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Emerson

In Emersons Lebenslauf war nichts von dem, was die Franzosen la vie à grande vitesse nennen. Nie betrat er die Bühne der großen Welt, nie war er in Kriegsabenteuer, politische Aktionen, spannende Liebesgeschichten, interessante psychologische Konflikte verwickelt. Sein Leben hatte gar nichts Romanhaftes und Romantisches. Selbst wenn es erlaubt wäre, von der Wahrheit der Tatsachen abzuweichen und seine Lebensgeschichte phantastisch auszuschmücken, müßte die beweglichste und reichste Einbildungskraft an einer solchen Aufgabe versagen. Denn die Grundeigenschaft, die Emerson als Mensch wie als Schriftsteller in gleichem Maße kennzeichnete, war eine ungeheure Selbstverständlichkeit, zu der alle aufregenden, auffallenden und überraschenden Züge nicht passen wollen.

Nur wenigen Menschen kann man die Ehre erweisen, daß man sie mit einer Pflanze, einem Kristall oder einem Bergstrom vergleicht. In der Entwicklung fast aller Menschen sind Sprünge, Risse, unorganische Beimengungen, Gewolltheiten. Statt ihre natürlichen Lebensbedingungen begierig aufzusuchen, streben sie danach, sie willkürlich zu verändern. In Emersons Biographie finden wir nichts von alledem. Sein Leben floß mit der einfachen und ausgeglichenen Richtkraft eines Stromes dahin, der sich selbst sein Bett gräbt und durch die natürlichen Fallgesetze seinen Lauf bestimmt.

Ralph Waldo Emerson wurde am 25. Mai 1803 in Boston geboren. Sein Vater William Emerson war dort Prediger an der »Ersten Kirche«; seine Mutter hieß Ruth und war eine geborene Haskins. Fast alle Emersons sind Prediger gewesen, und obgleich Emerson schon sehr früh einen gewissen Abscheu gegen allen theologischen und kirchlichen Formalismus faßte, so ist ihm doch sein ganzes Leben hindurch ein gewisser pastoraler Grundzug treugeblieben, nämlich das leidenschaftliche Bedürfnis, sich allen Klassen der Gesellschaft durch Rede und Schrift einleuchtend mitzuteilen und auf weite Kreise belehrend und fördernd einzuwirken.

Die Gaben, die Emerson später eine so glänzende und eindrucksvolle Wirksamkeit ermöglichten, waren im Vater bereits vorgebildet, der nicht nur als Redner berühmt war, sondern auch als Verfasser einer Geschichte seiner Kirche, als Herausgeber einer Sammlung von Kirchenliedern und als Verleger der Zeitschrift » Monthly Anthology« eine geachtete schriftstellerische Tätigkeit entwickelte. Er war von heiterem und geselligem Naturell, hatte für die literarischen und künstlerischen Fragen der Zeit ein lebhaftes und verständnisvolles Interesse und stellte sich in seinen theologischen Überzeugungen gegen die calvinistische Reaktion auf die Seite der freidenkerischen Partei, indem er den Schwerpunkt der christlichen Lehre von der Dogmatik in die Ethik verlegte.

Pastor William Emerson starb im Mai 1811. Die Witwe wäre mit ihren fünf Jungen, deren ältester zehn Jahre alt war, der Not ausgesetzt gewesen, wenn die Kirche nicht das volle Gehalt sechs Monate weitergezahlt und sich außerdem für die nächsten sieben Jahre zu einer Rente von 500 Dollars verpflichtet hätte. Immerhin war die finanzielle Lage der Familie ziemlich ungünstig, und Mrs. Emerson mußte eine Pension aufmachen.

