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8. Die Not des Grafen

Der Kampf um die Krone war entschieden. Mit unwiderstehlicher Gewalt trieb der König den Markgrafen der böhmischen Grenze zu, eine Burg nach der anderen fiel in seine Hände, die Flammen, welche aus den gebrochenen Mauern aufstiegen, verkündeten dem erschreckten Lande den Sturz eines edlen Geschlechtes und die Rache des Königs. Schonungslos wollte der König alles mit Feuer und Schwert tilgen, was an die Herrschaft seines Feindes erinnerte, und die harten Vollstrecker seines Willens fühlten zuweilen ein Mitleid, das er nicht kannte, und milderten in der Ausführung sein Gebot. So scharf war des Königs Zorn, daß sich jedermann über die Schonung wunderte, die er einem der Verschworenen zuteil werden ließ. An dem Grafen Ernst wurde das Todesurteil nicht vollstreckt, der Held büßte nur mit einem Teil seines Schatzes und wurde in milder Haft gehalten. Und die Leute rühmten den Erzbischof Willigis, weil seine Bitten den Haß des Königs gedämpft hätten.

Während der Markgraf als landloser Flüchtling in Böhmen umherirrte und die übrigen Empörer demütige Boten sandten, um die Gnade des Königs zu gewinnen, hielt Heinrich seinen Hof in Babenberg, der Stammburg seines Feindes. Dort sammelte sich das siegreiche Heer, der Belohnung und Entlassung harrend, auch die Königin Kunigund kam von Regensburg an; mit großem Geleite holte sie der König ein, und die Edelsten des Heeres begrüßten die Herrin nach altem Heldenbrauch auf ihren Rossen im Eisenhemd, indem sie zu zwei Scharen geteilt in gestrecktem Lauf durcheinanderritten und dabei die Gerstangen durch wilden Wurf an den Schilden der Gegner zerbrachen.

Immo hatte in dem Kampfspiel seine Reitkunst rühmlich erwiesen, die Jungfrau aber, in deren Augen er am liebsten sein Lob gelesen hätte, blickte nicht auf den glänzenden Zug. Er wußte, daß Hildegard auf Befehl des Königs unter der Aufsicht einiger frommer Schwestern in der Stadt weilte, aber ihm war trotz aller Mühe nicht gelungen zu ihr zu dringen. Als er jetzt vom Rosse stieg und in die Herberge trat, fand er den Spielmann Wizzelin, der in neuem Gewande und mit klirrendem Goldschmuck, das Saitenspiel in der Hand, seiner wartete, umdrängt von Kriegsleuten, welche mit dem wohlbekannten Mann Scherzreden tauschten und ihn mahnten, seine Kunst vor ihnen zu erweisen.

»Gutes Glück bringe mir das Wiedersehen, du flüchtiger Wanderer«, rief Immo.

»Auch Euch ist alles gelungen,« antwortete der Spielmann, »und als ein Glückskind rühmen Euch die Leute, während Ihr heut so hurtig rittet. Liegt Euch noch am Herzen zu erfahren, was Ihr einst von mir begehrtet, so vermag ich Bescheid zu sagen.«

Immo führte ihn schnell in seine Kammer.

»Sie ist hier,« sprach Wizzelin leise, »sie will Euch sehen, und ich vermag Euch zu ihr zu führen. Die alten Nonnen, bei denen sie weilt, sind keine strengen Wächter, auch sie vernehmen gern, wenn ich vor ihnen die Saiten rühre. Folgt mir sogleich, wenn es Euch gefällt, doch haltet Euch eine Strecke hinter mir zurück, denn ich bin den Helden hier nicht unbekannt«, fügte er stolz hinzu, »und muß auf viele Grüße antworten.«

Sie traten auf die Straße, der Spielmann glitt behend durch das Gewühl von Reitern und Rossen, von Burgmannen und Landleuten, welche herzugeströmt waren, den Einzug zu sehen. Oft wurde er angerufen, auch Gelächter und Spottreden klangen ihm entgegen. Gegen die Huldreichen verneigte er sich und versprach Besuch und Lied, den Spöttern antwortete er mit dreister Gegenrede, so daß er die Lacher stets auf seiner Seite hatte. Endlich bog er in eine stille Seitengasse und fuhr durch das Tor eines dürftigen Hofes. Er wies auf eine niedrige Fensteröffnung, hob einen Zipfel der Decke, welche das Innere verbarg, und sagte zu Immo: »Springt dreist durch die Tür, ich halte die Wache.«

Immo eilte in das Haus. Mit einem Freudenschrei warf sich Hildegard in seine Arme und drückte sich an seine Brust.

»Wie bleich du bist, Hildegard, und gleich einer Gefangenen sehe ich dich bewahrt.«

»Sie sind nicht hart gegen mich, und wären sie es auch, ich würde es wenig beachten, wenn ich an dich denke und dein Antlitz zu sehen hoffe. Denn so oft mich die Einsamkeit ängstigt und die Gefahr bedroht, bist du mir in meinen Gedanken nahe, du Lieber, mich zu trösten. Bald aber werden sie mich von hier fortführen zu der Königin, in ihrem Gefolge soll ich bewahrt werden.«

»Das ist gute Botschaft,« rief Immo, »dort vermag ich dir eher nahe zu sein.«

Aber Hildegard schwieg, ihr Haupt lag schwer an seiner Brust, und ihr junger Leib bebte in seiner Umarmung. »Hoffe das nicht, Immo, denn nicht für ein fröhliches Leben denkt mich der König zu retten, nur weil der große Erzbischof Mitleid mit mir hatte. Sie halten mich fest, wie die frommen Mütter sagen, damit ich nicht gleich einer Dirne auf die Straße geschleudert werde. Mein unglücklicher Vater!« rief sie mit gerungenen Händen. »Geh von mir, Immo, denn Elend ist mein Los, und meinem Vater droht das Verderben.«

