Karl Emil Franzos
Das Kind der Sühne
Karl Emil Franzos

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Die Freunde

Also dir geht's gut?!« sagte der Oberlandesgerichtsrat nach einer Pause. »Natürlich, ein solcher Name, solche Aufträge! Gibt's eine europäische Majestät, die du noch nicht gemalt hast?! Und deine Frau?!«

Der Maler zog einen Augenblick die feinen Brauen zusammen. »Der . . . geht's hoffentlich auch gut«, erwiderte er leichthin, doch klang die Stimme etwas heiser. »Wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie lebt auf ihrem Gut, oben bei Danzig, mit den beiden Kleinen . . .«

»Oh . . . Pardon!« Der Beamte war verlegen, wirklich verlegen, er verbrauchte einige Wachshölzchen, bis die Frühstückszigarre in Brand war. »Wenn man in Celle lebt.« Er blickte wie suchend um sich, offenbar nach einem Gesprächsstoff. Sie saßen im Café Gotthard in Luzern; die Augustsonne brannte auf den Quai nieder, daß ein Dunsthauch über den Bäumen und Häusern lag. »Kaum acht – und schon so heiß! Das wäre ein Tag für den Rigi.« Und er deutete auf den Dampfer an der Landungsbrücke, kaum zwanzig Schritte von ihnen. Aus dem Schornstein stieg eben der erste Rauch.

Der Maler konnte wieder lächeln. »Dann komm mit. Ich fahre um neun hinauf. Übrigens, das vorhin, du brauchtest nicht so verlegen zu werden. Mein Gott; wenn man in Celle lebt. Auch sind's schon drei Jahre her! Und wenn du etwa neugierig bist . . .«

»Nein, Heinrich!« Das steife, magere, etwas mißfarbene Amtsgesicht belebte sich. »Neugierig? Da tust du mir unrecht! Wenn man sich so lange kennt – fast so lang, als wir leben –, und dann: ich kenne sie ja auch. Vor sieben Jahren, du hast's vielleicht vergessen.«

Der Künstler schüttelte den Kopf. »Ich seh' dich noch an unserem Tische sitzen«, sagte er halblaut, den Blick auf die Tasse vor ihm geheftet. »Unser erster Gast! Es muß Ende März gewesen sein: am 16. war unsere Trauung. Du warst von ihr entzückt, natürlich, wer auch nicht?! Und was du mir dann im Rauchzimmer sagtest, weiß ich noch ganz genau.«

»Ich werde dir wohl gute Lehren . . .«

»Nein, Karl, es war mehr.« Und wie er nun den Kopf in den Nacken warf und den Jugendfreund bewegt anblickte, mußte dieser wieder einmal denken, wie in all den Jahren so oft: »Welche Prachtleistung der Natur! Welch ein schöner Mensch!« Er sah kaum jünger aus, als er war. Das braune dichte Haar an den Schläfen war leicht ergraut. Aber unvertilgbar lagen Kraft und Anmut über den scharf geschnittenen Zügen, und die Augen leuchteten unter den langen Brauen wie dunkle Sterne. Die Gestalt mittelgroß, elastisch, von jener männlichen Grazie, der man an den Bildwerken der Alten so oft, aber heut im Leben kaum je begegnet.

»Du sagtest mir damals: ›Du bist der glücklichste Mensch, den ich kenne, und ich gönn' es dir, obwohl es mir schwerfällt. Denn du weißt, ich halt' es mit dem Recht, nicht bloß von Berufs wegen, sondern aus innerster Überzeugung. Ich glaube sogar, daß den meisten Menschen in letzter Linie so geschieht, wie sie verdienen, und das wirfst du mir um, denn dir geschieht tausendfach besser. Nicht in deiner Kunst, du stehst genau da, wohin dich deine Begabung, dein Fleiß gestellt haben. Aber dies herrliche Geschöpf – wie verdienst du, vierzigjähriger Schwerenöter, eine solche Frau! Verdien sie mindestens hinterdrein! Sag nicht, wie sonst, die Weiber liefen dir nach, und wir armseligen Kamele mit angeborenem Höcker könnten dem Tiger seinen Wuchs, seine Kraft und seine Krallen nie verzeihen. Etwas ist dran, sogar nicht wenig, genau so viel, als im Menschen vom Tier steckt. Aber eine Bestie ist der Mensch nicht – Seele, Gewissen, auch das ist nicht eitel Dunst. Und dies Gewissen muß dir sagen: Verdien sie dir nun! Nicht etwa bloß durch Treue, das ist selbstverständlich, nein! Durch eine Liebe ohne Grenzen!‹ So etwa hast du damals gesprochen, Karl, kein Wunder, daß ich's noch weiß.«

