Georg Forster
Über James Cook und andere Essays
Georg Forster

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Leitfaden zu einer künftigen
Geschichte der Menschheit

Fingere cinctutis non exaudita Cethegis
Continget: dabiturque licentia sumta pudenter.

Hor.

Neulich fiel mir Prior's Alma wieder in die Hände. In diesem Spottgedichte, wo er die Träume der Philosophen über den Siz der Seele belacht, hat er den drolligen Einfall, die Seele durch die Zehspizen in den neugebildeten Körper dringen, und allmählig in verschiedenen Perioden des Alters, durch die Beine und Schenkel hinauf, zum Gürtel, dann zum Herzen, endlich in den Kopf steigen zu lassen.

Statt des Beweises, beruft er sich auf die Erscheinungen, die eine jede Lebensepoche auszuzeichnen pflegen. Die Seele des Säuglings zum Beispiel, kan nach seiner Meinung nirgend anders, als in seinen Füßen wohnen; denn mit diesen stößt und zappelt er schon lange, ehe er kriechen und andere Theile seines Körpers bewegen lernt. Auch beim Knaben verweilt sie noch in diesen Extremitäten. Sieht man nicht am Steckenreiten und Springen, an der Rastlosigkeit, die es ihm unmöglich macht, einen Augenblick still zu stehen, daß seine Beine in einem fort seinen Willen bestimmen? Allein es komt die Zeit, wo die Seele höher steigt; andere Organe bilden sich zu ihrem Thron, von wannen sie den ganzen Körper beherscht, und alle seine Handlungen beziehen sich auf die Bestimmung und Kraft dieser Theile. Kindisches Spiel und rasches Umhertreiben ergözt den blühenden Jüngling nicht mehr; ein neuer Trieb erfüllt sein ganzes Wesen, richtet alles Wirken seines Geistes auf einen Punkt, und kettet ihn an den Gürtel der Liebe. So geht es nun weiter zur Karakteristik des männlichen und höheren Alters.

Die Ausführung dieser Fantasie, die zwar etwas unfein und desultorisch, in Prior's eigener Manier gerathen ist, hatte wenigstens Laune genug, um zu ihrer Zeit das Lächerliche eines nunmehr vergessenen gelehrten Streits aufzudecken und scherzhaft zu züchtigen. Jezt fängt man an, mit der Sache das Gedicht zu vergessen; denn die neuere Philosophie hat wichtigere Sorgen, als diese, dem Wohnort der Seele nachzuspüren. Sie stehet am Rande jenes kritischen Abgrunds, den Milton's Satan einst durchwanderte. Die Substanzen, sagt man, fliehen sie stärker, je eifriger sie ihnen nachforscht; sie hat nicht nur die Seele ganz aus dem Gesichte verloren, sondern sogar der Körper soll ihr neulich abhanden gekommen sein. Wenn es so fortgehet, und alles um sie her verschwindet, so läuft sie wirklich Gefahr, im großen idealischen Nichts sich selbst zu verlieren, wofern nicht das uralte Chaos sie eben so freundschaftlich wie den Höllenfürsten lehrt, in jener »Unermeßlichkeit ohne Grenzen, Ausdehung und Gegenstand, wo Zeit und Raum unmöglich sind,« – sich zu orientiren! Doch zurück von dieser Nacht des Ungrunds, des Zwists und der Verwirrung, wohin vielleicht keiner von meinen Lesern weder einem gefallenen Engel noch einem exaltirten Denker Lust zu folgen hat.

Kaum hatte ich jenes Gedicht wieder gelesen, so reihte sich in meinem Kopf ein ganzes Sistem der sogenannten Geschichte der Menschheit daran. Das Bindungsglied war jener so bekante, als gemißbrauchte Vergleich der verschiedenen Lebensepochen des einzelnen Menschen mit den Stufen der Kultur bei ganzen Familien und Völkern. Ich weis wieviel ich wage, indem ich diese Ähnlichkeit des Allgemeinen mit dem Besondern wieder hervorsuche. Wie leicht sind nicht Ähnlichkeiten überall gefunden? die Weisheit der alten Base entdeckt bei jedem jungen Ehepaar gleichförmige Züge, deren Anziehungskraft, nach ihrer Physik, zu wechselseitiger Neigung die erste Veranlassung gab. So bemerkt sie auch an jedem älteren Ehepaar immerfortschreitende Verähnligung, und wundert sich, daß demungeachtet die Anziehungskraft mit jedem Jahre sich merklich vermindert. Sollen, aller Vorsichtigkeit ungeachtet, die Resultate meiner Wahrnehmungen mit dieser ehrwürdigen Matronenphysiognomik eine unglückliche Verwandschaft verrathen, so werde ich mich gleichwol, mit dem unvermeidlichen Schicksal aller meiner Vorgänger, die den Eräugnissen im Gebiete der Humanität nachgeforscht haben, wie es einem Philosophen ziemt, zu trösten wissen.

