Ilse Frapan-Akunian
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Ilse Frapan-Akunian

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Das kalte Fieber

Die Elbe war wieder offen; am ersten März waren drei Schoner hintereinander bei Blankenese vorübergekommen. Die Eisschollen knisterten und krachten und drängten sich wie eine unübersehbare Herde hüpfender Schafe dicht aneinander und dann auf den Strand, um die kleinen, flinken Segler durchzulassen. Die Kinder erhoben ein Freudengeschrei und schwenkten die Mützen, die Frauen traten vom Kochen weg unter die Haustür, und wenn der alte Bornhöft auch abwinkte und rief: »'t sünd je bloß en poar Slate-Schooners, engelsche!« – es zuckte ihm doch auch vergnügt um die Mundwinkel, und er guckte den grauen Segeln mit langen Blicken nach, wenn er auch tat, als sei er nur der Pumpe wegen herausgekommen, von der die Jungen in verfrühtem Lenzjubel das schützende Stroh halb heruntergerissen hatten. Jetzt hockten die kleinen Strolche mit den Mienen der Unschuld am Strande, um selber ein Schiff aus Sand zu bauen. Sie gruben mit den roten Händen und stöhnten vor Eifer – das Bauen war noch schwierig, denn wie ein tückischer Kobold saß noch der Frost im Boden und hielt den losen Sand mit hundert Fingern zusammen, und große Eisblöcke, grau und unansehnlich, lagen umher und versperrten den Platz unter den Uferweiden. 94 Nur die Flagge zu dem künftigen Schiff war schon da und flatterte von einer hohen Weidengerte kühn und verheißend im feuchten Winde. Es war des alten Bornhöft eigenes rotes, gelbgesterntes Taschentuch, das er den Enkeln zum Spielen überlassen hatte. Zwei, drei, vier Fischerewer glitten lautlos vorüber, auch sie mit grauen Segeln, wie verlegene Winterwäsche, die nach Sonnenschein ruft. Aber es war noch nichts mit der Sonne. Ein helles, sanftes, gelbliches Grau überhauchte den weiten Himmel; an der Stelle, wo sie stehen sollte, von der nun alles abhing, war nur ein leichterer Flecken im Nebel, und darunter auf dem großen Strom eine schimmernde, perlmutterfarbene Brücke. Und doch schien alles sehnsüchtig nach Sonne zu verlangen, die Kinderspiele am Strand und die unzähligen weißen und bunten Federbetten, die, zum Lüften herausgetragen, im durchstreichenden Wind aufschwollen und sich rundeten – die Veilchenblätter am Abhang, noch zusammengerollt wie die Flügel des Falters, wenn er die Puppenhülle durchbricht, und die bimmelnden Schneeglöckchen, die in Kränzen und kleinen Büscheln überall in den Gärtchen aus dem Boden guckten. Und nicht minder Hein Bornhöfts violettrote Nase, die sich von all dem Frost gar nicht wieder erholen konnte, und die bläulichen, mageren Hände der alten Hansine Hansen, die ein bißchen weiter droben am Strand, im durchsichtigen Schutz des kahlen Weidichts auf einem trockenen Sandhaufen kauerte. Wie eine schwarzbunte Henne hockte sie da; die Füße unter den dunkelblauen Rock gezogen, über dem sich die 95 gelbgestreifte seidene Schürze bauschte; ein rotblumiges Seidentuch über die schwarze Jacke gesteckt und auf den mageren, grauen Haarsträhnen eine kleine, goldgestickte Haube, deren bunte Bänder unter dem spitzen Kinn zu einer steifen Schleife geknüpft waren. Sie blinzelte mit den tiefliegenden, rotgeränderten Augen in das unsichere Licht hinein; wenn auch die Sonne nicht schien, blendend war es doch, hier vor dem weiten, hellen Horizont.

Der alte Bornhöft sah sie eben erst; langsam ließ er die Strohseile an der grünen Pumpe fahren und stapfte in seinen großen Wasserstiefeln über die schlammgefüllten Rinnen des Fußwegs. Die Schirmmütze auf dem Hinterkopf, die Hände in den Hosentaschen blieb er neugierig vor der Frau stehen.