Der Beamte schwieg; nur seine Augen fragten.

»Nun . . . und ich habe sie eben nicht verdient. Aber noch schlimmer. Sag nichts«, fuhr er hastig fort, als der Freund zum Sprechen ansetzte, »kräftigere Reden, als ich mir selber zuweilen halte, bringst du auch nicht fertig!«

Darauf war es eine Weile still. Am Nebentisch nahmen neue Gäste Platz. Der Rat blickte auf und zog grüßend den Hut. Ein Herr und eine Dame, er unförmlich, mit dunklem Gesicht und weißem Haar, sie eine schöne, brünette Person mit schwarzen Glutaugen und beweglichen Nüstern. Nur die Formen etwas zu voll, und die Toilette etwas zu grell.

»Tischgenossen vom ›Luzerner Hof‹«, flüsterte der Rat dem Maler zu, der flüchtig hinübersah. »Ein ehemaliger rumänischer Justizminister und seine Tochter.«

Heinrich nickte. »Aus dem wilden Winkel. Man merkt's auch an der Toilette. Rot-gelb-blau.« Dann starrte er wieder dem Rauch seiner Zigarette nach.

Der Rat räusperte sich. »Also –«, begann er und verstummte wieder. »Also vor drei Jahren schon?« fragte er endlich.

»Ja. Kurz hat das Glück gedauert, kaum vier Jahre. Wirklich ein Glück, Karl, ein volles Glück, für sie und mich. Ich hatte keinen anderen Wunsch als sie, kein Wunder! Daß sie jung, schön, anmutig war, weißt du ja – aber wie gut war sie auch, wie klug, welcher prächtige Kamerad! Dazu unsere beiden süßen Mädels. Wer mir damals gesagt hätte: ›In einigen Wochen verdienst du das alles nicht mehr‹ – erwürgt hätt' ich den Menschen. Und doch.«

Der andere rückte näher. »Die Versuchung war wohl sehr stark?«

»Das schon. Ein schönes Weib, schlank, blond, Mitte der Zwanzig, anscheinend kalt. Champagne frappé – die Gattung war mir immer die gefährlichste. Wenn das so zu tauen, zu schäumen beginnt. Schon bei der zweiten Sitzung wurde mir's schwül.«

»Ein Modell?«

»Bewahre! Das tut selbst ein junger Maler nur, wenn er ein gemeiner Kerl ist. Blaues Blut, sehr raffiniert, so halb und halb Pariserin. Auch waren wir auf ihrem Schloß allein, während der Mann, ein plumper häßlicher Pferdemensch, mit seiner Kokotte in Monte Carlo saß. Zudem machte sie's mir leicht, sie hat mich, glaub' ich, in ihrer Art wirklich geliebt. Du siehst, es kam etwas viel zusammen, aber ich will mich nicht entschuldigen. Genug, es geschah, wurde ruchbar, ein richtiger Skandal – wie, ist ja gleichgültig. Natürlich erfuhr's auch meine Frau.«

»Und was sagte sie dazu?«

»Zunächst nichts. Sie war betäubt, ihr Himmel war eingestürzt und hatte sie unter seinen Trümmern begraben. Dann schien sie entschlossen, für immer mit mir fertig, reiste mit den Kindern auf ihr Gut. Ich wehrte ihr nicht, hielt auch die Freunde ab, zu vermitteln, bat nur selber und – hoffte. Sie war ja so gut und klug, liebte mich so sehr, dazu die Rücksicht auf die Kinder. In der Tat schrieb sie mir nach einigen Wochen, ich möge kommen, mich mit ihr auszusprechen.«