Ohne Prior's dichterischen Apparat zu benuzen, und ohne mich, mit wem es auch sei, über die Art und den Namen des wirkenden Prinzips um Menschen zu entzweien, halte ich mich zuförderst an die Erfahrung allein, und betrachte Erscheinungen oder Wirkungen, die unsern Augen täglich kund werden, die sich täglich berichtigen lassen.

Die ersten Organisationskräfte, man nenne sie plastisch mit den Alten, Seele mit Stahl, wesentliche Kraft mit Wolf, Bildungstrieb mit Blumenbach, u.s.w. wirken im Menschen dahin, daß er sich selbst erhalten, und sein individuelles Dasein hier gegen alle äusseren Verhältnisse behaupten könne. Die wesentliche Bedingniß zur Erreichung dieses Endzwecks, ist Wachsthum des Körpers, Festigkeit und Stärke der Glieder, vor allen derjenigen, die zur Bewegung erforderlich sind, der Knochen und Muskeln. Von der Empfängniß an, bis zum Augenblick der natürlichen Auflösung bemerkt man daneben einen allmähligen Übergang aus einem vollkommen flüßigen Anfang, in einen bis zur Verhärtung festen Zustand der meisten Organe, und in eine zähe Verdickung der Säfte. Die Federkraft des organischen Stofs nimt so lange zu, als das Wachsthum dauert, und vielleicht noch länger, indem die Vollkommenheit aller Theile des Körpers in einem mittleren Verhältniß zwischen ihren festen und flüßigen Urstoffen besteht. Zuerst also ist der Wirkungskreis der Kräfte, die eine menschliche Gestalt beleben, auf ihre eigene Materie und deren Entwicklung eingeschränkt. So wie die ganze Organisation mehr Konsistenz erhält, erweitert sich die Sphäre ihrer Wirksamkeit auch jenseits ihrer körperlichen Grenzen, vermittelst der willkürlichen Bewegung; doch hat sie ausser der Selbsterhaltung, und der damit verbundenen Vernichtung fremdartiger Organisationen, noch keinen bestimteren Zweck. Bewegung ist der Genuß des Knabenalters; sie entspringt aus einem Gefühl der Kräfte, und ist Wirkung ihres inneren Reizes; auch befördert sie wieder das Wachsthum, die gleichförmige Entwicklung und die Stärke des Körpers.

Eine Folge des allgemeinen Wachsthums ist aber die Ausbildung der Organe und Absonderung der Stoffe, welche zur Hervorbringung derselben Form des Daseins in ändern Individuen unentbehrlich ist. Der Mensch wird zur Fortpflanzung fähig, ehe er zu seiner bestimten Länge und Stärke gelangt, ehe er völlig ausgebildet ist, ehe die Knorpel alle geschwunden sind. Mit der Entwicklung jener Organe, mit der Scheidung jener Säfte verbindet sich ein starker Reiz, das Kennzeichen einer neuen Richtung der Organisationskräfte, die auf ein Wirken außer sich, und zwar nicht mehr auf Zerstörung, sondern auf Vereinigung und Mittheilung hinausläuft. Die Blüthezeit des Menschen, die frohe Zeit des berauschenden Genusses, der im Tausch der Empfindungen und wechselseitiger Hingebung besteht, ist jedoch wie jede Blüthezeit ein kurzer, schnellvorübereilender Augenblick.

