Empörung
Beinah die Zunge lähmt. Hier aber stehn
Mein Priester und mein Arzt, in deren Fach 65
Die Frage schlägt, ob nicht schon der Versuch
Mit diesem Mittel wirken müßt' als Gift.

Struthion. Er wär' aufs äußerste gesundheitsschädlich.

Theopomp. Aufs höchste wär' er gotteslästerlich.

Leukippe. Du hörst es, mein Gemahl, und ich, im Namen
Von allen Ehefrau'n Abderas hoffe:
Du wirst verbieten, daß man Spatzen fängt.

Archon. Verbieten, was erlaubt ist vom Gesetz?
Wie kann ich das? Wie könnt' ich, tät' ich's dennoch,
Verhindern, daß es insgeheim geschieht?
Und wenn's geschieht, wird's dann nicht jeder Frau
Zum Ruhm geschehn, die so wie du, Geliebte,
Nichts ihrem Gatten zu verhehlen hat?

Leukippe (sich auf die Zunge beißend).
O! –

Elfter Auftritt

Vorige. Morsimos (ist durch die Mitte gekommen. Bei seinem Auftreten hört man wieder das Volksgetöse)

Morsimos (tritt eilfertig und ängstlich zum Archon).
            Herr, dich rufen komm' ich. Die Verhandlung
Beginnt sogleich . . .

Leukippe (drängend).       Ja, denk' an deine Pflicht.

Struthion (ebenso). Denk' an mein Recht.

Morsimos.                                             Der große Rat getraut
Nur unter deiner schirmenden Ägide
Sich an sein heut so schweres Richteramt.

Archon (zu Morsimos).
Sei's drum, ihr Hasenfüße.

Morsimos (ihn beiseite nehmend). Dein Bescheid?

Archon. Bescheid?

Morsimos.             Auf welche Seite du dich neigst?

Archon. Hab' ich dir das nicht schon heut früh gesteckt? 66

Morsimos. Nein, mich auf jetzt vertröstet.

Archon (achselznckend).                             Mir unmöglich,
Noch deutlicher mich auszudrücken. – Freunde,
Beiwohnen laßt uns diesem Zwischenspiel
Und haltet, bitt' ich, unsre Gasterei
Nicht für beendet, bloß für unterbrochen.

(Archon, Morsimos, Struthion, Eubuleus, Lichas, Kleophanes gehen ab durch die Mitte. – Die Frauen haben sich links vorn zusammengetan. Demokrit und Iris behaupten beobachtend ihren alten Platz rechts)

Leukippe (hält Theopomp, der mit den andern abgehen will, zurück).
Bleib, Theopomp! Du, stets der Frauen Zuflucht,
Behüt' uns vor der grenzenlosen Schmach
Des Spatzenfangs.

Phila (ihn beiseite nehmend). O Theopomp, was tun?

Arethusa (ebenso). O Theopomp, ich bin halb tot vor Angst.

Glauke (ebenso). O Herzenstheopomp, was würd' aus mir,
Was würd' aus dir, wenn ich im Schlummer spräche?

Theopomp. Weshalb so glaubensschwach, ihr Gottgeliebten?
Könnt ihr vermöge meiner Mittlerschaft
Nicht bauen auf den Beistand Aphroditens?
Ließ je die Liebesgöttin eine Frau,
Die sich an sie gewendet in Bedrängnis,
Zugunsten eines Ehemanns im Stich?

Arethusa. Doch dieses Mittel?

Theopomp.                           Bestes Gegenmittel
Bei Hausgefahr ist öffentlicher Zwist.
Ich eile drum, noch stärker ihn zu schüren,
Bis jeglicher Gedank' an Spatzenfedern
Verdunkelt in des Esels Schatten tritt.
        (Ab durch die Mitte)

Arethusa. Als böte das uns irgend Sicherheit!

Phila. Als müßte man hinfort nicht Nacht für Nacht
Sich vor der Feder graulen! 67

Glauke.                                   Nicht ein Auge
Werd' ich mehr zutun!

Arethusa.                         Unser Schlaf ist hin.

Leukippe. Ja, trotz dem allerlautersten Gewissen!
Denn was man aus dem Traum bewußtlos plappert,
Ist unberechenbar. Deswegen kommt
In mein Gemach, damit wir unbelauscht
Beraten, wie wir dieser Not begegnen.