»Und trotzdem versöhntet ihr euch nicht?« fragte der Rat und rückte noch näher. Sein Blick streifte dabei den Nachbartisch, und die kleinen Augen wurden groß. Da saß die üppige Bojarin und starrte den Künstler wie behext an, mit feuchten Augen, geblähten Nüstern, den Mund halb geöffnet, daß man die spitzen weißen Zähne sah. Den Beamten überlief's. »Und er ist so alt wie ich!« dachte er neidvoll. »Bald achtundvierzig!«

Aber der Maler bemerkte sie nicht. Er starrte wieder vor sich hin. »Trotzdem nicht«, antwortete er. »Überhaupt – es kam alles anders, als ich gedacht hatte. Sie weinte nicht, zürnte nicht, blieb ruhig und freundlich. Ich hatte ja schon früher geahnt, welche Kraft in ihr war, in jener Stunde sah ich's. ›Ich komme zurück, wenn du mir dein Wort gibst, daß du dich und mich nie wieder entehrst. Den Schwur am Altar hast du gebrochen – band er dich nicht genügend, täuschtest du dich über deine Kraft, gleichviel! Nun kennst du dich besser, und dein Wort wirst du halten, soweit kenn' ich dich. Prüf dich, ob du es geben kannst, und sag mir morgen Bescheid!‹ Damit schickte sie mich auf mein Zimmer, das Gastzimmer, ich kannt' es von meinen Bräutigamstagen her. Wie oft hatte ich die blauen Gentianen auf der gelben Tapete gezählt, wenn mich mein wildes, ungeduldiges Blut nicht einschlafen ließ. Es war Dämmerung und im Dezember, als ich es nun wieder betrat, und als ich mich fortschlich, schimmerte draußen das Morgenrot durch die beschneiten Bäume – zwölf Stunden oder länger bin ich in der Stube auf und nieder getaumelt und habe mit mir gekämpft, gekämpft – o diese Nacht! Und alle Qual umsonst und alles Grübeln, fortgestohlen hab' ich mich, aus dem Haus und zur Station, zurück nach Berlin!«

Der Rat sah ihn verblüfft an. »Ohne sie gesprochen zu haben? Unbegreiflich! Sprechen ist in derlei Fällen . . .«

» . . . klüger als schreiben, das einzig richtige usw. Oh, gewiß! Aber wenn man sich, zu sehr schämt, seiner Schwäche wegen, und weil es gar zu brutal wäre, derlei auch noch ins Gesicht hinein zu sagen?! Denn was hätt' ich ihr damals antworten können?! ›Versprechen kann ich dir jetzt nur, daß ich mit der Bestie in mir ringen will, auf Tod und Leben, aber ob ich Sieger bleibe, weiß ich noch nicht. Ich hoffe, die Stunde kommt, wo ich auch dies weiß, wo ich mein Wort geben kann. Ich hoffe darauf, wie ein Verdammter auf seine Erlösung, aber noch ist sie nicht da! – Gib mir längere Bedenkzeit.‹ Derlei schreibt man, wenn man muß, und das tat ich, aber man sagt es nicht seiner Frau.«

Der Richter räusperte sich. »Das freilich nicht. Aber schon die Bedenkzeit war unklug. In derselben Sekunde, wo sie ausgesprochen hatte, mußtest du auch zu ihren Füßen liegen: ›Ich gelobe.‹ Und dann hättest du auch deinen Schwur gehalten, weil er dich gehalten hätte. Hoffentlich wenigstens!«

»Hoffentlich!« rief der Maler und dämpfte seine Stimme dann wieder zu zitterndem, leidenschaftlichem Flüstern. »Da eben liegt's. Wenn du sie damals gesehen hättest, die blauen Kinderaugen so groß, so durchdringend, als wären sie durch die vielen Tränen hellsehend geworden, das liebe, braune, abgehärmte Gesichtchen so rührend ehrlich – nein! da durfte man nicht aufwallen, man mußte ehrlich sein wie sie und sich prüfen und . . .«

