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5. Die Trennung

Immo trat zu seinen Brüdern, welche, gewappnet in der Eisenhaube, die Rosse sattelten. Das Herz lachte ihm, als die hochgewachsenen Knaben sich so geschwind mit den Pferden tummelten. Da sah er, daß Odo den weißen Sachsenhengst herausführte, und ihm schoß das Blut nach dem Haupte, aber er bewältigte die Erregung in Mönchsweise, indem er schnell ein Vaterunser sprach; dann ging er an das Roß und sprach ihm leise zu, das Tier spitzte die Ohren und wieherte. »Einst gehörte das Pferd mir,« sagte er zu Odo, »und als ich schied, schenkte ich es unserem Bruder Gottfried.«

»Das tatest du,« versetzte Odo gleichmütig, »aber da es das beste Pferd im Hofe ist und für die Zucht wertvoll, so reite ich es lieber selbst; denn der Knabe ist unvorsichtig und tummelt sich wild, wo der Hengst zu Schaden kommen könnte.«

Immo schwieg, führte das Roß, welches ihm Herr Bernheri geschenkt hatte, aus dem Stall, sattelte es neben den anderen und begann: »Gefällt es euch, so reite ich mit.«

Die Brüder sahen einander an, und Immo merkte, daß eine stille Abweisung in ihren Blicken lag, endlich sprach Odo zu den anderen: »Da er als unser Bruder im Hofe weilt, so mögen wir es nicht wehren. Doch nicht müßig reiten wir über das Feld, Immo, und für einen Gast aus der lateinischen Schule wird es ein langer Ritt, denn wir streifen über die Fluren wegen Sicherheit der Dörfer, sowohl in unserem Erbe als auch auf dem Lande der Nachbarn nach altem Brauch.«

»Ich kenne den Brauch,« versetzte Immo, »und möchte euch begleiten, wie ich zuweilen unserem Vater gefolgt bin.«

Odo nickte, aber Immo fühlte, daß es keine freundliche Einwilligung war, und die jungen Adalmar und Arnfried sprachen leise zueinander und lachten.

»Wie kommt es, daß Gottfried uns nicht begleitet?« fragte Immo auf dem Roß.

»Er trägt nicht den Schwertgurt«, versetzte Odo kurz. »Vorwärts«, und in gestrecktem Lauf sprengten die Reiter aus dem Hofe.

Die Brüder sahen von der Seite prüfend auf Immos Reitkunst.

»Langgefesselt sind die hessischen Pferde,« begann Erwin spottend, »übel steht ihnen die Bocknase.«

»Hättet ihr dem Bruder ein Roß aus der Hofzucht geboten, wie sich gebührte, so würde das fremde Gesicht euch nicht ärgern«, versetzte Immo und sah so finster auf den Tadler, daß dieser zur Seite ausbog.

»Ich habe nicht gehört, daß du uns das Begehren gestellt hast«, sagte Odo trocken.

»Freundlicher Sinn wartet bei dem, was sich geziemt, nicht auf die Bitte«, entgegnete Immo.

»Bei uns aber ist die Gewohnheit,« antwortete Odo, »daß der Gast am liebsten das eigene Pferd besteigt, dessen Tugenden er vertraut.«

»Ich lobe den Reiter,« rief Immo mit blitzenden Augen, »dem auch auf einem mäßigen Pferde ein guter Sprung gelingt. Folgt mir, ihr Knaben.« Er hob die Hand und setzte über Graben und Hecke, die sich längs dem Wege hinzogen. Sogleich folgten die Brüder einer nach dem anderen, nur Odo ritt gleichmütig auf dem Wege weiter, und als die Reiter zurücksprangen und lachend die aufgeregten Tiere zum Trabe bändigten, sagte er kühl: »Wir haben heut einen langen Ritt, und ein verstauchtes Bein wird uns hindern.« Aber das schnelle Wesen Immos gefiel doch den anderen, sie wandten sich seitdem vertraulicher zu ihm und hörten teilnehmend auf seinen Bericht über die Zucht der Klosterfüllen.

So ritt die Schar in scharfem Trabe über die Fluren, voran Ortwin, der Sprecher, zuletzt Erwin, der Marschall. Nahten die Reiter dem Wallgraben eines Dorfes, so blies Ortwin in ein Horn des Auerstiers, das er am Riemen trug, und sie sprengten in die Dorfgasse vor den Hof des Ortsmeisters, wo sie anhielten, bis der Mann heraustrat. Verschieden waren Gruß und Fragen, wenn er ein Freier und wenn er ein Höriger des Geschlechtes war. Auch in der Flur hemmten die Reiter den Trab, wo Arbeiter auf dem Acker schafften oder wo Hirten weideten; dann eilten auch diese heran und berichteten: ob fremdes Volk über die Fluren gestrichen, ob ein Diebstahl im Felde erkannt, ob ein Raubtier in die Gehege gebrochen sei und ob ein Wanderer neue Kunde aus der Welt getragen habe. Verwundert starrten die Landleute auf den fremden Reiter, aber wenn sie ihn erkannten, traten sie mit lautem Zuruf heran und boten ihm treuherzig die Hand, in den Dörfern drängten sich auch die Weiber und Kinder um ihn, und Immo hatte zuweilen Mühe, sich aus dem Haufen zu lösen, wenn Odo wartend nach ihm zurücksah.