Immo wußte wohl, daß der König damals, als er dem Geschlecht des Hezilo Abzug aus der Festung gestattete, den Grafen Gerhard mit seinem Gesinde aus dem Zuge der Entweichenden herausgerissen hatte, um ihn für seine Rache zu bewahren. Seitdem konnte niemand sagen, was mit dem Grafen geschehen war. Deshalb fragte Immo sorgenvoll: »Vernahmst du, wo er weilt?«

»Er liegt im Turm der Stadt gefangen, ich war bei ihm, und er begehrt in seiner Not nach dir. Eile, Immo, denn kurz ist, wie sie sagen, die Frist, welche ihm noch auf dieser Erde gestattet wird. Tröste ihn, wenn du vermagst, und dann komm noch einmal zu mir, damit ich dich segne und dir für deine Liebe danke. Denn, Immo, merke wohl, die Tochter eines entehrten Mannes kann nicht ferner dein Geselle sein. Suche dir die Braut unter den geschmückten Frauen, welche mit der Königin eingezogen sind und sich gleich dir des Sieges freuen; ich aber und mein Geschlecht schwinden dahin wie die flammenden Häuser und die Weiber und Kinder, die ich mit der Peitsche hinaustreiben sah.«

Immo rief unwillig: »Ich hörte immer, die durch ein Band gebunden sind, sollen auch Leid und Liebe miteinander teilen, solange sie leben. Meinst du, Hildegard, daß ich dich losbinde von deiner Pflicht gegen mich? Mein bist du, aus der brennenden Stadt habe ich dich getragen, und was sie auch über dich ersinnen, solange ich atme, darfst du dich niemandem geloben als mir, nicht der Königin und nicht den Heiligen. Zur Stelle suche ich deinen Vater auf, ob ich ihm nützen kann.« Er hob ihr gesenktes Antlitz mit der Hand zu sich herauf und sah ihr in die Augen. Lange dachte er an die heiße Liebe, mit der sie ihn bei diesem Scheiden ansah. »Morgen bei guter Zeit bringe ich Botschaft«, rief er noch an der Tür.

Am Fuß der Turmtreppe sprach der Wärter zu Immo: »Ihr werdet den Grafen in unehrlicher Gesellschaft finden, wenn Euch beliebt, jetzt hineinzugehen. Einer seiner Fechter ist bei ihm, er hat ihn gefordert; ich rate, daß Ihr harret, bis der ruchlose Mann gewichen ist.«

»Öffne doch,« versetzte Immo, »er hat mich dringend begehrt.«

Als Immo mit dem Schließer eintrat, sah er den Grafen auf einer Holzbank sitzen, und vor ihm stand Sladenkop, der Fechter, ein unförmlicher Gesell mit Armen und Beinen, die aussahen, als ob sie von einem riesigen Tiere genommen wären, mit kleinen scharfen Eberaugen, kurzer Stirn und borstigem Haar. Die Miene des Mannes war verlegen und sein Gesicht gerötet. Immo wandte den Blick mit mehr Teilnahme auf den Grafen. Denn sehr bekümmert erschien dieser, die Augen lagen tief und fuhren ängstlich umher, er war hagerer geworden, und sein Kopf stand nicht mehr so trotzig zwischen den Schultern wie sonst, sondern hing ein wenig nach vorwärts. Immo grüßte und winkte dem Schließer abzutreten, welcher mit einem argwöhnischen Blick auf den Fechter sagte: »Ich harre draußen an der Tür, wenn Ihr mich ruft.«

»Ich freue mich, Immo,« antwortete der Graf dem Gruße, »daß du nicht verschmähst, mich aufzusuchen, obwohl ich im Unglück bin. Immer hat dein Geschlecht mir edle Art gezeigt, und gute Freunde sind wir von neulich, wo du in meiner Halle saßest und wo du in meinem Lager den Würzwein trankest. Jetzt verläßt mich alles, sogar dieser Köter«, er wies auf den Fechter. »Betrachte seine Arme, so habe ich ihn gefüttert, und mir hat er sein Leben gelobt, jetzt aber sträubt er sich, mir im Kampfe einen Vorteil zu geben.«

»Verhüten die Heiligen, daß Euch jemals das Los zuteil werde, diesem da im Kampfe gegenüberzustehen.«

»Emsig flehe ich zu den Heiligen, daß sie es verhüten mögen; aber es scheint, daß sie Lust haben, es zu gestatten. Denn wisse, Immo, der König hat Übles gegen mich im Sinn, und weil wir am Idisbach in der Übereilung dem Erfurter Kaufmann seine Ballen genommen und den Mann dabei beschädigt haben, so will der König mir die Ehre nehmen, ich soll als gerichteter Räuber um mein Leben kämpfen, und weil ich Fechter gehalten habe, so fordert er in seinem Zorn, daß ich vor dem Ringe seiner Edlen gegen meinen eigenen Fechter streiten soll.« Immo trat erschrocken zurück. Der Gefangene erkannte die Teilnahme und fuhr vertraulicher fort: »Aus deinem Auge sehe ich, Immo, daß ich dir alles sagen darf; merke wohl, dieser Undankbare, der meinen Silberring an seinem Arm trägt und der mir gelobt hat, um Geld und Nahrung in jedem Kampfe sein Leben für mich zu wagen, er will sich jetzt von mir nicht treffen lassen.«