»Na, Madame Hansen, nu ward dat ober gau tosommern, wenn Se all buten an' Strand sitten gahn.«

Die Alte faltete ihre Hände unter der Schürze und sah den Sprecher verlegen lachend an: »Je, wat Se woll von mi denken dohn! Ick bün man so von min Eeten weglopen, ick denk, kannst ja naher eeten, min Geoch (Georg) hett seggt, dat he hüt Middag mit de ›Anakonda‹ opkamen deiht. Na, und dat weeten Se woll, denn mutt ick em doch towinken.« Sie kicherte in sich hinein, wie über ihre eigene Torheit.

»Wo lang is he nu weg west?« sagte Bornhöft zerstreut, denn seine Blicke gingen nach den Möwenschwärmen, die mit schrillem Katzenschrei die treibenden Schollen umflatterten. Die alte Frau schob das magere Kinn verwundert vor.

96 »Ach, Se meenen woll min Heinerech, de Stüermaat? Nee, de is je op den ›Egmont‹; aber de, wonehm ick nu op luer, dat is min Geoch, de Lotse, weeten Se woll. De is je man dree Dag weg west, he halt de Anakonda von Cuxhaven in, aber ick mutt em doch towinken, wenn he vorbi kummt.«

»Je, je, je, je, je!« machte der alte Bornhöft, »nu weet ick all Bescheed, ick kenn' em je gans good, Ehren Geoch, dat is je de Mann mit dat kole Fewer, nich?«

Der lauernde, besondere Ton schien die Alte zu reizen. Sie nahm eine beleidigte, mißtrauische Miene an und rückte etwas auf die Seite.

»Ach hott, ja, mit das Fieber, das is häßlich; in Kalkutta hat er sich das aufgesackt, und wer das einmal gekriegt hat, der kriegt das ümmer wieder.« Sie schwieg gedrückt und räusperte sich.

»Na, he seggt je, he hett dar en Middel vor«, sagte Bornhöft und schob bedächtig ein frisches Endchen Kautabak hinter die Zähne.

Hansine Hansens scharfe Nase wurde noch schärfer, denn sie zog sorgenvoll die Backen ein.

»Wenn Sie da auf spitzen wollen, auf mein' Sohn sein Grogtrinken, denn können Sie das je man ohne lange Fisimatenten sagen,« bemerkte sie scharf, »wer das nich weiß, was das in Munde führt, ›kaltes Fieber‹, der is bloß zu bedauern«, und sie zuckte geringschätzig die Achseln und tat, als wolle sie aufstehen.

»Herrjes, Madame Hansen, Se warr'n dat doch nich for ungood nehmen!« sagte Bornhöft und tat so erschrocken, als sei ihm die Andeutung nur wider Willen 97 entfahren, »kieken Se, dat kummt je bloß davon her, dat wi hier so'n Barg Hansens hebbt, ›Hansen mit dat kole Fewer‹, dar weet jedwerein gliek, wer dat is.« Er rundete den Rücken und blickte harmlos wie ein Kind. »Anakonda, seggen Se? Wat hett se denn an Bord?«

»Nichs als Salpeter«, sagte die Hansen kurz.

Bornhöft begann sich von neuem zu entschuldigen.

»Min beste Madame Hansen! ick heff doch nu dat Word ›Grog‹ gor nich twischen de Tähn nahmen, und ick weet je ook gor nich, wat Ehr Söhn drinkt«, beteuerte er eifrig, während seine schlauen, kleinen Augen vor Vergnügen zwinkerten. Die alte Frau gewann ihre Zutraulichkeit nur langsam wieder.

»Ach, kieken Se doch mal, könt Se em noch nich sehn?« sagte sie mit einer Stimme, die alle Munterkeit verloren hatte, während sie unverwandt nach Westen hinaussah, »ick harr' Steckröben hüt middag, und miteens fallt mi dat in, dat min Geoch seggt hett, klock twolf mutt he vorbi kamen; ick sett min Steckröben wedder opt Füer und bün man gau hier rünner lopen.«

Ihre Augen röteten sich noch mehr, während sie sprach, sie fuhr zuweilen eilig mit der Hand darüber, die sie dann eben so eilig wieder unter die Schürze schob. Bornhöft zog seine große silberne Uhr heraus.

»Gliek mutt de Klock een slagen, Se harrn man erst mit Ehr Eeten kloar warden süllt, Madame Hansen.«

Von der Stelle, wo das Sandschiff gebaut wurde, kam ein lautes Kindergelächter.