(Leukippe, Arethusa, Phila, Glauke ab links)

Zwölfter Auftritt

Demokrit. Iris

Demokrit (sich die Hände reibend).
Hei, denen tränkt' ich's ein, den Heuchlerinnen!
Für jedes unverschämte Nasenrümpfen,
Für jedes Lippenkräuseln, Schulterziehn,
Womit ihr Hochmut sich an dir verging,
Hab' ich an ihnen dich gerächt.

Iris.                                               Wozu,
Mein Demokrit? Ihr Hochmut stört mich nicht,
Ja, ganz Abdera widert mich nicht mehr,
Im Gegenteil, ergötzt, erheitert mich,
Seit du mich liebst und mich dein Lächeln lehrtest.

Demokrit. Ich lehrt' es dich – und hab's durch dich verlernt.

Iris. Wie das, mein Freund?

Demokrit.                         Weshalb denn lächelt' ich?
Woher vermocht' ich's? Weil ich unbeteiligt
An Lieb' und Haß, an Lust und Pein der Menschen
Von ihnen abseits stand, weit außerhalb,
Weit oberhalb, und sel'gen Göttern gleich 68
Nur mit dem kühlen Auge des Betrachters
Auf ihr Gekreuch und ihr Gekribbel sah.
Doch nun – wovor zeitlebens ich geflüchtet,
Wogegen diesmal ich zu schwach gekämpft –
Nun hat Gefühl sich mein bemächtigt, Iris,
Gefühl für dich, und so mit einem Schlag
Ward ich hinein in ihres Treibens Mitte
Durch dies Gefühl wie durch ein Seil gezerrt.
Ich bin ergrimmt auf jede, die dich ächtet,
Ich hasse jeden, der voll Gier dich anblickt,
Möcht' jeden prügeln, dem dein Tanz mißfällt,
Und mehr als jeder, den ich je belächelt,
Schein' ich nun selber mir belächelnswert.

Iris. Du Lieber, kann allein die Weisheit lächeln?
Nicht auch das Glück?

Demokrit.                         Die Weisheit lächelt immer,
Das Glück, nur wenn es blind ist.

Iris.                                                   Blind? – Ich wußt' es,
Dir blieb ein Rest von Mißtrau'n.

Demokrit.                                         Von Vernunft.

Iris (dringend). Doch dein ägyptisch Mittel? Sag', beruht,
Was du von ihm erzählt, auf Wahrheit?

Demokrit.                                                 Zitterst
Auch du davor?

Iris (leidenschaftlich).   O nein! Ich nicht! Ich nicht!
Mag's jenen von der Stirn die Larve ziehn,
Dahinter sie gebrochnen Schwur versteckten –
Ich halte hoch, was ich dir nie beschwor,
Gab hüllenlos dir wie den Leib die Seele
Und könnt' im Schlaf nichts andres dir bekennen,
Als was ich dir im Wachen längst bekannt.
Daß manchen ich geliebt vor dir, doch keinen
Wie dich, nein, erst erschaffen ward zur Liebe, 69
Seitdem ich dein bin, dein Geschöpf, dein Teil!
Der Makedonierkönig mahnt umsonst
Mich Säumige durch immer neue Voten:
Dir fern sein däucht mir tödliche Verbannung,
Mir Heimaterde, was dein Blick mir spiegelt,
Mir Heimatluft, was mir dein Atem haucht,
Sei's in Abdera, sei's im Tartarus.
Drum segn' ich dieses Mittel, drum ersehn' ich's
Und fleh' dich an: Durchschau mich bis zum Grunde,
Damit du bis zum Grund mir glauben kannst!
O zögre nicht! Sobald in deinen Armen
Heut nacht ich eingeschlummert, mach' die Probe;
Leg' mir die Spatzenfeder auf die Brust!

Demokrit. Und wenn – was gern ich dir vorauszuglauben
Erbötig bin – die Probe heut gelingt?

Iris. Wär's nicht genug an dem?

Demokrit.                               Genug für heut.
Doch ob für morgen auch, für übermorgen,
Die nächste Woche, gar den nächsten Mond?
Kann sich von Tag zu Tag das Bild nicht ändern?
Und wollt' ich täglich drum von neuem prüfen,
Wo nähm' ich, Iris, all die Spatzen her?

Iris. So zahllos viele durch den Äther schwirren,
So zahllos viele Mal erforsche mich!
Nicht neben dir, nicht nach dir hat mein Herz
Für einen Andern Raum; denn meine Liebe
Zu dir wird ewig währen.