Über kahle Höhen und Gestrüpp ritten sie in einen alten Buchenwald und wanden sich zwischen mächtigen Stämmen, an denen selten die Axt klang, der Höhe zu. Dort gab Ortwin das Zeichen, aus der Tiefe vor ihnen antwortete ein ähnlicher Hornruf und wildes Geheul von Hunden. Die Reiter stiegen in ein Kesseltal hinab und sahen vor sich die Hütte, welche der Sauhirt für den Sommer aus Stangenholz und Rinde zusammengeschlagen hatte, und daneben das Gehege für die Schweine. Es war ein düsterer Ort, in den Vertiefungen des aufgewühlten Bodens stand sumpfiges Wasser, um welches sich die entblößten Baumwurzeln wie dicke Schlangen dahinwanden; das Roß Immos schnaubte und scheute vor der unholden Stätte. Ein riesiger Mann in einem Rock aus Fellen, mit hohen Lederstrümpfen und Schuhen, an denen noch die Haare hingen, kniete auf dem Boden, beschäftigt, einen toten Wolf abzubalgen. Er erhob sich, scheuchte die anspringenden Hunde und begann mit finsterem Lächeln: »Den alten Grauhund traf mein Holz diesen Morgen. Wollt ihr, daß die Herde nicht zersprengt werde, so helft selbst die Wölfe schlagen, ihr Herren, denn seit vielen Jahren haben sie nicht so arg zwischen den Hügeln geheult als in diesem Sommer; ich allein mit den Knechten vermag ihrer nicht Herr zu werden. Die Nachtgänger wissen, daß die Helden in der Ebene sich zur Kampfheide rüsten, und sie heulen nach ihrem Anteil an Lebenden und Toten.«

»Was hast du von der Herde verloren?« fragte Odo.

Der Knecht wies auf eingekerbte Zeichen an den Pfosten der Hütte. »Die Waldweide wird gut,« sagte er kurz, »und ihr könnt den Schaden ertragen. Ein fremdes Roß sehe ich,« fuhr er fort, »aber darüber zwei Augen, die einst meinen Wald so gut kannten als ich.«

»Sei gegrüßt, Eberhard«, rief Immo und faßte die Hand des Mannes.

Eberhard musterte den Arm. »Es ist eine Herrenfaust. Kommst du, festzuhalten oder wegzugeben?«

»Ich gedenke zu bewahren, was mir zufällt«, versetzte Immo.

Da erhellte sich das Gesicht des Mannes und er rief: »Ich dachte wohl, daß du von dem Glockenseil der Geschorenen zurückkehren würdest. Denn du gehörst zum Walde, und hier merkt der Mann andere Unsichtbare, welche ungern auf das Bimmeln der Ordorfer Glocke hören.« Er betrachtete die Brüder und fuhr dann fort: »Sechs Söhne Irmfrieds stehen vor mir, und allen weide ich mit meinen Knaben ihre Herden. Dennoch will ich wissen, wem ich selbst in Zukunft angehöre, und ihr sollt mir's kundtun.«

Die Brüder sahen einander lächelnd an. »Du sollst es wissen nach der Teilung.«

»Meint ihr den alten Knecht gleich seiner Herde durchs Los einem unter euch anzuwerfen? Anders gedenke ich meinen Herrn zu finden. Steigt ab und folgt mir, ihr Jünglinge, denn ich will euch den Willen eures Vaters verkünden.« Er führte hinter die Hütte zu dem stärksten Eichbaum, den er mit Bündeln Astholz umschichtet hatte. »Seit acht Jahren liegt das Astholz an dieser Stelle, und jedes Jahr binde ich und schichte ich aufs neue, damit das Holz vor fremden Augen verberge, was mir das liebste Stück meiner Habe ist.« Als er geräumt hatte, sah man an dem Stamme eine Waldaxt, die mit starkem Schwunge eingetrieben war. »Diese Axt,« begann der Hirt, »schlug Herr Irmfried in den Baum, als er das letztemal zu seinen Ebern kam. Damals bot er mir eine Hand zum Abschiede, weil ich ihm ein treuer Knecht gewesen war, und die andere Hand legte er auf mein Haupt. Ich fragte unter seinen Händen: Herr, wenn Ihr nimmer heimkehrt, wem soll ich ferner dienen? Darauf sprach er: Deiner Herrin Edith, solange sie dir das Brot hinaussendet und dir das Lager bereiten läßt, wenn du im Winter zum Hofe kehrst. Ich antwortete: Das tue ich gern. Aber sieben Frischlinge laufen auf dem Hofe, und wenn mich die wilden Gewalten des Waldes bis zu dem Tage verschonen, an welchem ihnen die Eberzähne schießen, welchem der Jungen soll ich angehören? Laßt mich nur dem Besten dienen. Wer der Beste wird, weiß nur der Christengott, versetzte der Herr, nicht ich. Herr, sagte ich dagegen, der stärkste ist mir im Walde der Beste. Da sprach der Herr: Wenn der Tag kommt, wo die sieben miteinander zu deinem Baum treten, so nimm diese Axt, neu geschärft und mit neuem Stiel, und biete sie meinen Söhnen dar, damit jeder von ihnen die Axt in diesen Baum schlage, mit dem besten Schwunge, den er vermag, der jüngste zuerst, der älteste zuletzt, so wie ich sie jetzt schlage. Und siebenmal sollst du selbst die geschwungene Axt aus dem Holze reißen, dabei prüfe, welcher von meinen Knaben am schärfsten schlägt; und der dir selbst als der stärkste erscheint, dem magst du dienen. Da hob Herr Irmfried seine Axt aus dem Sattelgurt und schlug sie in den Stamm, so wie sie jetzt noch hängt.« Die Jünglinge traten neugierig an die Waffe des Vaters. Der Alte aber stellte sich abwehrend davor und fuhr mit gehobenen Armen fort: »So bezeuge der Eichbaum und bezeuge die Herrenaxt, daß Held Irmfried mir solches Versprechen getan hat. Vor meinen Zeugen frage ich euch, ihr Söhne des Toten, ob ihr den Willen eures Vaters zu ehren gedenkt oder nicht.«