Ralph Waldo besuchte schon mit drei Jahren den Kindergarten und lernte lesen. Dann kam er in die Elementarschule des Mr. Lawson Lyon, zog es jedoch häufig vor, die Schulzeit auf der Gemeindewiese zu verbringen. Im Jahre 1813 trat er in die lateinische Schule ein, wo er seine Vorbereitung zur Universität empfing. Neben der Mutter war damals Tante Mary Moody Emerson die wichtigste Person im Hause, eine echt amerikanische Figur, voll Schrullen und Querköpfigkeiten, aber von ausgezeichneter Geistes- und Charakterbildung. Sie scheint bei aller persönlicher Güte ein ziemlich strenges Regiment geführt zu haben, denn sie hielt bei den Kindern mehr auf die Beschäftigung mit Büchern als auf die Spiele im Freien. In der Tat erwarben sich auch die Jungen sehr früh eine große Belesenheit. Die moralischen Grundsätze, die sie den Knaben einschärfte, hatten einen puritanisch-stoischen Zug und übten eine große Wirkung auf Emerson, der noch in späten Jahren Tante Marys Lieblingswahlspruch: »Tut stets das, wovor ihr euch fürchtet«, zu zitieren pflegte.

In der lateinischen Schule fing Emerson bereits an zu dichten, aber nicht besonders gut. Dagegen kam er im Lernen gut vorwärts, nur in der Mathematik nicht. Gegen Ende des Jahres 1814 machte sich die Geldnot in der Familie besonders drückend fühlbar und Dr. Ezra Ripley lud die notleidenden Freunde in sein Haus in Concord. Concord (in Massachusetts, Grafschaft Middlesex) hat in der Familiengeschichte der Emersons immer eine große Rolle gespielt, und er sollte auch für Emerson selbst bedeutsam werden. Eine gewisse historische Berühmtheit hat der Ort dadurch erlangt, daß seine Einwohner am 19. April 1775 den Engländern den ersten bewaffneten Widerstand leisteten und hierdurch das Signal zum nordamerikanischen Befreiungskrieg gaben. Unter den Aufständischen befand sich auch Emersons Großvater, der in Concord Prediger war: er machte den Feldzug als Geistlicher mit und starb als ein Opfer des Krieges an der Malaria.

Vorläufig blieb Emerson jedoch nur ein halbes Jahr in Concord, wo er die Schule besuchte und wieder fleißig dichtete und deklamierte. Die weiten Maisfelder, die alten Eichen und Birken und der wilde Fluß waren für ihn neue und anziehende Dinge und weckten in ihm jenen tiefen und warmen Natursinn, der ihn sein ganzes ferneres Leben hindurch bei allen seinen Gedanken und Handlungen leiten sollte.

Im Sommer 1815 kehrte er nach Boston zurück, wo er sich weiter auf die Universität vorbereitete. Die Kosten des Haushaltes mußten durch Nachhilfestunden, Stipendien und Preisarbeiten aufgebracht werden. Im Jahre 1817 bezog er die Harvard-Universität, neben seinen Studien fortwährend mit allerlei schriftstellerischen Übungen: Tagebüchern, Aufsätzen, Gedichten und Vorträgen beschäftigt. 1821 bestand er das erste Examen mit mäßigem Erfolg.

Inzwischen hatte der um zwei Jahre ältere Bruder William in Boston eine » finishing-school« für junge Damen eröffnet und berief Ralph Waldo zur Mitarbeiterschaft. Emerson leistete dem Rufe bereitwillig Folge und oblag vier Jahre lang einem Berufe, zu dem er weder Neigung noch Fähigkeiten besaß. Zu seiner angeborenen Schüchternheit, die sich dem weiblichen Geschlechte gegenüber noch in erhöhtem Maße geltend machte, kam das natürliche Bewußtsein, daß er selbst noch ein Lernender sei. So gab er denn im Jahre 1825 den Unterricht endgültig auf, nachdem William schon ein Jahr vorher nach Göttingen gegangen war, um Theologie zu studieren.