»Wie kann ich eine Abrede mit Euch machen, Herr, da Ihr kein Fechter seid und des Handwerks nicht kundig«, fiel gekränkt der Fechter ein. »Wäret Ihr einer von meinen Genossen, so wollte ich einen Arm oder ein Bein wohl daran wagen. Ihr aber würdet mir, wenn ich Euch einen Vorteil gäbe, das Eisen in die Glieder treiben, daß ich des Aufstehens für immer vergäße.«

»Du bist ein Narr, das zu fürchten. Ich war in meiner Jugend ein Schwerttänzer und treffe, wohin ich will, wenn mein Gegner Bescheidenheit erweist. So nimm doch die besten Gedanken in deinem dicken Kopf zusammen. Wenn ich dich wirklich ein wenig zu sehr träfe, durch die Hand eines Edlen zu fallen, wäre für dich das ehrenvollste Ende, das du finden könntest.«

Der Mann stand mit zusammengezogenen Augenbrauen und überlegte. »Ja, Herr,« sagte er zögernd, »Ihr sprecht nicht ohne Grund, auch der Fechter hat seine Ehre. Und wenn Ihr mich trefft, so soll dies mein Trost sein, und es wird Nachruhm gewähren bei allem fahrenden Volk. Doch wenn Ihr mich nicht trefft, sondern ich Euch, dann wäre der Ruhm noch größer.«

»Du aber hast dich mir gelobt, wie kannst du mich treffen, du Schuft?« rief der Graf zornig.

Der Fechter sah finster vor sich nieder. »Ich weiß, was Ihr meint,« begann er endlich, »und ich merke, daß ich in der Klemme bin wie ein Marder. Sie sollen nicht sagen, daß ich gegen meinen Herrn unehrlich gehandelt habe. Solange ich Euren Ring trage, seid Ihr sicher vor meinem Eisen; feilen sie mir den Ring ab, so fechte ich als des Königs Kämpe, und dann, meine ich, darf ich Euch treffen.«

»Weiche hinaus, du Elender!« rief der Graf zornig, »mich reuts, daß ich so manches Kalb und Rind in deinen Magen gestopft habe, und mich reuts, daß ich in meiner Not bei einem Ehrlosen Hilfe suche.«

Der Fechter sah verlegen und unschlüssig auf den Zornigen, dann wandte er sich trotzig zum Abgang. Als sich hinter ihm die Tür geschlossen hatte, saß der Graf eine Zeitlang schweigend auf der Bank, und Immo sah, daß ihm große Schweißtropfen von der Stirne rannen. Endlich begann er mit gebeugter Haltung: »Wundere dich nicht, Immo, daß ich gerade dich bitten ließ. Du kennst den Brauch in heiligen Dingen, du bist selbst ein halber Geistlicher, obgleich du das Schwert führst, und vor allem bist du jung, erst aus Wigberts Zucht gekommen, du kannst noch nicht sehr viel Böses getan haben, und die Heiligen werden dir eher etwas zugute halten als einem anderen. Darum möchte ich dir Vertrauen schenken in der Sache, die mir jetzt zumeist am Herzen liegt. Willst du mir geloben, eine Bitte zu erfüllen, so tue es.«

Da Immo erwartete, daß der Graf an seine Tochter denken würde, so war er gern bereit und sprach, an sein Schwert fassend: »Ich will, wenn ich es ohne Schaden für meine Seele tun kann.«

»Es ist ein frommes Werk«, versetzte der Gefangene traurig. »Wisse, Immo, daß es schwer ist, auf Erden ohne Sünde zu leben. So habe auch ich, wie ich fürchte, zuweilen etwas getan, was mich den Heiligen verleiden kann, ich sorge, daß es ihr Zorn ist, der mich in diese Gefahr gebracht hat, und daß sie mich gar nicht gutwillig hören werden, wenn ich sie hier aus diesem Loche um meine Rettung anflehe. Denn in meinem Jammer bekenne ich, wenig habe ich ihrer im Glück geachtet. Dem Gebet der Mönche mich zu übergeben, kann gar nichts frommen, denn auch diese sind mir zum Teil verfeindet, und sie beten nur eifrig, wenn sie Hufen und reiche Gaben erhalten. Meines Gutes aber wird, wie ich fürchte, der König mich entledigen. Darum ist mir eingefallen, was mich wohl retten könnte. Ich habe meine Sünden aufschreiben lassen; nicht gerade alle, denn mit den kleinen will ich den großen Fürsten des Himmels nicht lästig werden, aber die schwersten. Drei Tage und drei Nächte habe ich zwischen diesen Steinen darüber nachgedacht, sie zu finden und zu bereuen. Dem Beichtiger der Gefangenen – er ist ein ausgelaufener Mönch und ein guter alter Mann – habe ich sie hergesagt, und er hat sie auf mein Drängen niedergeschrieben und versiegelt.« Er holte ein zusammengelegtes Pergament unter seinem Sitze hervor, wies es dem erstaunten Immo und sprach feierlich: »Hierin sind meine Sünden, nämlich die groben. Mir kann Rettung bringen, wenn du sie zu den wundertätigen Reliquien großer Heiligen trägst und sie in ihrem Schrein oder doch darunter birgst, damit die Heiligen selbst mein Bekenntnis empfangen und, wenn sie es lesen, sich meiner erbarmen.«

Immo trat erschrocken zurück und sah scheu auf das zusammengelegte Pergament. »Wie darf ich mich unterfangen, dies Blatt den Heiligen zu übergeben, da ich kein Priester bin?« versetzte er. »Und wie kann ich einen Reliquienschrein erreichen, da ich selbst kein solches Heiligtum besitze?«

»Schaffe das Blatt an einen Ort, wo große Heilige hausen«, raunte der Graf ängstlich.