» . . . das Tier in sich siegen lassen«, ergänzte der Rat. Er bemühte sich ehrlich, entrüstet zu scheinen, aber das Behagen, das er dabei empfand, so schelten zu können, klang doch durch. »Aber natürlich wird's dir auch an Sophismen nicht gefehlt haben: ›Die Natur hat dem Weibe allein die Folgen aufgebürdet; das Weib braucht den Mann als Ernährer und Beschützer seines Kindes; die Natur also hat das Weib monogamisch, den Mann polygamisch geschaffen!‹ Nicht wahr, mein Guter, auch daran hast du damals gedacht in dem Zimmer mit der Gentianen-Tapete?!«

»Nein! Damals nicht! Aber vorher und nachher, gewiß! Und es ist ja auch so!«

»Ist nicht so!« rief der Richter und sammelte sich sichtlich zu einer längeren Rede. Aber da fing er wieder einen der Blicke auf, die vom Nachbartisch zu dem Manne an seiner Seite herüberflogen, und der verdarb ihm das Konzept. Er rückte seinen Stuhl, so daß nun weder er die Rumänin, noch diese den Maler sehen konnte. »Ist nicht so!« wiederholte er dann etwas minder fest. »Angenommen aber, daß man's für wahr hält, so darf man als ehrlicher Mann eben nicht heiraten oder muß doch vorher seine Braut fragen, ob ihr mit einem untreuen Gatten gedient ist. Beides hast du nicht getan!«

»Weil ich damals nichts wußte und nichts wollte als sie. Du weißt, ich bin nie ein frommer Katholik gewesen, und daß ich dann meiner Braut oder richtiger ihren Eltern zulieb Protestant wurde, stimmte mich auch nicht eben frömmer. Und dennoch kann nie ein Mann sein Ja am Altar feierlicher und fester gemeint haben als ich!«.

»Dann hättest du's auch halten müssen!« Die Entrüstung ward immer polternder, aber eben darum jenes Behagen immer sichtlicher. »Gar so schwer war's doch nicht für dich. Nimm an, die Natur hätte dich wirklich zum Polygamen bestimmt. Nun, dann durftest du dir sagen: ›Ich habe diese Bestimmung bis in mein fünfundvierzigstes Jahr so voll erfüllt, daß ich es nun getrost mit der Monogamie versuchen kann. Besonders an der Seite dieser Frau, die so schön und zwanzig Jahre jünger ist als ich!‹ Ja, ja, mein Lieber!«

Der Künstler wollte heftig erwidern, dann bezwang er sich. »Nicht übel – so aus deiner Natur heraus gesprochen. Und für andere haben tugendsame Menschen noch peinlichere Grundsätze als für sich selber. Aber im Ernst, Karl, du hättest deinen Beruf verfehlt und wärest ein jämmerliches Stück Gerechtigkeit auf Erden, wenn du noch immer nicht erkannt hättest, daß jeder aus seiner Natur heraus denkt und handelt, und darum jeder nicht wie er will, sondern wie er muß. Du mißachtest mich um meiner Schwäche willen, das heißt, soweit du mich nicht um die angenehmen Folgen in aller Stille beneidest. Ich aber verdiene nicht das eine noch das andere. Neid gebührt dem Vorzug, Mißachtung dem Laster. Was mir auferlegt ist, ist keines von beiden, sondern ein Schicksal. Und dem gebührt Verständnis. Freilich, bei dieser Verschiedenheit der Naturen.«

»Kamel und Tiger!«

»Hab' ich vor dreißig Jahren gesagt, und es hat dich seither gewurmt, sooft du daran dachtest, weil es – so wahr ist. Oder doch annähernd wahr. Denn dem Kamel ist auferlegt, niemals mordgierig zu sein, und dem Tiger, es immer zu sein, und auf die Gier oder, sagen wir, das Begehren kommt's ja bei dem Gegensatz zwischen Menschen meines und deines Schlages so wenig an! Ich weiß ja, Karl, du bist immer ein sehr vernünftiger Herr gewesen. Auf der Universität und dann als Referendar ab und zu ein heimlicher Trunk aus der Pfütze, dann die Heirat, aus Neigung selbstverständlich, aber auch höchst vorteilhaft. Und kleine, wirklich nicht nennenswerte Seitensprünge auf Reisen usw. abgerechnet.«

Der Rat hob feierlich abwehrend die Hand.