In das Jahr 1825 fällt auch die erste Lektüre Montaignes. Emerson las die »Essays« zunächst in Cottons Übersetzung und fühlte sich aufs nachhaltigste ergriffen. In der Tat hat kaum ein zweiter Schriftsteller – selbst Plato nicht – einen so dauernden Einfluß auf Emersons Denk- und Ausdrucksweise genommen wie Montaigne. Die lockere Form der Darstellung, die zwanglos die verschiedenartigsten Gedanken aneinanderreiht, die derbe, bildkräftige Sprache, die Lebendigkeit und Wirklichkeitstreue der Schilderung, die unerschütterliche Wahrheitsliebe, der leidenschaftliche Drang, durch den Schleier der oberflächlichen Alltagsmeinungen und kritiklosen Überlieferungen an den wahren Kern aller Lebensverhältnisse zu dringen – dies alles sind schriftstellerische Charakterzüge, die Emerson und Montaigne in gleichem Maße eigen sind. So konnte denn auch Emerson nach vollendeter Lektüre sagen: »Es war mir, als hätte ich selbst in irgendeiner Präexistenz dieses Buch geschrieben.« Damals war es auch, daß er zum erstenmal den Gedanken der Ausgleichung, der sich durch alle seine Werke zieht, mit voller Deutlichkeit erfaßte. Er machte nun einen theologischen Kurs durch und hielt in Waltham seine erste Predigt. Dann ging er nach Chelmsford, wo er akademische Vorträge hielt. Indes zeigte sich schon damals, daß seine zarte Gesundheit den Anstrengungen des vielen und dauernden Redens nicht gewachsen war. Im Herbst 1826 wurde er als Prediger approbiert, mußte aber wegen eines Lungenleidens nach dem Süden gehen. Als er sich nach seiner Rückkehr noch nicht völlig hergestellt fühlte, beschloß er, sich Schonung aufzuerlegen, mietete sich ein Zimmer in Divinity-Hall und lebte dort länger als ein Jahr nur seinen Studien. Er las Hume und Coleridge, vertiefte sich in die Schriften Swedenborgs und lernte aus englischen Zeitschriften die Aufsätze Thomas Carlyles kennen, die sein höchstes Interesse erweckten. Ende 1827 verlobte er sich mit Ellen Tucker und fast gleichzeitig erhielt er einen Ruf an die zweite Kirche in Boston. Die Trauung fand im Herbst 1829 statt, aber schon nach anderthalbjähriger Ehe starb Ellen an der Auszehrung.

Doch auch seine Amtstätigkeit sollte seine Ehe nicht lange überdauern. Obgleich er zu seiner Gemeinde sehr bald in eine sehr herzliche und vertraute Beziehung trat, so meldeten sich doch ebenso schnell ernste innere Konflikte, die ihm die regelmäßige Ausübung des Predigerberufes unmöglich machten. Zunächst empfand er die Aufgabe des pflichtmäßigen Betens, die immer von neuem an ihn herantrat, als widersinnig und unnatürlich. Sodann aber machten sich auch ernste Bedenken gegen die kirchlichen Formen geltend, in die der Gottesdienst eingekleidet war. Emerson fand, daß es nicht am Platze sei, an gewissen rein historischen Vorstellungen und Gebräuchen festzuhalten, die dem Menschen der Gegenwart nichts zu sagen haben. Er machte daher seiner Gemeinde den Vorschlag, vom Gebrauch von Brot und Wein abzusehen und sich lediglich an die symbolische Bedeutung dieser Handlung zu halten. Viele von den Gemeindemitgliedern waren bereit, diese Reform anzunehmen, während die Konservativeren diesem Vorschlag einen sehr natürlichen Widerstand entgegensetzten. Die Kirchenbehörde verbot denn auch die Einführung der Neuerung, und nachdem Emerson seine Pflichten und Bedenken noch einmal ernstlich in Erwägung gezogen hatte, legte er sein Amt nieder. Er setzte sich mit seinen Vorgesetzten und seinen Pfarrkindern ohne Groll auseinander und schied in größter Eintracht. Laute Skandalszenen waren niemals im Stil Emersons: es lag ihm immer nur daran, bestimmte geistige und sittliche Wahrheiten zu finden und nach ihnen zu leben; die Reklame des Revolutionärs oder Märtyrers schien ihm nie erstrebenswert.

Für sein Ausscheiden aus dem Amte mögen jedoch noch tiefere Beweggründe maßgebend gewesen sein. Einer so durchaus introspektiven, ganz auf sich selbst gestellten Natur wie Emerson konnte keine bürgerliche Berufstätigkeit auf die Dauer genügen; alle äußeren Handlungen konnten für ihn nichts anderes sein als ebensoviele Ablenkungen von seinen wahren Aufgaben. Nach allerlei Fehlgriffen und mißglückten Versuchen hatte er nun endlich erkannt, was sein wahrer Beruf sei: daß er dazu bestimmt sei, als ein klarer und aufrichtiger Beobachter durch die Natur und die Menschen zu gehen und in freier Muße seine Ergebnisse aufzuzeichnen. Und von diesem Augenblick an hat er nie mehr etwas getan, wozu er nicht ein tiefinnerliches Bedürfnis fühlte, obschon er niemals auf das Recht verzichtet hat, seine Beobachtungen den Menschen in Büchern und Vorträgen öffentlich mitzuteilen.