»Ich selbst bin aus dem Kloster in Unfrieden geschieden«, antwortete Immo, »und weiß nicht, ob mir die Mönche dort gestatten werden, dem Altar des heiligen Wigbert oder gar den hohen Aposteln zu nahen.«

»Auch erwarte ich wenig Gutes von diesen Heiligen,« versetzte der Graf zerknirscht, »denn ich leugne nicht, alte Händel habe ich mit ihnen, und sie möchten mir das gedenken. Auch in Fulda, fürchte ich, hat man schon manches von mir vor den Altären geraunt. Wandle leise zu einem hohen Heiligtum, wo man mich weniger kennt. Einen Reliquienschrein weiß ich, den besten von allen,« und er hob seinen Mund zu Immos Ohr und flüsterte: »das ist der Himmelsschatz unseres Herrn, des Königs. Er ist hier zur Stelle, und schnelle Fürbitte tut mir not, sonst kann sie mir für dieses Leben nichts mehr helfen.«

»Wie vermag ich zu dem Heiligtum des Königs zu dringen?« rief Immo.

»Ich weiß, daß du zu den Auserlesenen gehörst, welche die Wache in seiner Behausung haben, da mag dir wohl möglich werden, daß du das Pergament ungesehen unter die Decke schiebst. Vielleicht gelingt dir auch, den Geschorenen des Königs, der über dem Schrein wacht, durch Flehen und Gabe zu gewinnen. Versprich ihm Großes; denn wisse, einen Goldschatz, der nicht klein ist, bewahre ich unter einem Baume verborgen; wird der Priester zu der Guttat geneigt, so will ich den Schatz daran wenden und ihm die Stelle offenbaren.«

»Um die Heiligtümer des Königs sorgt jetzt der fromme Abt Godohard,« versetzte Immo kummervoll, »der Goldschatz wird ihn nicht locken, den hohen Himmelsfürsten, die für den König bitten, in deiner Sache so zudringlich zu nahen.«

»Ich finde dich kalt, Immo, wo es gilt, einen alten Genossen deines Vaters aus der Angst zu retten«, klagte der Graf und griff sich nach der feuchten Stirn. »Besseres hatte ich von dir gehofft und anderes hatte ich auch mit dir im Sinne. Denn als ich dich neben Hildegard, meinem Kinde, sitzen sah, wie du als Geselle ihr zutrankest, da fiel mir einiges ein, was ich mit deinem Vater beredet hatte, als ihr beide noch klein waret, und ich dachte, was nicht geworden ist, vielleicht kann es doch noch werden, wenn die Heiligen es fügen und auch dein Wille dahin geht. Jetzt freilich bin ich arg verstrickt, du aber bist im Glücke. Dennoch erinnerte ich mich an die Augen, die du damals machtest, als ich dich in meinen Saal laden ließ. Aber ich sehe, der Menschen Sinn ist veränderlich, zumal wenn sie jung sind.« Er setzte sich seitwärts auf die Bank und faltete die Hände, aber er sah von der Seite scharf nach dem offenen Antlitz des Jünglings, in welchem der innere Kampf sichtbar war.

Wild stürmte es durch Immos Seele, Hoffnung, die Geliebte durch den Vater zu erwerben, und wieder Mißbehagen darüber, daß der Vater sie ihm für eine heimliche Tat verkaufen wollte. Er stand in innerem Ringen, und dabei fiel ihm die Lehre ein, welche ihm der alte Bertram für sein Leben mitgegeben hatte, daß er dem Gelöbnis eines Mannes, der in Todesnot sei, niemals trauen solle. »Wegen deiner Tochter fordere ich keinen Eid von dir, und du gedenke mich nicht durch ihren Namen zu beschwören, daß ich dir helfe. Denn deine Not will ich nicht mißbrauchen zu einem Gelöbnis.«

»Du denkst edel, Immo,« rühmte der Graf, »sei auch barmherzig.«

»Gib mir das Pergament,« rief Immo entschlossen, »ich will tun, was ich kann, wenn auch nicht geradeso, wie du meinst, doch nach meinen Kräften; obwohl ich zage, daß mir die hohen Gewalten deshalb zürnen werden. Vermag ich nichts, so lege ich deine Sünden wieder auf deine Seele, wie ich sie empfing.«

»Ganz hochsinnig finde ich dich, Immo, und ich vertraue deinem Mut und deiner Klugheit«, rief der erfreute Graf. Er legte das Pergament in die Hand des anderen und hielt sich mit beiden Händen an seinem Arme fest. Immo schob das Pergament vorsichtig in die Tasche seines Gewandes und wandte sich zum Abgange. »Ich fürchte, das Blatt verbrennt mir den Rock,« sagte er unruhig, »lebe wohl, soweit du es hier vermagst. Ich kehre wieder, sobald ich die Tat versucht habe.« Den wortreichen Dank des Grafen unterbrach das Klirren des Schlosses.

Als der König am Abend nach dem Mahle in seine Herberge kam und durch den Haufen der Edlen und Geistlichen schritt, welche ihn erwarteten, um Segen für seine Nachtruhe zu erflehen oder ihm aufzuwarten, da sah er huldvoll, wie seine Gewohnheit war, nach allen Seiten umher, grüßte und nickte. Die neu Angekommenen aber, wenn sie Edle waren oder Geistliche, faßte er bei der Hand und küßte sie. Als der König Immo erblickte, der sich in die vorderste Reihe gestellt hatte und ihn bei dem Gruß flehend ansah, da merkte er wohl, daß dieser Huld begehre, winkte ihm gütig zu und sprach: »Als ein stolzer Held hast du dich heut getummelt, edler Immo, hell klangen deine Speere an den Schilden.« Und weil er gern daran dachte, daß Immo ein Gelehrter war, fügte er, um ihn vor den anderen noch mehr zu ehren, einen lateinischen Vers hinzu: Stolz schwingt der Held Ascanius die Waffen im Kampffeld. Und nachdem er, wie dem Könige geziemt, jedem seinen Anteil an Ehren gegeben hatte, trat er in sein Schlafgemach. Als er sich dort ermüdet niedersetzte, begann der Kämmerer zu ihm: »Der Thüring Immo fleht um die Gunst, deiner Hoheit etwas zu sagen.«

