Theodor Fontane
Schach von Wuthenow
Theodor Fontane

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Achtzehntes Kapitel

Fata Morgana

Schach war zu guter Stunde wieder heim, und noch denselben Abend schrieb er ein Billet an Frau von Carayon, in dem er in anscheinend aufrichtigen Worten um seines Benehmens willen um Entschuldigung bat. Ein Cabinetsschreiben, das er vorgestern in Wuthenow empfangen habe, hab ihn heute nachmittag nach Charlottenburg hinausgeführt, wo König und Königin ihn an das, was seine Pflicht sei, gemahnt hätten. Er bedaure, solche Mahnung verschuldet zu haben, finde den Schritt, den Frau von Carayon getan, gerechtfertigt und bäte, morgen im Laufe des Vormittags sich beiden Damen vorstellen zu dürfen, um ihnen sein Bedauern über diese neuen Versäumnisse persönlich zu wiederholen. In einer Nachschrift, die länger als der Brief selbst war, war hinzugefügt, »daß er durch eine Krisis gegangen sei; diese Krisis aber liege jetzt hinter ihm, und er hoffe sagen zu dürfen, ein Grund, an ihm oder seinem Rechtsgefühle zu zweifeln, werde nicht wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunsch und Gedanken, alles, was geschehen sei, durch Gesetzlichkeit auszugleichen. Über ein Mehr leg er sich vorläufig Schweigen auf.«

Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte, wurde, trotz der schon vorgerückten Stunde, von Frau von Carayon auf der Stelle beantwortet. Sie freue sich, in seinen Zeilen einer so versöhnlichen Sprache zu begegnen. Über alles, was seinem Briefe nach als ein nunmehr Zurückliegendes anzusehen sei, werd es am besten sein zu schweigen; auch sie fühle, daß sie ruhiger und rücksichtsvoller hätte handeln sollen, sie habe sich hinreißen lassen, und nur das eine werd ihr vielleicht zur Entschuldigung dienen dürfen, daß sie von jenen hämischen Angriffen in Wort und Bild, die sein Benehmen im Laufe der letzten Woche bestimmt zu haben schienen, erst seit zwei Tagen Kenntnis habe. Hätte sie diese Kenntnis früher gehabt, so würde sie vieles milder beurteilt, jedenfalls aber eine abwartende Haltung ihm und seinem Schweigen gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß alles wieder einklingen werde. Victoirens große Liebe (nur zu groß) und seine eigene Gesinnung, die, wie sie sich überzeugt halte, wohl schwanken, aber nie dauernd erschüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr einer friedlichen und, wenn ihre Bitten Erhörung fänden, auch einer glücklichen Zukunft.

Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau von Carayon gemeldet. Sie ging ihm entgegen, und das sich sofort entspinnende Gespräch verriet auf beiden Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vorgefallenen hätte vorausgesetzt werden sollen. Und doch erklärte sich's auch wieder. Alles, was geschehen war, so schmerzlich es hüben und drüben berührt hatte, war doch schließlich von jeder der beiden Parteien verstanden worden, und wo Verständnis ist, ist auch Verzeihung oder wenigstens die Möglichkeit einer solchen. Alles hatte sich in natürlicher Konsequenz aus den Verhältnissen heraus entwickelt, und weder die Flucht, die Schach bewerkstelligt, noch die Klage, die Frau von Carayon an oberster Stelle geführt hatte, hatten Übelwollen oder Gehässigkeit ausdrücken sollen.

Als das Gespräch einen Augenblick zu stocken begann, erschien Victoire. Sie sah sehr gut aus, nicht abgehärmt, vielmehr frischer als sonst. Er trat ihr entgegen, nicht kalt und zeremoniös, sondern herzlich, und der Ausdruck einer innigen und aufrichtigen Teilnahme, womit er auf sie sah und ihr die Hand reichte, besiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel, er war ergriffen, und während Victoire vor Freude strahlte, füllten Tränen das Auge der Mutter.