Demokrit.                             Ewig, Iris?
Vorüber wandert' ich im Morgenland
Am Trümmerschutt von tausendjähr'gen Reichen;
Und was Granit nicht kann und nicht Metall,
Das könnt' ein sterblich Herz?

Iris.                                             Solang' es schlägt. 70

Demokrit. Mein Kind, nicht deins noch meins vermag prophetisch
Für seinen künft'gen Taktschlag einzustehn.
Drum laß die Probe! Nicht ist sie bestimmt
Für Herzen, die zu wahrhaft sind, zu stolz,
Einander zu betrügen; ach, sich selbst
Betrügt man um so leichter, und am schlimmsten
Trügt uns des Lebens abgefeimte List.
Die Liebe will getäuscht sein, wär's auch nur
Vom holden Blendwerk wandelloser Dauer,
Und wenn die Täuschung welkt, so welkt sie mit.
In deines Kusses flücht'gem Augenblick
Wird Ewigkeit zur Gegenwart. O komm,
Laß mich sie kosten.

(Umarmung)

Iris.                                 Weiser Demokrit,
Ich liebe dich um deiner Weisheit willen
Und möcht' um deiner Liebe willen doch,
Du wärest so betört, wie du dich wähnst.

(Leukippe, Arethusa, Phila, Glauke kommen von links zurück, eine lebhafte Debatte noch leise fortsetzend)

Demokrit (halblaut). Da kehrt sie wieder, die gescheuchte Herde.
Auf und davon! Sie werden uns nicht missen.

Iris. Wir sie noch weniger.

(Beide ab durch die Mitte)

Dreizehnter Auftritt

Leukippe. Arethusa. Phila. Glauke

Leukippe.                         Dies Bündnis gilt
Und sei durch unsern Händedruck besiegelt:
Ein Frauenbund, zu Schutz und Trutz geschlossen. 71
Kein Mann erhält zum Ehebett mehr Zulaß,
Bevor er feierlich den Eid geleistet,
Er berge keine Feder im Gewand,
Und obendrein auf jedem freien Platze
Wird schleunigst für die Spatzen Gift gestreut.

(Vielstimmige Rufe von außen her)

Arethusa. Was gibt's?

Vierzehnter Auftritt

Vorige. Archon, Eubuleus, Lichas, Kleophanes (kommen durch die Mitte. Dann) Struthion, Physignatos. (zuletzt) Theopomp

Archon.                       Leukippe, wirf mir niemals wieder
Mein Zaudern vor. Dein Wunsch ging in Erfüllung.

Leukippe. Was trug sich zu?

Archon.                               Dein Schützling hat gesiegt.

Leukippe. Du Tapfrer sprachst für ihn?

Archon.                                               Ich schwieg für ihn.
Und hierdurch ward, wie der Erfolg dir zeigt,
Ihm mehr gedient, als hätt' ich widerrechtlich
Mein Machtgewicht geworfen in die Wage,
Die ohnehin zu seinen Gunsten sank.

Eubuleus. Denn Physignatos übertraf sich selbst,
Mit solcher Wucht gewalt'gen Redeschwungs,
Daß er den großen Rat zu Tränen rührte.

Lichas. Und ob Kinesias zum Gegenangriff
Auch alle Schleusen seiner Lunge zog,
Von seines Anhangs Beifall überbrüllt . . .

Kleophanes. Vergeblich. Struthion, in Anerkenntnis, 72
Daß er den Eselsschatten mitgemietet,
Ward freigesprochen; Anthrax ward verurteilt
Zu Tragung aller Kosten und Ersatz
Des Schadens.

Lichas.                 Die Partei der Schatten jubelt.

Eubuleus. Und die Partei der Esel schäumt vor Wut.

Archon. Nichts mehr davon. Der Fall ist abgetan.
Wir kehren drum zu wichtigeren Dingen
Befreit zurück.

Leukippe (ängstlich). Zu wichtigeren?

Archon.                                           Ja,
Zum Becher und den Frau'n (rufend) He, Xanthias,
Noch Wein.

Eubuleus (nach hinten weisend).
                  Der Sieger naht mit seinem Anwalt.

Kleophanes. Laßt uns ihn feiern!

Eubuleus, Lichas, Kleophanes.   Heil!

(Struthion, Physignatos sind durch die Mitteltür, vor der während ihres Eintritts eine tumultarische Menschenansammlung bemerkbar war, erschienen und kommen rasch nach vorn. beide atemlos und in großer Aufregung)

Struthion.                                             Spart euren Heilruf!