»Hat er es so eilig, Lohn zu fordern für seinen Sprung von der Mauer, ich habe ihm ja soeben vor allen Leuten wohlgetan.«

»Er sagte,« antwortete der Kämmerer sich entschuldigend, »daß er dem König etwas Geheimes vertrauen müsse.«

»Die Geheimnisse des Jünglings hättest auch du empfangen können.«

»Das meinte ich auch,« versetzte der Kämmerer, »er aber flehte. Gefällt's dem König, so sende ich ihn fort, denn er harrt vor der Tür.«

»So führe ihn herein«, befahl der König und stützte müde das Haupt in die Hand.

Immo trat ein, kniete nieder und zog das Pergament des Grafen aus seinem Gewande.

»Was bringst du mir so spät, Immo,« fragte der König und sah kalt auf den Knienden.

»Die Sünden des Grafen Gerhard«, antwortete Immo und legte das Pergament zu den Füßen des Königs.

»Verhüten die Heiligen, daß ich so unselige Gabe annehme,« versetzte der König, mit dem Fuß das Pergament wegstoßend, »Unheil bedeutet solche Spende, sprich, was soll der Brief?«

»Die Beichte ist es des Grafen«, sagte Immo feierlich, indem er das Kreuz schlug. Der König folgte schnell seinem Beispiel. »Der Graf verzweifelt in seiner Not, durch die Mönche bei den Himmlischen Gnade zu finden, zumal er ihnen nichts mehr zu spenden hat, denn sein Gut und Geld liegen in des Königs Hand. Da ließ er in der Herzensangst durch einen armen Priester seine Sünden niederschreiben und forderte von mir, daß ich sie heimlich zu den Heiligtümern meines Herrn und Königs trüge, damit die gewaltigen Nothelfer sich seiner erbarmten.«

»Und du hast ihm den Sündenbrief nicht zur Stelle vor die Füße geworfen, Verwegener?«

»Zürne, mein König, nicht, wenn ich gefehlt habe, mich erbarmte seine Angst. Wohl weiß ich, daß es ein Unrecht wäre, zu dem heiligen Geheimnis meines Königs zu schleichen und den Brief des armen Sünders dort zu verstecken, wie er begehrte. Dennoch wagte ich nicht, seiner Seligkeit hinderlich zu sein, und ich meine als redlicher Mann und nicht als Hehler zu handeln, wenn ich von der Gnade des Königs erbitte, daß mein Herr der Seele des hilflosen Mannes beistehe und seinem Priester gestatte, das Pergament zum Heiligtum des Königs zu tragen.«

»Und was hat dir der Graf versprochen, damit du diese freche Bitte wagst?« fragte der König hart, »denn meine Edlen pflegen nichts für nichts zu tun.«

»Man hat mich gelehrt, von einem Manne in der Todesnot nicht Gabe und nicht Versprechen anzunehmen«, antwortete Immo.

»Der dich so seltene Vorsicht gelehrt hat, hätte dich auch lehren sollen, gegenüber deinem Könige die Scham zu bewahren. Wie mögen die hohen Gewaltigen des Himmels, deren Gnade ich selbst froh bin, wenn sie sich zu meinem Heiligtum herniederneigen und mich schützend umschweben, wie mögen diese zugleich die Beschützer meiner Feinde werden? Und wie kannst du das wollen, wenn du kein Verräter bist?«

»Ich vernahm die hohe Lehre,« versetzte Immo kniend, »daß der Himmelsherr gern Erbarmen mit dem Sünder hat, und wenn der König, der des Herrn Schwert auf Erden hält, hier den Schuldigen richten muß, so mag ihn doch in seinem Amte trösten, daß die Bitte seiner Heiligen den armen Sünder aus den Krallen des üblen Teufels errettet.«

»Mir aber liegt gar nichts daran,« rief der König ungnädig, »den untreuen Mann dereinst an der Himmelsbank wiederzufinden, wenn die Himmlischen mir dort den Herdsitz bereiten wollen. Das mußtest du wissen, du Tor, bevor du seine Sünden mir auf die Seele legtest. Denn wenn ich nach seinem unverschämten Verlangen tue, so schaffe ich einem, der mein Feind war, Hilfe in jenem Leben und vielleicht auch noch in diesem. Und wenn ich ihm dagegen seinen Willen nicht tue, so mögen die Heiligen mir zürnen, weil es mir an Erbarmen fehlt. In solche Gefahr setzt mich dein dreistes Verlangen. Entweiche mit dem Briefe und trage ihn zu einem anderen Heiligtum, zu welchem du willst, wenn dir an der Gunst des Grafen mehr gelegen ist als an dem Vorteil deines Königs. Doch halt,« rief der König noch zorniger, »wer weiß, ob der Bösewicht nicht manches hineingesetzt hat, was mir selbst zum Schaden gereichen könnte, wenn die Unsichtbaren darauf hören.« Der König neigte sich schnell zu Boden, faßte den Brief und erbrach das Siegel. »Die Beichte des Grafen Gerhard will ich zuerst vernehmen, ehe sie zu den Heiligen dringt.« Er bekreuzte sich und setzte sich nahe zu der Kerze. »Schwach war die Kunst des Geschorenen, der diese Krähenfüße hingesetzt hat«, murmelte er. »Mit seiner letzten Verräterei fängt der Sünder an, ich glaube wohl, daß sie ihn am meisten ängstigt. Sie reut ihn, solange er im Turm sitzt. – Dann kommt der Kaufmann. Der Goldstoff, den er geraubt hat, war für die Königin bestimmt, und er hat ihn noch nicht einmal herausgegeben.« Und er las fort mit gespannter Aufmerksamkeit. Immo merkte, daß der König seine Gegenwart ganz vergessen hatte, denn er sprach zuweilen laut von den geheimen Taten.