»Wir gedenken seines Willens«, antwortete Odo.

»So helft auch mir, daß ich danach zu tun vermag. Achtmal hat das Laub gegrünt, niemand hat die Axt gehoben; das Eisen ist verrostet, das Holz ist herumgewachsen, ich selbst hütete sorglich meine Zeugen an ihrer Stelle. Jetzt aber naht die Zeit, wo ihr sieben zu euren Tagen kommt und im Schwertgurt das Erbe eures Vaters teilen werdet. Für diesen Tag muß ich den Stiel schnitzen und das Eisen schärfen, und darum will ich, daß heut einer von euch die Herrenaxt heraushebe und mir in die Hand lege, damit ich mein Recht gewinnen kann.«

Da rief der junge Adalmar, nach dem Axtstiel greifend: »Gefällt es euch, Brüder, so schärfe der Knecht zur Stelle die Schneide, und heut schon prüfen wir die Kraft, damit er seinen Willen habe.«

»Mir aber gefällt es nicht, daß ihr leichtherzig an dem Stiele zerrt«, versetzte der Sauhirt finster. »Nicht alle seid ihr versammelt, der Jüngste ist noch ein Kindlein, und ganz richtig begehre ich die Herrenwahl, wie euer Vater gebot. Heut will ich selbst einen von euch rufen, der zuerst nach seinem Vater den Stiel erfassen soll.«

Odo antwortete: »Wenn dein Ruf nur ein Spiel sein soll, das dir gefällt, so spreche ich nicht dawider.«

Da sprach der Hirt: »Ich aber wähle die Hand, die von Wolfsblut rot ist. Denn du, Immo, warst der einzige, der dem alten Knechte die Hand gereicht hat, wie dein Vater tat. Tritt an den Stamm und zucke dreimal, dann weiche zurück.«

Immo trat herzu und rückte gewaltig am Holzgriff. Beim dritten Zuge brach der Stiel, Immo aber riß das Eisen aus dem Baume, daß es auf den Grund fiel. Da hob der Alte das Eisen auf und betrachtete es kopfschüttelnd: »Eine Vorbedeutung erkenne ich für dich selbst, Immo; fest ist dein Griff, mit dem du die Herrschaft erwirbst, doch hüte dich, daß sie dir nicht bei hastiger Tat entgleite. Ich aber bewahre die Axt bis zu dem Tage, an dem sich der Knecht seinen Herrn sucht.«

Der Alte kehrte zu dem Wolfsbalg zurück, die Brüder schwangen sich auf die Rosse. Aus der Markung ihrer eigenen Dörfer führte Ortwin die Schar auf fremden Grund.

Wenige Wegstunden nordwärts umgab der Nessebach mit Teichen und sumpfigem Moor wie ein großer Wallgraben andere Höhen, an welchen fruchtbares Ackerland unter lichtem Laubwald lag. Auch dort waren alte Wohnstätten der Thüringe, während hinter ihnen im Norden viele angesiedelte Franken saßen, welchen der Graf von Tonna gebot; die Bauern vom Moor der Nesse aber hielten sich gern zu ihren Landgenossen am Walde. Sie waren stolz auf ihre Freiheit und wurden von den Dienstmannen des Grafen als altväterisch in Bräuchen und Bewaffnung verspottet. Denn sie zogen ungern zu Rosse ins Feld, auch wenn sie es vermochten. Aber sie waren auch als trotzige Gesellen in der ganzen Gegend gefürchtet, und man wußte, daß sie in Kriegsfahrten starke Fäuste bewährt hatten.