»Großmutter Hansen! Großmutter Hansen, weißt, was Emil Möller sagt? ›Die große Frau soll auch mit 98 fahren‹, seggt he!« Die Kinder jubelten ausgelassen, und ein paar Mädchen mit kecken Stumpfnäschen liefen auf die alte Frau zu und zupften sie schelmisch von hinten am Kleide, während der kleine Emil, den Finger im Munde, wiederholte: »Doße Fau auch mit fahren«, und dazu lachte, ohne zu wissen, warum.

»Nee, nee, spielt man allein«, wehrte die Alte, aber der gespannte Ausdruck ihrer scharfen Züge wich doch, wie sie die lachenden Kinder anblickte, die noch nicht von ihr ablassen wollten.

»Na, sünd dat all Ehre Enkelkinner?« bemerkte Bornhöft und machte dazu ein Gesicht, als ob er sie ihr lieber gönne als sich selber.

»Nee, nee, bloß fiev davon, die fiev lüttsten, Heinerich sin twee, und dree von min Geoch – ick meen', dat duert man lang,« unterbrach sie sich mit emporgewendetem Gesicht, »ick sitt ümmer gliek in de Angst«, und sie seufzte tief.

Bornhöft schob die Mütze auf seinem Kahlkopf hin und her, er ließ ein beruhigendes Grunzen hören:

»Dat is nich ümmer so aftopassen, he ward woll kamen, gahn Se man tu Hus und eeten Se Ehre Steckröben.«

Hansine Hansen gab keine Antwort, sie fuhr fort, von Zeit zu Zeit zu seufzen wie eine Seele in schwerer Bedrängnis; ihre Augen wurden dabei immer trüber und kleiner.

»Wenn man dat verdreihte Luren nich dabi vermacht wör«, murmelte sie. »Ach hott, wat is dat for'n Leben!«

99 »Na, Madame Hansen kann dat woll aff.« Bornhöft starrte von dem alten, gelbbraunen Schal, der ihm vom Halse über die Brust herabhing, hinüber nach der seidenen Schürze und dem goldgestickten Häubchen. »Rieke Lüd hefft ümmer Glück!« und er spie sein Priemchen in weitem Bogen in die Elbe. »Denn haben Sie woll all heut Morgen die Flagge aufgezogen?«

Die Alte wischte sich die Augen:

»Dortig Joahr sünd dat her, dor is min Mann wegbleeben – dor heff ick Dag vor Dag de Flagg' ophüßt, dreeveertel Joahr meist. He is nich wedder kamen. Nu heff ick ein Gräsen vor dat Dings; de Pahl steiht da noch, aber ümmer leddig.« Sie wandte sich auf einmal ganz herum. »Sie mötten dat doch weeten, Bornhöft, ick as junge Fro und mit min veer Kinner, dree Jungens, und keen Vadder dato.« Wieder ein Seufzer.

»Dat is all recht good, aber wenn Een man Geld in de Tasch hett, denn helpt sick dat woll«, sagte Bornhöft störrisch. »Und wußt heff ick dat nich, ick bün je man erst söbentein Joahr hier, und vor Plasuren (Pläsir) is das auch nich zu rechnen, wenn man meinswegen en Fischer is, und denn kommt die Zeit von's Losen und ümmer mitten in'n Winter, wo die meisten Maten (Seeleute) weg sünd, und ich als Fischersmann bleib da dreimal an hängen und muß dreimal dienen statts einmal! Da soll man woll zu was kommen, Madam Hansen.« Bornhöft hatte einen gereizten, hämischen Ton, sobald die ungleiche Verteilung der 100 weltlichen Güter besprochen wurde; er hatte vom dänischen Kriege Rheumatismus und eine rabiate Laune heimgebracht, außerdem einen Hang zum müßigen Herumstehen am Strande.

»He kummt und kummt nich«, seufzte die Alte. »He is je nu all Patentlotse, und wenn he nu noch dat letzte Examen maken deiht – un min Heinerich, de ward nu ook bald Kaptein – aber dat ol' Luren, dat bliwt sick man ümmer dat sülwige. So is min August ook wegbleeben, 't sünd nu veer Joahr.«

»Großmudder, nu sünd wir all in See!« schrie ein kleiner Junge herüber, der im Sandschiff mit stürmischer Armbewegung das Steuer regierte. »Nu sünd wir all ins Mittelmeer, nu gehn wir hier zu Anker!« Er warf ein Stück Holz mit einem dünnen Tau daran über Bord: »Großmudder, guck mal, nu sitzt er all fest in den Grund! Großmutter, sollst man mitfahren, wir fahren nu nach China.«

»Fahrn nach Appelsina!« plapperte ein zweijähriger, stämmiger Kleiner in einem gestrickten roten Kittel und mit einer kreiselförmigen Wollmütze auf dem dicken Kopf.