»Den Grafen Siegfried im Walde überfallen, wobei ihn leider mein Mann Egbert erschlug. Die Missetat blieb ungerochen,« rief der König, »die Leute sagten damals, der Gefällte sei von Räubern erschlagen worden. – Hier folgen Sünden gegen die Wigbertleute. Es ist eine ganze Reihe. Schwerlich würde Abt Bernheri dafür Absolution erteilen. – Mit Herzog Heinrich, dem Zänker – der dreiste Bösewicht, meinen Vater so zu nennen.« – Der König sah um sich, und als er Immo noch auf den Knien fand, sprang er auf und winkte ihm zornig die Entlassung. Dann ergriff er wieder das Pergament: »Mit Herzog Heinrich verschworen gegen Kaiser Otto.« Der König warf das Pergament auf den Tisch und schritt heftig im Zimmer auf und ab. »Das Unrecht meines eigenen Vaters soll ich zum Schrein der Heiligen tragen, damit die Heiligen es wissen und an mir rächen. Unerhört ist die Bosheit.« Wieder eilte er zum Tisch. »Und hier steht es, meine eigene Sünde,« und er las: »Mit Herzog Heinrich, der jetzt König ist, Verabredung getroffen gegen seinen Vetter, den jungen Kaiser Otto.« Der König faßte das Pergament, drückte es mit der Faust zusammen und schleuderte es in den Kamin. Er riß die Kerze aus dem Leuchter, hielt sie daran, bis das Blatt sich bräunte und knisternd verkohlte, und stieß heftig mit dem Fuß in die Asche. »Dies sei der Heiligenschrein, zu dem ich deine Sünden trage, du Ruchloser. Mich selbst soll ich verklagen vor meinen Nothelfern um deinetwillen. Lieber lasse ich dich unter deiner Sündenlast leben wie bisher, als daß ich dir den Himmel öffne. Siehe selbst zu, ob du auf dieser Erde das Erbarmen der Himmlischen gewinnst, ich weigere dir die Hilfe, die du begehrst.« Der König stand finster vor dem Kamin. »An mein eigenes Unrecht mahnt er mich, und ich fühle den Schrecken und die bittere Reue. Für mich selbst will ich zu den Ewigen flehen wegen alter Sünden und daß ich jetzt dem Flehen einer armen Seele nach der Seligkeit meine Hilfe verweigerte.« Und Heinrich eilte zu dem vergoldeten Schrein, um den, wie er meinte, die hohen Fürsten des Christenhimmels unsichtbar walteten, enthüllte die heilbringenden Reliquien und warf sich mit gerungenen Händen vor ihnen nieder.

In der Frühe des nächsten Tages begann die Feier der Heerschau. Unter den Mauern der Festung Babenberg waren auf freiem Felde Schranken errichtet, die Pfosten mit grünen Zweigen umwunden, die Treppen mit kostbaren Teppichen belegt, an einer Seite stand auf hohen Stufen der goldene Königsstuhl. Dort wollte der König die Gaben verteilen und sein siegreiches Heer entlassen. Als die Sonne aufging, zogen die Scharen von allen Seiten der Ebene zu und lagerten bei ihren Bannern in weitem Ringe um den eingefriedeten Raum. Eine unzählige Menge Volkes drängte an den Schranken, um den König und das Festgepränge zu schauen. Die Helden des Heeres ritten in ihrem besten Schmuck herzu, stiegen von den Rossen und sammelten sich in der Umzäunung. Als der König auf seinem Schlachtrosse herankam, in Königstracht, die Krone auf dem Haupt, begleitet von der Königin und einem endlosen Gefolge geistlicher und weltlicher Herren, da brauste der Heilruf durch die Scharen, und auch die Landleute schrien und hoben die Arme, obgleich viele von ihnen über das Schicksal ihrer alten Herren bekümmert waren. Der König und die Königin stiegen die Stufen hinauf und setzten sich würdig auf den Königsstuhl, um sie herum saßen auf niedrigen Stühlen die Edelsten des Reiches. Nachdem der Rufer Stille geboten hatte, erhob sich der Erzbischof von Mainz, sprach das Gebet, segnete den Tag und verkündete mit mächtiger Stimme, die weit in das Feld schallte, den Willen des Königs. Zuerst die Strafen, welche der königliche Richter über die Empörer verhängt hatte. Jeden derselben nannte er beim Namen, dann seine Missetat und die Strafe, welche nicht sanft war. Nur den Bruder des Königs nannte er nicht, um das hohe Geschlecht zu schonen.

