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Erinnerungen an Kaiser Wilhelm I. und Gastein.

Gastuna semper una.
Es giebt nur ein Gastein.

Es ist nicht immer wahr, was der alte Wandsbecker Bote sagt: »Wenn einer eine Reise thut, so kann er was erzählen« – denn es gibt auch vielgereiste Leute, die nichts erzählen können und so stumm sind, wie ihr Koffer, der auch nichts erzählen kann, wiewohl er überall mit gewesen ist. Aber dieser Leute Reisen war auch darnach, und sie hätten besser gethan, zu Hause zu bleiben. Wer auf eine Reise nichts mitbringt, wird auch nichts mit nach Hause bringen. Nicht daran liegt es, was wir sehen, sondern wie wir's sehen – und was wir beim äußern Sehen inwendig erschauen. Weckt die äußere Welt die innere, wird uns das Vergängliche zum Gleichniß des Ewigen, dann werden wir schließlich recht gesehen haben auf unseren Reisen und, wenn auch mit leeren Taschen, doch mit um so vollerem Herzen heimkehren.

Mit diesen Gedanken habe ich mich immer beim Reisen getragen und hätte so gern schon in jungen Jahren so eine Art geistigen »Bädeker« gehabt, der überall die mitschwingenden Töne anzeigt, wenn der Accord angeschlagen wird. Den muß sich aber schließlich jeder selber schaffen und verlegen und kann dann sein Buch gratis an den Mann bringen, was immerhin ein solides Geschäft ist. – Hat aber eine Gegend in mir vieles wachgerufen, so war's Gastein; und noch jetzt – ja vielleicht erst recht jetzt – taucht in der Erinnerung auf, was doch eigentlich Gasteins Perle gewesen, und das war Kaiser Wilhelm. Die beiden sind nicht zu trennen, und darum vermißt ihn droben nicht blos der biedere Gasteiner »Badeschloßbesitzer« und all' die Insassen dort, denen er immer ein schönes Stück Geld zurückließ, sondern alle die, denen Gastein durch ihn erst lieb wurde. Es würde mir sauer werden, jetzt hinaufzupilgern, denn das Vermissen würde mich auf Schritt und Tritt begleiten. Und Vermissen ist ja schwerer als Verlieren; dieses ist ein Augenblick, aber jenes dauert das ganze Leben hindurch. Es gibt Menschen, die einzig in ihrer Art sind und so nicht wieder kommen. Man soll sie nicht vergleichen mit andern, so wenig man Blumen mit einander vergleichen soll. Jede will in ihrer Art aufgefaßt und genossen werden. – So habe ich denn gern dem Bitten nachgegeben, Allerlei über Gastein und Kaiser Wilhelm zu schreiben. Vielleicht, daß der geneigte Leser, wofern er noch nicht da war, einmal hinkommt, vielleicht auch, daß er dort bei dem ehrenwerthen kaiserlich-königlichen Schulleiter und Ritter des preußischen Kronenordens, Herrn Winkler, absteigt, der ein eigenes Häuslein besitzt und auch ein paar Logierstuben hat, oder bei dem alten Dr. Proell in Villa hollandia, oder in der schönen Bellevue, kurz, bei Leuten, die das Thal schon lange kennen – dann könnten ihm meine Gedanken und Bilder möglicherweise etwas helfen, die Gegend zu verstehen.

Vom »Wildbad Gastein« hatte ich, Dank des guten geographischen Unterrichts, schon in meiner Jugend gehört. Das Wort »Wildbad« machte damals auf mich einen besonderen Eindruck; dachte ich doch dabei an so allerhand Schauer – und »Schauer sind ja des Menschen bestes Theil« – an tiefe Felsenklüfte und zerrissene Schluchten, kurz so, daß es einen ordentlich gruselte. Und doch, wie anders war's in Wirklichkeit.

Im Jahre 1870, mitten im Feldzuge, sollte ich zuerst davon Näheres hören. Ich lag mit dem Werderschen Corps vor Straßburg. Nach langem, heißem Ringen stieg die weiße Fahne auf. Die Stadt wurde übergeben, ich stieg vom Pferde und hielt die erste Predigt in der Thomaskirche. Unter den Zuhörern saß aber eine, mit einer Sanitäts- und Liebesgaben-Colonne aus der Ferne herbeigeeilte Samariterin, die mir für Gastein das Herz warm machen sollte, ehe ich es sah. Man muß ja oft in die Ferne geführt werden, um in die Nähe zu kommen, und findet oft draußen erst, was wir in unserer Nähe kaum geahnt haben. Da hörte ich denn zuerst von Gastein, daß dort ein evangelisches Kirchlein im Bau sei. »Dort oben?« sagte ich, »in dem Lande, das noch benetzt ist mit den Thränen der Ausgetriebenen? Dessen Bischof einst gesagt: »Lieber sollen Disteln und Dornen im Lande wachsen, als noch ein einziger Evangelischer sich darin aufhalten!?« Und doch war es so. Allenthalben waren Gaben dazu geflossen, die meisten aber aus der Hand der edlen Samariterin, deren Vater viele Jahre in Gastein Kräftigung gefunden, und die nun aus Dank gegen die heilkräftige Quelle es sich angelegen sein ließ, die andere dort zu öffnen, welche die müde Seele heilt. – Jedes solcher Werke hat eine äußere Geschichte, die man erzählen und mit Zahlen belegen kann, aber auch eine innere Geschichte, die unhörbar und unsichtbar neben der äußeren einhergeht. Das ist zumeist eine Geschichte des Kampfes, der Not und der Thränen. Wohl steht z. B. August Hermann Franckes Waisenhaus zu Halle a. S. so stattlich da, fast eine kleine Stadt zu nennen – und doch, es reden die Steine von Thränen und Kampf, von Not, die bis an die Seele ging. So war's auch da oben mit der Kapelle, – es dauerte noch eine geraume Zeit, bis alles in Ordnung war und Kaiser Wilhelm nach Hofgastein fahren und als Besitzer der evangelischen Kapelle sich einzeichnen konnte. Am allerwenigsten hätte ich aber gedacht, daß mir der Auftrag würde, diese Kapelle zu weihen. War ich doch noch im Felde und der Krieg noch lange nicht zu Ende, und gerade um die Weihnachtszeit sah es bedenklich aus. Und doch – der Krieg ging zu Ende, der Friede wurde geschlossen, ich zog wieder ein und heim mit den Truppen an jenem unvergeßlichen 16. Juni des Jahres 1871, und das Jahr darauf – erhielt ich den Befehl, nach Gastein zu fahren und dort die kaiserliche Kapelle zu weihen. So hatte also doch meine ahnungsvolle Samariterin Recht behalten, als sie sagte: »Wir werden bei der Einweihung uns zusammen finden.«