Physignatos. Ruft Rache lieber, wenn ihr Männer seid.

Struthion. Mein Anwalt hier – ihn bring' ich mit als Zeugen . . .
Frag', Archon, ihn . . .

Physignatos.                     Gibt's, frag' ich, Archon, dich,
In dieser Stadt noch Obrigkeit?

Archon (ungeduldig).                       Potz Hagel,
Was denn schon wieder? Habt ihr nicht gesiegt?
Was noch verlangt ihr mehr?

Struthion.                                 Verfluchter Sieg! 73
Hol' ihn die Pest, wenn das die Früchte sind!
Ich bin gelähmt; ich beb' am ganzen Leib.
Erst von den Freunden vor Begeisterung
Beinah zu Brei zerquetscht, ward ich sodann
Vom immerzu verstärkten Feindesschwall,
Der durch der Unsern Phalanx wie ein Heer
Von tollgewordnen Stieren tobend brach,
So mörderlich bedroht, beschimpft, bespien,
Daß ich des Todes war, wenn dieser Wackre
Mir nicht hierher gebahnt mit Rippenstößen
Den Rettungsweg!

Physignatos.             So wird ein Mann behandelt,
Weil er den Ringkampf mit des Unrechts Hydra
Glorreich bestand!

Lichas, Kleophanes.   Erbärmlich!

Eubuleus.                                       Sollen das
Wir Schatten dulden?

Physignatos (zum Archon).   Lässest Zucht und Ordnung
Du so mit Füßen treten?

Archon.                               Nur gemach!
Meint ihr, ich könnte die geschwollne Flut
Nicht meistern, weil ich's für geratner halte,
Zu warten, bis von selbst sie sich verläuft?
Durch Urteilspruch des obersten Gerichts
Ist dieser Fall erledigt; binnen kurzem
Wird, sag' ich euch, danach kein Hahn mehr krähn.
Drum setzt euch her und spült mit Chierwein
Den Staub der Schlacht hinab.

(wachsender Lärm von außen her, bis zum Schluß des Auftritts)

Physignatos.                                 Erledigt? Hör' doch! 74

Theopomp (eilig durch die Mitte).
Dergleichen ward, solang Abdera steht,
Noch nicht erlebt!

Archon.                     Was will, was schreit man?

Theopomp.                                                       Aufruhr!

Archon. Warum nicht gar!

Theopomp.                       Und seine Spitze wendet
Sich, Archon, gegen dich.

Archon.                                 Ha, das ist stark!

Theopomp. Schon kläfft an deines Hauses Tür die Meute . . .

Archon. Ein Blitz aus meinen Augen bändigt sie.
        (rufend)
Mein Diadem und meinen Herrscherstab!

(Die Diener bringen ihm das Verlangte)

Theopomp (währenddessen zu den Frauen, halblaut).
Verhieß ich euch zuviel? Wovor euch bangte,
Vergessen sinkt's in diesem Strudel unter.
Wenn Irgendwer nun Federn lassen muß,
Die Spatzen sind es nicht.

Leukippe (halblaut).               Wir atmen auf.

Archon (nachdem er das Diadem aufgesetzt, den Stab erhebend).
So!

Leukippe (sich ihm nähernd, zärtlich).
        Du begibst dich in Gefahr!

Archon.                                         Sei furchtlos,
Mein teures Weib!

Leukippe (mit einem Blick nach Theopomp).
                              Ich bin es.

Archon.                                         Heldenseele! –
Wohlauf! (Er wendet sich großspurig zum Gehen) 75

Fünfzehnter Auftritt

Vorige. (Die Mitteltür fliegt krachend auf.) Kinesias, Anthrax, Agenor, Chremes, Baton (und andere) Leute aus dem Volk (dringen mit drohender, geräuschvoller Gewaltsamkeit herein)

Kinesias.       Da seht nur! Seht! Hier prassen sie,
Die Schattenhäupter! Hier als Spießgesellen
Des schmählich losgeschwindelten Betrügers,
Des Eselschattendiebs begehn sie festlich
Den Meuchelmord an der Gerechtigkeit!

Agenor. Den Frevel an den Göttern!

Chremes.                                       Den Verrat
Am Volk!

Anthrax.         Den Schurkenstreich an mir!

Archon.                                                     Was wagt ihr?!
Wie Räuber fallt ihr in mein Haus, verletzt
In mir des Staates Hoheit . . .