»Hah, nach Appelsina! sagt Hannes!« die Kinder lachten so, daß ihr ganzes Schiff entzwei ging und mit vielem O! und Pfuigeschrei wieder ausgebessert werden mußte.

»Na, denn adjüs so lang,« sagte Bornhöft, »denn will ick man min Pump wedder inmümmeln; de Winter, de is noch lang nich ut, heff ick nich recht, Madame Hansen?«

101 Mehr als je einer bunten Henne ähnlich, die sich im warmen Sande gütlich tut, blieb die Alte sitzen. Sie sah mit unruhigen Blicken auf die langsam zurückweichenden Eisschollen, das Wasser lief schon ab – aber dann, mit der Ebbe war doch die Anakonda nicht mehr zu erwarten? War sie etwa schon am Vormittage vorbeigekommen, als die Steckrüben geschabt wurden?

Frau Hansen rief den dicken Schutzmann an, der mit gewichtigem Amtsschritt die obere Straße entlang kam, den Bauch voraus, die Hände auf dem Rücken und einen Haufen Papiere vorn in den Rock geschoben, so daß sie zur Hälfte herausguckten. Nein, seines Wissens war keine Brigg mit chilenischer Flagge heut Morgen aufgekommen, die kam nun wohl erst mit der folgenden Flut.

Aber die alte Mutter hatte keine Ruhe, weder zum Heimgehen noch zum Dableiben, der Appetit war ihr vergangen, und sie trippelte am Strand auf und nieder, denn zum Sitzen war es doch allmählich zu feuchtkühl geworden, obwohl es völlig windstill war. Nur die spielenden Kinder ermüdeten noch nicht bei ihrer Beschäftigung. Scharf und hell drang die Stimme eines kleinen Jungen herüber:

»I gitt, wie spielt ihr tranig! Nu muß auch mal einer sterben, und dann wird er über Bord gesmissen!«

Und eine andre vergnügte Kinderstimme antwortete schnell:

»Ja, das' recht, das' fein! Auf das Schiff von mein' Papa, wo er neulich mitgefahren is, sünd vierhunnert Passagiere mitgewesen. Da sünd auch vier 102 Kinder gestorben und 'n junges Mädchen, sünd sie auch über Bord gesmissen! Wer will nu mal sterben? Wer will nu mal zuerst über Bord?«

»Ich, ich, ich!« jauchzten die Kleinen von allen Seiten.

Die alte Frau stellte sich an das Sandschiff, wo das rote Taschentuch an dem Weidenzweig hing.

»Kinners, gat to Hus, dat ward schudderig, und Moder ward schelln!« sagte sie fröstelnd.

»Ach nee, Großmudder, wir spielen hier grade so schön! Grade in'n besten Spielen!« schrien die Kinder.

»Wir spielen hier Sterben!« rief der kleine Junge mit der durchdringenden Stimme. »Großmudder, willst du mal sterben? Steig ein, wir wollen dich ganz langsam über Bord schmeißen, daß du dir nich weh tust.« Seine kleinen roten, schmutzigen Hände deuteten einladend umher auf die Sitze und Polster aus reinem Sand und auf die ungefährlichen Wellen rund um den Bord.

»Lütt Dummerjahn!« sagte die alte Frau und strich ihm über die feuchte Stumpfnase, »geihst all in't neegente Joahr und deihst noch ümmer as de gansen Lütten! Loop mal nach Moder und segg, ick will hier töben, din Onkel Geoch wör ümmer noch nich vorbi kamen.«

Der Junge gehorchte zögernd; als er ein paar Schritte weit weg war, rief ihn die Großmutter zurück.

»Is dat nich Fischer Reimers sin Ewer, de dar ünnen anleggen deiht?«

103 Die Hand über die Augen, starrte der Kleine nach dem anlegenden Segelboot, von dem eben die Laufplanke platschend ins seichte Wasser niederfiel.