Anfang Juli 1872 machte ich mich auf, versehen mit Brief und Siegel, gen Gastein. Nürnberg und München lagen bald hinter mir, aber in wenigen Stunden sollte ich für die lange Fahrt belohnt werden, denn »unseres Herrgotts Schmuckkästlein« tauchte von der Ferne auf – und das ist Salzburg. Erzählt doch eine alte Sage, es habe unser Herrgott, als er die Welt schuf, noch ein apartes Kästchen zurückbehalten mit allerhand besonderen Herrlichkeiten, die er unter die verschiedenen Himmelsgegenden verteilen wollte. Da habe ein Engel das »Kasterl« genommen und betrachtet; da sei es ihm aus den Händen geglitten und vom Himmel heruntergefallen, gerade dort hin, wo Salzburg ist, und daher seien dort alle Herrlichkeiten der Welt bei einander. Das ist nun eine hübsche Sage, aber sie kostet dem Wanderer auch ein schön Stück Geld, denn in Salzburg sind auch die Rechnungen – gesalzen. Dafür hat man freilich all' die Schönheiten zusammen – notabene wenn es nicht regnet. Aber den Regen hat Salzburg in Erbpacht genommen, denn unter sechs Tagen ist kaum einer, ohne daß es vom Himmel mehr gießt als regnet. Hat man aber das Glück, wie ich es hatte, einen sonnenhellen Tag und einen lichten Abend zu erleben, dann ist's freilich zum Entzücken. Kaum habe ich eine erhebendere Abendfeier der Natur gesehen, wie dort. Wer hinauswandert nach dem Kloster Maria Plein, wo gelehrte und ungelehrte Benedictiner hausen, der sieht dort das herrliche Schauspiel am besten. In mäßiger Höhe steigt man die »Stationen« hinauf, bis zum hohen Kreuze, wo der Heiland die Arme breitet und Maria und Johannes zum Kreuze aufblicken. Dort aber breitet sich nun auch die entzückendste Aussicht unter den Armen Christi aus. Die Stadt mit ihren Kuppeln und dem Silberstreif der rauschenden und flutenden Salzach, die wie ein wilder Knabe aus den Bergen springt, inmitten der Stadt die Hohensalzburg, ein Bergkegel, der eine Festung trägt, und hinter dem allen die Bergriesen, der Untersberg mit dem schlafenden Barbarossa – denn nicht nur im Kyffhäuser soll er ruhen, – der Mönchsberg und Schafberg, der hohe Göll in der Ferne und die Spitzen des Watzmanns – alles im rotblauen Duft, der immer intensiver violett sich färbt, das Glühen der Bergspitzen, die der letzte Abendstrahl trifft, die Klosterglocken, die den Abendsegen darein läuten, das alles baut sich vor deinem Auge auf. Keiner spricht da oben, alle sind versunken in stiller Feier und Anbetung. Ich aber sagte mir: dort hinter jenen Bergen, die wie eine Wand das Gemälde schließen, liegt dein Ziel, liegt Gastein. Es war eine stille Vorfeier für die Feier, die meiner wartete.

Ich legte mein Haupt im »Goldenen Schiff« nieder, einem Gasthause, das im Herzen der Stadt liegt. Damals war es ein »Hotel ersten Ranges«, ob es dasselbe noch ist, weiß ich nicht; denn »das Unglück reitet schnell«, auch bei den Gasthöfen. Seitdem die Bahn allenthalben hinführt und die Post- und Retourkutschen von der Bildfläche verschwunden sind, haben auch die Gasthöfe, die inmitten der Stadt liegen, ein kümmerliches Dasein. Jeder will nahe am Bahnhof sein und flieht das Innere der Städte. Der »Goldene Schiffslenker« war damals ein biederer Salzburger, der mit seinen Gästen noch zu Tische saß und sie als »lebendiger Fremdenführer« über Salzburg belehrte. Salzburgs größtes Genie ist unzweifelhaft Mozart. Sein Denkmal, das Schild an seinem Geburtshause und das Lied, das allstündlich vom Domkirchenthurm herabtönt: »Der Vogelfänger bin ich ja«, sagen's uns zur Genüge. Ja, lieber Wolfgang Amadeus! Das neuere Geschlecht will deiner vergessen und wirft dich unter das alte Eisen. Du hast zu viel Melodie und süße Weise und zu wenig »Leitmotive«, zu viel »Können« und zu wenig »Wollen«! Unsereinem aber, der nach des Tages Last und Hitze erquickt werden und nicht noch einmal arbeiten und »dunkel ringen« will, wirst Du in unverwelklicher Jugendschönheit bleiben. Das habe ich jedesmal gedacht, wenn ich in Salzburg war, und bin in den Jahren darin nicht gescheuter geworden. Laßt doch einem Jeden seinen »Meister« und scheert nicht alle Leute und »Geschmäcker« über einen Topf!

Zum berühmten St. Peterskirchhof zog's mich auch hin, der an einem steilen Felsenabhang friedlich liegt. Die Hallen mit den alten Patriciergeschlechtern und deren gebleichten Schädeln, die hier aufgestapelt sind, der blüthenreiche Kirchhof mit der schönen Kapelle in der Mitte und die herrliche Aussicht auf die Stadt und die Berge machen ihn zu einem wunderbaren Stück Stillleben. Man kann darin so schön träumen! Es gibt ja gewisse Kirchhöfe in der Welt, auf denen man den Eindruck hat: »Hier möchtest du auch einmal ruhen«, und zu denen gehört St. Peter. – Aber wunderbar, hart an die Klosterzellen und an die Kirchhofsmauer stößt – der berühmteste Weinkeller Salzburgs. In den Fels gehauen sind die weiten, kühlen Gänge, die den besten, klarsten Tyroler und die Weine Oesterreichs bergen. Unter freiem Himmel oder unter Lauben sitzen die Gäste, und nebendran – der Tod. Ein Bild des Humors, wie der Dresdener Oberhofprediger, den ich herzlich grüße, in seinem herrlichen Büchlein »Humor und Christenthum« sagt: »Soll ich eine Illustration geben zum wahren Humor, so kenne ich kein schöneres Bild als das dort: jenen vielbesungenen Kirchhof von St. Peter, und hart nebendran der auch einer Dichterzunge würdige Stiftskeller. »Hier die ernste Stille des Todes – und dicht daneben die heitere Stätte des Lebens! Das ist das Bild des ächten Humors: tiefer Ernst und ächte Fröhlichkeit! Wie eben ein befreiter Geist von seiner verklärten Höhe herabsehen mag auf den Moment, wo man auf den kleinen Erdenwinkel seinen Staub hinausträgt – so sieht auch wahrer Humor durch den Bruch der Gegensätze hindurch von einer erhabenen Weltansicht auf das bunte Spiel des Lebens und auf den Wandel menschlicher Dinge.«

Nun aber endlich in den Postwagen, der nach Gastein fährt! Denn dazumal gab's noch keine Giselabahn, die einen herrlich durch all' die gefährlichen Orte bringt, wo immer die Post »hängen blieb«. Und doch war es kein ungemüthlich Reisen, diese 14-16 Stunden per Post, vorab bei schönem Wetter, und wenn man das Glück hatte, einen guten offenen Beiwagen zu erwischen. Man sah noch von Land und Leuten etwas, und unterwegs spann sich auch mit den Insassen ein Gespräch an, während man jetzt im Coupé den »geehrten Zeitgenossen und Mitmenschen« am allerliebsten tausend Meilen wegwünscht, um – die Gegend besser sehen zu können. Man hält's auch nicht der Mühe werth, mit einem Fahrgast anzubinden, weiß man doch nicht, wann er aussteigt, wahrscheinlich mitten im Gespräch. Wie anders, wenn man wußte: »mit dem hast Du dasselbe Ziel und wirst vierzehn Stunden mit ihm zusammen sein«, dann besah man sich den Reisegesellen, und wenn er es werth war, tauschte man mit ihm aus, und manchmal sind Freundschaften fürs Leben im Postwagen geschlossen worden. – Erst ging's nach Hallein, der alten Salzstadt. Einmal habe ich dort die Fahrt ausgesetzt, um hinauf in die Bergwerke zu steigen und in den Schacht einzufahren. Es ist eine grausig schöne Fahrt da hinunter auf den Balken, die fast senkrecht hinuntergehen, und dann in die Stollen und den See, der umglitzert ist von Salzkrystallen. Eine wunderbare, unterirdische Welt! Dann hinauf nach Golling mit seinen durch die Salzach ausgespülten Felsen, die man die »Oefen« nennt, und zum Passe »Lueg«. Vom Walde dicht umgeben steigt der Paß hinauf; es schieben sich die Berge zusammen, als gäb's keinen Ausweg mehr, dann geht's in die Tiefe hinab. Dort wurde einst im Tyrolerkriege ein harter Kampf gekämpft; noch sieht man die alten Mauern und Schießscharten, mit denen der Paß vertheidigt wurde. Treu bis zum letzten Mann fielen alle, der Uebermacht weichend. Jetzt fährt man in einem großen Tunnel ahnungslos unter dieser Stätte durch. Da lichtet sich der Blick, und die Burg Hohenwerfen zeigt sich dem entzückten Auge. Auf einem hohen Kegel gelegen, liegt dies Nest, darinnen man auch so manchen streitbaren geistlichen Herrn, wie den Fürstbischof von Salzburg, gefangen hielt. Aber die Aussicht aus diesem Gefängniß ist freilich so verlockend, daß man gern einmal für ein halbes Jahr sich da oben einsperren ließe. Unten das grüne Thal, und dann heben sich viele tausend Fuß hoch die nackten Steinwände der Rastädter Tauern empor; ein schauerlich erhabener Anblick, namentlich wenn die Abendsonne die rothen Felswände trifft. Wie gerne wäre ich da oben geblieben! Aber der Postillon mahnte, und wir mußten weiter. St. Johann im Pongau zeigt uns den Ersten des Geschlechts der »Straubinger«, die das ganze Thal bis nach Gastein beherrschen, und aus deren Händen man nicht kam, bis man beim »König von Gastein«, dem biederen »Joseph« Straubinger in Wildbad landete, dem so ziemlich »alles« gehörte, was in Gastein niet- und nagelfest war. Der Erste war also der St. Johanner, der Zweite der in Lent, und Einer schaffte den Gast zum Andern. Ihre goldene Zeit ist vorbei, und die Beiden sind zu ihren Vätern versammelt. Die Gegend war aber dadurch »familienhaft« geworden, und man nahm den Gruß vom Bruder zum Bruder mit. In Lent beginnt der letzte, steilste Weg, die »Klamm« hinauf. Das ist ein enger, hoher Paß, den nur vier Pferde erklimmen konnten. Rechts der Berg, unten die schaurige Tiefe, hart am Geländer gähnend der Abgrund, welchen die Ache durchbraust, und dann wieder steile Felswände, ohne Gras und Baum. Der Paß wird so eng, daß die Sonne kaum noch ihren Schein hineinwerfen kann – es wird dunkel und kalt. Da mit einem Male öffnet sich das Thal – und »die Gastein« liegt vor uns: ein breites, grünes Thal, mit Dörfern und einzelnen Häusern besäet, durchfährt die Post. Gleich am ersten Haus nach dem finstern Klammpaß mahnt die Inschrift an die Pilger- und Fremdlingschaft des Lebens. Da stand nämlich der Vers längs der großen Front des Hauses, dessen Dach weit vorsprang:

»Dies Haus ist mein und doch nicht mein,
Beim Zweiten wird es auch so sein;
Dem Dritten wird es übergeben,
Und der wird auch nicht ewig leben;
Der Vierte zieht hinein und aus –
Nun sag, mein Freund, wem gehört das Haus?«

Kaiser Wilhelm ließ gern an diesem Hause halten, und als ich einmal in der Predigt in Gastein dieses Hauses und seines Spruchs erwähnte, sagte er mir nachher: »Ja, den Spruch habe ich auch oft gelesen; es ist doch was Schönes, wenn einer mit einem guten Gedanken in sein Haus geht«. Es fing schon an zu dunkeln, als wir zum letzten »Vorspann« kamen nach Hofgastein. Das ist so ein kleines »Vorbad«, das sein Wasser herabgeleitet und abgekühlt von Wildbad Gastein erhält. Einst war's ein verkehrsreicher Ort, und die Häuser mit den großen Waarenhallen sagen von entschwundener Pracht. Noch mehr aber sagt die Kirche, an der vorn die alten reformatorischen Gegenbilder in Stein gehauen sich finden: die eherne Schlange und Christus am Kreuz, dazu die Inschrift nach – lutherischer Bibelübersetzung! Ich werde später noch auf Hofgastein zurückkommen, einen Ort, da nicht blos die großen Waaren- und Bankhäuser standen, die den Verkehr mit Italien vermitteln, sondern wo auch die Perle des gereinigten Evangeliums kluge Kaufleute gefunden hatte. Und jetzt! Auch die letzte Spur verwischt! – Nun noch den letzten Rang am Berg hinauf! Da rauscht es durch die Abendstille von fern her – es ist der prächtige Wasserfall, der durch Wildbad sich stürzt: die Lichter flimmern aus dem Dunkel, die Pferde eilen den letzten Rang hinauf und hinab, und wir sind am Ziel – in Wildbad Gastein!

Am »Straubingerplatz« landete der Postwagen. Dieses Platzes tiefe Bedeutung sollte mir erst später ganz aufgehen. Trotz der späten Stunde war er doch von Badegästen gefüllt, die zuschauen wollten, wer alles sich aus der dunklen Arche herauswickeln würde. Mich empfing der damalige Bürgermeister des Orts, dem ich eine Art Steckbrief meiner Person vorausgesandt hatte. »Hochwürden müssen sich halt noch e bissel weiter heraufbemühen,« meinte er, und ein handfester Hausknecht ergriff die Laterne und den Koffer und stieg voran den dunklen Abhang hinauf. Da lag denn oben, hoch auf einer Schutzmauer gethürmt, die »Bellevue«, ein Kaffee- und Logierhaus. Die Insassen empfingen mich freundlich – den ersten evangelischen Pfarrer, den sie eigentlich »von nahem« gesehen hatten. Was ist's doch um solch einen ersten Eindruck, den man von Menschen empfängt! Ist er nicht immer der richtigste, der tiefste bleibt er doch; es müssen viele Eindrücke kommen, um den ersten zu verwischen. Es liegt etwas Wunderbares in diesem ersten Wirken des Menschen auf Menschen, das ungesucht und ungewollt seinen Einfluß übt. Im Augenblicke des ersten Begegnens wirkt der Mensch, so denke ich, central – d. h. auf den ganzen Menschen mit seinem ganzen Menschen – später mit einigen Seiten seines Wesens, aber nie wieder so wie beim ersten Male. – Nun, ich denke, es ist bei mir damals nicht ganz übel abgelaufen, und ich bin mit einem blauen Auge davon gekommen; alle Hausgenossen haben mit Liebe seit jenem Abend an mir gehangen, die fast zwanzig Jahre hindurch, und meiner gepflegt.

Es war ein wundervolles Zimmer, das ich bezog. Seine beiden Fenster schauten hinab ins Thal, in die zur Nacht erleuchteten Häuser, die zum Theil an den Bergen hingen wie Schwalbennester. Das Rauschen des Wasserfalls tönte herauf, fast allzumächtig, so daß es mit dem Einschlafen nicht gerade brillant ging. Am Morgen zeigte sich erst die ganze Herrlichkeit der Behausung. An der Wohnung liegt doch vieles, und ich habe immer an das Wort des alten Bunsen gedacht, das er seinem nachmals berühmten Sohne auf die Reise mitgab: » Wohne überdeinem Stande, kleide dich nach deinem Stande und unter deinem Stande.« – Eine schlechte Wohnung kann einem den ganzen Aufenthalt verleiden, das schlechte Essen kränkt einen etwas erhabeneren Geist wenig. Mein Zimmer war durch eine Mauer vom Nachbar getrennt, und das ist auch was wert; denn es ist nicht angenehm, bei Tag ein unfreiwilliger Zeuge von Gesprächen zu sein und des Nachts den Hochgenuß eines schnarchenden Nachbars zu haben. –