Immo stand in den Schranken nahe den Stufen und lauschte gespannt auf jedes Wort des Erzbischofs. Als in der unseligen Reihe der Besiegten der Name des Grafen Gerhard gerufen wurde, hielt er ängstlich den Atem an, denn er wußte, daß der Geliebten unsägliches Wehe bereiten würde, was darauf folgte. Aber ihm schoß vor Freuden das Blut ins Gesicht, und durch die ganze Versammlung ging ein leises Summen, als der Erzbischof aus dem großen Pergament verkündete, daß die Gnade des Königs die Missetat des Grafen nicht an seinem Leben und seiner Ehre, sondern nur an einem Teile seines Gutes rächen wolle, und daß dem Treulosen gestattet werde, seinem Lehnsherrn aufs neue den Treueid zu schwören. Immo machte eine heftige Bewegung, um aus den Schranken zu eilen, und der alte Hugbald, welcher als Führer der Klostermannen auch die Ehre genoß, in den Schranken zu harren, mußte ihn am Arme halten, daß er die Feierlichkeit nicht störte. Sorglos und mit lachendem Munde vernahm er eine lange Reihe von Belohnungen, welche der Erzbischof verkündete, denn der König teilte die großen Lehen der Babenberger unter seine Edlen. Jeder, der ein Herrenlehn empfing, ritt mit seinem Gefolge in gestrecktem Lauf dreimal um die Schranken, stieg am Eingange ab, trat die Stufen hinauf, empfing kniend die Fahne und schwor den Eid in die Hand des Königs. Das währte lange, und die Sonne brannte heiß, bevor alles nach Gebühr vollendet war. Aber die Krieger und das Volk ertrugen gern den Sonnenbrand, denn was darauf folgte, war der freudigste Teil der Begabung. Der Kämmerer des Königs schritt in die Schranken, gefolgt von einer langen Reihe wohlgekleideter Diener, welche an Stangen große Truhen trugen, die sie vor den Stufen des Königsstuhls nebeneinander niedersetzten. Die Decken wurden abgehoben, und ein Goldschatz, wie ihn wenige Menschen geschaut hatten, blinkte in der Sonne. Große Kannen, Becher und Schalen, Dolche und reichgeschmückte Helme, Ketten und Armringe lagen kunstvoll geschichtet übereinander. Nach der Enthüllung scholl ein lautes Geschrei und zahllose Heilrufe, die Zuschauer drängten ganz außer sich an die Schranken, die zahlreichen Trabanten mußten stoßen und sich entgegenstemmen, um den Einbruch abzuwehren. Und die Verteilung der Ehrengeschenke an die Tapferen des Heeres begann. Der Kanzler trat vor und öffnete eine Pergamentrolle, welche bis an den Boden reichte, laut rief er den Namen jedes Helden und die Gabe, womit er geehrt wurde. Die rechte Seite innerhalb der Schranken war durch den Rufer geräumt; wer von dem Kanzler geladen wurde, trat vor den Stuhl des Königs, empfing sein Geschenk, huldigte und schritt vergnügt der anderen Seite zu. War er aber aus vornehmem Geschlecht, so überreichte der Kanzler dem König die Spende, und dieser teilte sie selbst dem Glücklichen zu und sprach, wenn er ihn hoch ehren wollte, einige huldreiche Worte. Auch das Heer und Volk begleitete mit lautem Zuruf die Gaben, wenn der Empfänger rühmlich bekannt und im Heere beliebt war. Aus der Nähe Immos wurden viele Helden gerufen, Hugbald trat vor und empfing seine Kette, nicht lange darauf hörte Immo den Namen seines Gespielen Brunico, welcher ganz hinten an den Schranken stand, und als dieser einen schweren Goldring erhielt, sprach der König vom Throne: »Den Schmied hast du mir gerettet, trage dafür seine Arbeit.« Aber Immo wurde nicht gerufen. Die Truhen leerten sich, die Unruhe in der Umgebung des Königs zeigte an, daß der Aufbruch nahe war. Immo stand mit einer kleinen Zahl anderer unbeachtet an seiner Stelle. Er merkte, daß sich verwunderte Blicke nach ihm richteten, und er begann zornig die Kränkung zu fühlen. Hatte ihn auch der König am letzten Abend ungnädig entlassen, er wußte doch, er hatte dem König gut gedient und war oft vor anderen ausgezeichnet worden. Zwar um den Goldschatz hatte er wenig gesorgt, aber auch er hatte zuweilen daran gedacht, daß ein Schmuckstück eine gute Erinnerung sein werde. Jetzt erkannte er, daß der düstere Blick Gundomars von der Höhe auf ihm haftete, und er fühlte, ärgerlich über sich selbst, daß er errötete und den Leuten ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen nicht vermochte. Er merkte auch, daß Herzog Bernhard, dem seine Würde erlaubte, in der Nähe des Königs sich freier zu rühren, hinter den Stuhl des Königs trat, und daß der König sich einen Augenblick nach rückwärts wandte. Er verstand die Worte des Königs nicht, und sie hätten ihn auch nicht erfreut, denn Heinrich antwortete der gutherzigen Frage des Herzogs nach Immo: »Er hatte bereits weit mehr erhalten, als er verdient.« Da stieg der Herzog die Stufen herab und schritt über den Platz dahin, wo Immo fast allein stand, stellte sich behaglich neben ihn hin und sagte lächelnd: »Für uns beide, für dich, Held Immo, und für mich, klingt heut das Goldblech nicht.«

»Euch, erlauchter Herr,« versetzte Immo mit einem dankbaren Blick, aber mit zuckenden Lippen, »vermag keine Königsgabe an Ehren etwas zuzusetzen, mir aber, hoffe ich, soll die Verweigerung der Gabe die Ehre nicht mindern.«

»So ist es recht, Held,« mahnte der Herzog, »sieh trotzig geradeaus. Vernimm ein Gesuch, das ich dir zur Stelle ausspreche, weil ich erkenne, daß du schwerlich im Dienst des Königs beharren wirst. Komm als mein Gast mit mir in mein Sachsenland, wir jagen miteinander die wilden Ochsen in der Heide. Du sollst das Weidwerk bei uns nicht schlechter finden als in deinen Bergen. Und noch anderes begehre ich von dir. Die Burgen, welche fremde Seeräuber an der Küste im Wasser geschanzt haben, will ich brechen, sobald der Eisfrost eine harte Bahn zu ihren Holzringen bereitet, dabei sollst du mir helfen. Ist dirs recht, so schlage ein.« Er hielt ihm die Hand hin, welche Immo freudig ergriff. Und der Herzog fuhr fort: »Der König erhebt sich, das Heer zu entlassen. Unsere Krieger sind ungeduldig, die Herden der Beutetiere und der gefangenen Böhmen zu teilen.«