Nach der Erscheinung des Geschlechtstriebes erreicht der Körper sein volles Wachsthum, seine höchste Reife. Der Widerstand der Theile komt mit der ausdehnenden Kraft ins Gleichgewicht. Knochen, Sehnen, Muskeln gewinnen den höchsten Grad ihrer Festigkeit, Spannkraft und Stärke. Das Blut, welches zur Ergänzung, nicht mehr zur Vergrößerung des Körpers seinen Kreislauf fortsezt, ist nicht nur in größerer Menge vorhanden, sondern wird feuriger, in sich selbst lebendiger und belebender, als zuvor. Man ist daher geneigt, schon im voraus eine wichtige Revolution im Menschen, bei diesem Stillstand in seinem Wachsthume zu erwarten. Wenn die Erhärtung gewisser Theile der bildenden Kraft nun Grenzen steckt, und keine Ausdehnung mehr statt finden läßt, so würde bald das Blut in allen Adern stocken, falls es kein Mittel gäbe, dasselbe in dem Maaße, wie es aus den Speisen bereitet wird, wieder zu verarbeiten. Dieses Mittel bietet aber die Abnuzung der Organe dar, welche jezt um so schneller vor sich geht, je heftiger das Gefühl ihrer Kraft zu anhaltender Bewegung, zu gewaltsamer Anstrengung, zur Thätigkeit im Äussern reizt. Nie trug der Körper größere Lasten, nie regten sich die Glieder mit geringerer Erschöpfung, nie vermogten die gespanten Muskeln mehr als jezt, da die Ergänzung aus dem reichen Blutsquell so leicht von statten geht. In der That steigt auch das Gefühl der eigenen Kraft im Menschen jezt auf den höchsten Punkt; er empfindet mehr als jemals den Trieb außer sich zu wirken, den mächtigen Willen, womit er sich ein Herr der Schöpfung wähnt, und die zur Leidenschaft verstärkte Begierde, wodurch er, ohne die Gefahr im Hinterhalt zu ahnden, ein Sklave der coexistirenden Dinge wird. Nach dem Rausch eines Augenblicks, kehrt das Gefühl der freien Selbstheit zurück, zum Gebrauch der inwohnenden Kraft; aber milder ist doch der Genuß in dieser langen Epoche des reifen Alters, welches auch im Erhalten die Macht seines Wirkens fühlt.

Das feuchteste, weichste, zarteste, eindruckfähigste Organ, das Organ der Empfindung, der Erinnerung und des Bewußtseins, mit einem Worte das Hirn, empfängt und sammelt von Kindheit an die Einwirkungen der äußeren Gegenstände, vermittelst der Sinneswerkzeuge, und des ganzen Nervenistems. Seine Masse bleibt weich, und erlangt erst in späteren Alter eine gewisse, jedoch immer sehr geringe Festigkeit. Kein Wunder also, daß erst in der Periode des Stillstands die Lebenskräfte des Hirns ihre höchste Regsamkeit äussern, und durch die von solchen Äusserungen unzertrenliche Reaktion die Klarheit des Bewußtseins erhöhen. Wenn bereits die Knochen spröde, die Muskeln steif, die Sinne stumpf und die Nerven überhaupt weniger empfindlich geworden sind, erhält sich noch die Wirksamkeit dieses bewundernswürdigen Organs. Zurückgezogen aus seinem größeren Wirkungskreise, bleibt alsdann der Mensch sich selbst noch übrig, und findet in dem zarten Gewebe seines Hirns das Weltall wieder, wenn es ausserhalb desselben kaum mehr für ihn existirt. Herlicher Genuß auch dieser, und vielleicht der herlichste von allen, dieses erhöhte Bewußtsein des Menschen, der in sich selbst eine Welt beschaut, und solchergestalt die lezten Höhen seiner Ausbildung ersteigt.

So sind also die Hauptbestimmungen des Menschen: Selbsterhaltung, Fortpflanzung, Wirksamkeit außer, und Rückwirken in sich selbst, von einer nach und nach erfolgenden Veränderung verschiedener Organe abhängig, und im genauesten Verhältnisse mit den Perioden des Wachsthums, der Pubertät, des Stillstands und der Hirnerhärtung.

Mit allen Thieren haben wir Erhaltung und Fortpflanzung gemein; in so fern also sind diese Funktionen mit den besondern und ausschließenden Bestimmungen der Menschheit nicht zu vergleichen. Das Dasein des Einzelnen und der gesamten Gattung hinge gleichwol an einem gar zu schwachen Faden, wenn die Periode des Wachsthums und des Geschlechtstriebes nicht vor der höchsten Entwicklung der Thätigkeit nach Aussen und der Denkkraft vorherginge. Vor allen Dingen müssen wir sein; sodann erst können wir auf eine bestimte Art und Weise unsere Kräfte äussern. Da indessen das Wachsthum aller Organe gleichzeitig fortschreitet, (wiewol das zarteste früher ausgearbeitet erscheint,) da nur die Zeitpunkte ihrer höchsten Wirksamkeit, ihrer Reife verschieden sind; da auch das Handeln und Denken schon während der Epoche des Wachsthums seinen Anfang nimt: so darf man in gewisser Hinsicht behaupten, daß unsere Existenz zu keiner Zeit bloß thierisch ist.