Seit alter Zeit bestand zwischen ihnen und dem Geschlecht des Irmfried, welches um die roten Berge wohnte, ein gutes Vernehmen. Niemand wußte zu sagen, woher das Bündnis kam, es war seit je gewesen und die Weisen sagten, daß es schon lange bestanden hatte, bevor die Ungarn ins Land brachen. Und es war ein alter Brauch, daß das Geschlecht Irmfrieds bei allen Fehden, welche die Dörfer mit den Nachbarn hatten, und auch bei Missetaten, über welche das Geschrei erhoben wurde, im Eisenhemd herzuritt und mit den Freien dort gemeinsam die Abwehr und Rache betrieb; dafür zog auch die Jugend der Dörfer dem Geschlecht mit Speer und Bogen zu Hilfe, wenn dieses mit anderen verfeindet war. Diese gute Nachbarschaft war den Grafen und den geistlichen Herren unlieb. Denn die Landleute wehrten sich trotziger gegen jede neue Last, welche die Grafen auflegen wollten, und man sagte ihnen nach, daß sie auch heimlich abseit von dem Grafenstuhl untereinander Urteil fänden gegen ihresgleichen in schweren Fällen.

Als die Reiter dem ersten Dorfe nahten, erhob Ortwin den Horngesang, und sie fanden an Tor und Brücke die Alten des Dorfes aufgestellt. Odo ritt vor und wechselte mit ihnen alte Sprüche, welche den Freien am Wald eigen waren und anderen ungebräuchlich. »Im Sonnenschein, beim Wandel des Mondes, unter glitzerndem und fallendem Stern kommen wir zu euch wegen Recht und Rache.« Worauf die Bauern antworteten: »So grüße euch die Sonne, der Mond und der lichte Morgenstern, seid willkommen in unserer Burg.« Und als die Reiter abgestiegen waren, wurde ihnen ein Trunk gereicht und den Rossen Hafer in kleinen Krippen, dabei sagte ein alter Bauer: »Freiwillig reitet ihr und freiwillig schütten wir den Hafer«, worauf Odo antwortete: »Und wenn wir nicht ritten, dann würdet ihr reiten und wir würden euch den Hafer schütten.« Darauf besprach sich Odo heimlich mit den Alten, und die Schar brach zum nächsten Dorfe auf.

Als sie aus einem Gehölz herabkamen, um den Bach zu durchreiten, sahen sie vor sich eine hohe Rauchwolke aus niedergebranntem Hause aufsteigen. Ortwin hielt, und rückwärts gewandt sah er seinen Bruder Odo bedeutungsvoll an, dieser nickte und die anderen Brüder tauschten leise Worte. Als sie nun weiter hinunterkamen zum Rand des Baches, fanden sie die Furt durch einen Wagen gesperrt, Hausrat, Leinwand und Kleider lagen unordentlich und halbverbrannt darauf. Ein bleiches, vergrämtes Weib hockte auf dem Sitz und hielt ein schreiendes Kind in den Armen, während der Mann mit verstörtem Gesicht und geschwärzten Händen vergebens auf sein Pferd schlug, damit das kraftlose Tier aus dem strudelnden Wasser die Höhe gewinne. Der Mann grüßte die Reiter mit scheuem Blick, aber gleich darauf rief er kläglich um Hilfe. Doch Odo wandte das Pferd ab, und die Brüder sprengten aufwärts zu einer anderen Stelle des Bachs, ohne den Gruß des Mannes zu erwidern und seine Not zu beachten. Immo, der im Kloster gewöhnt war, den Armen und Notleidenden Mitleid zu erweisen, sprach den Brüdern zu: »Schmählich ist es, wegzureiten, während der Arme mit Weib und Kind im Wasser ringt.« Odo rief herrisch zurück: »Soll ich dir Gutes raten, so folge uns, ohne diesen anzureden.«

»Pfui über euch,« rief Immo wieder, »daß ihr ein Weib und Kind in der Angst zurücklaßt.« Er sprang ab, band sein Pferd an einen Baum und watete in das tiefe Wasser. »Treibe noch einmal«, riet er dem Manne und griff selbst mit voller Kraft in die Räder, die Peitsche knallte, der Mann schrie, und mit der Hilfe des Starken gelang es, den Karren aus dem Bach heraufzuführen. »Wer bist du?« fragte Immo, »und warum entfährst du hilflos der Feuerstätte?«

»Hunold bin ich genannt, wir gehören dem großen Bischof zu Erfurt. Sein Vogt hat mich auf neuer Rodung angesiedelt, im Frühjahr haben seine Leute mir geholfen, die Hütte zu bauen. In dieser Nacht wurde sie mir niedergesengt, und als der Hund in der Stube bellte und ich erwachte, war die Tür von außen verschlagen. Mit der Axt mußte ich sie unter loderndem Feuer aufbrechen, um diese zu retten. Einsam blieb ich während des Mordbrandes, kein Notschrei führte mir einen Helfer zu.«

»Und wo willst du hin, Unglücklicher?«

»Hinweg von hier, die Flur ist unheimlich für Fremde; den Herrn Vogt will ich anflehen, daß er mich ansiedle, wo es auch sei, nur weit von hier. Beschwerlich ist ein Lager unter den Disteln.« Das Weib heulte und das Kind schrie, Immo griff in den Beutel, den ihm der Abt geschenkt hatte, und legte der Frau eine Handvoll runden Silberblechs in den Schoß. »Aus dem Kloster seid ihr blanken, und in Klosterweise streue ich euch aus«, sagte er gutherzig. Er schüttelte sich das Wasser aus dem triefenden Gewande, sprang in den Sattel und ritt den Brüdern in gestrecktem Laufe nach. Als er ihre Schar erreichte, warfen die anderen finstere Blicke auf ihn und wandten die Gesichter ab.