Der König und seine Edlen bestiegen die Rosse; die Helden sprengten auseinander zu ihren Haufen. Vor jeder Schar hielt der König an, zollte seinen Dank und sprach die Worte der Entlassung. Auch als er zu dem kleinen Haufen der Bogenschützen kam, welche Immo führte, neigte er das Haupt und rief: »Treu erfüllt habt ihr den Eid, den ihr freiwillig gelobtet, ich löse euch von der Pflicht, zieht in Frieden heim zu euren Bergen.« Aber dabei ruhte sein Blick kalt und feindselig auf ihrem Führer, und dieser erkannte, daß der König ihn ungnädig von sich entfernte, und daß sein Schicksal ihn anders, als er selbst gedacht hatte, aus dem Königsdienst löste. Er grüßte zum letztenmal mit seiner Waffe den Kriegsherrn und führte seine Knaben nach der Stadt zurück.

Aus der Herberge eilte er zum Grafen Gerhard, bayrische Königsmannen hielten die Wache und weigerten ihm den Zutritt; er stürmte zu dem Hofe der Nonnen, die frommen Mütter waren mit Hildegard durch Reisige aus der Stadt geleitet, niemand wußte zu sagen, wohin. Da suchte er den Kanzler auf, dieser empfing ihn kalt. »Soll ich dir Gutes raten, so entziehe dich dem Auge des Königs, denn ich fürchte, er sinnt dir nichts Günstiges. Für die Jungfrau wird der König selbst sorgen; wie ich vernehme, will mein Herr, daß sie geschleiert werde, damit sie für die Missetaten des Vaters von den Heiligen Verzeihung erwerbe.«

Mit Mühe bewahrte Immo die Kraft, den Segen des Kanzlers zu erbitten, den dieser mit einer nachlässigen Handbewegung erteilte. Er kam verstört in seine Herberge und trat in die Kammer, in welcher Heriman, der Goldschmied, lag, der von seiner schweren Wunde langsam genas. Oft hatte Immo während der Belagerung in der Hütte des Kranken gesessen und dem klugen Landsmann vertraut, was ihm auf der Seele lag, jetzt setzte er sich bleich und erschöpft neben ihn. »An einem Tage habe ich alles verloren, worauf ich hoffte, und wenn ich von hier weiche, wie ich soll, so nehme ich ein Herz voll Angst und Sorge mit mir. Dennoch vermag ich das Land nicht zu räumen, bevor ich die Jungfrau wiedergesehen habe.«

»Ich bleibe zurück,« versetzte Heriman tröstend, »dir danke ich, Immo, daß ich lebe und meine Glieder wieder zu regen beginne. Diese Schuld danke ich dir jetzt oder wann du verlangst. Besser vielleicht als du selbst vermag ich dir zu nützen. Denn Kundschaft habe ich beim Könige und vielen Großen, und mancher Stolze beachtet in der Stille meine Worte. Ziehe mit dem Herzog, denn weilst du hier, so wird es dein Verderben. Du läßt einen zurück, der ein wenig die Weise kennt, wie man die Geheimnisse der Mächtigen erkundet. Noch ist die Jungfrau nicht geschleiert. Und was ich erfahre, Günstiges oder Ungünstiges, das sollst du wissen.«

Während der Burgmann dem jungen Helden Trost einsprach und dieser gern seinen Worten lauschte, scholl in der Haustür und auf der Straße ein wirres Getön von Pfeifen, Fiedeln und Menschenstimmen, ein wilder mißtönender Lärm von allerlei Weisen, welche durcheinander klangen, von Gelächter und trunkenem Geschrei. Immo eilte die Treppe hinab. Im Hausflur saß Brunico an der weitgeöffneten Tür, eine Trinkkanne in der Hand, umgeben von seinen Bogenschützen, vor ihm aber auf der Schwelle und auf der Straße stand ein großer Haufe fahrender Spielleute, von denen jeder unbekümmert um die anderen in seiner Kunst das Beste tat, so daß ein unordentliches und greuliches Getöse durch das Haus und über die Straße schallte. »Schneller,« trieb Brunico, »ihr zirpt wie die Mädchen, die zum erstenmal im Reigen springen. Wer um die Wette läuft, darf seinen Atem nicht sparen.« Von neuem begann das tolle Gefiedel und Geschrei. »Jetzt merkt auf,« mahnte Brunico lachend, »der schnellste fängt den Preis.« Er zog den goldenen Ring vom Armgelenk und hielt ihn in die Höhe, schleuderte ihn über die Köpfe der Spielleute in den Staub der Straße und rief: »So wirft der Bauer von Friemar den Armring des Königs.« Gleich Hunden sprangen die Fahrenden nach dem Ringe, sie fielen und überschlugen sich in wirrem Knäuel, das Volk schrie, jauchzte und balgte sich mit den Unehrlichen, bis endlich einer der Spielleute den Goldschmuck faßte, emporhielt und schnellfüßig mit dem Preise entrann. Und als Immo den Gespielen schalt: »Wie magst du eine wertvolle Gabe vergeuden, die dein Geschlecht und dein Mädchen lange erfreut hätte?« da antwortete Brunico: »Ich warf sie fort, damit sie mir nicht die Augen blenden sollte. Denn übel stände mir an, das Ehrengeschenk eines Königs zu tragen, der dich gekränkt hat, während er mir spendete.«


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