Der Morgen war leider recht trübe. Es regnete, aber nicht, wie bei uns zu Lande in der Ebene, so sachte weg – nein, es goß nur so; man hatte den Regen aus der frischesten Quelle bezogen, die ganze Wolke lag im Thal. Ein kräftiger Gebirgsregen, der seine vierzehn Tage dauert, hat für den Sommerfrischler etwas Bedrückendes; von Sehen ist keine Rede, die ganze Gegend ist wie ein Theater, bei welchem der eiserne Vorhang heruntergelassen ist. Man kann wohl allerlei Herrliches ahnen, aber es wird nichts »verzapft«. Daneben wird's auch schmählich kalt, so 4000 Fuß hoch über der Ebene. Das alles wäre aber noch gegangen, hätte nicht am folgenden Tage, dem Sonntage, die Kircheinweihung vor sich gehen sollen, die ich im Namen Kaiser Wilhelms vollziehen sollte. Der Trost war nicht groß, als mir mein Hauswirth sagte, daß es schon drei Wochen lang so geregnet habe, und daß auf morgen ein »Bittgang« vom Herrn Pfarrer befohlen sei, um unseren Herrgott zu bewegen, einmal die Sonne wieder scheinen zu lassen, dieweil alles verderbe. Ich ging hinab aufs Bürgermeister-Amt, zu berathen, wie wir's halten wollten, ob zuerst in der »Wandelbahn« ein kurzer Gottesdienst gehalten werden solle. Früher war nämlich in der »Wandelbahn«, einem »Institute furchtbarsten Ranges erster Klasse«, Gottesdienst gehalten worden. Man denke sich einen großen, schmalen Kasten, von beiden Seiten umglast, etwa dreihundert Schritte lang, der sich längs des Abhanges, die ganze Gegend verderbend, hinzieht, von einer erstickend heißen Luft gefüllt, in welchem Hunderte von Menschen sich spazierend bewegen oder spielend an Tischen sitzen – der einzige Zufluchtsort aller derer, die keinen Ofen haben, der übrigens eine Seltenheit damals in den Zimmern war, sowie für alle die Menschen, die keinen Familienanschluß fanden. Hier wurde musizirt, getanzt und auch gelegentlich »Gottesdienst für die Evangelischen« gehalten, also der »Tempel«, wie man gerne in Oesterreich die evangelischen Kirchen mitsammt den Judensynagogen zusammen nennt, während der Name »Kirche« allein für die rechtgläubige römische reservirt bleibt. Es war doch nachgerade den Leuten aufs Herz gefallen, daß an eben der Stelle, wo Tags zuvor getanzt worden, Gottesdienst gehalten werden mußte. Wiewohl ja nicht der Ort die Feier, sondern die Feier den Ort heiligt – so sind wir eben doch Menschen, die sich nicht so leicht von den Eindrücken losmachen können, die an der Scholle haften, auf der wir stehen. Es lag eine gewisse Armuthei, wenn nicht Schmach, auf diesen »Wandelbahn-Gottesdiensten«. Nun fragte es sich, ob wir uns bei diesem strömenden Regen nicht erst dort versammeln und die »üblichen« Abschiedsreden halten sollten, dieweil unter lauter aufgespannten Regenschirmen die Andacht nicht gerade erster Qualität sein werde. Ich machte dann mit dem Bürgermeister, der im Namen des Königl. preußischen Hausministeriums mir die Schlüssel der Kirche überreichen sollte, aus, daß, wenn es so am Regnen bleibe, die Feier in der »Wandelbahn« gehalten werden sollte. – Ich hatte aber im Stillen meine Gedanken, ob nicht der liebe Gott, dem alten Kaiser zu lieb, das berühmte Kaiserwetter am Himmel heraufführen wolle, und that im Geist einen Bittgang in stiller Nacht. Der Morgen brach an und – was für ein Morgen! Ich werde seiner nie vergessen. Keine Wolke am Himmel, im tiefsten Blau erglänzend, spannte er sich über das Thal hin! Ringsumher sah ich die Schneehäupter, die gestern noch völlig verhüllt in der Nebelkappe lagen: entblößt, feierlich, als wollten sie die kleine Kapelle begrüßen. Bis tief herab ging der Schnee nach dem langen Regen; es war frisch und kalt, aber so sauber gebadet und geputzt alles, wie's zum Sabbath sich schickt. Unsere gut katholische Hausmagd konnte sich doch des tiefen Eindruckes nicht erwehren, als hielte unser Herrgott es im Geheimen mit den »Evangelischen«. Sie sagte: »Dees is schon merkwürdig, Hochwürden, daß Sie zu Ihrer Kirchweih so a scheenen Sonnenschein haben! Bei uns haben's oan Bittgang heit machen wollen, und bei Ihnen is kommen ohne oan Bittgang.« Auch mir war der Sonnenschein ein Gruß aus der Höhe zu unserm Werk und wie ein Gruß des fernen Kaiserlichen Herrn für sein Kirchlein.

So konnte denn die Feier in der Kapelle selbst sein. Stelle dir, geneigter Leser, eine Kapelle vor, im frühgothischen Stile erbaut, an den Abhang des Berges gelehnt, der, mit Fichten und Tannen reich bewachsen, hinabblickt ins tiefe, grüne Thal und hinauf zu den schneebedeckten Häuptern des Gamskarkogels, Graukogels und Ankogels, so hast du unsere Kirche. Eine breite Steintreppe führt von beiden Seiten hinauf zu einem Podium, von dem aus man in die Kapelle tritt. Kaum kann man sich eine schönere Lage denken; die ganze Umgebung ist schon eine stille, ergreifende Predigt, und wer diese nicht versteht, wird auch von der, die er drinnen vernimmt, nicht viel haben. Wer kein Auge hat für Gottes Herrlichkeit im Vorhof der Natur, wird auch kein Ohr haben für sein Wort im Heiligthum.

Die Gemeinde, aus Badegästen aller Zonen und Konfessionen bestehend, hatte sich vor der verschlossenen Thür versammelt. Der Bürgermeister, als Delegirter des Hausministeriums, las die Urkunde über die Uebergabe und reichte mir einen kunstvoll gearbeiteten Schlüssel, ein Meisterstück der Schmiedekunst. Ich öffnete. Als wir hereintraten, empfing uns ein wundersamer, harziger Duft, der all' den Tannenbäumen und Reisern entquoll, die in reicher Fülle alle Winkel der Kirche schmückten. Ueber dem Chorbogen, in welchem die Inschrift leuchtete: »Halte, was Du hast, daß Dir niemand Deine Krone nehme« – zog sich ein dichter Kranz von Alpenrosen, und das kleine Chorfenster war mit einem herrlichen Kranz von Edelweiß umrahmt. Ja, so ziemte es sich für die Wald- und Alpenkirche, auf deren Altäre die herrlichsten Alpenblumen dufteten. Ich intonirte ohne Orgel: »O heil'ger Geist, kehr bei uns ein«, was trotz der Verschiedenheit der Zungen erträglich klang. Dann weihte ich Altar, Kanzel, Orgel und Glocke. Die Orgel, in Salzburg erbaut, fiel mit »Allein Gott in der Höh' sei Ehr'« ein, und dazu tönte das silberhelle Glöcklein – zum ersten Male wieder seit 140 Jahren von einer evangelischen Kapelle herab. Ich hielt die Liturgie. Die Katholiken knieten beim Credo, die anderen sprachen es laut mit. Der Predigt, der ich das Wort zu Grunde gelegt: »Herr, hier ist gut sein, da laßt uns Hütten bauen«, lauschte andächtig die Versammlung. War es doch für Viele das erste Mal, daß sie einem evangelischen Gottesdienst beiwohnten. Es gibt eine eigenartige Stille, die manchmal durch eine Versammlung gehen kann, von der Jeder wunderbar ergriffen wird. Sie ist vielleicht die tiefste, innerste Feier. So war es hier. Ich habe dergleichen nicht wieder so erlebt.