»Schwör nicht, Karl, sonst muß ich lachen, und danach ist mir jetzt wahrhaftig nicht zumut. Also ein Mustermensch warst du, und dennoch sage ich es dir auf den Kopf zu: Du hast viel mehr Frauen im Leben begehrt als ich, hast in Gedanken unendlich mehr Unheil angestiftet als ich in Wahrheit, und daß es bei den Gedanken geblieben ist, ist nicht dein Verdienst. Tu nicht so entrüstet, wahr ist's doch, zudem meine ich gar nicht dich und mich, sondern die Gattungen, denen wir zugehören. Ihr genießt weniger, und darum begehrt ihr mehr. Also darauf kommt's wenig an, wenig auf die Wirkung, welche die Frauen auf uns üben, sondern das Begehrtwerden entscheidet unser Schicksal, die Wirkung, die wir auf die Frauen üben. Begehren und sich bezwingen – leicht ist es auch nicht, aber es ist ein Kinderspiel gegen dies andere: verzichten, wenn man von einer begehrt wird, die uns das Blut sieden macht. Und darum: Gerechtigkeit, du weiser Daniel! Es ist nicht dein Verdienst, wenn du ein Mustermensch bist, und nicht meine Schuld, wenn ich keiner bin!«

»Nun, so ganz kann ich das doch nicht zugeben«, sagte der Rat. »Überhaupt, die Unfreiheit des Willens – eine Theorie wie ein Komet: kuriose Bahn, dünner Kern, viel Phrasendunst, freilich auch viel Flimmerglanz. Aber als dein Richter fühle ich mich ja überhaupt nicht, nur als dein Freund! Sieh, ich habe mir ja selbst in meiner Jugend niemals gewünscht, ein Tiger zu sein, aber wenn ich nun sehe, wohin es führt . . . hm!« Er räusperte sich und streckte dann dem Künstler mit sehr teilnahmsvoller Miene die Hand entgegen.

Dieser schlug ein, aber leicht, und ein seltsames Lächeln um die Lippen. »Sei's! Obwohl viel Heuchelei dabei ist.«

»Aber Heinrich!«

»Doch, mein alter Junge. Nicht einmal, tausendmal und dein ganzes Leben hindurch hast du dir gewünscht, ein Tiger zu sein, und während du jetzt hier sitzest, denkst du an nichts anderes. Denn das will jeder Mann sein, und das ist so natürlich! Es ist ja hübsch, so aus vollen Krügen zu trinken – nein, es ist berauschend, mit das Höchste, was dies arme Leben bieten kann, und es gibt Stunden, wo ich nur eine Empfindung habe: ›Natur, ich danke dir, daß du mich schufst, wie ich bin – trotzdem und alledem –, ich danke dir!‹ Aber andre Stunden gibt's, wo ich alles drum gäbe, ein Kamel zu sein, ich meine ein Mensch, der glücklich ist, sich ein braves Weib errungen zu haben und die anderen Weiber in Ruhe läßt, weil sie sich nicht um ihn scheren, Stunden, wo ich meinen Namen drum gäbe, Jahre meines Lebens, was weiß ich. Nur mein bißchen Können als Künstler nicht, aber sonst wirklich alles. Du lächelst?! Oh, es ist doch so! Und ich glaube sogar, es geht vielen Leuten meines Schlages ganz ebenso. Nicht allen, nicht jenen, die so vom Menschen nur das Gesicht haben, aber uns andern. Wie du ja damals selbst sagtest: ›Seele, Gewissen, auch das ist nicht eitel Dunst!‹ Ich hab's gespürt! In jener Dezembernacht, aber auch vorher, nachher und jetzt eben. Du verstehst mich nicht, aber so dunkel fühlst du, wie es in mir aussieht, und weil du sie gekannt hast, so empfindest du jetzt neben sehr viel Schadenfreude wirklich auch ein bißchen Mitleid für mich!«

»Nun ja, viel verdienst du ja nicht«, erwiderte der Rat. Er gab sich nun sichtlich Mühe, die Tonart des anderen nachzuahmen.