»Seit wann beschützen die Söhne Irmfrieds den nächtlichen Mordbrand?« fragte Immo zu Odo reitend verächtlich.

»Nicht wir haben das Feuer entzündet«, versetzte Odo. »Kränkt dich, daß wir von einem Vogelfreien abwärts ritten, so kränkt uns deine hilfreiche Hand.«

»Galt euch der Mann als vogelfrei, so lobe ich den Brauch nicht, ihm Weib und Kind zu sengen.«

»Führt der Hahn sein Volk in die Burg des Fuchses, so büßt es Henne und Huhn. Ich riet dir nicht, unserem Ritt zu folgen.«

»Unwillkommen ist der Mahner,« rief Ortwin, »der unsere Bräuche nicht kennt.«

Und Erwin: »Dünkst du dich klüger als deine Landsleute, so wärst du besser bei den Mönchen geblieben.«

»Kommst du, uns Mönchslehre zu geben,« spottete Adalmar, »so wirst du hier eine demütige Gemeinde nicht finden.«

»Wie die Eule schreist du deinen Warnungsruf, und dein Gesang klingt widerwärtig im Lande«, höhnte auch der junge Arnfried.

»Daß ich der Älteste unter euch bin,« versetzte Immo, sich hoch im Sattel aufrichtend, »das will ich euch, ihr zuchtlosen Knaben, bewähren durch meine Lehre, die ihr mit Achtung hören mögt, und durch die Faust, mit der ich die Ungehorsamen strafe.« Sein Roß setzte im Sprunge zwischen die Schreier, und so gebieterisch war seine Haltung, daß die Jüngeren verstummten.

»Du irrst, Immo,« begann Odo, »nicht du bist der Erste im Hofe und auf unserer Flur, und nicht dir kommt es zu, die Knaben zu ziehen, sondern mir. Denn ich bin, da der Oheim uns verfeindet ist, der Älteste des Geschlechts, welcher ein Schwert trägt und auf Heldenwerk denkt, du aber wirst ein betender Pfaffe.«

»Ob ich dereinst ein geistliches Gewand tragen werde oder nicht, jetzt führe ich mein Schwert wie ihr, und die Ehre des Ältesten fordere ich als mein Recht, das nicht du und kein anderer mir nehmen soll.«

»Nicht die Jahre allein zählen wir, auch die Taten des Mannes«, antwortete Odo. »Während du auf der Schülerbank saßest, zog ich mit deinen Brüdern zum Kampf. Viermal hielt ich die Schildfessel im Grenzkriege gegen die Slawen, auch deine jüngeren Brüder sind mehr als einmal auf die Kampfheide geritten. Wo sind die Heldentaten, deren du dich rühmen kannst?«

»Ihr sahet zu, wenn Häuser brannten und Weiber in der Not ihre Arme hoben. Wenig vermag ich eure Kriegstaten zu loben«, rief Immo. »Fahret dahin auf eurem Weg, ich finde den meinen allein.« Er wendete zornig sein Roß und ritt seitwärts über die Flur.

Als Immo in beschwertem Mute dahinfuhr, hörte er aus der Ferne kunstvollen Peitschenknall, einen Gruß, den er wohl kannte. Er sprengte über das Brachfeld zu dem Acker, den Brunico, der Bruder des Mönches Rigbert, mit den Ochsen des Vaters pflügte. Der junge Landmann hielt an, Immo streckte schon von weitem die Hand aus, den Jugendgespielen zu begrüßen. »Denkst du der Reden,« sprach Immo, »die wir einst in unserem Hofe tauschten; daß wir miteinander im Eisenhemd reiten wollten?«

Brunico nickte. »Langsam wandeln die Ochsen, und langweilig dünkt mich, die Schollen zu treten.«

»Ich komme dich mahnen, ob du mit mir zum Heere des Königs ziehen willst als mein vertrauter Mann, der sich mir für die Schwertreise gelobt.«

Die Augen Brunicos glänzten. »Wenn der König und der Markgraf nur noch ein Jahr warten wollten, bevor sie aufeinander losschlagen, so wäre das besser wegen des Hengstes, auf dem ich dich begleiten will. Denn das Roß ist noch jung für die Kriegsfahrt. Ich selber bin meines Vaters Sohn und sitze an seiner Bank. Und wenn ich auch etwas tun will, so bin ich doch der Worte nicht mächtig, um den Alten zu bereden; das mußt du wagen. Und dann gibt es noch jemanden, den ich gern darum früge.«

»Ist die Jungfrau aus eurem Dorfe?« fragte Immo lächelnd.

