Theodor Fontane
Schach von Wuthenow
Theodor Fontane

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XX
Bülow an Sander

Königsberg, 14. Sept. 1806.

». . . Sie schreiben mir, lieber Sander, auch von Schach. Das rein Tatsächliche wußt ich schon, die Königsberger Zeitung hatte der Sache kurz erwähnt, aber erst Ihrem Briefe verdank ich die Aufklärung, soweit sie gegeben werden kann. Sie kennen meine Neigung (und dieser folg' ich auch heut'), aus dem Einzelnen aufs Ganze zu schließen, aber freilich auch umgekehrt aus dem Ganzen aufs Einzelne, was mit dem Generalisieren zusammenhängt. Es mag das sein Mißliches haben und mich oft zu weit führen. Indessen, wenn jemals eine Berechtigung dazu vorlag, so hier, und speziell Sie werden es begreiflich finden, daß mich dieser Schach-Fall, der nur ein Symptom ist, um eben seiner symptomatischen Bedeutung willen aufs ernsteste beschäftigt. Er ist durchaus Zeiterscheinung, aber, wohlverstanden, mit lokaler Begrenzung, ein in seinen Ursachen ganz abnormer Fall, der sich in dieser Art und Weise nur in Seiner Königlichen Majestät von Preußen Haupt- und Residenzstadt, oder, wenn über diese hinaus, immer nur in den Reihen unserer nachgeborenen fridericianischen Armee zutragen konnte, einer Armee, die statt der Ehre nur noch den Dünkel, und statt der Seele nur noch ein Uhrwerk hat – ein Uhrwerk, das bald genug abgelaufen sein wird. Der große König hat diesen schlimmen Zustand der Dinge vorbereitet, aber daß er so schlimm werden konnte, dazu mußten sich die großen Königsaugen erst schließen, vor denen bekanntermaßen jeder mehr erbangte als vor Schlacht und Tod.

Ich habe lange genug dieser Armee angehört, um zu wissen, daß ›Ehre‹ das dritte Wort in ihr ist; eine Tänzerin ist charmant ›auf Ehre‹, eine Schimmelstute magnifique ›auf Ehre‹, ja, mir sind Wucherer empfohlen und vorgestellt worden, die superb ›auf Ehre‹ waren. Und dies beständige Sprechen von Ehre, von einer falschen Ehre, hat die Begriffe verwirrt und die richtige Ehre totgemacht.

All das spiegelt sich auch in diesem Schach-Fall, in Schach selbst, der, all seiner Fehler unerachtet, immer noch einer der Besten war.

Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem adligen Hause; die Mutter gefällt ihm, und an einem schönen Maitage gefällt ihm auch die Tochter, vielleicht, oder sagen wir lieber sehr wahrscheinlich, weil ihm Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag über ›beauté du diable‹ gehalten hat. Aber gleichviel, sie gefällt ihm, und die Natur zieht ihre Konsequenzen. Was, unter so gegebenen Verhältnissen, wäre nun wohl einfacher und natürlicher gewesen, als Ausgleich durch einen Eheschluß, durch eine Verbindung, die weder gegen den äußeren Vorteil noch gegen irgendein Vorurteil verstoßen hätte. Was aber geschieht? Er flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde Geschöpf, um das sich's handelt, ein paar Grübchen mehr in der Wange hat, als gerade modisch oder herkömmlich ist, und weil diese ›paar Grübchen zuviel‹ unseren glatten und wie mit Schachtelhalm polierten Schach auf vier Wochen in eine von seinen Feinden bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er flieht also, sag' ich, löst sich feige von Pflicht und Wort, und als ihn schließlich, um ihn selber sprechen zu lassen, sein ›Allergnädigster König und Herr‹ an Pflicht und Wort erinnert und strikten Gehorsam fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente des Gehorchens den Gehorsam in einer allerbrüskesten Weise zu brechen. Er kann nun mal Zietens spöttischen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen Ansturm von Karikaturen, und in Angst gesetzt durch einen Schatten, eine Erbsenblase, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.

Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendsten und Willkürlichsten, was es gibt, von dem auf Triebsand aufgebauten Urteile der Gesellschaft, und veranlaßt uns, die heiligsten Gebote, die schönsten und natürlichsten Regungen eben diesem Gesellschaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und diesem Kultus einer falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Verschrobenheit, ist denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie sich dieser Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand gesteckt, um nicht zu hören und nicht zu sehen. Aber diese Straußenvorsicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynastie zur Neige ging und die siegreichen Mandschuheere schon in die Palastgärten von Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch Boten und Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ›den Ton‹ der guten Gesellschaft und des Hofes war, von Niederlagen zu sprechen. O, dieser gute Ton! Eine Stunde später war ein Reich zertrümmert und ein Thron gestürzt. Und warum? Weil alles Geschraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod.

Entsinnen Sie sich des Abends in Frau von Carayons Salon, wo bei dem Thema ›Hannibal ante portas‹ Ähnliches über meine Lippen kam? Schach tadelte mich damals als unpatriotisch. Unpatriotisch! Die Warner sind noch immer bei diesem Namen genannt worden. Und nun! Was ich damals als etwas bloß Wahrscheinliches vor Augen hatte, jetzt ist es tatsächlich da. Der Krieg ist erklärt. Und was das bedeutet, steht in aller Deutlichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derselben Welt des Scheins zugrunde gehen, an der Schach zugrunde gegangen ist. Ihr Bülow.

Nachschrift. Dohna (früher bei der Garde du Corps), mit dem ich eben über die Schachsche Sache gesprochen habe, hat eine Lesart, die mich an frühere Nostitzsche Mitteilungen erinnerte. Schach habe die Mutter geliebt, was ihn, in einer Ehe mit der Tochter, in seltsam peinliche Herzenskonflikte geführt haben würde. Schreiben Sie mir doch darüber. Ich persönlich find' es pikant, aber nicht zutreffend. Schachs Eitelkeit hat ihn zeitlebens bei voller Herzenskühle erhalten, und seine Vorstellungen von Ehre (hier ausnahmsweise die richtige) würden ihn außerdem, wenn er die Ehe mit der Tochter wirklich geschlossen hätte, vor jedem Fauxpas gesichert haben. B.«

 


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