»Und selbst dies wenige wende ich dir nur zu, weil ich sie gekannt habe. Ich hab' sie ja damals nur einige Stunden gesehen und gesprochen, dennoch ist mir klar: dieses Weib verloren zu haben, ist wirklich ein Unglück. Aber freilich, eben darum fasse ich es auch nicht, wie du damals zögern konntest. Einer Marotte wegen sein Glück vernichten!«

»Das nennst du eine Marotte?! Nur ein Lump gibt sein Wort, obwohl er zweifelt, daß er's wird halten können. Und welche Gemeinheit wär's vollends gewesen, zu denken: ›Mein Wort? Bitte, sehr gern! Aber nun sehen wir zu, wie weit wir damit kommen; wenn nur ein paar Schritte, so wird derlei doch nicht immer sofort ruchbar!‹ Bleibt also nur die Frage: ›Warum konnt' ich mein Wort nicht geben?‹ und darauf nur die Antwort: ›Weil ich, so wie ich nun einmal bin, eben nicht konnte!‹ Ein Schicksalsgenosse, sofern er daneben auch ein Gewissen hat, kann mich vielleicht verstehen, du nicht!«

Der Rat lächelte, etwas krampfhaft freilich, so, als ob er mit eisernem Striegel gekitzelt würde. »Versuchen wir's dennoch! Interessiert mich wirklich. Du sagtest, begehren und trotzdem verzichten, das ginge leicht?«

»Nein, schwer, aber es geht. Auch wenn man sich sagen muß: ›Nur noch eine Stunde, und auch drüben schlägt die Flamme empor!‹ – man beißt die Zähne zusammen und überwindet's. Und nun gar, wenn man selber kalt geblieben ist – da kostet's ja keinen Kampf, das tut man einfach als anständiger Mensch nicht.«

»Auch wenn das Weib jung und schön ist?«

»Auch dann. Man darf sich auch durch Jugend und Schönheit nicht – kaufen lassen.«

»Nun, nun!« Aber trotz des spöttischen Tons wußte der Rat ganz genau: Der Mann heuchelt nicht. So hat er's immer gehalten. ›Und trotzdem‹, dachte er neidvoll, ›wieviel hat er trotzdem genießen können!‹ Laut aber sagte er: »Also nur wenn man begehrt und begehrt wird – ›zwei Seelen und ein Gedanke‹ usw. –, wäre Widerstand unmöglich? Oder doch fraglich? Aber hast du dabei nicht an deine Jahre gedacht, und wie das Blut immer kälter wird?!«

»O du Glücklicher, wenn du das ehrlich und aus eigener Erfahrung sagst!« rief der Künstler, nicht spöttisch, nein, leidenschaftlich, ja schmerzvoll. »Ich habe Grund zu glauben, daß man erst im Schwabenalter recht erkennt, was Begehren und Beglücktsein heißt! Seltener kommt die Glut als zwanzig Jahre zuvor, aber dann ist's auch Fieberglut. Unsinn, Karl, ein junger Mensch kann vielleicht auch lechzend verzichten – du lieber Gott, auf was alles kann er noch hoffen! –, aber wer sich so im September seines Lebens fühlt?! Der Winter steht ja vor der Türe, die entsetzliche Zeit, wo alles zu Ende ist: die eigene Glut und die Fähigkeit, andere erglühen zu machen. Sich abwenden, wenn man sich sagen muß: ›Es ist vielleicht dein letzter Sieg, und dann wird's kalt um dich!‹ – wer bürgt mir, daß ich das gekonnt hätte?!«

»Und um nicht den letzten Sieg zu versäumen, hast du dein letztes Glück zertrümmert?!«

»Nein! Sondern weil ich vor solchem Pyrrhussieg zitterte, meine Frau nicht nochmals betrügen mochte. Aber wozu erst wiederholen? Für dich sind's Phrasen, und für mich war's der Zwang meiner Natur und darum mein Schicksal!«

Er zog seine Uhr und blickte zum Dampfer hin.