Da sein Gesundheitszustand wieder etwas bedenklicher wurde, unternahm er zunächst eine Reise nach Europa. Er sah Sizilien, Neapel, Rom, Florenz. Aber die alten Bilder und Paläste hatten ihm nicht viel zu sagen; er wußte, daß die Mission seines Lebens nicht die Bewunderung alter, sondern die Verkündigung neuer Dinge sei, und ganz unbefriedigt ging er durch die römischen Ruinen. Er begab sich nach England, und dort hatte er das einzige Reiseerlebnis, das ihm tief ging: er machte die Bekanntschaft Carlyles, die der Anfang einer langen und ungetrübten Freundschaft sein sollte. Obgleich die beiden Männer sich in ihrem Leben nur sehr selten sehen konnten und hauptsächlich auf den Briefverkehr beschränkt waren, so bestand doch von allem Anfang an zwischen ihnen eine tief begründete Wahlverwandtschaft, die auch ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Überzeugungen durchdrang und für jedermann klar ist, der Carlyles » On hero-worship« mit Emersons » Representive men« vergleicht. Indes hat es sich hier weniger um eine Beeinflussung des einen durch den andern, als um eine wirkliche innere Solidarität gehandelt.

Schließlich war aber Emerson doch froh, als er seinen Fuß wieder auf amerikanischen Boden setzen konnte. Er blieb zunächst einige Zeit in Boston, wo er mit einigen hervorragenden Quäkern in Beziehung trat, deren Verkehr nicht ohne Einfluß auf ihn blieb. Ein gewisser Zug zum Puritanismus war Emerson durch Geburt, Neigung und Erziehung stets eigen.

Ende 1834 zog er mit seiner Mutter nach Concord, wo er sich ein Haus und einen Garten kaufte. Auch die gute Tante Mary war wieder da, und in Lydia Jackson fand er eine Lebensgefährtin. In Concord, dem Städtchen, das vor zweihundert Jahren von seinen Vorfahren gegründet worden war, blieb er den ganzen Rest seines Lebens, und hier hat er sein Lebenswerk begonnen und vollendet. Von nun an verlief sein Dasein noch stiller und unauffälliger als bisher. Er hatte den archimedischen Punkt gefunden, von dem aus er die Welt in Bewegung setzen konnte, und er brauchte nun bloß noch die Muße, den Frieden eigenen Nachdenkens und den Verkehr mit einfachen Menschen und der Natur. Beides fand er in Concord in reichem Maße. Die einsamen Spaziergänge im Walde gaben ihm frische Kraft und Anregung: seine Gedanken sind alle »Kinder des Waldes«, wie er selbst sie genannt hat. Am liebsten sprach er mit Fuhrleuten und Handwerkern, denn er erkannte die verborgene Weisheit, die in den Reden solcher Menschen liegt. Seine Beobachtungen schrieb er in Tagebücher, die er mit Inhaltsverzeichnissen versah und für seine Reden und Essays verwandte. Daneben war er eifrig in seinem Garten tätig, aber mit weit geringerer Geschicklichkeit.

An den politischen und wirtschaftlichen Kämpfen Amerikas hat er sich bis zu einem gewissen Grade beteiligt. Er trat entschieden für den Freihandel ein, und in dem hartnäckigen Kampf, den die Nordstaaten gegen das Sklavereisystem der Südstaaten führten, stellte er sich natürlich auf die Seite der Abolitionisten. Er schrieb auch eine Abhandlung » The emancipation of the negroes in the British West Indies« und hielt eine Rede auf den Tod des Präsidenten Lincoln. Aber im Grunde fühlte er doch, daß seine Lebensaufgabe auf einem anderen Felde liege und daß er andere Sklaven zu befreien habe, nämlich »gefangene Geister und gefangene Gedanken«.