Brunico schüttelte das Haupt und wies nach Osten. »Weiter aufwärts am Bach. In der nächsten Nacht hole ich dort Bescheid.«

Als Immo die Schar der Brüder aus dem Dorfe reiten sah, lenkte er sein Pferd dem Hofe des Baldhard zu. Der Bauer stand in seinem Hoftor. »Sei gegrüßt, Immo,« rief er ihm zu, »einem Helden gleichst du auf deinem Rosse; reite ein, damit du der Mutter von ihrem Kinde erzählen kannst.«

Immo saß zwischen den beiden Alten, und vertraulicher als gegen sein eigenes Geschlecht sprach er zu ihnen vom Kloster und von der treuen Gesinnung des Rigbert. Frau Sunihild trug auf, was sie vermochte, um den Gast zu ehren, und pries ihn glücklich, daß er den Heiligen dienen sollte; doch in der Miene des Hausherrn erkannte Immo trotz der gutherzigen Weise eine Unzufriedenheit. »Manches Mal hast du mir Gutes geraten, Vater,« begann Immo, »auch heut begehre ich etwas von dir, was meiner Zukunft nützen soll.«

»Willst du Geheimes von mir hören,« versetzte der Alte, »so tritt hinaus ins Freie, denn der Wind, der über das Halmfeld weht, verträgt geheime Worte besser als die hallende Hauswand.« Baldhard führte seinen Gast aus der Niederung nach der alten Grenzeiche, die auf freier Höhe weit im Lande sichtbar stand. »Du kennst die Sage,« begann der Alte, »welche verkündet, daß um diese Eiche vor Zeiten ein Lindwurm gehaust hat, welcher Feuer in die Höfe trug und sich die Menschen zum Fraß raubte, bis einmal ein starker Held mit seinem kleinen Sohn des Weges kam. Dieser setzte seinen Sohn auf einen Stein und als der Arge herankam, das Kind zu holen, erlegte der Held den Wurm, aber ihn selbst verbrannte die flammende Lohe, welche aus dem Rachen des Untiers kam. Ein Weib aus unserem Dorfe drang mutig zu der Stätte, sie fand den Helden tot, den Knaben unversehrt unter brennendem Holz und versengtem Gras. Unsere Väter meinen, der Knabe sei von deinem Geschlecht gewesen und das Weib, welches ihn bewahrte und erzog, von meinem. Darum ist dies die Stelle, wo ich mit dir am liebsten vertraulich reden will.« Er trat unter die Eiche, wies nordwärts über die große Flur seines Dorfes und die benachbarten Markungen und begann: »Soweit du hier das Land siehst, war einst alles freies Erbe handfester Männer, siehe zu, was die Kirche und die Grafen daraus gemacht haben. In allen Dörfern liegen jetzt die Hufen unter verschiedenem Recht. Viele gehören den Mönchen deines Klosters, andere den Mönchen von Fulda, noch mehrere dem Erzbischof von Mainz, und was am leidigsten ist, viele auch den gräflichen Dienstmannen. Diese sitzen unter uns und sperren, wenn sie es vermögen, ihre Höfe mit einem Graben gegen das Dorf, obgleich sie vielleicht als unfreie Leute unter der Faust des Grafen stehen. Völlig zerrissen ist die Gemeinschaft der Dorfgenossen, schon sind an vielen Stätten unseres Stammes die Freien in der Minderzahl, alljährlich verschlingen die Kirche oder fremde Gebieter mehr von unseren Hufen und Behausungen. Wie sollen die Landleute noch zusammenhalten, wenn sie von allerlei Herren Befehle empfangen und um die Gunst verschiedener zu sorgen haben. Keine Dorflinde kenne ich, unter welcher der Friede bewahrt wird, bei jeder Fehde der Großen streiten die Genossen desselben Dorfes gegeneinander, und über jede Flur reiten fremde Herrenrosse. Wer aber mächtig ist, ob er die Kutte trägt oder den Schwertgurt, der weiß sich auszubreiten, wenn er sich einmal in einer Flur eingenistet hat. In unserem Dorf mißlang es den Fremden bisher noch, in den Bund der Freien einzudringen. Denn wenn die Grafen wider das Recht im Gemeindeholz gerodet hatten, um ihre Leibeigenen anzusiedeln, so weigerten unsere Knaben den Unfreien Gruß und Verkehr auf dem Anger und verbrannten bei Nacht die neuen Hütten.« Er sah mit einem wilden Blick nach der Seite, von welcher die Rauchsäule aufstieg. »Ich selbst habe einen Sohn auf den Altar gelegt, weil die Mutter das weinend von mir erbat, und ich hoffe, die Gabe wird den Heiligen willkommen sein. Auch bin ich nicht säumig, dem Kloster Spenden zu geben, und mehr als ein Füllen und manches junge Rind habe ich nach Ordorf geführt. Aber das Land, auf dem wir im Herrenschuh schreiten, wollen wir, soweit es uns noch geblieben ist, vor den begehrlichen Mönchen bewahren, obgleich sie uns viel Günstiges in der großen Wolkenburg verheißen. Darum vernahmen wir Landleute mit Trauer, daß dein Geschlecht um deinetwillen eine gute Burg der Kirche übergeben will. Denn wir gedenken wohl, daß die roten Berge zur Zeit unserer Väter der ganzen Landschaft vor den wilden Ungarn Zuflucht gewährt haben. Damals lagen die Weiber und Kinder und das Herdenvieh unserer Dörfer in eurem Bergwall, und die Männer verschanzten die Talwege und die Höhen mit Verhau und Wasser und wehrten den Einbruch der grausamen Heiden siegreich ab. Damals öffnete dein Geschlecht uns die rettende Burg, und seine Helden geboten im Kampfe. Jetzt aber sollen die Pfaffen dort herrschen und niemand weiß, wem sie bei einer Fehde anhängen werden.«

Immo ergriff die Hand des Bauern. »Vater, so wie du, denke auch ich. Wenn ich es zu hindern vermag, soll kein Geschorener auf der Mühlburg gebieten, nicht der Erzbischof und nicht ein anderer.«

»Du selbst aber bist der Kirche verlobt?« fragte Baldhard erstaunt.