»Oh, du hast noch Zeit«, sagte der Rat. »Noch eine halbe . . .« Das letzte Wort blieb ihm in der Kehle stecken, so sehr interessierte ihn das Schauspiel, das sich ihm nun bot. Der Blick des Malers war endlich dem der Rumänin begegnet und blieb in ihm haften. Seine Züge spannten sich und wurden einen Schatten bleicher, er atmete rascher. ›Wie ein Jäger‹, dachte der Rat, ›dem unvermutet ein Reh aufstößt!‹ Aber der Vergleich paßte schlecht. Die junge Bojarin wurde glührot, den üppigen Körper überflog ein Zittern, aber die runden schwarzen Augen lachten dreist. Noch einen Augenblick, und der Maler wandte sich ab. Um den weichen Mund zuckte es wie Widerwillen. »Gehen wir!« Und er erhob sich.

Der Rat folgte ihm. »Du entfliehst der Versuchung?« fragte er lächelnd. »Aber es wäre auch nutzlos! Ein Fräulein, die Tochter einer Exzellenz.«

»Es wäre nicht nutzlos«, sagte der Maler kühl, ohne Betonung. »Aber sie gefällt mir nicht. Und es ist unangenehm, so mit Blicken betastet zu werden, wenn man selbst kalt bleibt.«

»Zuerst schien's nicht so.«

»Ich mußte sie mir doch erst ansehen. Eben nicht mein Geschmack. Aber nun mußt du mir auch von dir erzählen!«

»Oh, was wäre da viel zu sagen! Ein Philister, ein glücklicher Gatte und Vater! Aber du – du bist mir ja noch den Schluß deiner Geschichte schuldig. Was erwiderte deine Frau auf jenen Brief? Nichts? Natürlich! Und ließ sich sofort scheiden?«

»Nein. Gerichtlich geschieden sind wir auch heute noch nicht. Zunächst wartete sie auf meine Antwort, fast ein Jahr.«

»Alle Wetter!« rief der Rat. Wie muß sie dich geliebt haben!«

»Ja. Aber es war noch etwas anderes dabei: Verständnis. Eine richtige Frau, die gut ist, versteht alles. Sie ahnte wohl: Das ist nicht Frivolität, sondern der Kampf eines Menschen mit seinem Schicksal. Im Grunde ein tragischer Kampf, sie mochte nicht eingreifen, hoffte auf einen Sieg des Gewissens. Auch mögen ihr unsere Freunde geschrieben haben, wie es um mich stand. Ich arbeitete wie ein Rasender, lebte wie ein Mönch; ich habe mir für jene Zeit nichts, gar nichts vorzuwerfen. Und dennoch, sooft ich zur Feder griff, ihr zu schreiben, ich wagte es doch nicht. ›In einigen Tagen‹, dachte ich, ›nein, morgen schon hast du dich soweit.‹ So tat denn endlich sie, was ihr ihre Menschenwürde gebot. Auch in diesem Brief stand kein zorniges Wort. Milden Tons, fast mitleidsvoll schrieb sie, daß nun zwischen ihr und mir alles aus sei. Wünschte ich die gerichtliche Scheidung, so sei sie dazu bereit, aber auch nur dann. Die Mädchen müßten ja unter allen Umständen ihr verbleiben, sie verspreche, ihnen das Bild des Vaters ungetrübt zu erhalten, soweit dies möglich sei.«

»Und damit war's aus?! Ich an deiner Stelle wäre sofort hingereist. Ich bin überzeugt . . .«

»Da irrst du. Das war das Ende. Sie hätte mir nun ihre Arme nicht mehr geöffnet, und wenn sie gewußt hätte, daß ich mich sonst sofort vor ihren Augen erschießen würde. Ein Herz von Gold, ein Wille von Stahl.«