Meinen »Schulleiter«, der noch nie einen evangelischen Choral gespielt, muß ich loben, da er sich alle Mühe gab, nicht in seinen römischen Takt zu verfallen. Beim Einstudiren ging das nämlich zuerst im Schnellzug und im Walzertakt. Mit zwei Chorälen mußte ich zufrieden sein fürs erste; Hülfe sollte mir später noch werden. Die protestantische Misere unserer verschiedenen Lesarten und Melodie kam da recht zu Tage – da sang jedes »mündige Gemeindeglied« wild seinen Stil. Ich mußte also sehen, daß ich mir einen Chor bildete als festen Bestandtheil und Leiter des Gesanges. So bat ich denn am Schluß des Gottesdienstes alle stimmfähigen Mitglieder, sich am Abend in der Kapelle einzufinden, um singen zu lernen. Denn den Kaiser, der am nächsten Sonntag eintreffen wollte, konnten wir nicht mit solchem Gesang empfangen. – So verlief der erste Weihetag. Als wir um 12 Uhr aus der Kapelle traten, lachte der hellste Sonnenschein über dem tief herab verschneiten Thal. Unbekannte Menschen drückten mir innig die Hand, als kännten sie mich schon längst, und Leute, die sich bisher stumm an der Wirthstafel gegenüber gesessen, fingen an, mit einander zu reden. Ein gemeinsames Band hatte sich um die Gäste geschlungen, eine andere, lebenswarme Quelle hatte sichtlich ihr Herz durchströmt. –

Mein Chor hätte sich nicht besser zusammenfinden können. Ein musikalischer General erbot sich, das Oberkommando zu übernehmen über die sehr gemischte Truppe. Unsere Hauptstütze waren eine deutsche Gräfin und zwei Russinnen, die beiden letzten der griechischen Kirche angehörend; die eine eine vornehme Dame in den besten Jahren, aber das Haupt dennoch mit schneeweißem Haar bedeckt, die andere ihre »Milchschwester«, d. h. die Tochter ihrer Amme, die von Jugend auf ihre Gefährtin war, Dienerin und Freundin, ihre »Maschinka!« Gräfin Clara, die Deutsche, erlernte schnell das Orgelspiel und sang auch einen guten Alt. Endlich entwickelte sich auch ein mäßiger Tenor aus einem ostpreußischen Gutsbesitzer heraus, der nur leider keine Baßnoten lesen konnte (vorerst mußte alles nämlich noch aus den Partituren gesungen werden). Ich mußte fürs erste den Baß übernehmen und die Noten für den Tenoristen umschreiben. So war für das Quartett gesorgt. Wir übten einen Psalm, dann die Liturgie und einige Choräle. So konnten wir siegesfroh den Kaiser erwarten. –

Und er kam. Ich hatte sofort meinen Bericht über die Einweihung nach Ems geschickt und darin gesagt, »daß Majestät uns diesmal zur Einweihung der Kapelle sein ›Kaiserwetter‹ wohlverpackt gesandt«, was ihn sehr amüsirte. Nun war ganz Gastein auf den Beinen, um ihm einen würdigen Empfang zu bereiten. War es doch das erste Mal, daß König Wilhelm als Kaiser nach Gastein kam, das erste Mal nach dem Feldzuge 1870/71. Die Ehrenpforten wurden gebaut und mit den österreichischen und deutschen Fahnen aller Staaten geschmückt. Was nur aufzutreiben war an Alpenblumen, wurde zum Schmuck verwandt. Auf dem Straubingerplatz hatte sich alles zusammengefunden, was zur Badegesellschaft gehörte, die wahre »Gesellschaft« aber schaute von der Freitreppe auf die erstere herab. Sie bestand aus alten Excellenzen, Ministern, Generalen, Herren und Damen. Schon um 2 Uhr war alles bedenklich gefüllt. Endlich gegen 4 Uhr kam die Nachricht, daß der Kaiser in Sicht sei. Die Kurkapelle, die aus neun Personen bestand, rüstete sich an ihrem Tisch zum »Heil Dir im Siegerkranz«. Ich hatte meinen Küster an die Kapelle gestellt, daß er das Glöcklein läute bei der Einfahrt. Der Kaiser hatte hoch aufgeschaut nach diesem Glöcklein seiner eigenen Kirche. »Es war ein lieber, erster Gruß,« sagte er, »den mir die Kapelle gebracht.« Hiervon später. Der Weg machte einen Bogen, so daß man den ganzen Zug von weitem sehen konnte. Ja, da saß denn hoch auf dem vierspännigen Wagenbocke der Postmeister, in scharlachrothem, schwarz- und goldverbrämtem Wams, etwa dem Samiel im »Freischütz« gleichend mit seinem schwarzen Hut und seinen Federn. Die Pferde liefen im schärfsten Trabe kunstvoll vor dem Postmeister, der es sich nie nehmen ließ, den Kaiserlichen Herrn selbst zu fahren. Endlich war die Brücke passirt, ein vielhundertstimmiges Hurrah ertönte – und holdselig, wie immer, grüßte der greise Held nach rechts und links mit seinem grauen Cylinder und im schwarzen Sommeranzug. Er stieg frisch die hohen Treppen, den Bekannten die Hand schüttelnd, hinauf und trat dann, in seinem Zimmer angekommen, auf den Balkon, die Menge zu grüßen. Die Musik that ihr Bestes, das ganze Volk sang – der Kaiser war in Gastein!

Kaiser Wilhelm gab Gastein gleich ein anderes Gepräge. Nicht etwa, daß nun ein vornehmes, steifes Wesen sich aufgethan – nein, es verlor nichts von seinem Zauber; aber Jeder fühlte sich »geehrt«, wenn in der nächsten Badeliste aus einem Separatbogen gedruckt Kaiser Wilhelm mit seinem Gefolge erschien, und er also auch mitzählte unter anderen Sterblichen. Jene Badeliste beförderte eine Menge der Herren auf eigene Faust zur Excellenz und zu Geheimen Räthen, die sonst in Civilverhältnissen noch nicht den Rang der Räthe dritter Klasse erschwungen hatten. »Lieber a bissel drüber titulirt, als drunter,« meinte ein ortskundiger Mann. Nur die Preise gingen in der Kaiserzeit enorm in die Höhe, und die Gasteiner wußten Kapital zu schlagen aus ihrem hohen Gaste. Das Badeschloß, ein altes fürstbischöfliches Eigenthum, war verpachtet an einen Wirth, der es wiederum seinerseits verwerthete. Unten befand sich die Wirthschaft; der Kaiser konnte gemüthlich auf die unten im Freien speisenden Gäste herabblicken; die Fenster gingen auf den Straubingerplatz hinaus. Dieser früher erwähnte Platz ist das Rendezvous, die Börse, das Lesekabinet für die Briefempfänger, das Musikzimmer Gasteins. Hier sind auch die freien Zimmer am schwarzen Brett angeschlagen. Zugleich ist der Ort wegen seiner Feuchtigkeit und seines Zuges der günstigste Rheumatismusfang der Welt, ein wahrer Forellenteich für die angelnden Doctoren; denn wer nicht krank war, der holte sich da beim Lauschen der »Neuntödter«, d. h. der neun Mann starken Musik, sicher eine Krankheit. Diesen Platz passirte alle Tage etwa um ½10 Uhr der Kaiser, in den ersten Jahren immer zu Fuß, später zu Wagen bis zu der Stelle, wo überhaupt kein Wagen mehr geht. Da wollten denn viele beim » lever du roi« zugegen sein, und wenn er morgens im grauen oder schwarzen Cylinder mit leicht gerötheten Wangen so elastisch die Treppe herabstieg und freundlich grüßte, nahm er schon Aller Herzen ein. Alte Bekannte trafen meist zu derselben Zeit auch da oben ein, begrüßten und beglückwünschten sich gegenseitig, daß sie sich noch hier einmal begegneten. Dann waren es auch alte, zur Disposition gestellte Herren vom Militär und Civil, an die sich schnell wieder das Gedächtniß des Kaisers gewöhnte. Das Gedächtniß des Kaiserlichen Herrn war ja überhaupt geradezu ans Wunderbare streifend. Wie wußte er die Leute zu erinnern, wie und wo erste gesehen. Es war eben nicht blos ein Gedächtniß des Kopfes, das leicht aussetzt, es war ein Gedächtniß des Herzens, das nie täuscht. Wer im Herzen des Kaisers stand, der war aufgehoben in seltener Treue. Wer darum in der Badeliste sich fand und von früheren Tagen her geschätzt und gekannt war, fand sich auch bald bei der Tafel ein. Diese letzte war in dem Eckzimmer des Hauses gedeckt, etwa sechzehn Personen fassend; waren es mehr, dann ging schon eine Beengung vor sich. Darum war die Zahl der Gäste beschränkt, weil die Begleitung, die alle Tage mitspeiste, schon einen großen Theil der Tafel besetzte. Gewöhnlich wurde um 4 Uhr getafelt, um dann noch Zeit zu einer Spazierfahrt zu haben. Das Diner war vortrefflich bereitet, aus etwa fünf Gängen bestehend – der berühmte Hummer fehlte fast nie, noch die berühmte Mehlspeise, die eben nur Frau Weißmaier als »Kaiserpudding« so fabriziren konnte. Die Weine kamen in großen Fourgons mit an und stammten aus dem Berliner Keller. Der Kaffee wurde dann im Empfangssalon servirt.