Kinesias.                                     Räuber? Nein,
Als Ausgeraubte nahn wir. Und Verletzung?
Verletzt sind wir – wir, die Partei der Esel . . .

Anthrax. Besonders ich!

Kinesias.                       Verletzt bis in das Mark
Durch diesen schamlos niederträcht'gen Fehlspruch
Und fordern – wohlverstanden, Archon – fordern,
Daß du für null und nichtig ihn erklärst.

Archon. Ich soll . . .

Struthion.                 Verruchtheit!

Archon.                                         Ich am Urteil rütteln,
Das rechtens fällten unsre höchsten Richter?!

Physignatos. Bruch des Gesetzes! 76

Kinesias.                                     Steht in dem Gesetz
Abderas nicht geschrieben, daß der Archon
In Fällen, die das Wohl des Staats berühren,
Umstoßen kann des großen Rats Entscheidung
Und frei noch einmal selbst entscheiden darf?

Physignatos. Nichts andres dürft' er dann, als diesen Spruch
Bestätigen!

Kinesias.           Verwerfen müßt' er ihn!
Verwerfen, weil er eingestandnermaßen
Für falsch ihn hält.

Archon.                     Wer sagt das?

Anthrax.                                         Meine Frau.
Glückstrahlend kam sie von dir heim und brachte
Mir dein Versprechen mit, mir beizustehn.

Physignatos (auffahrend). Wie?

Struthion.                               Was?

Leukippe.                                         Du hättest . . .

Archon (verlegen).                                                   Hm, ein Mißverständnis . . .

Anthrax. Nichts da, sie sagt, sehr gut verstand sie dich.
Sie habe, sagt sie, dich durch ihre Gründe
Von meinem Recht vollkommen überzeugt.

Archon. Wohlwollend, väterlich empfing ich sie,
Versprach Erwägung . . .

Kinesias.                             Und erwogst wie immer
Bald hin, bald her, versprachst so hier wie dort
Und tatest nichts. Doch dieses Doppelspiel,
Nicht Fisch, nicht Fleisch, wir Esel sind's nun satt.

Physignatos. Wir Schatten auch.

Kinesias.                                   Wir wollen einen Lenker,
Der klar die Richtung hält, nicht ziellos schaukelnd
Im Zickzack fährt.

Physignatos.               Wir gleichfalls 77

Archon.                                           Undankbare!
Den Frieden gab euch meine Lenkerkunst:
Im Zickzack bricht ein Steuermann die Wellen,
Und schaukelnd fährt er in den Hafen ein.

Kinesias. Damit ist's aus. Zwei Häfen liegen jetzt
Im wildentbrannten Zwist sich gegenüber:
Entweder Esels- oder Schattenhafen;
Nur in den einen steuern kann das Schiff.

Archon. Des Staates Haupt ist über den Parteien.

Physignatos. Drum unparteiisch triff die Rechtsverhöhner!

Kinesias. Ja, triff sie!

Physignatos.             Selber nun bestehn wir drauf:
Als allerhöchster Richter unzweideutig
Erkläre dich für Struthion!

Kinesias.                                 Für Anthrax!

Physignatos. Sonst stürzen dich von deinem Sitz auch wir.

Kinesias. Sonst bleibt kein Stein Abderas auf dem andern.

Archon (händeringend). Starrköpfige, besinnt euch doch zuvor,
Ob um der ungestörten Ruhe willen,
Die hier geherrscht hat seit Urväterzeit,
Sich diesem unglücksel'gen Massenhader
Nicht besser als durch neuen Richterspruch
Ein Ende machen ließe durch Versöhnung,
Verständigung!

Kinesias.               Was? Wir uns mit den Schatten
Versöhnen?

Physignatos.       Was? Wir mit den Eseln uns
Verständigen?

Agenor.               Selbst wenn die Menschen, Archon,
Versöhnlich wollten sein, die Göttin Pallas
Ist's nimmermehr.

Theopomp.               Die Göttin Aphrodite
Noch weniger. 78

Agenor.                 Weh dieser Stadt, wenn Leugnung
Der Gottheit ungerochen bleibt! Wer gläubig
Emporblickt zu den Göttern, der erfleht
Bei Sonnenbrand von ihnen eine Wolke;
Doch Struthion, den Schatten statt beim Himmel
Beim Esel suchend, hat sie frech verneint.