Was scheint nun wol natürlicher, als die Voraussezung, daß zwar keine Anlage im Menschen unbenuzt und unentwickelt bleiben, aber auch keine auf Kosten der übrigen ausgebildet und vervollkommnet werden dürfe? die Natur bindet sich jedoch nirgends an diese Regel. Wäre sie unabänderlich, so wüßten wir nicht, wie weit sich die Perfektibilität jedes einzelnen Organs erstreckt, und in welchem Grade die Lebenskraft sich darin äussern kan, sobald sie sich ganz darauf konzentrirt und die übrigen Organe vernachläßiget. Nun wird aber diese Kraft durch geringe Anomalien der Bildung und hinzutretende äussere Verhältnisse so bestimt, daß einzelne Theile durch sie im Körper gleichsam herschend werden, daß alles sich auf diese zu beziehen scheint, und zur Vervielfältigung, Erleichterung und Vervollkommnung ihrer Funktionen dienen muß. Das unbändigste Kraftgefühl, die unersättlichste Salacität, die heftigste Leidenschaft und der göttlichste Tiefsinn können nimmermehr in einem Menschen vereinigt sein; sondern eine von diesen Eigenschaften, sobald sie in ihrem Grade hervorsticht, verdrängt die übrigen, und entzieht andern Organen die erforderliche Energie. Der Wollüstling Sardanapal konte nicht die Geseze des Zusammenhangs ergründen, wie der Denker Newton; die enthaltsamen Kornaren hatten nicht, wie Milo der Kämpfer, einen Ochsen getragen, u. s. f. Gleichgewicht unter jenen Eigenschaften ist also das Kennzeichen ihrer Mittelmäßigkeit, und beruht auf einer sehr vertheilten Lebenskraft; die Mannigfaltigkeit hingegen erfordert partielle Disharmonien und Excentricitäten.

Die Ursache dieser Abweichungen von einer gleichförmigen Entwicklung entzieht sich unseren Blicken. Verkettungen des Schicksals aufsteigend in unabsehlicher Reihe, wirken im Moment der Zeugung unaufhaltsam, das Maaß der Empfänglichkeit der neuen Organisazion in allen ihren Theilen zu bestimmen; ein geringfügiger, dem Anschein nach unbedeutender Umstand, durch eine eben so lange Reihe vorhergehender Begebenheiten vorbereitet, ertheilt durch einen unmerklichen Stoß dieser Maschine eine Richtung, die sie Zeitlebens behält; und jeden Augenblick des Daseins folgen sich schnell diese Stöße und verrücken die Kreise, die unsere Philosophen in Gedanken ziehen.

Diese allgemein bekanten Erfahrungen scheinen sich mir auch in der großen Masse des Menschengeschlechts zu bestätigen, und ganze Völker scheinen jene verschiedenen Stufen der Bildung hinanzusteigen, die dem einzelnen Menschen vorgezeichnet sind. Die Natur scheint anfänglich auch bei diesen Haufen nur für Erhaltung zu sorgen; späterhin, wann sie reichlichere Quellen der Subsistenz ausfindig gemacht haben, komt der Zeitraum ihrer Vermehrung; sodann entstehen große Bewegungen, gewaltsames Streben nach Herschaft und Genuß; endlich entwickelt sich der Verstand, verfeinert sich die Empfindung, und die Vernunft besteigt ihren Thron.

Tanz und Kampf sind die ersten Fertigkeiten des Wilden, der sich um eine einzige Stufe nur über das Bedürfniß der Thierheit erhebt. Er fühlt seine Kraft im Vernichten; im Taumel der Siegesfreude stampft er unwillkürlich die Erde mit seinen Füßen; alles an ihm ist unbändiger Knabenmutwille, und inneres Streben ohne Richtung. Der Überfluß, gleichviel ob Jagd und Viehzucht oder Ackerbau ihn erzeugte, läßt in der behaglichen Ruhe, die er veranlaßt, durch den sanfteren Reiz wuchernder Säfte den Geschlechtstrieb stärker entflammen. Ein mildes Klima, ein fruchtbares Land, eine ruhige, ungestörte Nachbarschaft, und wer mag bestimmen, welcher andere Zusammenfluß von Organisazion und äusseren Verhältnissen beschleunigte das Wachsthum sowol der Chineser und Indier als der Neger, entwickelte früher ihren Geschlechtstrieb, führte die Polygamie unter ihnen ein, und machte sie zu den volkreichsten Nazionen der Erde. Allein Erschlaffung ist das Loos einer zu üppigen Verschwendung der Zeugungskräfte. Im Herzen und Hirn dieser Völker schlief die belebende Kraft, oder zuckte nur konvulsivisch. Zur Knechtschaft geboren, bedurften sie, und bedürfen noch der Weisheit eines Despoten, der sie zu den Künsten des Friedens anführt, und mechanische Fertigkeit in ihnen weckt. Die Ruthe des Despotismus, auch wenn eine milde Hand sie regiert, kan jedoch nur das Menschengeschlecht auf dem Wege der Nachahmung und Gewohnheit in ewig einförmigem Schritte vor sich hintreiben, nicht eigenthümliche Bewegung und erfinderische Kraft in ihm hervorrufen. Was ist der höchste, aber geschmacklose und keiner Vervollkommnung fähige Kunstfleiß noch werth, bei jener starren Unveränderlichkeit der Sitten und Gebräuche, jener finstern Schwärmerei einer herz- und sinnlosen Religion, jener schwerfälligen, kindischen Vernunft der asiatischen Völker?