Einst war ich auf 4 Uhr zur Tafel befohlen, und da passirte mir eine hübsche Geschichte. Mein Tag begann schon des Morgens um 6 Uhr, wo man durch den biederen Hausknecht, der sich in einen »Bademeister« zeitweilig verwandelt hatte, aus dem Bette »gegrauelt« wurde. Da war's denn nach dem Frühstück von 7 Uhr Morgens bei der kräftigen Bergluft nicht auszuhalten mit dem Appetit bis Nachmittags. Also ging ich zu Joseph Straubinger, unten im Gelaß eine solide Suppe zu essen. Das hatte der Kaiser bemerkt. Als ich antrat, lächelte er und sagte: »Ei, Frommel, Sie haben schon bei Straubinger dinirt – Sie dachten wohl, bei mir gibt's nicht viel!« Ich faßte mich schnell – wußte ich doch, daß er von seinem Fenster aus alles sehen konnte, was bei Straubinger passirte, und daß kein Leugnen half – »Ja wohl, Majestät,« sagte ich. »Sehen Sie, unsere selige Mutter, die hielt es immer so, daß, wenn wir als Kinder zu vornehmen Leuten eingeladen waren zu Tisch, dann mußten wir so zwei Stunden vorher drei dicke Butterbröte hinunter würgen als solides Pflaster, damit wir dann recht hübsch anständig uns benähmen und nicht zu viel äßen. Dann hieß es jedesmal, »die bescheidensten Jungen sind doch immer die des Galerie-Directors«.« Da lachte der Kaiser und sagte: »Sehr gut. Sie haben doch eine kluge Frau Mutter gehabt.« Auch sonst erfuhr er alles, wiewohl kein »Moniteur de Gastein« erschien, aber die Excellenz von Lauer, der Leibarzt, der ein vortreffliches Erzählertalent und den Kopf voll prächtiger Citate hatte, erzählte während des Badens sämtliche Gasteiner Neuigkeiten. So war im August einmal der Geburtstag des Kaisers von Oesterreich herangenaht. Ihm zu Ehren sollte in der kleinen Dorfkirche – die neue war noch nicht erbaut – ein Te Deum von Haydn aufgeführt werden, mit Begleitung des Kurorchesters, der Orgel und mit einem Chor aus den Honoratioren und Eingeborenen des Thales. Alles war richtig einstudirt Die Baßarie – die Hauptsache mit dem » Salvum fac regem« – war in den Händen des Feldschers des Ortes, der Inhaber eines kräftigen Basses war. Da wurde derselbe hoch hinauf in die Tauern gerufen, einem Manne das Bein, das er sich gebrochen, einzurichten, und konnte darum nicht mehr zu rechter Zeit zurück sein. Da war denn die Noth groß. In Hast kam der Kantor zu mir, mir sein Leid zu klagen: »Dös ganz Stück is verhunzt, wann die Arie fehlt,« meinte er. Ich sah ihn fragend an: »Nun und wie helfen?« »Ach!« sagte er, »Hochwürden, wenn Sie so gut wären und thäten dös singe für unsern Kaisa«. »Ja freilich,« sagte ich, »das will ich schon thun. Gebt's a mal die Noten her.« Es war bald einstudirt – ich bat, mich nur in den Sängerhintergrund zu stellen, und die Arie ging mit obligatem Violoncell vortrefflich von statten. – Nachmittags war Diner zu Ehren des Kaisers, zu welchem ich geladen war. Da kam sofort der Kaiser auf mich zu und sagte: »Na, Sie haben ja heute in der Kirche so schön gesungen!« »Ja, das ist wahr,« sagte ich, »besonders schön war's zwar nicht, aber passabel. Aber ich dachte, wenn der Kaiser von Oesterreich uns da oben gestattet, evangelischen Gottesdienst zu halten, so dürfen wir auch an seinem Geburtstag für ihn beten und singen.« – Ich erzählte, wie's gekommen war, und wie ich als Sebaldus Notanker dem Kantor aus dem Wasser geholfen. »Ja, das ist sehr recht von Ihnen – ich habe aber gar nicht gewußt, daß ich solch einen musikalischen Hofprediger habe.« – Wer's dem Kaiser gesagt, weiß ich nicht. Ich denke, es war der Fürst Rohan, der in der Kirche aufgeschaut, und dem doch die Stimme nicht gerade »feldschermäßig« geklungen – und dann auf mich zugekommen war mit den Worten: »Ich danke Ihnen als Oesterreicher und dann als katholischer Christ und als Mensch, daß's so schön bei uns g'sungen hab'n«. Ich mußte lachen, namentlich über die schön aufsteigende Dreitheilung.