Theopomp. Verzerrung! Anthrax leugnete die Götter,
Von denen just so wie der Wolke Schatten
Auch der des Esels stammt. Weh dieser Stadt,
Wenn man in ihr solch deutlich Gottgeschenk
Darf straflos hinterziehn!

Agenor.                               Weh, dreimal wehe
Der Stadt, in der ein hartgesottner Satyr
Wie Theopomp die Seelen irreführt.

Theopomp. Weh tausendmal der Stadt, in der die Schädel
Ein Frömmler wie Agenor füllt mit Spreu.

Agenor (fanatisch). O Pallas, strenge Walterin, vernimm
Die Lästerung. Hilf deinem schwachen Diener
Im Streit um deine Größe! Gib ein Zeichen,
Ein unverkennbar Zeichen deines Zorns!

Theopomp. Dies Zeichen, Aphrodite, sende du!

Beide Parteien. Ein Zeichen! –

(Kleine Pause während der Alle wartend stehen, den Blick emporgerichtet)

Physignatos (zuckend).             Ha! Bemerktet ihr? Es flirrte
Von oben was Geflügeltes herab –
Zum Haupt Leukippens hin.

(Große Bewegung)

Leukippe (hat nach ihrem Haar gegriffen).
                                          Es zappelt was
In meinem Haar.

Archon (sich ihr nähernd). Ja, was Lebendiges.

Agenor Dank, Himmlische! Das Zeichen ist's der Pallas. 79

Theopomp. Nein, dies ist Aphroditens Flügelpost.

Agenor. Drum weh den Schatten!

Theopomp.                                 Wehe drum den Eseln!

Archon (hat aus dem Haar der Leukippe einen kleinen Vogel genestelt und hält ihn in der geschlossenen Hand).
Es ist ein junger Spatz.

Die Ehemänner (anzüglich).   Ein Spatz!

Die Frauen (entsetzt).                             Ein Spatz!

Archon. Hierher verflogen hat er Schutz gesucht
In meiner Gattin Lockenwald.

Agenor.                                       Erkenne,
Was Pallas dir durch diesen Boten kündet:
Das schwerbedrängte Recht sucht letzte Zuflucht
In deinem Haus.

Theopomp.               Vielmehr der wahre Glaube
Sucht hier im Haus – dies kündet Aphrodite –
Schutz bei der frömmsten Frau.

Leukippe (angstvoll zum Archon).       Laß ihn doch fliegen!

Archon (feierlich). O nein! Denn wahrlich, Theopomp, Agenor,
Ich pflicht' euch bei: Dies ist ein göttlich Zeichen,
Und zwar ein doppeltes, von allen beiden
Göttinnen uns zugleich herabgesandt,
Und wundersam bin ich von ihm erleuchtet:
Der Pallas Botschaft wendet sich an mich,
An meine Gattin die der Aphrodite,
Damit wir uns im Wirbel dieser Zeit
Als euer echtes Führerpaar bewähren.
Pallas, der Klugheit Göttin, trägt mir auf,
Daß ich durch einen Spruch von höchstem Scharfsinn
Den Apfel eures Zanks verwandeln soll
In einen segensreichen Leckerbissen; 80
Und binnen einer Woche sei's vollführt.
        (Beifall)
Die Liebesgöttin aber – könnt' ich zweifeln
Mit diesem Spatzen in der Hand? – verlangt
Gleichzeitig von der Perle des Geschlechts,
Von meinem hehren Weib die Tugendprobe.

Leukippe (zwischen Struthion und Theopomp, wankend, leise).
Ich bin verloren!

Theopomp (leise).       Fassung!

Struthion (leise).                       Mut!

Archon.                                           So zupf' ich
Dem heil'gen Vogel denn vor euren Augen
Die Feder aus dem Schwanz; und in Erwartung
Der großen Dinge, die er euch verheißt,
Kehrt heim im Frieden!

Kinesias (drohend).               Nur im Waffenstillstand!

Physignatos (ebenso). Bis zu dem Spruch!

Archon.                                                   Ihr werdet sehn, es schmücken
Der Eselschatten und die Spatzenfeder
Abderas alten Ruhm mit neuem Gold.
Denn dartun werden sie vor Stadt und Erdkreis,
Daß ihr den klügsten Mann zum Archon wähltet
Und ihm der Himmel gab die treuste Frau.

(Während er die halb ohnmächtige Leukippe an seine Brust drückt, fällt der Vorhang) 81


 << zurück weiter >>