Es war der beste Moment, das Eisen zu schmieden. Sie bat also Schach, der sich schon erhoben hatte, seinen Platz noch einmal auf einen kurzen Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinschaftlich mit ihm die nötigsten Festsetzungen zu treffen. Was sie zu sagen habe, seien nur wenige Worte. Soviel sei gewiß, Zeit sei versäumt worden, und diese Versäumnis wieder einzubringen empfehle sich wohl zunächst. Ihre langjährige freundschaftliche Beziehung zum alten Konsistorialrat Bocquet, der sie selber getraut und Victoiren eingesegnet habe, böte dazu die beste Gelegenheit. Es werde leicht sein, an die Stelle des herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein einmaliges zu setzen; das müsse nächsten Sonntag geschehen, und am Freitage der nächsten Woche – denn die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten, hätte sie persönlich von der durchaus entgegengesetzten Seite kennengelernt – werde dann die Hochzeit zu folgen haben. Und zwar in ihrer eignen Wohnung, da sie Hochzeiten in einem Hotel oder Gasthause von ganzer Seele hasse. Was dann weiter zu geschehen habe, das stehe bei dem jungen Paare; sie sei neugierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow über Venedig den Sieg davontragen werde. Die Lagunen hätten sie gemeinsam und die Gondel auch, und nur um eines müsse sie bitten, daß der kleine Brückensteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur Seufzerbrücke erhoben werde.

So ging das Geplauder, und so verging der Besuch.

Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Aufgebot, und der Freitag, an dem die Hochzeit stattfinden sollte, rückte heran. Alles im Carayonschen Hause war Aufregung, am aufgeregtesten Tante Marguerite, die jetzt täglich erschien und durch ihre naive Glückseligkeit alles Unbequeme balancierte, das sonst unzertrennlich von ihrem Erscheinen war.

Abends kam Schach. Er war heitrer und in seinem Urteile milder als sonst und vermied nur in ebenso bemerkenswerter wie zum Glück unbemerkt bleibender Weise, von der Hochzeit und den Vorbereitungen dazu zu sprechen. Wurd er gefragt, ob er dies oder jenes wünsche, so bat er mit einer Art von Empressement, »ganz nach eigenem Dafürhalten verfahren zu wollen; er kenne den Takt und guten Geschmack der Damen und wisse, daß ohne sein Raten und Zutun alles am besten entschieden werden würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheimnisvoll bleibe, so sei dies ein Vorteil mehr für ihn, hab er doch von Jugend auf eine Neigung gehabt, sich überraschen zu lassen«.

Unter solchen Ausflüchten entzog er sich jedem Geplauder, das, wie Tante Marguerite sich ausdrückte, »den Ehrentag en vue hatte«, war aber um so plauderhafter, wenn das Gespräch auf die Reisetage nach der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte doch schließlich über Wuthenow gesiegt, und Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm sonst völlig fremden Phantastik allen erdenklichen Reiseplänen und Reisebildern nach. Er wollte nach Sizilien hinüber und die Sireneninseln passieren, »ob frei oder an den Mast gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen«. Und dann wollten sie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf dem Wege dahin sei die Stelle, wo der geheimnisvolle schwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererstes Mal zu dem in Nebel und Schnee gebornen Hyperboreer spräche. Das sei die Stelle, wo die bilderreiche Fee wohne, die stumme Sirene, die mit dem Zauber ihrer Farbe fast noch verführerischer locke als die singende. Beständig wechselnd seien die Szenen und Gestalten ihrer Laterna magica, und während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne sich's plötzlich wie grüne Triften, und unter der schattengebenden Palme säße die Schar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand, und schwarz und braune Mädchen, ihre Flechten gelöst und wie zum Tanze geschürzt, erhüben die Becken und schlügen das Tamburin. Und mitunter sei's, als lach es. Und dann schwieg' es und schwänd es wieder. Und diese Spiegelung aus der geheimnisvollen Ferne, das sei das Ziel!

Und Victoire jubelte, hingerissen von der Lebhaftigkeit seiner Schilderung.

Aber im selben Augenblick überkam es sie bang und düster, und in ihrer Seele rief eine Stimme: Fata Morgana.


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