Unter einer andern Verbindung von Umständen begünstigte hingegen der Zeitpunkt, wo der ruhige Besiz des Eigenthums eine stärkere Bevölkerung nach sich zog, die Entwicklung eines Keims zu großen und erhabenen Leidenschaften, der schon im rohen, Zerstörung athmenden Barbaren liegt. Die beherzten Räuberbanden in Griechenland und Latium schufen sich eine Verfassung, wo Tapferkeit, Vaterlandsliebe, Freiheitssinn, Edelmut, Ehrgeiz und Herschsucht, schon lange bevor noch ein Stral von wissenschaftlicher Aufklärung ihnen leuchtete, die Triebfeder großer Handlungen waren. Weichlinge, ohne dieses Löwenherz voll Kraft, konten nicht jenes hohen Gefühls, nicht einer jener Heldentugenden fähig sein.

Nur solche Völker, die in ihrer früheren Periode der Wollust glücklich entgangen, und in den Armen der Freiheit zu männlicher Stärke herangewachsen sind, können und müssen zulezt den höchsten Gipfel der Bildung ersteigen, wo die ganze Energie unseres Wesens sich in den feineren Werkzeugen der Empfindung und des Verstandes am thätigsten erweiset. Nur dreimal, nur in Europa, und jedesmal in anderer Gestalt erblickte die Welt das Schauspiel dieser lezten Ausbildungsstufe. Einzig und unerreichbar erhob Athen zuerst Ihr stolzes Haupt, da blühende Fantasie und reiner Schönheitssinn in ihr die Erstlinge der Kunst und Wissenschaft erzeugten. Rom war nicht mehr frei, und die Beute der halben Welt hatte daselbst bereits das zügelloseste Sittenverderbniß angezündet, als es die Trümmer attischer Kultur in seinem Schooß aufnahm, und glänzender durch Üppigkeit als durch hohen Schwung des Genies, für seine künftigen Überwinder sie aufbewahrte. Schon war der sanfte Frühlingszauber von Duft und Blüte dahin, und die Periode römischer Aufklärung glich einem schwülen Sommertage, den am Abend ein Donnerwetter beschließt. Uns endlich, der Nachkommenschaft eines glücklichorganisirten Barbarenstammes, bei dem hernach das romantische Feuer des Rittergeistes so schön aufloderte, uns bleibt der Herbst mit seinen reifen Früchten noch übrig; wir ernten und keltern und füllen unsere Scheuren, der Himmel weis, für welchen bevorstehenden Winter! –

Doch es sei für heute genug geträumt von diesen vier Stufen der muskularischen, spermatischen, heroischen und sensitiven Kultur. Die mancherlei Schattirungen, welche zwischen einigen dieser Haupteintheilungen fallen, gehen mich hier nichts an, und lassen sich leicht klaßifiziren. Ich verspare die Ausführung meines Sistems für ein dickes Buch, wozu ein Ozean von Citaten in Bereitschaft liegt, der bei seiner Überschwemmung alle Einwürfe, wie unsichere Dämme zu durchbrechen und zu vertilgen droht. Mit Citaten kämpf man ja gegen Citaten, und wie die Erfahrung lehrt, auch nicht selten sehr glücklich gegen den Menschenverstand. Die meisten alten Eintheilungen der Menschengattung sind ohne dies schon längst verworfen. Noahs Söhne; die vier Welttheile; die vier Farben, weiß, schwarz, gelb, kupferroth, – wer denkt noch heut zu Tage an diese veralteten Moden? Ein anderes ist es freilich um eine metaphysische Eintheilung! Dem kühnen Versuch, alle Völker der Erde von einem guten und einem bösen Prinzip abstammen zu lassen, fehlt nichts als – ein Beweis, – so streicht meine Hypothese die Segel, und ihr Urheber muß sich noch allzuglücklich schäzen, daß er kein geborner Teufel ist.


 << zurück weiter >>