»Hi! ich glaub, der hat en gansen Berg gefangen!« rief er voll Interesse, als eben ein paar Männer mit einem schweren Fischkorb zwischen sich auf die Laufplanke traten. Und er machte sich los, um in die Körbe zu gucken. Auch der alte, ewig neugierige Bornhöft kam schon heruntergetappt, Hansine Hansen aber lief, so schnell ihre Füße sie tragen wollten, auf die Gruppe zu, die, ungewöhnlich aufgeregt, mit Handschlagen und Fingerdeuten irgend etwas Unerhörtes besprach.

Es waren etwa fünfzig Schritte, die sie zu machen hatte; jeder neue wurde ihr schwerer als der vorangegangene; als sie ziemlich nahe war, sank der laute Ton des Gesprächs, und dann verstummte es ganz. Das letzte Wort aber verstand sie, es war Fischer Reimers selbst, der es dem ob des Schweigens verwunderten Gehilfen zuflüsterte: »Dor kummt sin Moder . . .«

Wie auf Verabredung drehten alle Männer sich halb herum, Hansine Hansen las in fünf Augenpaaren, es stand etwas Untröstliches darin. Unfähig, sich länger auf den Füßen zu halten, sank sie zitternd auf die großen, flachen Steine des Stacks, die Schürze an den Mund gedrückt.

»De Anakonda?« stammelte sie.

Fischer Reimers, ein schwarzhaariger, untersetzter Mann mit viel Weißem in den lebhaften Augen, kam einen Schritt vor, er schüttelte den Kopf.

104 »Je, Madame Hansen, dat is nich good gahn.«

Die Alte schrie nicht auf, sie preßte nur die Schürze fester auf den zuckenden Mund.

»Die Anakonda is – is – sie is gans weggesunken,« platzte Bornhöft heraus; er konnte die Neuigkeit nicht länger für sich behalten, »bei Finkenwärder is sie rein so umgefallen –«

»Bi Finkenwärder?« Mit irren Blicken sah die alte Frau über die unter den Eisschollen zischende Elbe hinüber. »Wat hett he dor –«

»He is in dat unrechte Fahrwater kamen«, sagte eifrig der Gehilfe des Fischers, der schon längst hatte zeigen wollen, daß er mit dabei gewesen war.

Die Alte schloß die Augen.

»Wo kann dat angahn?« wimmerte sie vor sich hin.

Bornhöft räusperte sich ein paarmal, sah die Fischer nach der Reihe bedeutungsvoll an und bemerkte trocken, halblaut: »Dat kole Fewer.«

»Mak dat du wegkummst!« schrie die Alte, aufschnellend in Schmerz und Empörung. »Wat deihst du hier? Wat will de Mann hier?« wandte sie sich an die andren mit flackernden Augen und erhobener Faust.

Bornhöft wollte höhnisch auflachen, aber der Ton blieb ihm in der Kehle stecken, und er zog sich einige Schritte aus dem Kreise zurück, der jeden Augenblick größer wurde.

Fischer Reimers fing an, in seiner Brusttasche zu suchen.

»De ganse Ladung is to'n Dübel gahn«, berichtete 105 inzwischen der Mat des Fischers mit gedämpfter Stimme.

»Und de Mannschaft?« ging das aufgeregte Fragen.

»De Mannschaft is heil, aber –«

Der Fischer hatte gefunden, was er suchte; ein kleines, zusammengelegtes Blatt Papier, das er mit seinen braunen, hornigen Fingerspitzen behutsam aus der runzeligen Lederbrieftasche nahm. Er räusperte sich wieder.

»Je, Madame Hansen, das Unglück is man – der Lotse, was der Lotse is, Madame Hansen – wie er das nu gesehn hat, daß er da verkehrt kommt –«

Die Alte schluckte.

»Is dat vor mi?« stammelte sie tonlos und nahm das Papier aus den Händen des Fischers, die heimlich zu zittern angefangen hatten.

Sie entfaltete es und las die beredte Zeile; Bornhöft, begierig, las sie über ihre Schulter weg.

»Lebe wohl, Mutter!«

Sie schlug die Schürze vors Gesicht und kroch immer tiefer in sich zusammen, als könne sie sich vor dem Schmerz verbergen.

Die Männer traten zurück. Alle Kinder kamen heran, eins nach dem andern – beunruhigt sahen sie die ernsten Leute stehen, dann duckten sie sich um die Alte nieder: »Großmudder, worum weinst du?« und dann weinten sie mit, schreiend und unaufhaltsam, wie Kinder weinen. Als wüßten sie, warum sie weinen, und wie traurig das Leben ist! Ach, so traurig!

 


 


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