Der Tag des Kaisers war in Gastein ebenso regelmäßig ausgefüllt wie in Berlin. Die Arbeit war auch dort die Würze der Erholung; nulla dies sine linea – galt auch hier. Morgens früh auf – dann das Bad – und nach kurzer Ruhe der Spaziergang auf dem berühmten »Kaiserweg«. Das war früher ein kleiner, kaum zehn Minuten weiter, ebener Weg; der einzige, den man in Gastein gehen konnte. Denn alles steigt gleich in die Höhe – herauf oder herunter! aber Ebenen gibt's nicht. Es hat lange Jahre gedauert und allerhand Guerillakrieg unter den Gasteiner Lokalpatrioten gegeben, bis endlich der Weg in seiner ganzen Länge durchgeführt wurde. Früher war er durch Almen getrennt, deren jede ihren Schlagbaum hatte, wegen des weidenden Viehes. Die Schlagbäume mußten jedesmal geöffnet werden, ehe der hohe Herr passiren konnte. Da war denn einmal ein frischer, achtjähriger, ostpreußischer Junge mit seinen Eltern in Gastein. Dieser ließ es sich nicht nehmen, alle Morgen aufzupassen und vorausspringend die Schlagbäume zu öffnen. Als der letzte Tag für den Kaiser kam, rief er den munteren Jungen und sagte: »Nun, mein Junge, Du hast mir so treulich alle Tage geholfen, erbitte dir mal etwas von mir.« Da stemmte der Junge seine Arme in beide Seiten und sagte mit offenem, herzhaftem Gesicht: »Na, Majestät, wenn ich denn doch etwas wünschen darf, dann wissen Sie was: dann geben Sie mir Ihre Photographie und schreiben hübsch Ihren Namen darunter.« Der Kaiser lachte übers ganze Antlitz über den Jungen; Nachmittags hatte er die Photographie, die steckte er vorn in den Sammtkittel oben hinein, daß sie gerade auf das Herz zu liegen kam, und verwahrte sie wie einen Schatz. – Auf dem Kaiserwege konnten auch Leute sich vorstellen lassen, weil es da am besten und freiesten ging und keine Zeit raubte. So nahm ich auch einmal einen würdigen Amtsbruder mit, der sich für eine Gabe bedanken wollte. Ich hatte freilich meine liebe Noth mit ihm; denn der würdige geistliche Herr, der noch mit keinem gekrönten Haupte je gesprochen, titulirte den Kaiser beharrlich mit »Ja wohl, Euer Excellenz«, wiewohl ich ihn hinten am Frack zupfte, und ihm die »Majestät« ins Ohr raunte. Aber er verfiel immer wieder in seinen alten Stil. Der Kaiser drehte nur lächelnd am Schnurrbart und winkte mir mit der Hand, ich solle ihn nur ruhig reden lassen. So dachte ich denn wie jener General, der seinem Major bei einem Manöver einst den Auftrag ertheilt hatte, zu einem Truppentheil zu reiten, und der zu dem falschen geritten und nicht mehr einzuholen war: »Reiten Sie, Herr Major, reiten Sie!« Ein andermal hatten zwei vornehme Damen, eine Fürstin und ein Freifräulein, den Scherz gemacht, sich in Gasteiner Mädchentracht zu kleiden und dem Kaiser Sträuße auf dem Kaiserweg zu überreichen. Sie machten einen ungeschickten Bauernknix, als sie den Kaiser kommen sahen. Der Kaiser sagte zu dem Adjutanten: »Geben Sie Jeder ein paar Gulden,« und eben als sie das Geld erhalten sollten, erkannte sie der Kaiser und küßte beiden lachend und ritterlich die Hand. Freilich war auch der Kaiserweg, namentlich in den letzten Jahren, belagert von vielen Damen, denen man den Spottnamen: »Kaiserjäger« (nach einem österreichischen Regiment) gab. – Dann kam die Arbeit, die vortragenden Herren des Militär- und Civilkabinets, die der Kaiser stehend und mit stets gleichbleibender Geduld und Aufmerksamkeit anhörte. Dann wurde da und dort ein Besuch gemacht. Wie treu war doch sein Gedächtniß. Er wußte z. B., daß eine Offizierswittwe, deren Mann am Tage vor Mars-la-Tour gefallen, in Gastein wäre. Sie wohnte drei Treppen hoch. Aber – am Sterbetage stieg, mit einem Strauß von Alpenrosen und Edelweiß in der Hand, der greise Herr die Treppen hinauf, um der Wittwe des Gefallenen zu gedenken. Wer in seinem Herzen stand, den vergaß er nie. – Der Kaiser trug in Gastein einen Civilanzug, schwarzen Frack und weiße Weste und hellgraue Beinkleider, das kleidete ihn außerordentlich gut, er sah viel jugendlicher darin aus, als im Generalsrocke. Nach der Tafel stand der Wagen bereit zur Ausfahrt, bald nach Böckstein das Thal entlang, einem Lieblingsweg des Kaisers, oder zur »schwarzen Lise« hin, wo die Herren des Gefolges regelmäßig kegelten. Ja, die schwarze Lise! Wenn sie nur schwarz gewesen wäre! Das Wirthshaus muß freilich mal in alten Zeiten solch eine Bergschönheit besessen haben. Der Name ist geblieben, aber die jetzige schwarze Lisel ist zwar von keinem rosigen Teint mehr, sondern alt und über die Jahre der Schönheit hinaus, aber nicht schwarz. Sie verstand den hohen Herrn zu ehren und bekam von ihm eine Photographie mit Unterschrift; ein Glas, aus dem der hochselige Herr getrunken, hebt sie andachtsvoll auf. Böse Zungen behaupten zwar, sie hätte es schon sechsmal an Engländer verkauft – aber jedesmal das – unechte! Das Schönste an der Kegelbahn war nicht die Bahn, denn diese ging bergab und bergauf, sondern die herrliche Aussicht und der Kaffee der schwarzen Lisl. Da schaute der Kaiser oft halbe Stunden lang zu, wie ein »Pudel« nach dem andern kunstgerecht geworfen wurde. Dann ging's nach Hause beim Sinken der Sonne, denn dann wurde es bitter kühl da oben. – Oft war in dem Hause der Gräfin Lehndorff, der »Solitude«, Abendgesellschaft mit allerlei Spiel und Unterhaltung. Wer irgendwie unter der Badegesellschaft von Stande war und den Eindruck machte, einen Schimmer von dramatischer Ader in sich fließen zu haben, wurde herbeigeholt und von der Frau Gräfin einstudirt. Namentlich ein »Attaché« in Wien oder München wurde hercitirt und zum Schauspieler gemacht. Es ist ja manchmal der Fall, daß Diplomaten und Schauspieler nicht weit zu einander haben!

Für den Kaiser war es immerhin eine Erfrischung und Ausfüllung des Abends, der in Gastein, wie im Hochgebirge überhaupt, früher hereinbricht, als unten in der Ebene. – Ich saß am Abend derweilen in der Bellevue im Glaspavillon und freundete mich mit den verschiedenen Insassen an. Nach und nach wurden wir eine Familie, die sich regelmäßig zusammenfand: aus den naheliegenden Häusern und Pensionen kamen auch Andere. Wenn man nur immer einen Generalnenner fände zu den Bruchtheilen solcher zusammengewürfelten Gesellschaft! So wurde denn versucht, Jeden zum Erzählen irgend eines Erlebnisses seines Lebens aufzufordern. Zuerst wußte keiner etwas, schließlich aber fing es leicht zu tröpfeln an, und zuletzt rauschte es von Geschichten, daß der Mond schon über den Gamskarkogel herunter geschlichen kam und an das »unkurgemäße« lange Sitzen bis in die Nacht warnend mahnte. Es kamen eben auch allerhand Leute da hinauf, die nicht hingehörten. Aufgeregte Menschen, die man zur »Nervenberuhigung« nach Gastein geschickt, was aber gerade ein anregendes Bad ist, für alte Leute mit alten Bresten. Für diese ist es ein wahrhafter Jungbrunnen gewesen, während es für Andere das Mittel zum schönsten Schlagfluß war. Der Kirchhof von Gastein, so herrlich gelegen, wie nur einer, in der Welt mit dem alten Kirchlein aus dem 13. Jahrhundert, (seinem herrlichen Kreuzgeflecht nach zu schließen) ist ein recht internationaler Boden. Da liegen sie aus aller Herren Länder, die hier vielleicht nach stürmischer Fahrt gelandet sind, friedlich, die sich bekämpft im Leben, geeint, die getrennt waren in Konfessionen. An einem Abend spannte sich nach einem schweren Gewitter ein herrlicher Regenbogen über den Abgrund des Thales, von der römischen Kirche bis hinüber zur evangelischen Kapelle, mit seinen Enden beide berührend. Ein römischer, fremder Priester predigte am Sonntag darauf und nahm das Bild des Bogens, der sich über dem trennenden Abgrund spannt, als Symbol der Eintracht und des Friedens. Ich hätte ihn beneiden mögen um den schönen Gedanken, der keineswegs »kanonisch« war.