»Als Kriegsmann will ich zu König Heinrich reiten, wie sehr auch meine Mutter traure, und gerade deshalb komme ich zu dir.«

»Wahrlich,« rief der Bauer, dem Jüngling kräftig die Hand drückend, »jetzt gefällst du mir ganz und gar, Immo, und ich hoffe auch, obwohl du jung bist, daß du diesen Sinn bewahrst und in deinem Leben allem Herrendienst widerstehst.«

»Gefällt dir, was ich will, mein Vater,« fuhr Immo fort, »so hilf mir auch, daß ichs ausführe. Denn nicht als einzelner möchte ich dem König zuziehen, sondern mit der Jugend unserer Dörfer. Auch deinen Sohn Brunico, der einst mein Gespiele war, erbitte ich von dir für die erste Schwertreise.«

Baldhards Gesicht zog sich ernst zusammen und er überlegte lange, bevor er entgegnete: »Willst du mit einem Gefolge, wie dir geziemt, zum Heer des Königs reisen, so siehe zu, ob dir manche unserer jungen Männer mit freiem Willen folgen, ich wehre dirs nicht und ich spreche nicht dagegen. Doch einen Heerdienst über das harte Maß, welches uns ohnedies aufgelegt ist, vermag ich auch nicht zu loben.«

»Vielleicht gefällt dir der Zug besser, mein Vater,« beredete Immo, »wenn du selbst an das denkst, was wir an deinem Herde über den bösen Willen der thüringischen Grafen sprachen. Denn ist der König in Bedrängnis durch die Untreue der Großen, so wird er es rühmen, wenn die freien Waldleute ihm jetzt ihre Treue beweisen und darum mag der Zug euch in Zukunft frommen gegen die Grafen.«

»Verständig sprichst du, um mich zu überreden,« versetzte der Alte, »aber wer mehr tut, als ihm obliegt, der wagt vielleicht auch mehr, als ihm recht ist. Wenn der König seinen Feinden unterliegt, dann würden wirs büßen, daß wir mehr Eifer gezeigt haben, als uns geboten war. Darum dürfen unsere Knaben nur als Freigänger der Donau zuziehen, auf ihre eigene Gefahr und ohne Ladung der Gemeinde. Nützt uns ihr Zug beim Könige, so haben wir den Vorteil, im anderen Falle tragen sie den Schaden. Ich sehe auch ungern, daß du meinen jüngsten Knaben zu deinem Roßdienst werben willst und ich würde dir ihn am liebsten versagen. Aber ich gedenke, daß er mir nützen kann, wenn mein Geschlecht sich dem deinen wert erhält. Auch der Kriegskunst des Knaben kann es frommen, daß er einmal an deiner Seite sich im Schwertdienste übt. Dennoch fürchte ich für ihn die Verführung. Denn wenn er mit dir unter dem Rittervolk dahinfährt, werden ihm die roten Strümpfe der fränkischen Dienstmannen und ihr weißer Schwertgurt vielleicht gefallen und er wird fortan lieber den Speer halten als den Pflugsterz. Ich aber kann nicht ertragen, daß der ehrliche Bau in unserer Flur ihm verleidet wird. Darum gelobe mir, daß du meinen Knaben nur auf Jahr und Tag an dich bindest und daß du ihm, soweit du vermagst, sein Heimatdorf lieb erhältst und auch die Peitsche, mit welcher er einst auf seinem freien Erbe über Rinder und Rosse gebieten soll.«

Das gelobte Immo und in gutem Einvernehmen verhandelten beide über die Fahrt zum König.

Als letzter kehrte Immo am Abend in den Saal zurück, die Brüder saßen zusammen an der Bank, beachteten seinen Eintritt wenig und sprachen leise miteinander. Immo sah finster über sie weg, begrüßte die Mutter, welche auf ihrem Stuhl seine Ankunft erwartet hatte, und setzte sich abseit. Ihm gegenüber hingen an der Wand die Rüstungen, welche sein Vater als Siegeszeichen aus dem Kriege heimgebracht hatte, daneben auch Slawenschwerter und Streitkeulen, die er noch nicht kannte. Er wußte, es waren Beutestücke seiner jüngeren Brüder. Da wurde ihm der Sinn noch mehr beschwert; er trat an eine Rüstung seiner Ahnen, hob das Schwert vom Pflock, trug es zu seinem Sitz, zog es aus der Scheide, prüfte seine Schärfe und legte es neben sich. Odo stand schweigend auf, nahm die Waffe weg und schritt zu dem Nagel, um sie aufzuhängen. Da fuhr Immo empor, riß dem Bruder das Schwert aus der Hand und rief: »Unheil bringe dir der Griff nach meiner Waffe, denn dies Erbstück des Geschlechtes fällt nach dem Brauch dem Ältesten zu.«

