Theodor Fontane
Schach von Wuthenow
Theodor Fontane

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XXI
Victoire von Schach an Lisette von Perbandt

Rom, 8. August 1807.

»Ma chère Lisette.

Daß ich Dir sagen könnte, wie gerührt ich war über so liebe Zeilen! Aus dem Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verlusten heraus hast Du mich mit Zeichen alter, unveränderter Freundschaft überschüttet und mir meine Versäumnisse nicht zum Üblen gedeutet.

Mama wollte mehr als einmal schreiben, aber ich selber bat sie, damit zu warten.

Ach, meine teure Lisette, Du nimmst teil an meinem Schicksal und glaubst, der Zeitpunkt sei nun da, mich gegen Dich auszusprechen. Und Du hast recht. Ich will es tun, so gut ich's kann.

›Wie sich das alles erklärt?‹ fragst Du und setzest hinzu: ›Du stündest vor einem Rätsel, das sich Dir nicht lösen wolle.‹ Meine liebe Lisette, wie lösen sich die Rätsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken ist uns versagt. Er sei, so versichern die Leute, der schöne Schach gewesen, und ich, das mindeste zu sagen, die nicht-schöne Victoire – das habe den Spott herausgefordert, und diesem Spotte Trotz zu bieten, dazu hab' er nicht die Kraft gehabt. Und so sei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod gegangen.

So sagt die Welt, und in vielem wird es zutreffen. Schrieb er mir doch Ähnliches und verklagte sich darüber. Aber wie die Welt strenger gewesen ist als nötig, so vielleicht auch er selbst. Ich seh es in einem andern Licht. Er wußte sehr wohl, daß aller Spott der Welt schließlich erlahmt und erlischt, und war im übrigen auch Manns genug, diesen Spott zu bekämpfen, im Fall er nicht erlahmen und nicht erlöschen wollte. Nein, er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf, oder wenigstens nicht so, wie vermutet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme seiner eigensten und innersten Natur war, rief ihm beständig zu, daß er diesen Kampf umsonst kämpfen, und daß er, wenn auch siegreich gegen die Welt, nicht siegreich gegen sich selber sein würde. Das war es. Er gehörte durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennengelernt habe, zu den Männern; die nicht für die Ehe geschaffen sind. Ich erzählte Dir schon bei früherer Gelegenheit von einem Ausfluge nach Tempelhof, der überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, sprachen wir über Ordensritter und Ordensregeln, und der ungesucht ernste Ton, mit dem er, trotz meiner Neckereien, den Gegenstand behandelte, zeigte mir deutlich, welchen Idealen er nachhing. Und unter diesen Idealen – all seiner Liaisons unerachtet, oder vielleicht auch um dieser Liaisons willen – war sicherlich nicht die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir versichern, und die Sehnsucht meines Herzens ändert nichts an dieser Erkenntnis, daß es mir schwer, ja fast unmöglich ist, ihn mir au sein de sa famille vorzustellen. Ein Kardinal (ich seh ihrer hier täglich) läßt sich eben nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.

Da hast Du mein Bekenntnis, und Ähnliches muß er selber gedacht und empfunden haben, wenn er auch freilich in seinem Abschiedsbriefe darüber schwieg. Er war seiner ganzen Natur nach auf Repräsentation und Geltendmachung einer gewissen Grandezza gestellt, auf mehr äußerliche Dinge, woraus Du sehen magst, daß ich ihn nicht überschätze. Wirklich, wenn ich ihn in seinen Fehden mit Bülow immer wieder und wieder unterliegen sah, so fühlt ich nur zu deutlich, daß er weder ein Mann von hervorragender geistiger Bedeutung noch von superiorem Charakter sei; zugegeben das alles; und doch war er andererseits durchaus befähigt, innerhalb enggezogener Kreise zu glänzen und zu herrschen. Er war wie dazu bestimmt, der Halbgott eines prinzlichen Hofes zu sein, und würde diese Bestimmung, Du darfst darüber nicht lachen, nicht bloß zu seiner persönlichen Freude, sondern auch zum Glück und Segen anderer, ja vieler anderer, erfüllt haben. Denn er war ein guter Mensch, und auch klug genug, um immer das Gute zu wollen. An dieser Laufbahn als ein prinzlicher Liebling und Plenipotentiaire hätt' ich ihn verhindert, ja, hätt' ihn, bei meinen anspruchslosen Gewohnheiten, aus all und jeder Karriere herausgerissen und ihn nach Wuthenow hingezwungen, um mit mir ein Spargelbeet anzulegen oder der Kluckhenne die Küchelchen wegzunehmen. Davor erschrak er. Er sah ein kleines und beschränktes Leben vor sich und war, ich will nicht sagen auf ein großes gestellt, aber doch auf ein solches, daß ihm als groß erschien.

Über meine Nichtschönheit war er hinweggekommen. Ich hab' ihm, ich zögre fast es niederzuschreiben, nicht eigentlich mißfallen, und vielleicht hat er mich wirklich geliebt. Befrag' ich seine letzten an mich gerichteten Zeilen, so wär es in Wahrheit so. Doch ich mißtraue diesem süßen Wort. Denn er war voll Weisheit und Mitgefühl, und alles Weh, was er mir bereitet hat durch sein Leben und sein Sterben, er wollt es ausgleichen, soweit es auszugleichen war.

Alles Weh! Ach wie so fremd und strafend mich dieses Wort ansieht! Nein, meine liebe Lisette, nichts von Weh. Ich hatte früh resigniert, und vermeinte kein Anrecht an jenes Schönste zu haben, was das Leben hat. Und nun hab' ich es gehabt. Liebe. Wie mich das erhebt und durchzittert und alles Weh in Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und schlägt eben die blauen Augen auf. Seine Augen. Nein, Lisette, viel Schweres ist mir auferlegt worden, aber es federt leicht in die Luft, gewogen neben meinem Glück. –

Das Kleine, Dein Patchen, war krank bis auf den Tod, und nur durch ein Wunder ist es mir erhalten geblieben.

Und davon muß ich Dir erzählen.

Als der Arzt nicht mehr Hilfe wußte, ging ich mit unserer Wirtin (einer echten, alten Römerin in ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der Kirche Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen alten Rundbogenbau, wo sie den ›Bambino‹, das Christkind, aufbewahren, eine hölzerne Wickelpuppe mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem von Ringen, wie sie dem Christkind, um seiner gespendeten Hilfe willen, von unzähligen Müttern verehrt worden sind. Ich bracht ihm einen Ring mit, noch eh ich seiner Fürsprache sicher war, und dieses Zutrauen muß den Bambino gerührt haben. Denn sieh, er half. Eine Krisis kam unmittelbar, und der Dottore verkündigte sein ›va bene‹; die Wirtin aber lächelte, wie wenn sie selber das Wunder verrichtet hätte.

Und dabei kommt mir die Frage, was wohl Tante Marguerite, wenn sie davon hörte, zu all dem ›Aberglauben‹ sagen würde? Sie würde mich vor der ›alten Kürche‹ warnen, und mit mehr Grund, als sie weiß.

Denn nicht nur alt ist Araceli, sondern auch trostreich und labevoll, und kühl und schön.

Sein schönstes aber ist sein Name, der ›Altar des Himmels‹ bedeutet. Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.«

 


 


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