»Aber warum hat sie sich dann ihre Freiheit nicht von dir zurückgeben lassen?!«

»Weil sie nach mir keinen anderen lieben kann. Oder weil sie an der einen Erfahrung genug hat. Wie du willst! Übrigens ist das eine so richtig wie das andere.«

»Aber die Kinder siehst du zuweilen?«

»Nein. So sehr ich mich nach ihnen sehne. Sie kennen mich ja nicht mehr – was sollen sie bei einer flüchtigen Begegnung mit dem fremden Menschen denken, was empfinden?! Nein, für sie ist's besser so. Für mich freilich eine Strafe mehr, aber –« Er biß die Zähne zusammen und atmete tief auf. »Indes, wie's heute ist, man trägt's. Aber welch ein Leben soll das in zehn, in zwanzig Jahren werden! Weiß ich's denn, ob ich nicht dazu verdammt bin, so lange zu leben? Welch ein Alter!« Es klang wie ein Angstruf aus tiefster Brust. »Welch ein Alter!«

»Nun«, sagte der Rat, »ich hoffe noch immer.« Sie gingen während dieses Gesprächs am Quai auf und nieder und blieben stehen, als von drüben die Schiffsglocke das erste Signal gab.

»Ich kann leider nicht mit, Heinrich. Heut ist ja Dienstag! Drüben im Hotel erwarten mich die Briefe von Weib und Kindern. Sie schreibt mir täglich, die Kinder jeden Sonntag. Und derlei will sofort genossen und erwidert sein.«

»Wieviel Kinder hast du?«

»Zwei, einen Sohn, eine Tochter. Der Junge studiert schon, in Bonn, Jura natürlich. Schneidiger Kerl, Korpsstudent. Kostet viel Geld, aber was tut man nicht für die Zukunft seiner Kinder? Solche Verbindungen aus dem Korps, weißt du, nützen dann mehr als das beste Examen. Auch können wir's ja gottlob tun; du weißt, mein Schwiegervater ist so'n Schlotbaron drüben bei Dortmund. Die Fabrik wächst noch immer. Na, und das Mädel ist natürlich noch bei Muttern, gerät prächtig. Ja, Heinrich, ich darf mich nicht beklagen! Was die Karriere betrifft, die nächste Vakanz als Präsident ist mir sicher – und so weiter. Weil's dir Spaß machen wird, mein Alter: Ich bin überzeugt, daß du mir noch zur Exzellenz wirst gratulieren können. Aber was wäre dies alles, wenn ich das beste nicht hätte: das häusliche Glück.«

Sie waren nun auf der Landebrücke, mitten im Gewühl. »Ja«, fuhr der Rat trotzdem fort, es war ihm offenbar ein Herzensbedürfnis, auch dies noch zu sagen, »mein trautes Heim! Mein liebes Weib! Du kennst sie ja, nun, die Schönste war sie ja nicht eben, aber welch ein Gemüt! Übrigens jetzt, wo sie stark geworden ist, eine sehr stattliche Erscheinung. Und ich bin noch heut in sie verliebt wie als Bräutigam. Wahrhaftig ja. Siehst du, Heinrich, es wäre ja fast des Glücks zuviel, aber ich bin mir bewußt, es zu verdienen. Das darf ich sagen! Ich . . .«

Da stockte er, wurde dunkelrot und stand fassungslos da. Wie immer hatten sich auch einige Damen am Dampfersteg eingefunden, die nicht mitfahren, im Gegenteil den und jenen Ausflügler zum Dableiben veranlassen wollten. Und eine von ihnen, ein robustes Frauenzimmer mit bemalten Wangen, hatte ihn mit einem Blick freudigen Wiedererkennens begrüßt und tat nun den Mund auf, als wollte sie ihn auch noch ansprechen.

Der Künstler sah es, es zuckte um seine Lippen. Dann aber sagte er nur: »Ja, du verdienst dein Glück. Es wird jedem, wie er verdient. Auf Wiedersehen, Karl!«

Und er bestieg den Dampfer, der gleich darauf vom Ufer abstieß.

 


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