Sein Aufenthalt in Concord wurde nur durch alljährliche ziemlich anstrengende Vortragsreisen und zwei Reisen nach Europa unterbrochen. Die erste dieser beiden Europareisen machte er 1848 nach England, wo er Vorlesungen über » the mind and manners of the nineteenth Century« hielt; die zweite fiel in den Winter 1872/73. Im vorhergegangenen Juli brannte nachts plötzlich sein Haus nieder. Seine Freunde rieten ihm, zur Wiederherstellung seiner durch die nächtlichen Löscharbeiten angegriffenen Gesundheit nach Italien und Ägypten zu reisen: der wahre Grund war, daß sie während seiner Abwesenheit das Haus heimlich wieder aufbauen wollten. Er sah auf dieser Reise zum letzten Male seinen alten Freund Carlyle, der sich jedoch in recht gedrückter und trübseliger Stimmung befand. Als er mit seiner Tochter Ellen, die ihn begleitet hatte, nach Concord zurückkam, läuteten alle Glocken und die ganze Stadt war auf dem Bahnhof versammelt.

In den letzten zehn Jahren seines Lebens gingen seine geistigen Kräfte sichtlich zurück, und dies legte ihm den Wunsch nahe, durch Mr. James Cabot eine Gesamtausgabe seiner Werke veranstaltet zu sehen. Dieser erklärte sich sofort bereit und entledigte sich seiner Aufgabe in mustergültiger Weise. Die Ausgabe erschien nach Emersons Tode bei Routledge in London.

1867 wurde Emerson zum Inspektor der Harvard-Universität ernannt, 1875 wurde er Mitglied der Französischen Akademie. Bis 1880 hielt er immer noch einige Wintervorträge und noch im April 1882 wohnte er dem Leichenbegängnis Longfellows bei. Wenige Tage später stellte sich wieder die alte Lungenentzündung ein. Er legte sich zu Bett, blieb aber heiter und geistig frisch. Am Nachmittag des 27. April stellten sich einige Schmerzen ein, die sein Sohn Edward Waldo, der ihn behandelte, durch Äthereinspritzungen linderte. Gegen Abend schlief er ein und starb kurz darauf völlig ruhig und schmerzlos.

 

Diese kurzen Umrisse geben uns die wichtigsten äußeren Tatsachen, die Emersons Lebensgang aufzuweisen hat. Seine wahre Lebensgeschichte ist jedoch nicht in diesen belanglosen und dürftigen Daten, sondern in seinen Tagebüchern, den unerschöpflichen Magazinen, aus denen er für sich und andere Belehrung, Trost und Anregung holte.

Das Lebenswerk eines Denkers gleicht einem lebensgroßen Gemälde seiner Persönlichkeit. Das Material, aus dem Emerson seine Essays und Reden zusammenstellte, bestand aus kurzen Tagebuchnotizen, die er auf lose Blätter schrieb.

Carlyle hat Emersons Schriften höchst treffend » a true soul's soliloquy« genannt, und nur wenn sie so gelesen werden, können sie richtig verstanden und genossen werden.

Es wäre ein zweckloser Versuch, wenn man ihm Anhänger gewinnen wollte, denn wer nicht aus jeder Zeile, die er geschrieben hat, den Ton der bezwingenden Güte und leidenschaftlichen Aufrichtigkeit spürt, für den hat Emerson nicht geschrieben. Emerson wirkt wie eine Naturerscheinung. Wie ein Stück Erde, ein Baum oder eine Landschaft, bedarf er weder der Erklärung noch des Lobes. Zur Freude an der Natur kann man niemand überreden, zur Freude an Emerson auch nicht.

Seine Gedanken sind heute für uns jung, denn sie kommen aus einem Weltteil, der sich rascher und unter anderen Bedingungen entwickelt hat als der unsrige. Aber sie werden auch in späteren Zeiten niemals altern und den Zeitgeschmack überdauern, denn Emerson schöpft aus zwei Quellen, die immer frisch bleiben: aus der Natur und aus seinem Herzen. Daher hat er allen Menschen und allen Zeiten etwas zu sagen, und er hat so wenig mit der Mode etwas zu schaffen, wie die übrigen seltenen Männer seiner Art, die von Zeit zu Zeit erscheinen, um das Wort Vauvenargues' zu bewahrheiten: » Les grandes pensées viennent du coeur


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