»Vielleicht dem ältesten Kriegsmann,« versetzte Odo, »der aber bist du nicht. Besseres hat das gute Eisen verdient als an der Seite eines Pfaffen zu hängen, der das Schwert nur trägt, wenn er seines geschorenen Haares vergißt.«

»Versuche es zu nehmen,« rief Immo, »so sollst du selbst erfahren, ob meine Hand es zu schwingen vermag.«

Gertrud, die zu den Füßen der Herrin saß, tat einen gellenden Schrei. Edith erhob sich aus ihren Gedanken, und als sie die Brüder kampflustig gegeneinander sah, wurde ihr Antlitz totenbleich und sie stürzte zwischen die Hadernden: »Gib mir die Waffe, Immo,« rief sie und faßte die Scheide, »Unheil hängt an dem Eisen.« Sie löste die Waffe aus der Hand des Sohnes. »Wisset, ihr Zornigen, euer Vater selbst mied das Schwert, denn er trug es an einem Tage, der ihn oft gereut hat. Und als ein Unglückszeichen hängt es seitdem ungebraucht an der Wand. Harret der Zeit, wo das Los geworfen wird über diese und andere Habe, ich meine, keiner von euch wird dann noch lüstern sein, die Waffe an sich zu reißen.« Sie hing das Schwert an den Pflock und trat zu ihrem Sitz zurück, während die Söhne voneinander abgewandt gegen ihren Unwillen rangen.

Die Mutter, in deren Antlitz noch der Schrecken zuckte, gebot von der Höhe: »Töricht war euer Streit. Den Frieden des Hauses habt ihr gebrochen, gleich unbändigen Knaben widerstrebt ihr einander. Reichet euch die Hand zur Versöhnung, damit auch ich euren Frevel vergesse.« Und da die Söhne unbeweglich standen, rief sie mit flammenden Augen: »Du zuerst, Immo, ich befehle es.« Widerwillig streckte Immo die Hand aus, die Odo ebenso ergriff. Ein langes unbehagliches Schweigen folgte, endlich begann Edith: »Sage mir, Immo, wie kommt es doch, daß du zu deiner Mutter so gar nicht von dem Kloster sprichst und von deiner Lehrzeit.«

»Du selbst weißt, Mutter, daß es nicht ziemet, die Geheimnisse des Klosters kundzutun.«

»Ist denn alles geheim, was ein Schüler dort erfährt?« fragte die Mutter. »Ich meine, nur die Mönche sind gebunden.«

»Auch mich bindet ein Gelöbnis, das ich vor Herrn Bernheri getan«, versetzte Immo.

»Dann lobe ich dein Schweigen,« fuhr Edith fort, »doch laß die Mutter noch eine Frage tun. Wie kommt es doch, daß du die frommen Väter zu Ordorf nicht begrüßt hast, da du doch sonst jeden Tag durch die Flur reitest? Mancher von ihnen kennt dich aus dem Kloster und von früher her und mehr als einer will dir wohl. Und daß ich dir alles sage, der Magister war heut in unserem Hofe, deinetwegen kam er hierher und er klagte, daß die Väter und die Scholastiker in seiner Zelle sich beschwert fühlen, weil du dich von ihnen fernhältst, obgleich du doch auf der Wassenburg mit den Dienstmannen verkehrt hast.«

»Gute Kundschaft haben die Mönche,« entgegnete Immo bitter, »und neugierig schleichen sie hin und her.«

»Du hast unrecht,« versetzte Edith, »guten Leumund haben sie im Lande.« Da Immo schwieg, fuhr sie fort: »Der Magister klagte, daß ein Bruder, der von dem großen Mann Tutilo gesandt ist, schwere Kunde aus dem Kloster gebracht habe. Von hartem Zwist der Mönche sprach er, und daß viele aus dem Kloster scheiden wollten. Auch dem Boten des Tutilo lag es sehr am Herzen, daß du in die Zelle nach Ordorf kämest.«

»Wenn ein Bote Tutilos mich ladet,« rief Immo, »so wird er vergeblich harren. Er mag seine Botschaft, wenn er es wagt, hierher zu meinen Ohren tragen.« Immo schritt aus der Halle in Mißbehagen und Sorge. Er gedachte einer guten Lehre des Bertram, die er nicht befolgt hatte. Weil er der Mutter und den Brüdern am ersten Tag seinen Willen verborgen hatte, fand er sich in Widerwärtigkeiten verstrickt. Auf den Beifall der Brüder durfte er nicht mehr hoffen, und das Herzeleid der Mutter ängstigte ihn jetzt viel mehr als auf der Reise. Dennoch erkannte er, daß er seinen kriegerischen Sinn nicht länger bergen durfte, und er beschloß, am nächsten Tage sich zuerst den Brüdern mit versöhnlichem Gemüt zu eröffnen und darauf der lieben Mutter. Als er aber nach wortkargem Abend in seinem Schlafgemach wieder den Weihrauch roch und die Kerze und die gestickte Herrendecke sah, da bedrängte ihn die Ehre schwer, und auch am anderen Morgen machten ihm die zwitschernden Vögel und der pfeifende Knabe das gepreßte Herz nicht leichter.


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