In den letzten zwanzig Jahren hat sich Gastein gewaltig verändert, ob zu seinem Vortheil, will ich nicht behaupten. War doch gerade das »Weltverlorene« an dem Bade das Beste. Nicht Jeder konnte hinauf, und es brauchte auch nicht Jeder hinauf, der heutzutage meint, es ohne eine Badereise nicht aushalten zu können. Seitdem aber die gewiß an sich herrliche Giselabahn nahe vorbeifährt – wenigstens auf 4 Wegstunden weit – und man nicht mehr seine vierzehn Stunden im k. k. Postwagen sitzt, ist Gastein auch ein Touristenaufenthalt geworden, und das ist der Tod aller Gemüthlichkeit. Früher war Gastein ein Bad der Alten, die hier wieder Jugendkraft schöpfen wollten, und für diese war es gleich dem alten Wein, den man die Milch der Alten und das Gift der Jungen nennt. Nun kommt eine Menge Volks, die den Luxus auch da oben schon will und meint, ohne Barockspiegel und rothsammetne Kanapees nicht leben zu können. Und man hat ihnen den Gefallen gethan und große »Logirhäuser« gebaut, die das Thal schänden und ihm seinen Charakter nehmen. Schließlich ist auch der alte Straubinger, der sich mannhaft gegen die Neuerungen gewehrt hat, der Gewalt gewichen und hat seinen Saal mit Stuccatur und imitirtem Marmor versehen lassen und – das alles in einer Alpengegend! Auch der gemeinschaftliche Tisch hat aufgehört, Jeder erobert sich sein Tischchen, und Jeder sieht, wo er bleibt. Der ursprüngliche familienhafte Zusammenhang ist zerstört. Früher aß der weniger bemittelte Gast um 1 Uhr für 1,50 fl. seinen Mittagstisch mit Gleichgesinnten und Gleichgestellten, und um 3 Uhr »speiste« der hohe Adel und la haute finance für 3 fl. Das war der einzige Unterschied. Dazumal konnte man auch noch was Gemeinsames wagen. So war eines Tages ein Stadel (Heuschober) abgebrannt, der einer armen Wittwe gehörte im Thal. Die that denn einen Nothschrei und erhob ein Jammergeheul hinauf »ins Bad«, daß beschlossen wurde, ihr zu lieb und Nutz ein »Wohlthätigkeitskonzert« in Scene zu setzen. Die Leitung des Ganzen wurde einem Comité von drei Personen anvertraut, unter denen ich zu sein die Ehre hatte. Wir engagirten die »neun Musen« (die neun Musiker des Badeorchesters); dieselben bildeten mit der »Freischütz-Ouverture« den ersten Quaderstein zum Aufbau des Ganzen, die pièce de résistance. Sodann fand sich ein »ehemaliger Tenor« ein, der behauptete, noch eine ziemliche Höhe zu besitzen; ein »Großindustrieller« aus Wien blies auf der Flöte, und ein »Naturkünstler« auf der Querpfeife, aus dem Steierland, meldete sich. Dann waren noch einige »vortragende Räthe« bereit zu Deklamationen, und eine Virtuosin auf dem Klavier aus Sachsen krönte das Ganze. Also ganz ansehnliche Kräfte! Der Eintritt war auf »zwei Gulden Münz« festgesetzt, ohne der bekannten oder unbekannten Wohlthätigkeit Schranken zu setzen. Der Tag war heiter, der Abend kühl – die Ouvertüre mit dem berühmten Unisono begann. Dann sauste der » Allegro con fuoco«, daß kein Instrument das andere mehr einholen konnte, und ebensogut »Lützows wilde, verwegene Jagd« auf dem Zettel hätte stehen können. Das gab ein fröhliches Lachen. Als dann der »verblichene« Tenor, auf den Fußspitzen sich wiegend, sang: »O wär' ich doch des Mondes Licht«, und der bereits bedenkliche Mondschein auf dem Haupte des Sängers beim Antrittskompliment den schon längst erfüllten Wunsch allzu deutlich zeigte – da steigerte sich das Wohlbehagen der Zuhörer. Dreimaliger Applaus lohnte ihn. Dann kam der Großindustrielle mit seiner eingelegten Flöte und mit den vielen blitzenden Ringen an den Händen und spielte sein Thema con variationi. Das Thema ging noch an,, die Variationen wurden immer schwieriger in presto staccato! Leider war der Wohlthätigkeitsvirtuose ein Asthmatikus, und zwischen den Tönen seiner Flöte pfiff der Wind aus seiner geängstigten Brust. Auch er wurde mit Beifall belohnt. Dann kam der Deklamator mit einem unsagbaren Gedicht, alles im falschen Pathos vorgetragen. Der biedere Steierer mit seinen schlichten Weisen und die sächsische Virtuosin rissen aber doch schließlich das Konzert heraus. Es wurde reichlich gesteuert, und jeder hätte gleich noch einmal den Beutel aufgethan, wenn er noch einmal so hätte lachen können. – Lange noch wurde von diesem Familienkonzerte gesprochen. So etwas wäre heutzutage nicht mehr möglich. – So feierten wir auch einmal den Sedantag und luden die Oesterreicher dazu. Es war im Badeschlosse. Wir hatten die besten Redner: den ehrwürdigen Oberbürgermeister Dr. Koch aus Leipzig und den ehemaligen Reichsminister Duckwitz aus Bremen, zwei Leute aus alten Tagen, die in jugendfrischer Begeisterung für Kaiser und Reich eintraten. Als ein Redner auf die »Damen« redete, wurde er so von Rührung übermannt, daß an ein Weiterkommen nicht zu denken war. Mitleidig wurde ihm beigesprungen, und noch rechtzeitig rettete ihn einer aus der Thränenfluth. Solch Fest wäre auch nicht mehr angängig.

Auch das »Badeschloß« war damals noch kein Hotel, es wohnten aber andere Kurgäste noch mit dem Kaiser zugleich in demselben. Das war auch die Ursache zur nachfolgenden Geschichte, die so ganz den herzgewinnenden Sinn des hohen Herrn bezeichnet. Es lag unten ein kranker Badegast im Erdgeschoß. Es gab Tage in Gastein, wo es mit Kübeln goß, so daß an ein Ausgehen nicht zu denken war. Und doch sollte der hohe Herr sich Bewegung machen. Er benutzte darum die ganze Flucht von Zimmern, um auf- und abzugehen. Als der Kammerdiener den Kaiser nicht mehr promeniren hörte, ging er hinein, um etwas zu bringen. Aber welch Bild entrollte sich ihm! Der Kaiser legte sich bückend einen Teppich neben den andern im Schweiße des Angesichts. »Aber Majestät, was thun Sie da, warum lassen Sie mich das nicht thun?« Lächelnd sagte der Kaiser: »Ja, das habe ich nun einmal selber gemacht. Da unten wohnt ein schwerkranker Badegast, der zu Bette liegt und wenig schlafen kann. Da habe ich die Teppiche alle zusammengelegt, damit der Mann mich beim Gehen nicht hört, da geht sich's doch leichter, und man macht sich so was am besten selbst.« –

Ich kehre zum Anfang zurück, zur Kapelle, um derentwillen ich hinaufgesandt war. Der Kaiser fehlte nie am Sonntage, wenn anders das Wetter erträglich war. Freilich, wir hatten auch nicht selten Anfang August schon fußtiefen Schnee, und es ging zur Kapelle wie zur Christmette im Winter. In die beiden Bibeln auf Kanzel und Altar hatte der hohe Herr geschrieben: » Du bist meine Zuversicht, meine Hoffnung von meiner Jugend an. Im Glauben ist die Hoffnung, und bei Gott ist mein Heil, meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist auf Gott. Gastein, 25. August 1872. Wilhelm, Imp. Rex.« Ein prächtiger »Kaiserstuhl« mit Namenszug und Adler war für ihn bereitet, aber niemals hat er ihn benützt. »Ich will auf keinem andern Stuhle sitzen, als andere Leute; thun Sie ihn nur weg!« Meist sprach er des Nachmittags noch über die Predigt; am meisten freute ihn, wenn man auf ihn gar keinen Bezug nahm. Als er einmal darüber sprach, wie peinlich es ihn berühre, im Gotteshause von sich reden zu hören, und mir dankte, daß ich es nie thue, sagte ich: »Majestät, ich denke, es ist schwer genug, sechs Tage lang König zu sein, und darum gewiß erquickend, am Sonntag ein schlichter Christ im Gotteshause sein zu dürfen.« Da faßte er mir beide Hände und sagte: »Ja, so meine ich es auch.« – Während der ziemlich langen Liturgie stand der Kaiser, und als ich ihn bat, sich doch zu setzen, da es ihn gewiß ermüde, sagte er: »Ach nein, mein seliger Vater ist immer gestanden, und das will ich auch.« Sein schönes, blaues Auge ruhte unverwandt auf dem Prediger, Niemand machte einen ruhiger als er. Wie vieles ließe sich noch erzählen von ihm – aber sei's daran genug. – Der Kaiser ist in großem Frieden heimgegangen, und Gastein ist ohne ihn für mich wenigstens inhaltlos geworden. – Bauen sie gar noch über die finstere Klamm weg die Bahn nach Gastein, und gelingt die Speculation der »Realitätenbesitzer«, dann wird Gasteins letzte Stunde geschlagen haben. Ich aber habe es noch in seinem stillen, vollen Glanze gesehen – Gastein und seinen herrlichen Gast – Kaiser Wilhelm I.!



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